Gertraude Mikl-Horke Historische Soziologie – Sozioökonomie – Wirtschaftssoziologie
Wirtschaft + Gesellschaft Herausg...
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Gertraude Mikl-Horke Historische Soziologie – Sozioökonomie – Wirtschaftssoziologie
Wirtschaft + Gesellschaft Herausgegeben von Andrea Maurer und Uwe Schimank Beirat: Jens Beckert Christoph Deutschmann Susanne Lütz Richard Münch Wirtschaft und Gesellschaft ist ein wichtiges Themenfeld der Sozialwissenschaften. Daher diese Buchreihe: Sie will zentrale Institutionen des Wirtschaftslebens wie Märkte, Geld und Unternehmen sowie deren Entwicklungsdynamiken sozial- und gesellschaftstheoretisch in den Blick nehmen. Damit soll ein sichtbarer Raum für Arbeiten geschaffen werden, die die Wirtschaft in ihrer gesellschaftlichen Einbettung betrachten oder aber soziale Effekte des Wirtschaftsgeschehens und wirtschaftlichen Denkens analysieren. Die Reihe steht für einen disziplinären wie theoretischen Pluralismus und pflegt ein offenes Themenspektrum.
Bisher erschienen: Andrea Maurer, Handbuch der Wirtschaftssoziologie, 2008 Christoph Deutschmann, Kapitalistische Dynamik. Eine gesellschaftstheoretische Perspektive, 2008 Andrea Maurer, Uwe Schimank, Die Gesellschaft der Unternehmen – Die Unternehmen der Gesellschaft. Gesellschaftstheoretische Zugänge zum Wirtschaftgeschehen, 2008 Neil Fligstein, Die Architektur der Märkte, 2010
Gertraude Mikl-Horke
Historische Soziologie – Sozioökonomie – Wirtschaftssoziologie
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Frank Engelhardt VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Umschlagbild: Uwe Schimank / Ute Volkmann Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17367-2
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
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Erster Teil: Zur Geschichte und Programmatik der Wirtschaftssoziologie 1
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Anmerkungen zu einer historischen Soziologie der Wirtschaft und ihrer Theorie Wirtschaft, Geschichte und Soziologie: eine Distanzierung Soziologische Geschichte und historische Soziologie: eine Annäherung Eine (sehr) kurze Geschichte der Wirtschaft und des Wirtschaftsdenkens Das Problem der Rationalität: Magie, Mythos und praktisches Handeln Das Problem der Ethik: Das ‚antik-orientalische’ Wirtschaftsdenken und seine Christianisierung Die politisch-diskursive Konstitution der ‚modernen’ Wirtschaftsgesellschaft Die kognitive Konstruktion des Marktes und die Performativität der Ökonomie Wirtschaftssoziologie und Geschichte Das Ökonomieverständnis in der Wirtschaftssoziologie Die Ökonomie Max Webers Die „ökonomischen“ Schriften Webers Die historischen Analysen des Kapitalismus Die erkenntnistheoretischen Schriften: Historische Kulturwissenschaft und Sozialökonomik Die doppelte Methodologie Webers und die gegenwärtige Relevanz der Kulturanalyse des Kapitalismus Die Ökonomie in Parsons’ Systemtheorie Die Ökonomie und die nicht-ökonomischen Aspekte der Wirtschaft Die Integration der Wirtschaftstheorie in die Systemtheorie der Gesellschaft Kritik und Relevanz Ökonomie und „neue“ Wirtschaftssoziologie: Mark Granovetter Granovetters Kritik der neuen Institutionenökonomie Die Einbettung wirtschaftlichen Handelns in sozialen Netzwerken Die Mikrosoziologie der Märkte und darüber hinaus Conclusio
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Inhaltsverzeichnis
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Die wirtschaftssoziologische Relevanz der Austrian Economics Carl Mengers subjektive Wert- und Handlungstheorie Carl Mengers Institutionentheorie: Markt und Geld Die Methode der Sozialwissenschaften Gesellschaftliche Wirtschaft, wirtschaftliche Gesellschaft: Friedrich Wieser Subjektive Rationalität bei Ludwig Mises und Max Weber Marktprozess und soziale Ordnung: Mises und Hayek Ungewissheit und die Generierung von neuem Wissen Weiterentwicklung der Austrian Economics nach Mises und Hayek Wirtschaftssoziologie und Austrian Economics Conclusio
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Max Weber und Rudolf Goldscheid: Kontrahenten in der Wendezeit der Soziologie Gesellschaft und Wissenschaft Rudolf Goldscheid (1870-1931): Werk und Wirken Weber und Goldscheid im Verein für Socialpolitik und in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie Die Positionen von Weber und Goldscheid im Werturteilsstreit Weitere Entwicklung und neue Wendezeit der Soziologie
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Soziologie und Sozioökonomie Amitai Etzionis Paradigma der Sozioökonomie Das I&We-Paradigma Wirkung und Kritik von Etzionis Sozioökonomie Zur Situation der Sozioökonomie/Sozialökonomie in der Gegenwart Gesellschaft und Wirtschaft in klassischen Ansätzen der Ökonomie und Soziologie Sozialökonomie und Wirtschaftssoziologie als Ausgrenzungsprodukte des neoklassischen Reduktionismus Historische Volkswirtschaftslehre und theoretische Sozialökonomik Sozialpolitische Ökonomie Sozioökonomie und die Rolle der Soziologie Conclusio
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Inhaltsverzeichnis
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Zweiter Teil: Aus Arbeitsbereichen der Wirtschaftssoziologie 6
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Unternehmen und Arbeitsbeziehungen in Japan: Wandel und Kontinuität Interkulturelle Vorbemerkung Zur sozioökonomischen Entwicklung Japans Industrialisierung und Modernisierung von oben Arbeitnehmerschaft und Arbeiterbewegung Das Unternehmen in Japan: Sozialsystem und Arbeitsbeziehungen in der wirtschaftlichen Wachstumsphase Das ‚Modell Japan’ Sozialpsychologie und Kultur des Unternehmens als Mitgliedschaftsorganisation Arbeitsbeziehungen und Unternehmensgewerkschaft Unternehmensführung im japanischen Netzwerk-Kapitalismus Krise und Stagnation: Die Auswirkungen auf Unternehmen und Arbeitsbeziehungen Restrukturierung und Reformen in der japanischen Wirtschaft Veränderungen in Arbeitsmarkt, Beschäftigungssystem und Arbeitsbeziehungen Ausblick auf die Zukunft des japanischen Kapitalismus: Der Weg ist das Ziel Die Diffusion von Unternehmens- und Managementkonzepten als Aspekt der Globalisierung Einleitung Diffusion, Innovation und sozialer Wandel Die Diffusion von Managementinnovationen Akteure in der Verbreitung von Managementwissen Macht und Netzwerke in der Diffusion von Managementinnovationen Implementierung und Institutionalisierung von Innovationen Die globale Diffusion von Unternehmens- und Managementkonzepten Entfremdung in der Wissensgesellschaft Zum Begriff der Entfremdung Von der kapitalistischen Industriegesellschaft zur postkapitalistischen Wissensgesellschaft? Wissensarbeit Entberuflichung in der Wissensgesellschaft Flexibilisierung und der Wandel organisatorischer Kontrolle Die Wiederkehr der Existenzangst: Prekarisierung Die Rute im Fenster: Exklusion Der Charakter der Entfremdung in der Wissensgesellschaft
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Inhaltsverzeichnis Geld – soziologische Interpretationen Bezugspunkte abendländischer Geldauffassungen: Markt, Arbeit/Produktion, Staat Soziale Symbolik und Kulturbedeutung des Geldes Geld als generalisiertes Interaktionsmedium im Gesellschaftssystem Geld, Arbeit und Preise: Markttheoretische und produktionstheoretische Konzeptionen Geld und Zahlungen Geldmärkte und Geldnetzwerke Geldschöpfung und Geldwidmung jenseits von Markt und Staat Wandel und Kulturbedeutung des Geldes Finanzmärkte und ihre Krisen aus soziologischer Sicht Ungewissheit und Wissen in Finanzmärkten Die Wirtschaftssoziologie und die Finanzmärkte Finanzmärkte als Netzwerke: Die Finanzkrise als Krise von Vertrauens- und Kooperationsbeziehungen Finanzmärkte als Institutionen: Die Finanzkrise als Regulierungs- und Legitimitätskrise Die Expansion der Finanzmärkte und die Transformation des Kapitalismus Zur Entwicklung sozioökonomischer Ungleichheit im FinanzmarktKapitalismus Veränderungen der sozioökonomischen Ungleichheit durch den Anstieg der Geldvermögenszuwächse Die subjektive Dimension sozioökonomischer Ungleichheit: Akteure und Betroffene Zur gesellschaftstheoretischen Integration der Finanzmärkte Conclusio: Die gesellschaftliche Bedeutung von Finanzmärkten und ihrer Krisen
Literaturverzeichnis
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Vorwort
In diesem Band sind Arbeiten enthalten, die meine Forschungsinteressen aus verschiedenen Perioden und Bereichen wiedergeben. Obwohl ursprünglich beabsichtigt war, bereits publizierte Aufsätze zu sammeln, trifft dies jedoch für die meisten der hier enthaltenen Beiträge nicht zu. Der Grund dafür liegt einerseits in meiner in der Lehre wie in der Forschung immer wieder bewiesenen Unfähigkeit, mich zu wiederholen bzw. auf bereits Geleistetes zurück zu greifen; andererseits entspringen die wissenschaftlichen Publikationen im Laufe einer akademischen Karriere sehr oft zufällig sich bietenden Möglichkeiten oder Zwängen, denen entsprochen werden muss, die jedoch die eigentlichen Forschungsinteressen und Intentionen nicht klar genug hervortreten lassen. Ich wollte daher hier Arbeiten präsentieren, die meine langjährige Auseinandersetzung mit einer Reihe von Problemen in einer für mich auch gegenwärtig gültigen Art und Weise darstellen. Das erforderte jedoch die gründliche Überarbeitung mancher Beiträge, mitunter auch ein völliges Neuverfassen. Nur zwei Aufsätze (2, 4) sind daher gänzlich unverändert in diesen Band aufgenommen worden. Die Teile 3, 7, 8 und 9 entstanden aus der umfassenden Überarbeitung bereits veröffentlichter Aufsätze. Die Beiträge 1, 5, 6 und 10 wurden für diesen Band vollkommen neu geschrieben. Sie alle beziehen sich auf Probleme, die mich über lange Zeit beschäftigten und die ich auch für besonders bedeutsam für die Wirtschaftssoziologie und für die Soziologie im Allgemeinen halte. Dazu gehört insbesondere die Rolle der Geschichte in der Soziologie, die Beziehung zwischen Ökonomie und Soziologie, der Einfluss der Ökonomie auf das Verständnis von Wirtschaft, die Wechselwirkung der (Wirtschafts-)Kulturen aufeinander. Diese Anliegen werden im ersten Teil explizit angesprochen, sind aber auch in den Beiträgen, die sich mit speziellen Arbeitsbereichen beschäftigen, präsent. Das Bewusstsein um die Problematik der sozialwissenschaftlichen Denk- und Begriffswelten schließlich durchzieht und vereint alle Beiträge in diesem Band. Mein Dank gebührt dem Verlag und Frau Prof. Dr. Andrea Maurer, die die Veröffentlichung dieses Buches ermöglicht haben. Bedanken möchte ich mich auch bei Frau Ursula Nemeth, die mich bei der Texterstellung unterstützt hat. Meinem Mann danke ich für Anregungen und für Korrekturlesen, vor allem aber für seine Geduld und sein Verständnis, da ich während der Arbeit an diesem Buch oftmals unansprechbar war. Gertraude Mikl-Horke
Wien, im November 2010
Erster Teil: Zur Geschichte und Programmatik der Wirtschaftssoziologie
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Anmerkungen zu einer historischen Soziologie der Wirtschaft und ihrer Theorie
1 Anmerkungen zu einer historischen Soziologie der Wirtschaft und ihrer Theorie
Die jüngste Finanzkrise hat wieder in Erinnerung gerufen, dass Kreditblasen, Krisen und Zusammenbrüche in der Entwicklung des Kapitalismus immer wieder vorkommen. Die gegenwärtigen wirtschaftlichen Probleme lassen sich nicht nur als Folge der neoliberalen Wende oder des Übergangs vom fordistischen Wohlfahrtsstaat zum Finanzkapitalismus erklären. Auch Kathleen Thelen plädiert deshalb für „historically informed empirical research … reaching further back than the usual 1980s baseline“ (Thelen 2010: 189). Doch darüber hinaus ist die Beschäftigung mit der Geschichte für die Wirtschaftssoziologie von großer Bedeutung, da sie den Blick für die realen Zusammenhänge zwischen Gesellschaft und Wirtschaft im Zeitverlauf und in verschiedenen Kulturen schärft und damit die Konturen der Gegenwart klarer hervortreten lässt. Die Konstellationen von Gesellschaftsstrukturen, Institutionen und Wirtschaftssystemen sind historisch geworden und erfordern daher eine Erklärung, die auf der Grundlage historischen Wissens beruht. Die Einbeziehung der Geschichte in die Soziologie zwingt auch dazu, die Denkstrukturen und Begriffe, die auf einer Trennung von ‚Wirtschaft’ und ‚Gesellschaft’ beruhen, als historisch und kulturell konstituiert zu sehen.
Wirtschaft, Geschichte und Soziologie: eine Distanzierung Die Sozialwissenschaften entstanden im Zuge der Transformationsprozesse, die sich in den neuzeitlichen Gesellschaften vollzogen haben. Sie beruhten noch nicht auf der gedanklichen Trennung zwischen Wirtschaft, Staat und Gesellschaft und auch die Wissenschaften insgesamt bauten im Sinne eines enzyklopädischen Systems noch aufeinander auf. Bei Adam Smith, Auguste Comte oder auch bei Karl Marx waren Wirtschaft, Staat und Gesellschaft noch untrennbar miteinander verbunden. Auch in Max Webers Werk fließen historischkulturelle, wirtschaftliche und soziopolitische Aspekte ineinander (vgl. Kruse 1990; Rossi 1987; Roth 1976). Für ihn war die Auseinandersetzung zwischen Geschichte und Sozialwissenschaft konstitutiv für sein kulturwissenschaftliches Verständnis der Ökonomie. Aber die Geschichte war dabei auch als methodisches Prinzip, das er in ein Spannungsverhältnis mit der theoretischen Methode setzte, wichtig. Max Webers erklärtes Ziel war die Verbindung von Theorie und Geschichte in einer Sozialwissenschaft, die kausal erklärt und deutend versteht. Webers zentraler Gegenstand war der moderne Kapitalismus, dessen idealtypische Merkmale und dessen ‚Kulturbedeutung’ er zu bestimmen suchte. Dies erfordert das Aufeinanderbeziehen von praktisch-struktureller Entwicklung und dem Wandel der Denkweisen und Wertvorstellungen. In seiner Darstellung kommt daher dem Wirtschaftsdenken besondere Bedeutung für Genese und Selbstverständnis des modernen Kapitalismus zu; es ist eine Ausprägungsform des die gesamte Geistesentwicklung des Abend-
G. Mikl-Horke, Historische Soziologie – Sozioökonomie – Wirtschaftssoziologie, DOI 10.1007/978-3-531-92798-5_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Erster Teil: Zur Geschichte und Programmatik der Wirtschaftssoziologie
landes durchziehenden Prinzips der Rationalisierung, das sich nicht auf die Ideologie einer Klasse beschränkt, sondern die Kultur in allen Bereichen geprägt hat. Auch Emile Durkheim (vgl. Bellah 1959) hatte als Schüler von Fustel de Coulanges ein Naheverhältnis zur Geschichte, allerdings in einem Verständnis, das anders war als das der deutschen Auffassungen von Geschichte und auch die spätere Annales-Schule der Geschichtswissenschaft beeinflusste. Für Emile Durkheim war die funktionale Arbeitsteilung bestimmend als Grundlage der modernen Industriegesellschaft. Dies implizierte eine Interpretation der Geschichte als Wandel der kollektiven Sozialordnung von der mechanischen Solidarität zur organischen Solidarität. Diese beruht aber nicht nur auf strukturellen Bedingungen, sondern auch auf kollektiven Denk- und Vorstellungsweisen, auf Moral. Der liberalökonomischen Vorstellung von Wirtschaft stellte Durkheim damit eine kollektive Ordnung gegenüber, die ebenfalls eine innere Eigendynamik besitzt. Diese Betonung der endogenen Entwicklung unterschied Durkheims Denken deutlich von jenen Sozialdenkern seiner Zeit, die wie Weber das Handeln als Auslöser für historischen Wandel sahen (vgl. MiklHorke 2001: 71). Schumpeter hatte in Bezug auf wirtschaftliche Entwicklung auf die „creative responses“ verwiesen und damit festgestellt, dass es sich dabei um einen historischen Prozess handelt, der sich nicht deterministisch erklären lasse (Schumpeter 1947). Die Abkehr der Sozialwissenschaft von der Geschichte hängt eng mit der Faszination der europäischen Moderne zusammen. Modernisierungsforschung bezog sich zunächst auf die unterentwickelten Regionen der Erde und kommentierte deren Entwicklung als Übergang von traditionalen zu modernen Strukturen und Formen, wurde dann aber auch auf die weitere Entwicklung der westlichen Industrieländer selbst ausgeweitet (vgl. Lepsius 1977). Die Soziologie versteht sich als Wissenschaft von der modernen Gesellschaft; dies ist in zweifacher Hinsicht zu verstehen: Zum einen im Sinne der Erforschung der gegenwärtigen sozialen Strukturen und Ordnungen, wobei sie mit Hilfe empirischer Momentaufnahmen Daten über diese generiert. Zum anderen verwendet sie typologische Begrifflichkeiten und theoretische Konstrukte, die sich auf die Merkmale der Modernisierung der westlichen Gesellschaften beziehen. In theoretischen Ansätzen wie jenem von Talcott Parsons wurden systemische Konstrukte gesellschaftlicher Ordnung mit einer evolutionären Modernisierungstheorie verbunden. Geschichte wurde dabei im Sinn eines evolutionären Prozesses komplexer Systeme von Ereignissen unabhängig gemacht und als Systemwandel gedeutet (vgl. Zaret 1980). Die Wirtschaft war in diesen Konzeptionen der ‚modernen’ Gesellschaft durch die Konstruktion einer institutionell und kognitiv ‚ausdifferenzierten’ Sphäre gekennzeichnet. Dies entsprach auch der Arbeitsteilung zwischen den Einzelwissenschaften der Ökonomie und der Soziologie. „Die neuzeitliche abendländische Geschichte beginnt im Grunde mit der Unterscheidung zwischen Gegenwart und Vergangenheit“, meint Michel de Certeau (1991: 13). Vergangenheit wurde als ‚anders‘ bzw. als ‚tot’ angesehen und die Gegenwart durch Merkmale, die sie von dieser Vergangenheit abheben, bestimmt. ‚Geschichte’ wurde mit der Erforschung der Vergangenheit assoziiert, Soziologie mit jener der modernen Gesellschaft im Sinne einer ‚erweiterten Gegenwärtigkeit’ (Mikl-Horke 1994a: 24), die sich aus der Differenzierung von Vergangenheit und Gegenwart herleitet. Die Soziologie hat sich von der Geschichte im Laufe ihrer Entwicklung weitgehend abgewandt und beschäftigt sich in ihren zeitlichen Bezugnahmen mit „Entwicklungs- und
1 Anmerkungen zu einer historischen Soziologie der Wirtschaft und ihrer Theorie
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Sinnzusammenhängen, die sich typologisch erfassen und vergleichen lassen“ (Bickel 1991: 308). Der Vergleich mit früheren oder anderen Gesellschaften wird im Sinn evolutionärer Entwicklung gedeutet, wobei die westlichen Industriegesellschaften noch immer als vorläufige Zielkonstellation soziokultureller Evolution dienen. Die Vergangenheit der eigenen oder die fremder Kulturen wird mit typischen Merkmalen charakterisiert, denen Konstanz und Dauerhaftigkeit zugewiesen werden (Mikl-Horke 1992). Sie werden zu statischen ‚vormodernen’ oder ‚traditionalen’ Ordnungen unbeschadet ihrer Vielfalt und ihrer wechselhaften Geschichte; ihre Merkmale werden im Gegensatz zu jenen der ‚modernen‘ Gesellschaft bestimmt (Stedman Jones 1976).
Soziologische Geschichte und historische Soziologie: eine Annäherung Die Strukturanalysen und theoretischen Konstrukte der Soziologie lassen nur begrenzten Raum für die Erfassung der Historizität der Institutionen und Strukturen. Tenbruck meinte, die Soziologie ‚verräumliche’ die Zeit zu gesellschaftlichen Momentaufnahmen und deute Geschichte um in eine ereignisfreie Abfolge von sozialen Zuständen (Tenbruck 1973). Das Bewusstsein für das enge Verhältnis zwischen Soziologie und Geschichte war daher lange Zeit verschüttet, es war, wie Elias konstatiert hatte, zu einem „Rückzug der Soziologen auf die Gegenwart“ gekommen (Elias 1983). In den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstanden dann wieder Diskussionen um eine ‚historische Soziologie’ und über die Beziehung zwischen Soziologie und Geschichte (vgl. Mikl-Horke 1994a). Das Interesse der Soziologen an der Geschichte veranlasste manche sogar zu der Frage: „Is Sociology Turning into History?“ (Sprondel 1992). Dies war durch Entwicklungen innerhalb der Geschichtswissenschaft beeinflusst, so dass auf diese zunächst kurz Bezug genommen werden muss. Was Geschichte ‚ist’ und wie sie erforscht werden soll, war und ist unter Historikern selbst kontrovers. Zum einen bezeichnet das Wort eine akademische Disziplin, zum anderen das ‚Geschehen’ in Form von einzelnen Ereignissen und deren Abfolge sowie die darauf bezogene Dokumentation und Interpretation (Ereignisgeschichte). Da Geschichte auch ein narratives Schreiben (Geschichtsschreibung) impliziert, bei dem vieles, was nicht in den Quellen ist, ergänzt werden muss, wird sie von manchen auch als poetische Erzählung und die Historie nicht als Wissenschaft, sondern als Form der Dichtung verstanden. Aber auch unter jenen, die die Historie als Wissenschaft verstehen, wurde dies mit verschiedenen Methoden begründet. Wie im berühmten Methodenstreit in der Nationalökonomie gab es auch in der Geschichtswissenschaft eine Auseinandersetzung zwischen der historistischen Auffassung Heinrich Droysens und jener William Buckles oder Karl Lamprechts, die auch in der Geschichte nach naturwissenschaftlichen Methoden vorgehen wollten. Karl Lamprecht, der u. a. den belgischen Historiker Henri Pirenne beeinflusste, betrieb eine sozialpsychologisch orientierte, auf kausalgenetische Erklärungen abzielende Geschichtsforschung. Eine ähnliche Auffassung vertrat auch der Mediävist und Wirtschaftshistoriker Ludo M. Hartmann, der sich eine Auseinandersetzung mit Georg von Below lieferte (vgl. Mikl-Horke 1994a).
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Erster Teil: Zur Geschichte und Programmatik der Wirtschaftssoziologie
Eine an Strukturen und nicht an Ereignissen orientierte, eine in diesem Sinn ‚soziologische’ Sicht lässt sich zudem in der Kulturgeschichte, etwa bei Burckhardt, Michelet und Fustel de Coulanges, in der Sozialgeschichte bei Pirenne, Tawney, Weber, Brunner, Conze, sowie in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte erkennen. Fustel de Coulanges etwa sah die Geschichte als die ‚wahre Soziologie’(vgl. Burke 1991). Solcherart war es in Frankreich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Entstehung einer soziologisch orientierten Geschichtswissenschaft innerhalb der Gruppe von Historikern rund um die Zeitschrift Annales, die von Lucien Febvre und Marc Bloch gegründet worden war, gekommen. Fernand Braudel, der ihnen folgte, verband diese strukturelle Geschichte mit der historischen Geographie Vidal de la Blaches in seinen wirtschafts- und sozialhistorischen Studien des 15.-18. Jahrhunderts (Braudel 1985/86). ‚Geschichte’ wurde dabei als sinnhafte Dauer und als Gewordensein von Strukturen aufgefasst, was in dem Begriff der ‚longue durée’ bei Fernand Braudel (1972) zum Ausdruck kommt. Entgegen der politischen und militärischen Ereignisgeschichte steht die Betonung der ‚langen Wellen’ der Geschichte im Vordergrund. Diese im Gegensatz zur Ereignisgeschichte als Strukturgeschichte charakterisierte Historie erfreute sich besonders in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts großen Ansehens unter Historikern, aber auch in den Sozialwissenschaften allgemein. Eine ähnliche Perspektive lässt sich in Deutschland in den Diskussionen über eine Erweiterung der Sozialgeschichte zur ‚Gesellschaftsgeschichte’ als Erforschung sozialstruktureller Veränderungen erkennen (Hettling et al. 1991; Wehler 1986). Als ein spätes Zeugnis erschien 2009 Wehlers umfangreiche Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Diese Entwicklungen schlugen sich auch in zahlreichen Studien über das Verhältnis von Sozialwissenschaft und Geschichte, von Sozialgeschichte und Soziologie, nieder (Acham 1983; Braudel 1972; Burke 1989; Lepsius 1982; Ruloff 1984; Tilly 1981). Der Sozialhistoriker Werner Conze schrieb: „Sozialgeschichte meint Geschichte der Gesellschaft, genauer der sozialen Strukturen, Abläufe, Bewegungen. Sie ist daher sowohl der Geschichtswissenschaft wie der Soziologie verbunden.“ (Conze 1966: 24). Allerdings gab es auch kritische Stimmen, so warnte Eric Hobsbawm davor, die Sozialgeschichte zu einer Rückwärtsprojektion der Soziologie zu machen (Hobsbawm 1972); andere kritisierten die historisch undifferenzierten Begriffe der Soziologie bzw. wandten sich überhaupt gegen Strukturkonzepte zugunsten der Erforschung der ‚Alltagsgeschichte’. Historiker definieren Strukturbegriffe auch oft anders als Soziologen, denn bestimmend in ihrer Sicht sind nicht die Häufigkeit oder Regelmäßigkeit der Verhaltensmuster, sondern der Rhythmus und die Geschwindigkeit der Veränderung, wobei nicht notwendig die ‚sozialen’ Strukturen gemeint sind, sondern alle Erscheinungen, die unterschiedliche Dauer repräsentieren (Mikl-Horke 1994a: 16). Auch innerhalb der Soziologie hatte es immer wieder Stimmen gegeben, die für eine Annäherung an die Geschichte eingetreten waren. So etwa in den ‚change and continuity’Studien der 1960er Jahre, in denen auf ‚Ungleichzeitigkeiten’ in den modernen Gesellschaften, auf eine Parallelität von Kontinuität und Veränderung hingewiesen und die Bedeutung der Geschichte für die Soziologie hervorgehoben wurde (vgl. Bendix 1966/67; Nisbet 1969). Dies weitete sich dann in den 1980er Jahren zu einer intensiven Diskussion um eine neue ‚historische Soziologie’ aus, die sich nicht als eine spezielle Subdisziplin verstand, sondern als eine grundlegende Orientierung der Soziologie. Philip Abrams meinte: „Sociological
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explanation is necessarily historical. Historical sociology is thus not some special kind of sociology; rather, it is the essence of the discipline.” (Abrams 1982: 2). Gegenstand der Soziologie sind demnach historische Prozesse des Werdens, in denen Handeln und Struktur in zeitlicher Sicht aufeinander treffen. Die Perspektive richtet sich auf die Veränderungen der sozialen Beziehungen im Alltag der Menschen, die in der Genese und dem Wandel von Institutionen resultieren. Die mikrosoziale Ebene und jene der gesellschaftlichen Institutionen werden durch die Beziehung zwischen den Zwecken und Absichten der Handelnden und den Werten und Normen der Gesellschaft in den konkreten zeitlichen Abfolgen von Aktionen und Reaktionen verbunden. Diese historische Soziologie wurde mit verschiedenen Forschungsstrategien verbunden: Zum einen mit der Anwendung eines allgemeinen Modells auf die Geschichte, zum anderen mit der Verwendung von theoretischen Begriffen für die Interpretation der Geschichte und schließlich mit der Analyse kausaler Regelmäßigkeiten in der Geschichte (vgl. Skocpol 1984). Daraus geht schon hervor, dass damit keine alternative Wissenschaftsauffassung, etwa im Sinn einer neo-historistischen Sozialwissenschaft, die theoretische Konzeptualisierungen durch die historische Methode zu ersetzen sucht, verbunden ist, sondern vielmehr eine dynamische, auf die Berücksichtigung von Zeit gerichtete theoretisch geleitete Forschung intendiert ist. Historische Soziologie versteht sich, wie Dennis Smith (1991) meint, als Beitrag zur Entwicklung der modernen Gesellschaften und als Disziplin, die durch das Studium der Vergangenheit erforscht, wie Gesellschaften funktionieren und sich wandeln. Gegen eine so verstandene historische Soziologie richtete sich Kritik, die vor der Übertragung von ahistorischen Konzepten auf die geschichtliche Wirklichkeit warnte. Sie traf sich mit der Kritik der Historiker an einer Gesellschaftsgeschichte, die darauf verwiesen, dass historische Analysen nicht mit dem von Staat und Wirtschaft abstrahierenden Begriff der Gesellschaft verbunden werden sollten (Tenbruck 1986). Goldthorpe bemängelte, dass sich die historischen Soziologen nicht mit den Quellen auseinander setzen, wie es die historische Methode erfordere; vielmehr ergehen sie sich in „sweeping historical overviews“ auf der Basis einer nur oberflächlichen Befassung mit historischen Fakten (Goldthorpe 1991). Allerdings betrachtete er die Beschäftigung der Soziologie mit den Quellen und mit der Vergangenheit ohnehin als überflüssig; die Soziologie solle sich besser mit der Gegenwart bzw. mit Problemen raumzeitlich begrenzten sozialen Wandels befassen, denn da habe sie den Vorteil, ihre Daten selbst generieren zu können. In dieser Kritik wird die historische Methode sehr eng im Sinne der Quellenforschung interpretiert, die zwar tatsächlich für die Arbeit des Historikers unerlässlich ist, auf die er sich aber nie allein stützen kann, da die Rekonstruktion vergangener Kulturen immer Interpretation und Deutung impliziert. Aber auch die Generierung von Daten in der Soziologie ist keineswegs unproblematisch, weil damit selektive Momentaufnahmen erzeugt werden. Die Ergebnisse der empirischen Sozialforschung werden überdies laufend selbst zu historischen Daten, was problematisch im Hinblick auf ihre Interpretation durch zukünftige Historiker ist. Damit wird die Soziologie selbst eine Quelle zukünftiger Sozialgeschichtsschreibung. Die Generierung von Daten über die ‚Gegenwart’ übersieht, dass soziale Realität immer historische Realität ist, weil sie sich laufend verändert. Daher muss ihre Erforschung nach Heinrich Best durch eine ‚diachronische Sozialwissenschaft’ erfolgen, die es vermag,
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Erster Teil: Zur Geschichte und Programmatik der Wirtschaftssoziologie
Wirkungszusammenhänge im Zeitablauf aufzuzeigen und „der soziologischen Empirie die erforderliche zeitliche Tiefe zu geben“ (Best 1988: 12). Die Soziologie bedarf der Geschichte, um die Gegenwart, die sie meint, aus ihrem Gewordensein erklären zu können, und die Geschichte braucht die Soziologie, um die Relevanz ihrer Interpretationen der Vergangenheit für die Gegenwart zu bestimmen. Max Weber definierte historische Tatsachen als selektive Aussagen über die Wirklichkeit und verstand die Vergangenheit als ein Potential von ursächlichen Möglichkeiten eines Ereignisses, welches erst durch die Auswahl auf Grund der Auffassungen, Interessen und Probleme der Gegenwart historische Bedeutung erhält (Weber 1988c). Die historische Zeit – ein Stellvertreterbegriff für den Wandel der sozioökonomischen und politischen Verhältnisse – verändert die Sichtweisen der Gegenwart und die vergangener Epochen und Kulturen. Vergangene und andere Wirtschaftsformen werden auf Grund der Wahrnehmung der jeweiligen Gegenwart und der eigenen Kultur gedeutet und beurteilt. Sie werden daher immer wieder gemäß den jeweils aktuellen Problemgesichtspunkten, der ‚Wertbeziehung’ nach Weber und den ‚herrschenden’ Theorien und Ideologien neu gedeutet. Jörn Rüsen meint daher: „…Geschichte ist genau die Konstellation historischer Tatsachen, in der die Vergangenheit Bedeutung und Sinn für die Gegenwart hat“ (Rüsen 1983: 121). Geschichte deutet die Vergangenheit stets im Licht der jeweiligen Gegenwart als ‚gegenwärtige Vergangenheiten’ (vgl. Luhmann 1976). Sie kann daher als eine Aufeinanderfolge von Schichten zeitgenössischer Interpretationen, die sich ihrerseits wieder aufeinander beziehen, gesehen werden. Geschichte ist immer neu deutbar, verbindet aber gleichzeitig den Fluss der Ereignisse, der aus jeder Gegenwart Vergangenheit macht und doch mit der Gegenwart im Sinne eines Prozesses des Werdens der Zukunft verbunden ist. Der Sozialhistoriker Jürgen Kocka hat ähnlich wie manche historische Soziologen vorgeschlagen, die Kategorien von Handeln und Struktur durch jene des Ereignisses zu ergänzen (Kocka 1991). Aus der Analyse von Handeln und von Strukturen folgt kein Geschehen, denn weder spielen intentionale Handlungen die einzig bewegende Rolle in der historischen Realität, noch sind es allein die Normen und Institutionen, die wirken. Daher müssen Ereignisse, die eben nicht auf Handeln oder auf die Wirkung von institutionellen Strukturen zurückgeführt werden können, zusätzlich eingeführt werden. Sie unterscheiden sich von Strukturen durch die Unterteilung der Zeit in ‚vorher’ und ‚nachher’, sie werden durch ihr Überraschungsmoment bewusst bzw. durch ihre kommunikative und mediale Konstruktion als solche bewusst gemacht. Für die Definition von Ereignissen spielen die Strukturen und Prozesse der Kommunikation eine ganz entscheidende Rolle. Ereignisse werden zu solchen, nachdem sie in bestimmter Weise kognitiv und kommunikativ als überraschend, als unvorhersehbar, als aus dem Fluss der Zeit herausragend definiert werden. Das zeigt sich besonders deutlich im Fall von Krisen: Während deren objektive Ursachen oft schwer festzustellen sind, kommen sie eigentlich wirklich erst zustande, wenn sich ein Krisenbewusstsein und eine Krisenrhetorik verbreiten (Borchardt 1994: 300 f). Ereignisse werden also erst zu solchen durch die Aufmerksamkeit, die sich auf bestimmte Aspekte richtet; dann aber lösen sie Handlungen und strukturelle Veränderungen aus. Ereignisse wie die Weltwirtschaftskrise, der Zusammenbruch der Sowjetunion oder die jüngste Finanzkrise schaffen neue Wirklichkeiten und damit auch neue Voraussetzungen für Handeln. Zwar sind auch Ereignisse häufig Resultate des Zusammenwirkens von Han-
1 Anmerkungen zu einer historischen Soziologie der Wirtschaft und ihrer Theorie
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delnden, aber sie sind nicht restlos auf die Intentionen der Akteure oder deren Wechselwirkung mit Strukturen und Institutionen zurückzuführen. Die Wirkungen von Ereignissen schlagen sich kurzfristig in Verhaltensreaktionen und längerfristig in institutionellem und strukturellem Wandel nieder; daraus erwachsen wieder neue Voraussetzungen für Handeln und dessen Wechselwirkung mit Strukturen, was irgendwann zusammen mit exogenen Einflüssen wieder in Geschehen, das als Ereignis erkannt wird, resultieren wird. Ereignisse haben aber auch Folgen für die Erkenntnis, lassen Fehler erkennen und erfordern neue Annahmen und sie erzeugen neue Erkenntnisinteressen. Sozialwissenschaftliche Erkenntnis muss sich dieses Zusammenhangs bewusst werden, muss sich selbst als historisch denken. Wie die Historiker die Vergangenheit, so schreibt auch die Soziologie die Gegenwart immer wieder neu. Historische Reflexivität soziologischer Erkenntnis bedeutet nicht selbstbezügliche Nabelbeschau oder Reduktion auf Dogmengeschichte, sondern die Öffnung für die Möglichkeiten des Denkens und die Relativität des Gegebenen. Der Blick in die Geschichte befreit zudem von Denkzwängen, ermöglicht es, dem „Gefängnis der Gegenwart“ (Heller 1987: 426) zu entkommen und für ein Bewusstsein von Möglichkeiten offen zu sein, denn durch das Zurückverfolgen der historischen Wurzeln von aktuellen Gegebenheiten und Denkformen, wird deutlich, dass es auch ganz anders hätte kommen können. ‚Historische Soziologie’ verweist nicht allein auf das Studium der Vergangenheit; vielleicht sollte man besser von Soziologie auf der Grundlage der Geschichte sprechen, denn es geht um die Berücksichtigung von Zeitlichkeit, Räumlichkeit und von Ereignissen im Hinblick auf die Erklärung der Probleme der Gegenwart. Aber statt der Konstruktion einer dauerhaften Gegenwärtigkeit oder der zeitlichen Verallgemeinerung empirischer Momentaufnahmen muss die soziale Wirklichkeit in ihrem Gewordensein begriffen werden. Als Ausgangspunkte einer solchen Soziologie, die sich auch ihrer eigenen historischen Bedingtheit bewusst ist, können daher gelten: Ein Verständnis der Gegenwart als historisch geworden, als durch Zeit und Raum mit der Vergangenheit verbunden, gleichzeitig aber auch stets ‚für Überraschungen gut’; die Berücksichtigung von nicht-intentionalen Faktoren, von Ereignissen und deren zeitlicher Abfolge; der differenzierte und nicht unkritische Umgang mit den Erkenntnissen der Geschichtsforschung, wenn möglich auch die Arbeit mit den Quellen selbst; das Verständnis von Theorie als Mittel der Erkenntnis und nicht als Ziel sowie die Auffassung von Wissenschaft als historisch eingebundene Erkenntnisweise (MiklHorke 1994a: 22).
Eine (sehr) kurze Geschichte der Wirtschaft und des Wirtschaftsdenkens In Bezug auf die Wirtschaft und das Wirtschaftsdenken vergangener Epochen ist man auf die Dokumente angewiesen, die von diesen existieren. Die Quellen sind umso spärlicher, je weiter man in der Geschichte zurückgeht; ihre Interpretation ist problematisch, weil wir uns in unseren Denk- und Vorstellungsweisen weit von den Voraussetzungen, die den Quellen zugrunde lagen, entfernt haben. Auch werden vergangene Kulturen und Gesellschaften immer wieder aus der Sicht der jeweiligen Gegenwart interpretiert. So haben insbesondere über die Griechen und Römer unzählige Generationen ihre Deutungen weitergegeben. Viel-
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fach ist daher das, was wir über eine versunkene Kultur zu wissen glauben, nur das amalgamierte Ergebnis von Interpretationen von Interpretationen. Von den Quellen kann man auch nicht direkt auf die wirtschaftliche Realität schließen. Die Autoren der zeitgenössischen Darstellungen und Datensammlungen waren selten auch diejenigen, die arbeiteten oder wirtschafteten, sondern Regierende, Geistliche, Gelehrte oder Beamte. Zwischen Praktikern und Denkern bestehen naturgemäß Unterschiede der Sichtweise. Man muss daher zwischen der Wirtschaftsgesinnung der handelnden Menschen, der Reflexion der zeitgenössischen intellektuellen Eliten und den Schichten der historischen Deutungen und Erklärungen, die bisher gegeben wurden, unterscheiden. Und man muss sich klar sein, dass das, was wir von vergangenen Wirtschaftskulturen zu wissen glauben, immer hinterfragbar bleibt. Auch waren diese Kulturen keineswegs geschlossene Welten, denn die kulturelle Diffusion war immer ein wesentlicher Motor der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderung, die daher auch nicht nur als evolutionäre Entwicklung aus endogenen Bedingungen verstanden werden kann. Fernand Braudel verwies darauf, dass die Betonung der endogenen Evolution der modernen Gesellschaft und Wirtschaft eine ethnozentrische Konstruktion war, denn in Wirklichkeit hat Europa immer wieder vielfältige Anleihen bei anderen Völkern gemacht (Braudel 1985/86, II: 617). Bezieht man die Geschichte des Raumes mit ein, so muss man gleichzeitig auch die vielfältigen Beeinflussungen zwischen den Kulturräumen durch Kriege, Eroberungen, Handel, Ausbreitung der Religion, Diffusion von Gütern, Lebensstilen, Bildern, Sprache etc. berücksichtigen. Kulturspezifische Interpretationen und die Feststellung von Kulturkonstanten ergeben daher immer nur eine einseitige Konstruktion, denn alle Kulturen unterliegen der Veränderung durch endogen und exogen verursachte Prozesse. Aus der Sicht einer historischen Soziologie der Wirtschaft ist das Verhältnis von Wirtschaftsdenken und wirtschaftlicher Realität von besonderem Interesse. Wirtschaft und Wirtschaftsdenken beziehen sich zu allen Zeiten aufeinander, ohne allerdings jemals zu einer vollkommenen Verbindung zu finden. Max Weber brachte dies zum Ausdruck, indem er meinte, Wirtschaftsethik sei „keine einfache ‚Funktion’ wirtschaftlicher Organisationsformen, ebenso wenig wie sie umgekehrt diese eindeutig aus sich heraus prägt.“ (Weber 1989: 85). Wirtschaftshandeln als sinnhaftes Tun ist weder ein direkter Reflex der ökonomischen Gegebenheiten noch von Ideen von Theologen, Philosophen oder Wissenschaftlern. Aber zwischen dem Wirtschaftsdenken und der Realität der jeweiligen wirtschaftlichen Institutionen und Aktivitäten besteht ein Verhältnis, dessen Form und Charakter aufzudecken eine Aufgabe der historischen Soziologie der Wirtschaft ist; dies erfordert sowohl eine Analyse der Verhaltensweisen und Institutionen auf Basis der Quellen als auch die Analyse der wirtschaftstheoretischen Entwicklung (Fürstenberg 1956: 400). Das Wirtschaftsdenken verschiedener Epochen und Kulturen kann nicht oder nur indirekt Aufschluss über reale Wirtschaftsweisen geben, denn was wir darüber wissen, ist das vorläufige Resultat von zahlreichen historischen Interpretationen und enthält die Wertungen und das Wissen der jeweiligen Interpreten in ihrem Kontext. Dennoch lassen sich bestimmte Entwicklungen und Unterschiede in groben Umrissen erkennen, die das Wirtschaftsdenken charakterisierten und die auf soziale Strukturen, politische Verhältnisse und biographische Bedingungen verweisen.
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Die Geschichte der Wirtschaft in verschiedenen Zeiten und Kulturen ist zum einen eine Geschichte der Ordnungen und Praktiken von Bedarfsdeckung, Austausch und Bereicherung (vgl. Mikl-Horke 2008a), zum anderen eine Geschichte des Wirtschaftsdenkens. Der Prozess der Reflexion des Wirtschaftshandelns und der wirtschaftlichen Ordnung richtete sich auf Interpretation, Begründung und Rechtfertigung und hat über die Menschheitsgeschichte hinweg seine Form verändert: Es tritt uns zunächst in den Mythen entgegen, dann in philosophisch-ethischen Prinzipien, in theologischen Abhandlungen und schließlich in wissenschaftlichen Theorien.
Das Problem der Rationalität: Magie, Mythos und praktisches Handeln Über die Wirtschaftsformen früher Menschheitskulturen bestehen verschiedene Hypothesen, die sich auf die Relikte, die uns zur Verfügung stehen und deren Deutungen im Zusammenhang mit dem sonstigen Wissen über diese Kulturen stützen. Aus der Sicht der westlichen Moderne spielen zwei Annahmen eine besonders große Rolle: Zum einen der starke Gemeinschaftsbezug, zum anderen die damit verbundene geringe Rationalität vormodernen Wirtschaftens. So spricht etwa Polanyi von der ‚Einbettung’ der vormodernen Wirtschaft in die Gemeinschaft, in Verwandtschafts- und Herrschaftsstrukturen und in die kultisch-religiösen Vorstellungen. Gestützt auf sozialanthropologische Forschungen von Malinowski, Thurnwald und anderen meinte Polanyi, dass man weder von rein egoistischen Antrieben noch von einer natürlichen Neigung zum Tausch oder Handel, wie sie Adam Smith angenommen hatte, ausgehen könne. Er gelangt in Bezug auf vormoderne Wirtschaftsweisen zu der Feststellung: „In der Regel ist das produktive oder ökonomische System in solch einer Weise organisiert, dass kein Individuum durch Hunger (oder die Angst vor diesem) angetrieben wird, um an der Produktion teilzunehmen. Sein Anteil an den gemeinsamen Nahrungsmittelvorräten ist ihm sicher, unabhängig von seinem Anteil an den produktiven Anstrengungen der Gemeinschaft.“ (Polanyi 2005: 329). Der Markttausch existierte Polanyi zufolge zwar in den historischen Gesellschaften, spielte jedoch anders als die Haushaltung, die Reziprozität und die Redistribution nur eine periphere Rolle bzw. war in die soziopolitischen Strukturen integriert, etwa in Form der Statushändler in den alten Reichen (Polanyi 1969b). Das Wirtschaftsdenken war daher stark durch magisch-mythische Vorstellungen bestimmt und mit rituellen Kulten verbunden. So etwa maßen die alten Ägypter der Landwirtschaft geradezu göttliche Bedeutung bei und drückten dies in ihren religiösen Kulten aus. Daher gab es auch keine spezifisch ‚ökonomischen’ Motive, denn das wirtschaftliche Handeln erfolgte im Rahmen gemeinschaftlicher Beziehungen und bezog daraus seinen Sinn. Allerdings waren Gemeinschaftsbezug und die geringe Manifestation einer individuellen ökonomischen Rationalität in den frühen Gesellschaften durch die Abhängigkeit von den natürlichen Ressourcen des Habitat und die Notwendigkeit der Kooperation bestimmt. Sie dürfen nicht als rein irrationale Reaktionen gesehen werden, sondern als adäquate Anpassungen an die Lebensbedingungen. Magische Riten stellten angesichts der geringen Eingriffsmöglichkeiten in die Natur eine für diese Verhältnisse rationale ‚Technik’ dar. Die Vorstellung der Einbettung ‚vormoderner’ Wirtschaft in Sozial- und Herrschaftsstrukturen und Religion, darf nicht so interpretiert werden, dass individuelles
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Eigeninteresse den Menschen früherer Wirtschaftsgesellschaften völlig fremd gewesen wäre. Es konnte sich nur unter den gegebenen Bedingungen nicht in besonderer Weise manifestieren und wurde insbesondere nicht zu einer Normvorstellung. Zu allen Zeiten lassen sich auch Anzeichen für eine praktische Rationalität erkennen, die notwendig mit Wirtschaften als Sicherung des Lebensunterhalts verbunden ist. Damit soll nicht die Bedeutung der solidarischen und symbolischen Aspekte geleugnet werden, sondern nur die Überbetonung derselben für die alten Gesellschaften korrigiert werden (vgl. Sahlins 1981). Symbolik und Ökonomie sind in allen Gesellschaften, den ‚vormodernen’ wie den ‚modernen’ Gesellschaften, vorhanden und eng miteinander verbunden. Umbrüche und Veränderungen drückten sich in den alten Gesellschaften in mythischen Erzählungen aus. Viele Mythen beziehen sich auf den Übergang zur Ackerbaukultur und auf die Konflikte zwischen den Hirtennomadenvölkern und den sesshaften Ackerbauern wie etwa im mesopotamischen Ischtar-Mythos (Eliade 1978: 69). Aber auch die heiligen Schriften der Hebräer, Thora, Talmud und Mischna, spiegeln diese wirtschaftlichen Konflikte, etwa im Gegensatz zwischen Kain, „der die Erde bebaute“ und Abel, dem ‚Hirten’ oder in der Bekämpfung des Kults des Baal, des Gottes des Ackerbodens, durch Jahwe als dem Gott der nomadischen Stämme Israels (Eliade 1978: 160 ff). Diese mythische Verarbeitung der neolithischen Revolution wirkte lange nach. In den historischen Alten Reichen Sumers und Ägyptens finden sich aber auch Dokumente, die von einer durchaus pragmatischen und ‚rechnerischen’ Orientierung zeugen. Auflistungen von Lagerbeständen, Abrechnungen, Baulisten, Kauf- oder Pachtverträge der sumerischen ‚Tempelökonomie’ sowie Steuergesetze, Lohn- und Preisregelungen, Regelungen von Darlehen und Zins, wie sie der Codex Hammurabi enthält, sind nachzuweisen. Die Sumerer hatten eine besondere Neigung für die schriftliche Fixierung der Handelsgeschäfte, aber auch in Ägypten finden sich praktisch-administrative Dokumente, die den Erfordernissen zentraler Verwaltung entsprangen. Auch die berufliche Arbeitsteilung spiegelt sich in verschiedenen Quellen, wie der ‚Satire der Berufe’ aus dem Mittleren Reich Ägyptens oder dem ‚Onomasticon’, in dem der Schreiber Amenemope im Neuen Reich verschiedene Positionen und Berufe nach deren Rang ordnete. Daneben finden sich bereits ethische Bezugnahmen auf Wirtschaft, wie etwa in den heiligen Büchern des Zoroaster, in denen sich die Würdigung des Reichtums als Belohnung für Sittlichkeit und als Ergebnis einer gerechten und weisen Regierung findet. Unterschiedlich in ihrer Auffassung sind die Lehren des Konfuzius, der sich gegen individuelles Erwerbsstreben wandte, und anderen chinesischen Denkern wie Mo Di, der sich für die Förderung der agrarischen und handwerklichen Produktion als Grundlage des Wohlstands des Volkes aussprach (vgl. Mikl-Horke 1999: 42 ff). Die Wirtschaft und das Wirtschaftsdenken der alten Welt erschließt sich demzufolge einerseits aus Kulten, Mythen und ethisch-politischen Dokumenten, andererseits gab es aber auch Belege für eine praktische Rationalität. Man kann aus den ersteren nicht auf die Motive des wirtschaftlichen Handelns der Menschen schließen, denn sie haben ganz andere Begründungen als die des alltäglichen Wirtschaftens. Man darf Wirtschaft und Wirtschaftsdenken zudem nicht nur aus der Struktur und Kultur der Gruppen oder Gesellschaften ableiten, sondern muss auch die Austauschbeziehungen und Konflikte zwischen den Völkern mit berücksichtigen. Zwischen den alten Reichen spielten sich Handel und wirtschaftliche Transaktionen an den Knotenpunkten der Karawanenwege und Seefahrtsrouten ab.
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Die Existenz dieser Handelsdiasporas verweist darauf, dass es neben der Agrarproduktion und den wirtschaftlichen Aktivitäten im Rahmen der einzelnen Gesellschaften auch eine überregionale, ja ‚globale’ Dimension des Handels gegeben hatte (vgl. Curtin 1984), die sich auf ein Netzwerk von Handelsplätzen, Märkten und Messen stützte. Handel und Wirtschaft waren für die frühen Gesellschaften keineswegs von geringer Bedeutung, aber neben den religiösen und sozialen Konnotationen waren sie in der Epoche der alten Reiche eng mit Macht- und Herrschaftsansprüchen und mit Krieg und Eroberung verbunden. Letztere waren eine besonders wichtige Quelle des Reichtums und erfüllten damit wirtschaftliche Funktionen. Der Handelsaustausch zwischen den Reichen war vielfach mit politischen und kriegerischen Episoden durchsetzt, was durch religiöse und ethnisch-soziale Rechtfertigungen gestützt wurde. Die Wirtschaft war – und ist – daher nicht nur eine friedliche Nutzung von Ressourcen, sondern mit dem Streben nach Reichtum, Lebensraum und Hegemonie verbunden, und das erforderte immer auch politische und/oder religiöse Begründungen. Handel und Wirtschaft hatten und haben tiefe Bedeutung für das Leben der Menschen, für die Gemeinschaften und die politischen Strukturen. Dies drückte sich in der besonderen Aufmerksamkeit in Form von magisch-kultischen Riten, Mythen und religiösen Glaubensformen aus, in denen sich auch die Gemeinschaft inszenierte und darstellte. In den multiplexen Gesellschaften mit ihren Herrschaftsstrukturen kamen spezielle wirtschaftlich-politische Interessen der Führungsschicht hinzu, die legitimiert werden mussten. Wirtschaften war immer Lebensgrundlage der Massen, aber auch Quelle der Selbstachtung und der sozialen Positionierung, die Basis der politischen Strukturen sowie das Ziel von Herrschaftsansprüchen. Es ist als Handel, Produktion, Beruf auch in den alten Reichen eine praktische Betätigung, die pragmatisch-rationales Handeln erforderte. Mit Fernand Braudel kann man Wirtschaft daher als praktisches Handeln verstehen, das sich in zeiträumlich verschiedenen sozialen, politischen und religiös-kulturellen Kontexten und auf verschiedenen Ebenen von Alltagswirtschaft, Handel und Weltwirtschaft vollzieht (vgl. Braudel 1985/86). Die Annahme einer ‚Einbettung’ vormoderner Wirtschaften in Verwandtschaftsstrukturen, in Religion und in die Herrschaftsstrukturen vermittelt ein zu statisches und einseitiges Bild. Die Rückinterpretation der vormodernen Wirtschaft aus dem Konstrukt der ‚modernen’ Wirtschaft zeitigt oft eine Tendenz, das ‚materielle Leben’ der Menschen zu ‚entmaterialisieren’, das Zusammenwirken der biologisch-physischen, geographisch-klimatischen, demographischen und technischen Bedingungen zu unterschätzen (vgl. Diamond 1998; Mikl-Horke 1997) und religiöse, ethische oder politische Aspekte als nicht-wirtschaftliche Elemente hervorzuheben. Das hat auch zu der langen, letztlich fruchtlosen Diskussion über den Geschenktausch als Wirtschaftsform der primitiven Völker geführt. Wenngleich die Verknüpfung wirtschaftlicher, sozialer und politischer Rationalität in früheren Gesellschaften zweifellos – wie auch in anderer Form in den modernen Gesellschaften – gegeben war und auch religiöse Formen damit verbunden wurden, so darf daraus nicht auf die Absenz ‚primär wirtschaftlicher’ oder wirtschaftlich-rationaler Motive und Handlungsweisen geschlossen werden. Kulturanthropologen haben immer wieder auf die Rationalität des wirtschaftlichen Handelns der vormodernen Völker hingewiesen, aber gleichzeitig hervorgehoben, dass diese sich von dem Verständnis von Rationalität in modernen Gesellschaften unterscheide. Ernest Gellner hat sie ‚multidimensional’ genannt und in ähnlicher Weise sieht Maurice
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Godelier die Rationalität der einfach strukturierten Gesellschaften als gleichzeitig wirtschaftlich, sozial und religiös bestimmt an (Gellner 1990; Godelier 1990). Godelier hat daher festgestellt, dass Religionen ebenso wie die Verwandtschafts- und Herrschaftsstrukturen als Produktionsverhältnisse fungierten. Rationalität, auch ‚wirtschaftliche’ Rationalität, darf nicht nur im Sinn moderner Marktwirtschaft verstanden werden, die auf der Konstruktion einer nicht-sozialen, nicht-politischen und wertfreien Ökonomie beruhen. Die Möglichkeit, Wirtschaft abgelöst von sozialen, politischen und ethischen Dimensionen zu denken, beruhte auf einer Reihe von historischen Voraussetzungen in den europäischen Gesellschaften. In der Interpretation außereuropäischer Wirtschaftsgesellschaften unterlag man häufig dem Fehlschluss einer Verallgemeinerung der historischen Gegebenheiten des 18. und 19. Jahrhunderts zu überzeitlichen Kulturmerkmalen, ohne die lange und wechselvolle Geschichte Chinas, Indiens oder anderer Regionen und ohne die Rückwirkung der Expansion der westlichen Staaten auf diese zu berücksichtigen. Der Verweis auf ‚Kultur’ im Sinne einer statisch-homogenen Entität wurde als Begründung für die Rückständigkeit außereuropäischer Wirtschaften eingesetzt. Die ‚vormodernen’ sozialen Strukturen und kulturellen Muster, die Bedeutung von Familienpietät, Gemeinschaftsbezug oder fehlender individueller Rationalität wurden als Hemmnisse eines Kapitalismus im Sinne des Westens hervorgehoben. Die Übertragung der Denkkonventionen der westlichen modernen Gesellschaft und Wirtschaft auf andere Kulturen erweist sich jedoch als problematisch. Was aus der westlichen Sicht eines ‚Fortschrittsnarzissmus’ als traditionalistisch und kulturell bestimmt erschien, war oft eine durchaus pragmatische und rationale Entscheidung für das Beibehalten von Strukturen und Praktiken, die sich bewährt hatten (vgl. Breuer 1987). Die Konstruktion von ‚vormoderner’ und ‚moderner’ Wirtschaft hat bewirkt, dass die typisch modernen Charakteristika für die Realität der Wirtschaft in der westlichen Kultur gehalten wurden. Das durch die Marktrhetorik und die Norm ökonomischer Rationalität geprägte Verständnis von Wirtschaft hat das reale Geschehen in der eigenen Kultur einseitig und verzerrt wiedergegeben (Dilley 1992). Dadurch blieben die dauerhaften Strukturen in modernen Gesellschaften genauso unbeachtet wie die historischen Veränderungen in außereuropäischen Kulturen. Sie verschleierte auch den Blick auf die soziale, politische, kulturelle und kognitive ‚Einbettung’ der modernen Wirtschaft. Goody fragt daher mit Bezug auf die Konstruktion ‚östlicher Kultur’ und deren Rückwirkung auf das westliche Denken: „How far did the prejudiced perception of oriental society distort Western social theory in general?” (Goody 1996: 161).
Das Problem der Ethik: Das ‚antik-orientalische’ Wirtschaftsdenken und seine Christianisierung Von besonderem Interesse aus der Sicht europäischer Denker war die Wirtschaft Griechenlands und Roms, werden diese Kulturen doch als unmittelbare Vorläufer und Grundlagen der europäischen Zivilisation gesehen. Beide umfassten jedoch einen viel größeren und sehr heterogenen Raum, in dem sich Einflüsse verschiedenster Kulturen mischten. Die antiken Kulturen expandierten nach Asien und Afrika, und die gegenseitige Befruchtung der ver-
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schiedenen Völker in diesen Räumen begründete ein Wissen, das sich auch in Formen, Praktiken und Prinzipien für Wirtschaft und Handel niederschlug. Vieles entstand in den vorderasiatischen und nordafrikanischen Kulturen, was über den Weg Griechenlands und Roms danach allmählich seinen Weg auch nach Europa fand (vgl. Bernal 1987). Hinsichtlich der Wirtschaft Griechenlands und Roms war um 1900 eine heftige Diskussion darüber entstanden, ob diese eben ‚antik’ und ganz anders als die ‚moderne’ Wirtschaft gewesen sei, oder ob sich in den antiken Institutionen Vorläufer moderner Formen erblicken lassen. Johann Rodbertus und Karl Bücher hatten die griechische Wirtschaft als eine ‚oikos’ (Haus-)-Wirtschaft charakterisiert, Karl Marx hatte sie durch Sklavenarbeit geprägt gesehen. Michail Rostovcev sprach hingegen von einem antiken Kapitalismus (vgl. Mikl-Horke 1999: 76 ff und 106 ff). Auch Max Weber sah bereits viele Merkmale des Kapitalismus in der antiken Wirtschaft und Gesellschaft angelegt, meinte aber, dass sich dieser durch die Unmöglichkeit strengen Kalküls bei Verwendung von Sklavenarbeit nicht entwickeln konnte. Nicht das Fehlen von Lohnarbeit und Arbeitsmarkt sei jedoch dafür verantwortlich, sondern die „Stütze, welche die Rationalisierung und Ökonomisierung des Lebens an der wesentlich religiös motivierten ‚Berufsethik’ der beginnenden Neuzeit fand“; sie „mangelte dem antiken ‚Wirtschaftsmenschen’“ (Weber 2006: 359). Gewerbe und Handel hatten im klassischen Griechenland, insbesondere in Athen, zur Zeit des Aristoteles einen großen Aufschwung genommen, was diesen auch zwang, den Erscheinungen von Erwerbsstreben und Geldverwendung seine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Als „latecomers in a civilized, marketless world“ waren die Griechen gezwungen, neue Handelspraktiken einzusetzen, die aber bestenfalls einen Beginn von Markthandel darstellten, meinte Polanyi (1969a: 80 f). Diese neuen Elemente suchte Aristoteles theoretisch zu erfassen und darin liegt seine Bedeutung als Initiator einer philosophisch-wissenschaftlichen Behandlung der Wirtschaft. Besonderes Augenmerk legte Aristoteles dabei auf die Beziehung der Wirtschaft zur Gemeinschaft (‚koinonia’), weshalb Polanyi meinte, Aristoteles’ Ansatz sei ein soziologischer gewesen (Polanyi 1969a: 96). Doch behandelte Aristoteles die Wirtschaft nicht als ein praktisches, sondern als ein sozialethisches oder politischethisches Problem, beurteilte sie auf der Basis von Werten, die er für die ‚polis’, den Staat der Bürger, als konstitutiv betrachtete. Die Ausbreitung des Erwerbsprinzips und des Markthandels mit Geld sahen sowohl Platon als auch Aristoteles mit Misstrauen, denn die ‚Bereicherungskunst’ gefährdete ihrer Auffassung zufolge die Autarkie der Hausgemeinschaft des ‚oikos’ sowie die Autonomie der politischen Gemeinschaft. Handel und Markt sind nur dann und soweit ‚natürlich’ und ‚gut’, als sie der Bedarfsdeckung des ‚oikos’ und der Förderung der ‚polis’ dienen. Mithin kann man in ihren Auffassungen den Reflex einer Dualität der wirtschaftlichen Aktivitäten erblicken: Auf der einen Seite eine in die politische Struktur eingebettete Wirtschaft des ‚Hauses’, der letztlich auch der mit kriegerischen Elementen durchmischte und sozial angesehene Seehandel zuzurechnen war, und auf der anderen Seite der Markthandel in Athen selbst, der in Händen der ‚Metöken’, der NichtBürger, lag. Da die kommerzielle Betätigung aber vielfach zu Reichtum führte, erlangte sie auch für die Bürger eine gewisse Attraktivität, was wohl der Anlass für die kritische Haltung der Philosophen gegenüber Erwerb und Geld war. Die sich auf das römische Reich beziehende Charakterisierung als Sklavenwirtschaft ist eine Verallgemeinerung, die die beinahe tausendjährige Geschichte Roms auf eine relativ
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kurze Phase der extremen Expansion reduziert. Finley zog es daher vor‚ von einer ‚Wirtschaft mit Sklaven’ (Finley 1993: 79 ff) zu sprechen; diese erfuhr durch den zunehmenden Nachschubmangel in der Kaiserzeit einen Rückgang und machte einer allmählichen Dualisierung der Gesellschaft in die ‚honestiores’, die Senatoren, Ritter, Grundbesitzer, Beamten etc., und die ‚humiliores’ Platz. Dies war eine rechtliche Differenzierung, die die wachsende Rekrutierung von Arbeitskräften aus dem Volk reflektierte. Man kann in dieser Zeit insofern auch von der Existenz einer ‚Legionärswirtschaft’ sprechen, als Soldaten- und bäuerlicher Kolonistenstatus vielfach ineinander griffen (Mann 1994: 45 ff). Die römische Wirtschaft war durch Widersprüche gekennzeichnet: Den Ansätzen einer auf militärischer Macht beruhenden, gelenkten Wirtschaft in der Kaiserzeit standen das Fehlen eines effizienten Verwaltungsapparats für die Redistribution, die Existenz eines ‚kapitalistischen’ Rechtssystems, das Privateigentum und Vertragsrecht betonte, sowie traditionelle Elemente eines gentilizisch-patriarchalischen Verbändesystems gegenüber. Die antike Wirtschaft vereinigt in sich daher eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen Elementen, wobei sich manche in dieser Form nur hier fanden, andere sich in die orientalisch-griechische Welt hinein verfolgen lassen und wieder andere weiter gewirkt und sich mit anderen Elementen vermischt haben. So ist De Martino zuzustimmen, wenn er warnt, man „sollte … jeden Vergleich mit Institutionen der modernen Zeit vermeiden“ (De Martino 1991: 176), zumindest soweit ‚Vergleich’ die bedeutungsgleiche Übertragung von Begriffen meint. Die Reflexion über Wirtschaft erfuhr nach dem Ende des römischen Reiches und den bewegten Zeiten von Spätantike und Frühmittelalter durch die Wiederentdeckung der Schriften des Aristoteles in der mittelalterlichen Scholastik wieder einen Neubeginn. Die Aussagen der Scholastiker über Wirtschaft dürfen jedoch nicht als repräsentativ für die Einstellungen der Menschen des Mittelalters zur Wirtschaft gehalten werden, denn zum einen kann man bis ins 16. Jahrhundert hinein noch nicht von der vollständigen Christianisierung der Bevölkerung sprechen, zum anderen hatten Elemente römischer bzw. römischfränkischer Rechtssprechung und Verwaltungspraxis überlebt; auch bestanden regional unterschiedliche Langzeitwirkungen der Völkerwanderung, die sich auch in wirtschaftlicher Hinsicht manifestierten. Vor allem aber verfolgten die scholastischen Theologen mit ihren Schriften ganz andere Ziele. Ihre Aussagen sind in die theologischen Systeme eingebunden; sie reagierten zwar auf reale wirtschaftliche Veränderungen, aber ihre Auffassungen reflektieren die Stellung, die sie dazu aus christlich-ethischer Sicht einnahmen. Sie nahmen zudem nicht Bezug auf die große wirtschaftliche Bedeutung der Kirche und der Klöster für die mittelalterliche Wirtschaft. Die Aussagen über Handel, Erwerb und Wucher in den scholastischen Abhandlungen zeigen zwischen dem 11./12. und dem 16. Jahrhundert Veränderungen, die als Reaktion auf den Aufstieg des Gewerbes in den Städten und auf die zunehmende Bedeutung des Handels, der Märkte und Messen sowie von Geld und Kredit zu sehen sind. Sie enthalten mitunter durchaus modern anmutende Vorstellungen wie etwa den in Geld ausgedrückten Nutzenbegriff, der sich schon bei Albertus Magnus findet, oder die Hinweise auf Marktpreise bei Thomas von Aquin. Bei den Franziskanern klingen hingegen Elemente der Arbeitswertlehre und einer Produktionskostentheorie an (Mikl-Horke 1999: 186 ff). In den Unterschieden zwischen den dominikanischen und franziskanischen Standpunkten zeichnen sich auch
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bereits Ansätze des Gegensatzes zwischen einer ‚marktliberalen’ und einer regulierten Wirtschaft ab (vgl. Langholm 1992; vgl. Winter 1936: 480 ff). Das Wirtschaftsdenken der Scholastik ist ohne die beachtliche Entwicklung von Handel, Geld und Kredit in diesem Zeitraum nicht denkbar. Der Kaufmann war ein selbstverständlicher, notwendiger und wichtiger Faktor der spätmittelalterlichen Gesellschaft und Wirtschaft geworden. Die Praktiken und Techniken des Kaufmanns- und Bankiergeschäfts führten zur Verbreitung von Handbüchern und belegen einen gewissen Professionalisierungsprozess. Handel und Kreditwesen waren zu einem eigenen Handlungsbereich mit spezifischen Regeln und Praktiken des Berufsstandes geworden. Gleichzeitig gilt das 16. Jahrhundert als das Jahrhundert der Volksreligiosität, und die Religion war zu einem starken Faktor im Denken der Menschen geworden. Die Fugger, Welser oder Medici und die vielen anderen Kaufleute betrieben ihre Geschäfte mit rituellen Bezügen auf Gott oder die Kirche und zeichneten Geschäftsbriefe und Verträge mit Vermerken wie: „Im Namen Gottes und des Geschäfts“ (Origo 1986). Sie kauften Ablässe, gaben Almosen und vermachten Teile ihres Vermögens der Kirche um ihres Seelenheils willen. Sogar das Fegefeuer kann man als eine Erfindung deuten, die den Wucherern noch eine Chance im Jenseits einräumen sollte (vgl. LeGoff 1988). All diese religiösen Bezüge hinderten die Kaufleute jedoch keineswegs, durchaus ‚ökonomisch rational’ zu handeln, zumindest sofern ihre adeligen und königlichen Kreditnehmer dies zuließen (Mikl-Horke 1999: 148 ff). Die mittelalterliche Wirtschaft erstreckte sich über einen sehr langen Zeitraum von etwa tausend Jahren, in dem sich tief greifende Veränderungen vollzogen. Man kann daher schwer von ‚der mittelalterlichen Wirtschaft’ sprechen. Auch existierten parallele Formen des Wirtschaftens; den bäuerlich-feudalen Strukturen der Agrargesellschaft standen die Handels- und Gewerbezentren der Hansestädte im Norden, der süddeutschen und der oberitalienischen Städte sowie die Exportregionen Flandern und Toskana entgegen, in denen sich kapitalistisch-marktorientierte Einstellungen und Praktiken entwickelten, die sich auch auf ‚globale’ Handelsnetze stützten. Schumpeter meinte, dass der Aufstieg des Kapitalismus das scholastische System zertrümmert habe (Schumpeter 1954: 124). Doch darf dies nicht im Sinne eines tiefen Bruchs zwischen der mittelalterlichen und der modernen Wirtschaft verstanden werden, denn die Scholastik fand in manchen ihrer Elemente eine Fortsetzung in der Ökonomie eines Adam Smith oder sogar noch von Karl Marx. Die Lösung des Wirtschaftsdenkens aus seiner religiös-ethischen Verwurzelung erfolgte teilweise durch die Reformation und die Religionskriege. Auf die Bedeutung der Veralltäglichung der protestantischen Ethik für die Entwicklung des ‚Geistes des Kapitalismus’ hat Max Weber eindrucksvoll hingewiesen. Zu einem Teil waren es auch die politischen Veränderungen, die das Verständnis von Wirtschaft nachhaltig beeinflussten.
Die politisch-diskursive Konstitution der ‚modernen’ Wirtschaftsgesellschaft Seit etwa dem 17. Jahrhundert war es zur ‚Territorialisierung‘ in Nationalstaaten gekommen, die man als Voraussetzung für die Entstehung einer Binnenwirtschaft und für die Idee der ‚Volkswirtschaft’ bzw. der ‚Nationalökonomie’ betrachten kann. Die staatliche Zentrali-
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sierung der Verwaltung, der Ausbau der Verkehrswege sowie die Schaffung einer wirtschaftlichen Peripherie durch Kolonialisierung, all das ermöglichte die Entwicklung der modernen Wirtschaft (Wallerstein 1995). Ganz wesentlich jedoch war dafür die Entstehung eines spezifischen Diskurses, der ‚Wirtschaft’ als eine eigenständige Dimension des Denkens und des öffentlichen Lebens behandelte; dieser vollzog sich zunächst in den politischen Diskussionen und Konflikten des 17. und 18. Jahrhunderts in Großbritannien. Die Diskussionen um den Freihandel im England des 17. Jahrhunderts waren untrennbar mit den Auseinandersetzungen über königliche Rechte verbunden. Nicht nur der Absolutismus der ‚neuen Monarchie’ der Tudors wurde in der Folge hinweggefegt, sondern auch die Grundlagen der alten sozialen und politischen Ordnung. In den Kreisen der ‚gentry’ und der reichen Kaufleute im Unterhaus des Parlaments war zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Überzeugung gewachsen, dass der Handel, speziell der Außenhandel, aber auch die Binnennachfrage, für England von größter Bedeutung waren. Ihr bedeutendster Sprecher war Sir Thomas Mun, ein Direktor der Ostindischen Handelskompanie, der die Wirtschaft schon als autonomes, von der Krone unabhängiges System von Austauschhandlungen darstellte (Mikl-Horke 1999: 295 ff). Die Argumentation der Eigendynamik des Wirtschaftskreislaufes wurde bewusst gegen die Monopol- und Privilegienpraxis der Krone eingesetzt, deren Autorität die Kaufleute zurückwiesen. Das Selbstbewusstsein der Kaufmannskreise der Zeit kommt in den Worten von Thomas Sheridan zum Ausdruck: „Every man in a society or commonwealth, even from the King to peasant, is a merchant….“ (zit. in: Mikl-Horke 1999: 303). In den Jahren der Republik machte der Handel große Fortschritte, was ein zeitgenössischer Kommentator darauf zurückführte, dass er in denselben Händen liege wie die Regierung (Mikl-Horke 1999: 298). Die Restauration brachte zwar wieder eine Rücknahme vieler Reformen, aber es waren nunmehr Geld und Besitz, welche zu den wichtigsten Kriterien sozialen Ansehens geworden waren. Nach der Glorreichen Revolution schließlich wurde die Macht der Krone konstitutionell beschränkt und das Parlament übernahm die Kontrolle der Staatsfinanzen. Die Errichtung der Bank of England und die Entstehung eines organisierten Marktes für öffentliche und private Anleihen verliehen der ‚national economy’ Kontur. Das wirtschaftliche Leben nahm einen enormen Aufschwung, es gab Märkte, Messen und Börsen in großer Zahl, Depositenbanken entstanden und zahlreiche ‚joint-stock companies’ wurden gegründet. Daniel Defoe charakterisierte 1697 die Epoche durch „die allgemeine Stimmung der Nation zum Entwerfen von Projekten“ (Defoe 2006: 90). Wenige Jahre später stellte er auf seinen Reisen durch Großbritannien fest, wie rasant sich Industrie, Gewerbe und Handel überall im Lande entwickelt hatten (Defoe 1971). Ihre Repräsentanten, die großen Kaufleute und die besitzenden Klassen, waren auch gleichzeitig die führenden Gruppen in der vom Staat getrennt gedachten ‚civil society’, die nach John Locke auf dem durch Arbeit begründeten Eigentum sowie auf Arbeitsteilung und Handel beruhte (Mikl-Horke 2008: 20). Die Kommerzialisierung der bürgerlichen Gesellschaft, die auch in dem Begriff der ‚kommerziellen Gesellschaft’ bei Adam Smith (Mikl-Horke 2008c) zum Ausdruck kommt, hatte allerdings dessen Zeitgenosse und Lehrer Adam Ferguson schon 1767 durchaus nicht mehr unkritisch gesehen (Ferguson 1986). Die Struktur der Gesellschaft als eine natürliche Ordnung erscheint bei Smith durch die Positionen in der Wirtschaft bestimmt. Jeder erhält seine relative Stellung darin als Lieferant
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der Produktionsfaktoren Grund und Boden, Kapital und Arbeit und als Bezieher von verschiedenen Einkommensformen, Grundrente, Kapitalprofit oder Arbeitslohn. Darin manifestierte sich jene Entwicklung, die Polanyi als konstitutiv für das moderne Marktsystem bezeichnete: die Umwandlung von Grund und Boden, von Kapital und von Arbeit in Waren (vgl. Polanyi 1977). Tausch, Produktion und Konkurrenz machten sich in den sozialen Beziehungen geltend und die Vernunft, die zum obersten Prinzip geworden war, erschien durch die Zweck-Mittel-Rationalität des kaufmännischen Handelns repräsentiert. Die Entdeckung der ‚Wirtschaft’ als Beziehungsgefüge auf territorialer staatlicher Ebene, das sich ähnlich wie ‚Natur’ eigendynamisch auf Grund der vielen einzelnen interessegeleiteten Handlungen entfaltete, war eine neue Idee, mit der sich auch die Vorstellungen von Gesellschaft veränderten. Zwischen den Konstitutionsprozessen der Begrifflichkeiten von ‚Wirtschaft’ und von ‚Gesellschaft’ besteht daher ein enger Zusammenhang, der durch die politischen Auseinandersetzungen um Macht und Anerkennung in den Staaten und die damit verbundenen Diskurse gefördert wurde. ‚Gesellschaft’ konnte auf der Basis der Freihandelswirtschaft ebenfalls als vom Staat getrennt gedachte, nicht-autoritär organisierte soziale Ordnung gedacht werden. Durch den Aufstieg des Wirtschaftsbürgertums und die Entstehung einer bürgerlichen Öffentlichkeit nahm ‚Gesellschaft’ auch politische Bedeutung an als Begriff einer natürlichen Ordnung der Menschen, die dem aristokratischen Staat entgegen gesetzt wurde. Er hatte seine Grundlage in England des 17. Jahrhunderts direkt aus der Wirtschaft bezogen, d.h. dem Zusammenspiel von Handels- und Geschäftsinteressen, im Frankreich des 18. Jahrhunderts speiste er sich stärker aus den Diskursen über einen rational machbaren Fortschritt. Im Habsburgerreich und in Preußen-Deutschland löste sich die ‚Gesellschaft’ nicht vom aufgeklärten absolutistischen Staat und nahm eine mehr kulturelle Relevanz an (vgl. Mikl-Horke 1999: 354 ff). Die Vorstellung eines umfassenden territorialen Handels- und Gewerberaums als Fundament der Macht und des Reichtums des Nationalstaats war jener vom ‚Markt’ voraus gegangen. Der Aufstieg der Naturwissenschaften hatte die Vorstellung eines ‚natürlichen’ Mechanismus gefördert. Eine neue Sprache fand Eingang in Konversationen und Kommentare, in Salons und den Organen der neuen Öffentlichkeit. Die Rolle des Individualismus für die Entstehung der modernen Wirtschaft wurde immer wieder hervorgehoben. Die Rechtfertigung individueller Interessen und ihres Zusammenwirkens verband sich mit Konzepten eigengesetzlicher Mechanik und führte damit zur Isolierung der ‚ökonomischen Kategorie’ (Dumont 1991: 118 ff). Die Entstehung eines spezialisierten wissenschaftlichen Diskurses der Nationalökonomie spielte eine große Rolle für die Legitimierung dieses Denkens über Wirtschaft; dieser stützte sich seinerseits auf den Aufstieg des naturwissenschaftlich-mechanischen Weltbildes. In Großbritannien fand er seinen Ausdruck in der liberalen Nationalökonomie eines David Ricardo und im Utilitarismus von Jeremy Bentham, James und John St. Mill. In Frankreich war die Betonung der Naturwissenschaft als Fortschrittsmotor besonders groß, die Wirtschaft erschien den ‚économistes’ als ein natürlicher Kreislauf. Gleichzeitig manifestierten sich hier die politisch-sozialen Umbrüche am radikalsten. Nach der gewaltsamen Beendigung der alten Staatsordnung sollte die Wissenschaft dazu dienen, eine rationale und gleichzeitig gerechte Ordnung zu schaffen. Mit dieser Hoffnung verband auch Auguste
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Comte seine ‚soziale Physik’, die die neue industrielle Zivilisation Saint-Simons verwirklichen sollte. In Preußen und Österreich, wo der Staat durch seine ‚aufgeklärte’ Haltung die führende Rolle als Gestaltungsorgan der neuen Verhältnisse behalten hatte, wurde Ökonomie als Staatswissenschaft begriffen (vgl. Mikl-Horke 1999: 459 ff). In diesem Rahmen bildete die ‚bürgerliche Gesellschaft’ Hegels das Zwischenglied und die Verbindung zwischen Familie und Staat, stellte nicht das Gegenstück zu letzterem dar. Die Staatswissenschaften blieben in diesen beiden Staatsgebilden noch bis in das 20. Jahrhundert hinein der formale Rahmen für die akademische Zuordnung der Ökonomie, denn die nationalstaatliche Orientierung verfestigte die Unterschiede zwischen den Staaten über allen internationalen Austausch hinweg.
Die kognitive Konstruktion des Marktes und die Performativität der Ökonomie Karl Polanyi hatte darauf hingewiesen, dass es zu einer kulturell-kognitiven Verbreitung der Marktrhetorik und des Marktmodells gekommen war, die die faktische Vermarktung von Grund und Boden, Arbeit und Geld förderte, legitimierte und die Gesellschaft in den Markt bzw. in die formallogische Konstruktion des Marktsystems ‚einbettete’ (vgl. Polanyi 1977). Der ‚Markt’ und die ‚Gesellschaft’ waren kulturell-diskursive Realitäten, lange bevor sie tatsächlich spezifische Strukturen und Institutionen ausgebildet hatten. Die Begriffe wurden aus dem Kontext ihrer Entstehung in politischen Diskussionen und realen sozioökonomischen Verhältnissen gelöst und in theoretischen Konzeptualisierungen verallgemeinert; sie wurden zu ‚Kollektivsingularen’ (Koselleck 1979), die – immer inhaltsleerer werdend – eine eigene Realität annahmen, was gleichzeitig ihre Verbreitung förderte, die vielfältige, historisch gewordene Wirklichkeit der sozialen Prozesse der Wirtschaft aber dahinter verschwinden ließ. Denn trotz des politischen Einflusses des Liberalismus realisierte sich im 19. Jahrhundert keine liberale Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung; insbesondere in Deutschland und Österreich blieben die alten sozialen Schichten sozial und politisch führend bzw. eroberten sich ihre ursprüngliche Stellung teilweise wieder zurück; nach wie vor stellten der Grundbesitz und das ererbte Vermögen die wichtigsten Grundlagen für Ansehen, Macht und Bürgerstatus dar. Aber auch für Großbritannien stellt Reddy fest, dass die laisser faire-Ideologie und ihre Vorstellung eines kompetitiven, selbstregulierenden Marktes für die Wirklichkeit gehalten wurde; tatsächlich sei es jedoch nicht zur Entstehung eines funktionierenden Arbeitsmarktes und einer Marktgesellschaft gekommen. Daher meint Reddy: „How people came to accept that markets existed when they did not and to think of their defining social relationships exclusively in terms of commodities and exchanges when they continued to involve so much more – loyalty, deference, faith, fear, hostility – are the questions that must be answered.“ (Reddy 1984: 3). Diese Fragen verweisen auf die große Definitionsmacht von Ideen, Begriffen, Theorien, die sich von ihren Ursprüngen als abstrakte Konstrukte entfernen und zu Bewusstseinsrealitäten werden. So wurde Vernunft auf ökonomische Zweck-Mittel-Kalküle reduziert, Gerechtigkeit und Wert wurden durch Marktgleichgewicht und den individuellen Nutzen
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ersetzt. Arbeiter wurden zu freien Wirtschaftssubjekten erklärt, obwohl sie dies noch lange nicht wirklich waren. Die Beziehung zwischen Käufer und Verkäufer, zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wurde zur Geld-Ware-Relation. Die Erklärung der Funktionsweise der Wirtschaft wurde als Zuständigkeit der akademischen Wissenschaft der Ökonomie definiert und damit einem spezialisierten Diskurs überlassen. Die dadurch begründete Konzentration auf Methoden- und Theorieentwicklung führte in den meisten Fällen schließlich zu einem Verständnis der Ökonomie als ein logisches Modell, das die Denkgesetze reflektiert, aber nicht die konkret-historische Wirklichkeit. Aber gerade das erhöhte ihr Ansehen, da Wissenschaftlichkeit mehr und mehr nach dem Muster der Formal- und Naturwissenschaften bestimmt wurde. Die Differenz zwischen der formalen Logik der Wirtschaftstheorie und den realen Verhältnissen sahen viele Ökonomen als Problem der Wirklichkeit und wiesen die als nichtrational oder nicht ökonomisch-logisch erklärbaren Erscheinungen anderen Wissenschaften zu. Andere erblickten darin eine Garantie für die Objektivität der Wissenschaft. Schumpeter meinte, dass sich die ökonomische Analyse gerade durch ihre wissenschaftliche Formalisierung einen hohen Grad an Unabhängigkeit erworben habe. Während die vorwissenschaftlichen Wirtschaftslehren ein Spiegel ihrer Zeit gewesen seien, ermögliche die wissenschaftliche Ökonomie einen eigendynamischen Erkenntnisfortschritt (Schumpeter 1987a: 117 ff). Andere wieder verwiesen wie schon Karl Marx auf die ideologische Dimension der Ökonomie, deren Erkenntnisweise die Lebensbedingungen und Interessen von sozialen Kreisen, aber auch von verschiedenen Generationen widerspiegle (vgl. Dobretsberger 1931). John K. Galbraith stellte fest, dass die Methode der Abstraktion die Aufgabe eines wissenschaftlichen Hilfsmittels überschreite und die Theorie nicht nur realitätsfern, sondern ideologisch, ja zu einer Art Mythos mache; deshalb verwies er auf die Notwendigkeit der ‚Entmythologisierung des ökonomischen Denkens’ (Galbraith 1988). Die Verwechslung von Methode und Realität führe zu einem ‚innocent fraud’, der dadurch gekennzeichnet sei, dass ‚Forderungen der Wirtschaft’ und Behauptungen über zwangsläufige Entwicklungen aus den formalen Analysen und aus der Reduktion historischer Verläufe auf statische Modelle abgeleitet werden (Galbraith 2005). Die Anerkennung, die die Ökonomie als akademische Wissenschaft gefunden hatte, verstärkte ihre Definitionsmacht darüber, wie Wirtschaft gesehen werden musste. Die neoklassische Logik blieb im Prinzip trotz verschiedener Modifikationen und Erweiterungen grundlegend für die Mainstream-Ökonomie. Obwohl es in allen Perioden verschiedene Strömungen innerhalb der Ökonomie gab und gibt, deren Annahmen, Methoden und Objektdefinitionen von dem neoklassischen Modell abweichen, blieb dieses im 20. Jahrhundert prägend für die Vorstellungen darüber, wie moderne Marktwirtschaft funktioniert, – und das auch oder sogar im Besonderen außerhalb der Disziplin. Das Wissen um die Funktionslogik der Märkte verbreitete sich durch die Ausbildungssysteme und durch die kommunikativen Prozesse, die den Markt zur institutionellen Ideologie machten. Sogar die Kritiker trugen, da sie sich an der ‚ökonomischen’ Wirtschaft orientierten, zur Überzeugung von der Realität derselben bei. So etwa verbreitete sich unter den führenden Personen der Arbeiterbewegungen das ökonomische Wissen, so dass sie schließlich die Rolle der Gewerkschaften als ‚Arbeitsmarktparteien’ akzeptierten.
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Die Annahmen der Wirtschaftstheorie wurden auch im sozialwissenschaftlichen Denken übernommen, wurden zu typisch modernen Gegebenheiten erklärt. Max Weber hatte zwar einen klaren Blick für die Vielfalt der historisch gewordenen Formen des Wirtschaftens und für die diversen Motive des Handelns; dennoch sah er in der Wirtschaftstheorie die idealtypische Ausprägung des modernen Wirtschaftens als friedlich, zweckrational und planvoll, der sich die Wirklichkeit asymptotisch annähere. Er sah wertrationales Handeln als mögliches Motiv und hatte einen weiten Begriff von materialer Rationalität, aber das zweckrationale Handeln und die formale Rationalität der Kapitalrechnung bestimmten in seiner Sicht idealtypisch den modernen Kapitalismus (Weber 1985: 31 ff). Die Ökonomen selbst verwenden den Begriff des Marktes in ihren Modellen eher selten; sie ziehen es vor, von Preismechanismus, vom Gesetz von Angebot und Nachfrage, von Knappheit und Konkurrenz zu sprechen. Nur in Zeiten, in denen ‚der Markt’ als ordnungspolitische Konzeption Bedeutung für die politische Auseinandersetzung hat, kommt es zu seiner expliziten diskursiven Verwendung auch in der Ökonomie. Nach dem Ersten Weltkrieg etwa wurde als Reaktion auf die Diskussion über die Sozialisierung der Wirtschaft, ausgelöst durch die Entstehung des sozialistischen Staates in Russland und die Rätebewegung in Deutschland und Österreich, der Markt als Ordnungsmodell thematisiert. Die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Argumente der Neoliberalen strichen den Markt als die einer demokratischen Gesellschaft entsprechende Ordnung der Wirtschaft hervor und richteten sich gegen die zunehmenden planwirtschaftlichen Tendenzen. Sie standen in der durch Wirtschaftskrise und Staatsinterventionen bestimmten Epoche der Zwischenkriegszeit in Europa allerdings zunächst auf verlorenem Posten, vielmehr zeigte sich das politische Potential der Ökonomie in der Folge im Aufstieg des Keynesianismus im Gefolge der großen Depression und der wohlfahrtsstaatlichen Transformation der europäischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg (Hall 1989). Erst in den späteren 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erlebten die neoliberalen Vorstellungen einer durch den Markt als dynamischer Ordnungsform beherrschten Wirtschaft ihren Durchbruch, so dass sie den folgenden Dezennien den Stempel aufdrückten; durch den Zusammenbruch der Sowjetunion wurde diese Entwicklung noch verstärkt. Monetaristische Theorien insbesondere der Chicago-Schule um Milton Friedman und der Neoliberalismus von Friedrich A. Hayek erlangten weltweit großen Einfluss. Die neoliberale Wende der westlichen Staaten und die Globalisierung der Märkte und Unternehmen entfesselten in der Folge eine rasante Entfaltung kapitalistischer Dynamik (vgl. Deutschmann 2008). Solche Transformationen der Wirtschaft erfordern begleitende diskursive Prozesse der Rationalisierung und Legitimierung. Der ‚neoliberale Markt-Diskurs‘ (Ötsch und Thomasberger 2009) entfaltete eine umfassende Wirkung, die sich auch auf den öffentlichen Sektor und damit die sozialen Institutionsbereiche wie Gesundheit, Bildung, Gemeindeverwaltung etc. ausbreitete. Eine vergleichbare diskursive Karriere hatte nur noch der Begriff der Effizienz aufzuweisen gehabt, der am Ende des 19. Jahrhunderts in den USA geradezu eine religiöse Bedeutung angenommen hatte. War er damals jedoch stärker durch ingenieurwissenschaftliche Rationalität bestimmt, so rechtfertigt er ein Jahrhundert später Strategien von Wirtschaftlichkeitssteigerung, die nicht um ihrer selbst willen durchgesetzt werden, sondern um die Rentabilität des investierten Kapitals zu erhöhen. Der Effizienzbegriff wurde somit der kapitalistischen Logik unterworfen und erfüllt einerseits die Funktion der Legiti-
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mierung von Kosteneinsparungen und andererseits die der Verschleierung der Rentabilitätsziele. Politisch-ökonomische Transformationen benötigen eine gesellschaftliche Legitimierung, damit sie effektiv durchsetzbar werden auch bei jenen, die nicht davon profitieren. Auch die neoliberale Wende brachte eine neue Rechtfertigungslogik, einen „neuen Geist des Kapitalismus“ (Boltanski und Chiapello 1999). Dabei kam es zur Übernahme der ‚KünstlerKritik’ am fordistischen Produktionsregime durch das kapitalistische Management und ihre Umdeutung in eine Projektlogik mit der Betonung flexibler Arbeit und Partizipation. Die Sozialkritik mit ihrer Betonung auf dem Verteilungskonflikt wurde damit in den Hintergrund gedrängt; gleichzeitig wurden die Kapitalinteressen zu Lasten der Intensivierung und Prekarisierung der Arbeit gefördert. Eine neue Moral entstand, die angebliche unternehmerische Tugenden auf alle Wirtschaftssubjekte auszudehnen suchte und existentielle Selbstverantwortung, individuelle Risikobereitschaft und lebenslanges Lernen als Werte propagierte. Die Kapitalismuskritik verschwand mangels Alternativvisionen auch aus den sozialwissenschaftlichen Diskursen, während Markt und Kapitalismus eine Verallgemeinerung und Moralisierung erfuhren. Der Markt wird gegenwärtig weitgehend als unbeflecktes Prinzip der nicht-autoritären Steuerung aufgefasst, das auch für die Realisierung von Werten und sozialen Zielen durch Nutzung der individuellen Zweckrationalität als Hebel eingesetzt werden kann (vgl. Stehr 2007). Der Kapitalismus erscheint weitgehend entpolitisiert, kulturell-institutionell vielfältig ausgeformt und alternativlos, so dass er sogar als ‚egalitarian capitalism’ (Kenworthy 2004) zu einem legitimen Ziel für sozialdemokratische Politiker wird. In gewisser Weise ist auch die in den Sozialwissenschaften der Gegenwart vor sich gehende Diskussion um die ‚Performativität’ der Ökonomie Ausdruck dieses Selbstverständlich-Werdens von Markt und Kapitalismus. Der Begriff der Performativität bedeutet, dass jeder Diskurs das Objekt, das er beschreibt, auch gleichzeitig verändert (Callon 2007: 316). Ökonomie wird dabei nicht nur auf Theorien und politökonomische Rhetorik bezogen, sondern als durch Ausbildung vermittelte und in der Praxis verwendete Modelle, Rezepte, Techniken und Praktiken verstanden; sie umfassen Management- und Marketingkonzepte, betriebliches Rechnungswesen bis hin zu finanzmathematischen Risikoberechnungen und statistisch-ökonometrischen Methoden. Als Handwerkszeug von Betriebswirten, Finanzmanagern, Controlling-Experten, Bank- und Börsenanalysten etc. sind sie in die Praxis der Wirtschaft eingeschrieben. Dabei geht es nicht nur um ‚Best Practice’, denn die Macht der Zahlen des ‚Accounting’ erzeugt auch Wirklichkeit, reflektiert und produziert zugleich die ‚Entbettung’ der Wirtschaft aus dem gesellschaftlichen Kontext (Chiapello 2009: 135) und die Einbettung der Gesellschaft in die Ökonomie (vgl. Callon 1998). Die Perspektive der Performativität der Ökonomie enthält ihren Vertretern zufolge jedoch auch eine Chance auf Veränderung. Durch die Anwendungspraxis und die Modifikationen der Modelle und Techniken sowie die Rückkopplung in die Ausbildung und in die theoretischen Diskurse wird die Ökonomie auch selbst weiter entwickelt; damit werden die Wissenschaftler in die Veränderungsprozesse der Märkte und der Wirtschaft einbezogen; es kommt zu einer “co-performation” (Callon 2007). Die Wissenschaftler müssen sich bewusst sein, dass sie durch ihre Tätigkeit, die wissenschaftliche Produktion, auch die Wirklichkeit verändern. Die Konzeption der Performativität der Ökonomie enthält aber auch eine Kon-
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fliktperspektive, denn die Konzepte der Wissenschaft werden durch den Einfluss, den sie auf die Handlungen der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen haben, als kontroverse Aktionen und Konflikte in die Wirtschaft selbst inkorporiert; sie werden damit historisch und zeigen „that history matters and that the economy and markets are the temporary and fluctuating result of conflicts and the constantly changeable expression of power struggles“ (Callon 2007: 335).
Wirtschaftssoziologie und Geschichte Historische Sozialwissenschaft und Wirtschaftssoziologie haben in den letzten Jahrzehnten eine neue Herausforderung durch die Globalisierung erhalten. Diese zwingt dazu, die starke Orientierung an nationalstaatlichen Grenzen aufzugeben zugunsten eines Blicks auf die anderen Regionen der Welt und auf die Zusammenhänge und wechselseitigen Beeinflussungen zwischen diesen und dem ‚Westen’. In diesem Zusammenhang erwacht auch in der Geschichte und in der historischen Soziologie das Interesse an den historischen und kulturellen Voraussetzungen des Kapitalismus neu (z.B. Appleby 2009; Beckert et al. 2006; Deutschmann 2008; Osterhammel 2009; Streeck 2009). Die Globalisierung hat, wie Kocka meint, allgemein zu einem neuen sozialwissenschaftlichen Interesse an der Geschichte geführt (Kocka 2010).). Ein historisch-soziologischer Blick auf die Wirtschaft bedeutet nicht nur die Einbeziehung von Zeit, sondern auch der vielfältigen Wege des Werdens von Unternehmen, Organisationen, Berufen, Märkten, Wirtschaftsregionen und Volkswirtschaften. Über den Vergleich der Institutionen und deren Pfadabhängigkeit und die Erkenntnis der Diversität von Wirtschaftssystemen (Hall und Soskice 2001; Whitley 2000) hinaus müssen dabei auch die Alltagspraktiken, Denkweisen und Wertvorstellungen der Menschen berücksichtigt werden. Wenn man das historische Gewordensein von Strukturen, Institutionen und Denkmustern in einem Raum berücksichtigt, ändert sich auch der Blick auf die Wirtschaft. Diese wird nicht mehr als das ausdifferenzierte, rein ökonomische Funktionssystem, das auf Marktmechanismus oder Zahlungen reduziert ist, begreifbar, sondern spaltet sich auf in eine Vielzahl aufeinander einwirkender konkreter Prozesse, in Aktivitäten verschiedener Gruppen und deren Zusammenhänge. Wirtschaft ist nicht nur das Wirtschaftshandeln der Konzerne oder der Wirtschaftspolitiker um den Kern der Finanzmärkte; sie umfasst immer auch die Haushalte und ihre Formen des Lebens oder der Geldverwendung (vgl. Zelizer 1994) sowie die nicht gewinnorientierten, aber wirtschaftlich relevanten Aktivitäten des Dritten Sektors, die öffentliche Wirtschaft, die schwarze Wirtschaft und die Mischformen formaler und informeller Aktivitäten in der „economia diffusa“ (Bagnasco 1988; vgl. auch Mingione 1991). Der Markt ist auch in den modernen Industriegesellschaften nicht das alleinige Funktionsprinzip der Wirtschaft. Die neue Wirtschaftssoziologie hat sich durchaus folgerichtig auf Grund der neoliberalen Wende vornehmlich mit den Märkten beschäftigt und gezeigt, dass diese erst durch das Handeln im Rahmen von sozialen Beziehungen entstehen bzw. geschaffen werden (White 1981). Doch sie muss sich nun auch der Vielfalt wirtschaftlicher Erscheinungen und ihrer Bedeutung für die Menschen zuwenden. Dabei ist die Erkenntnis, dass die wirtschaftliche Wirklichkeit durch sehr ungleiche Zeithorizonte charakterisiert ist, ge-
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genwärtig von besonderer Bedeutung. Ungleichzeitigkeiten der Entstehung und der Veränderung kennzeichnen die hoch entwickelten wie die weniger entwickelten Wirtschaftsgesellschaften, allerdings in jeweils charakteristischer Weise (vgl. Mikl-Horke 1994b). Unterschiede in Bezug auf die Geschwindigkeit, mit der sich wirtschaftliche Transaktionen vollziehen, zeigen sich etwa in Bezug auf die relativ langen industriellen Produktionszyklen, die abhängig sind von Forschung und Technologieentwicklung, aber auch von den ‚Produktionszyklen’ der Bildungssysteme, im Vergleich mit den hohen Geschwindigkeiten der Transaktionen auf den Geld- und Kapitalmärkten, die sich praktisch in ‚real time’ verändern. Das Zusammenwirken dieser unterschiedlichen Zeithorizonte und Geschwindigkeiten hat Auswirkungen auf die Steuerbarkeit wirtschaftlicher Verläufe, was noch wenig erforscht ist. Darüber hinaus resultiert es in der großen ‚Unübersichtlichkeit’ der gegenwärtigen Wirtschaft, die die Ungewissheit der Ergebnisse wirtschaftlichen Handelns erhöht, Unsicherheit in Bezug auf die Folgen der Veränderungen für die Menschen erzeugt und auch die Ökonomie selbst vor große Probleme stellt. Unter dem Eindruck der Expansionsdynamik der globalen Finanzmärkte und der Erkenntnis der dysfunktionalen Effekte der damit einhergehenden Aktivierungspolitik und Beschleunigungslogik (vgl. Dörre et al. 2009) kam es auch wieder zur Renaissance der Kapitalismuskritik, die auch die historische Dimension wieder stärkt. Für die Wirtschaftssoziologie, die sich mit Wirtschaft als sozialem Handeln im Kontext der Institutionen und Strukturen der Gesellschaft auseinandersetzt, ist die Berücksichtigung von Ereignissen, die Neuorientierungen und Neubewertungen auslösen, wichtig. Aber diese werden auch durch die Verbreitung von Theorien, Prinzipien, Ideen beeinflusst. Insbesondere ökonomische Theorien haben die Entwicklung der realen Strukturen und Prozesse der Wirtschaft mit bestimmt und sie haben auch die ‚wissenschaftliche’ Referenz für politische Entscheidungen in wirtschaftlichen Belangen geliefert. Die Wissenschaft selbst stellt daher eine eigene Problemebene für die Analyse der Wirklichkeit dar. Die Wissenschaft und die Wissenschaftler stellen eine intermediäre Dimension der Interpretation zwischen Bewusstsein und Praxis dar. Die Bedingungen für die Wissenschaft, die Intentionen und Ziele der Wissenschaftler, ihre politischen Überzeugungen, ihre intellektuelle Einbindung in größere Denktraditionen sowie biographische Aspekte müssen beachtet werden. In diesem Sinn versteht Benjamin Ward etwa die konservativen, liberalen und radikalen Strömungen in der US-amerikanischen Ökonomie als Resultate eines unvermeidbaren Zusammenhangs von Vorstellungen über Ziel und Aufgabe der Wissenschaft, von erkenntnistheoretischen Positionen und moralisch-kulturellen und politischen Anschauungen des jeweiligen Autors (Ward 1981). Ward nimmt es als gegeben an, dass Ökonomen selbst Werte und ideologische Positionen in ihre Wissenschaft einfließen lassen, aber auch Einfluss und Anerkennung durch politische Bewegungen und Parteien anstreben. Auch der soziale Kontext theoretisch-akademischen Forschens muss einbezogen werden, denn Wissenschaft stellt im Sinne von Bourdieu ein soziales Feld dar, in dem Anerkennung, Status und Macht zumindest so viel Bedeutung haben wie das Streben nach Erkenntnis, und in dem daher auch Interessen, Ideologien und Strategien aufeinander treffen (Breslau 2003). Theorien über Wirtschaft und Konzepte und Modelle wirtschaftlicher Praxis sind eingebettet in Mythen, Traditionen und Strukturen der Profession.
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Die Berücksichtigung dieser Dimensionen kann Einblick in die ‚Einbettung’ des Wirtschaftsdenkens in Gesellschaft, Kultur und Geschichte geben, aber auch helfen, die zeiträumlich bedingten Elemente in überkommenen Theorietraditionen festzustellen, um die Erkenntnis der Wirtschaft zu verbessern (vgl. Dolfsma und Welch 2009), ‚Ökonomystifikationen’ (Grabas 2002: 226) und so manche „sozialwissenschaftliche Verkürzung politischer Metaphysiken“ (Boltanski und Thévenot 2007: 49 ff) aufzudecken. Die Einbindung in den kulturellen Kontext und seine Geschichte lässt die Forderung nach einer geisteswissenschaftlich fundierten „historischen Theorie des ökonomischen Denkens“ als berechtigt erscheinen (Blümle und Goldschmidt 2007). Für die Wirtschaftssoziologie ist die Einbeziehung dieses reflexiven historischen Blicks auf die Ökonomie von Bedeutung, um ihre Perspektive durch die Dimension der Wechselbeziehung von Wirtschaft und Wirtschaftsdenken zu erweitern und ihr oftmals generalisierendes und vereinfachendes Verständnis der Ökonomie zu überwinden. Dies erscheint insbesondere angesichts der ‚Ökonomisierung’ vieler Funktionsbereiche moderner Gesellschaften, der Folgen der Mystifikationen des Finanzmarktkapitalismus und der quasi-religiösen Glaubensverkündigungen der Wirtschaftsexperten notwendig.
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Das Ökonomieverständnis in der Wirtschaftssoziologie∗
2 Das Ökonomieverständnis in der Wirtschaftssoziologie
Wirtschaftssoziologie und heterodoxe Ökonomieansätze haben viel gemeinsam, doch ihre Beziehung war lange Zeit durch eine strikt beachtete Trennung der Disziplinen von Ökonomie und Soziologie belastet. Das hat unter Soziologen die Ansicht genährt, Ökonomie sei identisch mit dem neoklassischen Mainstream der Disziplin. Die Unterschiede zu diesem waren evident, begründeten aber weniger eine kritische Auseinandersetzung mit den Annahmen der Ökonomie, als vielmehr die Vermeidung von Themen, die eine solche nahe legen würden. Die Soziologie suchte sich unabhängig von der Volkswirtschaftslehre als eigenständige Einzelwissenschaft mit ihrem eigenen Erkenntnisobjekt und ihrer spezifischen Erkenntnismethode zu behaupten. Von der „Wirtschaftssoziologie“, die in dieser Situation ein Schattendasein führte, konnte man nach 1945 über Jahrzehnte hinweg – mit wenigen Ausnahmen, die die Konzeption einer eigenen Teildisziplin versuchten (Fürstenberg 1961; Heinemann 1972) – nur im Sinne einer Sammelbezeichnung für die empirischen Forschungsgebiete der Soziologie, die sich in einem weiteren Sinn mit wirtschaftsrelevanten Verhaltensweisen befassten, sprechen. Unter diesen dominierten die Industrie-, die Arbeitsund die Konsumsoziologie. Sie untersuchten mit den Methoden der empirischen Sozialforschung die Denk- und Verhaltensweisen der Arbeiter und der Konsumenten. Ein solcher Zugang erforderte keine explizite Auseinandersetzung mit der Ökonomie. Auch die Betriebssoziologie, die zur Organisationssoziologie erweitert wurde, machte eine solche auf Grund der Hinwendung zu Psychosoziologie und Gruppenforschung nicht notwendig. Lange Zeit nahmen die Soziologie und ihre „wirtschaftlichen“ Forschungsdisziplinen daher von der Ökonomie nur wenig Notiz und beschäftigten sich insbesondere nicht mit den Kernbereichen der modernen kapitalistischen Wirtschaft, dem Markt und den Unternehmen. Doch seit den 1980er Jahren erlebt die Wirtschaftssoziologie einen starken Aufschwung und auch die Diskussion über das Verhältnis von Ökonomie und Soziologie hat wieder eingesetzt. Dies war einerseits zurückzuführen auf Entwicklungen in der Mainstream-Ökonomie, die ihre theoretischen Konzepte zur Erklärung sozialen Verhaltens einsetzte und damit in den Bereich des Erkenntnisobjekts der Soziologie vordrang (Becker 1976), was in den Reihen dieser häufig als „ökonomischer Imperialismus“ (Baron und Hannan 1994) empfunden wurde. Andererseits erhöhte die neoliberale Wirtschaftspolitik die Relevanz der „supply side“ auch für die wirtschaftsrelevante soziologische Forschung. Man erfand gewissermaßen die „Wirtschaftssoziologie“ neu als soziologische Erforschung der Märkte und Unternehmen, die nunmehr die vordem so wichtigen Disziplinen der Industrieund Arbeitssoziologie und der Konsumsoziologie an Bedeutung zu überholen begann. Dies legte die Auseinandersetzung mit der Ökonomie nahe, die jene Vorstellungen und Begriffe geprägt hatte, mit der nun auch die Wirtschaftssoziologie zu arbeiten hatte. Die Beziehungen zwischen Ökonomie und Soziologie wurden wieder diskutiert und damit richtete sich ∗ Dieses Kapitel ist zuerst erschienen in: Becker, Joachim et al. (2009): Heterodoxe Ökonomie. Marburg: Metropolis, 177-214.
G. Mikl-Horke, Historische Soziologie – Sozioökonomie – Wirtschaftssoziologie, DOI 10.1007/978-3-531-92798-5_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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die Aufmerksamkeit auf jene früheren Diskurse, in deren Verlauf sich auch eine eigene wirtschaftssoziologische Perspektive abzuzeichnen begonnen hatte (Mikl-Horke 2008c: 99ff). Insbesondere wurde Max Webers Behandlung der Beziehung von Wirtschaft und Gesellschaft wieder von großem Interesse und auch Talcott Parsons’ metatheoretische Konzeption erhielt wieder eine gewisse Beachtung (Zafirovski 2006). Dabei zeigte sich auch, dass diese Theoretiker zwar als wichtige Begründer der modernen Soziologie galten, sich aber insbesondere mit der modernen Wirtschaft beschäftigt hatten und genauso als Ökonomen gelten können und dies auch selbst beanspruchten. Dezidiert als Wirtschafts„soziologie“ hingegen treten in der Gegenwart die Forschungen einer Reihe von zunächst US-amerikanischen Soziologen auf, die mit Konzepten der „Einbettung“ der Wirtschaft in die sozialen Beziehungen und der Netzwerkanalyse von Märkten operieren. Seit der Begründung dieser „neuen Wirtschaftssoziologie“ in den 1980er Jahren hat diese eine breite und durch die zunehmende Bedeutung von Studien europäischer Sozialwissenschaftler sehr differenzierte Entwicklung genommen und sich auch an heterodoxe Ansätze wie insbesondere jenen der Sozioökonomie angenähert. Hier kann allerdings nur auf Mark Granovetter, der weithin als Begründer der neuen Wirtschaftssoziologie angesehen wird, und auf seine Auseinandersetzung mit der Ökonomie eingegangen werden; für die Darstellung der ganzen Bandbreite wirtschaftssoziologischer Ansätze und Analysen muss auf andere Quellen verwiesen werden (Mikl-Horke 2008a; Swedberg 2009). Im Folgenden wird untersucht, welche Auffassung von Ökonomie Max Weber und Talcott Parsons vertraten bzw. an welcher Ökonomie sie sich orientierten. Im Anschluss daran wird die Auseinandersetzung Mark Granovetters mit der modernen Ökonomie behandelt. Diese drei Persönlichkeiten stehen stellvertretend für verschiedene Phasen in der Entwicklung der Wirtschaftssoziologie, damit auch für den Wandel im Verhältnis von Ökonomie und Soziologie und für die Grenzziehungen zwischen Orthodoxie und Heterodoxie im Verständnis von Wirtschaft.
Die Ökonomie Max Webers Max Webers Person (1864-1920) und Werk faszinieren nach wie vor und immer noch wird die Frage thematisiert, ob Weber Ökonom, Soziologe, Historiker oder alles zusammen gewesen sei. Weber hatte, wenngleich von der Ausbildung her Jurist, stets Lehrstühle für Nationalökonomie inne, aber sein Werk bezeugt ein ausgeprägtes Interesse an historischer Erkenntnis. Auf Grund der Dominanz der historischen Schule der Nationalökonomie im Deutschland seiner Zeit war dies auch nicht verwunderlich. Obwohl Weber nicht nur formal, sondern auch faktisch durchaus als Ökonom im Sinne des damaligen breiten Verständnisses aufgefasst werden kann und sich selbst nie von der Ökonomie abgewandt hatte, verorteten ihn nachfolgende Ökonomen in der Soziologie, obwohl diese in Deutschland noch ein sehr unbestimmtes Gebiet war und Weber selbst kritisch gegenüber vielem war, was zu seiner Zeit damit verbunden wurde (Mikl-Horke 2004). Für die Zuordnung Webers zur Soziologie war daher vor allem die weitere Entwicklung der modernen Ökonomie maßgebend, die in eine Richtung wies, die Weber nicht mehr als Ökonomen erscheinen ließ (Tribe 2006). Seine endgültige Kanonisierung als einer der
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Gründerväter der Soziologie erhielt er dann durch die Rezeption in den Vereinigten Staaten, wobei Talcott Parsons eine wichtige Rolle zukam. Seitdem gilt Weber in erster Linie als Soziologe, der das soziale Handeln und den subjektiven Sinn betont hatte. Auch in der Gegenwart wird Webers intellektuelle Entwicklung im Sinne einer Wandlung von der Ökonomie hin zur Soziologie interpretiert und seine Behandlung der Wirtschaft als Wirtschaftssoziologie verstanden (Norkus 2001: 53 ff; Swedberg 1998: insbes. 173 ff). Diese Interpretation betont die große Bedeutung Webers für die Entwicklung innerhalb der modernen Soziologie, die zweifelsfrei feststeht. Weniger eindeutig ist jedoch trotz seiner gelegentlichen Verwendung der Termini Webers eigene Auffassung, was die folgenden Ausführungen, die sich auf die Analyse der Werke von Weber stützen, zeigen sollen. Sie treffen sich mit jenen Befunden, die wieder stärker auf Webers Ökonomie verweisen (Brandt 1990; Eisermann 1993; Hennis 1988; Schefold 1992; Shionoya 1996; Tribe 2006) und den Einfluss der Grenznutzentheorie auf sein Wirtschaftsverständnis, aber auch auf seine Soziologie hervorheben (Eisermann 1993; Holton und Turner 1989: 30 ff; Kim 1996; Norkus 2001; Roversi 1988). Sie belegen einen Wandel in der Sichtweise von Webers Werk, der auch von Swedberg anerkannt wurde (Swedberg 2003a).
Die „ökonomischen“ Schriften Webers Die Schriften Webers, die als Grundlage für sein Verständnis von Ökonomie und der Beziehung von Ökonomie und Soziologie angesehen werden (Swedberg 1999), sind zum einen der Grundriss zu den Vorlesungen über Allgemeine (‚theoretische’) Nationalökonomie von 1898 mit einer Skizze des ersten Kapitels (Weber 1990) sowie das zweite Kapitel aus Wirtschaft und Gesellschaft (Weber 1985: 31 ff), das als Webers „Wirtschaftssoziologie“ gilt (Parsons 1947: 30 ff). Die Literaturangaben im Vorlesungsgrundriss lassen sein umfassendes Verständnis von Ökonomie erkennen, denn sie enthalten wirtschaftshistorische, soziologische, anthropologische, statistisch-demographische Bezüge sowie auch sozialistische Quellen. Ein solch breites Verständnis des Gebiets war zu Webers Zeit allerdings keineswegs unüblich. Charakteristisch war auch die Differenzierung zwischen „Wirtschaft“ und „Volkswirtschaft“, wobei erstere Güter, Wert, Tausch thematisierte, aber auch bereits auf die „theoretische Konstruktion der Wirtschaft“ einging, während Eigentum, Einkommen, Produktion, Preisbildung etc. als elementare Erscheinungen der Volkswirtschaft abgehandelt wurden. Ausgearbeitet hatte Weber nur eine Skizze über den Begriff der Wirtschaft als dem „Complex der Maßnahmen, welche durch das Wirtschaften eines Individuums oder einer menschlichen Gemeinschaft veranlasst sind“ (Weber 1990: 29). Sie ist Resultat des Wirtschaftens als bewusstes planvolles Zweckhandeln, das in einem jahrtausende alten Anpassungsprozess, allerdings in unvollkommener Weise, „anerzogen“ wurde. Die Wirtschaftstheorie geht vom „voll erzogenen“ Menschen aus, den sie für ihre Zwecke konstruiert und dabei alle nicht spezifisch wirtschaftlichen Motive ignoriert, sowie vollkommene Einsicht in die Situation, „absolute zweckorientierte Wirtschaftlichkeit“ und einen „trägheitslosen Erwerbstrieb“ annimmt. Sie argumentiert mit einem „unrealistischen Menschen, analog einer mathematischen Idealfigur“ (Weber 1990: 30). In nuce enthält dieses Vorlesungskonzept bereits alle
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Elemente von Webers Auffassung von Ökonomie, d.h. seine Akzeptanz des Modells des rationalen individuellen Handelns als theoretische Annahme und seine Orientierung am „Wirtschaften“ als Resultat eines historisch-kulturellen Prozesses. Das zweite Kapitel aus Wirtschaft und Gesellschaft enthält eine Vielzahl von Klassifikationen und Definitionen, mit denen Weber selbst zufolge „keinerlei Wirtschaftstheorie getrieben“, sondern nur einige oft gebrauchte Begriffe definiert und „gewisse allereinfachste soziologische Beziehungen innerhalb der Wirtschaft“ festgestellt werden sollten (Weber 1985: 31). Wie Carl Menger misst Weber dem Begriff des Gutes große Bedeutung bei, allerdings als Grundkategorie für „eine soziologische Theorie der Wirtschaft“ (Weber 1985: 34). Hier ist anzumerken, dass Weber den Begriff „soziologisch“ in allen seinen Schriften eher willkürlich verwendet, manchmal als Bezeichnung von Objekten, manchmal im Sinne einer theoretischen Perspektive, jedoch nicht im Verständnis eines Faches. Auch die Begriffe „wirtschaftlich“ bzw. „ökonomisch“ bleiben unbestimmt und vieldeutig; Weber verwendet sie auch häufig in tautologischer Weise. So definiert er „Wirtschaften“ als „eine friedliche Ausübung von Verfügungsgewalt, welche primär … wirtschaftlich orientiert ist“ (Weber 1985: 31). Wirtschaften wird also nicht von den Bedürfnissen der Konsumenten her bestimmt, sondern Weber spricht von „Nutzleistungen“, um damit ausdrücklich die kapitalistische Wirtschaftsweise zu inkludieren (Weber 1985: 31). Daher betont Weber auch die Kategorie der Verfügungsgewalt als ein ganz wichtiges Kriterium des „soziologischen Begriffs des Wirtschaftens“. Das zeigt, dass er Wirtschaften – anders als die Grenznutzentheorie – aus der Perspektive des Unternehmens betrachtet. Weber hebt die Rolle der modernen Unternehmung als „Übernahme der Organisation eines Ausschnitts aus der verkehrswirtschaftlich regulierten Bedarfsversorgung zum Zweck des Gewinns auf eigene ökonomische Gefahr“ (Weber 1985: 47) hervor. Die erwähnten Texte Webers, die sich unmittelbar mit Wirtschaft befassen, belegen zum einen die Akzeptanz der individualistischen und exakten Wirtschaftstheorie als Grundlage der Nationalökonomie – lassen allerdings auch ansatzweise Unterschiede zu den Auffassungen Mengers und seiner Schule erkennen –, zum anderen deren Integration in eine breitere, historisch-realistische Betrachtung. Sie weisen einen an juristische Definitionen erinnernden Stil sowie die Verbindung von klassifikatorisch-sektoraler Wirtschaftslehre mit Elementen der Wirtschaftstheorie auf (Mommsen 2004: 8; Norkus 2001: 74 ff). Ihre Lektüre vermittelt wenig von der Faszination, die von Webers Person und seinem Werk bis heute ausgeht. Diese kann eher durch seine herrschafts-, rechts- und religionssoziologischen Arbeiten begründet werden, die sein vordringliches Interesse am modernen Kapitalismus und seinen geistigen und institutionellen Grundlagen zeigen.
Die historischen Analysen des Kapitalismus Anders als viele historisch-geisteswissenschaftlich orientierte Autoren seiner Zeit sah Weber den Kapitalismus als eine potentiell universelle Erscheinung, die allerdings nur im Westen auf Grund besonderer Bedingungen seine moderne Ausprägung fand. Dies kommt in der frühen Schrift Agrarverhältnisse im Altertum von 1908 zum Ausdruck, in der er meint, dass man Kapitalismus „rein ökonomisch“ als „verkehrswirtschaftlichen Erwerb von Privaten“
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und nicht durch Hineinnahme von „sozialen“ Aspekten wie der Lohnarbeit definieren müsse. Dann gewinne auch die Antike ein weitgehend kapitalistisches Gepräge, dessen Entfaltung jedoch gehemmt wurde (Weber 2006). Erst durch die Durchdringung der Lebensführung mit methodisch-planvollen Elementen und durch die innerweltliche Askese im Zuge der Ausbreitung und Säkularisierung der protestantischen Ethik konnte der Kapitalismus seine volle Ausformung in Europa und Nordamerika finden. Der Bedeutung von Ethik und Religion für die Entstehung des Kapitalismus widmete sich Weber vor allem in der Wirtschaftsethik der Weltreligionen und der Protestantischen Ethik. Auch die älteren Teile von „Wirtschaft und Gesellschaft“ belegen Webers Interesse an den Beziehungen der Wirtschaft mit anderen Bereichen der Kultur, insbesondere dem Recht und der Religion. Diese Werke zeigen Webers Interesse an der ökonomischen Relevanz nichtwirtschaftlicher Erscheinungen (Norkus 2001: 99). Allerdings sah Weber auch die Bedeutung des Einflusses der modernen Wirtschaftsweise auf die Kultur unter der Perspektive des okzidentalen Rationalisierungsprozesses, für den die „typischen Maßregeln“ des rationalen Wirtschaftens, die Weber in der planvollen Beschaffung, Verteilung und dem Erwerb der Nutzleistungen erblickt (Weber 1985: 35f), von großer Bedeutung sind. In der „Wirtschaftsgeschichte“ kommt diese Bedeutung der wirtschaftlichen Rationalität und ihr rechnerischer Kern durch Hervorhebung der Buchführung zum Ausdruck, denn „…in gewissem Sinn und in gewissen Grenzen ist die gesamte Wirtschaftsgeschichte die Geschichte des heute zum Siege gelangten ökonomischen, auf Rechnung aufgebauten Rationalismus.“ (Weber 1958: 16). Die Rationalität des modernen Kapitalismus manifestiert sich für Weber idealtypisch in der modernen Unternehmung und ihrer Kapitalrechnung, und Weber deutet auch die Grenznutzenlehre in diesem Sinn um: „Die Grenznutzlehre behandelt, zu bestimmten Erkenntniszwecken, menschliches Handeln so, als liefe es von A bis Z unter der Kontrolle kaufmännischen Kalküls … ab.“ Die „Betrachtungsweise der kaufmännischen Buchführung also ist, wenn irgendetwas, der Ausgangspunkt ihrer Konstruktionen.“ (Weber 1988d: 394). Mit Bezug auf Weber hat dann auch Callon das Accounting als Mittlerin zwischen der Ökonomie und der Wirtschaft im Hinblick auf die Entstehung von „calculativeness“ interpretiert (Callon 1998: 23 ff). Mises sah darin allerdings einen Widerspruch zum Begriff des Grenznutzens, den er als ein soziologisches Konzept verstand, weil es von den Konsumenten und den subjektiven Werten der Menschen ausgehe (Mises 1929; Mikl-Horke 2008b). Der sozialistische Ökonom Robert Wilbrandt sah dies ebenso und warf Weber vor, die Rentabilitätsrationalität der unternehmerischen Privatwirtschaft mit dem, was volkswirtschaftlich rational sei, zu vermengen (Wilbrandt 1926). Webers Betonung der Kapitalrechnung gründete aber, trotz seiner unbestreitbar „bürgerlichen“ Einstellung, weniger in einer Parteinahme für die Profitchancen der Unternehmen, als in seinem Interesse am historischen Verstehen des Kapitalismus im Rationalisierungsprozess der Kultur. Der Unterschied zwischen seinen „ökonomischen“ Texten und den historisch-soziologischen Analysen verweist auf die Spannung, die Webers Werk durchzieht, zwischen historischer Erkenntnis des Kulturprozesses einerseits und dem Anspruch theoretischer Konzeptualisierung und objektiver Richtigkeitsrationalität der Wissenschaft andererseits. Sie ist begründet in seiner Erkenntnistheorie, die auch besser als die übrigen Werke Aufschluss zu
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geben vermag über sein Ökonomieverständnis, was Spann richtig erkannte, als er Weber als einen „erkenntnistheoretischen Ökonomen“ kennzeichnete (Spann 1969: 215 f).
Die erkenntnistheoretischen Schriften: Historische Kulturwissenschaft und Sozialökonomik Webers Ausgangsirritation hing mit dem Methodenstreit in der deutschen Nationalökonomie zusammen. Er kritisierte einerseits den naturalistischen Monismus in vielen Strömungen der Zeit (Weber 1988b: 185 ff; Nau 1997: 233), andererseits aber auch das Fehlen der nomologischen Kausalität in der historischen Methode und versuchte, die Nationalökonomie auf den Naturwissenschaft und Geschichte gemeinsamen Boden der Erfahrung zu stellen. Als Erfahrungswissenschaft bedarf die Nationalökonomie seiner Meinung nach sowohl der Kausalerklärung als auch des Bedeutungsverstehens. Beides aber dient in Webers Sicht der historischen Erkenntnis, denn dass alle Sozialwissenschaft auf dieser gründen muss, davon wich Weber nie ab. Weber lehnt in der Kritik an Roscher die ganzheitlich-organizistische Auffassung der Gesellschaft und der Volkswirtschaft als „anschauliche Totalität eines als Kulturträger bedeutungsvollen Gesamtwesens“ ab (Weber 1988a: 11). Er stellt dagegen die Auffassung der Wirtschaft als Aggregat von Einzelwirtschaften und führt auch die Entstehung der Institutionen, die nicht zweckvoll geschaffen wurden, auf individuelle Handlungen und deren Zusammenhang zurück (Weber 1988a: 29). Das entspricht der Auffassung Carl Mengers und der österreichischen Schule ebenso wie seine Ablehnung der psychophysischen Begründung des Individualismus (Weber 1988d; vgl. Zafirovski 2001). Aber auch die Annahme eines Gemeinsinns, die Roscher dem Eigennutzdenken entgegen stellte, verwarf Weber mit dem Hinweis auf die „kausale Heteronomie der menschlichen Wirtschaft“ (Weber 1988a: 30). Daher sah er auch seine „verstehende Soziologie“ auf individualistischer Basis begründet, denn das „Einzelindividuum und sein Handeln“ sind ihr „Atom“; „verständliches“ Handeln ist ihm ausnahmslos Handeln der beteiligten Einzelmenschen (Weber 1988e: 439). Dieses kann allerdings gleichzeitig „Gemeinschaftshandeln“ sein, wenn es an Erwartungen anderer, oder „Gesellschaftshandeln“, wenn es an Ordnungen, Normen, Institutionen orientiert ist. Diese Orientierung des Handelns der einzelnen an Gemeinschaft und Gesellschaft erfordert zu seiner Erklärung die Deutung der Kultur und der Geschichte. Aber die Kausalanalyse ist für Weber die notwendige Grundlage für jede wissenschaftliche Erklärung, die Geltung beansprucht. Daher kritisierte er Knies’ Ablehnung von Kausalgesetzen in der Volkswirtschaftslehre, die dieser mit der Willensfreiheit und damit der potentiellen Irrationalität der Menschen begründet hatte. Weber wies demgegenüber auf die Evidenz der Zweckorientiertheit und Berechenbarkeit des Handelns in der modernen Gesellschaft und Wirtschaft hin (Weber 1988a: 64). Diese eher fragwürdige empirische Begründung untermauerte er mit dem Verweis auf die Bedeutung für die „Kultur“. Diese ist für Weber „ein vom Standpunkt des Menschen aus mit Sinn und Bedeutung bedachter endlicher Ausschnitt aus der sinnlosen Unendlichkeit des Weltgeschehens“ (Weber 1988b: 180). Kultur umfasst für Weber daher die subjektiven Sinnzuschreibungen der Menschen, was für ihn jedoch im
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Zusammenhang der Wissenschaft nicht bei der einfachen Ermittlung derselben endet, sondern zu einer objektiven Deutung führen muss. Rationalität und Vorhersehbarkeit implizieren, wenn sie nicht allein auf individuelle Faktoren, sondern auf Kultur bezogen werden, die Deutbarkeit im Sinne von Kulturverstehen (Weber 1988a: 67). Diese Beziehung zwischen individuellem rationalem Handeln und rationaler Kultur nahm Weber als Grundlage für seine Argumentation einer methodologischen Verbindung von Kausalerklären und deutendem Verstehen. Kausalanalyse ohne Kulturdeutung resultiere in reinen „Quantitätskategorien“, Verstehen ohne Erkenntnis des Regelhaften verliere die wissenschaftliche Geltung. Mit „Verstehen“ verbindet Weber nicht das intuitive Begreifen der qualitativen Einzigartigkeit; er wies daher die Auffassung von Münsterberg zurück, wonach Geschichte und Nationalökonomie auf der Psychologie zu begründen seien (Weber 1988a: 82). Das Verstehen fremden Handelns bedarf Weber zufolge vielmehr einer objektiven Deutungstheorie und muss sich ständig der Kontrolle durch Erfahrung im logisch gleichen Sinn wie die Hypothesen der Naturwissenschaft unterziehen, um „Geltung“ zu erlangen (Weber 1988a: 102). Wenngleich Weber der rationalen Deutung des Handelns mittels der Kategorien „Zweck“ und „Mittel“ ein besonders hohes Maß von kausal begründeter Evidenz attestiert, so lasse sich daraus niemals auf die historische Wirklichkeit schließen, sondern nur auf „objektive Möglichkeiten“ (Weber 1988a: 126 ff). In der historischen Erkenntnis komme es auf die Eigenart der Kulturerscheinungen an; das erfordere eine idealtypische Begriffsbildung, die über die gattungsmäßigen Kategorien hinausgehe und eine multikausale Betrachtung impliziere. Denn, so meint er: „Die Reduktion auf ökonomische Ursachen allein ist auf keinem Gebiete der Kulturerscheinungen je in irgendeinem Sinn erschöpfend, auch nicht auf demjenigen der ‚wirtschaftlichen’ Vorgänge“ (Weber 1988b: 169). Nach Webers Meinung sind alle Begriffe der Nationalökonomie daher nur als Idealtypen zu entwickeln, die die wirtschaftlichen Kategorien als Kulturerscheinungen auf ihre „Wertbeziehung“ hin ausloten. Den Begriff der „Wertbeziehung“ übernahm Weber von Rickert ebenso wie die Orientierung der historischen Erkenntnis an der „Kulturbedeutung“. Kultur beruht auf Sinnzuweisung und setzt damit Rationalität voraus, aber sie impliziert ebenso die Setzung von Werten (Swedberg 2009: 239): „Der Begriff der Kultur ist ein Wertbegriff. Die empirische Wirklichkeit ist für uns ‚Kultur’, weil und sofern wir sie mit Wertideen in Beziehung setzen….“ (Weber 1988b: 175). Die Wertbeziehung leitet die Auswahl der Probleme der Forschung und setzt Wertanalyse voraus; sie darf aber nicht auf den persönlichen Wertungen des Forschers, auf Weltanschauungen oder Klasseninteressen beruhen, eine Auffassung, die bekanntlich zu einem zentralen Anliegen Webers wurde (Weber 1988f). In der Wertbeziehung auf Kultur liegt für Weber der Charakter der Nationalökonomie als einer historischen Kulturwissenschaft begründet, deren Erkenntnis subjektiv ist, weil sie an Erscheinungen oder Vorgängen orientiert ist, die für „uns“ Bedeutung haben, gleichzeitig muss sie aber auch auf der objektiven Erkenntnis rein kausaler Zusammenhänge beruhen (Weber 1988b: 182). Weber sieht daher zwei Aufgaben der Ökonomie, wie er sie versteht: Sie zielt zum einen auf die kausale Zurechnung wirtschaftlicher Kulturerscheinungen zu individuellen Ursachen ökonomischen oder nicht-ökonomischen Charakters, zum ande-
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ren auf die Erforschung eines spezifischen Elements der Kultur, des ökonomischen, in seiner Kulturbedeutung im Wandel. Daher kennzeichnet Weber auch das Arbeitsgebiet des „Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ in dem Einleitungsartikel von 1904 als „die wissenschaftliche Erforschung der allgemeinen Kulturbedeutung der sozialökonomischen Struktur des menschlichen Gemeinschaftslebens und seiner historischen Organisationsformen“ (Weber 1988b: 165). Zum Bereich der Sozialökonomik zählt er einerseits die spezifisch „wirtschaftlichen“ Institutionen, allen voran Unternehmung, Geld und Markt, andererseits „ökonomisch relevante Erscheinungen“, das sind nicht-wirtschaftliche Vorgänge mit ökonomischen Wirkungen oder Voraussetzungen. Mit Webers Begriff der „Sozialökonomik“ verbinden viele Kommentatoren eine Kennzeichnung von Webers besonderem Verständnis von Ökonomie. Dieser Begriff wurde von Heinrich Dietzel, einem liberalen Ökonomen, in die damalige Diskussion eingeführt. Er stellte ihn der „Volkswirtschaftslehre“, wie sie in Deutschland üblich war, entgegen und verstand darunter die allgemeine, abstrakte und individualistische Wissenschaft von der wirtschaftlichen Seite der Gesellschaft. Auch Weber dürfte ihn daher in ähnlichem Sinn verwendet haben, allerdings verband er damit auch im Besonderen die Analyse der Beziehungen der Wirtschaft zu anderen Kulturerscheinungen; in mancher Hinsicht setzte er ihn auch mit Wirtschaftssoziologie gleich (Nau 1997: 256f), aber Webers Verwendung dieser Termini ist keineswegs konsistent oder klar umrissen. Unter Wirtschaftssoziologie verstand Weber jedenfalls keine Disziplin, sondern eine methodisch und inhaltlich spezifische Perspektive der Forschung über wirtschaftliche Zusammenhänge. Wenngleich er die Wirtschaftssoziologie, ja seine gesamte Soziologie und die Sozialökonomik auf der Wirtschaftstheorie begründet sieht, geht es Weber nicht um die Erklärung der „rein ökonomischen“ Funktionsweise der Wirtschaft, sondern um ihre Kulturbedeutung, die auf Grund der Wertbeziehung stets eine historisch relative ist, weil sie durch das Erkenntnisinteresse bedingt ist (Weber 1988b: 178). Wilbrandt hatte daher durchaus zu Recht angemerkt, dass Weber die Ökonomie unter dem Einfluss von Rickert zu einer Kulturwissenschaft gemacht habe (Wilbrandt 1917; vgl. auch Mommsen 2004).
Die doppelte Methodologie Webers und die gegenwärtige Relevanz der Kulturanalyse des Kapitalismus Webers „doppelte“ Methodologie von Kausalanalyse und Kulturverstehen, von Wirtschaft als logische Beziehung und Volkswirtschaft als historische Erscheinung, begründete eine inhärente Ambivalenz seiner Auffassung. Wie Norkus aufzeigt, wird das auch in Webers Behandlung der ökonomischen Grundkategorien deutlich: Während Knappheit für ihn eine analytische Kategorie war, begründete er Rationalität als historisch-relativen Begriff (Norkus 2001: 74). Damit ist Rationalität für Weber eine abhängige Variable, während sie für Mises’ Praxeologie und für die moderne Rational Choice-Theorie eine unabhängige Variable darstellt (Norkus 2001: 418 ff). Man kann daher Mises’ Feststellung, Weber habe die Ökonomie mit Hilfe der Idealtypen „historisiert“ (Mises 1929), nicht widersprechen. Man könnte
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aber vielleicht besser von dem Versuch einer kulturwissenschaftlichen Begründung eines spezifischen Verständnisses von Rationalität in ihren theoretischen und praktischen Formen in Ökonomie und im modernen rationalen Kapitalismus sprechen. Weber ging von der Wirtschaftstheorie als Grundlage seiner Auffassung von Wirtschaften im modernen rationalen Kapitalismus aus und sah sowohl die Ökonomie als auch die Soziologie auf dem methodologischen Individualismus und der Zweckrationalität des Handelns begründet (Crespo 1997; Callahan 2007). Insofern stand er später als heterodox verstandenen Richtungen des Denkens nicht nahe. Doch die historische „Einbettung“ von Theorie und Rationalität in Bezug auf ihre Kulturbedeutung weist über eine einfache orthodoxe Position Webers hinaus auf ein umfassendes Verständnis von Ökonomie als Kulturwissenschaft. Die Ambivalenz in Webers Werk forderte unterschiedliche Interpretationen seiner Auffassung von Ökonomie heraus. So etwa kennzeichnete Hennis Weber als einen Nationalökonomen alteuropäischen Zuschnitts (Hennis 1988). Dem entgegnet Norkus, dass Weber sich eben aus der alteuropäischen Tradition der Ökonomie als praktischer Lebenswissenschaft zu lösen suchte, um zur positivistischen Wissenschaft aufzuschließen (Norkus 2001: 57 ff). In diesem Sinn habe sich Weber daher der neoklassischen Theorie anzunähern gesucht, aber seine Ökonomie stelle eine Vermischung verschiedener Traditionen dar. Norkus hebt auch die besondere Bedeutung von Wiesers Theorie der gesellschaftlichen Wirtschaft für Webers Sozialökonomik hervor, was die Auswahl dieses Werkes für den Grundriss der Sozialökonomik belegt. Im Gefolge des Aufstiegs der Wirtschaftssoziologie in den letzten Jahrzehnten wird Webers Werk als eine vielschichtige und fruchtbare Grundlegung derselben gesehen (Swedberg 1998) und damit auch eine „andere“, eine „soziologische“ Wirtschaftsauffassung angenommen. Norkus zweifelt dies an, da Weber eigentlich nur „soziologische Grundkategorien der Wirtschaft“ entwickelt habe, die einen starken Bezug zum Recht offenbaren. Neben diesen Begriffen habe sich Weber vor allem mit der ökonomischen Relevanz nichtwirtschaftlicher Erscheinungen beschäftigt; wenn man dies als Wirtschaftssoziologie verstehen wolle, so umfasse dies fast alles, was Weber geschrieben habe (Norkus 2001: 99). Die Betonung von individuellem Handeln und Zweckrationalität bringe Webers Auffassung in die Nähe der Rational Choice-Theorien der Gegenwart bzw. der „ökonomischen Soziologie“ (Norkus 2001: 85 ff). Suchanek sieht Ähnlichkeiten mit der „ökonomischen Gesellschaftstheorie“ insbesondere der Buchanan-Schule (Suchanek 1996). Die Bezüge zum Neo-Institutionalismus lassen sich auch mit Webers Beachtung des modernen Unternehmens als zentraler Institution des modernen Kapitalismus, aber auch als typischer rationaler Akteur begründen. Auch Peukert lehnt die Auffassung ab, wonach Weber die Grundlage für eine Wirtschaftssoziologie bzw. für eine heterodoxe Ökonomie entwickelt habe. Weber habe zwar die Grenznutzenterminologie und die Wirtschaftstheorie von der Menger-Schule übernommen, aber nicht zwischen dieser und den utilitaristischen Ansätzen differenziert. Er habe daher die in den Schriften der Österreicher enthaltenen „heterodoxen“ Elemente von Zeit, Subjektivität und Ungewissheit nicht berücksichtigt. Auf Grund seines engen und statischen Verständnisses von Rationalität und Wirtschaft sei Webers Programm daher nur von begrenzter Relevanz für die Wirtschaftssoziologie und für eine heterodoxe Ökonomie (Peukert 2004). Stephen Parsons widerspricht Peukert vehement und meint, Weber habe Unsicherheit, Sub-
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jektivität und Zeit in seiner Differenzierung zwischen objektiver und subjektiver Rationalität berücksichtigt (Parsons 2006). Peukert kann zugestimmt werden, soweit Weber sich auf Wirtschaftstheorie bezieht, denn für ihn ist sie eigentlich nur der idealtypische Ausdruck des modernen rationalen Denkens und Handelns. Weber betont daher die objektive Rationalität der Wissenschaft, die immer „richtig“ im kausalwissenschaftlich-methodischen Sinn sei, was Unsicherheit und Subjektivität ausschließt. Die Divergenz der Interpretationen beruht weitgehend darauf, dass sich die Kommentatoren auf unterschiedliche Ebenen des Weberschen Werkes beziehen: Peukert diskutiert die wirtschaftstheoretischen Implikationen von Webers Ökonomie, Parsons argumentiert auf der Basis von Webers „Wirtschaftssoziologie“. Beide versuchen, Webers Auffassung aber als konsistente Einheit zu kommentieren, was auf Grund der doppelten Methodologie Webers zu Missverständnissen führen muss. Parsons bemerkt zwar zu Recht die Analogie zwischen Menger und Weber im Hinblick auf die beiden eigentümlichen Differenzierungen zwischen zwei Ebenen der theoretischen Forschung: Bei Menger waren dies die „exakte“ Wirtschaftstheorie und die empirisch-realistische Forschung, bei Weber die „reinen“ Typen und die Richtigkeitsrationalität der Wissenschaft einerseits und die kulturwissenschaftliche Analyse der historischen Wirklichkeit andererseits. Parsons schließt daraus, Weber habe die empirisch-realistische Forschung Mengers realisiert, übersieht dabei aber einen fundamentalen Unterschied zwischen beiden: Bei Menger bleiben beide Stränge forschungspraktisch und methodologisch getrennt; demgegenüber versucht Weber zwei unterschiedliche Erkenntnisweisen, Kausalität und Verstehen, miteinander forschungspraktisch zu einer objektiv begründeten und subjektiv wertbezogenen kulturwissenschaftlichen Ökonomie zu verbinden. Dies erzeugt jedoch eine Ambivalenz und auch eine Widersprüchlichkeit auf methodologischer Ebene, die sich auch in der Rekursivität der Begrifflichkeiten Webers spiegelt, die einer eindeutigen Interpretation und Einordnung von Webers Ökonomie entgegensteht. Weber war nicht an „praktischer“ Ökonomie interessiert und konnte sich – durchaus zu seinem eigenen Bedauern – nicht dem Ausbau der Wirtschaftstheorie widmen; sein Bemühen galt vielmehr der historischen Erkenntnis, für die er theoretische und objektive Grundlagen einforderte. Die Wirtschaftstheorie war für ihn keine Alternative zur historischen Sozialwissenschaft, sondern ein methodisches Instrument, das der historischen Erkenntnis dient, diese zwar nicht erschöpfend erklären kann, aber als Idealtypus selbst Kulturbedeutung besitzt (Rossi 1988: 154). Die Kulturbedeutung des Kapitalismus, aber auch der Ökonomie zu untersuchen, erscheint insbesondere unter gegenwärtigen Bedingungen wieder als eine fruchtbare und notwendige Perspektive; sie impliziert auch die Analyse der Wechselbeziehung zwischen Wahrnehmung und Handeln, zwischen Wissenschaft und Praxis. In diesem Sinn war der Idealtypus für Weber Instrument der Erkenntnis, das als Grenzfall dient, um die Wirklichkeit damit zu vergleichen und zu erkennen. Gleichzeitig war er sich aber auch bewusst, dass die theoretischen Konstrukte auf die Wirklichkeit zurückwirken, etwa die als typisch angenommene Zweckrationalität ihrerseits verhaltensleitend wirkt und zu einer Rationalisierung des Handelns führt, die das Deutungsschema wiederum legitimiert (Weber 1988a: 131). Die objektive, auf Wissenschaft beruhende „Richtigkeitsrationalität“ (Weber 1988e: 433) macht durch die Legitimierung formaler Rationalitätsmaßstäbe aus der Eigennutzmaximierung eine „Regelmaximierung“ (Norkus 2001: 418 ff). Planung und Berechenbarkeit leiten als
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Norm und Zwang das praktische Handeln. Weber sprach diesbezüglich vom „ehernen Gehäuse“ der Bürokratie, was seine realistisch-resignative Haltung gegenüber der Versachlichung des modernen Lebens offenbart, die eben nicht in individueller Wahlfreiheit des Handelns resultiert (Udehn 1981). Diese Reflexivität der Theorie in Bezug auf das reale Denken und Handeln ist ein wichtiger Ansatzpunkt in Webers Werk, nicht so sehr für die Erkenntnis der Kulturbedeutung der Ökonomie in seinem Sinn als Idealtypus, als vielmehr für die Analyse der Verbreitung ökonomischen Wissens und seiner sozialen und kulturellen Konsequenzen in der Praxis. Dies ist aber auch für die Bestimmung der Grenzen zwischen orthodoxer und heterodoxer Ökonomie von Bedeutung. In der Wirtschaft und Gesellschaft komme es, so meinte Weber, zu einer asymptotischen Annäherung der Wirklichkeit an die exakte Wirtschaftstheorie (Weber 1988d: 395) bzw. der praktischen Rationalität an die theoretische Rationalität (Kalberg 1980). In diesem Sinn kann man sagen, dass die Wirtschaftstheorie sowohl normative als auch empirische Geltung besitzt (Norkus 2001: 77). Sie ist historischer Idealtypus, der die kulturelle Wertbeziehung der Wirtschaft in der Kultur einer Epoche widerspiegelt, sich aber mit dieser verändert. Sie kann als Orthodoxie demzufolge nur solange als Selbstzweck betrieben werden, als sie die typischen Züge der modernen Wirtschaftsweise enthält; ihre Legitimität muss sie aber gleichzeitig und ständig durch die Orientierung an der Wertbeziehung und den Vergleich mit der Wirklichkeit belegen. Was als orthodox verstanden wird, verändert sich durch die subjektiven Zuschreibungen innerhalb der Wissenschaftlergemeinschaft, aber auch durch die Wertsetzungen in unserer Kultur. Webers idealtypische Methode kann daher dazu dienen, die historischen Wandlungen in der Differenzierung orthodoxer und heterodoxer Ökonomie zu bestimmen, aber auch die Berechtigung der Orthodoxie zu hinterfragen.
Die Ökonomie in Parsons’ Systemtheorie Talcott Parsons (1902-1979) war als Schöpfer der strukturell-funktionalen Theorie sozialer Systeme einer der prominentesten Soziologen des 20. Jahrhunderts. Hinsichtlich seiner intellektuellen Biographie und der vielfältigen Einflüsse, die er in seinem Werk verarbeitete, muss auf andere Quellen verwiesen werden (Parsons 1975; Mikl-Horke 2001b: 211 ff). Hervorzuheben ist hier der große Einfluss, den das Werk Webers auf ihn ausgeübt hatte, das er jedoch auch in seinem Sinn interpretierte. Das manifestierte sich etwa in der Überarbeitung der Übersetzung und der Herausgabe der ersten vier Kapitel aus Webers Wirtschaft und Gesellschaft (Weber 1947), ein Text, der mehr von Parsons als von Weber enthält (Tribe 2007; Cohen et al. 1975). Die Auseinandersetzung mit der Ökonomie durchzog Parsons’ Werdegang, wurde aber lange Zeit nicht beachtet, so dass man meinte, „Parsons had relatively little interest in the ‘economic base’ of society.” (Turner 1996, 42). Tatsächlich spiegeln sich jedoch in Parsons’ Werk die Entwicklungen innerhalb der Ökonomie von seinem frühen Kontakt mit der institutionalistischen Ökonomie am Amherst College, seiner Konfrontation mit der neoklassischen Lehre in deren Hochburg Harvard, der Rezeption der Ansätze von Knight, Robinson und anderen bis zu seiner Verarbeitung der Ökonomie Keynes’.
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Zeitlich kann man Parsons’ Auseinandersetzung mit der Ökonomie in zwei Phasen einteilen (Beckert 1997: 199 ff): In die frühen Aufsätze und deren Kulmination in The Structure of Social Action von 1937 und in die Wiederaufnahme der Befassung mit Ökonomie seit den Marshall-Lectures von 1953, was 1956 zur Publikation von Economy and Society zusammen mit Neil J. Smelser führte. Dazwischen vollzog er einen „shift away from economics“ (Brick 2000) und konzentrierte sich auf die Ausformulierung seiner Theorie sozialer Systeme. Diese bildete dann auch die Grundlage für seine Behandlung der Wirtschaft als Subsystem der Gesellschaft in Economy and Society.
Die Ökonomie und die nicht-ökonomischen Aspekte der Wirtschaft Die frühen Aufsätze Parsons’ belegen seine Unzufriedenheit mit dem Mangel an Theorie im Institutionalismus, die wie bei Weber auch eine ihrer Ursachen im Einfluss von Kants Erkenntnistheorie hatte. Auch er wandte sich der neoklassischen Ökonomie zu, die in dieser Zeit zur Orthodoxie aufstieg. Er fand jedoch bald, dass ihre Vertreter von Marshall über Robbins bis Taussig zwar die „ökonomischen“ Faktoren erklären können, die „nichtökonomischen“ Faktoren jedoch häufig entweder vollkommen ausblendeten oder untheoretisch abhandelten (Parsons 1931; Parsons 1932). Diese ‘Sociological Elements in Economic Thought’ (Parsons 1935b) suchte Parsons herauszufiltern, was Swedberg treffend als „teasing out of sociology from economics“ (Swedberg 2006) bezeichnet. In der bisherigen Behandlung von „ökonomischen“ und „nicht-ökonomischen“ Faktoren erblickte Parsons eine methodische Asymmetrie: Einem abstrakten Modell steht eine empirische „middle range“-Forschung gegenüber. Das mache, so meinte er, eine Integration der beiden Wissenschaften von Ökonomie und Soziologie, wie sie etwa Adolph Lowe anstrebte, unmöglich (Parsons 1991a: 279 ff). Nur wenn auch die „nicht-ökonomischen“ Faktoren auf gleiche Augenhöhe theoretischer Konzeptualisierung mit der Wirtschaftstheorie gebracht werden, sei es möglich, Ökonomie und Soziologie systematisch aufeinander zu beziehen. Dies kann Parsons zufolge nur in Form eines Begriffsschemas auf der Basis des analytischen Begriffsrealismus erfolgen; das aber erfordert eine logisch übergeordnete, synthetische Metatheorie. Diesem Ziel näherte sich Parsons in seinem ersten großen Werk, The Structure of Social Action (Parsons 1937). Er diskutiert darin die Werke von Marshall, Pareto, Durkheim und Weber und ortet als deren zentralen Begriff den des Handelns, was Parsons mit einem pragmatischen Voluntarismus begründet, der sich gegen den Determinismus einer ‚menschlichen Natur‘ richtet und von der willensbetonten und handlungspraktischen Orientierung der einzelnen an der Gemeinsamkeit von Werten und Normen ausgeht (Parsons 1937: 683). Im Gegensatz zu Weber wies Parsons die Auffassung zurück, wonach Institutionen das Resultat der individuellen Handlungen sind; er sah sie vielmehr begründet in einem „socially integrated system of ultimate ends“ (Parsons 1935a: 163). Für Parsons gibt es weder „rein ökonomische“ noch „rein individuelle“ Motive, denn das wirtschaftliche Handeln ist in seiner Sicht durch die Internalisierung der gesellschaftlichen Werte geprägt, ohne dass dies einen Widerspruch zum freien Willen der Menschen und ihrer Möglichkeit der Entscheidung im Handeln begründet. Die „intermediate ends“ der Individuen sind daher durch den
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Handlungszusammenhang der Gesellschaft miteinander verkettet und reflektieren die gesellschaftlichen Werte und Normen, die für Parsons der zentrale Ansatzpunkt der Soziologie sind (Parsons 1935a). Durch den Bezug der individuellen Zweckrationalität auf die normative Ordnung stellt jedes Handeln „in fact, the process of alteration of the conditional elements in the direction of conformity with norms“ (Parsons 1937: 732) dar. Der Handlungsbegriff kann demzufolge nicht einfach auf eine Zweck-Mittel-Logik reduziert werden, da jede einzelne Handlung Teil eines Handlungssystems ist, das auch erst die Referenzgröße für die Bestimmung der Rationalität abgibt. Rationalität ist keine Eigenschaft, die der individuellen Handlung zugeordnet werden kann, sondern wird auf das Handlungssystem bezogen. Der „action frame of reference“ (Parsons 1937: 731 ff), der als gemeinsames Begriffsschema für die ökonomischen und nicht-ökonomischen Faktoren des Handelns dienen soll, umfasst als logische Elemente ein Ziel, eine durch Bedingungen und Mittel bestimmte Situation, sowie die normative Orientierung der Akteure an der Situation. Die „unit acts“ fügen sich in ein System interdependenter Aktionen ein und werden zu „system units“ im Rahmen von sozialen Handlungssystemen, die sich durch Komplexität auf Grund der Differenzierung und Interdependenz der Elemente auszeichnen. Soziologie, Politikwissenschaft und Ökonomie werden zu „primären analytischen Wissenschaften des Handelns“ verbunden, deren jeweilige zentrale Objektbereiche Werte, Macht und Rationalität sind (Parsons 1937: 768).
Die Integration der Wirtschaftstheorie in die Systemtheorie der Gesellschaft Nach einer Zeit der Konzentration auf die Ausformulierung seiner Theorie sozialer Systeme wandte sich Parsons wieder verstärkt der Ökonomie zu. Diese hatte inzwischen vor allem durch Keynes eine neue Entwicklung genommen und Parsons sah darin wie auch in den Theorien unvollkommener Konkurrenz, den Konjunkturtheorien und anderen neueren Ansätzen viel versprechende Möglichkeiten zur Integration von Ökonomie und Soziologie. Im Jahr 1953 nahm er eine Einladung zu „Marshall-Lectures“ in Cambridge wahr (Parsons 1991b). Darin bringt er sein Ziel der Formulierung einer einheitlichen Theorie sozialer Systeme, in der die Wechselbeziehungen und Austauschprozesse der Wirtschaft mit allen anderen Bereichen erfasst werden können, zum Ausdruck (Smelser 1991). Systematisch entwickelte Parsons seine Auffassung dann in Economy and Society (Parsons und Smelser 1956; vgl. auch Camic und Gorski/Trubek 2005). Dieses Buch richtete sich explizit an Ökonomen als eine Einladung zur Mitwirkung am Ausbau einer universellen Theorie sozialer Systeme, so dass „Economic theory need not remain an ‚island’ of theoretical specificity totally alone in an uncharted ‚sea’ of theoretical indeterminacy“ (Parsons und Smelser 1956: 308). Die Wirtschaftstheorie wird darin als spezieller Fall der Theorie sozialer Systeme, die wiederum auf der Grundlage der Handlungstheorie beruht, aufgefasst. Ihre grundlegenden Konzepte mussten dafür entsprechend umformuliert werden; so meint Parsons etwa in Bezug auf den Nutzenbegriff: „From our point of view, therefore, utility or the satisfaction of wants should not be defined in relation to the individual but in relation to the society“ and „the goal of the economy is not simply the production of income for the utility of an aggregate of individuals. It is the maximization of production relative to the whole complex
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of institutionalized value-systems and functions of the society and its sub-systems“ (Parsons und Smelser 1956: 21/22). Die innere Struktur der Wirtschaft umfasst entsprechend den vier von Parsons definierten Funktionen, die in allen Sozialsystemen gewährleistet sein müssen:
das Produktionssubsystem, das die Zielfunktion der Maximierung der Produktion innerhalb bestimmter Grenzen erfüllt, Finanzierung und Investition leisten die Anpassungsfunktion durch Bereitstellung der notwendigen Kapitalressourcen, das Subsystem der „economic commitments“ sichert die kulturellen und motivationalen Voraussetzungen der Strukturerhaltung und die unternehmerische Leistung der Organisation besorgt die Integration der wirtschaftlichen Interaktionen.
Die Produktion ist für Parsons das Ziel des Wirtschaftens. Kapital stellt die zentrale wirtschaftliche Ressource dar und dem Investor kommt daher eine Kernrolle im Wirtschaftssystem zu. Arbeit wird durch die Leistungsorientierung repräsentiert und als Voraussetzung für die Erhaltung des Systems betrachtet. Die Unternehmerfunktion wird von Parsons in der integrativen Leistung der Organisation gesehen, was mehr der Managementfunktion und weniger den Aspekten der Risikoübernahme oder der schöpferischen Innovation entspricht (Parsons und Smelser 1956: 44). „Wirtschaft“ vollzieht sich durch Austauschprozesse zwischen den Subsystemen innerhalb des Wirtschaftssystems. Investition etwa ist eine „Operation“, an der das Finanzierungssystem und das Produktionssystem beteiligt sind. Da Wirtschaft für Parsons aber auch einen strukturell differenzierten Funktionsbereich, der Leistungen für die Gesellschaft erbringt, darstellt, steht das Wirtschaftssystem in Wechselbeziehung mit den anderen Subsystemen der Gesellschaft: dem politischen Gemeinwesen, dem Wertesystem und dem institutionellen Subsystem. Die Ziele, die Ressourcen, die Werte und die Normen der Wirtschaft entstehen in diesen bzw. in Wechselbeziehung zwischen allen Subsystemen. Die Institutionen und Normen, die die wirtschaftliche Leistung und die Marktprozesse stützen, insbesondere Vertrag, Eigentum, Beruf und Geld, sind in rechtlichen, politischen und kulturellen Bezügen begründet. Die Bedürfnisse als Grundlage der Produktion werden in den privaten Haushalten gebildet, genauso wie die ökonomische Motivation und auch die unternehmerische Orientierung durch Sozialisation und Enkulturation entstehen. Daher meint Parsons, dass die Wohlfahrtsökonomie auf eine soziale Basis gestellt werden muss, damit der Begriff „welfare“ auf das Wertesystem und die anderen Bereiche der Gesellschaft bezogen werden kann. Parsons und Smelser kritisieren jedoch nicht die Wirtschaftstheorie, streben nicht nach einer „anderen“, einer heterodoxen Ökonomie; sie suchen vielmehr nach Verbindungen zwischen der Wirtschaft, wie sie die Ökonomie definiert und den anderen gesellschaftlichen Bezugssystemen im Rahmen ihrer Theoriesprache. So stellen sie etwa Übereinstimmungen zwischen den funktionalen Voraussetzungen sozialer Systeme: Strukturerhaltung, Zielerreichung, Anpassung, Integration und den Produktionsfaktoren nach Marshall: Grund und Boden, Arbeit, Kapital und Organisation, fest. Besonders große Übereinstimmungen erblicken sie aber in Keynes’ General Theory, da dessen Begriffe wie „propensity to consume“,
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„liquidity preference“ etc. auf außerökonomische Faktoren verweisen. Allerdings müssen sie in die Sprache der funktionalen Systemtheorie übersetzt werden. Die Konsumneigung wird dann zum „boundary interchange“ zwischen dem Produktionssystem (Arbeitskosten) und der konsumtiven Kaufkraft im System der privaten Haushalte (Einkommen) und die Liquiditätspräferenz zur Beziehung zwischen der Sparrate der Haushalte und dem Finanzierungssystem. Märkte sind als soziale Interaktionssysteme in der Gesellschaft verankert und reflektieren als spezifische „soziologische Typen“ die jeweiligen Beziehungen zwischen ökonomischen und außerökonomischen Elementen (Parsons und Smelser 1956: 143 ff). Die Unvollkommenheit von Märkten kann daher, wie Parsons betont, nicht „rein ökonomisch“ erklärt werden, da sie sozialstrukturell und institutionell bedingt ist (Parsons 1991b: 55). Risiko und Ungewissheit auf Grund unvollständiger Information können nur durch außerökonomische Faktoren, etwa institutionelle Regeln und Kontrollen bzw. Vertrauen, gemildert werden. Parsons und Smelsers Theorie scheint eine von der Wirtschaftstheorie sehr unterschiedliche Sichtweise zu präsentieren, und in mancher Hinsicht knüpft Parsons eher an die klassische als an die neoklassische Nationalökonomie an (Holton und Turner 1986: 25 ff). Das Ziel war aber nicht darauf gerichtet, eine andere Wirtschaftstheorie zu konzipieren, sondern „to articulate successfully with economic theory“ (Parsons und Smelser 1956: 308), denn „The main thesis is that economic theory and the theory of social systems are part of one single master conceptual scheme“ (Parsons 1991b: 57). Die Abkehr vom Keynesianismus in der Ökonomie und die Ansprüche von neoklassischen Wirtschaftstheoretikern, auch soziales Verhalten und Institutionen „ökonomisch“ erklären zu können, führten in den 1970er Jahren zu einer Änderung in Parsons’ Einstellung, was sein letztes posthum erschienenes Werk von 1978, das erst 2007 veröffentlicht wurde (Parsons 2007: 227 ff), vermuten lässt. Darin wendet er sich nun kritisch nicht nur gegen die marxistischen, sondern auch gegen die neoklassischen Ansprüche einer „ökonomischen“ Erklärung der Gesellschaft. Als Reaktion verstärkt Parsons die Betonung von Gemeinschaftswerten und Solidarität. Die Wirtschaft definiert Parsons nun zwar als „a set of markets“, versteht Märkte aber als „solidary social systems“ (Parsons 2007: 241 ff), als Gemeinschaftsformen von Produktion und Konsum, die auf Lebensstilen beruhen und diese ihrerseits prägen.
Kritik und Relevanz Parsons’ Konzeption zog Kritik von verschiedenen Seiten auf sich; man warf ihr vor, dass sie allzu institutionell-normativ orientiert sei (Dalziel und Higgins 2006: 117) und von einem übersozialisierten Menschenbild (Granovetter 1985) ausgehe, dass sie soziale Konflikte und Wandel nicht erklären könne, dass sie zu abstrakt und empirisch nicht umsetzbar sei, dass sie zu sehr auf den amerikanischen Kapitalismus bezogen sei und vieles mehr. Von Seiten der Wirtschaftssoziologie wird Parsons vorgeworfen, die Soziologie nur als Ergänzung einer orthodoxen Wirtschaftstheorie zu behandeln und die Trennung von Ökonomie und Soziologie im Sinne von Paretos Arbeitsteilung aufrecht zu erhalten (Velthuis 1999; Holmwood 2006: 152). Dabei wird häufig übersehen, dass Parsons wie auch Pareto auf
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zwei Ebenen argumentierte; beide gingen zwar von den Einzeldisziplinen aus, suchten sie aber auf einer metatheoretischen Ebene zu integrieren. Auch die Ökonomen nahmen von seinem Versuch einer metatheoretischen Integration keine Notiz und sahen ihn als Soziologen, der die Wirtschaftstheorie seiner Gesellschaftstheorie untergeordnet hatte. Parsons’ “grand theory“ wurde auf eine soziologische Objekttheorie reduziert und sein Versuch der Verbindung von „catallactics“ und „sociologics“ (Zafirovski 2003) wurde zur Wirtschaftssoziologie, zur “economic sociology of modern capitalism, a sociological conception and analysis of the social, notably institutional and cultural, conditions of the capitalist society“ (Zafirovski 2006: 76). Aber Parsons’ Versuch einer theoretischen Anknüpfung der getrennten Begriffssysteme von Ökonomie, Soziologie und anderer Handlungswissenschaften kann für die Gegenwart neue Relevanz gewinnen, um nach Jahrzehnten der „Entbettung“ der Wirtschaft durch Deregulierung und Neoliberalismus die Einsicht zu fördern, dass wir sie wieder mit den Bedürfnissen, Werten und Zielen der Menschen in ihren gesellschaftlichen und kulturellen Bezügen zusammen denken müssen (Beckert 1997: 287). „The Parsonian version of integration constitutes a kind of utopian formula for stability“ (Smelser 2005: 264) und erhält dadurch auch Relevanz für die Vision einer globalen moralischen Ordnung, die notwendig ist für die Überwindung der negativen Konsequenzen der turbokapitalistischen Epoche. Jedenfalls erscheint es vorschnell, die Parsons’sche Theorie zugunsten einer an instrumentellen Problemen wirtschaftlicher Effizienz orientierten Betrachtung der Wirtschaft zu verwerfen (Beckert 2006). Wenngleich sie der Ökonomie gegenüber keine kritische Haltung einnimmt, enthält sie doch durch die zentrale Bedeutung, die sie der Wertegemeinschaft und der Sozialordnung zuweist, Anknüpfungspunkte für eine andere Sicht wirtschaftlicher Probleme.
Ökonomie und „neue“ Wirtschaftssoziologie: Mark Granovetter Die Wirtschaftssoziologie hat seit den 1980er Jahren einen bemerkenswerten Aufstieg erfahren. Der Aufsatz Economic Action and Social Structure: The Problem of Embeddedness von Mark Granovetter wird allgemein als Ausgangspunkt der „neuen Wirtschaftssoziologie“ betrachtet (Granovetter 1985), weshalb sich die folgenden Ausführungen vor allem auf Granovetters Werk beziehen.
Granovetters Kritik der neuen Institutionenökonomie Ausgangspunkt Granovetters ist die Kritik an der ökonomischen Erklärung der Institutionen und Organisationen, womit er, ohne dies zu beabsichtigen, an Parsons’ letztes Buch anschließt. Granovetter kritisiert insbesondere Oliver Williamsons Markets and Hierarchies von 1975 (Granovetter 1985: 487 ff). Dabei geht es Granovetter nicht um die Berechtigung der Transaktionskostentheorie als Grundlage von „make-or-buy“- Entscheidungen, sondern um die Zurückweisung der Auffassung des Marktes als atomisiertes und anonymes Feld
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opportunistischer Individuen und von Unternehmen als „Hierarchie“, die auf Grund der Erkenntnis von Kosteneffizienz wie ein „deus ex machina“ entsteht. ‚Markt‘ oder ‚Hierarchie‘ ist für Granovetter nicht eine Frage der effizienten Organisationsform, sondern der Struktur der Beziehungen der Marktteilnehmer und ihrer Dynamik. Das führt dazu, dass die Zwischenformen zwischen Markt und Hierarchie eigentlich typisch für die Wirtschaft sind und auch ihrer Dynamik besser gerecht werden. Wie White gezeigt hat, orientieren sich Unternehmen als die typisch rationalen Akteure nicht so sehr an einer amorphen Nachfrage, sondern an den anderen Firmen im Markt; die gegenseitige Beobachtung führt zur Konstitution und Strukturierung des Marktes, in dem jedes Unternehmen seine Position einnimmt (White 1981). Granovetter kritisiert auch Williamsons Verhaltensannahmen; dieser lässt zwar die Annahmen der Vollkommenheit des Marktes und der Vollständigkeit der Information fallen, geht aber von isolierten individuellen Akteuren aus, die rational nach Nutzenmaximierung streben. In einem unvollkommenen Markt mit unvollständiger Information wird die Verfolgung des Eigennutzens von einer „civilized gentlemanly activity“ (Granovetter 1985: 488) des klassischen „homo oeconomicus“ zum Opportunismus der Akteure, die trickreich und „with guile“ ihren Vorteil verfolgen. Das lässt das Problem unredlichen Verhaltens entstehen und bedingt im Gegenzug die Betonung der Notwendigkeit von Vertrauen. Wenn Ökonomen dann auf Werte und Normen als Mittel, um unredliches Verhalten einzudämmen, verfallen, nehmen sie an, dass diese unmittelbar das individuelle Handeln bestimmen, so dass man nur die Normen kennen muss, um das Verhalten prognostizieren zu können. Die Individuen verhalten sich den Annahmen nach daher entweder als mechanische Normenrealisierer oder als opportunistische Nutzer von Regelungen. Man unterstellt, wie Granovetter meint, entweder ein untersozialisiertes oder ein übersozialisiertes Menschenbild. In beiden Fällen kommt es jedoch zu einer „Ökonomisierung“ der Normen und Institutionen, die nur mehr nach ihrer wirtschaftlichen „Effizienz“ beurteilt werden. Dem hält er entgegen, dass Werte und Normen ihre konkrete Bedeutung erst in den Interaktionsprozessen erhalten, in welchen auch neue Regeln entstehen können. Granovetter hebt den emergenten Charakter von Normen hervor; sie werden in jeder sozialen Situation durch die Akteure im Zuge ihrer Interaktionen interpretiert und modifiziert (Granovetter 1985: 1992).
Die Einbettung wirtschaftlichen Handelns in sozialen Netzwerken Sowohl das über- als auch das untersozialisierte Menschenbild vernachlässigt die Bedeutung der sozialen Beziehungen im tatsächlichen Wirtschaftsleben. Dazu meint Granovetter: „Actors do not behave or decide as atoms outside a social context, nor do they adhere slavishly to a script written for them by the particular intersection of social categories that they happen to occupy. Their attempts at purposive action are instead embedded in concrete, ongoing systems of social relations.” (Granovetter 1985: 487) Granovetter bestimmt daher die sozialen Beziehungen und Netzwerke, in die das wirtschaftliche Handeln der Individuen „eingebettet“ ist und die sich in ständiger Veränderung befinden als diejenige Ebene der empirischen Erforschung, die bisher vernachlässigt wurde.
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Diese Perspektive enthält Implikationen für die theoretische Konzeption wirtschaftlichen Handelns. Granovetter formuliert sie als drei Grundannahmen:
Im wirtschaftlichen Handeln vermischen sich die ökonomischen Interessen der Individuen mit nicht-ökonomischen Motiven wie Prestige, Macht, Anerkennung etc. Wirtschaftliches Handeln ist sozial konstituiert, weil es sich in sozialen Situationen und in Interaktion mit anderen vollzieht. Was ökonomisch rational ist, ist nicht mit Bezug auf rein individuelle Zweck-MittelRelationen zu bestimmen, weil sich darin die Bezugnahmen auf die soziale Umwelt, auf Werte und Normen spiegeln; „ökonomisch“, „rational“ etc. sind sozial konstruierte Kategorien.
Das wirtschaftliche Handeln kennzeichnet Granovetter durch eine untrennbare Mischung aus ökonomisch-instrumentellen und sozial-kooperativen Orientierungen; Menschen handeln zwar durchaus rational, aber sie streben nicht nur nach Gewinn und Einkommen, sondern auch nach Sicherheit und nach Solidarität. Darüber hinaus entwickeln sich unvermeidlich im Verlauf von länger dauernden und wiederholten sozialen Interaktionen persönliche Beziehungen, die in vielen konkreten Situationen Kooperation statt Konkurrenz begünstigen. Wirtschaftliches Handeln erfolgt daher im Rahmen von Netzwerken sozialer und persönlicher Beziehungen, die die Motive, Bewertungen und Ressourcen der Individuen bestimmen. Diese Sicht einer untrennbaren Verbindung von Akteuren und Netzwerken vertritt noch dezidierter die sog. „actor-network-theory“, die die Trennung zwischen „agency“ und „structure“ aufhebt. Netzwerke treten an die Stelle der Marktkonkurrenz bzw. strukturieren die Transaktionen und die Motive und Ressourcen der beteiligten Individuen lassen sich nicht davon unabhängig denken (Callon 1998: 6 ff). Die Bedeutung sozialer Beziehungen gilt insbesondere auch für Markttransaktionen von Unternehmen und begründet die „embeddedness of business in social relations“ (Granovetter 1985: 497). Granovetter betont die Bedeutung von kooperativen Beziehungen zwischen Unternehmen auf Grund der persönlichen Kontakte zwischen ihren Repräsentanten auf allen Ebenen. Granovetter schenkt daher den „interfirm relations“, den Unternehmensnetzwerken und „business groups“ große Aufmerksamkeit als einem zentralen Gegenstand der neuen Wirtschaftssoziologie (Granovetter 1995; Granovetter 2005b). Netzwerke spielen eine große Rolle in der Wirtschaft; sie wirken aber nicht nur in der „weißen“ Wirtschaft, sondern spielen besonders in devianten Wirtschaftsformen eine große Rolle (Granovetter 2007). Darüber hinaus schließt Granovetter auf Grund von anthropologischen Untersuchungen, dass der große Unterschied zwischen vormodernen und modernen Gesellschaften im Hinblick auf das wirtschaftliche Verhalten übertrieben dargestellt wurde. Entgegen der Auffassung von Karl Polanyi und dessen Begriff der Einbettung stellt Granovetter fest, dass auch die moderne Wirtschaft „embedded“ ist, bezieht sich dabei allerdings vor allem auf die Ebene der mikrosozialen Beziehungen (Granovetter 1993). Die meisten Beispiele zeigen, dass „clientelization“ und „intergroup decoupling“, wie es etwa „ethnic businesses“ aufweisen, in allen Gesellschaften existieren und sich in wirtschaftlicher Hinsicht meist positiv auswirken; weder stellen sie in vormodernen Kontexten nur einen Ersatz für fehlende formale Institutionen dar, noch sind sie atavistische Überreste in rationalen moder-
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nen Kontexten (Granovetter 1995). Daher stellt Granovetter fest: „The empirical evidence is overwhelming that prices and exchange ratios in societies of all kinds are affected both by supply and demand and by a variety of social structural effects.“ (Granovetter 1993: 32)
Die Mikrosoziologie der Märkte und darüber hinaus Die Einbeziehung sozialer Faktoren in die Erklärung der Marktprozesse kann dazu beitragen, diese nicht nur realistischer beschreiben zu können, sondern sie auch im Hinblick auf das wirtschaftliche Ergebnis positiv zu beeinflussen. Aus dieser Perspektive entstanden gerade in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Untersuchungen, die den Einfluss von Normen, institutionell-politischen Regelungen und kulturellen Faktoren auf Wirtschaftswachstum, Produktivität und allgemein auf „Effizienz“ behandeln. Auch innerhalb der neuen Wirtschaftssoziologie wurden die wirtschaftlichen Effekte sozialer Netzwerke erforscht. Diese beziehen sich auf den Fluss und die Qualität der Informationen, auf die Wirkungen von Sanktionen auf Grund von persönlichen Bindungen auf das Verhalten und auf die Bildung von Vertrauen durch gegenseitige Verpflichtung. Soziale Beziehungen und Netzwerke werden als eine Art „Sozialkapital“ aufgefasst, in das auch investiert werden muss (Burt 2002). Allerdings meint Granovetter, dass diese Instrumentalisierung sozialer Beziehungen auch nachteilige Auswirkungen haben kann. Er stellt daher zwar die Relevanz der sozialen Beziehungen für die reale Wirtschaft fest, wobei er paradigmatische Bezüge auf den Arbeitsmarkt, die Preise und die Diffusion von Innovationen anführt (Granovetter 2005a), moniert jedoch, dass soziale Beziehungen nicht nur als „Ressourcen“ betrachtet werden dürfen, denn sie besitzen eine eigene Wertigkeit jenseits ihres wirtschaftlichen Nutzens. Die Wirtschaftssoziologie darf sich daher nicht einseitig auf die instrumentelle Sicht sozialer Beziehungen stützen. Eine solche Behandlung sozialer Beziehungen als Ressourcen geht auch an der eigentlichen Bedeutung der Netzwerkperspektive vorbei, da sie wieder rein individuelle Motive und Handlungen einführt, soziale Beziehungen also aus der Sicht der „agency“ betrachtet (Callon 1998: 11). Die neue Wirtschaftssoziologie strebt nach einer genuin „soziologischen“ Erklärung der Kernelemente der Wirtschaft auf der Grundlage empirischer Forschung. Sie versteht sich daher nicht im Sinne einer heterodoxen Ökonomie, sondern als Wirtschaftssoziologie. Da sie sich mit den Kernthemen der modernen Wirtschaft, insbesondere mit Märkten, beschäftigt, ist die Auseinandersetzung mit der Ökonomie unvermeidlich, stellt diese aber nicht in Frage. Trotz seiner Kritik an der Auffassung der Wirtschaftstheorie als „Grammatik der Sozialwissenschaften“ (Granovetter 1992) und an der einseitigen Orientierung an Effizienz in der Institutionenökonomie tritt Granovetter dafür ein, dass die Auseinandersetzung mit der Ökonomie notwendig sei, um die Begriffe der Wirtschaftssoziologie zu schärfen. Diese darf „weder den wertvollen Apparat ökonomischen Denkens aus dem Fenster werfen, noch seiner Verführung zu einer reinen „Rational Choice“-Argumentation erliegen, die den Bezug zur klassischen soziologischen Tradition verliert.“ (Granovetter 1992). Dafür ist, wie Granovetter später feststellt, die Formulierung einer einheitlichen Theorie notwendig, welche die analytische Trennung zwischen „ökonomischen“ und „sozialen“ Motiven, die Grundlage für die „Arbeitsteilung“ zwischen Ökonomie und Soziologie ist, aufgibt (Grano-
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vetter 2002, 36). Granovetter ist sich auch bewusst, dass das Spektrum ökonomischer Ansätze, die für den Diskurs in Frage kommen, weit über den Mainstream hinausgeht. Andere Wirtschaftssoziologen haben Bezüge zur Theorie der Konventionen (Biggart und Beamish 2003; Jagd 2007), zur Regulationstheorie (Boltanski und Chiapello 1999), zu den Austrian economics (Mikl-Horke 2008b), zum neuen „alten“ Institutionalismus und zur politischen Ökonomie (Fligstein 1996; Velthuis 1999) hergestellt. Auch das Interesse an spezifischen Aspekten in den Werken älterer Ökonomen wie Marshall (Aspers 1999), Schumpeter (Swedberg 1995) und die Rückbesinnung auf soziologische Traditionen von Weber bis Bourdieu (Beckert 1997; Florian und Hillebrandt 2006) hat der Wirtschaftssoziologie der Gegenwart neue Impulse verliehen. In diesem Prozess erweiterte sich auch das Themenspektrum der Wirtschaftssoziologie von der mikrosozialen Ebene der Netzwerkanalysen einerseits in Richtung auf klassische soziologische Problemstellungen wie Kultur, Ungleichheit, sozialer Wandel, andererseits im Sinne genauer Analysen konkreter Wirtschaftsprozesse mit Bezug auf das reale Zusammenwirken von ökonomischen, soziokulturellen und politischen Faktoren. Diese Entwicklungen lassen in Bezug auf konkrete Forschungen die Unterschiede zwischen Wirtschaftssoziologie, Sozioökonomie, politischer Ökonomie zunehmend in den Hintergrund treten.
Conclusio Die Ansicht, Soziologen hätten sich nicht mit Ökonomie beschäftigt, konnte am Beispiel der wichtigsten Theoretiker, die man als Begründer und Wegbereiter der Wirtschaftssoziologie sehen kann, widerlegt werden. Die hier dargestellten Konzeptionen aus verschiedenen Zeitperioden belegen die eingehende Auseinandersetzung mit der Ökonomie. Dabei zeigte es sich auch, dass es von der Entwicklung innerhalb der Nationalökonomie abhing, auf welche „Ökonomie“ sich Weber, Parsons und Granovetter bezogen. Für Weber war es die Auseinandersetzung zwischen historischer Nationalökonomie und exakter Wirtschaftstheorie, die bestimmend für sein Werk wurde. Am deutlichsten spiegelt sich die „timeline“ der Ökonomieentwicklung von Institutionalismus, neoklassischer Orthodoxie bis zu Keynesianismus und Mainstream-Synthese in Parsons’ Werk. Ausgangspunkt der neuen Wirtschaftssoziologie war dann die Kritik Granovetters am ökonomischen Neo-Institutionalismus. Weber und Parsons orientierten sich jeweils an den herrschenden Strömungen in der Ökonomie ihrer Zeit, sie suchten nicht die Verbindung zu bestehenden heterodoxen Ansätzen, die sie höchstens, wie im Fall sozialistischer bzw. marxistischer Strömungen, kritisch kommentierten. Weber billigte der neoklassischen Ökonomie zu, den Kern bzw. die Idee der modernen Wirtschaftsweise des rationalen Kapitalismus zu erfassen; er kritisierte sie nicht im Hinblick auf ihre Aussagen über das Funktionieren der modernen Wirtschaft. Er integrierte sie vielmehr in seine kulturwissenschaftliche Sicht, sah sie durch Evidenz legitimiert und durch ihren Einfluss auf das Denken und Handeln als wirklichkeitswirksam. Die kulturwissenschaftliche Ökonomie Webers kann, wenn man will, als eine heterodoxe Ökonomie gelten. Sie ist aber nicht dadurch charakterisiert, dass sie die neoklassische Theorie kritisiert bzw. sie durch eine andere Erklärung moderner Wirtschaftsweise ersetzt.
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Parsons’ Hauptaugenmerk war darauf gerichtet, die „nicht-ökonomischen“ Elemente des Wirtschaftslebens begrifflich zu kodifizieren und theoretisch mit den „ökonomischen“ Elementen zu verknüpfen. Parsons kritisierte zwar die utilitaristischen und individualistischen Grundlagen der „Orthodoxie“ und reformulierte Elemente des Keynesianismus in der Sprache der funktionalistischen Systemtheorie, aber auch er suchte nicht nach einer „anderen“ Erklärung der Funktionsweise der modernen Wirtschaft, sondern nach einer einheitlichen Theorie für Soziologie und Ökonomie. Jene Soziologen, die sich empirisch mit wirtschaftsrelevanten Tatbeständen befassten, sahen ihre Aufgabe ebenfalls nicht in der Kritik der Ökonomie als Erklärung der Funktionsweise des Marktes, sondern suchten nach einem „ sociologic framework (that) does not dismiss market logics…but links them to social structural logics“ (Zafirovski 2003: 331). Erst Granovetter erhebt in bewusster Reaktion auf den „ökonomischen Imperialismus“ den Anspruch einer soziologischen Erklärung der Märkte. Seine Sicht der Märkte zielte daher in gewisser Weise auf eine heterodoxe Theorie der Wirtschaft, die aber im Rahmen der Disziplin der Soziologie verortet bleibt und zunächst auch bestehende heterodoxe Ökonomieansätze nicht berücksichtigt. Lange Zeit standen Wirtschaftssoziologie und heterodoxe Ökonomie getrennt neben einander. Die Dominanz der Orthodoxie, die strikte „Arbeitsteilung“ der Disziplinen von Soziologie und Ökonomie und die Tradition „bürgerlicher“ Sozialwissenschaft bzw. der große Einfluss US-amerikanischer Sozialwissenschaft machten es den Soziologen schwer, sich mit anderen Strömungen innerhalb der Ökonomie zu befassen. Ob sie die neoklassische Orthodoxie akzeptierten oder ihr kritisch begegneten, für die Soziologen war sie „die Ökonomie“, womit sie selbst zwangsläufig dazu beigetragen haben, ein allzu einheitliches Bild von der Ökonomie zu festigen. So manche Ansätze einer „heterodoxen“ Wirtschaftssoziologie, die es auch immer wieder gab, blieben daher unbeachtet oder wurden an den Rand gedrängt. Ein Beispiel für einen erfolgreichen Dialog verschiedener ökonomischer und soziologischer Ansätze stellt hingegen das von Adolph Löwe gegründete American Journal of Economics and Sociology dar und seit einigen Jahren fördert auch die von Amitai Etzioni begründete Society for the Advancement of Socio-Economics Diskurse zwischen Ökonomen aller Richtungen, insbesondere auch heterodoxen Ökonomen, Wirtschaftssoziologen, Politikwissenschaftlern etc. Abschließend bleibt zu fragen, was die hier präsentierten großen theoretischen Konzeptionen, die für verschiedene Epochen in der Entwicklung der Wirtschaftssoziologie als repräsentativ vorgestellt wurden, für eine heterodoxe Sicht der Ökonomie leisten können? Webers Erkenntnis, dass die Ökonomie Kulturbedeutung besitzt und unser Denken über Wirtschaft sowie unser wirtschaftliches Handeln prägt, erscheint gerade in der Gegenwart von großer Bedeutung, da heute Wirtschaftsprobleme und jene, die darüber berichten oder sie zu erklären suchen, eine besonders starke Breitenwirkung entfalten. Das Aufzeigen der Kulturbedeutung und der sozialen Konstruktion der „Wirtschaft“ in Alltag, Öffentlichkeit und Wissenschaft stellt daher einen wichtigen Beitrag der kulturwissenschaftlichen Perspektive dar, denn damit eröffnet sie wieder die Chance, auch die „Wertbeziehung“ der Wirtschaft zu hinterfragen. Durch die in den letzten Jahrzehnten so starke neoliberale „Ökonomisierung“ aller Bereiche, nicht zuletzt auch der Bildung und der Wissenschaft selbst, erscheint es hoch an der
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Zeit, wieder über die Ziele der Wirtschaft zu reflektieren. In diesem Zusammenhang kann Parsons’ Versuch, sie auf Gesellschaft – heute allerdings wohl auch im Sinne der „Weltgesellschaft“ – zu beziehen, wieder neue Relevanz gewinnen. Parsons’ Mehrebenen-Tableau der Austauschprozesse in der Gesellschaft eignet sich jedenfalls dazu, die zahlreichen Wechselbeziehungen zwischen allen Bereichen des Lebens in den Blick zu bekommen. Die Einbettungsperspektive der neuen Wirtschaftssoziologie ist von Bedeutung für ein Überdenken des „ökonomistischen“ Menschenbildes, das gerade im Turbokapitalismus eine erstaunliche Legitimierung erfahren hat. Die Untersuchung der Netzwerkbeziehungen in der Wirtschaft kann Einsichten in die tatsächliche Funktionsweise der Märkte als sozialer Prozesse ermöglichen; die makrosoziologischen Forschungen über Sozialstrukturen, Veränderungsprozesse und institutionell-kulturelle Voraussetzungen und Folgen des modernen Kapitalismus sind darüber hinaus besonders anschlussfähig an „heterodoxe“ Ökonomien.
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Die wirtschaftssoziologische Relevanz der Austrian Economics
3 Die wirtschaftssoziologische Relevanz der Austrian Economics
Für die Wirtschaftssoziologie ist es auf ihrer Suche nach Positionierung zwischen Ökonomie und Soziologie wichtig, ihr eigenes Verständnis von Ökonomie zu reflektieren. Eine Reihe von Beiträgen belegt ein erwachendes Interesse für diese Frage innerhalb der Wirtschaftssoziologie (Aspers 1999; Baron und Hannan 1994; Suchanek 1996; Velthuis 1999; Zafirovski 1999). Dabei konzentriert sich die Aufmerksamkeit jedoch noch immer stark auf die Kritik der Mainstream-Ökonomie, während die Vielfalt von Strömungen innerhalb der Wirtschaftswissenschaft noch erstaunlich wenig Beachtung gefunden hat. Zu den heterodoxen Ökonomien zählen gegenwärtig auch die Austrian Economics, die Weiterentwicklung der österreichischen Schule der Nationalökonomie nach der Emigration ihrer wichtigsten Vertreter in die USA und nach England. Die sog. österreichische oder auch Wiener Nationalökonomie stellte ursprünglich eine der drei Gründungskonzeptionen der Grenznutzentheorie dar und war dann in der Epoche des regulierten Kapitalismus und des Keynesianismus eine der Strömungen, die mit einem dezidierten neo-liberalen Standpunkt verbunden wurde. Die politische Wende weg vom Staat und hin zum Markt seit den 1970er und 1980er Jahren hatte eine starke Renaissance liberaler Ideen gebracht, die auch durch Einflüsse von Seiten der Austrian Economics bestimmt war; dies schlug sich jedoch nicht in deren akademischer Integration in die Mainstream-Ökonomie nieder. Ihre heterodoxe Position ist begründet in dem Wiederanknüpfen der jüngeren Vertreter in den USA an gewisse Elemente der österreichischen Ökonomie, die bereits in ihren Anfängen bei Carl Menger und seinen Nachfolgern angelegt waren. Sie hatten die Spezifika der österreichischen Konzeption im Vergleich zu den anderen Vertretern der Grenznutzentheorie ausgemacht. Die Merkmale der österreichischen Auffassung entwickelten sich auf Grund des anderen kulturell-intellektuellen Kontexts und waren begleitet von den Auseinandersetzungen um die Methode der Sozialwissenschaften im deutschen Sprachraum; dahinter jedoch wird bei Menger im Rahmen seiner Kritik der organizistischen und historizistischen Strömungen die Kontur einer individualistischen Sozialtheorie sichtbar, die die weitere Entwicklung der subjektiven Handlungstheorie sowohl in der Ökonomie als auch in der Soziologie, zumal jener, die sich auf Max Weber und Alfred Schütz beruft, beeinflusst hat. In Mengers Auffassung finden sich daher durchaus Anknüpfungspunkte für eine Verbindung zwischen Ökonomie und Soziologie sowie auch relevante Einsichten für die Wirtschaftssoziologie. Da viele Elemente, die sich schon bei Menger finden, auch gegenwärtig noch die Austrian Economics charakterisieren, wird im Folgenden auf seine Konzeption näher eingegangen. Seine Nachfolger entwickelten durchaus unterschiedliche Standpunkte und Auffassungen, stimmten jedoch in den grundlegenden Elementen überein. Ihre Konzeptionen werden hier nur insoweit behandelt, als sie wirtschaftssoziologisch relevante Aspekte betreffen.
G. Mikl-Horke, Historische Soziologie – Sozioökonomie – Wirtschaftssoziologie, DOI 10.1007/978-3-531-92798-5_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Carl Mengers subjektive Wert- und Handlungstheorie Carl Menger entwickelte seine Konzeption in Die Grundsätze der Volkswirtschaftslehre von 1871, also zeitgleich mit den Werken von William Stanley Jevons und Leon Walras. Alle drei gelten als die Gründerväter der später so genannten neoklassischen Ökonomie, deren grundlegende Bedeutung in der Verlagerung von der Produktionsorientierung der klassischen Ökonomie auf die Nachfrage-Perspektive besteht (vgl. Rothschild 1986). Das bedeutet, dass der Wert der Güter nicht durch die Produktionskosten, sondern durch den subjektiven Nutzen, den jede zusätzliche Einheit des Konsums eines Gutes stiftet, also durch den Grenznutzen, bestimmt wird. Obwohl Menger selbst zunächst den Begriff des Grenznutzens nicht verwendete und zu vermuten ist, dass er Gossens Werke erst nach der Niederschrift seiner Grundsätze gelesen haben dürfte, enthalten seine Auffassungen über den Wert der Güter und über den Tausch die logischen Elemente einer subjektiven Werttheorie und des Grenzgedankens. Anders als Gossens Theorie bezieht Menger den Wert (er verwendet auch kaum den Begriff des Nutzens) nicht auf die bedürfnispsychische Begründung allein; anders als Jevons und Edgeworth ist sein Verständnis von Bedürfnis nicht in der utilitaristischen Psychologie verwurzelt. Menger kritisierte vielmehr den Hedonismus sowie in der Folge auch die Mathematisierung der Ökonomie im Sinne von Nutzenfunktionen (Ikeda 1997: 88). Mengers Subjektivismus gründete daher nicht im Utilitarismus und seinen hedonistischen Wurzeln, sondern im Einfluss der älteren historischen Schule (siehe Streissler 1990), was sich auch in Mengers Widmung seines Werkes für Wilhelm Roscher ausdrückte. Einleitend stellte Menger fest, es gehe ihm um die Ermittlung der Bedingungen, unter welchen die Menschen die auf die Befriedigung ihrer Bedürfnisse gerichtete, vorsorgliche Tätigkeit entfalten (vgl. Menger 1871: IX). Das Handeln als Grundtatsache der Wirtschaft setzt voraus, dass die Menschen eine Beziehung herstellen zwischen den Zielen und Zwecken ihres Handelns und den Mitteln, die zu ihrer Erreichung geeignet erscheinen. Mengers subjektive Werttheorie beruhte daher auf der Erkenntnis der Relation von Bedürfnis und Knappheit durch das Subjekt; dieses ist nicht ein nur durch seine gefühlten Bedürfnisse bestimmtes Wesen, sondern es setzt gleichzeitig Zweck und Mittel in eine kausale Beziehung. Menger geht daher von der subjektiven Rationalität des Handelns aus, d.h. die Kausalbeziehung zwischen Zielen und Mitteln wird nicht objektiv bestimmt. Daher werden auch nicht bestimmte Zwecke vorweg festgelegt und die Beurteilung der Rationalität liegt nicht beim externen Beobachter, sondern beim Handelnden selbst. Diesem misst Menger aber die Fähigkeit zu, eine Relation zwischen seinen Bedürfnissen und den knappen Mitteln herzustellen; eine Fähigkeit, die sich Menger zufolge im Zuge der kulturellen Entwicklung stark verbessert hat. Mengers Betonung subjektiv-rationalen individuellen Handelns impliziert einige besondere Annahmen: Die Subjektivität menschlicher Bedürfnisse begründet die Vielfalt und Unbestimmtheit der Motive des wirtschaftlichen Handelns; sie setzt auch die subjektive Wertzuschreibung voraus, die durch Zeit und kontextuelle Wandlungsprozesse bestimmt ist und sich im individuellen Handeln ausdrückt. Das individuelle Handeln ist hier also nicht das eines isolierten Robinson Crusoe, es schließt den sozialen Kontext nicht aus, dieser
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ist vielmehr reflektiert im individuellen Handeln unter bestimmten soziokulturellen Bedingungen. Menger misst in den Grundsätzen dem Begriff des Gutes, den er in der subjektiven Werttheorie begründet sieht, große Bedeutung zu. Gut ist in diesem Verständnis alles, dem das Subjekt die Fähigkeit zur Befriedigung seiner Bedürfnisse zuschreibt. Das erfordert zwei Annahmen: Der Kausalzusammenhang zwischen einem ‚Ding’ und dem Bedürfnis muss vom Individuum erkannt werden und dieses muss auch die Verfügung über das Objekt haben. Diese zweite Annahme verweist auf die Eigentumsordnung der Gesellschaft, die daher in Mengers Theorie nicht unberücksichtigt bleibt; sie gehört aber zu den sozialen Voraussetzungen des subjektiven Handelns der Individuen. Erst wenn diese beiden Annahmen zutreffen, kann es zu Handeln kommen. Menger stellte daher fest: Die Qualität als Gut ist einem Ding nicht inhärent, sondern muss ihm vom Subjekt zugeschrieben werden. Was als Gut erkannt wird, hängt von der subjektiven Bewertung ab; diese kann sich daher auf ganz verschiedene Objekte materieller oder immaterieller Art richten und mit unterschiedlichen Zwecksetzungen verbunden sein. Der Güterbegriff Mengers umfasst auch, was er ‚Verhältnisse’ nennt, d.h. immaterielle Güter, die auf institutionellen Beziehungen beruhen und in ‚nützlichen Handlungen’ oder auch Unterlassungen bestehen. Menger zählt dazu Firmen, Monopole, Patente, Autorenrechte, aber auch Familie, Liebe, Freundschaft etc. Der subjektive Wert eines Gutes hängt überdies von verschiedenen Bedingungen ab, die sich verändern können: von den Bedürfnissen und ihrem Wandel, von Veränderungen der Objekte, von der subjektiven Erkenntnis des Zusammenhangs zwischen der Befriedigung von Bedürfnissen und dem Objekt und von der Verfügung darüber. Mengers Auffassung entspricht daher nicht der neoklassischen Annahme der Stabilität der Präferenzen, denn er bezieht Wandlungsprozesse in Bezug auf Bedürfnisse mit ein, aber darüber hinaus auch jene des ‚Wissens’ und der Verfügungsverhältnisse. Interessant im Licht der späteren Marktprozesstheorie ist auch, dass Menger bereits die Bedeutung des Zeitfaktors und der Veränderlichkeit der subjektiven Wertzuschreibungen sowie die wirtschaftliche Dynamik hervorhebt: „Ein jeder Wandlungsprozess bedeutet ein Entstehen, ein Werden, ein solches ist jedoch nur denkbar in der Zeit. Es ist aber darum auch sicher, dass wir den Causalnexus der einzelnen Erscheinungen in diesem Processe und diesen selbst nie vollständig zu erfassen vermögen, wofern wir denselben nicht in der Zeit betrachten und das Mass derselben an ihn legen.“ (Menger 1871: 21). Die Bedingtheit des Gutes durch subjektive Erkenntnis impliziert auch die Möglichkeit des Irrtums, d.h. Güterqualität wird mitunter subjektiv zugeschrieben, obwohl kein ursächlicher Zusammenhang mit der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse besteht; Menger nennt sie daher ‚eingebildete Bedürfnisse’ und meint, dass gerade die ärmsten Völker über die größte Zahl an eingebildeten Gütern verfügen (Menger 1871: 4 f). Er lässt damit eine spätaufklärerisch-evolutionäre Sicht von der menschlichen Entwicklung als fortschreitende Wohlstandssteigerung und zunehmende Erkenntnisfähigkeit erkennen. In einem Abschnitt „Ueber die Ursachen der fortschreitenden Wohlfahrt der Menschen“ (Menger 1871: 26 ff) meint er, dass neben der Arbeitsteilung wie sie Adam Smith aufgezeigt hatte, insbesondere der Einsatz von Gütern höherer Ordnung, also von Produktionsmitteln, für die Vermehrung der den Menschen verfügbaren Konsumgüter sorgte. Dies offenbare Menger zufolge aber
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auch die fortschreitende Erkenntnis der Menschen in Bezug auf den ursächlichen Zusammenhang der Dinge. Die Güter ‚höherer Ordnung’ beziehen sich nicht unmittelbar auf Bedürfnisse; schon die für die Produktion von Konsumgütern erforderlichen ‚Güter zweiter Ordnung’ stehen in nur mittelbarer Beziehung zu ihnen; auch sie benötigen aber ihrerseits wieder ‚Güter dritter, vierter etc. Ordnung’ zu ihrer Herstellung. Menger erkennt daher einen „Causalnexus der Güter“ (Menger 1871: 10), der seinerseits für ihren Wert bestimmend wird, denn auch in diesen Fällen beruht die Güterqualität auf subjektiver Zuschreibung. Durch die Verbindung und den Einsatz der Güter höherer Ordnung können Güter erster Ordnung, also Konsumgüter, entstehen, deren Charakter als Gut, d.h. ihre subjektive Wertschätzung, ihrerseits die Güterqualität der Güter höherer Ordnung, d.h. deren subjektive Bewertung, bestimmt. Jene Güter, die geringer vorhanden sind als der Bedarf danach, werden auf Grund dieser Knappheit zu ‚wirtschaftlichen Gütern’. Wieder ist dies jedoch keine Eigenschaft, die dem Gut selbst inhärent ist, sondern die Güter werden zu Wirtschaftsgütern, indem das handelnde Individuum seine subjektiven Bedürfnisse in eine Beziehung zur Knappheit der Ressourcen setzt. Auch die Knappheit ist daher zu einem Großteil subjektiv bestimmt, d.h. untrennbar mit den subjektiven Bedürfnissen verbunden und von diesen abhängig. Die Einsicht in die Knappheit der Güter bewirkt aber auch, dass die Menschen die verfügbaren Mengen der verschiedenen Güter je nach der Wichtigkeit der Bedürfnisse aufteilen; dabei versuchen sie, mit der geringsten Menge den größten Erfolg zu erzielen, was Menger als ‚Wirtschaften’ kennzeichnet. Für Menger bezieht sich der Begriff des ökonomischen Wertes sowohl auf den Gebrauchswert als auch auf den Tauschwert eines Gutes: „Den ökonomischen Werth der Güter zu erkennen, das ist, jeweilig darüber im Klaren zu sein, ob ihr Gebrauchswerth oder ihr Tauschwerth der ökonomische ist, gehört zu den wichtigsten Aufgaben der wirthschaftenden Menschen.“ (Menger 1871: 219). Dafür ausschlaggebend ist die subjektive Einschätzung, welcher Wert für das Individuum höher ist: Ist der Gebrauchswert der höhere, so wird das Individuum das Gut behalten, ist der erwartbare Tauschwert höher, so kann es sich für den Eintausch des Gutes entscheiden. Wichtig für diese Entscheidung sind jedenfalls die subjektive Bewertung, die abhängig ist von Lebensalter und Lebenslage, ferner die Beschaffenheit der Güter (hier klingt bei Menger bereits der Hinweis auf Statusgüter bzw. auf Massengüter an) und die Quantität und Vermehrbarkeit des Gutes. Menger verweist auch auf den Wandel in Bezug auf die Einschätzung von Gebrauchs- oder Tauschwert, etwa durch Veränderungen der Einkommens- bzw. Vermögenslage: Bei Sinken der Einkommen und Vermögen werden Güter, die früher als Gebrauchswert geschätzt wurden, nun in Tauschwert umgewandelt, um mit dem Erlös lebenswichtigere Dinge zu erstehen. Zu Reichtum gelangende Menschen hingegen veräußern ihre einfachen Güter und ersetzen sie durch Luxusgüter. Güter, die für den Austausch bestimmt werden, stellen ‚Waren’ dar; auch dies ist jedoch keine Eigenschaft der Güter, sondern kennzeichnet die Beziehung des Gutes zur Person, die darüber verfügt. Ihr Tauschwert ist zunächst durch die subjektiven Einschätzungen hinsichtlich des zu erzielenden Preises im Verhältnis zum Gebrauchswert bestimmt. Sein geldmäßiger Ausdruck ist allerdings nur bedingt relevant, weil zum einen der Gebrauchswert nur schwer in Geld bestimmbar ist, zum anderen der effektive Preis erst das Resultat der jeweiligen Konkurrenzverhältnisse ist. Dennoch meint Menger: „Die richtige Bestim-
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mung des Äquivalentes eines Gutes kann … nicht anders, als mit Rücksichtnahme auf den Besitzer und die wirtschaftliche Stellung des Gutes zu demselben vorgenommen werden.“ (Menger 1871: 274) Der Wert eines Gutes ist also immer ein subjektiver, weshalb Menger auch die Auffassung von Geld als Maßstab des Tauschwertes als unhaltbar bzw. nur von akzidentieller Bedeutung bezeichnet. Der Geldausdruck kennzeichnet also niemals den Wert, aber aus pragmatischen Gründen und weil der Vergleich verschiedener Güter im Bewusstsein der Menschen meist bereits die Geldschätzung voraussetzt, erfolgen Schätzungen des äquivalenten Wertes eines Gutes in Geld. Wenn Handeln von der subjektiven Wahrnehmung und Einschätzung abhängt, bedingt dies auch Unsicherheit des Subjekts hinsichtlich der Ergebnisse seines Handelns, da es Bedingungen und deren Wirkungen beurteilen muss, über die es keine Kontrolle hat. Das Subjekt muss also unter Ungewissheit handeln, was Menger zufolge von der größten praktischen Bedeutung für die menschliche Wirtschaft ist. Aber sie beruht nicht nur auf der Tatsache, dass sich Menschen irren und sich etwas einbilden können, was nicht den realen Gegebenheiten entspricht; vielmehr beruht die Ungewissheit ganz grundlegend darauf, dass sich unser Handeln, mit dem wir unsere Bedürfnisse befriedigen wollen, auf die Zukunft bezieht. Diese Ungewissheit entsteht durch die Veränderungen der Bedürfnisse, die Wandlungen unseres Wissens und Wertens sowie hinsichtlich der Verfügbarkeit sowohl der Konsumgüter als auch der Güter, die zu deren Herstellung notwendig sind und die von anderen Menschen erzeugt oder beschafft werden müssen. Viele der Annahmen, die später mit dem neoklassischen Modell verbunden wurden, treffen also auf Mengers Wirtschaftstheorie nicht zu. Gleichzeitig ist es erstaunlich, wie viele Aspekte der gegenwärtigen Austrian Economics bereits bei Menger erkennbar sind und wie viele wichtige Grundfragen, die sowohl die Wirtschaftssoziologie als auch nicht-orthodoxe Ökonomien thematisieren, in Mengers Grundsätzen enthalten sind. Diese Schrift verweist in den klaren und einfachen und mit Beispielen belegten Ausführungen zu elementaren Aspekten der Wirtschaft wie Gut, Wert, Tausch und Geld auf grundlegende Themen einer sozialwissenschaftlichen Sicht wirtschaftlichen Handelns, die dieses als zwar individuelles, aber gleichzeitig als auf subjektiver Bewertung, subjektivem Wissen und der Einschätzung der äußeren Bedingungen beruhendes Handeln versteht. Seine Darlegungen implizieren auch nicht den Ausschluss der gesellschaftlichen Bedingungen und sozialen Verhältnisse aus der Betrachtung der Wirtschaft; diese erscheinen aber reflektiert im subjektiven Handeln der Individuen.
Carl Mengers Institutionentheorie: Markt und Geld Carl Menger hatte in seiner Zeit als Wirtschaftsjournalist Marktanalysen erstellt; er war also bestens mit den praktischen Aspekten von Handel und Wirtschaft vertraut. Den Markt sieht er nicht als abstrakten Mechanismus von Nachfrage und Angebot, vielmehr kommt der Begriff nur im Sinn von realen Märkten, Messen, Auktionen und Börsen, die er als geregelte Institutionen versteht, vor. Märkte sind Konzentrationspunkte des Verkehrs und der ökonomischen Preisbildung. Sie erlauben es, dass Waren zu den der jeweiligen allgemeinen ökonomischen Sachlage entsprechenden Preisen abgesetzt werden können. Menger weist
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der Spekulation die Funktion der Verhinderung unökonomischer Preisbildung zu, wobei er sich durchaus bewusst ist, dass die großen Käufer und Verkäufer den Preis stärker bestimmen als die kleinen Leute (Menger 1871: 242); auch die Art und Weise, wie die Märkte organisiert sind, ist entscheidend für die Absatzfähigkeit. Da der Bedarf im Fall von Gold-, Silber- und Geldmärkten fast unbegrenzt ist, sollten auf diesen die Mengen begrenzt werden, um Preisverfall zu verhindern. Für Menger sind Märkte nicht abstrakte Selbstregulierungsmechanismen, die von selbst problemlos funktionieren. Vielmehr geht er davon aus, dass Märkte für die jeweiligen Waren eingerichtet werden müssen, und dass sie durch die Art der einzelnen Güter bestimmt werden. Menger sieht es geradezu als eine Bedingung ihrer Funktionsfähigkeit an, dass sie geregelt und organisiert sind. Auf ungeregelten Märkten ist die Ungewissheit groß, ob die Waren zu angemessenen Preisen oder überhaupt abgesetzt werden können, die Preise schwanken so stark, dass das Vertrauen schwindet und damit die Absatzfähigkeit weiter sinkt. Aber auch, wenn es zum Warentausch kommt, muss dies in Mengers Sicht nicht immer positive Resultate erbringen, da die Individuen dem Irrtum unterliegen bzw. durch externe Einflüsse oder den Effekt sozialer Verhältnisse falsche Entscheidungen treffen können. Menger ging also nicht von vollständiger Information aller Marktteilnehmer aus; auch Marktgleichgewicht und vollkommene Konkurrenz, die ebenfalls zu den zentralen Annahmen des späteren neoklassischen Modells zählen, werden nicht angenommen. Vielmehr sind für Menger Monopole die ursprünglichere Gegebenheit; sie entstehen nicht erst durch gesellschaftliche bzw. staatliche Regulierung und Privilegierung, denn „Jeder Handwerksmann, der sich in einem Orte, wo Seinesgleichen noch nicht bestehen, etabliert, jeder Kaufmann, Arzt oder Rechtsanwalt, der sich in einem Orte niederlässt, wo bisher noch Niemand sein Gewerbe, oder seine Kunst ausübt, ist in einem gewissen Sinne Monopolist“ (Menger 1871: 201). Die Konkurrenz muss sich erst aus dem Monopol entwickeln, nachdem die Nachteile, die die Monopole für die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen auf Grund ihrer Mengen- und Preisstrategien haben, offenbar werden. Diese rufen praktisch die „Konkurrenz selbst hervor“ und das Resultat sieht Menger als „Fortschritt der wirtschaftlichen Kultur“ an (Menger 1871: 202); dieser ist dadurch bestimmt, dass die Nachfrage nach bestimmten Waren auch breitere Gesellschaftsschichten umfasst. Der Wettbewerb verbilligt die Preise, steigert die Menge und trägt zur besseren Versorgung insbesondere der unteren Einkommensschichten bei. Die Konkurrenz bewirkt aber auch die Beachtung der an der Wirtschaftlichkeit orientierten Geschäftsgebarung, fördert also das rationale Wirtschaften (Menger 1871: 212). Der Markt wird von Menger als eine soziale Institution aufgefasst, die auf den individuellen Handlungen der Marktteilnehmer, ihren subjektiven Einschätzungen und Bewertungen der Tauschgüter, der Bezugnahme auf ihre Bedürfnisse bzw. Ziele, aber auch auf Regeln und Normen beruht. Sein dauerhaftes Funktionieren erfordert Kontrolle, da sich sonst die ‚ursprünglicheren’ Monopolinteressen durchsetzen. In den Grundsätzen wandte er sich auch der Erklärung der Entstehung des Geldes zu, eine Darstellung, die allgemein als Kennzeichnung für seine individualistische Auffassung gesellschaftlicher Institutionen dient, denn er meinte: „Das ökonomische Interesse der einzelnen wirthschaftenden Individuen führt sie demnach, bei gesteigerter Erkenntnis dieses ihres Interesses, ohne alle Uebereinkunft, ohne legislativen Zwang, ja ohne alle Rücksichts-
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nahme auf das öffentliche Interesse dazu, ihre Waaren gegen andere, absatzfähigere Waaren im Austausche hinzugeben“ (Menger 1871: 253). Die absatzfähigsten Waren werden unter dem Einfluss der Gewohnheit und „steigender ökonomischer Cultur“ als Geld zum allgemeinen Zahlungsmittel. Dies erfolgt jedoch entsprechend der historisch-kulturellen Variabilität ökonomischer Verhältnisse: „So stellt sich uns das Geld denn auch in seinen besonderen örtlich und zeitlich verschiedenen Erscheinungsformen … dar … als das naturgemässe Produkt der verschiedenen ökonomischen Sachlage verschiedener Völker in denselben und derselben Völker in verschiedenen Zeitperioden“ (Menger 1871: 270). Während Menger in Bezug auf den Markt die Regelung betont, hebt er beim Geld dessen Genese aus individuellen Interessen, Gewohnheit, Nachahmung hervor, die von der staatlichen Anerkennung zunächst unabhängig sei. Geld, so stellt er fest, ist keine Erfindung des Staates, aber durch dessen Sanktionierung wird es in seiner Funktionalität vervollkommnet. In den 1883 erschienenen Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften und der Politischen Oekonomie insbesondere, in dem es ihm primär um die methodische Auseinandersetzung ging, nimmt er diese Argumentation wieder auf und stellt allgemein die Frage: „Wieso vermögen dem Gemeinwohl dienende und für dessen Entwickelung höchst bedeutsame Institutionen ohne einen auf ihre Begründung gerichteten Gemeinwillen zu entstehen?“ (Menger 1883: 163). Geld und Markt werden hier von Menger in eine Reihe der sozialen Institutionen wie Sprache, Religion, Staat etc. gestellt. Die Entstehung dieser Institutionen sieht er als „das unreflectirte Ergebniss der auf die Erreichung wesentlich individueller Zwecke gerichteten menschlichen Bestrebungen (die unbeabsichtigte Resultante dieser letzteren)“ (Menger 1883: 145). Damit verband Menger eine Kritik an den zu seiner Zeit populären organizistischen Auffassungen etwa bei Schäffle und Lilienfeld, die einen Ursprung der Sozialerscheinungen als ‚natürliche Ganzheiten’ analog den Organismen behaupteten. Soziale Institutionen sind für Menger weder Zufallsprodukte individueller Handlungen noch nahm er an, dass das Zusammenwirken der individuellen Handlungen selbsttätig zu sozialer Harmonie oder zu einem Gleichgewicht der Wirtschaft führen muss (Menger 1883: 72). Mit seiner Betonung des Ursprungs der Institutionen aus dem Zusammenwirken der individuellen Interessenhandlungen knüpft Menger zwar an die Vorstellungen von Smith und anderen an, ohne allerdings deren Harmonisierung durch Eigennutz zu übernehmen. Zwar sah er die Ursachen in den individuellen Zwecken, diese sind jedoch nicht auf Eigennutz beschränkt, denn Interessen können sich auf verschiedene Ziele richten. Auch betont er die Rolle von Bräuchen, Gewohnheiten und Nachahmung, die zur Verbreitung bestimmter Handlungsweisen führen; die subjektive Rationalität des Handelns, wie sie Menger begreift, ist daher nicht eng auf ökonomisches Eigennutzhandeln ohne Berücksichtigung der anderen beschränkt. Seine Auffassung enthält eine durchaus der modernen Soziologie ähnliche Perspektive der Entstehung von Sozialgebilden und Institutionen ‚von unten’ als unbeabsichtigte Folge individuell zweckorientierten Handelns (vgl. etwa Merton 1936). Hingegen hätte er Durkheims Annahme eines Kollektivbewusstseins, das dieser dem Individualismus der Ökonomie entgegen setzte, wohl nicht akzeptiert. Wenn die Handlungen Konturen in Form von Gewohnheiten, Routinen, Konventionen angenommen haben, wird ihre Bedeutung für die Gesellschaft offenkundig und dann können sie durch das autoritative Setzen von formellen Regeln anerkannt werden. Diese Sicht-
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weise Mengers verweist auf das Verhältnis von informellen und formellen Regeln, das heute im Rahmen des Neo-Institutionalismus wieder Beachtung gefunden hat. Menger war sich auch der Spannungen bewusst, die zwischen den Normen und den individuellen Interessen bestehen können und wies auf den sich daraus ergebenden Prozess der ständigen Veränderung der Institutionen hin, die sich aus dem Wandel der Bedürfnisse und der individuellen Zwecksetzungen ergeben. Mengers Sicht der sozialen Institutionen, insbesondere jener für die Wirtschaft besonders wichtigen wie Geld und Markt, ist dynamisch; er begriff sie als einen Prozess, der Zeit und Veränderung unterworfen ist; auch dies ist ein Element seiner Auffassung, der gerade in der Gegenwart eine neue Relevanz zukommt.
Die Methode der Sozialwissenschaften Das Ziel allen Wirtschaftens sah Menger nicht in der physischen Vermehrung der Güter oder in der Akkumulation von Kapital, sondern in der möglichst vollständigen Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse. Aber es ging ihm nicht darum, praktische Vorschläge für wirtschaftliche Entscheidungen zu liefern, sondern um die Erkenntnis von theoretischen Gesetzmäßigkeiten. Diese können aber nicht jene der Naturwissenschaften sein, denn die Ökonomie habe es nicht mit Naturgesetzen, sondern mit rationalem menschlichem Handeln zwischen Bedürfnis und Knappheit zu tun. Menger definierte die Ökonomie als ‚Complication’ von Einzelwirtschaften, d.h. als Resultante oder Wechselbeziehung zweckorientierter Handlungen individueller Wirtschafter, die Bedürfnisse und knappe Ressourcen abwägen. Er stellte damit die logischen bzw. rationalen Aspekte menschlichen Handelns als zweckhaftes Verhalten, also die „formale Natur der wirtschaftlichen Beziehung“ (Menger 1883: 11), in den Mittelpunkt und erblickte darin die Begründung für die Anwendung der theoretischen Methode in der Ökonomie. Auch die Annahme des Eigeninteresses in der klassischen Ökonomie sei eine theoretische Annahme gewesen, die nicht mit realen Motiven identifiziert werden dürfe, wie dies die historischen Ökonomen täten. Sie warfen der individualistischen Sozialwissenschaft auch Atomismus vor, stellten dieser jedoch einen einseitigen Kollektivismus in der Betrachtung der ‚Volkswirtschaft’ als Ganzheit gegenüber. Eine exakte Wirtschaftstheorie muss aber auf die „Singularwirtschaften im Volk“ (Menger 1883: 87) Bezug nehmen. Mengers Eintreten für exakte Theorie wurde unter den Ökonomen der Zeit nicht gut aufgenommen, da sich die historische Schule der Volkswirtschaftslehre unter Gustav Schmoller einem positivistischen Historismus zugewandt hatte. In den Untersuchungen kritisierte Menger die historische Volkswirtschaftslehre und verteidigte den theoretischen Anspruch, was wiederum eine Kritik Schmollers hervorrief. Mengers vehemente Reaktion darauf löste den Methodenstreit in der deutschen Volkswirtschaftslehre aus. Menger war zwar von den historischen Ökonomen der älteren Generation beeinflusst, seine Theorieorientierung war jedoch auch durch den philosophischen Rationalismus Bernard Bolzanos und Franz Brentanos geprägt, so dass er die Ökonomie als eine ‚exakte Moralwissenschaft’ begriff (Menger 1883: 39). Er kritisierte die Reduktion der Ökonomie auf historische Datensammlung und wies den Anspruch der historischen Nationalökonomie, die konkrete Totalität des wirtschaftlichen Lebens beschreiben zu wollen, als nicht einlösbar zurück. Seiner
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Auffassung zufolge kann keine Theorie oder Disziplin einen Gegenstand des realen Lebens in seiner konkreten historischen Ganzheit darstellen oder erklären. Auch nur denkbar, aber nicht realisierbar sei, so meinte er, dass alle möglichen Theorien gemeinsam eine annäherungsweise Erfassung der Wirklichkeit eines Objekts zustande bringen (Menger 1883: 65 ff). Menger wollte die Ökonomie nicht auf eine bestimmte Methode beschränken, insbesondere hielt er die Anwendung der Mathematik nicht für gerechtfertigt. Die Erklärung wirtschaftlicher Prozesse erfordere den Bezug auf die relationale Logik des Handelns. Diese spezifische Logik des Handelns hat später Ludwig Mises zur Grundlage seiner subjektivrationalen Handlungstheorie ausgebaut. Menger lehnte aber auch die empirische Forschung keineswegs ab, betonte jedoch, dass auch diese theoretisch begründet sein müsse. Er differenzierte zwei Arten der theoretischen Forschung: die empirisch-realistische Forschung und die exakte Theorie. Damit stellte er fest, dass jede wissenschaftliche Forschung auf Theorie beruhen muss, auch die empirische Forschung. Die Ökonomie soll zwar auf der Grundlage der exakten Theorie formuliert werden, weil die wirtschaftliche Beziehung einen formalen Charakter aufweise, aber daneben hat die empirisch-realistische Forschung ihren Platz in Mengers Verständnis. Mengers Argumentation zielte auf eine besondere Epistemologie der Sozialwissenschaften, die sich von jener der historischen Wissenschaften und der Naturwissenschaften unterscheiden müsse. Diese Intention verbindet Menger mit Max Weber, dem es ebenfalls um die Überbrückung des methodischen Gegensatzes ging, wobei dieser aber stärker auf die Verbindung zwischen historischem Verstehen und kausalem Erklären abzielte, während Menger das kausale Erklären auf der Basis einer spezifischen Logik des Handelns als Grundlage aller Sozialwissenschaft betrachtete. Dennoch hat auch in seiner Auffassung die Geschichte als Kontext des wirtschaftlichen Handelns ihren Platz. Die Sozialauffassung der österreichischen Ökonomen stand in der Tradition der individualistischen Sozialphilosophie (vgl. Pribram 1912), die jedoch die sozialen Einflüsse auf individuelles Handeln durch Sozialisation und sozial-kulturelle Umwelt nicht ignorierte. Die Volkswirtschaftslehre verstand Menger als eine Sozialwissenschaft und viele seiner Nachfolger waren Mitglieder im ‚Institut Internationale de Sociologie’ von René Worms. Nachdem das Profil der Soziologie als Einzelwissenschaft sich im Sinne von Durkheim bzw. der Wiener Gesellschaft für Soziologie gewandelt hatte, wurde ihre Auffassung zu einer Art ‚Gegen-Soziologie’, wie Torrance (1981) feststellte.
Gesellschaftliche Wirtschaft, wirtschaftliche Gesellschaft: Friedrich Wieser Unter Mengers Nachfolgern stand Friedrich Wieser der Soziologie am nächsten (vgl. Menzel 1927). Seine Theorie der gesellschaftlichen Wirtschaft erschien zunächst 1914 im ersten Band des von Max Weber herausgegebenen Grundriß der Sozialökonomik. Darin bezog er sich insbesondere in dem Kapitel über die Theorie der wirtschaftlichen Gesellschaft (Wieser 1914: 108 ff) auf Marx, Tönnies, Oppenheimer und Max Weber, aber auch auf Schäffle und Spann sowie auf den amerikanischen Soziologen Giddings. Deutlicher als bei Menger, der ja im Metho-
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denstreit die Seite der Theorie vertrat, kommt bei Wieser zum Ausdruck, dass wirtschaftliches Handeln sich innerhalb eines historischen Wandlungsprozesses vollzieht, in dessen Verlauf sich auch die gesellschaftlichen Bedingungen verändern. Daher begreift auch er den Markt nicht als einen Gleichgewichtsmechanismus, sondern als eine durch Handlungsprozesse bestimmte und sich stetig wandelnde Konstellation. Er bezieht die historische Sicht mit ein; aus dieser erscheint ihm die Marktvergesellschaftung als historisch entstandene „ungeschriebene private Wirtschaftsverfassung“ (Wieser 1914: 276), der daher auch eine normative Geltung zukomme. Die Ökonomie scheint in Wiesers Sicht in eine Soziologie eingebettet, denn er meinte: „Der volkswirtschaftliche Prozess ist ein gesellschaftlicher Prozess und er muss daher dieselben Probleme aufwerfen, die für alles gesellschaftliche Handeln gelten“ (Wieser 1914: 110). Er verwies auf die Bedeutung von sozialem Status und Klassenlage und sah die reale Wirtschaft nicht nur durch Wettbewerb und Gewinnstreben, sondern auch durch kooperative Beziehungen und den Einfluss von Macht bestimmt. Das Problem der Macht betrachtete er als eine universelle Tatsache, dem er dann sein großes soziologisches Werk: Das Gesetz der Macht (Wieser 1926) widmete. Unterschiede der Macht, mit denen die einzelnen Wirtschafter aufeinander treffen, sind für Wieser nicht, wie die neoklassischen Ökonomen annehmen, nur extern verursacht, sondern werden auch durch den Wirtschaftsprozess selbst erzeugt. Wieser entwickelte Ansätze einer soziologischen Theorie der Preise. Er stellte fest, dass sich Preise nicht ad hoc auf dem Markt bilden, sondern eine ‚Geschichte’ haben, d.h. sie schließen an vorherige Preise an; diese traditionellen Preise werden nur unter starkem Druck verändert. Man könnte sagen, die Preise weisen eine Art von ‚Pfadabhängigkeit’ auf und manifestieren sich solcherart als „gesellschaftliche Bildungen“. Dies hat auch Folgen für die Erwartungsbildung auf Märkten, ein Aspekt, der m. E. bis heute noch wenig erforscht wurde. Wieser verweist auch auf den Einfluss der sozioökonomischen Ungleichheit auf die Preise und spricht in diesem Sinn von einer „Schichtung der Preise“, reflektiert in der Unterscheidung zwischen Massengütern, Luxusgütern und Mittelgütern (Wieser 1914: 135). Diese zeige, dass Preise auf keiner einheitlichen gesellschaftlichen Wertschätzung beruhen, sondern Ergebnis eines Kampfes zwischen Personen mit unterschiedlichen Wertschätzungen und verschiedener Nachfragekraft, d.h. eines „geschichteten Grenznutzens“ sind. Das Höchstgebot der Grenzschicht gibt schließlich den Ausschlag, was von vernünftiger Versorgung der Bedürfnisse, wie Wieser meint, oft weit entfernt ist und auch Ungerechtigkeiten enthält, denn für sog. Massengüter zahlt der reiche Käufer nach dem Maß der Armen, während die Preise für Luxusgüter breite Schichten von deren Kauf ausschließen. Preise können daher auch durch Veränderungen der Einkommensschichtung entstehen, die sich in einem Wandel der meist ungleichgewichtigen Angebots-Nachfragerelation niederschlagen. Das Ausnützen von besonderem dringendem Bedarf, der vorübergehend bei manchen Gruppen auftritt, nennt Wieser Wucher, der den gesellschaftlichen Geist des Preiskampfes verletze (Wieser 1914: 140). Der Einfluss ‚gesellschaftlicher Mächte’ manifestiere sich auch in Panikpreisen, Angstpreisen, Schleuderpreisen etc., die ein Indikator dafür seien, dass die Marktordnung, die Wieser ebenso wie Menger voraussetzt, gestört ist. Wieser zufolge impliziert die Wirtschaftstheorie notwendig auch Fragen der Gesellschaftstheorie, insbesondere auch der gesellschaftlichen Struktur: „Eine Wirtschaftstheorie, welche das Problem der Macht untersucht, darf über die Tatsache der Schichtung nicht
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hinweggehen“ (Wieser 1914: 115). Die gesellschaftliche Schichtung, die sich historisch entwickelte, kann durch Interessenorganisation und kollektiven Widerstand verändert werden. Wieser bezog damit die sozialen Bewegungen und die Gewerkschaften in seine Sicht der modernen Wirtschaft mit ein. Die gesellschaftliche Entwicklung wird aber insbesondere durch das Verhältnis von Führung und Masse bestimmt. Dabei konstatierte Wieser eine „kapitalistische Übermacht in der modernen Volkswirtschaft“ (Wieser 1914: 281), die geradezu zu einer Gegnerschaft der „Volkswirtschaft wider das Volk“ (Wieser 1914: 284) geführt habe. Aber er plädierte nicht für Revolution, sondern für eine staatliche Wirtschaftspolitik, die diese kapitalistische Übermacht ausgleichen müsse, ohne zu Nivellierung und Ausschaltung der Konkurrenz zu führen. Wieser sah als Grundelement der Wirtschaft das individuelle Handeln, wobei der Individualismus in der klassischen Ökonomie nicht schrankenlosen Egoismus, sondern ein Eigeninteresse innerhalb der Schranken von Recht und Sitte meinte. Smith und andere sahen es durchaus als Aufgabe des Staates an, für Recht und Sitte zu sorgen und damit den individuellen Egoismus einzuschränken. Was Wieser den Klassikern jedoch vorwarf, war ihre Konzentration auf die Handelsfreiheit, die sie veranlasste, das Problem der Macht zu vernachlässigen. Sie nahmen daher Ungleichheit und Machtdifferenzen als gegeben hin. Die Epigonen ließen dann die gesellschaftlichen Beschränkungen vollkommen weg und konzentrierten sich allein auf den individuellen Eigennutzen. Als Grundirrtum in Bezug auf den Individualismus sah Wieser die Annahme, dass Individuen so verstanden wurden, als ob sie innerlich ganz auf sich selbst gestellt wären und nur aus ihrem eigenen Willen heraus handelten. Diese rationalistisch-utilitaristische Annahme müsse fallen gelassen werden, denn die Menschen, so Wieser, handeln immer in wechselseitiger ‚Fühlung’, unter dem mehr oder weniger stark empfundenen Einfluss gesellschaftlicher Freiheits- oder Zwangsmächte (Wieser 1914: 120 f). Daher prägte er den Begriff des „gesellschaftlichen Egoismus“ als jenes individuelle Streben, das innerhalb einer Gesellschaft nach Maßgabe der jeweiligen sozialen Lage, Umwelt und Situation als legitim erachtet wird (Wieser 1914: 117). Das wirtschaftliche Handeln der Individuen wird bestimmt durch die ‚gesellschaftliche Erziehung zur Wirtschaft’, die ihrerseits durch die Klassenlage und andere Faktoren beeinflusst ist. Er hob damit die Sozialisation als Grundlage des wirtschaftlichen Handelns hervor. Die Einsicht in die Wechselwirkungen zwischen sozialem Verhalten, sozialen Strukturen und Wirtschaft ließ ihn soziologische Untersuchungen fordern, die für das Verständnis dieser Zusammenhänge notwendig seien. Wieser betrachtete das individuelle Handeln als in einen bestimmten sozialstrukturellen, kulturellen und politischen Kontext sowie in eine soziale Situation eingebettet. Die individualistischen Annahmen der Wirtschaftstheorie sah Wieser dennoch als berechtigt an, bezeichnete sie jedoch als theoretische Idealisierung aus methodologischen Gründen; die methodische Abstraktion sei wichtig, „um den elementaren Inhalt des Wirtschaftens abzuleiten, von der man aber in abnehmender Abstraktion zu der im Leben üblichen genossenschaftlichen Auffassung übergehen muss, wenn man die konkreten Erscheinungen des Lebens verstehen will“ (Wieser 1914: 116). Damit nahm er den Begriff des ‚methodologischen Individualismus’ vorweg, der seinem Schüler Joseph Schumpeter zugeschrieben wird. Auch Schumpeter, der sich später von der österreichischen Schule in der Mises-HayekVersion entfernte, aber dennoch gewisse Elemente derselben beibehielt, meinte, dass die
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methodisch bedingte Annahme des Individualismus nicht der Auffassung des Individuums als sozialer Person widerspreche (vgl. Schumpeter 1915). Innerhalb der Ökonomie kommt dem Kollegen Wiesers an der Universität Wien, Eugen von Böhm-Bawerk, die größere Bedeutung zu; er hatte einen besonders starken Einfluss auf Ludwig Mises, darüber hinaus aber im Rahmen seines Privatseminars auf einen weiten Kreis von Sozialwissenschaftlern verschiedenster ideologischer und intellektueller Orientierung wie Felix Kaufmann, Oskar Morgenstern, Alfred Schütz, Eric Voegelin sowie Friedrich Hayek, Gottfried Haberler und Fritz Machlup u.a. (vgl. Mises 1978: 66). Auch Wiesers Bedeutung ging weit über den eigentlichen Bereich der Ökonomie hinaus, er nahm aber auch einiges aus der Tradition der historischen Ökonomie mit. Im Rückblick wurde Wiesers Stellung innerhalb der österreichischen Ökonomietradition an den Rand gedrängt, insbesondere nachdem die Auffassungen von Mises und Hayek sich als ‚die’ österreichische Wirtschaftstheorie durchgesetzt hatten. Friedrich A. Hayek war aber auch ein Schüler Wiesers gewesen; wie dieser stellte er den ‚wahren Individualismus’, den er auf Locke, Hume, Ferguson, Smith und Tocqueville zurückführte, dem utilitaristischrationalistischen Individualismus entgegen (Hayek 1948: 1-32). Hayek hob diese sozialphilosophischen Grundlagen der österreichischen Variante der Grenznutzenschule, die sie von den anderen Auffassungen neoklassischer Ökonomie schon in ihrer frühen Phase deutlich unterschied, besonders hervor. Nicht nur spielen Annahmen der vollständigen Information, der vollkommenen Konkurrenz, des Marktgleichgewichts daher in dieser Wirtschaftstheorie fast keine Rolle, auch ihr grundlegendes Verständnis des individuellen Handelns und seiner Rationalität ist ein anderes. Darüber hinaus zeigten die obigen Ausführungen über Wiesers Theorie der gesellschaftlichen Wirtschaft im Besonderen, dass sich darin zahlreiche Ansatzpunkte für eine Wirtschaftssoziologie finden, die bis heute noch nicht die gebührende Würdigung erfahren haben.
Subjektive Rationalität bei Ludwig Mises und Max Weber Zwischen der österreichischen Schule und Max Weber bestanden wechselseitige Beeinflussungen. Weber war mit der Auffassung Carl Mengers, Eugen Böhm-Bawerks und Friedrich Wiesers wohl vertraut (vgl. auch Kim 1996). Seine Bemühung zielte jedoch nicht auf die Weiterentwicklung der Wirtschaftstheorie, sondern darauf, die theoretische und die historische Methode zu verbinden. In gewisser Weise war das, wie oben gezeigt wurde, auch die Intention von Carl Menger gewesen. Aber Weber blieb der historischen Sicht insoweit verbunden, als er das zweckrationale subjektive Handeln als Idealtypus des modernen okzidentalen Kapitalismus verstand. Das führte zu seiner kulturwissenschaftlichen Sicht der Entwicklungsbedingungen des modernen Kapitalismus, in deren Rahmen die Wirtschaftstheorie selbst als Reflex der Rationalisierung der okzidentalen Kultur erscheint. Ludwig Mises repräsentiert die dritte Generation der österreichischen Schule, obwohl er im akademischen Leben immer ein Außenseiter blieb. Er hatte sich zunächst der historischen Nationalökonomie und Sozialpolitik zugewandt und war auch von Max Weber stark beeinflusst, was sich in seiner lebenslangen Auseinandersetzung mit der handlungstheoretischen Perspektive ausdrückte (vgl. Lachmann 1970). Als Mises jedoch auf Mengers Werke
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stieß, wurde er zu einem leidenschaftlichen Verfechter der österreichischen Ökonomie. In der Folge distanzierte er sich von Webers ‚historisierender’ Handlungstheorie und entwickelte seine eigene Auffassung vom subjektiv rationalen Handeln, die er zunächst als Soziologie verstand. Für Mises war die Rationalität des Handelns eine ontologische Konstante, die auf der menschlichen Fähigkeit beruht, sich bewusst zwischen alternativen ZweckMittel-Kombinationen zu entscheiden und die Ergebnisse in Begriffen von Kosten und Nutzen zu fassen (Mises 1962: 44). Er warf Weber vor, die Rationalität durch ihre Deutung als Resultat eines kulturellen Prozesses zu historisieren und damit die Subjektivität des Handelns nicht ernst zu nehmen. Weber stellte der subjektiven Rationalität die objektive ‚Richtigkeitsrationalität’ der Wissenschaft gegenüber, an der die Rationalität der Handelnden gemessen werde und sich als irrational erweisen könne. Für Mises ist hingegen jedes Handeln, egal ob wirtschaftlich oder nicht-wirtschaftlich, immer subjektiv rational, gleichgültig wie es von außen erscheinen mag. Er unterschied daher nicht zwischen subjektiver und objektiver Rationalität und kritisierte auch die entsprechende Differenzierung zwischen logischen und nicht-logischen Handlungen in Paretos Auffassung, da dies zur Folge habe, dass die Soziologie als logische Wissenschaft des nicht-logischen Verhaltens eigentlich überhaupt nicht mit Handeln befasst ist. Mises hatte die Grenznutzentheorie, zumindest in dieser österreichischen Version, zunächst als Soziologie verstanden, denn sie gehe vom subjektiven Handeln aus und setze bei den Konsumenten an, nicht an der kaufmännisch-rechnerischen Rationalität, wie dies bei Weber der Fall war. In Mises’ Seminaren wurden daher auch Themen behandelt wie das Problem der Intersubjektivität; ein Resultat dieser Diskussionen stellt Alfred Schütz’ phänomenologisch begründeter Versuch der Verbindung von Mises’ und Webers Auffassungen in einer Theorie des Fremdverstehens dar (Schütz 1974; vgl. Prendergast 1986). Mises’ Handlungstheorie verstand sich als eine allgemeine Logik des Handelns, die er als Metatheorie konzipierte und ‚Praxeologie’ nannte. Sie sollte auf derselben Ebene wie die Mathematik und die Logik angesiedelt werden (Mises 1962: 44). Da die logische Theorie des Handelns im Bereich der Ökonomie am besten entwickelt sei, komme ihr eine bedeutende Funktion innerhalb der Praxeologie zu, meinte Mises. Dennoch gründet der ‚methodologische Subjektivismus’ nicht auf der Unterscheidung zwischen sozialem und ökonomischem Handeln. Die Identifikation von rationalem Handeln mit ökonomischem Handeln und von irrationalem oder nicht-rationalem Handeln als typisch für soziales Verhalten wird dieser Auffassung zufolge irrelevant, denn alles Handeln ist subjektiv rational. Mises betonte, dass rationales Handeln – gleichgültig, welche Lebensbereiche es betrifft – nicht Eigennutzorientierung bedeute. Auch in der Wirtschaft werden die Menschen nicht plötzlich zu autistischen Egoisten, sobald sie auf dem Markt auftreten und sie sind nicht ausschließlich prosozial orientiert, wenn sie sich im Alltag verhalten. Individuelles Handeln ist subjektiv rational und diese Subjektivität schließt soziale Ziele, d.h. das Interesse am Wohlergehen der Familie, der Freunde, der Gemeinschaft, ja, der Menschheit, mit ein; sie sind aber notwendig individuelle Ziele, Interessen, in dem Sinn, dass sie für Individuen wichtig sind. Hayek meinte dann: „….there is no other way toward an understanding of social phenomena but through our understanding of individual actions directed toward other people and guided by their expected behaviour.“ (Hayek 1948: 6).
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Marktprozess und soziale Ordnung: Mises und Hayek Ludwig Mises und Friedrich A. Hayek wurden zu den bedeutendsten Vertretern der österreichischen Ökonomie in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Beide trugen zu dem bei, was dann als Marktprozesstheorie bekannt wurde und eine dynamische Sicht der Vorgänge auf Märkten darstellte, aber sie gehörten auch zu jenen, die den Liberalismus gegenüber den dominanten Strömungen der Zeit, die auf Planwirtschaft und Sozialismus wiesen, betonten. Da sie wie auch etwa die Ordoliberalen einen Liberalismus meinten, der sich dezidiert von dem Manchester-Liberalismus des 19. Jahrhunderts unterscheiden sollte, werden diese Strömungen als Neo-Liberalismus bezeichnet (Dieser ist nicht gleichzusetzen mit dem Neo-Liberalismus des Thatcherismus und der Reagonomics seit den 1970er und 1980er Jahren). Im Unterschied zum Laisser-faire-Liberalismus des 19. Jahrhunderts setzt der NeoLiberalismus den Staat voraus, er muss vor allem die Eigentums- und Vertragsrechte sichern, um Markt zu ermöglichen. Die Merkmale der liberalen Auffassung der Österreicher traten bereits im Verlauf der Diskussionen über das Rechnungsproblem im Sozialismus in den 1920er Jahren hervor (vgl. dazu Lavoie 1985). Mises hatte die Möglichkeit rationaler Rechnungslegung in einer zentral verwalteten Wirtschaft vehement bestritten und die Auffassung vertreten, Rationalität sei nur unter institutionellen und politischen Bedingungen möglich, die individuelle rationale Kalkulation erlauben, d.h. wenn die Regierung private Eigentumsrechte und Vertragsfreiheit garantiert, aber sich von der Lenkung der wirtschaftlichen Prozesse zurückzieht. Dies richtete sich gegen die Sozialisierungsbestrebungen in der Nachkriegszeit und deren Proponenten, zu denen etwa auch Karl Polanyi zählte, der die Effizienz eines ‚funktionalen Sozialismus’ nachzuweisen suchte (vgl. Polanyi 1922; Polanyi 1924/25). Diese Diskussion fand eine Neuauflage in den 1930er und 1940er Jahren in den USA, wohin die meisten Exponenten der österreichischen Schule wie Ludwig Mises, Friedrich August Hayek, Fritz Machlup., Gottfried Haberler u.a. emigriert waren (vgl. Klausinger 2006). In den USA war im Zuge der Wirtschaftsdepression und des New Deal Keynes’ Auffassung von der Rolle des Staates in der Wirtschaft von neoklassischen Ökonomen aufgegriffen worden. In diesen Diskussionen kam es auch zur Loslösung des Begriffs des Marktes als universelles Ordnungsprinzip von jenem des politisch-institutionellen Wirtschaftssystems; Oscar Lange und Abba Lerner prägten das Konzept eines Marktsozialismus. Mises und Hayek traten gegen die keynesianischen und marktsozialistischen Konzepte auf, da es bei zentraler Planung nicht zu einer Preisbildung auf Basis der individuellen Präferenzen der Konsumenten kommen könne (Boettke 2002: 264). Für sie bot nur der Liberalismus die institutionellen und politischen Voraussetzungen für effiziente Marktprozesse als Resultat des aktiven Beitrags jedes einzelnen Individuums (Mises 1949: 315). Besonders Mises sah staatliche Einmischung geradezu als Auslöser für wirtschaftliche Ineffizienz und für die Entstehung von Widersprüchen im Produktionssystem. Er meinte, dass Staatseingriffe nicht nur negative Effekte für die Wettbewerbsfähigkeit hätten, sondern auch für die Gesellschaft, da sie zur Errichtung eines bürokratischen Kastensystems führen würden (vgl. Mises 1936). War ‚der Markt’ als Begriff bisher nicht von besonderer Bedeutung in der ökonomischen Rhetorik gewesen, so kristallisierte er sich nun als ein politisch-ökonomisches Gegenkonzept gegen ‚den Staat’ heraus. Die theoretischen Auffassungen in Bezug auf den Markt
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waren jedoch sehr unterschiedlich. Die Lange-Lerner-Theorie basierte auf der Gleichgewichtsannahme der neoklassischen Ökonomie und ihrer mathematischen Formulierung in der Arrow-Debreu-Theorie, welche die von den institutionellen, sozialen und politischen Bedingungen unabhängige Steuerungsfunktion des Marktsystems voraussetzt. Demgegenüber betonten Mises und Hayek die Rolle der Handlungen der vielen individuellen Wirtschaftssubjekte im Markttauschprozess und maßen der selbst steuernden Gleichgewichtstendenz ‚des Marktes’ nur geringe Bedeutung bei. Mises und Hayek sprachen zwar noch von einer Tendenz zum Gleichgewicht, fügten aber gleichzeitig hinzu, dass dieses nie erreicht werden kann, solange der Marktprozess weiter geht und nicht zum Stillstand kommt. Denn der Markt verändert sich ständig auf Grund der individuellen Handlungen und ist daher ein Prozess und kein Gleichgewichtszustand. Die Annahmen der vollkommenen Konkurrenz und der vollständigen Information werden überhaupt fallen gelassen, da sie eine statische Auffassung des Marktes bedingen. In der Sicht der Marktprozesstheorie von Mises und Hayek ist der Begriff der Konkurrenz, wie ihn die neoklassische Theorie verwendet, in sich widersprüchlich, da bei Gleichgewicht und vollkommener Konkurrenz überhaupt kein Wettbewerb mehr stattfindet; gibt es aber Wettbewerbshandlungen, dann gibt es weder Gleichgewicht noch vollkommene Konkurrenz. Dem abstrakten statischen Marktmodell der Neoklassik stellten Mises und Hayek den dynamischen Marktprozess gegenüber, dessen Ergebnis immer nur eine Momentaufnahme darstellt, die sich sofort wieder verändert; daraus, so argumentierten sie, folgt auch, dass der Marktprozess nicht steuerbar ist. Er findet überdies nur unter bestimmten gesellschaftlich-institutionellen Bedingungen statt und ist daher nicht überallhin übertragbar. Das verweist darauf, dass die österreichischen Ökonomen keineswegs den institutionellen und politischen Kontext ignorierten, sondern ihn vielmehr als Voraussetzung für die freie Marktwirtschaft betrachteten. Friedrich A. Hayek verband mit seiner liberalen Wirtschaftsauffassung auch eine Gesellschaftstheorie und ein politisches Programm, das an individueller Freiheit und liberaler Demokratie orientiert war. Diese müssen durch den Staat garantiert werden, der sich aber sonst nicht in den Wirtschaftsprozess einschalten soll, den Hayek als einen gesellschaftlichen Prozess betrachtete. Das System der Marktpreise, so meinte Hayek, würde als Kommunikationssystem wirken, das evolutiv eine ‚spontane soziale Ordnung’ entstehen lasse (Hayek 1978). In einer spontanen Ordnung bilden sich Ziele oder Präferenzen der Individuen im Zuge des ‚katallaktischen’ Prozesses. Die spontane Ordnung, die durch die Tauschprozesse zustande kommt, ist keine Organisation mit festen Positionen und dauernder Rollenverteilung; sie ist ein dynamischer Prozess. Aber durch die intersubjektive Wahrnehmung und die sozialen Voraussetzungen und Erfahrungen bilden die Individuen Erwartungen, die durch den Marktprozess auf Grund der gegenseitigen Anpassung zum größten Teil erfüllt werden. Der ‚Markt’ ist aber in dieser Sicht kein selbsttätiger Optimierungsmechanismus, denn wie weit er funktional ist, ergibt sich erst durch die Beurteilung, ob die Individuen ihre Ziele erfüllen konnten. Hayek traf eine abstrahierende Unterscheidung zwischen ‚Wirtschaft’ und ‚Markt’ als den beiden Typen der sozialen Ordnung, wobei erstere eine Organisation meint, in der irgendjemand bewusst Mittel zur Erreichung einer einheitlichen Hierarchie von Zielen einsetzt (Hayek 2002: 14). ‚Markt’ oder ‚Katallaktik’ meint Hayek zufolge die Ordnung, die
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durch die individuellen Handlungen entsteht und daher keine einheitliche vorgegebene Hierarchie von Zielen voraussetzt. Diese Begriffe implizieren immer auch eine soziopolitische Verfassung, weshalb der Begriff des Marktes bei Hayek auch in enger Beziehung zum Begriff der Demokratie steht, die beide dem Road to Serfdom (Hayek 1944) entgegenwirken. Solcherart wurde ‚Markt’ zu einem politischen Prinzip, bei dem die Ziele der Gesellschaft durch das Zusammenwirken der individuellen Interessen ohne Dazwischentreten eines übergeordneten zentralen Subjekts verwirklicht werden sollen. Der Wohlfahrtsstaat ist demgegenüber Ausdruck dafür, dass Wirtschaften vorausgesetzten gesellschaftlich-politischen Zwecken dienen soll. Hayek war sich aber bewusst, dass die realen Formen der Wirtschaft eine Mischung von verschiedenen Graden von Staatsintervention und Marktfreiheit umfassen. ‚Markt’ ist nicht voraussetzungslos, er setzt die Institutionen des liberalen Rechtsstaates voraus; ohne diese würden die freie Konkurrenz und die individuelle Verfolgung von subjektiven Zielen in Monopolbildung, Ausbeutung, Unterdrückung resultieren. Durch Mises’ kompromisslose Positionierung gegen den Sozialismus und für den Liberalismus wurde die österreichische Ökonomie mit der Verteidigung des Kapitalismus und mit einer laisserfaire-Politik identifiziert. Dadurch wandten sich insbesondere viele Soziologen von der Auseinandersetzung mit dieser Auffassung ab, obwohl sich in ihren Traditionen zahlreiche Elemente ausmachen lassen, die eine genauere Beschäftigung damit rechtfertigen würden wie etwa die Auffassung des Marktes als sozialem Austauschprozess zwischen subjektiv rationalen Individuen, die Konzeption der Institutionen und die soziale Ordnungsvorstellung.
Ungewissheit und die Generierung von neuem Wissen In Hayeks Sicht sind Marktprozesse durch ständige Veränderung und Ungewissheit gekennzeichnet. Entgegen der Annahme der Neoklassiker sind Information und Wissen im dynamischen Marktprozess ungleich verteilt, ändern sich zudem ständig und sind den Marktakteuren zumeist verborgen (vgl. Hayek 1948). Das Ergebnis des fortlaufenden Veränderungsprozesses kann nicht vorhergesehen werden; er resultiert in ständig wechselnden Konstellationen von Gewinnern und Verlierern. Dass es in Marktprozessen nicht möglich ist, vorher zu wissen, wie sich die Vorteile und Nachteile auf die verschiedenen Akteure verteilen werden, gilt Mises und Hayek zwar nicht als optimal, aber als unumgänglich, denn die Alternative wäre die Vorwegbestimmung einer uniformen Werteskala, was mit einer demokratischen Gesellschaft unvereinbar wäre. Ungewissheit wird daher als die normale Bedingung in marktförmigen Sozialordnungen gesehen, die auch nicht systematisch auf Risikobedingungen zu reduzieren ist, indem man Wahrscheinlichkeitswerte zuordnet. Die Möglichkeit der Reduktion von Ungewissheit durch Informationsbeschaffung setzt voraus, dass alles relevante Wissen tatsächlich irgendwo vorhanden ist und prinzipiell von jedermann durch Suchen gefunden werden kann. Aber das ‚Wissen’, das in Statistiken, Angebots- und Nachfragefunktionen, Konsumentendaten etc. besteht und das einen Bestand an Informationen darzustellen scheint, bezieht sich auf Vergangenheit und erlaubt keine Gewissheit oder auch nur Wahrscheinlichkeit in Bezug auf die Zukunft. In einem sich dynamisch wandelnden Markt können die Individuen daher nicht nur die Aktionen anderer, sondern auch ihre eigenen zukünftigen Entscheidungen nicht
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voraussehen. Diese ergeben sich erst aus dem Wettbewerbsprozess selbst, was die Akteure zu einem Handeln nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum zwingt. Nur indem die Marktteilnehmer Handlungen setzen, können sie ihr Unwissen die Zukunft betreffend überwinden und das entdecken, was bis dahin unbekannt war. Obwohl Konkurrenz an sich für das Individuum hohe Kosten verursacht, erfährt sie dadurch, dass nur auf diesem Wege über Versuch und Irrtum neue Chancen und Möglichkeiten entdeckt werden können, ihre Berechtigung. Erst durch den Wettbewerb können die Individuen erkennen, wonach sie suchen sollen. Daher kann er keine vollkommene Konkurrenz sein, wie sie die Neoklassiker annehmen, da dabei bereits alle Parameter als gegeben angenommen werden. Hayek begreift den Marktprozess als einen Entdeckungsprozess von Wissen. Dieser nimmt für ihn eine zentrale Bedeutung an, was sich in seiner Schrift Economics and Knowledge von 1937 erstmals zeigte. Darin beschreibt er nicht nur die Entdeckung des Wissens, sondern nimmt auch Bezug auf das soziale Problem seiner Verteilung. Die reine Logik der Wahl müsse, so folgert er, ergänzt werden durch eine empirische Untersuchung der Streuung des Wissens. Machlup hat dann auch eine der ersten empirischen Studien über Wissensarbeiter in den USA durchgeführt (vgl. Machlup 1962). In einem weiteren Beitrag über The Use of Knowledge in Society von 1945 definierte Hayek den Markt als einen fortdauernden Prozess des Wandels der Wissensgenerierung und -verteilung. Da jede einzelne Handlung das Wissen verändert, bleibt die Ermittlung der Wissensverteilung stets problematisch. Für Hayek ist Wissen ein ‚flow’-Begriff, denn es besteht nicht aus einem ‚stock’ von Daten, Rezepten, Theorien, die angewendet werden können, sondern es entsteht erst durch Handeln und enthält daher immer ein Moment der Überraschung. Wissen als Handlungswissen verstanden erneuert sich ständig und die Entdeckung des Wissens bedeutet daher gleichzeitig auch einen Prozess der fortwährenden Produktion von Ungewissheit. Diese Ungewissheit stellt jedoch im Rahmen der österreichischen Auffassung keinen störenden Faktor dar wie in der Mainstream-Ökonomie, sondern ist die Kraft, die die Dynamik der Marktprozesse vorantreibt. Auf Grund der komplexen Verkettung der gegenseitigen Deutungs- und Handlungsprozesse enthält der Markt immer mehr Wissen als die Individuen. Er wird daher als ein kognitiver Prozess oder als Produkt sozialer Intelligenz gesehen (Lavoie 1985). Irrtum ist unvermeidbar unter Ungewissheit, aber auch dieser wird von den Austrians nicht als Nachweis der Unzulänglichkeit des Marktes verstanden, sondern als notwendig, um den Marktprozess zu immer neuen Grenzen des Wissens zu treiben. Denn Irrtümer, die erkannt werden, leiten einen Lernprozess der unternehmerischen Individuen ein. Dieses Lernen ist weder die konditionierte Verhaltensänderung der Behavioristen noch die ständige Anpassung an Anforderungen der Umwelt, sondern beruht auf der Fähigkeit und Bereitschaft, das bislang Unbekannte zu entdecken. Die Entdeckung des Wissens im Wettbewerb erfolgt im Rahmen eines sozialen Interaktionsprozesses zwischen Individuen mit entgegen gesetzten Zielen, verschiedenen Erfahrungen und Erwartungen und unterschiedlicher Interpretation der Situation; es muss daher zu einem intersubjektiven Interpretations- und Austauschprozess in kommunikativer Form kommen. Dieser Prozess wird von Einzelnen in Gang gesetzt, deren ‚alertness’, d.h. deren Wille, sich in unbekanntes Terrain vorzuwagen, die Triebkraft der Marktdynamik darstellt. Sie werden als Unternehmer charakterisiert, was aber in der Sicht der österreichischen Öko-
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nomen keinen Bezug zu Positionen oder Funktionen im Rahmen von Organisationen hat. Unternehmerisches Handeln hängt nicht von der Position im Unternehmen ab, sondern von Eigenschaften, die sich im Markthandeln manifestieren. Sofern die Menschen sich der Situation der Ungewissheit stellen und sich dennoch zum Handeln entschließen, sind sie Unternehmer, wie Mises feststellt: „In any real and living economy every actor is always an entrepreneur“ (Mises 1949: 253). Auch Hayek meint, dass die spontane Ordnung des Marktes „can use the knowledge of all participants, and the objectives it serves are the particular objectives of all its participants in all their diversity and polarity” (Hayek 2002: 14). Marktteilnehmer, seien sie Produzenten, Händler, Konsumenten etc., zeigen unternehmerisches Handeln dadurch, dass sie unter Ungewissheit zu handeln gewillt sind, um – gleichgültig welche konkreten Zwecke sie verfolgen – neue Chancen zu entdecken. Die Welt, die Mises und Hayek zeichneten, ist eine unsichere, aber auch eine dynamische Welt, in der jeder einzelne handeln muss, wenn er sich und diese soziale Ordnung voranbringen will. Die Sicherheit, die durch staatliche Beschränkungen dieses freien Handelns bewirkt wird, hat in dieser Auffassung den Nachteil, dass damit übergeordnete Zwecke eingeführt werden, welche die Freiheit beschränken und gleichzeitig die Entdeckung neuen Wissens hemmen. Aber die Menschen, die in diesen Marktprozessen entscheiden und handeln, sind keine homines oeconomici, keine isolierten asozialen Wirtschaftssubjekte, die nur ihren Eigennutz verfolgen. Sie sind auch unterschiedlich hinsichtlich ihrer Fähigkeit, mit Ungewissheit umzugehen. Nicht nur die kalte Rationalität des Rechnungswesens bestimmt ihre Entscheidungen, sondern die Selbstüberwindung in Bezug auf Angst und Risikoaversion. Sie handeln in intersubjektiven Situationen; diese sind durch unterschiedliche Deutungen und durch Kampf und Konflikt charakterisiert, aber sie erlauben auch intersubjektive Verständigung über Sichtweisen und Handlungschancen. Dieser letztere Aspekt erfuhr in den gegenwärtigen Entwicklungen im Rahmen der Austrian Economics eine besonders starke Aufmerksamkeit, während die politisch-liberalistischen Tendenzen in den Hintergrund traten.
Weiterentwicklung der Austrian Economics nach Mises und Hayek Wenngleich Hayek einen nicht unbeträchtlichen Einfluss auf die Chicago-Ökonomie hatte, entwickelte sich die österreichische Ökonomie (manchmal auch als Neo-Austrian Economics bezeichnet) in den USA als eine spezifische Richtung abseits der Mainstream-Ökonomie weiter. Die Austrian Economics stellen gegenwärtig eine heterodoxe Richtung dar, ihre ‚scientific community’ verfügt dennoch über eine relativ gute Positionierung und Ausstattung. Sie besitzt ein allgemein elektronisch zugängliches Archiv der Werke von Mises und Hayek, eine eigene Zeitschrift und ihre Vertreter in den USA haben eine Reihe von Lehrstühlen inne. Die auf Mises und Hayek folgende Generation der Schule ist durch drei Persönlichkeiten charakterisiert, die gleichzeitig ziemlich unterschiedliche Richtungen repräsentieren. Die Handlungstheorie und der konsequente Liberalismus von Mises wurden in der Folgegeneration innerhalb der Schule von Murray N. Rothbard weitergeführt. Dieser entwickelte die Praxeologie als empirisch-deduktive Wissenschaft methodisch weiter (Rothbard 1997). In-
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haltlich nahm er Mises’ Auffassung von den Konsequenzen von Staatsinterventionen auf und schärfte die Argumentation in Richtung auf eine Theorie des Kastenkonflikts in Analogie zu Marx’ Klassenkampfkonzept. Als Ursache dafür sah er nicht den Kapitalismus, sondern die Allianz von ‚Big Government’, ‚Big Business’ und ‚Big Labour’ in einem „welfare-warfarestate“ (Rothbard 1970). In diesem stünden sich zwei Kasten feindlich gegenüber, die Steuerzahler und die Steuerkonsumenten, welch letztere die Politiker und Bürokraten und all jene umfassen, die von diesen Privilegien erhalten. Rothbard trat für die Beseitigung der staatlichen Gewalt ein und stand für eine anarcho-libertäre Position innerhalb der Austrian Economics. Ein anderer Vertreter in dieser Generation war Ludwig Lachmann, der die subjektivistische Dimension in seiner Konzeption betonte. Er lehnte das Gleichgewichtskonzept vollkommen ab und ließ nicht einmal eine Tendenz zum Gleichgewicht zu (vgl. Lachmann 1976). Dabei berief er sich auf das Konzept der Erwartungen unter Ungewissheit, wie es Shackle vertreten hatte. Er griff auch dessen Begriff der ‚kaleidischen Gesellschaft’ auf, für die rasche und unerwartete Veränderungen, die von der Volatilität der Kapitalmärkte ausgelöst werden, charakteristisch sind (Shackle 1972). Lachmann hob den spekulativen Charakter wirtschaftlichen Handelns hervor, knüpfte aber besonders an Max Webers Handlungstheorie und die Verstehensmethode an. Auf Grund der interpretativen Aspekte des Handelns besitze, wie er meinte, die Wirtschaftstheorie keine erklärende, sondern eine hermeneutische Funktion (Lachmann 1991). Lachmann vertrat unter den österreichischen Theoretikern den Standpunkt einer verstehenden Sozialwissenschaft am konsequentesten. Der in Bezug auf seine schulprägende Wirkung bedeutsamste Vertreter dieser Generation ist jedoch Israel Kirzner, der die Konzeption des Wissens und des unternehmerischen Entdeckungsprozesses von Hayek weiter entwickelte (vgl. Kirzner 1973; 1985). Kirzner lässt in seiner Auffassung auch die Möglichkeit von Marktversagen durch endogene Faktoren zu (vgl. Kirzner 1992; 1997). Besondere Betonung legt er auf die Bedeutung der intersubjektiven Wahrnehmungen wirtschaftlicher Akteure; die „mutual awareness“ ermöglicht seiner Auffassung zufolge das Gleichgewicht der Marktprozesse durch den Austausch von Wahrnehmungen und Situationsdeutungen. Dieses phänomenologisch-interpretative Verständnis von Wirtschaftsprozessen und das Wiederaufnehmen der Orientierung an Max Weber bestimmen die Austrian Economics der Gegenwart, etwa bei Gerald O’Driscoll, Mario Rizzo, Peter Boettke, Don Lavoie, Richard Ebeling, Hans-Hermann Hoppe, Joseph T. Salerno u.a. In gewisser Weise wird damit auch an die soziologischen Elemente bei Carl Menger und Friedrich Wieser angeknüpft. Von Seiten der Austrian Economics entstand dadurch ein starkes Interesse an der Verbindung zur Soziologie und an der Rückkehr zu der ‚cross-fertilization’, wie sie zwischen Weber und den damaligen österreichischen Ökonomen bestand (Boettke und Storr 2002). O’Discoll und Rizzo haben darauf verwiesen, dass der dynamisch-prozessuale Charakter der Austrian Economics ein Überdenken des Begriffs der Zeit notwendig macht, das nicht mehr auf dem Newtonschen Verständnis aufbauen kann, sondern etwa auf Bergson’s Begriff der ‚durée’ als subjektiv erfahrene Dauer rekurrieren muss (O’Driscoll und Rizzo 1985: 62). Zeit wird als kontinuierlicher Fluss neuer Erfahrungen verstanden, die miteinander verbunden sind und die Gedächtnis und Erinnerung und damit auch die Perspektiven der Individuen verändern. Sie verbindet die gegenseitigen Erwartungen der Individuen im
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Prozess des Handelns in ungewissen Situationen zu einer Abfolge ständig wechselnder Erwartungskonstellationen, Interpretationen und Handlungen; das charakterisiert in dieser Sicht insbesondere die Handlungszusammenhänge auf dem Markt, lässt sich darüber hinaus auf alle Lebenssituationen anwenden. Auch die Bedeutung der Institutionen und der politisch begründeten Wirtschaftsordnung, die bei den österreichischen Ökonomen immer Beachtung gefunden hat, findet eine Fortsetzung, etwa in der Analyse des „legal-economic nexus“ (Samuels 1989), der Wechselwirkung zwischen Wirtschaft einerseits und Politik und Recht andererseits. Zwar standen die österreichischen Ökonomen den Staatsinterventionen meist kritisch gegenüber, aber ihr Liberalismus war eine Reaktion auf die jeweiligen politisch-institutionellen Verhältnisse der Zeit. Die Umwelt, in der sich die Austrian Economics heute befinden, ist eine andere als die der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts, in der sie für einen Neo-Liberalismus gegen die drohenden planwirtschaftlichen Tendenzen eintraten. Das Scheitern der sozialistischen Systeme, die Deregulierung der Kapitalmärkte, die wirtschaftliche Globalisierung durch multinationale Konzerne, die relative Schwäche der demokratischen Staaten haben heute eine ganz andere Situation geschaffen. Daher haben sich auch die Austrian Economics mit der Globalisierung und mit dem gegenwärtigen Kapitalismus auseinander gesetzt (Boettke und Storr 2002) sowie vergleichende Studien über Wirtschaftssysteme unternommen (Boettke 2001) und die Bedeutung der Kultur für die Wirtschaft hervorgehoben (Lavoie und Wright 2000).
Wirtschaftssoziologie und Austrian Economics Märkte werden in der Soziologie aus dem Blickwinkel ihrer institutionellen und strukturellen Einbettung thematisiert, aber ihr dynamischer Charakter als soziale Prozesse bleibt weitgehend unterbelichtet. Noch immer wird der Markt nicht als ein soziales Interaktionsfeld betrachtet, sondern als ein vorsozialer Kontext vorausgesetzt, als ein durch ‚Ausdifferenzierung’ aus dem gesellschaftlich-sozialen Zusammenhang entstandener sich selbstreproduzierender Funktionsbereich verstanden. Wirtschaftssoziologen legen daher großes Gewicht darauf zu zeigen, dass auch für Interaktionen im Markt ‚soziale’ Handlungsmotive und Beziehungsaspekte von Bedeutung sind. Für die ‚Austrians’ ist Markt hingegen ein Name für den Prozess der vielen individuellen Aktionen und Interaktionen, die sich fortlaufend überlagern. Markt ist ein dynamischer sozialer Prozess, der Wissen produziert und gegenseitige Sinndeutungen involviert. Der Markt ist, wie Mises meinte, „the foremost social body“ (Mises 1962: 315), er entsteht und verändert sich durch die Aktionen und Interaktionen der Individuen, denn es sind stets Menschen, nicht Preise die Ressourcen für Ziele einsetzen. Gerade dadurch existiert der Markt nicht außerhalb oder getrennt von der Gesellschaft, sondern repräsentiert eine auf Handeln begründete Sozietät, eine „society-in-acting“, wie sie Liljenberg nennt, der dafür eintritt, dass Hayeks Auffassung mit der Netzwerkanalyse verbunden werden sollte, um einen sozio-dynamischen Begriff des Marktes und eine prozess-orientierte Perspektive in die Wirtschaftssoziologie der Märkte einzuführen. Grundlage dafür sowie allgemein für die Annäherung von Soziologie und Ökonomie ist das Umdenken in Bezug auf die Polarisierung von Individualismus und Kollektivismus, wie es im Verständnis des ‚social
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individualism’ seit Menger vorgezeichnet ist (Liljenberg 2005: 1017). Dieser ‚soziale Individualismus’ der Austrian Economics bzw. die Rückbesinnung auf seine sozialphilosophischen Grundlagen kann helfen, die Trennung zwischen dem Individualistisch-Ökonomischen und dem Kollektiv-Sozialen zu überwinden. Die Auseinandersetzung mit den Austrian Economics kann die Diskussion innerhalb der Wirtschaftssoziologie befruchten und sie veranlassen, sich grundlegender mit ihrem eigenen Verständnis von Ökonomie zu befassen und ihre theoretische Basis zu vertiefen. Das trifft insbesondere auch für den Begriff der Rationalität des Handelns zu, der in der Wirtschaftssoziologie nach wie vor problematisch ist, weil noch immer die Identifikation rationalen Handelns mit ökonomisch-rationalem Handeln auf der einen Seite und von irrationalem Handeln mit sozialem Verhalten auf der anderen Seite nachwirkt. Demgegenüber muss im Sinne der Austrian Economics betont werden, dass alles Handeln als rational begriffen werden kann, ohne es deshalb auf opportunistische Kalküle und ‚rational choice’Strategien reduzieren zu müssen. Wirtschaft und Gesellschaft, Geschäftsleben und Alltag können damit im Hinblick auf die Handlungsweisen der Menschen wieder miteinander verbunden werden. Das kann nicht nur dazu dienen, die Interessen und Handlungen der Subjekte zu verstehen, sondern auch der Marktprozess wird solcherart als ein gegenseitiger Wahrnehmungs- und Deutungsprozess begreifbar und damit als ‚normaler’ sozialer Prozess erkennbar, der nicht auf spezifisch ‚ökonomische’ Motive bzw. einen rechnerisch geprägten Austausch von Geld und Ware auf der Basis von Preisen reduziert wird. Wirtschaftliches Handeln und Marktprozesse können damit als allgemeine menschliche und zwischenmenschliche Vorgänge verstanden und in das Leben der Menschen integriert werden. Der Subjektivismus der Austrian Economics kann durch die Betonung der subjektiven Situation der Handelnden und der intersubjektiven Wahrnehmungs- und Deutungsprozesse im Besonderen für eine ‚verstehende Wirtschaftssoziologie’ bedeutsam sein und die Ankopplung an Max Weber sowie an die phänomenologische Soziologie von Alfred Schütz bzw. Berger und Luckmann und an Methoden der interpretativen Situationsanalyse ermöglichen, wie es O’Driscoll und Rizzo sehen (1985: 36). Die besondere Rolle der Ungewissheit und des Wissens in den Austrian Economics stellt einen weiteren Aspekt ihrer wirtschaftssoziologischen Relevanz dar. Zwar wird auch in der Wirtschaftssoziologie die Ungewissheit des Markthandelns hervorgehoben, aber ähnlich wie in der Mainstream-Ökonomie wird sie als Störfaktor, als einschränkende Bedingung rationalen Handelns aufgefasst. ‚Soziale’ Faktoren wie Beziehungen, Konventionen, Normen, Institutionen sollen zur Reduktion der Ungewissheit beitragen (vgl. Beckert 1996). Das ist zwar durchaus richtig und stellt einen wichtigen Beitrag dar, den die Wirtschaftssoziologie leisten kann, aber gleichzeitig wird damit die positive Funktion der Ungewissheit in einer Marktgesellschaft nicht erfasst. Diese besteht aus Sicht der Austrian Economics in der Dynamisierung der Marktprozesse und der Ermöglichung von Innovation durch die Entdeckung neuen Wissens. Hierbei könnte es zu einer gegenseitigen Ergänzung von Wirtschaftssoziologie und Austrian Economics kommen, denn einerseits ist zwar Ungewissheit der Auslöser für die Erschließung neuer Marktchancen, andererseits aber nutzen die Individuen dabei ihre Kenntnis der Normen und Institutionen, ihre Erfahrungen und ihre sozialen Beziehungen. Dieses ‚soziale’ Wissen ist – und das wird meist übersehen – auch wieder eine
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Quelle der Ungewissheit. Netzwerkbeziehungen reduzieren nicht notwendig die Ungewissheit, sie vergrößern vielmehr die Komplexität der Entscheidungsfindung. Gleichwohl sind diese sozialen Prozesse unvermeidlich mit wirtschaftlichem Handeln verbunden und müssen in der Analyse berücksichtigt werden genauso wie der unterschiedliche Umgang verschiedener Menschen mit Ungewissheit und die Rolle des unternehmerischen Handelns. Die Austrian Economics lassen Gewohnheiten, Routinen, Konventionen sowie Normen und Institutionen nicht unberücksichtigt und setzen damit eine bereits bei Carl Menger begründete Tradition fort. Sie können zum einen habituelles Reaktionsverhalten darstellen, zum anderen aber stellen auch Nachahmung und Normbefolgung keine nicht- oder irrationalen Verhaltensweisen dar, denn die Menschen können sich auch bewusst für das Befolgen einer Regel oder für die Nachahmung anderer entscheiden. Auch diese Verhaltensweisen sind daher rational und beruhen auf bewusstem Abwägen; allerdings lassen die Austrians damit auch die Möglichkeit zu, dass sich einzelne dafür entscheiden, bewusst gegen den Strom zu schwimmen und die Ungewissheit als eine Chance für Gewinn zu nutzen, gerade weil sie von anderen nicht genutzt wird. Rationale Marktakteure wissen, dass sie Entscheidungen treffen müssen, die unvorhersehbare Konsequenzen haben können. Ihr Handeln setzt daher eine aktive, kreative Qualität voraus, die nicht aus vorhergehenden Akten oder aus Informationen deduzierbar und daher auch nicht ‚berechenbar’ ist. Anders als in Max Webers Auffassung des rationalen Wirtschaftens im modernen Kapitalismus ist das rationale Handeln für die Austrians nicht nur durch formale Rechenhaftigkeit und planvollen Vollzug charakterisiert, sondern meint Entscheidung, was stets die bewusste Wahl zwischen Alternativen unter Ungewissheit und damit ungewissen Ergebnissen impliziert. Entscheidungen zu treffen bedeutet nicht einfach, sich auf Datensammlungen und Indikatoren, auf Modelle und Theorien zu stützen, sondern impliziert Handeln nach Versuch und Irrtum, da stets unerwartete Ereignisse eintreten können. Diese sind vor allem auch durch die Konkurrenz zwischen den individuellen Marktakteuren bedingt. In Märkten führt Ungewissheit nicht notwendig zu habituellem oder Routineverhalten, sondern zu innovativen Akten und leitet damit einen Prozess der „creative evolution“ ein (O’Driscoll und Rizzo 1985: 62). Handeln kann auf Märkten nicht auf Normen und Strukturen reduziert werden, da dies die eigentlichen Merkmale von Marktwirtschaft als Prozess der Veränderung eliminieren würde. Das setzt allerdings politische und institutionelle Bedingungen voraus, die diese kreative Qualität von Marktprozessen ermöglichen und legitimieren. Regeln können aber selten direkt angewendet werden, sondern müssen interpretiert und modifiziert werden, um den Situationsbedingungen und Zielen der Handelnden zu entsprechen. Marktakteure interpretieren Regeln, Normen, Institutionen, um zukünftige Situationen und die erwarteten Wahlhandlungen der anderen Marktteilnehmer abzuschätzen. Dabei konstruieren sie Typen und Rahmen, um die möglichen Konsequenzen verschiedener Aktionsverläufe zu überblicken bzw. deren Bandbreite der Variation abzustecken. Da ihnen die Möglichkeit plötzlicher Veränderungen auf Märkten, etwa auf Kapitalmärkten, bekannt ist, unterscheiden Marktakteure auf Grund dieser Kenntnis bzw. auf Grund von Erfahrung zwischen typischen und einzigartigen Vorkommnissen (O’Driscoll und Rizzo 1985: 20). Die Daten der Wirtschaft wie Preise, Einkommen, Kosten, Gewinn etc. sind in Marktprozessen nicht einfach quantitative Faktoren; die Informationen darüber bestehen in Nach-
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richten, die redundant, vielfältig, widersprüchlich und veränderlich sein können, denn sie werden von unterschiedlichen Personen und Gruppen auf Grund ihrer Position und jeweiligen Situation unterschiedlich wahrgenommen und beurteilt. Auch Preise unterliegen daher interpretativen Prozessen, denn sie werden im Kontext der intersubjektiven Sozialwelt kommuniziert. Bei Wieser wurden schon Elemente einer Preis- und Kostensoziologie angedeutet. In der Gegenwart spielen sie in den Austrian Economics eine große Rolle. Die Veränderung im Preis einer Ware hat unterschiedliche Bedeutung für verschiedene Personen und Gruppen und führt zu jeweils anderen Handlungen, aber auch verschiedenen Erwartungen hinsichtlich der zukünftigen Preisentwicklung. Ebenso sind Kosten kein objektives Datum, sondern ihre Höhe in Geldquanten und ihre Zusammensetzung werden unterschiedlich bewertet, je nachdem von wem die Beurteilung ausgeht. Die unterschiedliche Sicht und Bewertung führt daher auch zu unterschiedlichen Handlungen, die ihrerseits wieder Ergebnisse erbringen, die ganz verschiedenen Interpretationen unterliegen. Die Austrians nehmen auch keine stabilen Präferenzen an, denn die Bedürfnisse und ihre Rangordnung ändern sich auf Grund von technologischen Entwicklungen, Modetrends, Lebensstilen, und sie sind sehr unterschiedlich je nach der sozialen Position, der persönlichen Lebenssituation und den Erfahrungen und Erlebnissen der Menschen. Der Wettbewerb ist ein sehr wichtiges Element der österreichischen Konzeption, denn er ist der Motor, der die Marktprozesse in Gang setzt und hält. Wettbewerb impliziert im Hinblick auf den Kommunikations- und Interpretationsprozess im Markt, dass andere von relevanten Informationen ausgeschlossen werden, impliziert daher ungleiche Verteilung des Wissens. Nur in jenen Fällen, in denen die Chancen nur gemeinsam realisiert werden können, wird Wissen geteilt. Mises hatte aufgezeigt, dass Konkurrenz und Kooperation einander nicht ausschließen. Weder ist Konkurrenz nur durch Eigeninteresse bedingt, noch beruht Kooperation allein auf sozialemotionalen Beziehungen. Sie sind beide Handlungen, die aus der subjektiven Rationalität der Individuen folgen, die in einer sozialen Welt der gegenseitigen Abhängigkeiten und der Ungewissheit leben (vgl. Mises 1949). Konkurrenz und Kooperation sind soziale Interaktionen, implizieren aber gleichzeitig rationale Entscheidungen der beteiligten Individuen. Die Wirtschaftssoziologie hebt die Bedeutung der Kooperation in Märkten hervor und begründet sie durch die Dauer und Häufigkeit von Interaktionen, die persönliche Beziehungen entstehen lassen. Kooperation wird demnach als ‚sozial’ und ‚solidarisch’ der Konkurrenz als der ‚individuellen’ Vorteilsverfolgung entgegengesetzt. Allerdings wird dann vielfach auch zu zeigen gesucht, dass Kooperation auch Nutzen im Sinne eines Gewinns für den individuellen Marktakteur stiftet. Dies begründet eine ambivalente Sicht der Kooperation in manchen wirtschaftssoziologischen Analysen. Aber tatsächlich sind die ‚sozial-solidarischen’ und die instrumentellen Antriebe des Handelns gleichermaßen rationale Motive. Sowohl Konkurrenz als auch Kooperation beruhen auf rationalen Entscheidungen, weder ist Kooperation nur sozial orientiert, noch ist Konkurrenz nur instrumentell auf Eigennutz ausgerichtet. Beides sind Handlungsweisen, die Entscheidungen auf Grund der sozialen Situation der Individuen voraussetzen. In beiden Fällen müssen soziale Beziehungen berücksichtigt werden, seien diese persönliche Freundschaften oder ‚reine’ Geschäftskontakte. Auch sind Kooperation und Konkurrenz Prozesse, in denen intersubjektive Wahrnehmungen, gegenseitige Erwartungen und symbolischer Austausch kontinuierlich stattfinden.
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In der Wirtschaftssoziologie wie in der Soziologie insgesamt spielen Organisationen eine große Rolle als Kontext sozialen Handelns und als wichtige soziale Gebilde in den modernen Gesellschaften. In den Studien zu den ‚interfirm relations’ in der Wirtschaftssoziologie werden die Unternehmen vielfach als die Akteure behandelt und Märkte als durch Beziehungen zwischen diesen, als „markets from networks“ (White 2002) bestimmt. Auf Grund ihrer subjektivistischen Orientierung haben die Austrian Economics dem Problem der Organisation wenig Beachtung geschenkt. Die ‚Theorie der Firma’, wie sie von Ronald Coase (1988), Oliver Williamson (1975) u.a. begründet wurde, akzeptieren sie zwar als eine Erklärung für die Genese des Unternehmens, aber sie sehen diesen Ansatz nicht als geeignet an, um das Handeln von Unternehmen in den fortlaufenden Marktprozessen zu erklären. Ihr Fokus liegt auf dem Handeln der ‚Unternehmer’, das auf das Außer-Kraft-Setzen von bestehenden Strukturen, Regeln und Routinen, wie sie Hierarchien darstellen, ausgerichtet ist. Da auch für Unternehmen die Prozesse der Entdeckung neuen Wissens und des Lernens in ihrer Sicht grundlegend sind, kritisieren sie Regeln und Strukturen, die diese behindern. Wettbewerb im Sinne der Schaffung oder Entdeckung neuen Wissens ist in dieser Auffassung auch für Organisationen wichtig, damit sich unternehmerisches Handeln in der gesamten Unternehmung verbreiten kann (vgl. Klein 1996). Die Austrians sehen unternehmerisches Handeln nicht nur an der Spitze der Organisationen lokalisiert, sondern plädieren für die Durchdringung des gesamten Unternehmens mit den Prozessen der Wissensentdeckung und des kreativen Lernens. Eine österreichische Theorie der Firma, wie sie manchmal versucht wurde (vgl. Foss 1994; Foss und Klein 2002), stellt daher auf die Probleme der Balance zwischen Regulierung und Kontrolle auf der einen und Autonomie und Wettbewerb auf der anderen Seite ab. Dabei werden auch die Prozesse subjektiver Wahrnehmung und Interpretation als wichtig hervorgehoben, so dass der Berücksichtigung der individuellen Interessen, wie sie sich aus der subjektiven Sicht der eigenen Situation der Organisationsmitglieder ergibt, Bedeutung zukommt. Eine österreichische Theorie der Firma ist daher eine Theorie unternehmerischen Handelns, bei der die Organisation als eine Konstellation von individuellen Agenten gesehen wird, die zur Schaffung neuen Wissens beitragen, um damit die Entdeckung neuer Chancen für die Unternehmung im Markt zu fördern.
Conclusio Die Austrian Economics stellen eine Theorie der Marktprozesse als interaktive Veränderungsprozesse dar, die auch als Katallaktik bezeichnet wird. Sie wird durch ihre Betonung des dynamischen Austauschprozesses mitunter auch als Gegenpol einer soziologischen Konzeption gesehen; so etwa in Zafirovskis Gegenüberstellung von „catallactics“ und „sociologics“ im Sinne von zwei entgegen gesetzten Auffassungen sowohl von Gesellschaft als auch von Markt (vgl. Zafirovski 2003). Damit wird jedoch wieder die Dualität von ‚Ökonomie’ und ‚Soziologie’ als den zwei konträren Anschauungswelten betont. Hier sollten demgegenüber die Chancen für eine Verbindung beider, so lange getrennter Sichtweisen in den Mittelpunkt gerückt werden. Die Austrian Economics enthalten eine Auffassung von Gesellschaft auf individualistischer Grundlage, verstehen individuelles Handeln als subjektiv rational und sozial, begründen Rationalität nicht eng auf ‚ökonomische’ Zwecke gerichtet und sehen Un-
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gewissheit als existentielle Bedingung des Menschen. Grundlegend für die sozialwissenschaftliche Bedeutung der Austrian Economics ist ihre Auffassung vom dynamischen Charakter von Tausch- und Marktprozessen. Die Begriffe, mit denen sie operieren, müssen daher als prozessuale Konzeptionen verstanden werden. Diese dynamische Sicht von Marktprozessen und der Prozesscharakter der Begriffe stellen den wichtigsten Beitrag der Austrian Economics für das Verständnis von sozialem Handeln und sozialen Interaktionen dar; sie können die vorwiegend auf Strukturerkenntnis ausgerichteten Konzeptionen der Wirtschaftssoziologie im Hinblick auf die stärkere Berücksichtigung der Prozessdynamik ergänzen.
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Max Weber und Rudolf Goldscheid: Kontrahenten in der Wendezeit der Soziologie∗
4 Max Weber und Rudolf Goldscheid: Kontrahenten in der Wendezeit der Soziologie
Die Zeit der Klassiker war als Gründungsepoche der modernen Soziologie gleichzeitig auch eine Wendezeit. Die Epoche, die man für Deutschland etwa zwischen 1887, dem Erscheinungsjahr der ersten Auflage von Tönnies’ Gemeinschaft und Gesellschaft und 1920, dem Tod Max Webers, ansetzen kann, bedeutete die Zähmung sozialen Denkens in die disziplinären Zwänge und institutionell-professionellen Bedingungen der akademischen Wissenschaft im Rahmen der staatlichen Bildungssysteme (Wagner 1990). Die Wissenschaft, die lange Zeit die Hoffnungen auf menschlichen Fortschritt zu bergen schien, wurde zu einer Institution der nationalstaatlich verfassten industriellen Gesellschaften und zu einem Beruf. Niemand anderer als Max Weber hat dies so nachdrücklich deutlich gemacht (Weber 1992). Wendezeit bedeutet jedoch auch, dass andere Tendenzen und Entwicklungsmöglichkeiten bestanden, die aus dem kollektiven Gedächtnis der zu allgemeiner Anerkennung gelangten akademischen Soziologie der 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts zugunsten einer selektiven und konsistenten Rekonstruktion verschwanden. Alles das, was nicht in das Bild der modernen Soziologie passte, blieb unberücksichtigt. Besonders jene Strömungen, die noch mit dem Fortschrittsglauben der Aufklärung durch Wissenschaft verbunden waren, wurden in diesem Prozess als störend empfunden und daher als unwissenschaftlich charakterisiert. Sie waren in Wien deutlicher vorhanden, weil konzentriert auf ein kulturelles Zentrum, als im übrigen deutschen Sprachraum.
Gesellschaft und Wissenschaft Das geistige Leben in Wien um 1900 wurde verschiedentlich als „Spätaufklärung“ charakterisiert, was zwar insofern richtig ist, als gewisse Elemente der Aufbruchsstimmung, wie sie das späte 18. Jahrhundert etwa in Frankreich charakterisierten, hier erst ein Jahrhundert später auftraten. Aber es ist nicht richtig, wenn man darunter ein rückwärtsgewandtes Denken verbindet, was der Begriff suggerieren könnte. Die aufklärerischen Strömungen verbanden sich mit spezifischen, durchaus innovativen Orientierungen, was schließlich auch in bedeutenden intellektuellen Leistungen des Wiener Kreises in der Philosophie, der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, sowie in vielen anderen Wissenschaften oder auch in Kunst und Literatur resultierte, die ohne die breiteren sozialliberalen Strömungen nicht möglich gewesen wären (Stadler 1997: 210 ff). Sie bildeten auch den Boden, auf dem die Gründer der Soziologischen Gesellschaft in Wien, vor allem Rudolf Goldscheid und Max Adler, standen. Sie hoben die Rolle der Wissenschaft für die Gestaltung einer neuen Gesellschaft hervor und standen insofern in der Tradition des Aufklärungsdenkens, dem Wissen∗
Dieses Kapitel ist unter demselben Titel zuerst erschienen in: Sociologia Internationalis 42/2004, 265-286.
G. Mikl-Horke, Historische Soziologie – Sozioökonomie – Wirtschaftssoziologie, DOI 10.1007/978-3-531-92798-5_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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schaft als eine Möglichkeit erschienen war, „objektive“ und das hieß zunächst, nicht durch Interessen oder Macht bestimmte Bedingungen des Fortschritts zu schaffen. Für die Soziologie nach der Wendezeit ist hingegen die Erkenntnis charakteristisch, dass Wissenschaft selbst ein gesellschaftlich bedingtes Phänomen ist, das durch kulturelle, soziale und individuelle Bezüge relativiert wird. Gunther Remmling hat dies vor allem mit Hinweis auf die Wissenssoziologie Mannheims als die Entropie des Geistes bezeichnet (Remmling 1975). Dahme sieht eine Erklärung des Verlustes der Fortschrittsorientierung in dem bildungsbürgerlichen Pessimismus, der als Reaktion auf den Materialismus, Rationalismus und Optimismus der Gründerzeit in Deutschland entstanden war, aber auch in der Persistenz der Sozialen Frage und in der Erkenntnis des Werte- und Strukturwandels gründete. Er stellt fest, dass gerade der Verlust des Fortschrittsglaubens die soziale Akzeptanz der Soziologie begründet hatte (Dahme 1988: 227). Erst die Reduktion ihres Anspruchs und der Rückzug auf die akademischen Ziele machten es möglich, dass ihre Sachkundigkeit gewürdigt werden konnte, ohne die Folgen ihrer Erkenntnis in Praxis umsetzen zu müssen. Die Soziologie wurde zu einer akademischen Wissenschaft, deren Fortschritt sich auf die innerdisziplinäre Entwicklung von Methoden und Theorien richtete, ohne unmittelbare Gestaltungsabsicht. Statt auf gesellschaftlichen Fortschritt wurde das Interesse der Wissenschafter mehr und mehr auf innerwissenschaftlichen Fortschritt, mehr noch auf Erfolg und Anerkennung als spezialisierte, im Kreise der akademischen Wissenschaften angesehene Berufsgruppe gelenkt. Daher erfolgte gleichzeitig eine Schließung innerhalb der akademisch-professionellen Zunft. Was wissenschaftlich ist und wer sich Wissenschafter nennen darf, wird in Bezug auf die institutionellen Grundlagen auf der Basis gesetzlicher Bestimmungen und innerhalb der Berufsgruppe durch Festlegung von Kriterien der Wissenschaftlichkeit und durch professionelle Anerkennungsriten bestimmt. Dieser Entwicklung standen all jene entgegen, die an der Comteschen Orientierung der Soziologie auf den gesellschaftlichen Fortschritt durch wissenschaftlich angeleitete Politik festhielten. Auch die Vorstellung von der Einheit der Wissenschaften, das auf der Grundlage einer mathesis universalis als ein umfassendes Gebäude von Erkenntnissen gedachte System der Wissenschaften, die aufeinander aufbauten, zerfiel und die getrennten Einzeldisziplinen grenzten sich zunehmend voneinander ab. Akademisierung und Spezialisierung trennten die Disziplinen durch Grenzziehungen und disziplinspezifische Eigensprachen voneinander und die Sozialwissenschaft von der sozialen Wirklichkeit. Dies zeigte sich in den Sozialwissenschaften in den Diskussionen um die Methode, um die Werturteile und in der Soziologie darüber hinaus in jener um die Definition ihres Erkenntnisobjekts. Eine Facette der gegensätzlichen Auffassungen der Zeit kann in der Beziehung zwischen Max Weber und Rudolf Goldscheid in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und im Rahmen des Werturteilsstreits im Verein für Socialpolitik gesehen werden. Während Webers Bedeutung für die moderne Soziologie seitdem auch in internationaler Sicht ständig stieg, sucht man den Namen Goldscheids meist vergeblich in den Historiographien der Soziologie. Charakteristischerweise stößt man auf ihn aber in einer Studie, die sich mit den „Dissidenten“ im Rahmen der geistigen Situation der Zeit beschäftigt (Groschopp 1997: 288ff). Und doch war er zu seiner Zeit ein ziemlich bekannter Mann, sowohl in Österreich als auch in Deutschland und auch in internationalen Kreisen. In seiner wissenschaftssoziologischen Untersuchung über Die frühe deutsche Soziologie 1909 bis 1934 zählt Dirk Käsler ihn
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immerhin zum äußeren Rand der Soziologie unter den 117 am häufigsten genannten Namen auf den ersten sieben Soziologentagen (Käsler 1984: 37f). Dieses Kriterium wird allerdings der tatsächlichen Rolle Goldscheids vor allem für die frühe organisatorische Geschichte der Soziologie in Deutschland und in Österreich nicht gerecht. Es ist daher zunächst notwendig, diesen vergessenen Soziologen vorzustellen.
Rudolf Goldscheid (1870-1931): Werk und Wirken Rudolf Goldscheid entstammte einer reichen jüdischen Familie aus Wien, studierte in Wien, wo er sich wohl weder dem Einfluss der spezifischen philosophischen Tradition, die von Bernard Bolzano über Franz Brentano bis zu Ernst Mach reichte, noch jener der Mengerschen Ökonomie oder den sozialistischen Strömungen zwischen Marxismus und Fabier-Sozialismus entziehen konnte, und in Berlin, wo er insbesondere von Adolph Wagner, Friedrich Paulsen und Georg Simmel entscheidende Anregungen erhielt. Er strebte keinen akademischen Abschluss seiner Studien an; persönlich ohne jeden Ehrgeiz widmete er sich ganz seinen Ideen und Idealen, in Bezug auf welche er sehr hohe Ambitionen entwickelte. Diese resultierten in der Veröffentlichung wissenschaftlich-philosophischer Abhandlungen wie „Zur Ethik des Gesamtwillens“ (Leipzig 1902), „Grundlinien zu einer Kritik der Willenskraft“ (Wien-Leipzig 1905), „Verelendungs- oder Meliorationstheorie?“ (Berlin 1906), „Entwicklungswerttheorie, Entwicklungsökonomie, Menschenökonomie“ (Leipzig 1908), „Höherentwicklung und Menschenökonomie. Grundlegung der Sozialbiologie“ (Leipzig 1911). Die Titel seiner Werke, auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann (vgl. Mikl-Horke 2007a), zeigen schon die Tendenz seines Denkens. Er vertrat eine einheitliche Wissenschaftsauffassung, die nicht nur keine Trennung zwischen Geistes- und Naturwissenschaften akzeptierte, sondern darüber hinaus eine aufbauende Konzeption wissenschaftlicher Erkenntnis im Sinne des enzyklopädischen Gedankens zugrunde legte. Darüber hinaus war er einer der Vertreter der von Ernst Haeckel begründeten monistischen Bewegung, wie auch etwa Ernst Mach und insbesondere der Kopf der Bewegung nach dem Tod Haeckels, Wilhelm Ostwald, mit dem er persönlich befreundet war. Die Biologie, die in dieser Zeit wesentliche Fortschritte verzeichnete, etwa durch August Weismann oder Edward B. Cannon, wurde als Grundlage aufgefasst, auf der nicht nur die sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse aufbauen, sondern auch Verbesserungen der conditio humana möglich erschienen. Auf der Basis des Neolamarckismus seines Freundes Paul Kammerer betonte Goldscheid gegenüber der landläufigen Auffassung der Evolution die aktive Anpassung des Menschen, die es ermögliche, dass dieser seine Milieubedingungen verändern und damit auch sein biologisches Schicksal beeinflussen könne. In diesem Sinn sprach er daher anstatt von Evolution immer wieder von „Höherentwicklung“. Er entwickelte eine Theorie der soziokulturellen Evolution unter Verwendung des System- und des Synergiebegriffs, wobei es ihm aber immer wieder darum ging zu betonen, dass die Menschen auf Grund ihrer Willenskraft, ihres autonomen Gewissens und der kollektiven Aktion ihre Entwicklung selbst bestimmen können und müssen. Sie darauf vorzubereiten, dazu sollte insbesondere die Soziologie dienen. Vehement kritisierte er die Ausbeutung und Ausnutzung der menschlichen Arbeitskraft durch den „Rentabilitarismus“ des Großkapitals, dem weder der alte Staat noch die Kirche etwas entgegen zu setzen hatten. Um
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dem ökonomistischen Denken klar zu machen, dass auch der Mensch selbst einen „ökonomischen Wert“ besitzt, zugleich aber das eigentliche Ziel der Wirtschaftstätigkeit ist, verwendete er den Begriff der „Menschenökonomie“. Er verwies die Wirtschaft damit auf ihre instrumentale Funktion, aber auch darauf, dass sie für die Höherentwicklung der Menschheit von grundlegender Bedeutung ist, wenn sie an der Entfaltung der humanen Ressourcen orientiert ist und nicht nur an der Nutzung derselben für das Gewinnstreben der großen Unternehmen und des imperialistischen Staates. Während des Ersten Weltkrieges und im Anschluss an die revolutionären Ereignisse nach seiner Beendigung entwickelte er ein Programm für einen neuen Staat, dessen Hauptziel die Sozialpolitik im Sinne seiner Höherentwicklungsideale war. Dazu, so meinte Goldscheid, sei es unabdingbar, dass der Staat selbst Eigentum an den Produktionsmitteln übernimmt, denn der reine Steuerstaat kann nur ein Spielball des Kapitals und der Mächtigen sein.∗ Dieses Programm einer „Rekapitalisierung“ des Staates, das Goldscheid vor allem in „Staatssozialismus oder Staatskapitalismus. Ein finanzsoziologischer Beitrag zur Lösung des Staatsschulden-Problems“ (Wien 1917) vorlegte, sah die Übernahme von etwa einem Drittel des Aktienkapitals der profitabelsten und größten Unternehmen durch den Staat vor. Es wurde heftig diskutiert, kritisiert und verworfen, ähnelt aber in wesentlichen Zügen dem, was später dann als „Gemeinwirtschaft“ in der Praxis entstand. Im Zusammenhang mit dieser Diskussion über den Steuerstaat entwickelte Goldscheid auch den Begriff einer „Finanzsoziologie“ und legte damit den Grundstein für die Entwicklung dieser speziellen Soziologie des staatlichen Haushalts. Als Begründer der „sociology of public finance“ wurde er auch von Fritz Karl Mann und Alan Musgrave anerkannt und in dieser Funktion kann man dem Namen Goldscheids auch allenthalben in gegenwärtigen Überblicken über die „fiscal sociology“ begegnen (Backhaus 2002). Für Goldscheid war das Ziel der Soziologie nicht die Erstellung wissenschaftlicher Abhandlungen, die akademische Anerkennung der Forschungsleistungen, sondern die Soziologie hatte die Aufgabe, die Menschen zum willensbegründeten Handeln auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnis zu befähigen. Sein eigener Beitrag bestand darin, dass er in zahlreichen Bewegungen seiner Zeit von den Freidenkern über die ethische Bewegung bis zur Friedens-, Frauen- und Menschenrechtsbewegung aktiv war. Da er die Soziologie als besonders wichtig betrachtete, betrieb er die Gründung soziologischer Gesellschaften. Zusammen mit Max Adler, Wilhelm Jerusalem u.a. gründete er 1907 die Soziologische Gesellschaft in Wien und blieb ihr spiritus rector bis zu seinem Tod. Seinem Engagement ist nicht nur diese Gründung zu verdanken, sondern auch jene der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Er stand mit vielen wichtigen Sozialwissenschaftern seiner Zeit in Kontakt und beteiligte sich auch an den Diskussionen und Auseinandersetzungen in der DGS sowie im Verein für Socialpolitik.
∗ Die kontroversen Standpunkte von Joseph Schumpeter und Rudolf Goldscheid zum Steuerstaat werden in Hickel (1976) präsentiert.
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Weber und Goldscheid im Verein für Socialpolitik und in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie Goldscheid hatte als Student in Berlin Adolph Wagner gehört und Gustav Schmoller sowie Lujo Brentano waren ihm wohl bekannt. Da er die grundlegende sozialreformerische Absicht des Vereins für Socialpolitik∗, wonach die Wissenschaft die Grundlagen für die Sozialpolitik liefern sollte, teilte, wurde er Mitglied in dieser Gesellschaft, wodurch er in Kontakt mit den wichtigsten Vertretern der Nationalökonomie und der Sozialwissenschaften in Deutschland kam. Wenngleich Goldscheid der Orientierung der Ökonomie an der Sozialpolitik zweifellos zugeneigt war, dürfte er dennoch in anderer Hinsicht von den führenden Mitgliedern des Vereins unterschiedliche Auffassungen vertreten haben, insbesondere auf Grund seiner Rezeption von Karl Marx, die unter den jüngeren Mitgliedern wie Werner Sombart, Max Weber, Bernhard Harms u.a. weit verbreitet war, aber auch durch sein Interesse für Darwin und die Naturwissenschaften. Während Goldscheid zunächst nicht weiter in Erscheinung trat, wurde relativ früh klar, dass Max Weber der Wortführer jener war, die mit der Art und Weise, wie im Verein für Socialpolitik Sozialwissenschaft betrieben und sozialreformerische Anliegen vertreten wurden, nicht zufrieden waren. Die als Methodenstreit bekannte Auseinandersetzung zwischen Schmoller und Carl Menger war im Verein für Socialpolitik selbst lange Zeit kein vordringliches Thema gewesen. Anders als Friedrich Naumann, Werner Sombart und Bernhard Harms war Weber durch die atomistisch-exakte Ökonomieauffassung Mengers und seiner Schule beeinflusst, was er aber mit einem Interesse am Kapitalismus als epochaler Entwicklung verband. Dies resultierte in der Konzeption des Rationalisierungsprozesses im Sinne eines unumkehrbaren Epochenwandels, in der idealtypischen Konzeption des zweckrationalen Handelns und des Kapitalismus als die gesamte Lebensführung prägende und durch sie geprägte historisch-kulturelle Entwicklung. Das Problem, dass diese Sicht implizite Wertungen unumgänglich macht, versuchte Weber durch Verwendung der Rickertschen Wertbeziehung und die Auffassung der Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, die ihre Begriffe und Konzepte stets neu nach den Problemgesichtspunkten der jeweiligen Gegenwart definieren muss, zu umgehen. Auf der Tagung in Mannheim 1905 griff Max Weber Schmoller und andere wegen der allzu polemisch geführten Auseinandersetzungen an. Auch sprach er sich gegen die Auffassung von der Ökonomie als wertender Wissenschaft aus. Darüber hinaus warf Weber Schmoller und Wagner auch vor, von überkommenen Illusionen in Bezug auf den Charakter des Staates auszugehen (Boese 1939: 113f). Als Weber eingeladen wurde, bei der Gründung einer soziologischen Gesellschaft mitzuwirken, versprach er sich davon die Bildung eines Gegenpols zu den politischen Tendenzen des Vereins. Die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) war daher, zumindest was einen Teil der interessierten Personen betraf, eine Folge der Differenzen im Verein für Sozialpolitik und Epiphänomen des schon lange schwelenden Konflikts über die ∗
Sozialreformerische Intentionen verband jene Gelehrte, in der Hauptsache Nationalökonomen, die sich 1872 als Reaktion auf den 1858 gegründeten liberalistischen „Volkswirtschaftlichen Kongress“ zum Verein für Socialpolitik zusammenschlossen. Sie sahen es als Aufgabe dieser Wissenschaft an, Grundlagen für Sozialreform und Sozialpolitik zu erarbeiten. Die zentralen Persönlichkeiten des Vereins waren Gustav Schmoller, Lujo Brentano und Adolph Wagner.
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Methode der Sozialwissenschaften (Honigsheim 1959; Glatzer 2009; Wiese 1959; Rammstedt 1991). Gleichzeitig bedeutete dies für die DGS, dass Konflikte schon vorprogrammiert waren, was sich auch in ihrer von der ständig drohenden Auflösung, von Streitigkeiten und Intrigen gekennzeichneten Entwicklung niederschlug. Das Verhältnis zwischen Max Weber und Rudolf Goldscheid stellte dabei eine signifikante Facette des Grundkonflikts dar, denn Goldscheid war maßgeblich an der Gründung der DGS beteiligt und spielte in ihr eine nicht so unbedeutende Rolle, wie man aus den offiziellen Darstellungen vermuten könnte. Die Initiative zur Gründung der DGS wurde von Tönnies (1921) „einigen Professoren und Privatgelehrten“ zugeschrieben, von welch letzteren er namentlich nur auf Goldscheid verwies. Goldscheid war es jedenfalls, der durch Deutschland reiste, um die wichtigsten Exponenten einer soziologischen Auffassung von der Notwendigkeit der Gründung einer Soziologischen Gesellschaft zu überzeugen. Der Anstoß zur Gründung wird auch von Weber Goldscheid und Simmel zugeschrieben (Weber 1994: 44). Goldscheids Stellung innerhalb der deutschen Sozialwissenschaften ist nicht leicht zu bestimmen. Allerdings beschränkte sich seine Bedeutung keineswegs auf die organisatorische Tätigkeit rund um die Initiative zur Gründung der DGS. Vielmehr war Goldscheid wohl auf Grund seiner Beziehungen im Netzwerk der monistisch-sozialreformerischen Bewegungen sogar einer der bedeutenderen Vertreter derer, die sich damals zur Soziologie bekannten. Jedenfalls reiht ihn Dirk Käsler in seiner Analyse der Soziologen dieser Zeit unter die „in der damaligen deutschen Wissenschaftsszene maßgeblichen Männer, die ihre Forschungen – oder zumindest einen Teil davon – mit dem Wort ‚Soziologie‘ verbanden“ ein (Käsler 1981, 203). Wenn man die Vorgänge rund um die Gründung der DGS und die ersten Soziologentage genauer untersucht, wird auch deutlich, dass Goldscheid zwar selten direkt aufscheint, aber dennoch in gewisser Weise auch inhaltlich zu einem Gegenpol zu Max Weber wurde. Daher werden im Folgenden die Querelen und Auseinandersetzungen innerhalb der DGS genauer dargestellt, um die Rolle Goldscheids näher zu bestimmen. Schon vor der Gründung der DGS schien es zahlreiche Bedenken und Unstimmigkeiten gegeben zu haben, wenn man Webers Briefverkehr (Weber 1994) als Beleg nimmt. Unterzeichnet wurde die Einladung zur Gründung am 3.1.1909 schließlich von 39 Personen, darunter Ferdinand Tönnies, der schließlich zum Vorsitzenden gewählt wurde, Georg Simmel, Werner Sombart, Max Weber und Rudolf Goldscheid sowie Ludo M. Hartmann und Max Adler. Das Verhältnis zwischen Goldscheid und Weber war zunächst primär durch die Arbeit an organisatorischen Problemen bestimmt, wenngleich sich von Anfang an Spannungen abzeichneten. Auf der Versammlung vom 7.3.1909 kam es zu schweren Misstönen und zwar durch eine Initiative, die von Goldscheid eingebracht und von der Versammlung angenommen worden war: „Die Versammlung beauftragt den Vorstand, die baldige Gründung einer Ortsgruppe Berlin vorzubereiten, die die ersten drei oder vier Propagandavorträge für den kommenden Sommer zu veranstalten hat.“ (Weber 1994: 72). Dies stieß auf heftige Ablehnung einiger Mitglieder, die sich gegen die Bevorzugung Berlins und die finanzielle Unterstützung der örtlichen Interessen richtete, aber auch einen bedeutsamen Grund darin hatte, dass viele der Mitglieder in der DGS eine Insiderorganisation von Gelehrten zum wissenschaftlichen Austausch sehen wollten. Entgegen diesen Intentionen war Goldscheids Interesse und das anderer Mitglieder nicht primär darauf gerichtet, aus der DGS eine rein
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akademische Vereinigung zu machen, die sich ausschließlich der wissenschaftlichen Entwicklung der Soziologie widmen sollte. Sie wollten vielmehr eine breitere Öffentlichkeit für die Sache der Soziologie gewinnen, um dadurch letztlich auch politisch mitgestaltend wirken zu können. Das war eine Auffassung, die den Intentionen Webers und anderer diametral entgegengesetzt war. Nicht nur war Weber nach eigener Aussage die Aussicht von Veranstaltungen zum „Keilen“ von Mitgliedern nicht sympathisch, ihm ging es um inhaltliche Anliegen, die durch die Gesellschaft ermöglicht werden sollten, während Goldscheid mehr an den Aufbau der Organisation und die Öffentlichkeitswirksamkeit dachte. Weber wollte hingegen gewährleistet wissen, „dass der wissenschaftliche Charakter, d. h. der Ausschluss aller und jeder Propaganda für ‚ethische‘, politische usw. Zwecke, conditio sine qua non sei.“ (Weber 1994: 91) Der Konflikt um die Berliner Propagandavorträge beleuchtet symptomatisch die unterschiedlichen Meinungen, die hinsichtlich der Entwicklung der Soziologie in dieser Zeit bestanden und sich von Anfang an manifestierten. Er ging immerhin so tief, dass er beinahe zur Auflösung der erst gegründeten Gesellschaft geführt hätte, wie Weber durchblicken lässt: „Im Herbst muß die Sache entschieden zum Klappen gebracht werden, eventuell durch Neugründung, wenn die Berliner und Goldscheid nicht klein bei geben.“ (Weber 1994: 72). Da Weber die Durchsetzung seiner Vorstellungen in der DGS schon zu diesem frühen Zeitpunkt nicht garantiert fand und zwar, wie er immer wieder betonte, auf Grund der Dominanz der „Berliner und Leipziger“, dachte er bereits wieder an die Neugründung einer „rein akademischen Gesellschaft“. Dass diese Konflikte eine Spaltung innerhalb der Gelehrten anzeigten, belegen auch die Diskussionen über eine Verlegung des Sitzes der DGS von Berlin weg, wovon dann jedoch Abstand genommen wurde, weil dies die Gesellschaft zu sprengen drohte. Weber beabsichtigte aber zumindest eine Sitzung in Frankfurt a.M. zu veranstalten, auf der die Berliner und Leipziger majorisiert werden und „wir dem Goldscheid´schen Krempel den Hals umdrehen können“ (Weber 1994: 91). Der immer wieder verwendete Ausdruck „Berliner und Leipziger Kreise“ bezog sich wohl in erster Linie auf den Einfluss Goldscheids, darüber hinaus gehörten Stammler, Ostwald, Lamprecht, Vierkandt, sowie Simmel und Eulenburg dazu, wobei Weber vermutlich weniger gegen die beiden letzteren einzuwenden hatte. Um die Gesellschaft in seinem Sinne aufzubauen, bemühte Weber sich auch um die Werbung neuer Mitglieder, die er für ein wichtiges Gegengewicht gegen die „Berliner und Leipziger“ hielt; so etwa – wenn auch vergeblich – um Georg von Below, der in der Auseinandersetzung mit Karl Lamprecht und Ludo Hartmann und in anderen Bezügen gegen den Einfluss der Soziologie aufgetreten war. Nach zahlreichen Querelen wurden schließlich Ferdinand Tönnies, Georg Simmel und Werner Sombart in den Vorstand der Gesellschaft gewählt, Max Weber wurde bekanntlich zum „Rechner“ der Gesellschaft, Goldscheid hatte hingegen keine offizielle Funktion. Weber hatte die Übernahme des Vorsitzes in der DGS abgelehnt und dies damit begründet, dass er sonst zu Rücksichten gezwungen wäre, die er aus ideellen Gründen nicht leisten wolle. Damit verwies er wieder auf das gespannte Verhältnis zu den „Leipzigern und Berlinern“ und insbesondere zu Goldscheid, dem Weber jedoch eine starke Position und die führende Rolle bei der Gründung der Gesellschaft bescheinigte: „Mit Goldscheid, ..., verhandelte ich deshalb, weil er – wenn allzu offenkundig kalt gestellt – der Sache (deren Gründung seiner ‚Geschäftigkeit‘ aber doch auch viel verdankt) sehr schaden könnte“ (We-
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ber 1994: 123). Goldscheid hatte sich vermutlich deshalb nicht um einen Sitz im Vorstand bemüht, weil dadurch der Konflikt bereits in diesem frühen Stadium offen zum Ausbruch gekommen wäre. Allerdings wirkte er zweifellos als eine Art grauer Eminanz, denn in einem Brief an Eulenburg sprach Weber davon, dass Goldscheid auf Grund seiner „Vaterempfindungen“ der DGS gegenüber in alles hineinrede und bat diesen gleichzeitig, ihm zu helfen, die Gesellschaft den Klauen „dieser Herren“ zu entreißen (Weber 1994: 242). Der erste Soziologentag begann bereits im Vorfeld der Veranstaltung mit großen Schwierigkeiten, die Gesellschaft stand mehr als einmal an der Kippe zu ihrer Auflösung, und Weber schrieb an Tönnies: „Ich werde es nicht bedauern, wenn diese Tagung zugleich das Ende der Existenz der Gesellschaft bedeutet ...“ (Weber 1994: 652). Tatsächlich kam es auf diesem ersten Soziologentag bereits zur Austragung des Konfliktes zwischen den unterschiedlichen Auffassungen, was zur dauerhaften Belastung des Verhältnisses zwischen Weber und Goldscheid und schließlich zum Rückzug Webers führen sollte. Dieser Konflikt brach über den von Weber konzipierten § 1 der Statuten aus, der den Zweck der Gesellschaft festlegte: „Ihr Zweck ist die Förderung der soziologischen Erkenntnis durch Veranstaltung rein wissenschaftlicher Untersuchungen und Erhebungen, durch Veröffentlichung und Unterstützung rein wissenschaftlicher Arbeiten und durch Organisation von periodisch stattfindenden deutschen Soziologentagen. Sie gibt allen wissenschaftlichen Richtungen und Methoden der Soziologie gleichmäßig Raum und lehnt die Vertretung irgendwelcher praktischer (ethischer, religiöser, politischer, ästhetischer usw.) Ziele ab.“ (DGS 1911: V). In seinem Geschäftsbericht erläuterte Max Weber die Verfassungsbestimmungen und das zukünftige Programm der Gesellschaft und meinte in Bezug auf den § 1, dass dieser den Verzicht auf die Propaganda im Dienste praktischer Ideen und die Parteienlosigkeit der Gesellschaft zu Grundprinzipien erheben solle. Die Soziologie habe nur festzustellen: „Was besteht? Warum besteht es gerade so, wie es besteht? aus welchen historischen und sozialen Gründen ?“ (DGS 1911: 40). Bereits die ersten Vorträge machten deutlich, dass viele der Redner sich nicht an diese Auffassung von Wissenschaft halten konnten oder wollten. Zu einer heftigen Diskussion kam es bereits im Anschluss an einen Vortrag des Rassentheoretikers und Eugenikers Alfred Ploetz über „Die Begriffe Rasse und Gesellschaft“, in der sowohl Goldscheid als auch Weber das Wort ergriffen. Während Goldscheid davor warnte, die darwinistische Selektionstheorie ohne weiteres auf die Gesellschaft zu übertragen, kritisierte Weber die im Vortrag enthaltenen Wertungen. Die heftigste Auseinandersetzung entspann sich jedoch im Anschluss an den Vortrag des Rechtswissenschafters Hermann Kantorowicz über die Beziehungen von „Rechtswissenschaft und Soziologie“, der in dem Satz gipfelte: „Dogmatik ohne Soziologie ist leer, Soziologie ohne Dogmatik ist blind.“ (DGS 1911: 303) In der folgenden Diskussion kritisierte Kantorowicz die Erhebung eines methodischphilosophischen Prinzips, wie es der Ausschluss von Werturteilen darstelle, zu einem Punkt der Geschäftsordnung. Dies nahm Goldscheid zum Anlass, Kantorowicz seine Anerkennung auszusprechen, weil dieser den Wertbegriff wieder in die Diskussion gebracht hatte. Damit verband Goldscheid einen sarkastischen Angriff auf den § 1 der Statuten der DGS∗: ∗ Die Diskussion wurde im Protokoll der Tagung nicht vollständig wiedergegeben; insbesondere fehlen die Beiträge von Tönnies und Goldscheid. Letzterer hatte – wohl um den Ruf „seiner“ Gesellschaft zu retten – gebeten, seine Diskussionsrede gänzlich zu streichen. In den Verhandlungen des 1. Soziologentages scheint der Beitrag Goldscheids
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„Ich habe durchaus nicht die Absicht, gegen § 1 unserer Statuten mich zu versündigen; ich werde über den Wertbegriff rein theoretisch sprechen, ohne irgendwelches Werturteil zu fällen ... ich werde trachten mich mit der Demonstration am Phantom zu begnügen.“ Danach wies Goldscheid auf die Kämpfe hin, die vor dessen Annahme geführt wurden und „dass ich mich auf das energischste gegen diesen Paragraphen gewehrt habe und dass ich seiner Aufnahme in das Statut nur zugestimmt habe, als darüber die ganze Gesellschaft in Brüche zu gehen gedroht hat“ (Weber 1998: 219). Goldscheid versuchte dann aufzuzeigen, „welche Rolle das Werten in der Geschichte der Forschung, in der Theorie der Praxis spielt“ und meinte: „Meine Herren, solange wir uns damit begnügen, nur immer Tatsachen zu beschreiben, solange wir nur Tatsachenmaterial aufhäufen, solange gelangen wir nicht zur Grenze der Dinge, solange gelangen wir nicht an die Wurzel unseres Seins. Erst mit der Frage nach dem Wozu bekommt unser ganzer Forschungswille seine entscheidende Richtung“ (Weber 1998: 219). Spätestens seit diesem Zeitpunkt war das Verhältnis zwischen Weber und Goldscheid unrettbar belastet. Weber äußerte sich zu den Vorgängen folgendermaßen: „Die Tagung Sonnabendnachmittag hat alles verdorben, was erreicht war.“ (Weber 1994: 654) Nach der Tagung brachte Weber einen Antrag ein, in dem er seine Position in der Werturteilsfrage begründete, die Aufgaben des Vorsitzenden umriss und den Grundsatz einforderte, dass Diskussionen über Fragen der Statuten nicht in öffentlichen Versammlungen erfolgen dürften. Mit Goldscheid verweigerte Weber von nun an jeden Kontakt und jede Zusammenarbeit, vermied aber dennoch jeden Schritt, der als Hinausdrängen ausgelegt werden könnte. Damit brachte er zum Ausdruck, dass Goldscheids Stellung in der Gesellschaft nach wie vor stark war und dass ein offener Machtkampf mit diesem vermutlich nicht zu Webers Gunsten ausgegangen wäre. Das konnte nur zur Folge haben, dass Weber sich mehr und mehr von der Gesellschaft distanzierte. 1911 trat Weber zunächst aus dem Vorstand der DGS, schließlich 1912 auch aus dem Ausschuss aus. Seinen Rückzug kommentierte er mit drastischen Worten: „Mit so klebrigen Insekten wie Herrn Goldscheid nehmen meine Nerven den Kampf auf die Dauer nicht auf – seine ‚Verdienste‘ in allen Ehren und sein ‚Individualismus‘ ebenfalls“ (Weber 1998: 733). Am zweiten Soziologentag 1912 in Berlin beteiligte sich Weber nur mehr als einfaches Mitglied und als Diskussionsredner. Die Liste der Vortragenden mit L. M. Hartmann, F. Oppenheimer und Paul Barth zeigte eine gewisse Stärkung des Goldscheid-Flügels. Es verwundert nicht, dass die Differenzen um die Wertfreiheit, die schon am ersten Soziologentag aufgetreten waren, angesichts der Themen „Nation-Kultur-Rasse“ am 2. Soziologentag noch deutlicher zum Vorschein traten. Die Wertfrage sollte aber als Dauerthema auch die weiteren Soziologentage beschäftigen, zog sich wie ein roter Faden durch die Verhandlungen der Soziologentage (Käsler 1981), auch als der § 1 der Statuten, der immer wieder dazu Anlass gab, Rednern das Wort zu entziehen, im Zuge einer Reihe von Statutenänderungen aufgegeben wurde und nach dem Krieg nicht mehr aufschien. Goldscheids Stellung in der DGS wurde nach dem Ausscheiden Webers auch nach außen hin stärker, er gehörte nunmehr dem geschäftsführenden Ausschuss als Beisitzer an
daher nicht auf, aber ein Fahnendruck, der eine Passage aus Goldscheids Diskussionsbeitrag sowie Webers Replik enthielt, blieb erhalten (Weber 1998: 219).
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und leitete mitunter in Vertretung des Vorsitzenden die Verhandlungen. Nach dem Ausscheiden Simmels 1913 aus dem Vorstand wurde Goldscheid an seiner Stelle in Vorstand und Präsidium gewählt. Weber quittierte diese Entwicklungen in der DGS mit dem völligen Ausscheiden aus der Gesellschaft im Jahr 1914. In diesem Jahr fand auch der eigentliche Werturteilsstreit i. e. S. in einer Veranstaltung des Vereins für Socialpolitik statt. Zeitlich laufen die Ereignisse rund um die DGS und der Werturteilsstreit parallel; beide konzentrieren sich auf die Jahre von 1909 bis 1914.
Die Positionen von Weber und Goldscheid im Werturteilsstreit Der Verein für Socialpolitik hielt im Jahr 1909 seine Tagung in Wien ab. Dabei ging es vor allem um den Begriff der Produktivität, um den sich eine heftige Diskussion entspann. Den Hauptvortrag hielt der österreichische Kathedersozialist Eugen von Philippovich. Dieser hielt den Begriff „Produktivität“ für notwendig, gleichzeitig wies er darauf hin, dass die Nationalökonomie nicht auf eine exakte Wissenschaft, auf Wirtschaftstheorie, eingeschränkt werden dürfe, wie das Joseph Schumpeter gefordert hatte, denn „dann hörte sie auf uns irgend etwas über die Funktion der Wirtschaft im Leben der Menschen zu sagen.“ (Nau 1996: 49) Danach kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen jenen, die den Begriff für unverzichtbar hielten wie Friedrich Wieser und Rudolf Goldscheid und denen, die ihn ablehnten darunter vor allem die Brüder Weber und Werner Sombart. Max Weber sprach sich vehement gegen die Verwendung dieses Begriffs in der wissenschaftlichen Forschung aus, weil dieser bereits in sich ein Werturteil enthalte. Bei der Generalversammlung des Vereins im Jahr 1911 bekräftigte Schmoller noch einmal seine Auffassung, dass die wissenschaftliche Forschung jedenfalls die Vorarbeit für die praktische Politik zu leisten habe und Werturteile daher unvermeidlich seien. Dem widersprach Max Weber entschieden und forderte eine gesonderte Debatte über diese Frage. Sie sollte anlässlich der nächsten Tagung 1914 in Berlin ausgetragen werden. Als Vorbereitung darauf sollten schriftliche Standpunktserklärungen interessierter Mitglieder des Vereins vorbereitet und ausgetauscht, jedoch nicht veröffentlicht werden. Insgesamt langten 15 Stellungnahmen ein, die sowohl in Bezug auf Länge und Qualität sehr unterschiedlich waren. Darunter befanden sich Beiträge von Franz Eulenburg, Rudolf Goldscheid, Ludo Moritz Hartmann, Otto Neurath, Joseph Schumpeter, Othmar Spann, Leopold von Wiese, Eduard Spranger, Hermann Oncken, Robert Wilbrandt und Max Weber. Vier weitere Stellungnahmen waren so kurz bzw. banal, dass sie nicht genannt zu werden brauchen. Der Tenor der meisten Beiträge war zurückhaltend und vorsichtig, was an der Tatsache gelegen sein mag, dass die Referenten schriftlich auf vorgegebene Fragen antworten mussten. Man sprach sich daher sowohl für objektive methodische Forschung als auch für die Bedeutung praktischer Ziele aus. Für sittliche Werturteile auf der Basis der wissenschaftlichen Erkenntnis trat dezidiert nur der Leipziger Philosoph und Pädagoge Eduard Spranger ein. Die wichtigsten Punkte der Positionen Goldscheids und Webers sollen im Folgenden kurz skizziert werden.
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Goldscheid hielt Wertungen für notwendig mit der Wirtschaftswissenschaft verbunden, weil diese Theorie einer Praxis sei und daher neben der kausalwissenschaftlichen Methode einer teleologischen Dimension, der Orientierung auf Zwecke des Handelns hin, bedürfe. Zwar könne die Eigengesetzlichkeit der Wirtschaft „objektivierend herauspräpariert“ werden, aber soweit es Praxis betrifft, muss dies wieder in den Gesamtzusammenhang des subjektiven und intersubjektiven Zweckstrebens und seiner Veränderung durch kritische Wertungen integriert werden. Er trat dafür ein, dass man den Wertaspekt nicht den Praktikern überlassen und sich selbst auf isolierende Abstraktionen zurückziehen könne. Die Wechselwirkung von Theorie und Praxis sah Goldscheid wie folgt: „Die Praxis stellt der Theorie kontinuierlich neue Aufgaben, die Theorie hingegen liefert immer feinere Maßstäbe für die Kritik der Praxis“ (Nau 1996: 80,1). Daher sah er einen stufenförmigen Aufbau der Nationalökonomie: Zunächst Deskription und Analytik, dann Explikation, schließlich Wirtschaftskritik und Wirtschaftspolitik. Das Ziel erblickte er einerseits in der Kritik der Praxis, aber daraus müssen wieder Prinzipien für die Politik abgeleitet werden. Dann kommentierte Goldscheid den Ursprung des Werturteilsstreits und hob hervor, dass dieser eigentlich aus der Ablehnung der „Verkündigung“ von Werturteilen vom Katheder aus, also mit Bezug auf die Lehre, entstanden sei. Er stellte fest, dass er in dieser Hinsicht mit Weber übereinstimme, dies gelte jedoch nicht in Bezug auf die Forschung. Denn zwischen Lehre und Forschung bestehe ein großer Unterschied und die Forschung dürfe nicht den Zwängen und Vorbehalten der Lehre unterworfen werden. Goldscheid betonte, dass wissenschaftliche Forschung die Funktion der Kritik habe und Wertungen daher nicht umgehen könne. Forschung erwachse aus einem Gestaltungsinteresse, wobei er einen bekannten Ausspruch von Karl Marx modifizierte: „Er (der Forscher) wird das, was er geschaffen hat, darnach bemessen, ob es nicht nur geeignet ist, die Dinge verschieden zu interpretieren, sondern sie zu verändern“ (Nau 1996: 87). Ein wesentlicher Punkt der Differenz zwischen Weber und Goldscheid betraf die naturalistische Methodologie. So argumentierte Weber gegen die Übernahme des Begriffs der Anpassung aus der Biologie und kritisierte in diesem Zusammenhang auch den „grundkonfusen neuerdings beliebten Begriff der ‚Menschenökonomie‘“, dabei auf Goldscheids Werk Bezug nehmend (Nau 1996: 173). Weber bezeichnete es als Illusion, dass aus naturwissenschaftlichen Befunden exakte Erkenntnisse und Handlungsanleitungen im kulturell-sozialen Bereich abgeleitet werden könnten. Werte sind in Webers Sicht subjektiv bzw. historischkulturell relativ. Sie können Objekt wissenschaftlicher Analyse sein, aber nicht die Forschung leiten. Weber rekurrierte auf Rickerts Begriff der „Wertbeziehung“, wonach die Kulturwissenschaften die Realität, die sie untersuchen, auf die jeweils in einer Gesellschaft vorhandenen Werte beziehen, die aber auf der Grundlage der empirischen Methodologie als Tatsachen festzustellen seien. Die Kultur- und Wertinteressen verweisen auch auf Objekte und Fragen, denn die Auswahl der Probleme auch der wertfreien Erfahrungswissenschaften erfolgt auf der Grundlage der Wertungen, die zu einer bestimmten Zeit und in einer Umwelt vorherrschen. Auch Wissenschaft selbst ist eine Kulturerscheinung und steht schon deshalb immer in Beziehung zu den Werten und Zielen der Kultur und Gesellschaft der jeweiligen Epoche. In der Lehre müssen deshalb alle Wertstandpunkte präsentiert werden und die Lehrenden dürfen sich nicht wie Hohepriester aufführen, sondern müssen Professionalität in ihrem Fach entwickeln.
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Die kulturwissenschaftliche Methode sah Weber in der Verbindung von Erklären und Verstehen, von empirischer Forschung und Theoriebildung und phänomenologischer Wesensschau und verwies auf die idealtypische Methode. Darin sah Weber auch den Unterschied zwischen der kulturwissenschaftlichen und der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, da erstere auf den geistigen Leistungen des Erkennenden beruhe, während die naturalistische Erkenntnis Gesetze der Wirklichkeit als solche außerhalb und unabhängig vom erkennenden Subjekt zu erfassen suche. Goldscheid hatte schon in der Ethik des Gesamtwillens der „bisherigen Soziologie“ vorgeworfen, dass sie Kausalität und Teleologie „wirr durcheinander laufen“ lasse und meinte damit, dass einerseits tatsächlich Sollensaussagen, die nur persönliche Meinungen darstellten, gemacht wurden, gleichzeitig aber der Anspruch „reiner“ objektiver Wissenschaftlichkeit erhoben wurde. Dies zeigt, dass die Ansichten von Weber und Goldscheid in Bezug auf Werturteile nicht so stark differierten, wie es den Anschein hatte. Der Unterschied lag vielmehr in der Funktion der Wissenschaft bzw. der Wissenschafter in der Gesellschaft und in der Beziehung von Naturerkenntnis und Sozialtheorien. Den Anspruch der Wissenschaft auf Erkenntnis und Gestaltung, wie ihn Goldscheid vertrat, konnte Weber nicht akzeptieren. Für Weber grenzte das Wissenschaftsverständnis Goldscheids daher an Hybris und weltfremden Illusionismus. Der Wissenschafter ist für Weber nicht der Weise, der Philosoph im Sinne Platons, sondern ein spezialisierter Fachvertreter und übt einen Beruf aus. Er ist ein „Fachmensch“ mit spezialisierten Kompetenzen. Goldscheid hingegen hing einem Ideal des Wissenschafters an, der durch Wissenschaft befähigt wird, die Richtung der menschlichen Entwicklung festzustellen, der aber auch dadurch persönlich imstande ist, seine eigenen Interessen hintanzustellen und für das Wohl der Menschheit zu arbeiten. Er ist daher berechtigt, Kritik an der Praxis zu üben und die Wege für deren Veränderung zu zeigen. Der Unterschied kommt in Webers und Goldscheids Begriffen der Rationalisierung deutlich zum Ausdruck: Sie war für Weber gleichbedeutend mit Entzauberung im Sinne von Versachlichung, nüchterner Kalkulation auf Grund der gegebenen Bedingungen, resultierend in Rechenhaftigkeit. Für Goldscheid hingegen war sie darüber hinaus mit dem Aufstieg des schöpferischen Individuums und der Möglichkeit für die Menschen, ihr Schicksal selbst zu gestalten, verbunden. Die Diskussion der Beiträge fand dann Anfang 1914 in Berlin statt. Da beschlossen worden war, die Verhandlungen weder mitzuschreiben noch sie zu veröffentlichen, um eine freiere Aussprache zu ermöglichen, ist nur wenig darüber bekannt. Als Hauptkontrahenten erwiesen sich Max Weber einerseits, Carl Grünberg, vermutlich unterstützt von Goldscheid, andererseits, wobei die letzteren eine wesentlich größere allgemeine Zustimmung erhalten haben dürften als Weber, dem eindeutig nur Sombart sekundierte. Weber verließ daher die Sitzung vorzeitig und verstimmt (Boese 1939, 147ff). Dass die Ergebnisse der Stellungnahmen und Diskussionen im Sinne einer Klärung der Werturteilsproblematik eher dürftig waren (Lindenlaub 1967: 434), war auch durch die ideologischen Differenzen und die beharrlichen Missverständnisse zwischen den Beteiligten verursacht.
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Weitere Entwicklung und neue Wendezeit der Soziologie Jenen, denen Webers Position nicht zusagte oder denen sein ständiges Beharren auf Werturteilsfreiheit zu unbequem war, war es zwar gelungen, diesen aus der DGS zu drängen, aber in langfristiger Perspektive stieg Weber zu einer Ikone der modernen Soziologie auf, dessen Auffassung von Wissenschaft und von Soziologie oder vielmehr das, was im Lichte späterer Selbstverständlichkeiten als seine Auffassung gedeutet wurde, für zahlreiche Wissenschafter in aller Welt wegweisend ist. Webers Verständnis von „Wissenschaft als Beruf“ erwies sich als realistischer als das Goldscheids. Aber Goldscheid wollte nicht realistisch sein, er setzte vielmehr auf einen funktionalen Optimismus, der die Menschen – und zwar nicht nur den professionellen Wissenschafter, sondern alle Menschen – befähigen und ermutigen sollte, die Wissenschaft zum Instrument des Fortschritts zu machen. Er war überzeugt, dass es einen Weg vom Sein zum Sollen auf dem Boden objektiver Wissenschaft gäbe; zusammen mit Max Adler wehrte er sich auf dem 4. Soziologentag 1924 in Heidelberg gegen die Identifikation von Soziologie mit formaler Soziologie oder Beziehungslehre und gegen die Reduktion darauf, die, wie es Adler ausdrückte, einen „Verzicht auf die eigentliche Aufgabe der Soziologie, die Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung zu bestimmen, um in diese bewusst einzugreifen“, bedeute (DGS 1925: 101). Die Epoche Goldscheids war noch durch gegensätzliche Bestrebungen gekennzeichnet. Sie war auf der einen Seite die „klassische“ Zeit der Begründung der Sozialwissenschaften als akademisch-universitäre Disziplinen. Auf der anderen Seite gab es jene sozialen Bewegungen und Strömungen, die auf die Öffnung der Wissenschaften und ihre Nutzung durch und für die Massen zielten. Initiativen zum Ausbau der Volksbildung, zur Einrichtung populärwissenschaftlicher universitärer Veranstaltungen stellten in gewisser Weise eine Gegenbewegung gegen die Abkapselung der akademischen Wissenschaften und ihre zunehmende Insiderorientierung dar. Letztere war auch eine Reaktion auf die Umwälzungen des 20. Jahrhunderts, die Massendemokratie, den organisierten Kapitalismus und die ideologischen und politischen Konflikte zwischen den Großgruppen der Gesellschaft. Angesichts dieser Situation wandten sich die meisten Soziologen, um ihre „wissenschaftliche Distanz“ zu wahren und nicht in die ideologisch-politischen Auseinandersetzungen hineingezogen zu werden, von der gesamtgesellschaftlichen Analyse ab und konstruierten „spezifische“ Erkenntnisobjekte wie das „soziale Handeln“ oder die „sozialen Tatsachen“, die es gleichzeitig auch ermöglichten, ihren Gegenstand, das Verhalten der Menschen in ihrer Vielzahl, empirisch zu erforschen, ohne damit politische oder ideologische Standpunkte beziehen zu müssen. Die meisten Soziologen entschieden sich zwischen Engagement und Distanzierung (Elias 2003) für letztere und wandten dafür die Techniken oder Strategien der Übergeneralisierung oder der Soziologisierung (Bickel 1988) an. Gesellschaft wurde zu einem „rein sozialen“ Begriff, der sich auf die Verhaltensmuster und Interaktionen zwischen den Individuen und Gruppen bezog und in der Übertragung der Logik selbststeuernder Systeme auf soziale Prozesse gipfelte. Einen Nachhall der Auseinandersetzungen zwischen den Strömungen, die Wissenschaft zur Gesellschaftskritik und -politik einsetzen wollten und jenen, die sich auf innerwissenschaftliche Fortschrittsorientierung beriefen, stellte dann um 1960 der sog. Positivismusstreit in der deutschen Soziologie dar (Adorno 1969), der gleichzeitig eine Fortsetzung der metho-
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dischen Auseinandersetzungen innerhalb der Sozialwissenschaften, sozusagen der dritte Methodenstreit nach dem Schmoller-Menger-Konflikt und dem Werturteilsstreit war. Die Soziologie als empirische Wissenschaft erlebte insbesondere in den Vereinigten Staaten einen großen Aufstieg und setzte sich in Europa erst durch deren Einfluss nach dem Zweiten Weltkrieg wirklich durch. Die Interpretation der Werke von Durkheim, Pareto und Weber, die diese in Amerika erfuhren, wurde zur Grundlage der modernen Soziologie, die weltweite Verbreitung fand. Die ihnen zugeschriebenen „Attitüden“ wurden zu Selbstverständlichkeiten des soziologischen Denkens (Rammstedt 1988b). Webers Auffassungen wurden mit dem amerikanischen Kanon des akademischen Liberalismus verbunden, obwohl Webers politischer Kontext ein ganz anderer war und seine Aussagen sowohl politische als auch wissenschaftskritische Dimensionen enthielten, die nur aus ihrer Zeit und ihrer Umwelt erklärbar sind (Turner und Factor 1984: 59). Weber wandte sich gegen ganz bestimmte politische, ideologische Tendenzen seiner Zeit, gegen eine in seiner Sicht indoktrinierende Art der Lehre und wollte Wissenschaft aus der Indienstnahme für politische und ideologische Intentionen und Bewegungen befreien. „Much of our sense of what has been achieved in this century by sociology, political science, and by social and political theory, depends, implicitly, on our reliance on standards akin to Weber’s. Similarly for our sense of the development of the university as an institutional form: the professionalization of the universities and university education and the technicization of discourse in the human sciences may be regarded as good only from a perspective informed by distinctive assumptions” (Turner und Factor 1984, 3/4). Eine ganz bestimmte Ideologie wurde mit dem Etikett Weberschen Denkens versehen und als die angemessene Haltung des Wissenschafters der Wirklichkeit gegenüber festgeschrieben. In den letzten Jahrzehnten ist die Soziologie mit dem Vordringen des neoliberalen Zeitgeistes und durch die Unterwerfung der Wissenschaft unter die Logik von Produktivität und Rentabilität mit einer Situation konfrontiert, die ihre Selbstzufriedenheit als eine akademische Disziplin und objektive, empirische Wissenschaft zu erschüttern geeignet ist. Nicht nur wird sie deutlich auf ihre Rolle als Ergänzungs- oder Kontextfach für „nützlichere“ Wissenschaften hingewiesen, auch sie selbst muss ihre pragmatische Orientierung und ihre professionelle Kompetenz nach diversen Indikatoren unter Beweis stellen und sich solcherart ihre Finanzierung aus den Töpfen des Bildungssystems oder der Sponsoren aus der Wirtschaft verdienen. In dieser Situation kann ein Rückblick auf die frühen Auseinandersetzungen angebracht sein, um zu sehen, ob auf dem Weg in die akademische Respektabilität nicht manches verloren ging, was gegenwärtig zumindest wieder bedenkenswert sein könnte. „Wissenschaft als Beruf“ kann doch nicht wirklich heißen, Selbstverständnis und Beitrag der Wissenschaft an Positionen in „rankings“, an der Zahl der Projekte oder der Publikationen zu orientieren. Haben wir im Bestreben um Objektivität, Distanz und Professionalität nicht übers Ziel hinaus geschossen und liefern uns damit erst recht der Praxis aus? Goldscheids Bedeutung als Wissenschafter mag aus heutiger Sicht in Zweifel gezogen, sein „materialistischer Voluntarismus“ als Illusion bezeichnet (Acham 1983: 301) werden, unbestreitbar war jedoch sein Engagement für die Sozialpolitik und die Probleme der Menschheit und seine Zuversicht in Bezug auf die Wissenschaft. Seine emphatische Betonung, dass Wissenschaft eigenbestimmten Zwecken „in der Welt“ dienen soll, scheint unter Gesichtspunkten der Budgetrestriktion heute geradezu ungehörig und widersinnig ange-
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sichts der zahlreichen Sachzwänge und eigendynamischen Prozesse, die beschworen werden, um uns jede Entscheidung über Richtung oder Ziel abzunehmen.
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Soziologie und Sozioökonomie
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Die Begriffe „Sozioökonomie“ und „Sozialökonomie“ haben in der Gegenwart eine steigende Bedeutung erlangt; sie kennzeichnen wissenschaftliche Ansätze, die einen anderen Zugang als die Mainstream-Ökonomie zu wirtschaftlichen Problemen suchen. Der Begriff „Sozioökonomie“ hat insbesondere durch den Ansatz von Amitai Etzioni, der auf die Etablierung eines einheitlichen wissenschaftlichen Paradigmas zielt, einige Bekanntheit erlangt. Im Folgenden wird daher zunächst dieser Ansatz vorgestellt und sein Anspruch einer anderen Perspektive auf Wirtschaft kommentiert. Danach erfolgt ein Blick auf historische Ansätze, die den engen Zusammenhang von Wirtschaft und Gesellschaft sowohl in der Ökonomie als auch in der frühen Soziologie zum Ziel hatten, und die sich oft als „Sozialökonomie“ bezeichneten oder so verstanden wurden. Gegenwärtig wird der Begriff einerseits als Sammelbezeichnung für Non-Profit-Bereiche des Dritten Sektors, andererseits für eine ethisch begründete Sicht der Wirtschaft verwendet. Demgegenüber spiegelt sich in den frühen Konzeptionen die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Ökonomie und Soziologie (vgl. Mikl-Horke 2008a: 43 ff). Sie wurden zunächst im Sinne einer sozialwissenschaftlichen Konzeption verstanden und entwickelten sich erst allmählich zu einem Verständnis von Sozialökonomik bzw. Sozioökonomie als Wirtschaftswissenschaft, für die soziologische Erkenntnisse Dateninputs darstellen. Auch in Etzionis Konzeption kommt der Soziologie nur eine solche Rolle zu, und er verwahrt sich dezidiert gegen die Verwechslung seines Paradigmas mit Wirtschaftssoziologie (vgl. Etzioni und Lawrence 1991).
Amitai Etzionis Paradigma der Sozioökonomie Die Konzeption, die von Amitai Etzioni vertreten wird, ist heute die wahrscheinlich bekannteste Version von Sozioökonomie, da er damit eine theoretische Grundlegung von Sozioökonomie auf multidisziplinärer Basis beabsichtigte, die als einheitliches Paradigma angesehen werden sollte. Sein Buch The Moral Dimension (1988) wurde zum Ausgangspunkt der 1989 gegründeten „Society for the Advancement of Socio-Economics“ (SASE), die auf ihrer Tagung im Jahr 1999 die „Madison Declaration on the Need for Socio-Economic Research and Theory” beschloss (SASE 1999); 2003 folgte schließlich die Gründung einer eigenen Zeitschrift.
Das I&We-Paradigma In seinem Beitrag von 2003 im ersten Band des „Socio-Economic Review“ stellt Etzioni seinen Ansatz noch einmal vor und meint, dass dieser für die Ökonomie dieselbe Funktion wie das neoklassische Grundmodell erfüllen soll. Die Prinzipien, auf denen dieser Ansatz be-
G. Mikl-Horke, Historische Soziologie – Sozioökonomie – Wirtschaftssoziologie, DOI 10.1007/978-3-531-92798-5_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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ruht, können jedoch nicht aus der Erweiterung bzw. Modifikation des neoklassischen Modells entstehen, sondern erfordern ein neues Paradigma. Dieses soll als einheitliche Grundlage für die Etablierung einer akademischen Disziplin Sozioökonomie dienen und auch für die Politik und die Praxis richtungweisend sein. Damit soll jedoch keine allgemeine Sozialwissenschaft im Sinne einer Integration von Ökonomie und Soziologie begründet werden, sondern eine Ökonomie, die anders als die neoklassische Ökonomie die nicht-ökonomischen Faktoren nicht ausklammert. Etzionis Sozioökonomie soll eine „bridging discipline“ sein, die Erkenntnisse verschiedener Wissenschaften miteinander verbindet. Aber: „The term ‚socio’ in socio-economics does not stand for sociology; it includes major segments of psychology and anthropology, history and political science – the whole complex of disciplines that examine the relationships between society and the economy.“ (Etzioni 2003: 109). Die Soziologie/Wirtschaftssoziologie kommt in dieser Feststellung überhaupt nicht vor und wird, soweit sie überhaupt berücksichtigt wird, als eine der vielen anderen Wissenschaften gesehen, deren Erkenntnisse in die Sozioökonomie einfließen, um ökonomische Probleme zu lösen. Die Erkenntnisse anderer Wissenschaften sollen als unabhängige Variable der kausalen Erklärung wirtschaftlicher Problemstellungen dienen. Die Fragen, auf die die Sozioökonomie Antworten sucht, sind daher jene traditionell in der Disziplin der Ökonomie gestellten Fragen bezüglich Wettbewerbsform und -intensität, Preisbildung, Investitions- und Sparquote etc. Die Sozioökonomie soll etwa fragen: Wie wirkt sich die religiöse Haltung auf die Wirtschaftsleistung aus? Ist die Sparneigung politisch konservativer Individuen höher als die anderer politischer Orientierungen? Solche Fragen erscheinen allerdings als wenig originell, wurden sie doch auch in der empirischen Wirtschaftsforschung und in der praktischen Wirtschaftslehre schon gestellt. Der Anspruch einer alternativen Konzeption der Ökonomie bzw. die Entwicklung eines neuen Paradigmas erscheint daher auf der Grundlage dieser methodischen Perspektive schwer zu rechtfertigen. Etzioni will die Sozioökonomie als dritten Weg sehen, der die (funktionalistische) Soziologie einerseits und die neoklassische Wirtschaftstheorie andererseits überwindet. Dazu ersetzt er das Handlungsmodell der neoklassischen Ökonomie durch ein Konzept, das er I&We-Paradigma nennt. Dieses soll als funktionales Äquivalent des neoklassischen Nutzenkonzepts dienen. Allerdings repräsentiert die I-Komponente des Paradigmas doch wieder ein utilitaristisch-hedonistisches Prinzip der Lust bzw. von „pleasure“, womit Etzioni hinter die Formalisierung der neoklassischen Wirtschaftstheorie zurück zu gehen scheint. Dem Lustprinzip wird die Gemeinschaftsorientierung, das We-Prinzip bzw. die Moral, gegenübergestellt. Die Sprachfigur ahmt damit William James’ Gegenüberstellung von I und Me nach, zielt aber nicht auf die subjektive Konstitution des Selbstbildes als Objekt der anderen. Etzionis Absicht ist es auch, Parsons’, Marx’ und Freuds Menschenbilder zu überwinden, indem er deren Verständnis des Individuums reformuliert: „…one should not deny that pleasure and self-interest constitute a major motivating force, and – in their place – a legitimate one. Socio-economics is hence to view pleasure and self-interest within the broader context of human nature, society, and ultimate values, rather than either ignore the selforiented force, or build a paradigm, theory, and morality focused entirely on self.” (Etzioni 1988: 251). Etzioni sieht einen beständigen Kampf zwischen den Ordnungsinteressen der Gesellschaft und dem Autonomieanspruch der Individuen. Dieser kann nicht reduziert
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werden durch „fitting people into social roles“, sondern „by rendering the social order more responsive to the members’ true needs“ (Etzioni 1996: 3). Etzionis ideologische Position verbindet die individualistische Perspektive einer liberalen Sozialphilosophie mit der kommunitaristischen Sicht der Gemeinschaft (vgl. Etzioni 1991). Die Moral bzw. die Gemeinschaftsorientierung wird im Sinne der deontischen Ethik aufgefasst. Wie in Kants Pflichtethik muss sich der Mensch daher zwischen Neigung und Pflicht entscheiden. Etzioni lehnt einerseits die Reduktion auf die rein individualistischen Motive ab, sieht den Menschen aber auch nicht unbewusst geprägt durch Milieu und Sozialisierung; er ist sich vielmehr bewusst, dass er in einer Gemeinschaft lebt, deren Werte er weitgehend teilt: „The deontological paradigm evolved here assumes that people have at least some significant involvement in the community ..., a sense of shared identity, and commitment to values…“ (Etzioni 1988: 5). Gleichzeitig geraten die Ansprüche der Gemeinschaft immer wieder in einen Konflikt mit seinen eigenen Bestrebungen, so dass sich das Individuum zwischen diesen und den sozialen Verpflichtungen entscheiden muss. Das Individuum wählt jedoch nicht nur den Weg der Moral, weil dies die beste Strategie zur Maximierung seines Eigeninteresses zu sein scheint. Etzioni lehnt also auch die Ausweitung der Nutzentheorie im Sinne der Rational Choice-Ansätze auf alles Handeln ab und sieht Moral als ein vom Eigeninteresse unabhängiges eigenes Ziel des Handelns; dieses wird auch ‚rational’ verfolgt, was Parallelen zu Webers Idealtypus des wertrationalen Handelns erkennen lässt. Etzioni sieht die Moral bzw. die Gemeinschaft nicht als einen Zwang im Sinne Durkheims oder als eine unbewusst wirksame Disposition an, sondern nimmt eine Wechselbeziehung von Individuum und Gemeinschaft an: „The individual and the community make each other and require each other“ (Etzioni 1988: 9). Das Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft wird aber nicht primär durch die konkreten sozialen Beziehungen, in denen die Menschen agieren, vermittelt, wie dies die neue Wirtschaftssoziologie mit ihrem Netzwerkansatz aufzeigt, sondern beide treffen mehr oder weniger direkt aufeinander. Wenngleich Etzioni mit seiner Konzeption eine dritte Position zwischen der individualistischen und der kollektivistischen Sicht menschlichen Handelns anstrebt, unterscheidet sich sein Ansatz von dem der Wirtschaftssoziologie im Sinn von Granovetter (1985) durch die unterschiedliche Gewichtung, die den sozialen Prozessen als der intermediären Ebene zwischen Individuum und Gemeinschaft zukommt. Etzionis I&We-Paradigma erweckt den Eindruck, die untersozialisierte Sicht von individueller Lustmaximierung mit einer übersozialisierten Reaktion auf kollektive Werte und Normen direkt zu verbinden. Die Konfrontation beider verlegt Etzioni in das Individuum hinein, das sich zwischen den beiden Verhaltensmotiven entscheiden muss. Damit aber bleiben politische und institutionelle Aspekte externe Bedingungen, die nur indirekt auf das individuelle Handeln einwirken, was auch der Begriff des ‚socio-economic mind’ (Etzioni 2003) zum Ausdruck bringt. Den Individuen billigt er nur begrenzte Rationalität zu; allerdings, so meint Etzioni, fallen die meisten Entscheidungen ohnehin im Rahmen von „collectivities“, die rationaler handeln als Individuen. Relevant ist daher nicht so sehr die individuelle Rationalität als vielmehr die „collective (macro) rationality“ (Etzioni 1988: 185 ff); sie beruht auf der sog. „nestedness“ von Individuen in „social collectivities“ wie Gemeinden, ethnische Gruppen oder soziale Bewegungen und ihrer Integration in „organized collectivities“ wie Organisati-
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onen und Verbände. Entscheidungen sind daher nie völlig ‚individuell’, aber sie sind auch nicht Ausdruck eines „group think“, denn in den Gruppen und Organisationen gehen Kommunikationsprozesse vor sich, in denen sich auch die individuellen Interessen niederschlagen. Auf die Problematik von Entscheidungseffizienz und Rationalität in bürokratischen und hierarchischen Organisationen geht Etzioni nur insofern ein, als er von einer Struktur der Rationalität auf Grund des Hierarchisierungsgrades und der Muster von Kommunikation und Koordination spricht. Etzioni bezeichnet zwar die Wirtschaft als Subsystem des Gesellschaftssystems, was an Parsons’ Theorie erinnert, aber er identifiziert diese mit dem Markt und der Konkurrenz. Wirtschaft wird auf die Markttransaktionen reduziert, deren Bandbreite durch den sozialen Kontext begrenzt sind: „the scope of the transactions organized by the market is largely determined by the social capsule“ (Etzioni 1988: 116). Der Begriff „social capsule“ verweist auf die Kontextfaktoren, insbesondere Normen, soziale Bindungen und politische Regelungen, innerhalb welcher Markt stattfindet, und die bestimmen, welche Form und welches Ausmaß von Konkurrenz vorherrschen. Der Begriff der sozialen Bindungen bei Etzioni erinnert an das Netzwerkkonzept der neuen Wirtschaftssoziologie: „….competition thrives not in impersonal, calculative systems of independent actors unbound by social relations,….nor in the socially tight world of communal societies, but in the middle range, where social bonds are strong enough to sustain mutual trust and low transaction costs but not so strong as to suppress exchange orientations.“ (Etzioni 1988: 211) Für Etzioni steht dabei jedoch die Ermöglichung und Sicherung von Markttausch und Konkurrenz im Mittelpunkt, während die Untersuchungen sozialer Beziehungen in Märkten in der Wirtschaftssoziologie zwar auch den instrumentellen Beitrag der Netzwerke sehen, aber diese stärker in ihrer Bedeutung für kooperatives Handeln in der Wirtschaft betonen. Etzioni inkludiert in sein Paradigma auch die Analyse der Sozialstruktur und sieht sie durch Machtkonstellationen bestimmt. Dabei unterscheidet er die ökonomische Macht, die durch die Marktform und die Marktverhältnisse bestimmt ist und die Interventionsmacht, die durch die Nutzung von politischer Macht durch ökonomische Akteure entsteht; letztere kann die Form von Pluralismus, Oligarchie oder Hegemonie annehmen. Aus dem Zusammenspiel von ökonomischer und interventionistischer Macht ergeben sich verschiedene Typen von Macht. Die Sozioökonomie soll beitragen, die Möglichkeiten für die Beschränkung der Macht, insbesondere der Interventionsmacht des Staates zu erforschen. Ziel ist die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft, die er durch die Performativität der neoklassischen Ökonomie bedroht sieht: „The more people accept the neoclassical paradigm as a guide for their behavior, the more the ability to sustain a market economy is undermined.“ (Etzioni 1988: 250). Das verweist auf seinen marktliberalen ideologischen Standpunkt, der zusammen mit der Forderung nach der „responsiveness“ der gesellschaftlichen Ordnung für die Bedürfnisse und Interessen der Individuen den normativen Charakter seines Ansatzes ausmacht.
Wirkung und Kritik von Etzionis Sozioökonomie Die Wirkung von Etzionis Vorstoß war bemerkenswert, was sich auch in der „Madison Declaration“ niederschlug. Diese baut zu einem großen Teil auf Etzionis Vorstellungen auf,
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wenn sie auch einen breiteren Rahmen für die sozioökonomische Forschung spannt. Die Sozioökonomie wird darin als Metadisziplin verstanden, die von der Annahme ausgeht, dass die Ökonomie nicht ein isoliertes System darstellt, sondern eingebettet ist in Gesellschaft, Politik und Kultur. Markt wird als ‚eingekapselt’ in einen gesellschaftlichen Kontext verstanden, der Werte, Machtbeziehungen und soziale Netzwerke umfasst und die Konkurrenz sowohl ermöglicht als auch beschränkt. Individuelle Wahlen sind von Werten, Gefühlen, sozialen Bindungen und moralischen Urteilen bestimmt und nicht nur von Eigeninteressen. Die Kritik der neoklassischen Ökonomie als solche steht jedoch nicht mehr im Vordergrund; es sollen alternative Ansätze entwickelt werden. In der „Declaration“ schlugen sich damit auch gewisse Tendenzen nieder, die wirtschaftssoziologische und heterodoxökonomische Einflüsse reflektieren. Die Sozioökonomie soll nicht auf eine bestimmte Ideologie festgelegt, sondern offen für ein breites Spektrum von Positionen sein (SASE 1999). Unter jenen, die sich in der Gegenwart zur Sozioökonomie bekennen, ist Etzionis Ansatz nicht nur auf Zustimmung gestoßen. Besonders kontroversiell wird der Anspruch eines einheitlichen Paradigmas beurteilt. Die Überzeugung von der Notwendigkeit eines solchen wird von vielen nicht geteilt, die eine breitere und differenziertere sozioökonomische Forschung vorziehen. Andere geben zu bedenken, dass die politisch-pragmatische Ausrichtung im Sinne der Etablierung einer akademischen Disziplin und der Politikberatung das Risiko birgt, dass die Sozioökonomie zu einer ‚social control technology’ unter anderen wird (Streeck 2003). Inhaltlich erweckt insbesondere die Dichotomie des Konzepts zwischen Lust und Moral Unbehagen. Wrong sieht trotz Etzionis Betonung, einen dritten Weg einschlagen zu wollen, ein übersozialisiertes Menschenbild in seiner Auffassung angelegt (Wrong 2003). Kritisch eingewendet wird auch, dass die mittlere Ebene der sozialen Netzwerke und der Institutionen weitgehend ausgeblendet bleibt, zumindest nicht konstitutiv für das Paradigma ist (vgl. Hollingsworth 2003). Das I&We-Paradigma vermag die durch die getrennte wissenschaftliche Entwicklung von Ökonomie und Soziologie entstandenen Konstrukte des ‚Ökonomischen’ und des ‚Sozialen’ nicht zu überwinden, weshalb Michael Piore für eine mehr an Max Weber orientierte Position und eine stärkere Konzentration auf die gesellschaftlichen Voraussetzungen und Bedingungen für individuelles Handeln eintritt (Piore 2003). Auch die Konzentration Etzionis auf die Kritik der neoklassischen Ökonomie wirkt widersprüchlich, weil er selbst die utilitaristischen und hedonistischen Grundlagen ihrer ursprünglichen Handlungstheorie übernimmt, allerdings hinter die Formalisierung des neoklassischen Modells zurückgeht; gleichzeitig wirkt sie anachronistisch, da die neoklassische Theorie gegenwärtig nur eine von vielen verschiedenen Strömungen in der Wirtschaftswissenschaft ist; ja manche sehen den Begriff neoklassisch bereits als ‚tot’ an (Colander 2000). Die große Bandbreite an ökonomischen Forschungsströmungen, die sich alle nicht dem neoklassischen Schema unterordnen lassen, bleibt aber in dem Paradigma unberücksichtigt. Etzionis Fokussierung auf die Neoklassik reflektiert daher die häufig beobachtbare vereinfachende und verallgemeinernde Sicht von Nicht-Ökonomen, die beharrlich unter Ökonomie das neoklassische Modell verstehen.
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Erster Teil: Zur Geschichte und Programmatik der Wirtschaftssoziologie
Zur Situation der Sozioökonomie/Sozialökonomie in der Gegenwart Die besondere Rolle, die der Ökonomie für die Erklärung der Bedingungen für Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und Staaten in der Gegenwart zugewiesen wird, hat dazu geführt, dass sich Ökonomen stärker auch mit den nicht-ökonomischen Faktoren des Verhaltens und der Institutionen beschäftigt haben. Die Anforderungen, die dadurch für die Problemlösungsrelevanz der Ökonomie entstanden sind, bewogen viele Ökonomen, andere Wege zu suchen, sich für die Wirkung von Normen und Institutionen zu interessieren, irrationales bzw. begrenzt rationales und opportunistisches Handeln zuzulassen und sich bei anderen Wissenschaften nach brauchbaren Erkenntnissen umzusehen. Das Feld der ökonomischen Ansätze und Strömungen ist breiter und differenzierter geworden; darunter finden sich auch verschiedene Versionen von ‚Sozioökonomie‘ und ‚Sozialökonomie‘. Die Bandbreite der Ansätze ist allerdings sehr weit. Der Begriff ‚Sozialökonomie’ wird manchmal zur Bezeichnung von Studien, die dem Rational Choice-Ansatz verpflichtet sind, verwendet; so etwa untersucht Gary Becker unter dieser Bezeichnung die Entstehung und die Wirkung des Sozialkapitals auf das Marktverhalten (Becker und Murphy 2000). ‚Sozioökonomie’ wird auf Grund der großen Bedeutung des Ansatzes von Amitai Etzioni oft mit diesem identifiziert; steht aber auch allgemein für einen interdisziplinären Zugang zu ökonomischen Problemen bzw. für Erweiterungen des Modells der MainstreamÖkonomie durch andere Verhaltensannahmen und die Berücksichtigung von Institutionen und Normen sowie von sozialen Faktoren im Rahmen der ökonomischen Forschung. Große Relevanz kommt in diesem Zusammenhang den „behavioral economics“ und dem ökonomischen Neo-Institutionalismus zu. Die in diesen Ansätzen berücksichtigten Aspekte lassen diese von ihren Annahmen her als sozialwissenschaftlich erscheinen, aber sie zielen auf die Lösung ökonomischer Problemstellungen von Nutzenmaximierung bzw. „satisficing“, der Kosteneffizienz von Unternehmen, der Marktpreisbildung etc. Die Problemstellung und das Erkenntnisziel bleiben mit Ausnahme jener einer ethischen Ökonomie oder der neuen Wohlfahrtsökonomie verpflichteten Konzeptionen durch die konventionellen Fragen, die sich aus der Konstruktivität ökonomischer Theorie ergeben, bestimmt. Aber gerade in dieser Hinsicht, also in Bezug auf die Fragen, denen sich die Sozioökonomie widmet, sollte es zu einer Erweiterung über die konventionellen ökonomischen Problemstellungen hinaus kommen. Sowohl hinsichtlich der Gegenstände, die behandelt werden, als auch in Bezug auf die theoretischen Strömungen und die involvierten Disziplinen bietet die Sozioökonomie in der Gegenwart das Bild einer großen Vielfalt, die aber keine deutliche Linie erkennen lässt. Der Grund dafür liegt, zumindest in der hier vertretenen Auffassung, in der Abstinenz in Bezug auf grundsätzliche Auseinandersetzungen mit den Fragen, welche Ökonomie die Sozioökonomie sein soll, welche Beziehung sie zur Soziologie hat, worauf ihre Erkenntnisziele gerichtet sind und wie sie daher ihre Problemstellungen definiert. Um diesen Fragen nachzuspüren, wird im Folgenden die Entwicklung sozialökonomischen Denkens nachzuzeichnen versucht, wobei besondere Aufmerksamkeit der Beziehung von Ökonomie und Soziologie in ihrem jeweiligen Verständnis von Gesellschaft und Wirtschaft zugewandt werden soll.
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Gesellschaft und Wirtschaft in klassischen Ansätzen der Ökonomie und Soziologie Die klassische Nationalökonomie sowie der Institutionalismus und die historische Volkswirtschaftslehre waren, wenn auch in unterschiedlicher Weise, durch ihr Verständnis der Einheit von Wirtschaft und Gesellschaft auf der Grundlage der modernen wirtschaftlichen Entwicklung charakterisiert. Adam Smith gilt als Begründer der klassischen Nationalökonomie, er kann aber genauso auch als Soziologe der Entwicklung der ‚commercial society’ gesehen werden. Diese gründet zwar auf den Eigeninteressen der Menschen in der arbeitsteiligen Wirtschaft, aber Smith wies auch auf das Mitgefühl, die freiwillig akzeptierten ethischen Prinzipien und die staatlichen Gesetze hin, die als soziale Korrektive des Eigeninteresses wirken. Smith war sich der sozialen Motive wirtschaftlichen Erwerbsstrebens bewusst, denn Reichtum wird nicht nur um seiner selbst willen angestrebt, sondern ebenso um der gesellschaftlichen Anerkennung willen, die er vermittelt. Während die ökonomische Arbeitsteilung und die Interessen für Smith den Fortschritt der Gesellschaft bewirken, sichern die ‚moral sentiments’ sowie das staatliche Recht und die Institutionen die Ordnung der Gesellschaft und lenken über die Harmonisierung der Interessen hinaus das Handeln der Menschen zum allgemeinen Wohl (vgl. Mikl-Horke 2001b: 30). Die Struktur dieser frühkapitalistischen Gesellschaft ist in Smith’ Sicht wirtschaftlich bestimmt und zwar durch die den drei Produktionsfaktoren und den Einkommensarten entsprechenden Gruppierungen von Kapitaleignern, Grundbesitzern und Lohnarbeitern. In dieser Auffassung kam der Wirtschaft daher sowohl grundlegende Bedeutung für die gesellschaftliche Ordnung, aber auch für die Entwicklung der Gesellschaft zu. John Millar, ein anderer schottischer Moralphilosoph, maß dem Aufschwung von Handel und Gewerbe und dem dadurch bewirkten Wohlstand große Bedeutung für die Evolution der gesellschaftlichen Ordnung und für die Entwicklung eines demokratischen Gemeinwesens zu. Adam Ferguson hingegen sah diesen Aufstieg nicht nur positiv, sondern erkannte in ihm auch die Ursache sozialer und politischer Ungleichheit in der ‚civil society’ (vgl. Mikl-Horke 2001b: 29 f). Die Anfänge der klassischen Nationalökonomie lassen die Ökonomie als Gesellschaftslehre bzw. als Teil einer spezifischen Moralphilosophie der Gesellschaft erkennen. Milios sieht darin einen ‚friendly merger’ zwischen Ökonomie und Soziologie in der klassischen Wirtschaftstheorie (Milios 2000). Gesellschaft wurde als wirtschaftlicher Zusammenhang begriffen, denn es waren die wirtschaftenden Schichten, die sich von der Abhängigkeit vom aristokratischen Staat lösten und diese neue bürgerliche Ordnungsvorstellung prägten. Die nach der Stellung innerhalb der Produktion differenzierte Struktur ließ die Vorstellung von sozialen Klassen entstehen, wie sie dann in der Marxschen Theorie formuliert wurde. Marx baute auf Smith’ und Ricardo auf, aber die Struktur der Gesellschaft spaltete sich in seiner Sicht in einander antagonistisch gegenüberstehende Klassen, die unterschiedliche Interessen, Macht und Bewusstseinslagen repräsentieren (vgl. Mikl-Horke 2001b: 48 ff). Die Ansätze für eine Sozioökonomie oder Sozialökonomik, die gleichzeitig Ökonomie und Soziologie umfasst, sind in der klassischen Nationalökonomie unübersehbar. Soziale, politische, kulturelle und wirtschaftliche Faktoren sind hier noch untrennbar miteinander verbunden.
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Erster Teil: Zur Geschichte und Programmatik der Wirtschaftssoziologie
Gleichzeitig werden die internen Spannungen und Konflikte in der modernen Gesellschaft sichtbar und schlagen sich auch in theoretischen Auffassungen nieder. Auch für die Entstehung der Soziologie als Wissenschaft von der Gesellschaft waren die wirtschaftlichen Veränderungen durch Kommerzialisierung und Industrialisierung und der dadurch bedingte Aufstieg des Besitzbürgertums eine der wichtigsten Voraussetzungen. Saint-Simon und Comte waren der Industrie und dem Handel gegenüber durchaus positiv eingestellt; diese wurden von ihnen neben den Naturwissenschaften als die Kräfte des Fortschritts angesehen. Saint-Simon verband mit der Industrialisierung geradezu die Heraufkunft eines neuen Christentums, das wissenschaftlich fundiert und intellektuell-moralisch von der neuen Elite der ‚industrialistes’ angeführt werden sollte. Auguste Comte sah in der industriellen Entwicklung eine Manifestation des wissenschaftlich-positiven Geistes. Mirowski zeigt, wie die Vorstellung von Wissenschaftlichkeit auch in der Sozialwissenschaft durch das Vorbild der Physik (Mirowski 1989) und das große Ansehen der Mathematik beeinflusst wurde. Dies manifestierte sich sowohl in der Methode als auch in den Vorstellungen über Wirtschaft und Gesellschaft. Comte sprach etwa auch von der ‚physique sociale’ und Condorcet von der ‚mathématique sociale’. In Comtes System der Wissenschaften kommt die Ökonomie als solche nicht vor, denn wirtschaftliche Fragen waren für ihn Gegenstand der positiven Wissenschaft der Gesellschaft, waren Gesellschaftswissenschaft, die Wirtschaft, Politik und Kultur umfasste. Darin stimmte Comte mit John St. Mill, mit dem er befreundet war, überein; auch für Mill war die ‚political economy’ ein Teil seines Systems einer allgemeinen Sozialwissenschaft, die er als ‚social economy’ bezeichnete; sie sollte sich mit den Gesetzen der menschlichen Natur im gesellschaftlichen Zustand beschäftigen, was auf die Tradition der Verankerung der Ökonomie in den ‚moral sciences’ verweist. In ähnlichem Sinn sprach auch Jean Baptiste Say von der ‚économie sociale’. Wie bei Comte fehlt auch in Herbert Spencers enzyklopädischem System der Wissenschaften die Ökonomie, was keineswegs deren Geringschätzung bedeutete, sondern die Überzeugung, dass Gesellschaft auf Wirtschaft beruht und durch ‚natürliche’ Prinzipien der Ordnung und Entwicklung bestimmt ist. Spencer kennzeichnete industrielle Gesellschaften als jene Sozialsysteme, bei denen das ökonomische System und demokratische Prinzipien dominieren (vgl. Mikl-Horke 2001b: 32 ff). Der bestimmende Unterschied zwischen den klassischen Ökonomen und jenen, die sich als Soziologen zu bezeichnen begannen, war jedoch das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft. Die klassischen Ökonomen setzten – soweit sie sich dem Liberalismus verpflichtet fühlten –, beim individuellen Handeln an und betonten das Individuum und seine Freiheit. Das hatte schon Mill grundlegend von Comte unterschieden, für den die Gesellschaft als solche, schließlich ‚die Menschheit’, das Erkenntnisobjekt und zugleich das Erkenntnisziel der Wissenschaft war. Die Differenzierung verschärfte sich durch den Aufstieg der Biologie nach Darwin; sie ersetzte bei manchen die Physik als Leitwissenschaft und begünstigte holistische Tendenzen, die vom ‚Gesellschaftskörper’ und seinen funktional aufeinander bezogenen Teilen sprachen. Dieses organizistische Denken, wie es etwa von Albert Schäffle oder Paul Lilienfeld entwickelt wurde, erfreute sich insbesondere in Deutschland großer Aufmerksamkeit. Auch die historische Volkswirtschaftslehre ging von Vorstellungen des ‚Volkskörpers’ aus und betrachtete den organischen Zusammenhang der Gesellschaft als Grundlage der Erkenntnisse der Ökonomie.
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Nicht die Individuen, sondern die gesellschaftliche Ordnung stand im Zentrum der Soziologie Emile Durkheims. Aber der Wirtschaft kam auch für ihn eine zentrale Bedeutung zu (vgl. Beckert 1997: 189); dies ist allerdings in zweifachem Sinn zu verstehen: Zum einen begriff er die Wirtschaft durch die arbeitsteilige Produktion und die Berufestruktur als grundlegend für die Struktur der modernen Industriegesellschaft; zum anderen suchte er nach einer alternativen Sichtweise, die nicht auf der individualistischen und utilitaristischen Orientierung der Ökonomie beruhen sollte. Durkheim begründete daher die soziale Ordnung auf Moral als kollektive Vorstellung und meinte: „… die Moral beginnt … dort, wo die Bindung an eine ... Gruppe beginnt“ (Durkheim 1967: 87). Sie ist ein objektiver Tatbestand, der auf der Bindung der Menschen an eine Gruppe, die Familie, den Stamm, die Berufsgruppe etc. beruht; durch die gemeinsamen Vorstellungen innerhalb der Gruppe kommt es zu Verhaltensregeln, deren Verletzung Sanktionen nach sich zieht, so dass das Handeln der einzelnen auch in ihren wirtschaftlichen Bezügen auf die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung hin gelenkt wird. Die Moral beruht auf der Bindung der Individuen untereinander, die ein kollektives Bewusstsein erzeugt; sie funktioniert daher wie ein selbsttätiger Sanktionsmechanismus, so dass man sie auch als ein funktionales Äquivalent des Marktmechanismus sehen kann (Albert 1967). Allerdings beruht ihre Wirkung nicht auf den individuellen Eigeninteressen in Konkurrenzbeziehungen, sondern auf der normativen Kraft des Kollektivbewusstseins. Dieses nimmt unterschiedliche Formen an je nach der wirtschaftlichen Grundlage der Gesellschaft. In der Industriegesellschaft mit ihrer komplexen Arbeitsteilung wird die soziale Ordnung durch ‚organische Solidarität’ ermöglicht, d.h. durch den funktionalen Zusammenhang der Werte und Normen der einzelnen Berufsgruppen. Institutionen werden als Ausdruck der normativen Ordnung der Gesellschaft gedeutet; so stellt für Durkheim der Vertrag die Grundlage für die soziale Regulation der Tauschbeziehungen dar (Beckert 1997: 130 ff); er wird aber nicht als freiwillige Übereinkunft rationaler Individuen zu beidseitigem Nutzen verstanden, sondern auf die soziale Ordnung bezogen. Auch der Preis wird von Durkheim anders, als dies in der individualistischen Ökonomie der Fall ist, als ein dem einzelnen als Datum gegenüber tretender Tatbestand verstanden, der auf kollektiven Vorstellungen von Gerechtigkeit und Angemessenheit beruht. In der industriellen Produktionstechnologie erblickte Durkheim ebenfalls einen normativen Zwang, der den einzelnen Unternehmer dazu veranlasst, die zeitgemäße Technologie einzusetzen. Durkheim war sich zwar bewusst, dass das tatsächliche Handeln nicht immer dieser normativ-moralischen Orientierung entsprach; er betrachtete dies jedoch als Pathologie der modernen Gesellschaft, die auch wirtschaftliche Krisen durch ihre anomischen Tendenzen hervorbringt. Sowohl von den klassischen Ökonomen als auch von den frühen Soziologen wurden Wirtschaft und Gesellschaft als untrennbar miteinander verbunden gesehen, aber sie differierten hinsichtlich der Rolle des individuellen Eigeninteresses und der moralischen Bindung an die Gemeinschaft. Damit wurde ein Schisma begründet, das sich bis heute fortgesetzt hat und das sich in neueren Konzeptionen der Sozioökonomie wieder niederschlägt. Das förderte auch den Wandel im sozialökonomischen Denken von einem Verständnis als umfassende Sozialwissenschaft hin zur Spaltung in Ökonomie und Soziologie mit jeweils unterschiedlichen Erkenntnisobjekten des „rein Ökonomischen“ und des „rein Sozialen“.
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Erster Teil: Zur Geschichte und Programmatik der Wirtschaftssoziologie
Sozialökonomie und Wirtschaftssoziologie als Ausgrenzungsprodukte des neoklassischen Reduktionismus Die Ökonomie wurde von den klassischen Nationalökonomen wie Mill oder Say als Teil einer umfassenden Gesellschaftslehre oder Sozialwissenschaft verstanden. Auch die frühen Grenznutzentheoretiker wichen von dieser Tradition zunächst nicht ab; so bezog sich auch Carl Menger in seinen methodischen Überlegungen auf eine allgemeine Sozialwissenschaft, die eine politische Ökonomie mit umfassen sollte (Menger 1883). Auch William St. Jevons und Leon Walras verstanden die Ökonomie zunächst als Sozialwissenschaft. Wie Menger machten sie sich jedoch Sorgen über den Weiterbestand der Wirtschaftstheorie auf Grund der Tendenz, die Ökonomie als eine historische Wissenschaft aufzufassen. Jevons meinte: „… instead of converting our present science of economics into an historical science, utterly destroying it in the process, I would perfect and develop what we already possess, and at the same time erect a new branch of social science on an historical foundation. This new branch of science … is doubtless a portion of what Herbert Spencer calls Sociology, the Science of the Evolution of Social Relations.“ Und er stellte fest: “Political Economy is in a chaotic state at present, because there is need of subdividing a too extensive sphere of knowledge … It is only by subdivision, by recognising a branch of Economic Sociology, together possibly with two or three other branches of statistical, jural, or social science, that we can rescue our science from its confused state.” (Jevons 1888: 20). Jevons verwies damit auf die Wirtschaftssoziologie als eine historisch-evolutionäre Behandlung wirtschaftlicher Phänomene. Seine Theorie aber, die die Ökonomie als Einzelwissenschaft ausweisen sollte, verstand er als ‚mechanics of utility and self-interest’ auf utilitaristischer Grundlage. Sie sollte sich nur mit dem Kern der modernen Wirtschaft, der Preisbildung, auf der Grundlage von Nützlichkeit und Knappheit befassen, was die Ausklammerung aller anderen Elemente implizierte. Für Jevons und Walras hatte es die Ökonomie mit quantitativen Phänomenen zu tun und ihre Methode sollte die Mathematik sein. Diesbezüglich unterschieden sie sich deutlich von Carl Menger und seiner Schule, die am subjektiven Handeln ansetzten und die Mathematik ablehnten. Die neoklassischen Ökonomen britischer und französischer Provenienz suchten die reine Theorie zu isolieren und sie zum Kern der Ökonomie zu machen, aus der sie soziale, historische, politische und kulturelle Aspekte ausklammerten; diese Reduktion ließ gleichsam im Gegenzug die Wirtschaftssoziologie entstehen, die jedoch einer anderen Wissenschaft, der Soziologie, zugeordnet wurde und nicht Ökonomie sein sollte. Dies reflektiert auch den Zerfall des enzyklopädischen Systems der Wissenschaften in Einzelwissenschaften. Mit der Reduktion der Ökonomie auf das Rationalprinzip und auf das Ordnungsmodell des Marktes war die Einheit von Wirtschaft und Gesellschaft als Gegenstand der allgemeinen Sozialwissenschaft aufgelöst. Ökonomie und Soziologie behandelten von nun an unterschiedlich definierte Erkenntnisobjekte, die als ‚ökonomisch’ und ‚soziologisch’ gekennzeichnet wurden, wobei sich diese auch durch die Kriterien ‚individualistisch vs. kollektivistisch’ und ‚rational vs. irrational’ unterschieden. Vilfredo Pareto sah die Differenzierung zwischen Ökonomie und Soziologie als Arbeitsteilung, wobei er der Ökonomie die Aufgabe zuwies, sich mit dem logischen Handeln zu beschäftigen, während die Soziologie eine logi-
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sche Erklärung des nicht-logischen Handelns liefern sollte. Seiner Auffassung zufolge sollte es auf der metatheoretischen Ebene zur Synthese beider Erklärungsweisen kommen, was in der Folge jedoch in Vergessenheit geriet. Damit war die Aufspaltung der sozioökonomischen Wirklichkeit in unterschiedliche disziplinäre Zuständigkeiten für die Erklärung rationalen Handelns und der Marktgesetzlichkeit einerseits und für jene des normorientierten bzw. nicht-rationalen ‚sozialen’ Verhaltens und der Gesellschaft unter Ausschluss von Wirtschaft und Politik andererseits vollzogen. Auf der einen Seite kam es durch die Dominanz der neoklassischen Theorie zu einer realitätsfernen, modelltheoretischen Ökonomie, die auf einem entsozialisierten Begriff von Individualität und der Entbettung der Wirtschaft aus der Gesellschaft beruhte, auf der anderen Seite zur Entökonomisierung des Gesellschaftsbegriffs und zur Kollektivierung der Subjektivität in der Soziologie. Auch die neoklassischen Ökonomen nahmen jedoch die sozialen Probleme ihrer Zeit wahr und sahen ihre Wissenschaft als Möglichkeit für deren Lösung. Beckert betont zu Recht, dass sie nicht mit einer ‚laisser faire’-Auffassung ohne soziales Problembewusstsein identifiziert werden dürfen (Beckert 1997: 190). Für Leon Walras sollte die Ökonomie nicht Selbstzweck sein, sondern eine ‚science sociale’ konstituieren, die sich als Antwort auf die Soziale Frage seiner Zeit verstand (Eckert und Bauer 1996). Zentrale Aufgabe der Ökonomie war für Walras der Nachweis der Tauschgerechtigkeit des Marktes; dies war eine Reaktion auf die frühsozialistische Kritik des Privateigentums und der negativen Verteilungseffekte der Märkte. Aber die von ihm entwickelte mathematische Gleichgewichtstheorie geht von einer gegebenen Anfangsausstattung der Eigentumsverteilung aus und kann nicht auf die Problematik der Verteilungsgerechtigkeit eingehen, denn sie hat es mit Produktion, Austausch und Kapitalbildung, aber nicht mit der Verteilung der Einkommen und Vermögen zu tun. Für Walras waren die Verteilungsgerechtigkeit und die Lösung der Sozialen Frage jedoch ein überaus wichtiges Anliegen, allerdings konnte er dieses nicht im Rahmen der Wirtschaftstheorie behandeln. Daher wies er diese Aufgabe der ‚économie sociale’ zu, die er aber nicht als reine, sondern als ethische Wissenschaft verstand. In seinen 1896 erschienenen Etudes d’économie sociale wandte er sich einerseits angewandten Studien zu, andererseits entwickelte er liberal-sozialistische normative Konzepte und sozialreformerische Ideen, etwa die Verstaatlichung von Grund und Boden und die Aufhebung der Besteuerung der Löhne (Cirillo 1984). Diese Orientierung an den Fragen sozialer Gerechtigkeit einerseits und der Entwicklung einer mathematischen Gleichgewichtstheorie andererseits lassen zwei Seiten bei Walras’, den reinen Theoretiker und den sozialen Reformer, erkennen (Rugina 1982). Dies ist jedoch ein Grundzug gerade der auf die reine Theorie ausgerichteten Ökonomen, wie Talcott Parsons (1937) richtig feststellte: Auf der einen Seite wurde die Wirtschaftstheorie, etwa durch Francis Y. Edgeworth, Irving Fisher u.a. zu einer Modelltheorie auf mathematischer Basis ausgebaut, und Harold Robbins begründete die ökonomische Orthodoxie als logische Theorie rationaler Wahlakte unter der Bedingung der Knappheit der Ressourcen; auf der anderen Seite befassten sich auch die neoklassischen Ökonomen immer wieder mit den sozialen Problemen in der modernen Wirtschaftsgesellschaft, allerdings in pragmatischer Form ohne theoretischen Anspruch. Auch Alfred Marshall, der die marginalistische Theorie systematisierte und zu ihrer Verbreitung maßgebend beitrug, war sich der realen Gegebenheiten und Probleme der
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Wirtschaft seiner Zeit in hohem Maße bewusst. Insbesondere ging es Marshall um die Bekämpfung der Armut, die den gesellschaftlichen und menschlichen Fortschritt negativ beeinflusse. In manchen seiner Aussagen hinsichtlich der Aufgabe der Ökonomie spiegelt sich dieses Bewusstsein: „Economics is a study of mankind in the ordinary business of life; it examines that part of individual and social action that is most closely connected with the attainment and with the use of material requisites of well-being. Thus it is on the one side a study of wealth; and on the other, and more important side a part of the study of man.” (zit in: Hodgson 2005b: 125). Marshall verwarf auch nicht die Erkenntnisse der historischen und institutionalistischen Ökonomen. Er sah die Wirtschaft als eine historische gesellschaftliche Realität, begründete die Notwendigkeit einer Einzelwissenschaft der Ökonomie aber dadurch, dass eine Sicht des Sozialen als Ganzes nur dem ‚common sense’ zugänglich sei. Dies mache unterschiedliche Theorien und die Differenzierung von Ökonomie und Soziologie notwendig. Seine historische Orientierung ließ ihn jedoch auch den Zusammenhang zwischen den gesellschaftlichen Bedingungen und den wissenschaftlichen Theorien erkennen; jeder soziale Wandel der ‚Aktivitäten’ mache daher auch eine neue Entwicklung der Ökonomie erforderlich, da sich auch die Bedürfnisse der Menschen ändern. Marshall versuchte das Verteilungsproblem, das Walras aus der Ökonomie ausgeklammert und der ‚économie sociale’ zugewiesen hatte, wieder mit der Gleichgewichts- und Nutzentheorie zu verknüpfen. Diese Bemühungen Marshalls wurden von seinem Schüler Arthur Pigou weiterentwickelt. Seine Konzeption, die als ‚welfare economics’ bekannt wurde, beruhte auf mikroökonomischer Grundlage und kardinaler Nutzenmessung, was massive Probleme der Aggregation und der interpersonalen Vergleichbarkeit der Nutzenfunktionen aufwarf. Pareto und andere trennten daher das Effizienzproblem wieder vom Verteilungsproblem, nahmen ordinale Nutzenvergleiche an und suchten soziale Indifferenzkurven zu entwickeln. Das Kriterium der Pareto-Effizienz bzw. Pareto-Optimalität ist erfüllt, wenn eine wirtschaftliche Veränderung zumindest ein Individuum besser und keines schlechter stellt als in der vorhergehenden Verteilungssituation (vgl. Napoleoni 1968: 31 ff). Auch diese ordinalen Nutzenvergleiche und die Aufstellung einer sozialen Präferenzordnung wurden allerdings dann von Kenneth Arrow als unmöglich erkannt, wenn gleichzeitig bestimmte Bedingungen wie Einstimmigkeit, Universalität, Ausschluss diktatorischer Entscheidungen erfüllt werden sollen. Das führte wieder zurück zu der Erkenntnis Walras’, dass die Bestimmung der gesellschaftlichen Wohlfahrt nicht ohne Wertentscheidungen auskommt. Eine Entwicklung der Wohlfahrtsökonomie in Richtung auf eine normative, politisch-pragmatische Konzeption unternahm Gunnar Myrdal (1953): Er lehnte die neoklassische Gleichgewichtstheorie als Rechtfertigung sozialer Ungleichheit ab und trat für die wohlfahrtssteigernde Intervention der Staaten und für Entwicklungspolitik ein. In der Gegenwart hat sich etwa Amartya Sen der Wohlfahrtsökonomie mit Bezug auf entwicklungsökonomische Probleme gewidmet. Bekannt wurde der sog. „capability approach“, der auf der Erweiterung der Freiheit der Handlungsmöglichkeiten von Individuen beruht (Sen 1992). Andere Konzepte berücksichtigen auch die Lebenszufriedenheit oder ‚Glück’ (Frey und Stutzer 2002) und versuchen diese in Form von verschiedenen Indizes wie dem ‚Human Development Index’ zu erfassen. Aus der Problematik der neoklassischen Wohlfahrtsökonomie entstanden solcherart Ansätze
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sozioökonomischen Denkens innerhalb der Ökonomie, die jedoch eine starke normative Ausrichtung haben. Demgegenüber wurde die Wirtschaftstheorie immer eine sich auf formale Methoden oder quantitative Indikatoren stützende Analyse der Funktionstüchtigkeit des Marktsystems, während die Fragen sozialer Probleme der Wirtschaft, von Verteilung und Gerechtigkeit und der Armutsbekämpfung in den Hintergrund rückten (Breslau 2003).
Historische Volkswirtschaftslehre und theoretische Sozialökonomik Die Strömungen der historische Volkswirtschaftslehre und des Institutionalismus suchten das reale Wirtschaftsleben zu erforschen und standen der Wirtschaftstheorie skeptisch bis ablehnend gegenüber. Auf Grund ihrer umfassenden Gegenstandsbestimmung kann man die historische Volkswirtschaftslehre und auch den Institutionalismus als Sozialökonomie oder als Soziologie auf wirtschaftlicher Grundlage bezeichnen. Das trifft besonders auf den Institutionalismus etwa eines Thorstein Veblen bzw. auf den skandinavischen Institutionalismus, der bereits eine sozialökonomische Synthese (Åkerman 1938) thematisierte und auf die französische historische Schule um François Simiand (1987) zu. In Deutschland verband sich die historische Volkswirtschaftslehre mit einem organizistischen Gesellschaftsverständnis und sah sich als eine Grundlage für die staatliche Politik und für die Sozialreform (Pribram 1998: 401 ff). Es waren hier die Kritiker der historischen Volkswirtschaftslehre, die den Begriff „Sozialökonomik“ auf ihr Banner schrieben; ihr gemeinsames Merkmal war das Bestreben, sich endgültig aus dem Zusammenhang der Staatswissenschaften zu lösen und eine Alternative zur dominanten historischen Schule der Volkswirtschaftslehre zu entwickeln. Die Theorieferne und Politikorientierung der historischen Volkswirtschaftslehre hatte nicht nur Kritik von Seiten der Wirtschaftstheoretiker hervorgerufen, sondern auch innerhalb des Kreises der historischen Ökonomen suchte man nach anderen Wegen. Hier sind insbesondere die jüngeren Mitglieder des Vereins für Socialpolitik wie Werner Sombart und Max Weber zu nennen, die sich mit Marx’ Kapital auseinander gesetzt hatten und auch die Grenznutzentheorie nicht ablehnten. Der Begriff geht auf Heinrich Dietzel zurück, der erstmals 1883 von der ‚Socialökonomik’ bzw. der ‚Socialwirtschaftslehre’ sprach (vgl. Blümle und Goldschmidt 2003: 17) und in seinem Buch Theoretische Sozialökonomik darunter eine Ökonomie verstand, die sich auf die Handlungen der einzelnen Wirtschaftssubjekte bezog und eine allgemeine, abstrakte und individualistische Wissenschaft von der wirtschaftlichen Seite der Gesellschaft sein sollte (Dietzel 1895; vgl. Nau 1997: 199). Ihr Kern war eine Theorie der ‚abstrakten Verkehrsgesellschaft’, d.h. eine von Bezugnahmen auf ‚volkliche’ oder staatliche Aspekte unabhängige Konzeption, die daher auch keiner realempirischen und historischen Begründung bedarf. Auch einer seiner Lehrer, Adolph Wagner, eigentlich ein prominenter Vertreter der historischen Schule der Nationalökonomie, gab 1907 ein Buch mit dem Titel Theoretische Sozialökonomik heraus; er hatte auch Einfluss auf Dietzels Konzeption. Dieser wiederum beeinflusste Walter Eucken und den Ordoliberalismus, der eine der Grundlagen der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft darstellt. Dietzel war in seiner Auffassung von der klassischen Ökonomie, insbesondere von Say, beeinflusst, aber in der Folge auch von Carl Menger im Zuge von dessen Auseinander-
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setzung mit dem Haupt der historischen Schule, Gustav Schmoller; dies ist auch deshalb zu vermuten, da Dietzel den Eigennutzen durch das ‚wirtschaftliche Prinzip’, das er aus dem menschlichen Zweckstreben mit logischer Notwendigkeit ableitete, ersetzte. Auch Menger und seine Nachfolger hatten sich nicht auf bestimmte psychologische Motive, die als ‚ökonomisch’ begriffen wurden, beschränkt, sondern sich auf die Zweckgerichtetheit subjektiven Handelns bezogen. Sein Begriff des Eigeninteresses umfasst daher auch jene Aspekte der sozialen Um- und Mitwelt der Individuen, die für dieses wertvoll und erstrebenswert sind. Menger hatte den historischen Kontext zwar aus der exakten Wirtschaftstheorie ausgeklammert, er blieb für ihn jedoch Gegenstand desjenigen Zweiges der theoretischen Forschung innerhalb der allgemeinen Sozialwissenschaft, der sich empirisch-realistisch mit Wirtschaft und Gesellschaft befasst. Diese Auffassung verweist auf das Verständnis von Sozialökonomie im Sinne der klassischen Ökonomie; Menger verwendete jedoch den Begriff selbst nicht. Die österreichische bzw. Wiener Schule der Ökonomie unterschied sich daher von den anderen Ansätzen der Grenznutzentheorie in verschiedener Hinsicht. Ihre Vertreter verstanden sich als Sozialwissenschaftler, ja sogar als Soziologen, allerdings auf individualistischer Grundlage. Der Charakter der Ökonomie als Teil einer Sozialwissenschaft machte sich insbesondere bei Friedrich Wieser bemerkbar, dessen Werk Theorie der gesellschaftlichen Wirtschaft (1914) in der englischen Übersetzung den Titel Social Economics (2003) erhielt. Wieser hatte sich, obwohl von der Wirtschaftstheorie her kommend, immer wieder Gedanken über den Zusammenhang von Gesellschaft und Wirtschaft gemacht, was sich auch in einer Vorlesung 1915 über Gesellschaft und Volkswirtschaft niederschlug. Er begriff wirtschaftliches Handeln als ein gesellschaftliches Handeln und war sich bewusst, dass die individualistische Orientierung der Wirtschaftstheorie eine Idealisierung darstellt. Die Volkswirtschaftslehre sah er historisch und politisch am Nationalstaat orientiert, erblickte ihre Funktion aber auch darin, als „vorgeschobener Posten der Gesellschaftstheorie“ zu fungieren. Das wirtschaftliche Handeln sah er durch gesellschaftliche Freiheits- und Zwangsmächte bestimmt, da es sich stets in einem Rahmen von Recht, Sitte und gesellschaftlicher Schichtung vollzieht. Geld, Markt und Erwerbswirtschaft stellen daher „gesellschaftliche Bildungen“ dar, aber auch die Freiheit, die Bedürfnisse sowie der Wille und der Egoismus der Menschen waren für Wieser ein „gesellschaftlicher Zustand des Individuums“ auf Grund der Prozesse der Sozialisierung und der sozialen Kontrolle. Sie wirken „auch oder gerade dort, wo man ganz auf sich gestellt zu sein meint“, also auch in der wirtschaftlichen Konkurrenz (Wieser 1914: 117). Max Weber gab das Sammelwerk Grundriss der Sozialökonomik heraus, in dem auch Wiesers Theorie der gesellschaftlichen Wirtschaft erschien. Weber hatte den Begriff der Sozialökonomik übernommen, verwendete ihn jedoch eher selten. Nur im ‚Objektivitätsaufsatz’ (Weber 1988b: 161 ff) ging er näher auf sein Verständnis desselben ein; in Wirtschaft und Gesellschaft findet er sich vor allem in den älteren Teilen, während in der Kategorienlehre dafür der Begriff der Wirtschaftssoziologie steht. Manchmal verwendete Weber ihn auch als Synonym für Wirtschaftstheorie, wobei er sich auf Menger, Wieser und Böhm-Bawerk, also auf die österreichische Wirtschaftstheorie, bezog; in anderen Zusammenhängen wieder erscheint er als eine sehr umfassende Wissenschaft von den Menschen und ihrem Zusammenleben und der Organisation für die Zwecke der Güterbefriedigung (vgl. Nau 1997: 258).
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Um Webers Sicht auf die „sozialökonomische Wissenschaft seit Marx und Roscher“ (Weber 1988b: 163) zu rekonstruieren, muss zunächst auf sein Verständnis von Wirtschaft Bezug genommen werden. Weber beschäftigte sich in einem umfassenden Sinn mit Wirtschaft, wenngleich er dem rationalen Wirtschaften die größte Bedeutung in der modernen Gesellschaft zuschrieb. Neben dem Wirtschaften im engeren Sinn bezog er sich aber auch auf ökonomisch relevante Wirkungen anders motivierten Handelns und auf wirtschaftlich nur mit bedingte Erscheinungen. Durch die Einbeziehung historischer, kultureller, rechtlicher und politischer Aspekte ist Webers Sozialökonomik als Ausdruck seines Bestrebens, zwischen der theoretischen und der historischen Ökonomie zu vermitteln, zu werten. Aber er verstand Sozialökonomik nicht durch ihren Gegenstandsbereich bestimmt; dezidiert stellte er fest, dass das Sozial-ökonomische keine Eigenschaft von Objekten darstellt, sondern auf dem Erkenntnisinteresse beruht, das sich aus der Kulturbedeutung ergibt, die wir einem Tatbestand beilegen. Daher stellt auch nicht alles, bei dem ein „Hineinspielen ökonomischer Momente als Folge oder Ursache stattfindet, ein sozialökonomisches Problem“ dar. Ein solches entsteht nur, wenn „die Bedeutung jener Faktoren eben problematisch und nur durch die Anwendung der Methoden der sozial-ökonomischen Wissenschaft sicher feststellbar ist“ (Weber 1988b: 164). Daher erfuhr die Soziale Frage, die zweifellos eines der wichtigsten Probleme der Zeit war, erst eine sozialökonomische Behandlung, als ihre unmittelbar praktischen Aspekte zu einer Analyse des universellen Zusammenhangs „aller, durch die Eigenart der ökonomischen Grundlagen der Kultur geschaffenen und insofern spezifisch modernen Kulturprobleme“ erweitert wurden. Sozialökonomik meint daher „die wissenschaftliche Erforschung der allgemeinen Kulturbedeutung der sozialökonomischen Struktur des menschlichen Gemeinschaftslebens und seiner historischen Organisationsformen“ (Weber 1988b: 165). Weber wollte keinen Beitrag zur Wirtschaftstheorie oder zu einer pragmatischen Ökonomie liefern, denn ihm ging es primär um die Verbindung von historischer und theoretischer Methodologie auf der Basis der Rickertschen Kulturwissenschaft und damit um die Erklärung und das Verstehen der Kulturbedeutung der Wirtschaft und auch der Wirtschaftstheorie selbst. Das erforderte die Verbindung zwischen dem Kern der wirtschaftstheoretischen Annahmen und anderen Kulturbereichen. Diese sah er durch die Wertbeziehung bestimmt, was für ihn jedoch eine objektive werturteilsfreie Analyse auf der Basis seiner idealtypischen Methode bedeutete. Methodologisch verband Weber in den Idealtypen die Wirtschaftstheorie mit historischen Analysen, inhaltlich verstand er die Sozialökonomik als Kulturwissenschaft, die sich auf die Zusammenhänge zwischen der Wirtschaft und den anderen Kulturbereichen beziehen sollte. Während Weber die materialistische Interpretation der Kultur in ihrer Gesamtheit zurückwies, stellte er jedoch fest, „dass die Analyse der sozialen Erscheinungen und Kulturvorgänge unter dem speziellen Gesichtspunkt ihrer ökonomischen Bedingtheit und Tragweite ein wissenschaftliches Prinzip von schöpferischer Fruchtbarkeit war und … bleiben wird“ (Weber 1988b: 166). Demgegenüber hielt Weber den Begriff des ‚Sozialen’ als nur von allgemeiner Bedeutung; er war in seiner Sicht inhaltsleer und unspezifisch. Dennoch meinte er: „Die Reduktion auf ökonomische Ursachen allein ist auf keinem Gebiete der Kulturerscheinungen je in irgendeinem Sinn erschöpfend, auch nicht auf demjenigen der ‚wirtschaftlichen’ Vorgänge“ (Weber 1988b: 169).
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Erster Teil: Zur Geschichte und Programmatik der Wirtschaftssoziologie
Die Sozialökonomik hat für Weber die Aufgabe der ‚ökonomischen Geschichtsinterpretation’ im Sinne der „Zurechnung einzelner konkreter Kulturvorgänge der historischen Wirklichkeit zu konkreten historisch gegebenen Ursachen durch Gewinnung exakten, unter spezifischen Gesichtspunkten erhobenen Beobachtungsmaterials“ (Weber 1988b: 168). Das Ökonomische beinhaltet für Weber keine notwendige Entwicklungsgesetzmäßigkeit: Die jeweiligen ökonomischen Bedingungen sind genauso historisch zufällig wie alle anderen historischen Gegebenheiten und stellen jedenfalls nicht die einzigen Wirkfaktoren dar. Er sprach sich auch gegen die Dehnung des Begriffs des Ökonomischen, so dass alle menschlichen Handlungen darunter fallen, aus. Vielmehr mischen sich entsprechend seiner Handlungstypologie im realen Verhalten verschiedene Formen, während dem zweckrationalen Handeln Bedeutung im Sinne des historischen Idealtypus des modernen okzidentalen Kapitalismus zukommt. Die Konzeption der Ökonomie als eine Ontologie bzw. Logik (subjektiv) rationalen Handelns, wie sie Mises entwickelte, ist davon klar zu unterscheiden. Es ist daher zu hinterfragen, ob man Weber tatsächlich als Vorläufer der Rational Choice-Theorie sehen kann (Norkus 2001). Weber kritisierte auch die abstrakte, sich vielfach auf physikalische Analogien berufende Wirtschaftstheorie und ihren Anspruch, „aus gegebenen realen Prämissen quantitativ bestimmte Resultate … mit Gültigkeit für die Wirklichkeit des Lebens zu deduzieren, da die Wirtschaft des Menschen bei gegebenem Zweck in bezug auf die Mittel eindeutig ‚determiniert’ sei … (und) sich auf psychologische Axiome stützen“ könne (Weber 1988b: 188). Die abstrakte Wirtschaftstheorie ist für Weber daher eine Idee, die inhaltlich den Charakter einer Utopie hat, methodisch als Idealtypus der Hypothesenbildung die Richtung weist. Der Tausch oder die Geldwirtschaft sind aber nur deshalb im Zentrum des Erkenntnisinteresses, weil dies heute Massenerscheinungen und daher historische Tatsachen sind. Sie sind bedeutungsvoll für die Kultur der Gegenwart, weil ihnen Wert und Sinn zugeschrieben wird, weil sich Interessen darauf richten. Soweit die Wirtschaftstheorie Kategorien enthält, die in der Gegenwart aus der historischen Wirklichkeit als bedeutsam hervorgehobene Elemente darstellen, ist sie für die Sozialökonomik als historische Wissenschaft relevant; sie wird für diese zu einem Mittel der Kulturerkenntnis, ist für Weber daher Objekt, aber nicht das eigentliche Erkenntnisziel. Webers Sozialökonomik ist weder Ökonomie im herkömmlichen Sinn noch ein Teil der Soziologie oder einer allgemeinen Sozialwissenschaft, sondern eine selbstreflexive historische Kulturwissenschaft, der es um Kulturerkenntnis durch die Analyse der Beziehungen zwischen der Wirtschaft und den anderen Kulturbereichen geht. Weber wandte sich explizit gegen eine soziale Einheitswissenschaft oder die Subsumierung der Sozialökonomik unter die Gesellschaftstheorie: „Der Glaube, es sei die Aufgabe fortschreitender wissenschaftlicher Arbeit, die ‚Einseitigkeit’ der ökonomischen Betrachtungsweise dadurch zu heilen, dass sie zu einer allgemeinen Sozialwissenschaft erweitert werde, krankt zunächst an dem Fehler, dass der Gesichtspunkt des ‚Sozialen’, also der Beziehung zwischen Menschen, nur dann irgend welche zur Abgrenzung wissenschaftlicher Probleme ausreichende Bestimmtheit besitzt, wenn er mit irgend einem speziellen inhaltlichen Prädikat versehen ist … Daß die Sozialökonomik sich mit ‚sozialen’ Beziehungen befasst, ist so wenig ein Grund, sie als notwendigen Vorläufer einer ‚allgemeinen Sozialwissenschaft’ zu denken, wie etwa der Umstand, dass sie sich mit Lebenserscheinungen befasst, dazu nötigt, sie als Teil der Biologie … anzusehen.“ (Weber 1988b: 165f). Weber wies eine
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Erweiterung zu einer allgemeinen Sozialwissenschaft zurück, vielmehr erblickte er eine Pluralisierung der Disziplinen, da neue Probleme, die mit neuen Perspektiven und Methoden erforscht werden, auch immer wieder eine neue Wissenschaft hervorbringen. Die Sozialökonomik ist in diesem Verständnis eine solche neue Wissenschaft, aber keine allgemeine Sozialwissenschaft und auch kein Teil einer solchen. In diesem Verständnis traf sich Weber weitgehend mit Joseph A. Schumpeter. Wenngleich dieser zunächst noch von seinem Lehrer Wieser beeinflusst war, wandte er sich später jedoch der neoklassisch-mathematischen Ökonomie zu. War Wiesers Vorstellung noch eine umfassende, in der die Ökonomie als Teil einer Gesellschaftstheorie erschien, so wird bei Schumpeter die Trennung von Ökonomie und Soziologie offenkundig, genauso wie der Wandel in der Auffassung von Sozialökonomik hin zu einer Wirtschaftswissenschaft zum Zweck der Wirtschaftsanalyse. Dieser Wandel lässt sich auch an der Entwicklung von Schumpeters Werk ablesen: In der ersten Auflage der Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung 1911 hatte er die Ökonomie einer allgemeinen Sozialwissenschaft zugeordnet, der es um ein Gesamtbild der Wirtschaft im Rahmen der sozialen Kultur eines Volkes gehen sollte. Auch hier differenzierte er allerdings bereits zwischen dem ‚rein Wirtschaftlichen’ und dem ‚Gesellschaftlichen’. Wirtschaft war für ihn eine analytische Abstraktion aus der Gesamtheit des sozialen Geschehens, denn in der Realität gibt es keine rein wirtschaftlichen Tatsachen. In der Spannung von Theorie und Realität entschied sich Schumpeter jedoch wenig später eindeutig für die Theorie, insbesondere beeindruckte ihn die Gleichgewichtstheorie von Walras. Schumpeter vertrat, auch wenn er sich selbst damit zurückhielt, die Auffassung, dass Ökonomie mathematisch fundiert sein muss. Darin folgte er Walras, den er für den größten Ökonomen aller Zeiten hielt, und seinem Freund Irving Fisher. Gleichzeitig wendete er sich im Zuge seiner Bemühung um eine Dauerprofessur in Harvard betont kritisch gegen die historische Nationalökonomie und den Institutionalismus, die er vordem durchaus freundlicher gesehen hatte (Hodgson 2007). Wenn er von Sozialökonomik sprach, so meinte er nunmehr „scientific economics“. In der zweiten Auflage der Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung (Schumpeter 1926) verschwinden folglich die Abschnitte über das Gesamtbild der Wirtschaft und die soziale Kultur des Volkes. Schumpeter trennte die reine Theorie oder die „theoretische Sozialökonomie“ von den sozialen und sonstigen Ursachen menschlichen Handelns und wies diese anderen Wissenschaften zu, konkret nannte er in seiner History of Economic Analysis (Schumpeter 1954) bekanntlich Wirtschaftsgeschichte, Statistik und Wirtschaftssoziologie. Diese Disziplinen dienen neben der Theorie als ‚Techniken‘ für die Analyse der Wirtschaft. Für Schumpeter stellt diese fächerübergreifende Behandlung wirtschaftlicher Probleme die spezielle Aufgabe der Sozialökonomik dar und seine Werke zeigen, dass er die Wirtschaftsanalyse immer wieder mit historischen, statistischen und soziologischen Befunden verband. Schumpeters Sozialökonomik ist eine Wirtschaftswissenschaft, die auf die Erkenntnisse anderer Wissenschaften zurückgreift, dies jedoch unter der Zielsetzung wirtschaftstheoretischer Problemstellungen tut. Diese Sicht von Sozioökonomie hat sich weitgehend durchgesetzt und man kann darin den endgültigen Rückzug der Ökonomie aus dem Zusammenhang der allgemeinen Sozialwissenschaft bzw. einen grundlegenden Wandel in der Auffassung hin zur Wirtschaftswissenschaft sehen (Swedberg 1995).
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Schumpeters Auffassung der Sozialökonomik ähnelt in mancher Hinsicht derjenigen Webers, von dem er auch beeinflusst war. Aber in seiner Einschätzung war Weber ein Soziologe. Er selbst betrachtete sich jedoch als Wirtschaftstheoretiker und war von der Notwendigkeit einer reinen, mathematisch fundierten Ökonomie überzeugt. Schumpeters Haltung der Soziologie gegenüber weist daher eine Ambivalenz auf. Er war der Soziologie sowie dem „Soziologisieren“, also „jener Tendenz nach dem Begreifen von möglichst vielem an uns, von Recht, Religion, Moral, Kunst, Politik, Wirtschaft, ja selbst von Logik und psychischen Erscheinungen aus der Soziologie heraus“ (Schumpeter 1915) besonders in seinen Anfängen sehr zugetan. Da er die Soziologie aber schließlich als eine eigene Wissenschaft begriff, trat er für die Trennung der Disziplinen ein und für eine Wirtschaftssoziologie, die er unter dem Einfluss seiner Sicht von Weber als eine soziologische Erklärung der Wirtschaftsgeschichte sah (Schumpeter 1954; Swedberg 1993: 127 ff). Sein Interesse an der Soziologie richtete sich daher nicht auf eine theoretische Integration mit der Ökonomie und auch nicht auf eine Deutung der Ökonomie als Sozialwissenschaft. Dennoch hatte Schumpeter trotz aller Hinwendung zur reinen Theorie doch immer die reale Wirtschaft vor Augen, was etwa in folgendem Satz deutlich zum Ausdruck kommt: „Das Wirtschaftsleben ist ein einzigartiger Prozeß, der in historischer Zeit und in einer störungsanfälligen Umwelt abläuft.“ (Schumpeter 1987c: 368) Dieser Satz verweist auch auf seine dominierenden Interessen, die an sich schon als sozioökonomisch bezeichnet werden können. Sie waren vor allem auf die Erklärung des ökonomischen Wandels im System des Kapitalismus gerichtet; er beschäftigte sich daher mit wirtschaftlicher Entwicklung, Konjunkturen und Krisen, mit Innovation und der Rolle des Unternehmers. Die Dynamik des Kapitalismus ist sein Thema; diesbezüglich lässt sich eine Wandlung von dem optimistischen Tenor in seinem frühen Werk von 1911 und dem pessimistischen Grundton in seinem Capitalism, Socialism and Democracy von 1942 feststellen. Darin kehrt er teilweise wieder zu seinen soziologischen Perspektiven zurück und macht klar, dass der Kapitalismus nicht allein auf Grund seiner ökonomischen Ergebnisse beurteilt werden kann. Auch die sozialen und kulturellen Leistungen, für die der kapitalistische Prozess sowohl Mittel als auch die psychischen Voraussetzungen bereitgestellt hat, müssen berücksichtigt werden genauso wie die Wirkungen in Bezug auf die Klassenstruktur der Gesellschaft (Schumpeter 1987b: 159 ff). Unabhängig von seinen methodischen und disziplinspezifischen Auffassungen durchzieht Schumpeters gesamtes Werk schon auf Grund der Wahl seiner Gegenstände eine sozioökonomische Perspektive.
Sozialpolitische Ökonomie Neben den historischen Ökonomen und den Wirtschaftstheoretikern gab es in der Zwischenkriegszeit im 20. Jahrhundert eine Vielzahl von Strömungen, die mit mehr oder weniger sozialistischen Orientierungen verbunden waren. Insbesondere die liberalen und die ethischen Sozialisten entwickelten Auffassungen, welche die Ökonomie als Instrument für die Erreichung sozialer bzw. sozialpolitischer Ziele sahen und sie auf der Soziologie aufbauen wollten. Der Kapitalismus, wie ihn Marx gesehen hatte, hatte sich durch den demokratischen Staat und dessen Sozialpolitik als zähmbar und reformierbar erwiesen und die Öko-
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nomie sollte daher den demokratisch-politisch bestimmten Zielen entsprechende Lösungsvorschläge entwickeln. Diese Vorstellung hatte zu Ansätzen einer Verbindung von ökonomischer Theorie mit sozialistisch inspiriertem Gesellschaftsdenken geführt. Ein Beispiel dafür ist die ‚Menschen- und Entwicklungsökonomie’ von Rudolf Goldscheid (Mikl-Horke 2007a). Die meisten Vertreter dieser ‚sozialpolitischen Ökonomie‘ hatten keine akademische Verankerung. Ihre Auffassungen wurden aber von Franz Oppenheimer, dem Inhaber des ersten Lehrstuhls für Soziologie im Deutschen Reich weitgehend geteilt. Oppenheimer sah die Ökonomie als einen Teil der Soziologie, die zu einer Universalwissenschaft des Sozialen ausgebaut werden sollte. Sie ist in diesem Rahmen durch ihren modalen Charakter bestimmt, denn Wirtschaft beginnt in Oppenheimers Sicht immer erst dort, wo es um die Wahl der Mittel geht; diesbezüglich ist sie orientiert am Prinzip des kleinsten Mittels, also an der effizienten Mittelwahl. Vor der Entscheidung über die Mittel müssen jedoch die Ziele bestimmt werden; das aber impliziert die Berücksichtigung der sozialen und politischen Gegebenheiten. Diese Differenzierung in Mittel- und Zielwahl charakterisiert in Oppenheimers Verständnis die Arbeitsteilung zwischen Ökonomie und Soziologie, aber gleichzeitig ihr hierarchisches Verhältnis (vgl. Ganßmann 1996b). Oppenheimer zielte in seinem System der Soziologie auf den Aufbau einer deterministischen Gesetzeswissenschaft, die davon ausging, dass das Handeln der Menschen durch äußere Umstände bedingt wird. Der dritte Band beschäftigt sich mit der Theorie der reinen und politischen Ökonomie; dessen zweiter Teil trägt den Titel ‚Gesellschaftswirtschaft‘ (Oppenheimer 1964). Er lehnte zwar die historische Volkswirtschaftslehre ab, aber die Geschichte spielte für ihn dennoch eine große Rolle; sie sollte der Erkenntnis der Genese des Kapitalismus dienen (Kruse 1996: 164 ff). Diesen verstand er nicht als Produktionsweise, sondern als eine Gesellschaftsordnung, die durch die Herrschaft des Kapitals und die Existenz eines geldwirtschaftlich entwickelten Marktes bestimmt ist. Als Alternative zeichnete er den liberalen Sozialismus als dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus (vgl. Kalmbach 1996). Oppenheimers Nachfolger auf dem Frankfurter Lehrstuhl war Karl Mannheim; er und sein Freund, der Ökonom Adolph Löwe (Lowe), ein Schüler Oppenheimers, waren der Meinung, dass das Zeitalter der Planung angebrochen sei, in dem die Sozialwissenschaft nicht mehr nur Beobachterin, sondern Mitgestalterin sein müsse und die Kooperation insbesondere von Ökonomie und Soziologie erfordere. Adolph Löwe zählte in seiner Zeit in Deutschland zu der Gruppe von Ökonomen, die die Rolle des Staates und der Politik in der Steuerung der Wirtschaft im Sinne sozialpolitischer Ziele betonten und die als Reformökonomen bezeichnet werden. Dazu zählten auch Eduard Heimann, Emil Lederer, Jakob Marschak u.a. In seiner Schrift Soziale Theorie des Kapitalismus schrieb Eduard Heimann (1929) der Sozialpolitik die Fähigkeit zu, den Kapitalismus in einen humanen und liberalen Sozialismus zu transformieren. Sie erforschten und analysierten auch die Strukturmerkmale der Wirtschaftsgesellschaften und behandelten Themen wie die Entwicklung der Verbände, die Lage der Privatangestellten, die Entwicklung der Mittelschicht, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit etc. Adolph Lowe seinerseits kritisierte die Realitätsferne der modernen Ökonomie und erblickte in dem neoklassischen Modell einen Widerspruch zwischen dem Ideal individueller
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Freiheit und dem Gleichgewichtsdenken. Er verwies auf die Werke der Klassiker, die noch eine moralphilosophische Einheit und eine realitätsorientierte Behandlung des gesellschaftlichen Phänomens Wirtschaft aufgewiesen hätten. Er trat daher für eine neuklassische Perspektive und für die Verbindung von endogenen und exogenen Einflussfaktoren in der Wirtschaft ein (Krohn 1996: 129 ff). Die neoklassischen Verhaltensannahmen sah er begründet in den zur Zeit des Liberalismus herrschenden Bedingungen von Massenarmut, puritanischer Arbeitsethik und ungezügelter Konkurrenz. Das neoklassische Modell gründe nicht in universalen Gesetzen, sondern sei historisch geprägt und müsse sich daher mit den realen Veränderungen wandeln. Die moderne Industriegesellschaft begründet in seiner Sicht neue Voraussetzungen und Ziele für die Ökonomie; ihre Wirtschaft wird durch physischtechnische Faktoren und den sozialen Wandel beeinflusst; diese verändern die ökonomischen Parameter in einer Weise, die ein gleichgewichtiges stetes Wachstum unwahrscheinlich machen. Die Folge sind Schwankungen im Verhältnis von Kapital und Arbeit, die immer wieder zur Freisetzung von Arbeitskräften und zu Krisen führen. Die Ökonomie muss sich daher vor allem mit Problemen von Ungleichgewicht, Konjunkturen und Krisen, die Lowe als normale strukturelle Erscheinungen industrieller Entwicklung sah, befassen. Die strukturelle Analyse der Bedingungen muss jedoch durch eine instrumentelle Analyse der Möglichkeiten, die Auswirkungen der inhärenten systemischen Instabilität zu kontrollieren und zu steuern, ergänzt werden. Diese wiederum macht eine genaue Kenntnis der sozioökonomischen Gegebenheiten notwendig und kann sich daher nicht auf die ‚rein wirtschaftlichen’ Variablen allein stützen. Normative und materielle Bedingungen auf Grund von Institutionen, Politik, Gewohnheiten, Technologie etc. und die gesamte reale sozioökonomische Konstitution des Gegenstands, auf den das Instrument der Ökonomie zur Anwendung gelangen soll, müssen berücksichtigt werden (Chase 1989). Dies erfordert die Kooperation von Soziologie und Ökonomie, die Lowe in seiner Schrift Economics and Sociology von 1935 als ‚Wirtschaftssoziologie’ begriff und der er eine bedeutende Stellung in der Soziologie zuwies, da die wirtschaftlichen Prozesse in seiner Sicht den Kernbereich der soziologischen Forschung darstellen (Lowe 1935). Die ‚Wirtschaftssoziologie’ sollte als synthetische Wissenschaft aus beiden Disziplinen, der Ökonomie und der Soziologie, begründet werden. Sie sollte aus beiden Bereichen ‚mittlere Prinzipien’, also zeitraumbezogene Konstrukte, entnehmen, um die Veränderungen des ökonomischen Prozesses zu erklären. Sie sollte realistische Theorien aufstellen, die zeiträumlich begrenzt gelten, da die ständigen Veränderungen in den Bedingungen der modernen Wirtschaft, wie sie insbesondere durch den technologischen Fortschritt bedingt seien, keine universalen Aussagen erlauben. In der Vorstellung Lowes sind Ökonomie und Soziologie zwei Perspektiven desselben Gegenstands, die daher im Sinn einer praxisorientierten Behandlung der Probleme integriert werden sollen, so dass aufgezeigt werden kann, wie darauf zu reagieren sei. Er wollte die Wirtschaftssoziologie daher auch als praktisch-politische Forschung verstanden wissen. Nach seiner Emigration in die USA stieß Lowe, wie er sich dort nannte, damit in der neuen Umwelt weitgehend auf Unverständnis. Seine Vorstellungen ließen sich sowohl mit der vorherrschenden neoklassischen Harvard-Ökonomie als auch mit den Entwicklungen in der amerikanischen Soziologie nicht vereinbaren. Letztere war eine empirische Einzelwissenschaft geworden, die sich vornehmlich mit Gruppenprozessen beschäftigte. Theoretisch
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nahm allmählich der Strukturfunktionalismus von Talcott Parsons Gestalt und Einfluss an. In einer Rezension von Lowes Economics and Sociology argumentierte Parsons, dass die Integration von Ökonomie und Soziologie nicht in der Weise, wie Lowe sich das vorstellte, also im Rahmen empirischer ‚middle range theories’ erfolgen könne (Parsons 1991a). Nach den Erfahrungen mit der amerikanischen Soziologie sprach Lowe dann nicht mehr von Wirtschaftssoziologie, sondern kennzeichnete seine Auffassung als Politische Ökonomie (Lowe 1965). Aber er blieb einem interdisziplinären Zugang verbunden und seine ‚konstruktive Synthese’ von Ökonomie und Soziologie bestimmte auch die Orientierung des ‚American Journal of Economics and Sociology’, dessen Gründungsmitglieder Lowe und Oppenheimer im Jahr 1941 waren (Forstater 2002). In seinem späteren Werk vertritt er verstärkt die Auffassung, dass die Ökonomie zu einem Instrument aktiver Eingriffe in den Lauf der wirtschaftlich-politischen Prozesse werden muss. Das ökonomische Instrumentarium muss an Zielen orientiert sein, die sich nicht aus der inhärenten Eigenlogik des Marktes oder den ‚rein ökonomischen’ Zielen der Effizienz der Ressourcenallokation ergeben. Die Zielfestlegung ist eine Sache der Politik, des demokratischen politischen Prozesses, in dem ein Konsens über soziale Ziele und Prioritäten unter den Bedingungen bestehender Institutionen, Ressourcen und Technologien hergestellt werden muss. Lowe befürwortete eine Synthese von Marktwirtschaft und politischer Lenkung und eine liberale Planung auf demokratischer Grundlage. Die Ökonomie soll zieladäquate Mittel bestimmen, um politische Ziele im Rahmen der Komplexität der sozioökonomischen Welt zu erreichen. Die Bestimmung der Zieladäquanz der Mittel muss auf der Grundlage der technologischen und sozialen Bedingungen erfolgen, und die Instrumentalanalyse soll Anpassungspfade an wirtschaftspolitische Ziele einerseits und reale Veränderungen andererseits aufzeigen. Das erfordert die Beobachtung der wirtschaftlichen Entwicklungen, des technischen Wandels und des soziopolitischen Umfelds. Anders als Leontief, Tinbergen und andere Vertreter makroökonomischer Optimierungsmodelle beschränkte sich Lowe nicht auf die technische Analyse eines Endzustands, sondern betonte die Bedeutung der strukturellen Anpassung und der Entwicklung von zielgerechten Verhaltensmustern. Die Sicherstellung, dass die Wirtschaftssubjekte sich zieladäquat verhalten, stellt ein Hauptproblem in Lowes Sicht dar, denn sie wirft die Frage von Freiheit und Ordnung auf. Für Lowe stehen beide immer in einem Spannungsverhältnis, aber er setzte seine diesbezüglichen Hoffnungen auf die Sozialisationsfunktion des Bildungssystems und widmete diesem Problem große Aufmerksamkeit (Forstater 2000).
Sozioökonomie und die Rolle der Soziologie In allen früheren Konzeptionen spielten die Soziologie bzw. Wirtschaftssoziologie und die Frage der Beziehung zwischen Ökonomie und Soziologie eine grundlegende Rolle. Auch die Sozioökonomie der Gegenwart braucht eine Auseinandersetzung über ihr Verhältnis zur Soziologie, zumindest sollte diesbezüglich nicht hinter die früher geführten Diskussionen, auf die hier mit der obigen Darstellung einiger Strömungen und Ansätze hingewiesen wurde, zurückgegangen werden.
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Die Soziologie wird in Etzionis Konzeption auf die Ebene einer empirischen Einzeldisziplin des sozialen Verhaltens reduziert, die Zubringerdienste für die Sozioökonomie leistet. Aber es sollte nicht übersehen werden, dass sie auch Grundlagenwissenschaft ist, deren Theorien die Basis für die Forschung in den Sozialwissenschaften liefern. Pragmatisch wird dies schon dadurch bewiesen, dass immer wieder auch Ökonomen, insbesondere Organisations- und Managementtheoretiker, die Theorien von Luhmann, Giddens oder Bourdieu für ihre Bereiche verwenden. Da auch Ökonomen auf die Einbettung der Wirtschaft in soziale Strukturen und Institutionen wieder verstärkt Bezug nehmen, liegt es nahe, die entsprechenden Konzepte der Soziologie und der Wirtschaftssoziologie einzubeziehen, aber darüber hinaus auch wieder grundlegend über die jeweiligen Annahmen in Bezug auf individuelles Verhalten bzw. Handeln, soziale Ordnung und die Funktion der Wirtschaft für die Gesellschaft zu reflektieren. Eine Integration von Ökonomie und Soziologie auf der Basis der strukturfunktionalen Theorie sozialer Systeme wurde von Talcott Parsons und Neil J. Smelser in Economy and Society (1956) unternommen. Parsons’ Bestreben war es, den Ökonomen seine Sicht der Wirtschaft nahe zu bringen; er richtete sich nicht so sehr an Soziologen, sondern an die Ökonomen seiner Zeit, die darauf jedoch mit Ablehnung bzw. Nicht-Beachtung reagierten. Auf Grund dieser Intention kann man Parsons’ Konzeption von 1956 auch als einen Ansatz einer soziologischen Ökonomie verstehen (Lévy-Garboua 1979). Talcott Parsons begann als institutionalistischer Ökonom, der insbesondere in Heidelberg mit der Sozialökonomik von Weber und Sombart vertraut wurde; danach wandte er sich in Harvard jedoch der Neoklassik zu, deren Beschränkungen ihn schließlich veranlassten, sich mit der Soziologie zu befassen. In The Structure of Social Action von 1937 verband Parsons die Ansätze von Pareto, Weber, Durkheim und Marshall zu einer Konzeption, die als Grundlage der Handlungswissenschaften dienen sollte. In den 1950er Jahren beschäftigte er sich wieder verstärkt mit Ökonomie, diesmal vor allem jener von Keynes, berücksichtigte aber auch u.a. Frank Knight, die Marktformenlehre von Robinson und Chamberlain und die Konjunktur- und Wachstumstheorien. Durch seinen Werdegang war er also sehr gut dafür gerüstet, sich mit dem Verhältnis der beiden Wissenschaften auseinanderzusetzen. Das Problem, welches Parsons beschäftigte, war die methodische Unstimmigkeit in der theoretischen Behandlung von ökonomischen und nicht-ökonomischen Faktoren der Wirtschaft vor allem bei den Vertretern der Neoklassik, die zwar selbst immer wieder auf nichtökonomische Faktoren verwiesen, diese aber nicht mit ihrer Theorie verknüpften. Die Theoretisierung der nicht-ökonomischen Faktoren und ihre Verknüpfung mit den ökonomischen Begriffen wurden zu Parsons’ erklärtem Ziel. Dies, so erkannte er, kann jedoch nur auf der Ebene einer metatheoretischen Synthese erfolgen, unter deren Dach sich auch Soziologie und Ökonomie wieder verbinden lassen sollten. In Economy and Society ging es vor allem um die theoretische Kodifizierung der nicht-ökonomischen Elemente und die Umformulierung ökonomischer Konzepte in die Sprache seiner funktionalistischen Systemtheorie. Parsons übernahm die theoretischen Annahmen der Ökonomie im Sinne der damaligen Mainstream-Konzeption, so dass Hodgson kritisch vom ‚Robbins-Parsons’-Consensus spricht (Hodgson 2007), aber er nahm auch zahlreiche Anregungen von Keynes auf und baute sie in sein metatheoretisches Begriffssystem ein. Die Wirtschaft wurde als adaptives Subsystem der Gesellschaft charakterisiert, was von den Ökonomen als soziologischer Hegemoniean-
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spruch interpretiert und folglich ignoriert wurde. Soziologen kritisierten die Theorie als statisch und harmonisierend im Sinne eines einheitlichen spezifisch amerikanischen Wertsystems. Die Theorie, die bei allen Einwänden, die gegen sie vorgebracht werden können, doch eine umfassende Grundlage für eine Sozioökonomie darstellen könnte, geriet danach weitgehend in Vergessenheit. Der Ansatz von Parsons und Smelser bietet keine empirisch begründete Erklärung der realer Strukturen und Prozesse der Wirtschaft, sondern ein Begriffsschema, das die Beziehungen zwischen analytischen Kategorien beschreibt. Sie kann für eine Sozioökonomie ein Tableau bieten, das es erlaubt, die Wirtschaft strukturell auf gesellschaftliche Ziele, Institutionen und Wertmuster zu beziehen und ihren Wandel durch Austauschprozesse zwischen den gesellschaftlichen Subsystemen zu beschreiben. Dies würde eine Konzeption von Sozioökonomie erlauben, die sich nicht nur auf die Erforschung der Einflüsse sozialer Faktoren auf wirtschaftliche Ergebnisse konzentriert, sondern darüber hinaus die gesellschaftlichen Voraussetzungen und Folgen wirtschaftlicher Gegebenheiten und Veränderungen im Gesamtzusammenhang gedanklich zu erfassen vermag. Die Soziologie sollte jedoch nicht nur theoretiesprachlich an die Ökonomie ankoppeln, sondern in die Ziele und Problemstellungen der Sozioökonomie einfließen. Das setzt voraus, dass sich auch die Wirtschaftssoziologie grundlegend mit ökonomischen Ansätzen verschiedenster Art auseinandersetzt und sich nicht nur auf die neoklassische Theorie oder die Mainstream-Ökonomie konzentriert. Darüber hinaus ist es notwendig, dass die Diskussion um die Verbindung von Ökonomie und Soziologie wieder belebt wird, die zwar nie ganz aufgehört hat (vgl. Stolting 1986), aber doch nicht zu einer Annäherung zwischen Ökonomie und Soziologie geführt hat. In dem Verhältnis von Ökonomie und Soziologie sollte es im Rahmen der Sozioökonomie nicht um die gegenseitige Abgrenzung oder um nur methodologische Fragen gehen, sondern um die Hinterfragung der etablierten Begrifflichkeiten, wie sie innerhalb der einzelwissenschaftlichen Entwicklungen entstanden sind. Jene Konstruktionen separater Sphären des ‚Ökonomischen’ und des ‚Sozialen’ als analytische Kategorien, die durch die Etablierungsinteressen separater Einzelwissenschaften eingeführt wurden, haben zur Polarisierung bestimmter Aspekte wie logisch vs. nicht-logisch, rational vs. nicht-rational, individualistisch vs. kollektivistisch, Eigeninteresse vs. Gemeinschaftsbezug geführt. Die Vorstellungen von Individualismus, der Begriff des Interesses und im Besonderen auch der Rationalitätsbegriff erfordern eine Neubestimmung (vgl. Zafirovski 2008). Das hat Folgen für die Ökonomie wie für die Soziologie und der Ort der Begegnung, auf dem diese Prozesse in Gang kommen können, sollte die Sozioökonomie sein. Milan Zafirovski hat den Versuch unternommen, die theoretischen Rahmen für die Erklärung von Markt und Gesellschaft in der Ökonomie und in der Soziologie zu analysieren und zu vergleichen. Dabei bezieht er sich jedoch nicht auf die Disziplinen als solche, sondern auf zwei Sichtweisen, die er ‚catallactics’ und ‚sociologics’ nennt und deren Verhältnis zueinander er sowohl als widersprüchlich als auch als komplementär versteht. Max Webers Sozialökonomik sieht er als ein frühes Beispiel für die Zusammenführung differenter ‚frameworks’. Unter ‚catallactics’ versteht Zafirovski die Erklärung von Markt und Gesellschaft als individualistische Austauschprozesse, wie sie als Begriff schon bei Aristoteles in Bezug auf ‚chrematistike’ vorkommt. Diese Sichtweise auf Markt und Gesellschaft durchzieht die
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neoklassische Theorie, findet ihre besondere Ausprägung jedoch in der Marktprozesstheorie der ‚Austrian economics‘, die auch eine Interpretation der Gesellschaft umfasst. Als ‚sociologics’ fasst Zafirovski hingegen alle Auffassungen zusammen, die von den exogenen Erklärungen und der Einbettung der Wirtschaft in den sozialen, kulturellen, historischen Kontext ausgehen, egal ob sie unter dem Etikett der Wirtschaftssoziologie, Sozioökonomie, Sozialökonomie etc. auftreten. Sie finden sich überdies auch bei institutionalistischen Ökonomen und selbst bei den neoklassischen Theoretikern selbst, wenn sie sich auf die Realität oder auf die praktische Anwendung der Theorie beziehen. Alle diese Bezugnahmen kennzeichnet Zafirovski daher als „sociological approach to the economy“ (Zafirovski 2003: 35). Mit dieser Gegenüberstellung unterschiedlicher und teilweise diametral entgegen gesetzter Sichtweisen scheint der bekannte Gegensatz von Individualismus und Kollektivismus neu aufgelegt zu werden, aber das Ziel ist dabei nicht nur auf den Vergleich, sondern auch auf die Zusammenführung in „a single catallactic-sociologic or socioeconomic framework“ (Zafirovski 2003: 2) gerichtet. Damit setzt er Parsons’ Versuch einer Integration (Zafirovski 2006), allerdings ohne die Hilfe eines metatheoretischen Begriffsschemas fort; er sucht zu zeigen, dass „sociologics can be juxtaposed to catallactics within a socioeconomic framework for analyzing the market and society.” (Zafirovski 2003: 351) Aus dem Nebeneinander der Sichtweisen soll dann eine sozioökonomische Konzeption entstehen können. Mancur Olson geht in seiner Umfassenden Ökonomie (1991) nicht von einer Unterordnung verschiedener sozialwissenschaftlicher Disziplinen unter ökonomische Probleme aus; er sieht die Zusammenführung der Sichtweisen von Ökonomie und Soziologie als Chance, nicht nur für eine realitätsnähere Erfassung der ganzen Wirklichkeit wirtschaftlichen Lebens, sondern auch für die Eröffnung neuer Perspektiven für die jeweils andere Disziplin. Er plädiert daher für eine Auseinandersetzung und Kooperation zwischen Ökonomie und Soziologie, wobei aber die Stärken der jeweiligen Disziplin erhalten bleiben müssen, da sie es sind, die die gegenseitige Befruchtung ermöglichen. Auch verweist er darauf, dass sich die Arbeitsteilung nicht an unterschiedlichen Themen orientieren kann, denn die Wirklichkeit ist unteilbar, vielmehr sind interdisziplinäre Zusammenarbeit und Austausch notwendig, um möglichst alle relevanten Perspektiven eines Problems zu erfassen und im Kompromissweg eine Lösung zu finden. Als besonders fundamentales Problem der Gegenwart sieht er das prekäre Verhältnis von flexiblem und raschem Wandel einerseits und der Erhaltung der Stabilität andererseits; das macht die Zusammenarbeit der beiden Wissenschaften erforderlich. Sein Ziel ist es, einen Kompromiss zwischen den Gesellschaftsidealen der Maximierung des Nutzens und der Minimierung der Entfremdung zu finden, denn nur als einander gegenseitig einschränkende Ergänzungen würden die beiden Idealprinzipien nicht zum Alptraum (Olson 1991: 178). Nicht die Integration von Ökonomie und Soziologie visiert Olson an, sondern die Auseinandersetzung mit den jeweils anderen Sichtweisen mit dem Ziel der Kooperation zur Lösung konkreter Probleme, die niemals rein ökonomischer Natur sind. Olson übersieht dabei nicht die Schwierigkeiten einer Kooperation zwischen Ökonomie und Soziologie, denn „Gerade durch den Fortschritt der Wissenschaft kann es schwerer werden, nicht nur die Sozialwissenschaft, sondern die soziale Wirklichkeit als Ganzes wahrzunehmen“ (Olson 1991: 187).
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Conclusio Die Sozioökonomie muss sowohl aus der Ökonomie als aus der Soziologie ihre Prinzipien entnehmen. Die Soziologie kann nicht darauf reduziert werden, den homo oeconomicus durch irrationale oder sozial-moralischen Antriebe zu ergänzen bzw. die gesellschaftlichen Voraussetzungen wirtschaftlicher Effizienz zu bestimmen. Sozioökonomie kann sich nicht nur als Ökonomie verstehen, sondern muss auch auf die gesellschafts- und handlungstheoretischen Diskurstraditionen der Soziologie als einer Grundlagenwissenschaft der Sozialwissenschaften Bezug nehmen. Das bedeutet einerseits, dass sowohl die Ökonomie als auch die Wirtschaft als kulturell, institutionell-politisch und kommunikativ eingebettet begriffen werden müssen, aber andererseits auch, dass die Soziologie selbst ihre Annahmen reflektieren muss. Der Dialog zwischen Soziologie und Ökonomie muss sich daher sowohl auf der metatheoretischen Ebene als auch auf der objekttheoretischen Ebene vollziehen, um von daher das Erkenntnisziel und die Problemstellungen, auf die Sozioökonomie Antworten sucht, bestimmen zu können. Wenn eine Zusammenführung von Ökonomie und Soziologie im Rahmen der Sozioökonomie gelingen soll, so bedeutet das auch, dass sich die Soziologen auf die ganze Bandbreite der Ökonomie einlassen müssen. Statt der auf das neoklassische Modell gerichteten Kritik an ‚der Ökonomie’ muss die Praxis der ökonomischen Forschung in ihren vielen Spielarten und insbesondere die Relevanz der alternativen oder heterodoxen Strömungen ins Blickfeld der Soziologie rücken. Für die sozioökonomische Perspektive von besonderer Bedeutung erscheint die Einbeziehung radikaler und evolutionärer Ansätze, des Postkeynesianismus, der Regulationstheorie, der Konventionstheorie etc. sowie der verschiedenen theoretischen Ansätze der Soziologie, die das Schisma zwischen dem ‚rein Ökonomischen’ und dem ‚rein Sozialen’ weitgehend überwunden oder sich doch eingehend damit auseinander gesetzt haben. Zu verweisen wäre hierbei auf Ansätze, die sich etwa auf Weber, Polanyi, Coleman, Bourdieu beziehen. Insbesondere letzterer erweist sich auf Grund seines Verständnisses der Ökonomie, das gleichzeitig expansiv und spezifisch ist, als besonders fruchtbar für eine sozioökonomische Perspektive, die man vielleicht mit mehr Berechtigung als jene Parsons’ als „sociological economy“ bezeichnen kann (vgl. Lebaron 2001; Hindess 1977; Florian und Hillebrandt 2006). Das bedeutet auch, dass sich Soziologie selbst mit ihrem eigenen Verständnis von Gesellschaft auseinander setzen muss. Die Tatsache, dass Ökonomie als Gesellschaftslehre bzw. als Teil einer Gesellschaftslehre begann, sollte uns nicht nur im Hinblick auf das Verständnis von Wirtschaft, sondern auch auf jenes von Gesellschaft zu denken geben. Von einer ökonomisch-politischen und historischen Realität wurde ‚Gesellschaft’ zu einem ‚rein soziologischen’ Begriff und zu einer unbestimmten rhetorischen Figur. Sozioökonomie in diesem Sinn bedeutet nicht die Integration beider Disziplinen (vgl. Abell 2003; Keizer 2005), es geht vielmehr um die Erkundung der Möglichkeiten für Kommunikation und Kooperation (vgl. Coase 1978). Sowohl die Ökonomie als auch die Soziologie müssen sich in dem Prozess im Hinblick auf das Erkenntnisziel und die Problemstellungen der Sozioökonomie verändern. Diese können nicht einseitig aus der Ökonomie, aber auch nicht aus der Soziologie allein abgeleitet werden. Die Rückbesinnung auf einige frühe Konzeptionen der Sozialökonomik erscheinen in diesem Lichte wichtig, um zu verstehen,
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Erster Teil: Zur Geschichte und Programmatik der Wirtschaftssoziologie
dass die Problemstellungen einer Sozioökonomie oder Sozialökonomik nicht nur an ‚ökonomischen’ Fragen orientiert werden dürfen. Zumindest nicht in dem unkritisch übernommenen pragmatischen Sinn von Wirtschaftswachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Effizienzsteigerung etc. Die Problemstellungen der früheren Ansätze der Sozialökonomie thematisierten u. a. die sozialen und institutionellen Voraussetzungen wirtschaftlichen Handelns, die Kulturbedeutung der modernen Wirtschaft und ihrer Theorie, die Rolle der Ökonomie für die Gestaltung der Lebensbedingungen der Menschen und die Verteilung der Ressourcen und der Chancen in der Gesellschaft. Sie können auch heute noch konstitutive Perspektiven einer Sozioökonomie darstellen.
Zweiter Teil: Aus Arbeitsbereichen der Wirtschaftssoziologie
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Unternehmen und Arbeitsbeziehungen in Japan: Wandel und Kontinuität
6 Unternehmen und Arbeitsbeziehungen in Japan: Wandel und Kontinuität
Das ‚verlorene Jahrzehnt’ der 1990er Jahre leitete eine lang dauernde Stagnation der Wirtschaft Japans ein und setzte die Unternehmen und die Politik unter starken Veränderungsdruck. Im Folgenden wird ein weiter Bogen gespannt, um diese Entwicklung in einem größeren historischen Zusammenhang zu sehen. Zunächst wird ein kurzer Blick auf die sozioökonomische Entwicklung Japans geworfen, dann werden die typischen Züge japanischer Unternehmen und Arbeitsbeziehungen dargestellt, wie sie für die Hochblüte der Wirtschaftsexpansion etwa zwischen 1960 und 1980 typisch waren und schließlich werden die Probleme der Unternehmensführung und des Arbeitsmarktes in der gegenwärtigen Situation des globalen Finanzmarktkapitalismus thematisiert. Die Betrachtung der Eigenart und des Wandels der Wirtschaft, der Unternehmen und der Arbeitsbeziehungen Japans erfordert die Einbeziehung von sozialpsychologischen, kulturanthropologischen und institutionensoziologischen Aspekten sowie von strukturanalytischen und historischen Sichtweisen. Die Merkmale und die Veränderung des Human Resource Management und der Arbeitsbeziehungen in den japanischen Unternehmen können nur auf der Grundlage der Berücksichtigung dieser weiteren Bezüge verstanden werden.
Interkulturelle Vorbemerkung Die formellen institutionellen Grundlagen der japanischen Wirtschaft sind jenen im Westen sehr ähnlich, denn die Rechtssysteme wurden zunächst von Deutschland, nach dem Zweiten Weltkrieg dann von den USA beeinflusst. Diese Ähnlichkeiten mit westlichen Gegebenheiten dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass deren Bedeutung in der Praxis in Japan oft eine andere ist. Das hat zu einer gewissen Spaltung zwischen den formellen Rechtsgrundlagen und der Rechtsprechungspraxis geführt; letztere orientiert sich an den Konventionen, die die Praxis in den Unternehmen bestimmen. Über diese rechtliche Differenz hinaus bedingt dies aber auch eine Ambivalenz zwischen der Betonung des ‚Nihontekismus’, der spezifischen japanischen Eigenart und denjenigen Analysen, die auf den Denkkategorien westlicher Provenienz beruhen. Das Schwanken zwischen diesen beiden Interpretationsweisen charakterisiert auch die Literatur über die japanische Wirtschaft. Die Erklärungen des wirtschaftlichen Erfolgs Japans wechselten periodisch zwischen einer Überbetonung kultureller Faktoren einerseits und dem Aufzeigen der ökonomischen Rationalität der japanischen Praktiken andererseits. Japans Unternehmen und die Geschichte seines Kapitalismus zeigen jedoch, dass bei aller tradierten kulturellen Eigenart diese immer auch ökonomisch-rationale Dimensionen haben, die allerdings auf den spezifischen historischen Kontext zu beziehen sind. Darüber hinaus wandelte sich die japanische Kultur gerade durch
G. Mikl-Horke, Historische Soziologie – Sozioökonomie – Wirtschaftssoziologie, DOI 10.1007/978-3-531-92798-5_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Zweiter Teil: Aus Arbeitsbereichen der Wirtschaftssoziologie
die Auseinandersetzung mit den westlichen institutionellen und kognitiven Mustern und darf nicht auf endogene Traditionen beschränkt gesehen werden. Viele Analysen und Befunde der japanischen Wirtschaft, seiner Unternehmen und seines Personalmanagements stammten von ausländischen Kommentatoren und Wissenschaftlern. Das ‚Modell Japan’ erfuhr dabei eine sehr wechselhafte Beurteilung, je nachdem wie wirtschaftlich erfolgreich Japan war. In den 1950er Jahren erblickte man in den besonderen Formen japanischer Unternehmensführung eine kulturell bedingte Anomalie, die trotzdem den wirtschaftlichen Aufstieg nicht verhindern konnte (Abegglen 1958). In den 1980er Jahren bewunderte man die hohe Wettbewerbsfähigkeit Japans und führte sie auf diese kulturellen Besonderheiten zurück, die in der Folge in modifizierter Form als Best Practice und als Vorbilder für westliche Unternehmen dienen sollten. Um 2000 hingegen kommentierte man die japanische Wirtschaft als eine Art von ‚third world crony capitalism’, dessen Struktur und Eigenart negative Wirkungen auf Gesellschaft, Politik und Wirtschaft haben (Lincoln und Gerlach 2004: 1). Die Geschichte des japanischen Kapitalismus wird kurz skizziert, um seine Pfadabhängigkeit und sein Transformationspotential jenseits von einseitigem Kulturalismus oder Modernismus zu erkennen, aber auch um die Beurteilung von Unternehmen und Arbeitsbeziehungen aus der kurzfristigen Bestimmung durch ökonomische Konjunkturen zu lösen und sie als soziale Formen in einem sich ständig wandelnden gesellschaftlichen und institutionellen Kontext zu sehen.
Zur sozioökonomischen Entwicklung Japans Die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen und Merkmale jener Gruppen einer Gesellschaft, die sich in der Epoche der Industrialisierung und Modernisierung eines Landes herausbilden und zu Trägern dieser Entwicklungen werden, bestimmen weitgehend den Charakter der sozialen Strukturen und Institutionen, die dadurch entstehen. Bei diesen Gruppen handelt es sich um die Exponenten des Staates, die Unternehmer und die Arbeitnehmerschaft. Industrialisierung und Modernisierung der japanischen Gesellschaft und Wirtschaft waren zunächst durch die staatliche Initiative geprägt, wobei Mitglieder der feudalen Oberschicht in Japan und die staatliche Bürokratie um den Kaiser zur treibenden Kraft dieser Umwälzung wurden. Die große Rolle des Staates in der ‚take-off’-Phase ist zwar der ‚late development’-Theorie zufolge ein Merkmal aller ‚später industrialisierten’ Gesellschaften, nahm aber in Japan ganz bestimmte Züge an, die teilweise bis heute nachwirken (Horke 1976: 13 ff).
Industrialisierung und Modernisierung von oben Die unmittelbare Geschichte Japans vor dem Eintritt in die moderne Welt war eine Geschichte der Kämpfe innerhalb der feudaladeligen Oberschicht gewesen, insbesondere zwischen den Daimyos (Feudalherren) zweier Han (Feudaldomänen) und deren Samurai-Ge-
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folgsleuten auf der einen Seite und der Zentralregierung (Bakufu) des Shogun auf der anderen Seite. Sie resultierten in der Restauration des Kaisers und dem Beginn der Meiji-Ära im Jahr 1868. Dieser Umbruch wurde allerdings durch den externen Druck von Seiten der USA durch die Entsendung von Schlachtschiffen zur gewaltsamen Öffnung Japans beschleunigt, was auch die radikalen Modernisierungsbestrebungen der neuen Regierung im Sinne eines nationalen Aufholprozesses begründete. Die führenden Köpfe um den jungen Kaiser Meiji in Japan erkannten, dass sie mit ihrer technischen Rückständigkeit, den wirtschaftlichen Problemen des Landes und den feudalen Sozialstrukturen den Fremden weit unterlegen waren und Gefahr liefen, ihre Selbständigkeit zu verlieren, wenn es ihnen nicht gelang, binnen kurzer Zeit das politisch-soziale System und die wirtschaftlich-technischen Gegebenheiten von Grund auf zu verändern. Sie öffneten daher das Land, das zuvor dreihundert Jahre lang von der Außenwelt isoliert gewesen war, für den Handel mit den USA. Daher gilt das Erscheinen der schwarzen Schiffe des Commodore Perry vor Japans Küsten in den Jahren 1867/8 als Ausgangspunkt für die moderne Entwicklung Japans. Innerhalb bemerkenswert kurzer Zeit baute das Land sein Staatswesen vollständig um und führte staatspolitische und rechtliche Grundsätze nach dem Muster des Westens ein, wobei Deutschland damals als Vorbild galt. Schon 1869 verkündete Kaiser Meiji die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, womit die feudale Ständeordnung formalrechtlich abgeschafft war. Die Bauern wurden von ihrer Bindung an den Boden befreit und jeder konnte Eigentum an Grund und Boden erwerben. Die Feudaldomänen wurden 1871 zu regionalen Verwaltungseinheiten der kaiserlichen Zentralregierung umgewandelt, die Feudalherren entschädigt und gezwungen, in die Städte zu übersiedeln. Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht beseitigte die Sonderstellung der Samurai als Militäradel. Die Leichtigkeit, mit der dies gelang, deutet darauf hin, dass das feudale System schon lange erodiert war und die Distanzen zwischen den Ständen nur mehr künstlich aufrechterhalten worden waren (vgl. Eisenstadt 1996: 163 ff). In diesem fundamentalen Veränderungsprozess im politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen System des Landes waren Mitglieder der ehemaligen SamuraiOberschicht in Regierung und Bürokratie führend; Smith spricht daher von einer ‚aristocratic revolution’ (Smith 1966). Es waren aber nicht alle Mitglieder der alten Feudalelite, sondern vor allem jene, die gegen den feudalen Tokugawa-Staat gekämpft hatten; darunter waren zudem zahlreiche Samurai niederen Ranges. Japans Weg in die Modernisierung war zwar durch eine ‚Revolution von oben’ charakterisiert, die aber durch einen Bruch innerhalb der Feudalordnung, der quer durch die Stände verlief, vorbereitet war. Auch die wirtschaftliche Entwicklung des Landes vollzog sich unter starker direkter und indirekter staatlicher Lenkung und unter Vorgabe politischer Zielsetzungen. Der Kapitalismus in Japan war genauso wie die moderne Fabrik und die Form des Unternehmens ein politisches Instrument, um das nationale Ziel des ‚Fukoku kyohei’ (reiches Land und starke Armee) und ‚Bunmei kaika’ (Zivilisation und Entwicklung) zu erreichen. In Japan hat – zumindest zu Beginn der Modernisierung und Industrialisierung – die privatwirtschaftliche Initiative eine sehr geringe Rolle gespielt. Die Großkaufleute der Feudalzeit waren in dieser Epoche nicht die Träger der wirtschaftlichen Modernisierung, denn ihre Interessen waren in der feudalen Ständeordnung verwurzelt. Der japanische Kapitalismus ist geprägt durch diese Revolution von oben sowie durch die Rolle, die die Übernahme westlicher Technologie und Wirtschafts- und Rechtsprinzipien
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Zweiter Teil: Aus Arbeitsbereichen der Wirtschaftssoziologie
und ihre Einbindung in die eigenen nationalen Bestrebungen in der Entwicklung Japans spielten. Er ist eine einzigartige Erscheinung, auch wenn viele Elemente des westlichen Kapitalismus von Japan übernommen wurden. Schon Max Weber stellte fest: „Japan konnte den Kapitalismus als Artefakt von außen relativ leicht übernehmen, wenn auch nicht seinen Geist aus sich schaffen“ (Weber 1988g: 300). Das hatte vor allem damit zu tun, dass es nicht die wirtschaftenden Schichten waren, die den modernen Kapitalismus schufen. Die Industrialisierung vollzog sich in den ersten zwanzig Jahren der neuen Ära relativ langsam und war fast ausschließlich durch die Initiative der Regierung bestimmt. Diese errichtete eine Reihe von Modellbetrieben, vor allem in der Textilindustrie und im Schiffbau. Bis auf wenige Ausnahmen gehörten vor 1880 alle größeren Betriebe dem Staat. Aber daneben gab es noch eine rege gewerbliche Tätigkeit der bäuerlichen Haushalte und der Handwerker in der traditionellen Wirtschaft. Japan war in der Tokugawa-Zeit ein Land von kleinen Handwerkern und Ladenbesitzern, Straßenverkäufern und Heimarbeitern gewesen, gleichzeitig war die Wirtschaft aber auch damals bereits stark kommerzialisiert, was Institutionen wie der Reismarkt in Dojima, „the world’s first well-established futures market“ (Wakita 2001), ebenso wie die Existenz großer Handelshäuser wie Mitsui, Mitsubishi oder Sumitomo belegen. Nach 1880 betrieb die Regierung eine Politik der Übertragung staatlichen Eigentums in Privateigentum. Sie verkaufte die Staatsbetriebe zu äußerst günstigen Bedingungen an private Interessenten. Verarmten Samurai-Familien gewährte die Regierung Darlehen mit der Auflage, diese Gelder in Industriebetriebe zu investieren. Da die Samurai allerdings wenig wirtschaftlichen Sinn entwickelten, gingen viele von ihnen wieder bald zugrunde. Nur im Bankensektor erwiesen sich die ehemaligen Krieger-Aristokraten als erfolgreich, was eine gewisse Ähnlichkeit auch mit später industrialisierten Ländern in Europa aufweist (vgl. Gerschenkron 1968). Nur mit der kräftigen Förderung durch die Regierung entwickelte sich nach und nach dann auch die Privatwirtschaft, wobei die neuen Unternehmen durchwegs Kapitalgesellschaften waren. Der Beitrag derselben zur nationalen Entwicklung war primäres Leitmotiv nicht nur der Meiji-Bürokraten, sondern auch der allmählich entstehenden Gruppe moderner Unternehmer (‚Jitsugyoka‘). Diese setzten sich aus Angehörigen aller ehemaligen Stände zusammen. Viele der neuen Unternehmer waren von dem Geist des nationalen Aufbruchs beflügelt und handelten daher ähnlich wie Beamte; persönliches Gewinnstreben trat hinter der Verantwortung für die nationale Wirtschaftsentwicklung zurück. Dieses Sendungsbewusstsein machte es schließlich auch für die ehemaligen Samurai leichter, sich unternehmerisch zu betätigen. Anders als die traditionellen Kaufmannsgruppen errangen die modernen Unternehmer großes Ansehen in der Bevölkerung und manche von ihnen wurden wie Helden verehrt (vgl. Hirschmeier 1964). Persönliche Fähigkeiten und Verantwortungsbewusstsein standen im Vordergrund, während Eigentums- und Gewinnaspekte von Anfang an in den Hintergrund traten. Obwohl Technologien und Rechtsprinzipien vom Westen übernommen wurden, blieb man kulturellen und sozialen Traditionen des japanischen Familismus treu, deren Objekt nun jedoch der neue Staat war. In diesem für die Konstruktion der nationalen Identität wichtigen Prozess spielte der Begriff des ‚Hauses’ (‚Ie’), der im bäuerlichen Familienverband begründet war, eine große Rolle; er wurde erweitert und verallgemeinert, um die spezifische Eigenart Japans zu kennzeichnen (Shimada 2007: 52 ff).
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Um 1900 kam es in Zusammenhang mit den Kriegen gegen China und Russland zu einem Wandel der industriellen Struktur in Richtung Schwerindustrie und zur wirtschaftspolitischen Konzentration auf die Rüstungsproduktion. Mit Förderung durch den Staat entstanden riesige Industrie- und Finanzkonglomerate (‚Zaibatsu‘), in deren Zentrum meist eine große Bank bzw. ein Handelshaus standen und die durch eine Holdinggesellschaft koordiniert wurden. Diese war jeweils in Händen eines ‚Hauses’ (‚Ie‘), wobei nun die schon in der Tokugawa-Zeit führenden Familienclans wie die Mitsui und die Sumitomo wieder in den Vordergrund traten. Ihre charakteristischen Merkmale waren die strategische Kombination von Kredit- und Industriekapital und die enge Zusammenarbeit mit der Regierung, die ihrerseits die Großunternehmen und die Großgrundbesitzer – beide waren vielfach identisch – steuerlich begünstigte. Die Unternehmen in den Zaibatsu-Gruppen waren Kapitalgesellschaften und wurden von professionellen Managern geleitet, deren Entscheidungsmacht jedoch stark durch den Einfluss der Oberhäupter der Zaibatsu-Familien eingeschränkt war. Diese aber standen, besonders nachdem die Militärs im Laufe der Showa-Ära ab 1925 die Regierungsgewalt übernommen hatten, in enger Verquickung mit der Militärführung. Diese Allianz zwischen dem Tenno-System, den Grundbesitzern und der Großindustrie (Inoue 1993: 465) funktionierte in gewünschter Weise, denn die Zaibatsu-Firmen investierten ihre von der Steuer verschonten Überschüsse vor allem in den Technologie-Import, der riesige Kapitalmittel erforderte. Die Regierung wollte diese nicht selbst aufbringen und förderte daher die Kapitalkonzentration und die Privilegierung der Großunternehmen. Inoue sieht die starke Abhängigkeit fast aller Sektoren der Wirtschaft von der Rüstungsindustrie und die Bindung der Privatwirtschaft an diese als Charakteristikum dieser Phase des japanischen Kapitalismus vor dem Zweiten Weltkrieg (Inoue 1993: 452). Die Politik eines staatlich geförderten Monopolkapitalismus auf industrieller und agrarischer Basis ermöglichte einerseits einen raschen industriellen Aufholprozess, verstärkte aber gleichzeitig die ohnehin traditionell vorhandene duale Struktur der Wirtschaft. Die Klein- und Mittelbetriebe trugen die relativ größte Steuerlast und waren zugleich vom Import westlicher Technologie abgeschnitten. Sie beschränkten sich daher auf die Produktion traditioneller Güter oder wurden als Zulieferbetriebe von den Großbetrieben abhängig. Diese Struktur der japanischen Wirtschaft erhielt sich in gewisser Weise bis in die Gegenwart. Sie wurde besonders in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen zu einem typischen Merkmal Japans, aber noch um 1960 war die Hälfte der Beschäftigten selbständig erwerbstätig oder mittätig und die Betriebsgröße der überwiegenden Zahl der Unternehmen sehr gering (Horke 1976: 29). Das war zum einen bedingt durch die große Zahl von bäuerlichen Betrieben, zum anderen durch die Präferenz der Japaner für Selbständigkeit und das Weiterwirken sozialer Traditionen im Handwerk und Handel. Die industriellen Betriebe hingegen gerieten in die vollständige Abhängigkeit von den Zaibatsu-Holdings, die sich in ihre Geschäfts- und Personalpolitik einmischten und für die sie in der Rezession Pufferfunktion erfüllten. Auch dieses Merkmal der Beziehungen zwischen Großbetrieben und Klein- und Mittelbetrieben erhielt sich bis heute, denn es erwies sich als äußerst günstig für die Anpassungsfähigkeit der Großbetriebe an konjunkturelle Schwankungen und für die Vermeidung von Überkapazität. Diese Funktion konnten die Klein- und Mittelbetriebe leisten, weil sie vielfach dieselben Produkte herstellten, wie die Großbetriebe, was auch ein bemerkenswertes Charakteristikum der japanischen Wirtschaftsstruktur darstellt. Die Kleinbetriebe leiste-
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ten damit einen, allerdings unbedankten, beträchtlichen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung Japans. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam es zur Zerschlagung der Zaibatsu auf Anordnung der amerikanischen Besatzungsmacht. 1947 wurden Holdinggesellschaften per Gesetz verboten. Nach dem 1952 erfolgten Abzug der Besatzungstruppen kam es mit aktiver Förderung des MITI, des japanischen Handelsministeriums, wieder zur Aufnahme kooperativer Beziehungen zwischen den ehemaligen Zaibatsu-Unternehmen. Diese wurden nun aber nicht durch eine Holding miteinander verbunden, sondern durch wechselseitige Kapitalbeteiligungen, was sich gegen die von den USA verfolgte Kapitalmarktliberalisierung richtete und die Gefahr von Übernahmen der Unternehmen durch ausländische Investoren verhindern sollte. Stand die industrielle Entwicklung Japans bis in die 1960er Jahre unter dem Zeichen des Technologie-Imports, so veränderte sich die Situation seit den 1970er Jahren zusehends und die technologische Lücke zum Westen schloss sich nicht nur, sondern kehrte sich teilweise sogar ins Gegenteil um; Japan wurde zu einem Know-how-Exportland. Das hatte einen gewissen Wandel in der dualen Struktur der japanischen Wirtschaft zufolge, denn es waren häufig Klein- und Mittelbetriebe, die nun ihre eigenen technologischen Grundlagen entwickelten und zu ‚mittleren Wachstumsbetrieben’ (‚Chuken kigyo‘) wurden. Dennoch bildeten die unzähligen kleinen Betriebe (‚Chusho kigyo‘) nach wie vor den weit überwiegenden Teil der japanischen Unternehmen, obwohl ihre Überlebensfähigkeit starken Belastungen ausgesetzt und die Fluktuationsrate unter ihnen sehr hoch war. Viele Klein- und Mittelbetriebe blieben als Zulieferer in der vollkommenen Abhängigkeit von Großunternehmen oder deren Tochterfirmen, gehörten aber selbst nicht zu den Netzwerken.
Arbeitnehmerschaft und Arbeiterbewegung Die Modernisierung Japans war nicht durch eine ‚agrarisch-industrielle Doppelrevolution’ (Vester 1970: 41 ff) wie in England gekennzeichnet. Es gab keine industrielle Reservearmee durch Massenabwanderung aus der Landwirtschaft. Der traditionelle ‚Ie’-Haushalt auf dem Land, der stark an den ‚oikos’ oder das ‚ganze Haus’ im europäischen vormodernen Kontext erinnert (Lehmbruch 2001: 63; Mikl-Horke 2008: 7 ff), blieb als Grundlage der Kontinuität der sozialen Einheit, dem sich die individuellen Interessen unterzuordnen haben, erhalten. Daher kam es nicht zur Abwanderung ganzer Familien in die Städte und Fabriken, sondern das ‚Ie’ entsandte nur einzelne Mitglieder für einige Zeit zur Arbeit in die Fabriken. Deren Bindung an die Fabrik war gering, da diese halbbäuerlichen Wanderarbeiter (‚Dekasegigata-rodosha‘) nur saisonal oder im Fall der zahlreichen weiblichen Arbeitskräfte bis zur Erreichung des heiratsfähigen Alters in der Industrie arbeiteten. Sie waren ungelernte Arbeitskräfte ohne Bindung an die Lebensform der Lohnarbeit. Daneben erhielten sich in der frühen Industrialisierung für die Facharbeiter wie in den westlichen Gesellschaften auch traditionelle ‚subcontract’-Systeme mit unabhängigen Meistern (‚Oyakata‘-System), die sich in Japan allerdings durch eine spezifische paternalistische Beziehung zwischen den Meistern und ihren Arbeitern auszeichnete (Horke 1976: 38 ff).
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Durch die technologisch-organisatorischen Veränderungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam es wie im Westen zum Aufbau der integrierten Großunternehmen. Die Bindung der Arbeiterschaft an die Fabrik wurde auf Grund der durch den Technologieimport mitbedingten betriebsspezifischen Qualifikationsanforderungen, aber auch durch die kriegswirtschaftliche Ausrichtung in den Schlüsselindustrien gefördert. In der Großindustrie kam es zum Aufbau interner Ausbildungsinstitutionen, was die Entwicklung einer überbetrieblichen Berufsspezialisierung verhinderte. In der Phase des Monopolkapitalismus gab es keine universelle Berufsausbildung für Arbeiter, denn in den staatlichen technischen Lehrstätten wurde nur höheres technisches Wissen, aber keine industriellen Fertigkeiten vermittelt. Die Großunternehmen hatten daher ein Interesse, die von ihnen ausgebildeten Arbeitskräfte langfristig an das Unternehmen zu binden und ihre Mobilität zu verhindern. Sie rekrutierten junge Arbeitskräfte direkt vom Land und bildeten sie zu ‚Uchi-no-rodosha’, zu ‚hauseigenen’ Arbeitern, aus. Das für die höheren Angestellten in den Zaibatsu-Unternehmen geltende Dienstalterprinzip wurde nach dem Zweiten Weltkrieg auf alle Angestellten und schließlich auch auf die Arbeiter ausgedehnt, so dass in den 1950er Jahren ein Senioriätslohn- und Aufstiegssystem entstand, das Arbeiter, Angestellte und Management umfasste. Desgleichen entstanden zahlreiche Wohlfahrtseinrichtungen der Unternehmen, die von Wohnhäusern über Sportklubs bis zu subventionierten Versicherungsvereinen reichten. Die hauseigenen Arbeiter mit ihrer angelernten Unfähigkeit, in einem anderen Betrieb zu arbeiten, und die ‚sararimen’, die männlichen Management-Trainees und Angestellten der Großunternehmen, wurden zu den Ausführenden der rasanten Wirtschaftsentwicklung Japans in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese Entwicklungen hatten Auswirkungen auf die industriellen Arbeitsbeziehungen und auf die Arbeiterbewegung in Japan. Zwar waren schon in den 1870er Jahren militante sowie pragmatische Arbeiterbewegungen nach westlichem Muster entstanden, die aber von der Regierung verboten und immer wieder aufgelöst wurden, was schließlich diese Strömungen weitgehend verschwinden ließ. Die erste richtige Gewerkschaftsorganisation Japans entstand in San Francisco nach dem Muster der von Samuel Gompers gegründeten Organisationen und bestand aus japanischen Handwerkern und Facharbeitern, die nach Amerika geschickt worden waren, um die westlichen Technologien kennen zu lernen. Sie wurde dann nach Japan transferiert und begründete eine pragmatische Tradition innerhalb der japanischen Gewerkschaftsbewegung; daneben bestanden allerdings noch immer kommunistische und anarchistische Untergrundgruppen. Die ideologische Zersplitterung führte in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zu heftigen Auseinandersetzungen und zu einer Zweiteilung der Spitzenverbände. Auch Industriegewerkschaften entstanden, die allerdings angesichts der vertikalen Spaltung des Arbeitsmarktes durch die spezifischen Bedingungen in der Großindustrie keine wirkliche Verhandlungsmacht besaßen. Auch reagierten die Arbeitgeber auf die Organisationen der Arbeiterschaft nicht mit der Errichtung überbetrieblicher Interessenverbände, was die Entwicklung von Kollektivverhandlungen auf Branchenebene unmöglich machte. 1920 schlug der damalige Innenminister vor, nur solche Vereinigungen von Arbeitern anzuerkennen, die auf Betriebsbasis organisiert waren. Diese ‚vertikalen’ Gewerkschaften, die es schon in großer Zahl gab, wurden als Hausgewerkschaften (‚Kaisha kumiai‘) bezeichnet; sie waren zum Teil gelbe Organisationen, die vom Arbeitgeber abhängig waren, aber es gab zunächst auch autonome Arbeitergewerkschaften (‚Kigyobetsu
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kumiai‘) in Betrieben. 1940 wurden die Gewerkschaften schließlich aufgelöst und die Betriebs- bzw. Hausgewerkschaften gingen in der ‚Sanpo’-Organisation, der Betriebszellenorganisation, auf (Horke 1976: 50 ff). Nach dem Zweiten Weltkrieg erlangte die schon in der Zwischenkriegszeit starke kommunistische Gewerkschaftsbewegung in Japan wieder an Gewicht und stand unter der Führung von Kommunisten, die in Angestelltenpositionen tätig waren. Die US-Besatzungsmacht drängte auf ihre Zerschlagung; es kam zur sog. Roten Säuberungs-Bewegung, in der alle Kommunisten aus der Administration und aus den Großunternehmen vertrieben wurden. Die faktische Entfernung der kommunistischen und militanten Elemente aus den Unternehmen war einer der Gründe, der dazu beitrug, dass sich die horizontalen Organisationen auch nach dem Zweiten Weltkrieg in Japan nicht durchsetzen konnten. Neben der Tradierung der Strukturen der Zwischenkriegszeit hatte auch das Vorbild der Betriebsgewerkschaften der USA einen Einfluss bzw. ließ diese Organisationsstruktur für die Besatzungsmacht akzeptabel erscheinen. Die Industrieverbände und Dachverbände waren ideologisch gespalten, wobei die Verbände des öffentlichen Sektors eine militantere Haltung als jene im privaten Sektor aufwiesen. Sie blieben aber auf Kommunikations- und Koordinierungsfunktionen beschränkt, d.h. sie artikulierten die politischen Ziele der Arbeitnehmerschaft und vertraten diese auf der politischen Ebene. Wenngleich die kommunistischen Strömungen allmählich an Bedeutung verloren, ist die Geschichte der horizontalen Organisationen bis heute durch zahlreiche Abspaltungen und Neugründungen gekennzeichnet. Ebenso blieb die Doppeldeckerstruktur zwischen den überbetrieblichen Vereinigungen und den die eigentlichen gewerkschaftlichen Funktionen erfüllenden Organisationen auf Unternehmensebene erhalten. Der gewerkschaftliche Dualismus zwischen politischer und wirtschaftlicher Interessenvertretung verhinderte aber auch, dass die ideologischen Auseinandersetzungen sich effektiv auf die Arbeitsbeziehungen und die Verhandlungen auf Betriebsebene auswirken konnten. Auch die duale Struktur der Wirtschaft hatte sich seit jeher negativ auf die Stärke der horizontalen Gewerkschaftsverbände ausgewirkt. Sie begründete große Unterschiede der Arbeitsbedingungen in Großunternehmen und in den Klein- und Mittelbetrieben und schuf einen dualen Arbeitsmarkt, charakterisiert durch die Internalisierung des Arbeitsmarktes in den Großbetrieben, der nur in der Einstiegsphase für die jungen Schulabgänger geöffnet wurde, einerseits und dem externen Arbeitsmarkt für die Arbeitskräfte in den Klein- und Mittelbetrieben andererseits. Dies begünstigte eine interne Gewerkschaftsorganisation in den Großunternehmen mit ‚union shop’-Vereinbarung, während die Arbeitnehmer in den Klein- und Mittelbetrieben weitestgehend unorganisiert blieben. Nach der militanten Phase der unmittelbaren Nachkriegsjahre traten eher pragmatisch orientierte Arbeiter an die Spitze der Gewerkschaften; erst nach den Studentenunruhen der späten 60er Jahre übernahmen wieder viele ehedem radikale Studenten die Führung der Gewerkschaften in den Unternehmen. Allerdings hatte sich zu diesem Zeitpunkt das System des Personalmanagements bereits gefestigt, was für die Gewerkschaftsfunktionäre in den Unternehmen massive Rollenkonflikte brachte, wie noch zu zeigen sein wird. Die Unternehmensgewerkschaft wurde zu einer der drei Säulen des ‚Modells Japan’ in den folgenden Wachstumsjahren; sie ist daher eng verbunden mit dem Human Resource-Management und dem Beschäftigungssystem der Großunternehmen. Alle drei Merkmale machten aus
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dem japanischen Unternehmen ein von westlichen Formen deutlich unterschiedenes Sozialgebilde, das jedoch seinerseits auf den spezifischen Beziehungsmustern zwischen Wirtschaft, Politik und Verwaltung einerseits und andererseits auf der Vernetzung der japanischen Unternehmen untereinander beruht.
Das Unternehmen in Japan: Sozialsystem und Arbeitsbeziehungen in der wirtschaftlichen Wachstumsphase Das japanische Unternehmen und sein Human Resource-Management wurden häufig als ein auf kulturellen Traditionen beruhendes ‚typisch japanisches’ System verstanden. Aber gleichzeitig darf nicht vergessen werden, dass viele rechtliche und technologisch-organisatorische Prinzipien von den westlichen Staaten übernommen worden waren. Überdies darf der Einfluss der Ministerialbürokratie und auch jener der US-Besatzungsmacht nach der katastrophalen Niederlage Japans im Zeiten Weltkrieg nicht übersehen werden. Das ‚System’, das sich im Laufe der 1950er Jahre konsolidierte, ist das Resultat von Traditionen, Ereignissen, Eingriffen und Lenkungsmaßnahmen, aber auch von jenem ständigen wechselseitigen Diffusionsprozess zwischen Japan und dem Westen, den man nicht zugunsten einer einseitigen Betonung einer endogenen Entwicklungslogik außer Acht lassen darf. Die Einflüsse westlicher Organisationsprinzipien seit der Meiji-Zeit erfuhren im japanischen Kontext eine Modifikation und wurden, nachdem sie sich als erfolgreich erwiesen hatten, zu ‚typisch japanischen’ Formen, die wieder als Modelle in den Westen gelangten (vgl. Westney 1987). Die Merkmale, die das typische Personalmanagement und die Besonderheiten der Unternehmensführung charakterisieren, wurden zu einem spezifischen ‚System’ oder ‚Modell’ vor allem durch die Aufmerksamkeit, die der rasante wirtschaftliche Wachstumsprozess seit den 1960er Jahren erregte. Sie waren Gegenstand zahlreicher Studien über die japanische Arbeitswelt, die Unternehmen und die Arbeitsbeziehungen (u.v.a. Abegglen 1958; Abegglen und Stalk 1985; Ballon 1969; Dore 1973; Fürstenberg 1972; Hart und Kawasaki 1999; Lincoln und Kalleberg 1992; Vogel 1979).
Das ‚Modell Japan’ Die Binnenstruktur japanischer Großunternehmen und die Unternehmensführung konsolidierten sich in der Phase des hohen Wachstums zwischen 1960 und 1980 in Form von drei Merkmalen: der Lebenszeitanstellung (‚Shushin koyo‘), dem Senioritätslohn- und aufstiegsystem (‚Nenko joretsu chingin‘) und der unternehmensinternen Gewerkschaft (‚Kigyonai kumiai‘). Das Modell Japan veränderte sich besonders nach 1990, aber wesentliche Züge haben sich noch immer erhalten. Seine Charakteristika verweisen auf die große Bedeutung, die dem Personalmanagement im Unternehmen zukommt; es stellt eine Funktion des TopManagements dar, das gleichzeitig die Arbeitgeberseite in den Kollektivertragsverhandlungen mit der unternehmensinternen Gewerkschaft repräsentiert. Personalmanagement und
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Arbeitsbeziehungen sind eng miteinander verbunden und beide sind durch die spezifischen Beschäftigungs-, Lohn- und Aufstiegsregelungen im Unternehmen bestimmt. Japanische Unternehmen beschäftigen eine (männliche) Stammbelegschaft, die als regulär-permanente Arbeitnehmer bezeichnet werden und sowohl Angestellte als auch Arbeiter umfasst. Alle Mitarbeiter werden direkt von der Schule eingestellt und verbleiben bis zum Erreichen der Altersgrenze, die zunächst auf 55 Jahre für männliche Arbeitnehmer festgelegt war, in den 1990er Jahren dann auf 60 Jahre angehoben wurde, im Unternehmen. Die Direktoren sind in der Regel im Unternehmen selbst aufgestiegen; externe ‚mid-career’Rekrutierung wird auch gegenwärtig noch als Ausnahme betrachtet. Weibliche Arbeitskräfte mussten in der Hoch-Zeit des Modells Japan bei Verehelichung bzw. spätestens mit 35 Jahren das Unternehmen verlassen; diese Praxis veränderte sich nur wenig im Lauf der folgenden Jahre. Die regulären Arbeitnehmer werden nach der Dauer der Zugehörigkeit zum Unternehmen entlohnt und steigen nach Maßgabe ihrer Leistung in die höheren Positionen auf. Das japanische System enthält auch Leistungselemente, die sich jedoch auf die allgemeine Beurteilung der Person und nicht auf die Funktion, die als Ergebnis der Gruppenleistung gilt, beziehen. Jene Arbeitnehmer, die den Aufstieg nicht schaffen, werden teilweise ins Management von Tochtergesellschaften transferiert. Auch die aus Altersgründen ausgeschiedenen Mitarbeiter werden häufig im Unternehmen selbst oder einer Tochter- oder Zulieferfirma mit niedrigerem Gehalt wieder eingestellt. Neben dem Senioritätslohn erhalten die regulären Arbeitnehmer überdies jährliche Bonuszahlungen, eine Abfertigung bei ihrem Ausscheiden und genießen zahlreiche Sozialleistungen der ‚welfare corporation’ (Dore 1971). Für die regulär beschäftigten Arbeitnehmer bietet das System des Personalmanagements daher große Vorteile in Bezug auf Arbeitsplatz- und Einkommenssicherheit. Daneben arbeiten in japanischen Betrieben einige andere Kategorien von Beschäftigten unter wesentlich weniger sicheren und günstigen Bedingungen: Fachkräfte von Arbeitskräfteüberlasserfirmen, Saisonarbeiter bzw. kurzfristig beschäftigte Arbeitskräfte, Teilzeitarbeitnehmer (vgl. Mikl-Horke 2007b:178 ff). Sie werden auf kurzfristiger Vertragsbasis beschäftigt, stellen aber keine Ausnahmeerscheinung zum Ausgleich von besonderem Spitzenbedarf dar, sondern sind eine ständige atypische Gruppe im japanischen Großunternehmen. Dazu zählen auch die von Zulieferfirmen oder Tochterfirmen kommenden ‚dispatched’ workers, die zeitweise im Mutterunternehmen arbeiten, denn jedes Großunternehmen schart eine ganze Reihe von Zulieferern und Töchtern als Satelliten um sich, die meist nur für dieses Unternehmen arbeiten und oft auch dasselbe herstellen wie dieses; so berichtet Dore, dass etwa Hitachi nur die Hälfte seiner Produktion selbst fertigte (Dore 1973: 38 ff). Mit Hilfe dieser atypischen Beschäftigtengruppen können sich die Unternehmen stets flexibel an die konjunkturellen und strukturellen Bedingungen anpassen und auch die Arbeitskosten trotz der Lebenszeitanstellung der regulären Arbeitnehmer ökonomisch vertretbar halten (vgl. Fürstenberg 1972). Diesem Ziel dienten auch die relativ frühe Altersgrenze und die üblicherweise danach wieder erfolgte Einstellung in niedrigeren Einkommenskategorien. Dies ist auch für die Arbeitnehmer selbst notwendig, da die staatlichen Pensionszahlungen erst nach einigen Jahren nach dem regulären Ausscheiden einsetzen. Die staatliche Pension ist auch sehr niedrig, so dass die meisten Beschäftigten bis ins hohe Alter arbeiten. Kommentatoren meinten zwar immer wieder, Anzeichen für einen Wandel des Systems zu erblicken, wenn sich ein konjunktureller Abschwung abzeichnete. Aber seine Insti-
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tutionen erwiesen sich immer wieder als ziemlich stabil und als anpassungsfähig, ohne sich grundlegend verändern zu müssen, da ein Wachstumseinbruch auf Grund der dualen Struktur der japanischen Wirtschaft zunächst zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit im Sektor der Klein- und Mittelbetriebe, die reihenweise zugrunde gingen, führte sowie zum Abbau der kurzfristig Beschäftigten und Leiharbeiter in den Großbetrieben. Lange galten Kündigungen von Stammarbeitern nicht als legitim und die Rechtsprechungspraxis akzeptierte sie nur unter sehr strengen Bedingungen als ‚last resort’. So konnten Abegglen und Stalk noch 1985 feststellen: „The Japanese system of employment has proved to be quite durable, through periods of high growth and no growth, in flourishing industries and declining industries. It offers very real advantages to both employees and to the kaisha.” (Abegglen und Stalk 1985: 209).
Sozialpsychologie und Kultur des Unternehmens als Mitgliedschaftsorganisation Die besonderen Merkmale des ‚Nihonteki keiei’, der typisch japanischen Unternehmensführung und seines Human Resource Management, wurden von japanischen und ausländischen Kommentatoren immer wieder betont und zunächst kulturspezifisch gedeutet, d.h. mit Merkmalen begründet, die als typisch für die japanische Kultur verstanden wurden. Sie werden oft mit der Unterscheidung zwischen der westlichen Schuldkultur und der japanischen Schamkultur, wie sie Ruth Benedict (1947) getroffen hatte, in Verbindung gebracht. In Japan selbst wurde zeitweise daraus geradezu ein Mythos von der japanischen Einzigartigkeit (‚Nihonjinron’) konstruiert, der mitunter auch zur Abwehr von Veränderungen instrumentalisiert wurde (vgl. Dale 1986). Großen Einfluss hatte die Charakterisierung japanischer Sozialbeziehungen als ‚vertikal’ durch die Sozialanthropologin Chie Nakane; sie hatte Japan als ‚vertikale Gesellschaft’ (‚Tate no shakai‘) bezeichnet, deren Struktur durch die Dominanz der Beziehungen zwischen rangungleichen Personen bestimmt wird (Nakane 1985). Dies führte sie zurück auf den grundlegenden Unterschied zwischen einem Denken in Attributen, die Eigenschaften von Individuen bezeichnen, und jenem in ‚Rahmen’, die sich auf den Kontext beziehen. Japaner haben in ihrer Interpretation die Neigung, die strukturelle und situationsbedingte Stellung in einem Kontext oder Rahmen zu betonen und nicht die allgemeinen Attribute von Individuen. Damit erhält die Gruppenzugehörigkeit eine besondere Bedeutung; man ist nicht Akademiker, sondern hat eine bestimmte Universität besucht bzw. man ist nicht Buchhalter, sondern Mitarbeiter einer Firma, von der man als ‚Uchi’ (mein bzw. unser Haus) spricht. Das Unternehmen (‚Kaisha‘) ist im Bewusstsein der Menschen nicht durch die vertragsmäßige Verbindung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer charakterisiert, sondern durch die Mitgliedschaft in meiner bzw. unserer Firma als einer Gemeinschaft, die für das eigene Leben der Mitglieder von größter Bedeutung ist. Das Beschäftigungs- und Personalsystem unterstreicht den Charakter als Gemeinschaft von ‚Insidern’, in der die Direktoren die älteren Mitglieder sind, die sich auf die Loyalität der Mitarbeiter stützen können und die ihrerseits am Wohl der Mitarbeiter interessiert sind. Die soziale Distanz zwischen den Mitarbeitern und den Vorgesetzten ist gering und ihre Betonung durch Statussymbole und Rangattribute wird
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überdies weitestgehend vermieden. Nichtsdestoweniger stellen die vertikalen Beziehungen das Rückgrat der japanischen Organisationsstruktur dar. Das japanische Unternehmen ist daher eine Gemeinschaft von Mitgliedern, zwischen denen es keine großen sozialen Distanzen gibt, für die aber gleichzeitig die vertikalen Beziehungen sehr wichtig sind. Die Bindung an die Firma ist eine emotionale, die über die sachliche Kooperation weit hinausgeht, und die Stellung im Unternehmen wird daher nicht durch die Funktion bestimmt, sondern durch die persönlichen vertikalen Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Diese werden in Analogie zu Familienbeziehungen als ‚Oyabun-Kobun‘ (Vaterrolle-Kindrolle)-Bindungen gesehen. Die kulturellen Grundlagen dieser Sichtweise von Organisationen können in dem für Japan traditionell so grundlegenden ‚Ie’-Prinzip gesehen werden, das vom bäuerlichen Familiensystem auf moderne Unternehmen übertragen wurde und daher auch als ‚Keiei kazoku shugi’, als Familienmanagement-Prinzip bzw. Unternehmensfamilien-Prinzip, bezeichnet wurde. Das Wertsystem, das dem Verhalten der Menschen zueinander in der ‚vertikalen Gesellschaft’ zugrunde liegt, stützt sich auf das Prinzip des ‚Shuju no jogi’, das schon die Beziehungen von Fürsten und Vasallen, Grundherren und Bauern geregelt hatte und in der industriellen Gesellschaft immer noch als tradierte Verhaltensnorm weiterwirkt. Es beinhaltet die Prinzipien ‚Giri’ (gegenseitige Verpflichtung), ‚On’ (Gefühl der geschuldeten Dankbarkeit) und ‚Ninjo’ (affektive Hinwendung zum anderen). Der Verpflichtungscharakter dieser Prinzipien wird gemildert durch ‚Amaeru’, worunter der Wunsch nach der nachsichtigen Zuneigung und Liebe anderer verstanden wird. Auch vertikale Beziehungen sind nicht so sehr durch Macht und Funktion, sondern durch die Gemeinsamkeit des ‚En’ (Schicksal) charakterisiert. Diese Merkmale bestimmen auch die Form, in der sich Autorität im Rahmen der japanischen Sozialbeziehungen zeigt. Sowohl im Geführten wie im Führenden wirken das Bedürfnis nach ‚Amaeru’ und die Furcht vor ‚Sumanai’, dem Verlust an Sympathie und Zuneigung. Das stärkt im Untergebenen den Willen zu Anpassung und Gehorsam, im Vorgesetzten Nachsichtigkeit und Geduld in der Geltendmachung der Autorität. Diese interpersonalen Gefühle müssen außer Kraft gesetzt werden, um Interessengegensätze und Konflikte zwischen Gruppen zuzulassen. Wenn aber Vorgesetzte oder Management das Vertrauen der Mitarbeiter verletzen oder dies so gesehen wird, dann kann es auch zu aggressiven Konfliktmanifestationen kommen. Die Beziehungen im Unternehmen sind durch Pflichtgefühl und persönliche Loyalität ‚von unten’ und durch Verantwortung für gegenseitiges Vertrauen, Konsens und Harmonie ‚von oben’ bestimmt. Sie sind keine Vertragsbeziehungen, die auf rationale, formale und funktionale Kriterien reduziert werden können. Diese Vorstellungen durchziehen in der ‚vertikalen Gesellschaft’ auch die Geschäftsbeziehungen, so dass sich diese nur dann in positiven Ergebnissen niederschlagen, wenn sie zu Vertrauensbeziehungen auf der Basis des gefühlsmäßigen Verstehens der beiderseitigen Intentionen und der symbolischen Austarierung von Rangunterschieden geworden sind. Dem Management in dieser Gemeinschaft obliegt die besondere Rolle der Aufrechterhaltung der Harmonie zwischen den Mitgliedern (‚Hito no wa‘). Im Kontext der großen Organisationen verließ man sich dabei nicht nur auf die persönlichen Bindungen, sondern führte verschiedene Institutionen zur gemeinschaftlichen Problemlösung und Konfliktvermeidung ein, die auf Prinzipien der Verantwortungsstreuung, Konsensentscheidung und
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Gruppendiskussion beruhen bzw. Aufstiegsregelungen und Aufstiegssurrogate vorsehen. Eines der Merkmale, die als typisch gelten, ist die Übertragung der Verantwortung an Gruppen und nicht an Individuen. Weithin Aufmerksamkeit erhielten etwa schon früh die Qualitätszirkel, in denen die Arbeiter in der Gruppe selbst die Produktion kontrollieren und ständig verbessern. Obwohl dies ursprünglich nach amerikanischen Ideen in den 1960er Jahren in Japan eingeführt worden war, wurde es dann als japanisches Modell interpretiert (vgl. Koshiro 1979). Im japanischen sozialen Kontext der Unternehmen erhalten die Konzepte eine andere Bedeutung und Wirkung, weil auf Grund der Lebenszeitanstellung für reguläre Mitarbeiter die regelmäßige ‚Job rotation‘ durch alle Abteilungen, die ständige Umschulung und das Weiterlernen und Einbringen der persönlichen Fähigkeiten bereits seit langem übliche Praxis darstellen. Auch das sog. Toyota-System, das westliche Effizienzprinzipien in ein japanisches Modell umfunktionierte, wurde dann wieder in die westlichen Industrieländer als ‚lean management’-Prinzip reexportiert und auf die formellen Vorgaben wie Nullfehler, just-in-time etc. reduziert. In japanischen Betrieben versteht sich dieses auf ‚Kaizen’ (Perfektion) ausgerichtete System jedoch als ein Prinzip gemeinschaftlicher Verbesserung im Team und nicht nur als Anforderungsvorgabe (Mikl-Horke 2007b: 183 f).
Arbeitsbeziehungen und Unternehmensgewerkschaft Die Problematik der Unternehmensgewerkschaft liegt in dem Widerspruch zwischen der Integration in das vertikale Beziehungsgefüge der Organisation mit seinen emotionalen Bindungen zwischen Oyabun und Kobun-Rollen einerseits und der Notwendigkeit, sich von diesem zeitweilig zu distanzieren und der gemeinschaftlichen Harmonie kollektives Konflikthandeln entgegen zu setzen andererseits (Horke 1976: 120 ff). Die Unternehmensgewerkschaft hat ein Identitätsproblem, wenn es nicht gelingt, eine gewisse psychologische Distanzierung der Mitglieder und Funktionäre von der emotionalen Bindung an die Schicksalsgemeinschaft des Unternehmens herbeizuführen. Zwischen Management und Gewerkschaftsführung besteht daher ein psychologischer Konkurrenzkonflikt um die Loyalität der Mitglieder (vgl. Horke 1976: 133 ff). Die ‚duale Loyalität’, die im Westen zwischen der informellen Gruppe im Betrieb und den formellen Vorgesetzten untersucht worden war (vgl. Mikl-Horke 2007b: 116), bezieht sich in Japan auf die Beziehung der Arbeitenden zum Unternehmen einerseits, zur Gewerkschaft andererseits. Die Autonomie der Gewerkschaft erfordert starke Führungspersönlichkeiten, die den besonderen sozialpsychologischen Gegebenheiten in japanischen Unternehmen entgegen zu wirken vermögen. Das Problem der Unternehmensgewerkschaft ist einerseits ein psychologisches, andererseits aber auch ein strukturell begründetes, denn sie umfasst eine sehr heterogene Gesamtheit. Zur Gewerkschaft im Unternehmen zählen sowohl Arbeiter als auch Angestellte und auch Führungskräfte der unteren bis mittleren Ebenen. Da alle männlichen Angestellten prinzipiell als Anwärter auch auf die höchsten Managementpositionen gelten, betrachten sie die Gewerkschaftsmitgliedschaft als einen vorübergehenden Zustand und antizipieren vielfach die Arbeitgeberposition. Umgekehrt waren die Direktoren selbst einmal Gewerkschaftsmitglieder und meist sogar Führer der Gewerkschaft und verfügen daher über eine persönliche Erfahrung und ein Verständnis für Gewerkschaftsanliegen. Gewerkschafts-
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funktionäre sind daher meist jung und je näher der Aufstieg in höhere Managementpositionen rückt, desto weniger sind sie bereit, ihre persönliche Karriere durch allzu militantes Auftreten zu beeinträchtigen. Die Arbeitgeber versuchen daher mitunter auch, unliebsame Gewerkschaftsführer durch Beförderung auszuschalten oder aber die Bildung einer zweiten, gemäßigten Gewerkschaft im Unternehmen zu fördern. Die Entwicklung zur ‚Goyo kumiai‘, zur gelben Gewerkschaft, ist daher stets latent gegeben, was auch durch die feine Unterscheidung zwischen ‚Kigyonai kumiai‘ (Gewerkschaft im Unternehmen) und ‚Kigyobetsu kumiai‘ (Gewerkschaft auf Unternehmensebene) ausgedrückt wird. Die Mitgliedschaft in der Unternehmensgewerkschaft ist auf die regulär-permanenten Arbeitnehmer beschränkt. Alle Kategorien der atypisch Beschäftigten sind von der Mitgliedschaft ausgeschlossen, also gerade jene Gruppen, die eigentlich am dringlichsten eine Interessenvertretung benötigen würden. Dies ist eine weitere Facette des dualen Arbeitsmarktes und der Spaltung der Arbeitnehmerschaft. Die unternehmensinterne Gewerkschaft (‚Kigyonai kumiai‘) vertritt ausschließlich die Interessen der regulären Arbeitnehmer der Großunternehmen. Ihre Bedeutung liegt daher im Bereich der betrieblichen Regelung der Arbeitsbedingungen für diese Gruppe und nicht in der Kontrolle des Arbeitsmarktes oder im generellen Anheben der Lohnquote. Unter den Bedingungen des japanischen Beschäftigungsverhältnisses sind die Arbeitsbeziehungen nicht primär durch den Interessenkonflikt zwischen Kapital und Arbeit charakterisiert, da den Arbeitnehmern bewusst ist, dass ihr zukünftiges Einkommen, aber überhaupt ihr gesamtes wirtschaftliches und berufliches Schicksal an das Wohlergehen und Wachstum des Unternehmens gebunden ist. Das bewegt sie auch dazu, lange Arbeitszeiten und die Intensivierung der Arbeit zu akzeptieren. Probleme der Arbeit werden im Unternehmen daher zunächst durch Verständigung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu lösen gesucht und insofern wird die Gewerkschaft als Institution der Kommunikation auch vom Management anerkannt. Daneben bestehen in den Betrieben auch gemeinsame Konsultationsgremien, die der Aussprache über betriebliche Probleme der Produktion und der Arbeit dienen. Sie haben keine rechtliche Grundlage wie der Betriebsrat in Deutschland und Österreich und werden von denselben Personen besetzt, die sich auch in den Kollektivverhandlungen gegenüber stehen, weshalb sie neben dem allgemeinen Informationsaustausch auch der Vorbereitung der Kollektivverhandlungen dienen (Shirai 2000: 92 ff). Dennoch kann es mitunter gerade auf Grund der sozialpsychologischen Eigenart der Arbeitsbeziehungen im japanischen Unternehmen zu Konflikten kommen, etwa durch ein Verhalten der Arbeitgeber, welches das Vertrauensverhältnis zu den Arbeitnehmern zerstört und die persönliche Verpflichtung dem ‚Oyabun’ gegenüber aufhebt; in diesen Fällen können die Konflikte einen stark emotionalen und aggressiven Charakter aufweisen. Nur selten kommt es allerdings zu länger dauernden Streiks, es überwiegen symbolische und ritualisierte Konfliktmanifestationen. Man hält zwar Kollektivverhandlungen ab und zeigt mitunter rituelle Drohgebärden, aber echter Konflikt ist äußerst selten unter diesen Bedingungen. Dies hat auch seine Begründung in der Unternehmensstrategie und Geschäftspolitik des Top-Managements der Unternehmen, denn dieses orientierte sich bisher nicht primär an der Gewinnerzielung für die Kapitaleigner, sondern am langfristigen Wachstum des Unternehmens.
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Unternehmensführung im japanischen Netzwerk-Kapitalismus Die Konstitution des japanischen Unternehmens als Mitgliedergemeinschaft der regulär Beschäftigten und die interne Rekrutierung des Top-Managements begünstigen eine Insider-Orientierung der Unternehmensführung, die sich auch in der starken Stellung des Managements gegenüber den Aktionären ausdrückt. Dore kennzeichnet das japanische Unternehmen daher als ‚employee-favouring firm’ im Unterschied zur ‚shareholder-favouring firm’ in den USA und Großbritannien (Dore 2000: 26). Das Unternehmen in Japan ‚gehört’ in einem sehr realen Sinn den Mitarbeitern von den Spitzenpositionen hinunter bis zum einfachen Arbeiter, sofern sie regulär-permanenten Status haben. Die starke Insider-Orientierung ermöglichte unter den weltwirtschaftlichen Bedingungen der Jahrzehnte vor 1990 eine Unternehmensstrategie, die auf langfristiges Wachstum ausgerichtet war. Dieses gewährleistete die Beschäftigungssicherheit der regulären Arbeitnehmer auf lange Sicht und entsprach auch den Erwartungen, die von Öffentlichkeit und Politik an die Unternehmen in Japan gerichtet wurden. Die großen Unternehmen gelten in Japan als die primären Faktoren für das nationale Wirtschaftswachstum. Nach außen bedeutete dies eine aggressive Wettbewerbspolitik von Seiten der Unternehmen sowohl im Inland als auch auf den Weltmärkten, was zu den lang dauernden Handelskonflikten mit den USA beitrug. Expansion der Marktanteile, Erschließung neuer Märkte und Produktlinien waren in den 1980er Jahren die vorrangigen Ziele japanischer Unternehmensführer, während Kapitalrentabilität und Aktienkurse nachrangige Bedeutung hatten. Im Vergleich dazu sprachen sich die Top-Manager in den USA für die Kapitalrentabilität und die Entwicklung des Aktienkurses als oberste Zielsetzungen aus, auf die erst dann die Vergrößerung der Marktanteile folgte. (Abegglen und Stalk 1985: 176). Dieses radikale Wachstumsstreben ließ die japanischen ‚Kaisha’ zu ‚world pace-setters’ werden, so dass es schien, als könnte Japan die USA überflügeln (Vogel 1979). Abegglen und Stalk interpretierten dies nicht als Resultat spezifischer Kulturmerkmale oder der Mentalität der Arbeitnehmer, sondern erkannten darin eine eigene ökonomische Rationalität, die durch das Zusammenwirken der multidimensionalen Vernetzung zwischen japanischen Unternehmen, das ‚cross-shareholding’und durch die dominante Finanzierung über Bankkredite bestimmt ist. Der ‚neue Kapitalismus’ Japans nach dem Zweiten Weltkrieg weist eine starke Verflechtung in Unternehmensgruppen auf. Sie unterscheiden sich jedoch grundlegend von den Zaibatsu der Zwischenkriegszeit, denn die stabile wechselseitige Kapitalverflechtung ist relativ niedrig und die Unternehmen sind in Bezug auf ihre Geschäftspolitik selbständig; sie sind aber stark durch personelle Verflechtungen, informelle Kontakte und funktionale Kooperation miteinander vernetzt. Dabei werden zwei Formen der Vernetzung unterschieden: Zum einen die horizontalen Beziehungen auf Grund der traditionellen Kooperation zwischen den ehemaligen Zaibatsu-Unternehmen (‚Big Six’) rund um eine Großbank bzw. ein Handelsunternehmen und zum anderen die vertikalen Beziehungen von Unternehmen und deren Zulieferfirmen, Tochterfirmen und Niederlassungen. Die Bezeichnung ‚Keiretsu’ bezog sich zunächst nur auf diese vertikalen Netzwerke, aber schließlich wurde der Begriff auch auf die horizontalen Gruppierungen ausgedehnt, deren Unternehmen ihrerseits auch wieder jeweils eigene vertikale Netzwerke aufgebaut hatten (Lincoln und Gerlach 2004: 10
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ff). Das zentrale Unternehmen in einem solchen vertikalen Netzwerk kann daher unabhängig sein, aber auch in einer horizontalen Verbindung zu einer der ‚Big Six’-Gruppen stehen. Die Tochterfirmen der Großunternehmen haben ihrerseits wieder ihre eigenen vertikalen Beziehungen zu Zulieferfirmen, diese zählen jedoch meist nicht zur Keiretsu-Gruppe. Die engen funktionalen Verbindungen, die auf der Teilhabe an Informationsflüssen, der Einbindung der Zulieferer in einem sehr frühen Stadium des Produktionsprozesses und der gemeinsamen Verantwortung, auf langfristigen persönlichen Beziehungen und einer kontrollierten Kombination von Kooperation und Konkurrenz unter den Netzwerkfirmen sowie dem Austausch von Personal zwischen den Firmen beruhen, lassen japanische Unternehmen „as an interorganizational network of internal and external relationships“ (LaageHellman 1997:145) ohne klare Grenzen zwischen dem Unternehmen und seiner Umwelt erscheinen. Diese Netzwerkstruktur bringt Vorteile dadurch, dass die formal unabhängigen Tochterfirmen auch selbständig für ihre Finanzierung sorgen müssen, gleichzeitig aber als Arbeitskräftereservoir für das Mutterunternehmen und als konjunktureller Puffer dienen; überdies bewiesen die kleineren Firmen ihr Potential bei der Suche nach neuen Technologien, Märkten oder Produktlinien (Gerlach 1992). Die Ausgliederung von Funktionsteilen war somit in Japan eine Praxis, lange bevor sie im Westen als ‚Outsourcing‘ bekannt wurde. Die horizontalen Netzwerke der ‚Big Six’ haben die größte Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ihre Beziehungen untereinander beruhen auf traditionellen Bindungen und die Direktoren der größten Unternehmen des einzelnen horizontalen Netzwerks oder der ‚intermarket group’ treffen einander regelmäßig einmal im Monat (Orrù et al. 1997: 193 ff). Aber sie sind auch eigene Wirtschaftsimperien, denn jede der Gruppierungen besteht aus Produktionsunternehmen, Banken, Versicherungen und Handelshäusern. Eine besondere Rolle spielen die großen Handelsgesellschaften, die ‚Sogo shosha’, die eine der wichtigsten Grundlagen für die aggressive Handelspolitik Japans in dieser Epoche waren. Die ‚Sogo shosha‘ fungieren als Organisatoren von Firmen verschiedenster Art in ihrer jeweiligen Keiretsu-Gruppe, deren Aktivitäten sie ‚upstream’ und ‚downstream’ koordinieren und deren Export- und Importgeschäfte sie organisieren. Die größten dieser Handelsunternehmen sind Mitsubishi Shoji, Mitsui Bussan, Sumitomo Shoji und Marubeni. Ihr Einfluss auf die Firmen, die sie koordinieren, ist bedeutend, sie bieten diesen aber auch große Vorteile, da sie die Aktivitäten vieler kleinerer Firmen bzw. von Produktionsfirmen ohne spezifisches Know-how im internationalen Geschäft zusammenfassen. Dies konstituierte einen „ingenious way of combining the market and financial power of a large firm with the flexibility, distinct skills, and lower wages of small- and medium-sized firms.“ (Yoshino und Lifsan 1988: 29). Neben dem ‚relational trading’ über die Handelsgesellschaft des jeweiligen Netzwerks spielt auch das ‚relational banking’, die Beziehung der Unternehmen zu ‚ihren’ Banken, eine große Rolle (Dore 2000: 35 ff). Auf Grund der Konstitution der horizontalen Netzwerke bestehen lang dauernde traditionelle Verbindungen zwischen den Unternehmen und der Bank bzw. den Banken in der Gruppe. Diese beruhen auf persönlichen und funktionalen Beziehungen sowie auf der Kapitalverflechtung der Unternehmen mit ‚ihren’ Kreditinstituten. Die Abhängigkeit der Unternehmen von den Banken ihrer Gruppe ist traditionell groß, denn die japanischen Unternehmen finanzieren sich vorwiegend über Bankkredite und nur in vergleichsweise geringem Ausmaß über den Kapitalmarkt. Durch die wechselseitigen Beziehungen in den Netzwerken konnten die Unternehmen einer Gruppe von ihrer Bank
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problemlos Kredite erhalten und auch sicher sein, dass sie jederzeit Hilfe von ihrer Bank erhalten würden, sollten sie in Schwierigkeiten kommen. Darüber hinaus war auch die Politik günstiger langfristiger Kreditgewährung durch die Industrial Bank of Japan und die Long-Term Credit Bank ein Grund für die hohe Abhängigkeit japanischer Unternehmen von Bankkrediten. Geraten Unternehmen in Schwierigkeiten übernehmen vielfach ihre Banken die Kontrolle, indem sie ihre Mitarbeiter in Managementpositionen einsetzen. Diese hohe Abhängigkeit der Unternehmen von Bankkrediten führte allerdings zu einer endemischen Tendenz zu ‚overloan’-Bedingungen der Banken, die daher ihrerseits wieder in hohem Maße von der Refinanzierung durch die Notenbank abhängig wurden. Trotz der hohen Fremdfinanzierung der Unternehmen bestand lange Zeit wenig Risiko für die Banken, da die Unternehmen in der Regel gute Sicherstellungen bieten und die Banken ihrerseits mit Staatshilfe rechnen konnten. Dies ermöglichte es auch der Geldpolitik, als ein wirksames indirektes Lenkungsinstrument zu fungieren. Auf Grund der hohen Fremdfinanzierung der Unternehmen durch Bankkredite haben die Banken großen Einfluss auf die Geschäftspolitik der Unternehmen, während den Kapitalinteressen der Aktionäre relativ wenig Gewicht zukommt. Dies und der Charakter der Unternehmung als Mitgliedergemeinschaft brachte es mit sich, dass das professionelle TopManagement der Großbetriebe den Aktionären gegenüber eine so starke Stellung und eine so weitgehende Unabhängigkeit wie in kaum einem anderen kapitalistischen Land entwickelte. Dadurch konnten die Ziele der Unternehmensstrategien einseitig auf Wachstum der Kapazität und des Marktanteils ausgerichtet werden, während die Kapitalrentabilität den Charakter einer Fixgröße annahm, die primär als Kriterium der Kreditwürdigkeit diente. Doch diese Situation war durchaus auch auf Seiten der meisten Kapitaleigner akzeptabel, da diese auf Grund der Praxis des ‚cross-shareholding’ selbst zum weit überwiegenden Teil Produktionsunternehmen, Banken, Versicherungen oder Handelshäuser desselben Netzwerks sind. Sollten in den Hauptversammlungen der Aktionäre dennoch einige Außenseiter sein, so wird mitunter auch durch Engagement der sog. ‚sokaiya’ dafür gesorgt, dass diese keine Probleme machen. Die Kapitalverflechtung zwischen den Unternehmen einer Keiretsu-Gruppe sowie ihren Banken, Versicherungen und Handelshäusern ist zwar jeweils eher niedrig, aber sie ist wechselseitig und stabil. Die Kapitaleigner eines Unternehmens sind andere Unternehmen oder Finanzinstitutionen, mit denen gleichzeitig Geschäftsbeziehungen, traditionelle Verbindungen und persönliche Beziehungen bestehen. Diese stehen im Vordergrund, während den Kapitalverflechtungen eigentlich nur die Funktion der Bekräftigung dieser Beziehungen zukommt; die Aktienanteile werden daher langfristig gehalten. Die beteiligten Unternehmen sind primär am Bestand ihres Netzwerks und dessen wirtschaftlichem Erfolg interessiert und unterstützen einander innerhalb des Netzwerks in der gemeinsamen Orientierung an Wachstum und Expansion. Die Anteilseigner streben daher nicht nach möglichst hohen Erträgen aus ihren Beteiligungen an den anderen Firmen, sondern betrachten die Dividendenausschüttungen als Zeichen dafür, dass es dem Unternehmen gut geht und im Fall von Banken, dass es kreditwürdig ist. Die Höhe der Dividenden richtet sich daher auch nicht notwendig nach der Höhe des Gewinns. Die Stabilität der Eigentumsverhältnisse bewirkt, dass den Bewegungen auf dem Kapitalmarkt kaum Bedeutung zugemessen wird und die Aktienkurse und Kapitalmarktindika-
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toren keine Steuerungsfunktion in Bezug auf die Unternehmenspolitik darstellen. In den Unternehmen nimmt die Finanzabteilung daher auch keine so wichtige Rolle ein, wie das in den USA im Laufe des 20. Jahrhunderts immer mehr der Fall wurde (Fligstein 1990). Das ‚cross-shareholding’ und die Praxis des ‚relational banking’ bedeuten auch, dass es für ausländisches Kapital sehr schwer ist, in Japan Fuß zu fassen. Trotz der expandierenden Wirtschaft Japans in den 80er Jahren investierten nur wenige ausländische Unternehmen in Japan und wenn, dann in der Regel in Form von Joint Ventures. Der Grund dafür war zunächst eine Bestimmung, wonach ausländische Investitionen nur im Zuge neuer Betriebsgründungen erlaubt waren und die ausländische Beteiligung 50 % nicht überschreiten durfte. Nach 1973 fiel diese Beschränkung zwar, aber es kam dennoch zu keiner größeren Welle ausländischer Investitionen (Abegglen und Stalk 1985: 214 ff). Die Gründe dafür waren in den Interessengegensätzen der Partner von Joint Ventures und in der spezifischen Kompetenzverteilung zu sehen. Der japanische Partner steuerte meist das Distributionsnetz und das Personal bei, was angesichts der Unternehmensvernetzung und des Beschäftigungssystems bedeutete, dass dieser die eigentliche Kontrolle innehatte. Der japanische Betrieb konnte auch, was in Japan üblich ist, seinen Personalüberhang dadurch loswerden, dass er jene Arbeitskräfte, die im eigenen Unternehmen nicht weiter aufsteigen konnten, im Joint Venture unterbrachte. Wenn die Joint Ventures dann durch Übernahme endeten, behielt selbst bei der Übernahme durch den ausländischen Partner das japanische Unternehmen faktisch weiterhin die Kontrolle. Nachdem Japan selbst ein Know-how-Exportland geworden war, entstanden keine neuen Joint Ventures mehr. Aber in der Folge gab es auch nur wenige ausländische Käufe von bestehenden Unternehmen bzw. Übernahmen des Aktienkapitals, denn diese wurden durch die Vernetzung und Verflechtung, die dazu führte, dass die Preise der Aktien hoch gehalten werden konnten, außerordentlich erschwert. Bei Käufen oder Übernahmen mussten überdies auch alle Direktoren des Unternehmens dem Verkauf zustimmen, was nur selten der Fall war. Feindliche Übernahmen wiederum sind unter den Bedingungen der Lebenszeitanstellung der Belegschaft und des Managements nicht ratsam und ein Austausch des Top-Managements ist nicht nur unüblich, sondern wurde auch in der Praxis der Rechtsprechung weitgehend negativ behandelt. Daher sind es nur Unternehmen, die in Schwierigkeiten stecken, bei denen dem Verkauf zugestimmt wird und selbst dann ist es nicht sicher, ob der Käufer auch die Kontrolle im Unternehmen hat. Da die japanischen Unternehmensgruppen ihrerseits Niederlassungen im Ausland errichteten, kam es neben den Auseinandersetzungen um die Handelsbilanz zwischen Japan und den USA auch zu Problemen wegen der faktischen Schließung des japanischen Kapitalmarktes, deren Ursachen vor allem im ‚cross-shareholding’ in Japan gesehen wurden. Im Hinblick auf die Wirtschaft Japans darf man die Rolle der Politik und der staatlichen Bürokratie nicht vergessen, wenngleich sich diese seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs formal auf eine indirekte ‚administrative guidance’ beschränkt. Seit Beginn und bis in die Gegenwart hinein stellt die Wirtschaftsentwicklung Japans eine Angelegenheit von nationalem Interesse dar, die in enger Kooperation zwischen der Großindustrie und dem Staat betrieben wird (vgl. Sheridan 1993). Insbesondere dem MITI, dem japanischen Handelsministerium, kam eine besondere Rolle in der Förderung der japanischen Exportwirtschaft zu. Die Netzwerke in Japan umfassen daher die Beziehungen zwischen Unternehmen, zwischen ihnen und ‚ihren’ Banken und Handelshäusern, aber insbesondere auch die
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Beziehungen zwischen Wirtschaft, Politik und Bürokratie. Da teilweise auch in europäischen Staaten solche kooperativen Beziehungen zwischen Staat und Wirtschaft bestehen, wurde etwa auf Ähnlichkeiten des japanischen Systems mit dem ‚rheinischen Kapitalismus‘ Deutschlands hingewiesen, wobei allerdings auch Unterschiede nicht übersehen werden dürfen (Dore 2000; Streeck und Yamamura 2001; Yamamura und Streeck 2003). Die Studien im Rahmen der neuen Wirtschaftssoziologie (Granovetter 1994) haben den ‚interfirm relations’ auch in den westlichen Industrieländern ihre besondere Aufmerksamkeit zugewendet. Dabei wurde weniger auf die funktionalen und kapitalmäßigen Verflechtungen hingewiesen, sondern die sozialen und persönlichen Netzwerke hervorgehoben. Diese späte ‚Entdeckung’ von Beziehungsaspekten in der Wirtschaft verweist auf den Unterschied zwischen japanischem und westlichem Verständnis, denn in den westlichen Industriestaaten werden sie als Anomalien bzw. ‚tacit understandings’ und nicht explizit als legitime Beziehungen behandelt. Sie müssen erst durch wissenschaftliche Analysen oder journalistische Aufdeckung ins Bewusstsein gebracht werden, weil wirtschaftliches Handeln als solches als rational und unpersönlich verstanden und auf individuelles Nutzen- bzw. Gewinnstreben bezogen wird. In Japan stand hingegen durch die sozioökonomische Entwicklung vorbereitet stets die Stärke der Nation, aber auch der eigenen erweiterten Mitgliedschaftsgruppe, im Vordergrund und in der industriellen Welt war das Unternehmen das wichtigste Instrument dafür. Daher meinen Lincoln und Gerlach: „There is a collective – embedded network – logic to the keiretsu phenomenon that is not reducible to rational optimizing on the part of individual firms.“ (Lincoln und Gerlach 2004: 287). Nicht der Wettbewerb des einzelnen Unternehmens auf dem Markt, sondern die Kooperation innerhalb der Unternehmensgruppe und die Konkurrenz zu anderen Gruppen bestimmt das wirtschaftliche Handeln. Darüber hinaus sind persönliche Beziehungen in Japan normaler Bestandteil auch der wirtschaftlichen Handlungen, sie stellen keine ‚zusätzliche’ Dimension dar, die es erst zu entdecken gilt und die außerhalb der eigentlichen Wirtschaftsbeziehungen verbleiben. Die Interpretationen der japanischen Wirtschaftsweise, die diese als abwechselnd einseitig kulturell oder als ökonomisch rational charakterisierten, gründen in dem abendländischen geistigen Schisma zwischen Kultur und Vernunft und dem reduzierten Verständnis von Rationalität als individuelle ökonomische Rationalität. Die Beziehungen in Japan sind multidimensional und begründen eine langfristig stabile Verbindung, die im Fall der Unternehmensnetzwerke so weit geht, dass nicht das einzelne Unternehmen, sondern die Gruppe oder das Netzwerk der eigentliche wirtschaftliche Akteur ist. Obwohl die einzelnen Firmen formal unabhängig sind, werden sie gerade durch die Multidimensionalität ihrer Beziehungen stark miteinander verbunden. Diese umfasst die funktionalen Aspekte der Kooperation oder Kollusion im Produktions-, Absatz- oder Distributionsbereich, wechselseitige Kapitalverflechtungen, personale Verflechtungen, aber auch persönliche und institutionell-normative Dimensionen, die persönliche Verpflichtungen zu Loyalität und Solidarität und diesbezügliche normative Erwartungen begründen.
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Krise und Stagnation: Die Auswirkungen auf Unternehmen und Arbeitsbeziehungen Solange die Weltwirtschaft noch nicht durch globalisierte Geld- und Kapitalmärkte beherrscht war, erwiesen sich die Charakteristika des japanischen Systems als vorteilhaft für die Wirtschaft, denn sie ermöglichten eine langfristige Wachstumspolitik mit niedriger Rentabilität und auf der Basis beinahe unbegrenzter Kreditressourcen sowie der Förderung durch die Politik. Das wiederum begünstigte die Erhaltung des Beschäftigungssystems und der Insider-Orientierung japanischer Unternehmen, die ihrerseits einen Impuls für Wachstum und Expansion der Unternehmen und Unternehmensgruppen darstellten. Die Merkmale des japanischen Wirtschaftssystems griffen in dieser Phase wie die Zähne eines Zahnrades ineinander und konnten den unvergleichlichen Aufstieg Japans hervorbringen. Doch die Parameter der Weltwirtschaft haben sich seit den 1980er Jahren geändert und bringen das japanische System unter starken Druck, zumal die Wachstumsdynamik durch Krisen und Stagnation ersetzt worden ist.
Restrukturierung und Reformen in der japanischen Wirtschaft Die Hoch-Zeit des japanischen Kapitalismus ging Ende der 1980er Jahre zu Ende. Der erste spektakuläre Einbruch kam durch das Platzen der Blase von 1991, in deren Verlauf immer mehr Unternehmen in Schwierigkeiten gerieten und ihre Kredite nicht zurückzahlen konnten. Die entstehende ‚bad loan crisis’ traf insbesondere die Banken hart, die sich verpflichtet sahen, durch immer neue hohe Kredite an Unternehmen ihrer Gruppe diese vor dem Bankrott zu bewahren. Vielfach wurde das System des ‚relational banking’ daher für die Krise bzw. ihre Verlängerung verantwortlich gemacht, da dadurch ‚zombies’, wie Firmen genannt werden, die eigentlich nicht überlebensfähig sind, im Geschäft gehalten wurden (Ahearne und Shinada 2005). Der Nikkei-Index 1998 sank auf ein Drittel seines Wertes von 1990. Ab etwa 1997 setzte auch der bisher stärkste Impuls in Richtung Restrukturierung und Reform der japanischen Wirtschaft ein, der in gewisser Übertreibung als ‚Big Bang’ bezeichnet wird; er bestand in einigen gesetzlichen Veränderungen, die auf Deregulierung des Kapitals und auf die Aufwertung des Kapitalmarktes als Finanzierungsinstrument der Wirtschaft zielten. Fundamentale rechtliche Reformen waren dazu nicht notwendig, da die rechtlichen Bestimmungen denen im Westen entsprechen. Die Reformen sollten die Umorientierung der Unternehmensführung auf die Aktionärsinteressen hin bewirken. Sie haben über den Kapitalmarkt hinaus Veränderungen in Beschäftigungssystem und in den Beziehungen der Unternehmen zur Folge und stellen die Zukunft des ‚nichtliberalen Kapitalismus’ Japans in Frage (vgl. Aoki et al. 2008; Dore 2000; Hessinger 2004; Yamamura und Streeck 2003). Die bedeutendste Veränderung stellte die Aufhebung des Verbots für Holdinggesellschaften dar, das nach dem Zweiten Weltkrieg Gesetz geworden war. Damit konnte eine neue Entscheidungs- und Koordinierungsebene geschaffen werden, auf der externe Einflüsse und Finanzierungs- und Kapitalmarktstrategien großes Gewicht für die Neuorientierung
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der Corporate Governance der Unternehmen gewinnen können. Die Holdinggesellschaften wirken dem Insider-System entgegen, denn die höchste Ebene der strategischen Entscheidungsfindung kann aus den Unternehmen heraus und auf die Ebene der finanziellen Dachkonstruktion verlagert werden. Sie haben das Potential, die Keiretsu-Netzwerke zu finanziell und strategisch einheitlichen Konstruktionen zu machen und auf Finanzziele hin zu orientieren, was generell die Steuerung durch Finanzkennzahlen verstärkt, aber auch die Möglichkeit von Übernahmen erleichtert. Damit wird die Rolle der Finanzfunktion in den Unternehmen gestärkt; auch können in den Holdings ‚Outsiders’ installiert werden, die nicht in den Unternehmen selbst aufgestiegen sind und daher keine besondere Bindung zu ihrer Stammbelegschaft oder zu bestimmten Zulieferern oder Kunden haben. Eine andere rechtliche Veränderung betrifft die Erleichterung von Klagen von Seiten der Aktionäre wegen Missmanagement, was die Aktionärskontrolle der Unternehmensführung potentiell verstärkt. Die Zahl der seitdem getätigten Klagen war allerdings noch gering. Eingeführt wurden auch ‚stock options’ als Zahlungsform für die Direktoren der Unternehmen und die Umgestaltung der Unternehmensführung durch Ernennung von externen Direktoren sowie die Einrichtung von ‚audit committees’ nach US-Muster. Zahlreiche Unternehmen machten von der Möglichkeit der Einsetzung externer Board Direktoren Gebrauch; diese kamen dann allerdings vielfach von der Hausbank oder von Unternehmen derselben Keiretsu-Gruppe. Voraussagen, wie sich das japanische System verändern wird, sind schwierig, weil diese Regelungen in Japan keine zwingenden Normen darstellen, sondern Wahlmöglichkeiten schaffen, die es daher den Unternehmen freistellen, ob sie davon Gebrauch machen wollen oder nicht. Manche Unternehmen hatten eine Restrukturierung durchgeführt, aber dabei handelte es sich meist um jene Unternehmen, die sich schon seit langem auf die westliche Art ‚modernisiert’ hatten wie Toshiba, Tokyo Electric, Hitachi, Toyota oder auch Sony, das die erste japanische Firma war, die an der New York Stock Exchange notiert ist, sowie der Autobauer Nissan, der durch die Fusion mit Renault eine externe Unternehmensführung erhielt. Festzustellen ist, dass die Rhetorik der Kapitalrentabilität und des ‚shareholder value’ fester Bestandteil der ‚Mission Statements’ vieler japanischer Unternehmen geworden ist. Aber wenngleich sich die Unternehmen für die Restrukturierung und Reform aussprechen, so ist doch nicht klar, ob es sich dabei um Rhetorik oder um tatsächliche Veränderungen handelt, zumal schon die Ankündigung der Restrukturierung die Aktienkurse vieler Unternehmen steigen lässt. Die typischen Merkmale des ‚cross shareholding’ und der Finanzierung über Bankkredite statt über den Kapitalmarkt werden jedenfalls durch diese Entwicklungen negativ beeinflusst, da die neue Rhetorik früher oder später zu einer tatsächlichen Umorientierung der Werte und Sichtweisen führt. Maßnahmen wie die Einführung der Verbuchung von Vermögenswerten zu Marktpreisen und die Beschränkung der Höhe des Aktienanteils, den Banken an Unternehmen halten können, führten zu einer Flut von Verkäufen von ‚cross-sharing’-Anteilen. Die Umstellung auf Marktpreise verleiht der Bedeutung von Kursentwicklungen darüber hinaus größeres Gewicht, was die Neigung zu stabilen Beteiligungsverhältnissen reduziert und den Grad der finanziellen Vernetzung auch tatsächlich rasch sinken ließ (Araki 2005). Insbesondere hatte dies aber auch negative Auswirkungen auf das Verhältnis von Vermögen zu ausstehenden Krediten der Banken, da deren ‚assets’ nun einen weit geringeren Wert reprä-
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sentierten. Die Rückkäufe von Aktien durch die Unternehmen, die dadurch erleichtert wurden, wirkten sich überdies auf die Kreditrückzahlungen an die Banken oft negativ aus. Die Aufhebung des Holding-Verbots hatte das rasche Eindringen ausländischer Investoren zur Folge, insbesondere im Bereich der Finanzinstitutionen, die durch die ‚bad loan crisis’ in Schwierigkeiten geraten waren. So etwa übernahm Merrill Lynch den Großteil von Yamaichi Securities und amerikanische Investoren beteiligten sich an der Re-Privatisierung der ehemaligen Long-Term Credit Bank (nunmehr Shinsei Bank), die zunächst verstaatlicht worden war, um ihren Bankrott zu verhindern (Tett 2004). Japanische Unternehmensgruppen etablierten Holdinggesellschaften als Dach über neue Finanzkonstruktionen, wie sie etwa durch die Fusion der Industrial Bank of Japan mit anderen Banken entstanden ist. Industrieunternehmen sahen sich gezwungen, sich von ineffizienten Töchtern oder Zulieferern zu trennen, Produktionsstätten vermehrt ins Ausland zu transferieren und/oder ausländische Kapitalbeteiligungen zu akzeptieren. Generell stieg daher der Anteil ausländischer Investitionen innerhalb relativ kurzer Zeit auf das Drei- bis Vierfache, teilweise durch Beteiligungen, – so etwa wurden amerikanische und britische Pensionsfonds große Aktionäre von japanischen Firmen -, teilweise durch Niederlassungen ausländischer Firmen in Japan. Die ausländischen Investoren neigen dazu, ihre Beteiligungen je nach der Kurs- und Dividendenentwicklung auch wieder rasch abzustoßen und unterminieren damit das System des stabilen ‚cross-shareholding’ noch weiter. Darüber hinaus zwingen sie die Unternehmen, auf die Dividenden- und Kursentwicklung zu achten und sich daher verstärkt an Finanzkennzahlen zu orientieren. Über die Höhe bzw. das Ausmaß ausländischer Beteiligungen und ausländischer Niederlassungen hinaus, kommt es dadurch auch zu qualitativen Veränderungen in den Wirtschaftspraktiken, den Beziehungen zwischen den Firmen und dem System der Beschäftigung. Auch wenn sich ausländische Firmen ihrerseits an die japanischen Bedingungen anpassen müssen, bringen sie doch neue Prinzipien und Wertvorstellungen in die japanische Wirtschaft ein, die allmählich auch in ihre Umgebung diffundieren. Ebenso wirken die Erfahrungen der ausländischen Niederlassungen japanischer Unternehmen zurück auf die Sicht der Dinge in Japan.
Veränderungen in Arbeitsmarkt, Beschäftigungssystem und Arbeitsbeziehungen Die Veränderungen der Wirtschaft erzwingen auch eine Reform des Arbeitsmarktes und des Beschäftigungssystems. Die Regierung setzte insbesondere zwischen 2001 und 2006 unter Premierminister Koizumi starke Akzente in Richtung auf die Stärkung des externen Arbeitsmarktes. Dies erfolgte in enger Übereinstimmung mit den US-Interessen an der Steigerung ihrer Investitionen in Japan. Von der Erhöhung der Arbeitskräftemobilität erwartete man sich einen positiven Impuls für Foreign Direct Investments. Durch die Festlegung von Standards und Kriterien für die Kündigung sollen die Beschäftigungsverhältnisse klarer geregelt werden; durch die Einrichtung von ‚pension plans’ nach dem Muster der USA soll die Mobilität der Arbeitskräfte gefördert werden. Diese Maßnahmen zielen auf die Abschaffung der durch die Lebenszeitanstellung und den internen Arbeitsmarkt geschaffenen starken Insider-Orientierung, die als Hindernis für ausländische Direktinvestitionen gesehen wird. Diesbezüglich gibt es allerdings eine Differenz zwischen Regierung und den Arbeit-
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geberverbänden, da die letzteren den Wert der Lebenszeitanstellung hervorheben. Insbesondere Nikkeiren empfiehlt nicht die Abschaffung des Systems der Langzeitanstellung, sondern eine größere Diversität im ‚employment portfolio’ sowie die Einführung von leistungs- und erfolgsabhängigen Human Resource Prinzipien (vgl. Fujii et al. 2006). Die meisten Unternehmen in Japan sind nach eigenen Angaben von dem reinen Senioritätslohnsystem zu einem leistungs- und erfolgsorientierten Lohn- und Aufstiegssystem (‚Seikashugi‘) übergegangen. Was das in der Realität bedeutet, ist allerdings nicht klar, denn es besteht große Unsicherheit hinsichtlich der objektiven Beurteilung individueller Leistung bzw. der Zurechnung von Erfolgsanteilen. Da auch unter dem bisherigen System ‚allgemeine Befähigung’ für Aufstieg und Zulagen festgestellt wurden, ist zu vermuten, dass der Übergang zum Sekashugi-System nur in einer Abflachung des Anstiegs der Lebenslohnkurve resultiert. Dieser Wandel des Lohnsystems, so meint Abe (2007), erfolgte jedoch nicht so sehr, um die Arbeitskosten zu senken, vielmehr waren dafür die technologischen Veränderungen der Arbeit, die die ‚allgemeine Befähigung’ auf Grund von Erfahrung und Intuition zugunsten sachlicher Kriterien zurücktreten ließen und die neuen Corporate GovernancePrinzipien verantwortlich; daher ging der Übergang zu Leistungs- und Erfolgskriterien in Unternehmen mit hohem ausländischem Aktienanteil schneller und gründlicher vonstatten. Die Diversität in den Anstellungsverhältnissen ist seit jeher ein Charakteristikum Japans gewesen, da neben den regulären Arbeitnehmern immer auch nicht-reguläre Arbeitnehmer beschäftigt wurden. Die Veränderungen betreffen daher das Ausmaß der atypisch Beschäftigten und die Beachtung, die sie erfahren. Ihre Zahl ist auch unter den qualifizierten Arbeitskräften in den letzten Jahren stark angestiegen. Die kurzfristig Beschäftigten unter 35 Jahren betrugen laut Labor Force Survey 2007 ein Viertel aller Beschäftigten, ihr Anteil war mit knapp 42 % unter den Arbeitnehmerinnen besonders hoch (vgl. JILPT 2008). In vielen Unternehmen nimmt die Praxis des Abschlusses individueller Arbeitsverträge zu; durch den ‚Labor Contract Act’ von 2007 wurde dafür auch eine privatrechtliche Grundlage geschaffen. Die Zahl der atypisch oder nicht-regulär Beschäftigten stieg so massiv an, dass sie allmählich von einer ‚peripheren Gruppe’ (vgl. Chalmers 1989) zum ‚Mainstream’ werden (Honda 2007). Laut Labor Force Survey 2007 verteilt sich die Beschäftigung zu 66,5% auf regulär Beschäftigte und zu 33,5% auf nicht-regulär Beschäftigte (JILPT 2008), wobei allerdings zu vermuten ist, dass der Anteil der regulär Beschäftigten in den Umfragen oft zu hoch angegeben wird, weil auch Teilzeitarbeitnehmer und andere Beschäftigte, die zu den Stichtagen im Unternehmen arbeiten, als ‚regulär’ angeführt werden (Chalmers 1989: 18 f). Die nicht-regulär Beschäftigten arbeiten im Rahmen einer großen Vielfalt unterschiedlicher Arbeitsformen von mehr oder weniger kurzfristigen Vertragsbeschäftigten über die sehr diffuse Kategorie der Teilzeitarbeitnehmer bis zu Leih- und Transferarbeitnehmern (Iwata 2004). Zu den atypisch Beschäftigten zählen auch die Taglöhner und Heimarbeiter sowie die Arbeitnehmer bzw. die mithelfenden Angehörigen in den Klein- und Kleinstbetrieben, die es noch immer in großer Zahl gibt, wenngleich die Zahl der Selbständigen in Japan seit den 1990er Jahren drastisch gesunken ist (Whittaker 1999: 213). Sie alle hatten nie die Sicherheit in Bezug auf Arbeitsplatz und Einkommen wie die regulären Beschäftigten, ihre Löhne waren sehr viel niedriger und sie erhielten auch nicht die Zusatzleistungen, die die Großbetriebe ihrer Stammbelegschaft bieten. Die überwiegende Zahl der Teilzeitarbeitenden sind
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Frauen (ihr Anteil betrug lt. OECD für 2006 knapp unter 70%, s. JILPT 2008), deren Situation in der japanischen Arbeitswelt immer eine schwierige war. In den Großbetrieben wurden sie zwar auch als reguläre Arbeitnehmerinnen eingestellt, waren aber von den Karrierewegen weitgehend ausgeschlossen. Nur wenigen Frauen gelang der Aufstieg in höhere Positionen und das lange Zeit nur in der öffentlichen Verwaltung. Bemerkenswert ist auch, dass es in Japan ausländische Arbeitskräfte noch immer nur in relativ geringem Ausmaß gibt; sie sind insbesondere nicht unter den regulär-permanenten Arbeitnehmern zu finden. Zwischen ihnen bestehen große Unterschiede der Beschäftigungsbedingungen und des Ansehens, insbesondere zwischen jenen, die aus den westlichen Industriestaaten und jenen, die aus den umliegenden asiatischen Ländern kommen. Zu letzteren, die ein niedriges Ansehen und oft auch schlechte Arbeits- und Lebensbedingungen haben, zählen traditionell die Koreaner und Chinesen und in jüngerer Zeit die illegalen Arbeiter aus Südostasien (Lie 1997). Eine besondere Gruppe stellen auch die Auslandsjapaner dar, die ursprünglich nach Brasilien ausgewandert waren und dann wieder als Gastarbeiter nach Japan, etwa nach ToyotaCity, kamen. Darüber hinaus haben die Minoritäten der Ainu, der Ureinwohner von Hokkaido, und der Burakumin, der Nachkommen der ‚Outcasts‘ der Feudalgesellschaft, besonders schwierige Bedingungen (Sugimoto 1997: 169 ff). Obwohl die japanische Gesellschaft als homogen gilt, ist dies auf das Majoritätsvolk beschränkt und zeigt sonst kastenähnliche Residualstrukturen. Die Arbeitslosigkeit ist unter den Gruppen der atypisch Beschäftigten hoch; in der letzten Zeit hat darüber hinaus das Phänomen der ‚freeters’ einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Darunter versteht man vornehmlich junge Menschen, die freiwillig oder unfreiwillig auf Gelegenheitsbasis oder Teilzeitbasis (‚arubeito’) arbeiten. Ihre Zahl ist merklich angestiegen und besteht teilweise aus Schulabsolventen, die auf Grund der restriktiven Einstellungspraxis der Großbetriebe nicht als Anwärter auf reguläre Beschäftigung zum Zug kamen. Die Praxis der Großbetriebe war es ja, jedes Jahr einen Schub neuer Schul- bzw. Universitätsabsolventen aufzunehmen; in der Krise jedoch stellten viele Unternehmen diese Praxis für manche Jahre vollkommen ein oder reduzierten die Zahl der Neuaufnahmen. Auffallend ist jedoch, dass viele junge Menschen eine reguläre Beschäftigung gar nicht mehr anstreben, weil sie ihr Leben nicht in den Dienst einer Firma stellen, sondern es selbst bestimmen wollen (vgl. Kosugi 2004). Dafür nehmen sie auch intermittierende Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigungssituationen in Kauf. Daneben wächst jedoch auch die Zahl derer, die sich entmutigt überhaupt aus dem Arbeitsmarkt zurückziehen. Laut Labor Force Survey betrug die Arbeitslosenrate zwischen 2002 und 2004 unter 15-24jährigen Männern an die 11 % p.a., während die generelle Rate für alle Beschäftigten um 5% lag. 2007 sank die Rate für die jungen Männer dann auf 7,7%, die allgemeine Arbeitslosigkeit auf 3,8% (JILPT 2008). Die regulär-permanenten Arbeitnehmer der Großunternehmen stellen noch immer eine privilegierte Gruppe dar, was Arbeitsplatzsicherheit, Einkommen, Karriere und Wohlfahrtsleistungen betrifft. Aber auch sie geraten in der Krise unter Druck, was sich in der Intensivierung der Arbeitsbelastung, in der Verlängerung ihrer ohnehin langen effektiven Arbeitszeiten und in der Verschärfung der innerbetrieblichen Konkurrenz manifestiert (vgl. Nakashima 2009). Große Beachtung hat daher das Phänomen des ‚Karoshi’, des Todes durch Überarbeitung, gefunden. Auch die Beschäftigungssicherheit durch die Lebenszeitanstellung nimmt ab, denn in der wirtschaftlichen Rezession werden auch Kündigungen von
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regulär-permanenten Arbeitnehmern sozial akzeptabel, was die Lockerung der diesbezüglichen Rechtsprechungspraxis bei Arbeitskonflikten belegt. Diese Veränderungen auf dem Sektor der Beschäftigung zusammen mit dem Druck, die Corporate Governance-Orientierung an den Aktionärsinteressen auszurichten und sich ausländischen Beteiligungen zu stellen, beeinflussen auch die Arbeitsbeziehungen. Das wichtigste Problem stellt dabei die Praxis der Unternehmensgewerkschaften, nur reguläre Arbeitnehmer als Mitglieder aufzunehmen und zu vertreten, dar. Obwohl die atypisch Beschäftigten und die Vertragsbeschäftigten an Zahl und Bedeutung in den Unternehmen zunehmen, sind sie von der Gewerkschaftsmitgliedschaft ausgeschlossen. Die Legitimität der Unternehmensgewerkschaft als Repräsentantin der Insider-Orientierung japanischer Unternehmen und als Interessenvertretung der Privilegierten wird zunehmend hinterfragt (Hanami 2004). Die atypisch bzw. nicht-regulär Beschäftigten sind laut dem Basic Survey on Labor Unions 2007 nur zu 4,8% gewerkschaftlich organisiert und ihr Anteil an allen Gewerkschaftsmitgliedern beträgt 5,9% (JILPT 2008). Da sie nicht in Unternehmensgewerkschaften organisiert sind, beziehen sich diese Werte auf die Mitgliedschaft in den horizontalen Verbänden, deren wirtschaftlicher Einfluss aber äußerst gering ist. Gleichwohl zeigen Befragungen, dass gerade diese Gruppen die Gewerkschaftsmitgliedschaft für wichtig und notwendig halten (vgl. Araki 2005). Einen ersten Schritt zur Einebnung der Unterschiede der Interessenvertretung zwischen regulären und nicht-regulären Arbeitnehmern stellte die durch die Revision des ‚Labor Standards Law’ von 1998 geschaffene Möglichkeit der Einführung von Ausschüssen aller Arbeitnehmer und des Managements dar (nicht zu verwechseln mit den ‚joint consultation committees’, deren Mitglieder nur reguläre Arbeitnehmer sind), die aber nur sehr beschränkte Agenden haben. Überdies trägt die Freiwilligkeit in Bezug auf die Implementierung nicht dazu bei, dass sich diese Einrichtung in einer wesentlichen Veränderung der Interessenvertretung niederschlagen kann. Es ist daher kaum verwunderlich, dass die Gewerkschaften einen starken Rückgang der Mitgliederzahlen und des Organisationsgrades verzeichnen; letzterer sank von 30,8% im Jahr 1980 auf 18,1% im Jahr 2007 (JILPT 2008), wobei der Abwärtstrend besonders in den 1990er Jahren stark war. Folgen des Niedergangs der Gewerkschaften waren zum einen die Aufhebung der jährlichen Shunto-Offensive, des konzertierten Frühjahrsauftakts zu den Kollektivverhandlungen, in den 1990er Jahren, sowie die vielfachen Spaltungen auf Industrie- und Dachverbandsebene in den letzten Jahren (vgl. Koshiro 2000; Nakamura 2007).
Ausblick auf die Zukunft des japanischen Kapitalismus: Der Weg ist das Ziel Die Veränderungen in der Wirtschafts- und Arbeitswelt seit den späten 1980er Jahren haben den japanischen ‚Wohlfahrtskapitalismus’ (Dore 2000) in Bedrängnis gebracht. Die Zeit seither ist charakterisiert durch „an unfinished period of institutional change“ (Aoki 2008: 427), so dass es vielleicht zutreffender ist, vom Weg zu sprechen, der selbst das Ziel darstellt. Einschätzungen, wohin dieser Weg führen wird, sind hingegen schwierig. Ausgelöst wurde der Prozess der Veränderung jedenfalls nicht durch die Probleme in der Organisati-
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on und Verwendung des Faktors Arbeit, sondern durch die Veränderungen auf der Kapitalseite, die die Ziele der Geschäftspolitik und der Finanzierung beeinflussen. Dies setzt die japanischen Unternehmen unter einen starken Druck in Richtung Kapitalmarktorientierung und ‚shareholder value’-Prinzip, was einen Wandel in der Konstitution und im Verständnis der japanischen Unternehmen und damit auch der Arbeitsbeziehungen zur Folge hat. Wieweit es allerdings zu einer grundlegenden Transformation der Corporate Governance und der Finanzierungsstrategien der Unternehmen sowie zu einer Veränderung der typischen Merkmale des Beschäftigungs- und Human Relations-Systems kommt, ist unklar und hängt von widersprüchlichen Tendenzen ab. Auch in Japan wirkt der Druck von Seiten der Weltmärkte in Richtung auf Anpassung an die Erfordernisse der Globalisierung und des Finanzmarktkapitalismus. Auf der anderen Seite gibt es sowohl Wertvorstellungen als auch Interessen, die auf eine Erhaltung der Strukturen gerichtet sind. Die widersprüchlichen Tendenzen innerhalb Japans spiegeln sich in so manchen Prozessen des Übergangs, die durch die krisenhaften Erscheinungen seit 1991 ausgelöst wurden. Ein Fallbeispiel dafür ist die Untersuchung Gillian Tetts über das Schicksal der Long-Term Credit Bank und ihrer Top-Manager, die nach einer mehr den japanischen Empfindungen entsprechenden Lösung gesucht hatten und gescheitert waren, und der neuen Konstruktion der Shinsei-Bank mit Hilfe ausländischer Investoren und einer Führung, die an Marktprinzipien orientiert ist (Tett 2004). Die Meinungen über den Transformations- und Reformprozess der japanischen Wirtschaft gehen in Japan und im Ausland vielfach weit auseinander: Die einen sehen keine große faktische Änderung der Unternehmensstrukturen und -praktiken und verstehen die Maßnahmen eher als Signale, um der Kritik von Seiten der USA zu begegnen; andere kritisieren, dass die Reformen für eine wirkliche Veränderung zu wenig weit gingen. Wieder andere stellen doch eine tief greifende Veränderung in Richtung auf eine Angleichung an die Verhältnisse in den USA fest. Dabei spielen auch die Welt- und Wertanschauungen der Kommentatoren selbst eine große Rolle. Jene, die wie Morishima einem Marktmodell nach US-Vorbild den Vorzug geben, kritisieren etwa die führende Rolle der staatlichen Bürokratie und Politik in der Wirtschaft und die Verfilzung zwischen den Interessen der Geschäftsleute, den Machtinteressen der Bureaukraten und der Politiker als wesentliches Hindernis für die Umwandlung von einem ‚Kapitalismus von oben’ zu einem ‚Kapitalismus von unten’ (Morishima 2000: 212 ff). Morishima schätzt daher die Wahrscheinlichkeit, dass Japan einen Geist des Markt-Kapitalismus hervorbringen kann, der die Krise nicht nur der Wirtschaft, sondern auch der Gesellschaft und Kultur überwinden kann, pessimistisch ein; an Schumpeter erinnert seine Aussage: „…the spiritual foundations of those secular work ethics that motivate workers, capitalists, and entrepreneurs for neoclassical competition have been eroded“ (Morishima 2000: 237). Von einer kritischen Sicht der Prozesse der ‚marketization and financialization’ ausgehend bewertet Dore hingegen die Corporate Governance der ‚employee-favouring firm’ positiv als begründet in Japans ‚decent quality of life virtues’, die nicht einfach verschwinden werden (Dore 2000: 239). Ähnlich meinen auch Lincoln und Gerlach: „The process of restructuring has proceeded down pathways well-carved by Japan’s distinctive historical and institutional legacies“ (Lincoln und Gerlach 2004: 297). Auch in Japan selbst sind die Einschätzungen widersprüchlich und reflektieren das Schwanken zwischen dem Bewusstsein der kulturellen Eigenart einerseits und dem Wunsch, sich in der modernen westlich geprägten Welt zu behaupten andererseits. Das hat
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eine hohe Sensibilität für die Meinungen der Welt, vor allem der USA, begründet. Die Beziehungen zu den USA spielen für die Entscheidungen, die in Japan getroffen werden, eine große Rolle, was von den Politikern auch instrumentell eingesetzt wird, wie Taira feststellt: „Foreign pressures have become a domestic policy instrument in Japan providing excuses and support for actions that otherwise would be difficult to enforce due to opposition from domestic vested interests.“ (Taira 1999: 284). Diese starke Ausrichtung auf den Westen muss insbesondere angesichts des Aufstiegs Chinas überdacht werden. Japan gilt auf Grund seiner Wirtschaftsentwicklung und seiner engen, wenn auch nicht konfliktfreien Beziehung zu den USA als Mitglied der westlichen Welt; geographisch und kulturell steht es trotz der problematischen historischen Rolle Japans jedoch China, Südkorea und den südostasiatischen Staaten näher, weshalb Tominaga meint: „It is necessary for Japan to take a balanced position between these two worlds“ (Tominaga 2005: 377). Der Wandel in der japanischen Unternehmensführung und den Arbeitsbeziehungen hängt daher von einer Vielzahl von Faktoren ab, zunächst davon, wie lang die japanische Wirtschaft in der Rezession und Stagnation verbleibt und was das für die Menschen und für das politische System in Japan bedeutet. Die seit den 1990er Jahren entstandenen Veränderungen sind jedenfalls unumkehrbar und manifestieren sich in Form von zwei miteinander verknüpften Trends: einer wachsenden Diversität der Beschäftigungsformen und der Entstehung ‚hybrider’ Formen der Unternehmensführung, die einen Übergang zu einem Modell andeuten, das stärkere externe Kontrollen der Unternehmen mit bestehenden internen Beziehungen verbindet (Aoki 2008: 439 f; Jackson und Miyajima 2008: 32). Der Weg, den Japan gehen wird, wird jedoch nicht nur durch die ökonomischen Probleme, die Meinungen der Welt und die politischen Konstellationen bestimmt, sondern auch davon, inwieweit es zu einer Veränderung der Wertvorstellungen in der japanischen Bevölkerung im Wechsel der Generationen gekommen ist und welche neuen Werte sich entwickeln (vgl. Smola 2010). Den regulären Arbeitnehmern der Großunternehmen wurde bisher eine besondere Einstellung zur Arbeit und zu ihrem Unternehmen nachgesagt. Das Leben war auf das Wohlergehen der Firma ausgerichtet und alles andere wurde diesem untergeordnet. Während für viele ältere Arbeitnehmer diese Werte noch immer Geltung haben, zeigt sich bei den Jüngeren eine individualistische und rational-sachliche Orientierung. Sie wollen ihr Leben selbst bestimmen und sind dafür auch zu höherer Mobilität bereit. Die Abstimmung von Arbeit und Leben und die Zuwendung zu anderen Beziehungen und Gemeinschaften außerhalb des Unternehmens werden wichtiger. Umfragen lassen daher eine Abkehr von den Werthaltungen erkennen, die die hohe Arbeitsmoral und Loyalität zu Unternehmen und Nation im Laufe des wirtschaftlichen Aufstiegs Japans begründet hatten. Das muss jedoch nicht zur Selbstzerstörung des japanischen Kapitalismus führen, sondern kann auch in einer stärkeren Tendenz zu individueller Lebensbestimmung, Harmonisierung der Work-Life-Balance und Revitalisierung der lokalen Nachbarschaftsgemeinschaften bestehen (Furutake 1989: 216 ff; Okutsu 2007). Berücksichtigt man dabei noch die starke Überalterung der japanischen Gesellschaft, so erscheint das modische Schlagwort von Japan als ‚lifestyle superpower’ auf der Basis eines ‚high-income steady state’ nicht so abwegig (Taira 1999: 280f). Das setzt allerdings auch eine Umorientierung der staatlichen und regionalen Politik in Bezug auf Wirtschaftswachstum, Wettbewerbsfähigkeit sowie in Bezug auf die Berufsausbildung und die Beschäftigung voraus (Fürstenberg und Ruttkowski 1997). Die
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derzeitige Situation erfordert jedenfalls Maßnahmen zur Stärkung der beruflichen Ausbildung außerhalb der Unternehmen, zur regionalen Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Reduktion der großen Unterschiede zwischen den regulären Arbeitnehmern und den nichtregulären bzw. atypischen Arbeitskräften. Das Human Resource Management japanischer Unternehmen und die internen Interessenvertretungen müssen auf die Gruppe der nichtregulären Arbeitnehmer ausgedehnt werden, wobei es allerdings nicht darum gehen darf, die Arbeitsbeziehungen auf ein reines Markt- und Vertragsmodell nach US-Muster umzustellen. Bedeutung kommt auch dem Überdenken der Rolle der Unternehmen in der Gesellschaft zu. Die Thematiken der Corporate Social Responsibility und der Corporate Civil Responsibility sind in Japan kaum verbreitet, was auf der Tatsache beruht, dass Wachstum durch Unternehmens(gruppen)erfolg absolute Priorität hatte. Doch gerade das hohe Ansehen der Unternehmen und ihre große Bedeutung in Japan sowie die Netzwerkbeziehungen zwischen den Unternehmen stellen eine gute Grundlage dar, um eine neue Balance zwischen den Bedürfnissen der Menschen, den Bedingungen der natürlichen Umwelt und den wirtschaftlichen Zielen zu finden.
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Die Diffusion von Unternehmens- und Managementkonzepten als Aspekt der Globalisierung∗
7 Die Diffusion von Unternehmens- und Managementkonzepten
Einleitung In den letzten Jahrzehnten haben sich die Beziehungen von Unternehmen, Markt und Staat im Zuge des Prozesses, der als ‚Globalisierung‘ bezeichnet wird, stark gewandelt. Da Wirtschaftsunternehmen im Zentrum des Prozesses der Globalisierung stehen, sind sie die ersten, die sich verändern. Form, Struktur und Handeln der Unternehmen haben sich zwar seit der Frühphase der Industrialisierung bis in die Gegenwart immer wieder geändert. Seit einigen Jahrzehnten ist der Wandel jedoch so tiefgreifend und rasch, dass man geradezu von einer Neuerfindung dieser sozialen Institution der Unternehmung sprechen kann. Die Ausrichtung der Unternehmen auf die globalen Märkte hat auch die Frage aufgeworfen, ob es zu einer weltweiten Homogenisierung der Geschäftspraktiken, Managementstile und Unternehmenskonzeptionen kommt. Angesichts der in der Gegenwart beobachtbaren ‚Erfindung‘ immer neuer Konzepte, Praktiken und Prinzipien, nach denen Unternehmen geführt und Arbeit organisiert werden soll und ihrer weltweiten Verbreitung durch verschiedene Kanäle und Prozesse liegt die Annahme nahe, dass sich ein global einheitliches Verständnis darüber, wie Unternehmen funktionieren sollen, entwickelt. Demgegenüber haben vergleichende Untersuchungen persistierende Unterschiede in Wirtschaftssystemen und hinsichtlich der Rolle und Funktion der Unternehmen in ihnen festgestellt. So meinte etwa Neil Fligstein: „industrial organization reflects the unique experiences of national economies“ (Fligstein 1990: 312). Auch der globale Wettbewerb und die Globalisierung der Produktion führten seiner Meinung nach selbst in den entwickelten kapitalistischen Ländern nicht zur Konvergenz der Unternehmensformen auf Grund der differenzierenden Wirkung nationaler Regelsysteme. Ähnliche Ergebnisse erbrachten vergleichende Studien von Wirtschaftssystemen; die bekanntesten und einflussreichsten Untersuchungen orientierten sich an dem sog. „varieties of capitalism“-Ansatz (Hall und Soskice 2001). Dabei wurden liberale Marktwirtschaften und koordinierte Marktwirtschaften unterschieden, was zeigen soll, dass sich zwar die marktwirtschaftlichen Prinzipien allgemein durchgesetzt haben, aber die institutionellkulturellen Strukturen des Kapitalismus dennoch für Unterschiede sorgen. Forschungen im Rahmen der Regulationstheorie gelangten zu einem anderen Ergebnis, denn sie unterschieden zwischen marktorientierten, meso-korporatistischen, sozialdemokratischen und staatlich gelenkten Wirtschaftssystemen (vgl. Boyer 2005). Eine gewissermaßen mittlere Ebene decken die Untersuchungen über „business systems“ ab, die sich auf die rechtlichen, sozial-
∗ Dieses Kapitel ist die vollständig überarbeitete Fassung des gleichnamigen Beitrags erschienen in: Mayrhofer, Wolfgang und Alexander Iellatchitch (Hg.): Globalisierung und Diffusion. Frankfurt a.M., London 2005: IKO-Verlag für Interkulturelle Kommunikation, 7-58.
G. Mikl-Horke, Historische Soziologie – Sozioökonomie – Wirtschaftssoziologie, DOI 10.1007/978-3-531-92798-5_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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politischen sowie branchenstrukturellen Aspekte stützen und auf deren Grundlage zu Befunden einer divergenten Entwicklung gelangen (Whitley 1994; Whitley 2000). Die ‚Einbettung’ der wirtschaftlichen Prozesse in die institutionellen Strukturen wurde in einer Reihe von Studien hervorgehoben (Hollingsworth und Boyer 1997, Orrù und Biggart und Hamilton 1997). Dementsprechend weisen Unternehmungen in anderen Kulturen außerhalb der europäisch-amerikanischen Welt nach wie vor spezifische Merkmale auf; vielfach haben sie Züge von Familienunternehmen bewahrt, selbst wenn sie zu weltweit agierenden Großunternehmen geworden sind (z.B. die südkoreanischen „chaebol“ oder die chinesischen Unternehmen in Südostasien). Sie operieren häufig auf der Basis von informellen kooperativen Bindungen mit anderen Firmen, mit Banken oder Handelsunternehmen (z.B. die japanischen „keiretsu“). Das hat die Aufmerksamkeit auf die kulturellen Unterschiede gelenkt und auf eine Persistenz unterschiedlicher Wirtschaftskulturen hingewiesen (Berger und Huntington 2002). Die Diskurse um die Wirkungen der Globalisierung auf Kapitalismus und Unternehmen schwanken zwischen der Betonung kulturspezifischer Aspekte, der Hervorhebung der Einbettung in institutionell-politische Strukturen und der Angleichung der Systeme, Prinzipien und Praktiken zumindest im Bereich der „global players“. Letzteres spricht Fligstein an, indem er sich auf die weltweite Ausbreitung des „shareholder value“-Prinzips, das zu einer Ideologie der neoliberalen Globalisierung geworden sei, bezieht (Fligstein 2001: 168). Neil Fligstein (1990: 295) sieht das Handeln von Unternehmungen bestimmt durch die Kontrollkonzeption des Top Managements, die Existenz eines organisatorischen Feldes und durch ein politisches System, das die Rechtmäßigkeit der Aktivitäten in diesem Feld nicht in Frage stellt. Er untersuchte die Unternehmensstrategien der großen US-amerikanischen Firmen und stellte fest, dass es im Verlauf der Entwicklung des amerikanischen Kapitalismus zu einer Abfolge unterschiedlicher „conceptions of control“ gekommen ist: Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorherrschende Strategie, die sich primär auf die industrielle Produktion konzentrierte, wich nach der Großen Depression einer Absatz- und Marketingstrategie und diese wurde seit den 1960er Jahren durch eine Finanzstrategie abgelöst. Eine entscheidende neue Phase im Wandel der Kontrollkonzeptionen setzte dann in den 1980er Jahren ein mit dem Übergang zum „shareholder value“-Prinzip. Auf Grund der Dominanz der US-amerikanischen Unternehmen in der Weltwirtschaft sieht Fligstein einen wachsenden Einfluss ihrer Prinzipien und Strategien auf den Globalisierungsprozess als solchen und auf die Unternehmenskonzeptionen in anderen Ländern und Weltgegenden (Fligstein 2001). Dieser Einfluss wird durch die wirtschaftliche und politische Macht gestützt, verbreitet sich aber vor allem durch die Diffusion von Konzepten, Modellen und Theorien, die ihren Ursprung in den USA bzw. im Westen haben. Der gegenwärtige Wandel der Unternehmen ist ein vielschichtiges Problem, da sich einerseits Ideen und Prinzipien verbreiten, andererseits aber das Handeln weitgehend in den unterschiedlichen politischen Strukturen, Institutionen und Traditionen ‚eingebettet’ bleibt. Die folgenden Ausführungen beziehen sich ausschließlich auf die Ebene der Verbreitung von Prinzipien des Managements und schlagen dafür eine erweiterte Konzeption der Diffusionstheorie vor, welche die Akteure der Diffusion, ihre Interessen und die Netzwerke, die sie bilden, berücksichtigt.
7 Die Diffusion von Unternehmens- und Managementkonzepten
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Diffusion, Innovation und sozialer Wandel Die Sozialwissenschaften haben traditionell ein Problem mit der Erklärung von Prozessen des Wandels. Die meisten Modelle und Theorien beziehen sich daher auf Strukturen von Ordnungen, und Veränderungen werden durch den intertemporalen Vergleich von Strukturen zu erfassen gesucht. Diese Konzentration auf Probleme der Ordnung war einer Situation angemessen, in der die Prinzipien, auf denen Wirtschaft und Gesellschaft beruhten, langfristig oder zumindest über eine Generation hinweg als konstant angenommen werden konnten. Die Schnelligkeit, mit der neue Ideen, Praktiken, Techniken übernommen werden, lässt den Übergang von einer Perspektive, die auf Strukturen und Ordnungen gerichtet ist, hin zu einer, die die Veränderungsprozesse selbst zu erfassen sucht, dringend geboten erscheinen (vgl. Hallinan 2000). Dabei kommt den Diffusionsprozessen von Ideen, Techniken und Gütern große Bedeutung zu. Der Terminus „Diffusion“ stammt aus den Naturwissenschaften und bezeichnet die Ausbreitung von Teilchen in Flüssigkeiten, Gasen und Festkörpern als Resultat von spontanen Bewegungen oder der Reflexion bzw. Transmission von Licht. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Begriff im Zusammenhang mit der Kontroverse über die Kulturentwicklung der Völker bekannt und bezeichnete den Standpunkt der Diffusionisten gegenüber den Evolutionisten. Während letztere eine eigenständige Entwicklung der verschiedenen Kulturen annahm, sahen die Diffusionisten die Verbreitung kultureller Neuerungen von einem Ursprung aus als entscheidend für die kulturelle Veränderung an. In der Gegenwart ist die theoretische Konfrontation zwischen Evolutionisten und Diffusionisten weitgehend überholt und hat in Bezug auf die Erklärung der Kulturentwicklung einer Verbindung von Diffusion und Evolution Platz gemacht. In den Sozialwissenschaften bezieht sich der Begriff der Diffusion heute auch nicht mehr auf die Entwicklung ganzer Kulturen, sondern auf die Verbreitung einzelner Ideen, Praktiken oder Objekte innerhalb einer Population und/oder zwischen Kulturen. Der Begriff der Diffusion kommt in verschiedenen sozialwissenschaftlichen Forschungsgebieten vor, wie etwa in der Kulturanthropologie, der Sozialgeographie, der Entwicklungsökonomie, der Massenkommunikationsforschung, der Marketingtheorie oder der Agrarsoziologie. In der Gegenwart erscheint die Relevanz von Diffusionsprozessen angesichts der modernen Transportmöglichkeiten und Telekommunikationsmedien nicht mehr als begründungsbedürftig. In einer Welt der Flugzeuge, des Fernsehens, des World Wide Web und in der es fast keine isoliert lebenden Völker mehr gibt, trifft die Verbreitung von Informationen, Krankheitserregern und Gütern auf keine Grenzen mehr. Bilder und Ideen werden weltweit von den elektronischen Medien in real time verbreitet; Waren, Menschen und Nachrichten reisen mit beachtlicher Geschwindigkeit rund um den Globus. Nur Armut und Analphabetismus können noch die Diffusion der zivilisatorischen Errungenschaften beschränken. Die moderne Diffusionstheorie beruft sich in Bezug auf ihre historischen Wurzeln auf das Werk des frühen französischen Soziologen Gabriel Tarde. Dieser sah ein universelles Prinzip in der Natur am Werk, das auch die sozialen Prozesse zwischen den Menschen beherrscht und zwar das Gesetz der Wiederholung, das in der Soziologie durch das Prinzip der Nachahmung repräsentiert wird (Tarde 1895). Den Prozess der Nachahmung sah Tarde als den bestimmenden Faktor des Kulturwandels und der gesellschaftlichen Entwicklung
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(Tarde 1890). Tarde bemerkte, dass Erfindungen sich von einem Zentrum aus wellenförmig verbreiten und dafür bestimmte Kräfte treibend sind, die sowohl logische Gesetzmäßigkeiten als auch extra-logische Einflüsse darstellen können. In Bezug auf die Diffusion im sozialen Bereich stellte er fest:
Bevor sich Handlungen und Praktiken verändern, kommt es zu einem Wandel der Ideen. Die Nachahmung beginnt mit dem psychologischen Prozess der Wahrnehmung der Individuen. Neuerungen setzen sich in der Gesellschaft von oben nach unten durch; daraus folgt, dass jeweils die höchstrangige Person aus der für das Individuum perzeptiv erreichbaren Umwelt imitiert wird. In der modernen Gesellschaft erfolgt die Nachahmung nicht mehr auf Grund von Brauch und Sitte, sondern durch soziale Strömungen, die das Verhalten beeinflussen, wie es die Mode ist.
Die Konzeption Tardes wurde in der Gegenwart von Bruno Latour (2001) aufgegriffen und zwar in dreifacher Hinsicht: Zum einen in Bezug auf die Verbindung von Mikro- und Makroebene in der Soziologie, zum anderen in der Zurückweisung der Dichotomisierung von Natur und Sozialwelt und schließlich in der Betonung von Bewegung und Unterschied anstelle von Identität und Einheit. Latour lehnt daher den Begriff der Gesellschaft mit seiner Suggestion von Einheit und Identität ab und konzentriert sich auf den Prozess des Handelns. Die Beziehung von Handeln und Struktur wird dann als Dynamik von Akteur und Netzwerk im Sinne von zwei Eigenschaften desselben Phänomens wie Wellen und Teilchen in der Physik aufgefasst. In diesem Sinn wird Diffusion auch hier als eine Perspektive verstanden, die den Blick auf „ongoing processes“ statt auf Strukturen und Ordnungen sowie auf Transkulturalität statt auf idente ‚Kulturen’ richtet. In der angewandten Sozialwissenschaft entwickelte sich im Zusammenhang mit Problemen der Verbreitung von Nachrichten sowie von neuen Technologien oder Gütern ein spezifischer Bereich der Diffusionsforschung. Als besonders wichtig erwies sich die Erforschung der Wirkungen von Massenmedien auf das Verhalten der Menschen. Diffusionsbegriff und Kommunikationstheorie verbanden sich zu einem spezifischen Forschungsinteresse an der Verbreitung von Informationen und Nachrichten in einer Population. Sozialpsychologen der Massenkommunikation entdeckten, dass die Massenmedien das Verhalten nicht so sehr direkt beeinflussen, sondern dass die Beziehungen zwischen den Menschen zu berücksichtigen sind („two-step/multi-step-flow of communication“). Soziale Beziehungen und interpersonale Kommunikation wurden als die wichtigsten Einflüsse auf die Verhaltensweisen der Menschen erkannt, daher verschob sich der Schwerpunkt von den Wirkungen der Massenkommunikation auf die Prozesse der Annahme und Verbreitung der Informationen (Katz 1960). Eines der bedeutsamsten Gebiete, auf denen Diffusionsstudien durchgeführt wurden, betraf die Verbreitung von landwirtschaftlichen Innovationen. Agrarsoziologische Studien zeigten auf, dass informelle Kommunikationen den wichtigsten Faktor in Bezug auf den Wandel von Verhaltensweisen darstellen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf
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das Werk des schwedischen Geographen Torsten Hägerstrand (1967) zu verweisen, der die Struktur der Kommunikationsnetze als Faktor für die Geschwindigkeit und die Ausbreitung von Innovationen entdeckte. Auch Marketingforscher unternahmen Diffusionsstudien, die den Einfluss von Kommunikationsnetzen, Meinungsführern, Bezugsgruppen etc. auf den Kauf von bestimmten Produkten untersuchten. Als klassisch gilt eine Studie aus dem Bereich der Medizinsoziologie (Coleman, Katz und Menzel 1957 und 1966), bei der sich die soziale Integration von niedergelassenen Ärzten als Indikator für die Geschwindigkeit, mit der die Ärzte neue Medikamente akzeptierten, erwies. Die theoretischen Grundlagen des Forschungsbereichs der „diffusion of innovation“ konstituieren sich aus Tardes Konzeption, der Kommunikationstheorie und der Netzwerkanalyse. Everett M. Rogers fasste sie 1963 (4. Aufl.1995) erstmals zusammen. Rogers kennzeichnete Diffusion als eine besondere Art der Kommunikation von Nachrichten, die in neuen Ideen bestehen. Sie erscheint als ein gesetzmäßiger Verlauf der Verbreitung, der durch spontane und weitgehend irrationale Reaktionen bestimmt ist. Vier Elemente spielen in diesem Prozess eine Rolle:
die Innovation, d.h. eine Idee, Praktik oder ein Objekt, das von einem Individuum oder einer Gruppe als neu wahrgenommen wird; die Kommunikationskanäle als die Mittel, mit Hilfe derer Nachrichten von einem Individuum zum anderen weitergegeben werden; die Zeit, die für die Annahme der Innovation durch eine wachsende Zahl von Personen benötigt wird, d.h. die allgemeine Annahmerate; das soziale System als die Menge von interagierenden Individuen, die gemeinsam Probleme lösen und Ziele verfolgen.
Diffusion ist eine Phase im Prozess des sozialen Wandels, der die Erfindung der Idee vorausgeht; die Akzeptanz oder Zurückweisung der Innovation durch die Individuen in der Population beruht auf einem Annahmeprozess, der von der ersten Wahrnehmung über die Entstehung eines Interesses, die Einschätzung der Folgen, die versuchsweise Anwendung und schließlich die Annahme verläuft. Davon unterscheidet Rogers den Diffusionsprozess, also die Verbreitung einer Innovation in der Bevölkerung, der auf der Aggregation der Einzelentscheidungen beruht und dessen Verlauf in quantitativer Form darstellbar ist. Nach der Annahmegeschwindigkeit werden „early adopters“ oder Innovatoren, „early majority“, „late majority“ und „laggards“ unterschieden. Die soziale Elite fungiert als „gatekeeper“ für die Einführung von Innovationen; die Meinungsführer sind jene Individuen, die das Neue sehr früh übernehmen und auf Grund ihres Ansehens das Verhalten anderer Mitgliedern des sozialen Systems beeinflussen. Die Verläufe nehmen oft eine kaskadenförmige Gestalt an (vgl. Buskens und Yamaguchi 1999). Soziologische Studien verwiesen auf die Bedeutung sozialer Netzwerke, in denen es nicht nur zur Weitergabe von Informationen kommt, sondern auch die Wahrnehmung der eigenen Position im sozialen System eine große Rolle für das Annahmeverhalten spielt (Burt 1987). Diffusionskonzepte leiteten auch verschiedene Studien über Arbeitsplatzsuche, die Entstehung sozialer Bewegungen und die Verbreitung von Ideologien (Granovetter 1973; Granovetter 1978; Granovetter und Soong 1986). Auch das Annahmeverhalten von Mana-
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gern und die Diffusion von Prinzipien und Techniken der Organisation und des Managements wurden Gegenstand einer intensiven Forschung.
Die Diffusion von Managementinnovationen Als Objekt von Diffusionsstudien weisen Managementinnovationen einige Besonderheiten auf. Diese beruhen auf der Vielfalt und Komplexität der Erscheinungsformen von Managementinnovationen: Sie können in Prinzipien, Modellen, Praktiken bzw. Techniken bestehen, d.h. sich im Hinblick auf den Grad ihrer Konkretheit in Bezug auf die Anwendung unterscheiden. Prinzipien können als Begriffe oder Schlagwörter auftreten, die in den Sprachgebrauch von Managern eingehen. ‚Annahme’ kann dann bedeuten, eine bestimmte Rhetorik zu übernehmen oder einem Grundprinzip zuzustimmen, was dann zur „stimulus diffusion“ (Heine-Geldern 1968) in der Managerpopulation führen kann. Handelt es sich hingegen um Techniken oder Management’tools’, so impliziert die Annahme in der Regel die Implementierung und die Routinisierung der Praktiken, was seinerseits einen komplexen Prozess der Annahme, Diffusion und Institutionalisierung innerhalb der Organisation involviert. Die Übernahme von Managementinnovationen bezieht sich auf eine Organisation, was sie von den ‚settings’ der klassischen Diffusionsforschung, die primär die Einflussfaktoren des Annahmeverhaltens von Individuen und die Verläufe von Masseverhalten untersuchen, unterscheidet. Die Organisation ist als Voraussetzung für das Entscheidungsverhalten sowie für die Implementierung der Innovation bedeutsam. Beides impliziert Kommunikationsund Diffusionsprozesse unter den Mitgliedern sowie die Wirkung der Entscheidungshierarchie im Management. Macht, Autorität und Interessen werden dabei tangiert, was insbesondere bei jenen Innovationen, die große strukturelle und funktionelle Veränderungen mit sich bringen, zu Konflikten führen kann. Externe Einflüsse haben große Bedeutung für die Entscheidung für neue Prinzipien im Management. Diese bestehen in Strategien der Konzernführung, in Regulierungen von Seiten der staatlichen Politik, in den Interessen der Beratungsindustrie, in den Kommunikationen der „business community“, der einschlägigen Medien etc. In dem Modell der Diffusionstheorie verweist Rogers auf die „change agents“, die außerhalb des Systems stehen und Einfluss ausüben. Die eigenen Interessen, Strategien und Ziele der externen Akteure finden dabei jedoch wenig Beachtung, denn es geht allein um die Annahme und Diffusion innerhalb der Population. Dies stellt auch eine problematische Einschränkung der gängigen Diffusionsforschung insofern dar, als sich Managementinnovationen unter den Bedingungen der Globalisierung in kulturübergreifender Weise verbreiten. Die Diffusionsforschung darf sich in diesem Bereich daher nicht einseitig auf die Annahmebedingungen im Empfängersystem beschränken, sondern muss auch die Implikationen, die durch den Ausgangskontext der Innovationen bedingt sind, berücksichtigen. Die einseitige Ausrichtung auf die Annahmeseite und die Vernachlässigung von Macht-, Interessen- und Legitimitätsaspekten ist in Bezug auf Innovationen in Management und Unternehmen problematisch. Die Diffusionsstudien, die im Bereich der Managementinnovationen durchgeführt wurden, verbanden sich meist mit der Intention, die Rationalitätsannahme der Ökonomie und der Managementtheorie zu widerlegen. Sie betonten den Nachahmungscharakter der
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Managemententscheidungen und zeigten auf, dass diese häufig nicht rational begründet sind. Viele sozialwissenschaftliche Organisationsstudien betonen den strukturellen und institutionellen Wandel und sind einer institutionalistischen Perspektive verpflichtet. DiMaggio und Powell (1983) haben in ihrer Studie über die Isomorphie, die beim Wandel von Organisationen zu beobachten ist, sowohl Wettbewerbsgründe und darauf bezogene rationale Erwägungen als auch „institutionelle Gründe“ für die Übernahme von neuen Organisationsstrukturen und -formen genannt. Darunter subsumierten sie Zwang, Nachahmung und Normen. In ihrer Sicht ist Nachahmung allerdings keine spontane Verhaltensweise, sondern eine Routine der Reaktion auf Ungewissheit. Abrahamson und Fairchild (1999) sowie andere Autoren haben in den institutionalistischen Studien eine Überbetonung der Stabilitätsaspekte und mangelndes Interesse für die nicht-institutionalisierten Gründe für Entscheidungen gesehen und sich daher der Untersuchung der Managementkonzepte und der Entwicklung des Managementwissens aus der Sicht der Diffusionstheorie zugewandt. Eine Reihe von Studien über die Gründe und den Verlauf der Verbreitung bestimmter Managementkonzepte wie Taylorismus, Human Relations, Qualitätszirkel, Total Quality Management etc. entstand. Sie kritisierten, dass die Annahme der Rationalität der Entscheidungen einen „pro-innovation bias“ begründe, der die ungeprüfte Übernahme von neuen Techniken und Theorien begünstige. Die Annahme der „efficient choice“ in Bezug auf Innovationen setzt voraus, dass Organisationen bzw. Manager frei und unabhängig sind in der Wahl der Praktiken, Techniken und Prinzipien, die sie anwenden und dass Gewissheit besteht hinsichtlich des Verhältnisses von Zielen und Ergebnissen der Anwendung bestimmter Techniken. Diese Annahmen sind jedoch in der Realität kaum gegeben. Die Prognose der Effizienzwirkungen einer beabsichtigten Innovation ist schwierig, die Kosten der Einführung sind hoch und steigen meist in unerwarteter Weise im Zuge der Implementierung der neuen Praktiken an. Die Entscheidung für die Übernahme stellt daher immer ein Risiko dar, meist erfolgt sie unter Ungewissheit, da gerade im Bereich organisatorischer Restrukturierungen längere Zeiträume notwendig sind, um Erfolg oder Misserfolg feststellen zu können. Die Untersuchungen zeigten aber auch, dass neue Prinzipien oder Techniken auch in jenen Fällen angenommen wurden, in denen man relativ leicht hätte feststellen können, dass sie die Effizienzerwartungen nicht erfüllen bzw. zu hohe Kosten erfordern würden. Umgekehrt wurden manche Innovationen nicht übernommen, obwohl sie wahrscheinlich effizient gewesen wären. Die Studien schlossen daraus, dass dieses Verhalten nicht durch Hinweis auf rationale Kalküle zu erklären ist, sondern durch Nachahmung anderer Unternehmen und Reaktionen auf Berichte und Gerüchte erfolgte (vgl. Abrahamson 1991). In Situationen der Ungewissheit blicken Manager darauf, was andere Unternehmen in ihrer Umwelt tun, d.h. gründen ihre Entscheidung weniger darauf, welche Neuerung als die vielversprechendste anzunehmen ist, sondern darauf, welchem Beispiel eines anderen Unternehmens sie folgen sollen. Geographische Nähe, Branchenzugehörigkeit, bestehende Kooperationsnetze oder Kommunikationsstrukturen zwischen Firmen und ihren Managern können die Annahme der Innovation fördern; meist sind es Firmen mit einer besonderen Reputation als Innovatoren oder als Wachstumsbetriebe, die von anderen imitiert werden (Abrahamson 1996; Cole 1999; Strang und Macy 2001). Das Image oder die Reputation, die sich ein Unternehmen in Bezug auf wirtschaftlichen Erfolg und/oder kreatives Potential er-
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worben hat, veranlasst dieses dazu, sich immer wieder besonders innovationsgeneigt zu verhalten. Das führt dann dazu, dass das Unternehmen sehr rasch auf Neuerungen umsteigt und damit durch seinen Einfluss auf die anderen Betriebe die Diffusion der Innovation beschleunigt. Nachahmung schließt rationale Erwägungen nicht aus, soweit man davon unter Bedingungen der Ungewissheit sprechen kann, garantiert aber keineswegs den Erfolg, weil eine Innovation sich in einem Fall als effizient, im anderen aber als ineffizient erweisen kann. Viele Manager übernehmen Neuerungen auf der Basis der Überzeugung, in einer Welt zu leben, in der rascher Wandel angesagt ist und daher jede Neuerung besser ist als gar nichts zu ändern. Neuheitspräferenz und die Notwendigkeit, sich als innovativ, kreativ und veränderungsorientiert zu zeigen, schaffen ein positives Klima für Innovationen und ihre Diffusion. Wenn die Innovationen noch dazu mit dem Anspruch verbunden werden, dass sie auf wissenschaftlich-methodischen Grundlagen beruhen, befriedigen sie auch die Rationalitätspräferenz, sodass die Manager sich als rationale Entscheider fühlen können. Rationalität spielt in Managemententscheidungen stets eine Rolle, weil diesbezügliche Erwartungen in Bezug auf das Verhalten der Manager bestehen. Sie begründen einen Druck in Richtung auf Erfolg und die Tendenz, die Entscheidungen nachträglich zu rationalisieren. Das begünstigt vielfach die Nachahmung aus Angst, hinter den Konkurrenten zurück zu blieben, nicht als innovativ zu gelten, nicht die Effizienzziele zu erreichen. So ist es gerade der Druck, der auf Managern in Bezug auf Effizienz und Wettbewerbserfolg lastet, der bewirkt, dass „The modern actors whose uniqueness and autonomy are most celebrated are precisely those most subject to the homogenizing effects of diffusion“ (Strang und Meyer 1993: 506). Während der Prozess der Entscheidung für oder gegen die Einführung einer Innovation, also der „adoption process“, sowohl durch rationale Überlegungen, durch Kommunikation zwischen Managern oder auch Beobachtung des Verhaltens anderer begründet sein kann, erscheint die Ausbreitung selbst, der „diffusion process“, eine gesetzmäßige Eigendynamik aufzuweisen. Für alle Innovationen im Management, etwa das Konzept der strategischen Planung, das Reengineering, die Qualitätszirkel, das Total Quality Management etc., konnten Untersuchungen auf diffusionstheoretischer Basis den typischen S-Kurvenverlauf nachweisen, d.h. eine Inkubationsperiode, in der nur wenige Firmen die Innovation annehmen, eine take-off-Phase steigender Popularität, eine Phase des weiteren Anstiegs bis zu einem Gipfel und schließlich einen meist raschen Abschwung. Die Geschwindigkeit der Verbreitung der Managementkonzepte in den letzten Jahrzehnten lassen den Schluss zu, dass hierbei Effekte wie „Ansteckung“, Modeströmungen, bandwagon-Effekte etc. eine Rolle spielen. Das kommt auch sprachlich zum Ausdruck, so wurde etwa auf den „quality virus“ hingewiesen (Pastor, Meindl und Hunt 1998). Diese Effekte werden insbesondere dann wirksam, wenn die Innovation bereits von einer größeren Zahl von Unternehmen übernommen wurde. Wenn die Zahl derer, die die Innovation angenommen haben, ein bestimmtes Ausmaß erreicht, löst dies eine verstärkende Wirkung auf die weitere Annahmehäufigkeit und -geschwindigkeit aus. Dieser Diffusionseffekt legte die Vermutung nahe, dass es für die jeweilige Innovation eine kritische Menge von Annahmen gibt, bei deren Erreichen es zu einem überproportionalen Anstieg der „adoptions“ kommt. Es scheint, dass eine bestimmte kritische Menge eine besondere Legitimation für die Annahme der Innovation schafft.
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Eric Abrahamson (1991) macht für die weite Verbreitung von bestimmten Managementkonzepten neben Effizienzerwägungen und Machteinflüssen auch Diffusionseffekte verantwortlich. Dabei unterscheidet er
jene, die durch Nachahmung der Firmen in der eigenen Gruppe oder Branche entstehen („fads“) und jene, die durch den Einfluss durch andere Akteure außerhalb der eigenen Gruppe bewirkt werden („fashions“).
Die Unterscheidung ist insofern bedeutsam, weil hier differenziert wird nach den Diffusionsprozessen, die sich tatsächlich spontan bzw. durch Nachahmung einstellen und jenen, die durch Aktionen von außen hervorgerufen oder zumindest gefördert werden. Im Fall der „fads“ kommt es zu unvermittelten Nachahmungsprozessen, bei „fashions“ treten „fashionsetters“ auf den Plan und betreiben die Verbreitung aktiv. Die Diffusion von Managementkonzepten darf nicht nur als spontanes Geschehen aufgefasst werden. Rationale Erwägungen, Macht sowie die Effekte von „fads“ oder „fashions“ wirken häufig wechselseitig aufeinander ein. Wenn etwa ein Unternehmen für seine eigenen Probleme eine neue Lösung entwickelt hat, kann diese dann von anderen Unternehmen in der unmittelbaren Umwelt nachgeahmt werden. „Fashion setters“ können dann auftreten und die Innovation aktiv weiter verbreiten. Abrahamson beschreibt den Vorgang wie folgt: „Initially certain organizations choose to adopt technically efficient innovations. Fashion setters take their cue from these organizations and decide to promote these innovations. To do so they articulate organizational goals and beliefs that justify adopting these innovations. These goals and beliefs guide the rational decisions of other organizations to adopt these technologies and help launch the fashion. This cycle may repeat itself and may explain how what constitutes technically efficient and inefficient choices evolves as innovations diffuse“ (Abrahamson 1991: 606). In der Regel spielen am Beginn der Verbreitung einer Innovation, wenn erst wenige diese angenommen haben, rationale Überlegungen eine größere Rolle, während in späteren Phasen Modeströmungen einen stärkeren Einfluss ausüben. So stellten Tolbert und Zucker (1983) bezüglich der Reformen im öffentlichen Dienst fest, dass zu Beginn zwar rationale Motive für diese Reformen maßgebend waren, aber im späteren Verlauf die Diffusionseffekte die weitere Verbreitung bestimmten. Sie weisen auch darauf hin, dass diejenigen, die früh die Innovation einführen, Modifikationen durchführen, um sie ihren Effizienzbedingungen anzupassen, während dies bei den „late adopters“ nicht mehr beobachtet wurde, die die Modelle zum Großteil einfach kopierten. Strang und Macy (2001) bringen mit ihrem Konzept der „adaptive emulation“ zum Ausdruck, dass Manager oftmals aktiv nach Innovationen bzw. Problemlösungen in anderen Unternehmen suchen. Sie beobachten die Handlungen der anderen relevanten Marktteilnehmer mit Bedacht auf die Erhaltung und Förderung der eigenen Positionierung in der Sozialstruktur des Marktes, was in einer Studie zur Verbreitung von Total Quality Management gezeigt werden konnte (Pastor, Meindl und Hunt 1998). Insbesondere bei vollkommen neuen Ansätzen bieten die Erfahrungen anderer eine Orientierung, aber natürlich auch eine Rechtfertigung ihrer Entscheidung für die Übernahme der Innovation. Auf Grund der hohen
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Erfolgsorientierung der Manager und der Ungewissheit, unter der sie entscheiden müssen, stellen Rationalität und Nachahmungsverhalten daher keine Gegensätze dar. Noch deutlicher kommt dies im Sinne von Managing the Fads (Cole 1999) zum Ausdruck, wobei der Umgang mit Diffusionseffekten als normale Tätigkeit der Manager gesehen wird. Die „fads“ werden als integraler Bestandteil der Handlungssituation von Managern und als Teil eines notwendigen Lernprozesses verstanden. Daher sind sogar Misserfolge, wie sie etwa die Einführung der Qualitätszirkel darstellten, nicht als reiner Fehlschlag, sondern als ein Schritt im Rahmen einer weitreichenderen Neuorientierung im Sinne der Qualitätsbewegung zu werten. Nur durch solche Phasen von Versuch und Irrtum werden wirkliche Innovationen möglich. Die häufig wechselnden „minifads“ werden von Cole als Gegebenheiten angenommen, für deren ‚handling’ Manager Fertigkeiten und Kompetenzen entwickeln sollen.
Akteure in der Verbreitung von Managementwissen Der Bezug auf die Rationalität oder Irrationalität von Managemententscheidungen hat sich als forschungleitende Frage im Fall der Managementinnovationen nicht wirklich bewährt. Im Folgenden wird die Rolle jener Akteure, die die Verbreitung von Managementinnovationen als ihren Zuständigkeitsbereich betrachten und als Anbieter auf einem Markt für Managementwissen auftreten, näher betrachtet. Darunter fallen Management- und Businessmedien, Business Schools, Managementexperten, Unternehmensberater; sie werden auch als „ideas entrepreneurs“ oder als „management knowledge entrepreneurs“ bezeichnet (Micklethwait und Wooldridge 1997). Die Kennzeichnung als „entrepreneurs“ charakterisiert sie als Anbieter auf einem spezifischen Markt für Ideen und Problemlösungen. Die ‚Ware’, die sie anbieten, kann auf Ideen, Theorien, Modellen oder Techniken beruhen, die in der sozialwissenschaftlichen Forschung entwickelt wurden, den Problemlösungen von Unternehmen entstammen oder als Ergebnis der Kooperation zwischen Firmen und Forschern entstanden und die dann von den eigentlichen „knowledge entrepreneurs“ aufbereitet wurden. Sie werden aus ihren Enklaven im wissenschaftlichen Bereich oder dem abgegrenzten Kontext einzelner Unternehmen herausgelöst, in Businessmedien dargestellt, finden Eingang in die Curricula von Business Schools oder anderen Institutionen, an denen Managementwissen vermittelt wird; Management Gurus werden von Firmen, Schulen und anderen Organisationen eingeladen, ihre Theorien in Vorträgen und Diskussionen zu präsentieren. Die wohl wichtigste Rolle spielen aber die Unternehmensberatungsfirmen, die sowohl von sozialwissenschaftlichen Theorien als auch von Unternehmen und deren Problemlösungen Anregungen erhalten und diese dann in allgemein aufbereiteter Form weitergeben. Die Entwicklung und Diffusion von Managementinnovationen hat eine miteinander eng verbundene Reihe von Akteuren hervorgebracht, die auch als „management theory industry“ oder „knowledge industry“ bezeichnet werden kann (Micklethwait und Wooldridge 1997; Faust 2002: Kipping und Engwall 2002). Sie ist zu einem eigenen Wirtschaftssektor im Bereich unternehmensnaher Dienstleistungen geworden, in deren Zentrum die Unternehmensberatungsfirmen stehen. Diese unterhalten Beziehungen zum akademischen Bereich, den Businessmedien, den Business Schools und selbstverständlich ihren Kunden, den Unternehmen, die in manchen Fällen allerdings auch gleichzeitig Ideenlieferanten sind.
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Obgleich manche der Beratungsfirmen beachtlichen Einfluss und die Dimension von „global players“ erreicht haben, wurde ihrem Handeln und ihrer Rolle erst in letzter Zeit einige Beachtung von Seiten der sozialwissenschaftlichen Forschung geschenkt. Und das obwohl, wie Kieser (2002) feststellt, es seit geraumer Zeit zu einer wahren Explosion auf dem Beratungsmarkt gekommen ist. Die „knowledge industry“ produziert und vertreibt Managementinnovationen, aber gleichzeitig damit auch Vorstellungen darüber, was ein Unternehmen ist, was es tun soll und welche Probleme es haben kann. Die Rolle, die die „knowledge industry“ in Hinblick auf das Selbstverständnis der Unternehmen, die Vorstellungen in Bezug auf Markt, Arbeit, Beruf und Organisation spielt, ist daher auch in kultureller Hinsicht bedeutsam und wirkungsvoll. Die „ideas entrepreneurs“ konstruieren und definieren typische Probleme, die Unternehmen haben, wobei jeweils bestimmte Probleme, für die es Lösungsangebote gibt, als besonders dringlich dargestellt werden. Für sie werden standardisierte Anwendungen entwickelt, wobei die Konzeptualisierung und die Präsentationsformen eine große Rolle spielen. Strang und Meyer (1993) haben darauf hingewiesen, dass die „theorization“ von Innovationen für die Diffusion derselben sehr wichtig ist. Die sozialwissenschaftliche Grundlegung spielt insofern eine wichtige Rolle, da sich das Ansehen, das mit Wissenschaftlichkeit verbunden wird, förderlich auf die Bereitschaft zur Übernahme der Innovation oder Problemlösung auswirkt. Allerdings müssen die sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse als Konzept, Modell oder Rezept aufbereitet werden; auch die Präsentation spielt dabei eine große Rolle: Schlagwörter, Slogans, Veranschaulichung durch Beispiele, Personifizierungen und Dramatisierungen werden verwendet. Diese Aufbereitung ist eine Voraussetzung für die „commodification“ der Idee, also für ihre Karriere als marktgängige Ware und damit für ihre Diffusion durch die Stimulierung der Nachfrage. Dafür fördert die „knowledge industry“ die Entstehung von Modeströmungen, wodurch, wie Kieser (2002) meint, die Manager zu Marionetten der Beratungsindustrie gemacht werden. Appelle an die Rationalität, an Effizienz und Erfolgserwartungen werden durch den Einsatz von Emotionen ergänzt. Die „management knowledge entrepreneurs“ erzeugen und verbreiten einen emotionsgeladenen Diskurs, der mit den Ängsten der Manager, mit Drohungen vor den Konsequenzen eines Zurückbleibens hinter den Konkurrenten und dem Versprechen quasi-magischer Lösungen für Probleme arbeitet (Micklethwait und Wooldridge 1997: 715). Sie betonen die Wichtigkeit des Neuen, der Veränderung, der Dinglichkeit der Problemlösungen und qualifizieren gleichzeitig bestehende Strukturen und Verfahren als überholt ab. Eine besondere Rolle in der Diffusion von Managementkonzepten spielen die Geschichten von erfolgreichen Innovationen. Sie werden in den einschlägigen Medien, in der Managementliteratur, durch Beratungsunternehmen und Management Gurus öffentlichkeitswirksam verbreitet, etwa in dem Bestseller In Search of Excellence (Peters und Waterman 1982). Da in aller Regel nur Erfolge verbreitet werden, Fehlschläge hingegen nicht, entsteht der Eindruck, dass Innovationen generell einen Fortschritt darstellen. Strang und Macy (2001) zeigten die Rolle der Managementdiskurse und der Verbreitung von „success stories“ für die Entstehung von „contagion“-Effekten am Beispiel des Diffusionsverlaufs der Qualitätszirkel auf. Die QC stammten ursprünglich aus Japan, wo Vorarbeiter und Arbeiter in einem Team zur Qualitätskontrolle vereint waren. Der Transfer des Konzepts in die USA
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veränderte ihre Bedeutung; sie wurden als Management’tools’ konzipiert, um Mitarbeiter zu motivieren, arbeitsplatzbezogene Verbesserungsvorschläge zu machen. Die Verbreitung erfolgte zunächst nur langsam, um dann in den frühen 80er Jahren einen starken Aufschwung zu erleben. Dieser war dadurch zustande gekommen, dass die einschlägigen Managementdiskurse die QC als das Geheimnis hinter dem wirtschaftlichen Erfolg Japans interpretierten. Dabei kamen in den Businessmedien und in Vorträgen von Managementexperten auch emotionale Appelle zum Einsatz, die auf die „japanische Gefahr“ und die Notwendigkeit, „von den Japanern zu lernen“, hinwiesen. Am wichtigsten war aber, dass die großen Beratungsfirmen dieses Instrument in ihr Angebot aufnahmen und die Diffusion der „success stories“ tatkräftig betrieben. Von Industrieunternehmen ausgehend verbreitete sich die Praxis im Gesundheitswesen, in Finanzdienstleistungen, im Bildungswesen und in der öffentlichen Verwaltung und erfasste schließlich auch die kleineren Firmen. Aber die Erfolge blieben aus und die QC verschwanden aus den Unternehmen, den Medien und den Beratungsrepertoires. Damit war die Diffusion der Qualitätszirkel zu Ende und wurde durch andere Konzepte, vor allem das des Total Quality Management ersetzt. Auch die Diskurse über Managementinnovationen haben ihren eigenen Lebenszyklus; insbesondere jene, die die Neuheit einer Methode betonen, erschöpfen sich relativ schnell. Die Euphorie hinsichtlich des erwartbaren Nutzens der Innovationen schwindet, bevor noch echte Resultate ihrer Implementierung erkennbar sind. Der Diskurszyklus heizt solcherart die Abfolge von Innovationen und ihrer Verbreitung an. Die „management knowledge entrepreneurs“ sind daher ständig auf der Suche nach neuen Konzepten, die sie lancieren, indem sie die vor kurzem erst empfohlenen Problemlösungen als überholt hinstellen. Abrahamson und Fairchild (1999: 737) haben daher eine starke Übereinstimmung zwischen den Lebenszyklen der Diskurse mit denen der Diffusion der Ideen festgestellt.
Macht und Netzwerke in der Diffusion von Managementinnovationen Die „knowledge industry“, allen voran die Unternehmensberater, haben einen großen Einfluss auf die Verbreitung von Managementkonzepten. Aber dieser Einfluss bezieht sich vor allem auf die Einführung neuer Rhetorik und die Annahme neuer Konzepte. Sie bringen die Manager dazu, die Überholtheit der alten Praktiken einzusehen, das Bedürfnis nach neuen Konzepten zu entwickeln und ihre Hoffnungen auf die neue ‚Best Practice’ zu setzen. Aber sie besitzen nicht die Autorität und auch nicht die Mittel, um die Einführung der Innovationen in der Organisation durchzusetzen. Diese liegen beim Top Management bzw. bei jenen, die die Implementierung der neuen Praktik durchführen (Ginsberg und Abrahamson 1991). Gelingt es allerdings, eine Innovation so stark zu fördern, dass ihre Einführung als Gebot der Stunde verstanden wird, dann kann dies auch die Ablösung des alten Managements zur Folge haben, wenn dieses nicht auf die neuen Ideen einsteigt, oder wenn sie symbolisch mit den alten Traditionen verbunden werden. Neben den Interessen der „management knowledge industry“ kommt daher den Machtbeziehungen in formeller und informeller Hinsicht innerhalb der Unternehmen und zwischen den verflochtenen Unternehmen große Bedeutung zu. Innovationen verbreiten sich solcherart auf Grund der Beziehungen zwischen Lieferanten und Kunden, zwischen
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Industrie- oder Dienstleistungsunternehmen, Finanzierungsinstitutionen und ihren Kunden und insbesondere bei kapitalmäßiger Verflechtung oder Fusionierung. Darüber hinaus bestehen informelle Netzwerke zwischen Managern verschiedener Unternehmen, in denen sich persönliche Aspekte und Einflussfaktoren mischen (Granovetter 1994). Je größer die Zahl der formellen oder informellen Netzwerke ist, an denen sich ein Unternehmen beteiligt, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit des Zugangs zu Innovationen. Das wurde im Fall der Verbreitung der „take-over“-Abwehrstrategie ‚Poison Pill’ sichtbar, durch die feindliche Übernahmen auf Grund des Anstiegs der Aktienkurse verteuert und damit verhindert werden sollten (Davis 1991). Die Verflechtungen und Netzwerkbeziehungen zwischen den Firmen wirkten sich günstig auf die Verbreitung dieser Abwehrstrategie aus, wobei insbesondere die direkten Kontakte zwischen den CEOs in den Boards verschiedener Unternehmen eine besonders große Rolle spielten. „Fashion-setting networks“ bestehen auch zwischen Unternehmen und der „management knowledge industry“ (Ginsberg und Abrahamson 1991). Dabei kommt persönlichen Beziehungen ebenfalls eine besonders große Bedeutung zu, die auch internationale Ausdehnung annehmen und zur Entstehung von transnationalen „knowledge arenas“ führen kann (Faust (2002). Darüber hinaus sind auch die Beziehungen zwischen den Firmen, der „management knowledge industry“und dem Staat bzw. seinen Organisationen hervorzuheben. Abrahamson und Fombrun (1992) unterscheiden daher vier Netzwerke, die einander überlappen und untereinander in Verbindung stehen: das Netzwerk der Massenmedien, das Netzwerk der Bildungsorganisationen, das Netzwerk der staatlichen Organisationen und jenes der Unternehmen. Sie stehen untereinander in Verbindung und bilden “inter-network relations“ auf drei Ebenen: der Infrastruktur der Finanzverbindungen, der Soziostruktur der Vertragsbeziehungen, Verflechtungen, Allianzen etc. und der Superstruktur der Wertvorstellungen, Legitimationen und Interpretationen. Diese Interfaces können effektiv eingesetzt werden, um Interessen einiger Akteure durchzusetzen, etwa um bestimmte Prinzipien und Konzepte zu verbreiten. Selbst wenn dies nicht beabsichtigt und strategisch verfolgt wird, entstehen durch den routinemäßigen Austausch zwischen den Netzen gemeinsame Vorstellungen. In dieser Weise können Netzwerke der Diffusion und ihre gegenseitige Durchdringung die Kultur der ganzen Gesellschaft verändern.
Implementierung und Institutionalisierung von Innovationen Die Annahme eines Konzepts, einer Technologie, eines Verfahrens endet nicht mit der Entscheidung dafür, vielmehr beginnt damit erst ein komplexer Prozess der Implementierung in der Organisation bis hin zur graduellen Umwandlung in eine Routine. Wenn Konzepte zu dauerhaften Praktiken werden sollen, sind nicht nur Veränderungen der technischorganisatorischen Strukturen notwendig, sondern auch die Akzeptanz der Innovation durch die Mitglieder der Organisation, die von den Veränderungen betroffen sind. Erfahrungswissen und die allgemeine Routinisierung des Arbeitshandelns bewirken, dass ein Großteil des Wissens in den praktischen Handlungen verborgen ist. Es ist nicht explizit in Form von Regeln, Prinzipien, Leitlinien etc. vorhanden, sondern stellt „tacit knowledge“ dar (Polanyi
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1962). Erst wenn die neue Praktik auch mit dem impliziten Wissen verknüpft werden kann, kommt es auch zur Routinisierung von Handlungen nach den neuen Konzepten. Die Innovation muss in Hinblick auf Fragen der Kompetenzen, der Autorität und der Kontrolle konzeptualisiert werden. Sie muss darüber hinaus mit den bestehenden Wertund Zielvorstellungen, der Organisationskultur und den Traditionen und Erfahrungen der Menschen in Übereinstimmung gebracht werden. Mit der Übernahme einer Technologie, eines Managementkonzepts oder eines Organisationsmodells treffen immer auch unterschiedliche Wertvorstellungen, Lebensstile, Arten des Denkens und Verhaltens aufeinander, die sich erst im Zuge ihrer Implementierung und der tatsächlichen Anwendung offenbaren. Dies verweist darauf, dass Innovationen über den Erfolg im Sinne einer Effizienzsteigerung hinaus der Legitimität bedürfen. Diese lässt sich nicht aus der Perspektive der Organisation allein erfassen, sondern impliziert die Einbeziehung des breiteren institutionellen und kulturellen Kontextes. So fand eine Studie, die sich mit dem Vergleich der Institutionalisierung von Qualitätszirkel und Total Quality Management beschäftigte, dass letztere durch die stärkere Einbettung in die kognitiven Strukturen und das Wertesystem erfolgreicher implementiert werden konnte (Zeitz, Mittal und McAulay 1999). Die institutionellen und kulturellen Merkmale müssen bei der Implementierung einer Innovation berücksichtigt werden; das zeigte etwa ein Vergleich der Einführung von „Computer-Aided Production Management“ in UK und in Schweden (Swan, Newell und Robertson 1999). Während im UK die Existenz von objektivierten und standardisierten Konzepten von Best Practice eine rasche Einführung erlaubte, war die verzögerte Annahme in Schweden durch das Vorherrschen einer Kultur kooperativer Netzwerke zwischen Unternehmen basierend auf informeller Zusammenarbeit und Informationsaustausch verursacht. Dadurch konnten die Technologiehersteller keinen so direkten Einfluss auf die einzelnen Unternehmen ausüben und als Folge davon kam es nach der Annahme der Neuerung zu größerer Diversifikation, denn die Unternehmen modifizierten und adaptierten die Technologie gemäß ihren speziellen Bedürfnissen und stützten sich weniger auf die direkte Übernahme der standardisierten Angebote. Innovationen durchlaufen eine Karriere von der Idee über ihre Formulierung in Theorien und Konzepten bis zu ihrer Realisierung in der Organisation bzw. in Form von Bewegungen und schließlich bis zu ihrer Verwandlung in Institutionen. Erfolgreiche Innovationen werden zu Institutionen; sie werden zu dauerhaften Praktiken und Routinen in der Organisation, sie werden zu Inhalten der Curricula von Business Schools und verändern darüber hinaus die Normen und Regeln, die die Rollendefinitionen und Statusstrukturen in Unternehmen und Berufen bestimmen. Die Übernahme solch erfolgreicher Innovationen und Institutionen gilt auch als ein Kriterium, das im internationalen Vergleich über die wirtschaftliche Entwicklung entscheiden kann (Hollingsworth und Boyer 1997). Die mangelnde Fähigkeit, die erfolgreichsten Institutionen zu kopieren, kann durch das Festhalten an traditionellen Regelungen und Einrichtungen oder an internalisierten Haltungen und Einstellungen bedingt sein. Das Ausmaß, in dem bestimmte Glaubensvorstellungen, Werte, Normen von Managern internalisiert worden sind, ist bestimmend für ihre Neigung, Innovationen anzunehmen. Die Bildungseinrichtungen und die Berufsstandards können hierbei eine große Rolle spielen. Aber auch institutionelle und kulturelle Charakteristika von Unternehmen können Innovationen fördern oder hemmen. In einer Untersuchung von Flugli-
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nien fand Lehrer (2001), dass manche Autoritätsstrukturen in Unternehmen günstiger im Hinblick auf die Übernahme von Innovationen wirken als andere, manche nur schrittweise Veränderungen zulassen, andere auch radikalen Wandel ermöglichen. Die Diffusion von Innovationen wird aber auch dann besonders gefördert, wenn es Institutionen gibt, deren erklärtes Ziel sie ist. Das können wieder Unternehmen sein oder aber staatliche, parastaatliche und supranationale Organisationen sein. So stellen die Institutionen der Europäischen Union Faktoren dar, die den Verbreitungsprozess von Prinzipien und Innovationen sehr entscheidend beeinflussen. Als Folge davon kommt es etwa zu einem Vereinheitlichungsprozess der Bildungssysteme. Managementinnovationen haben Einfluss auf die Institutionen und die Kultur der Gesellschaft. Die Diffusion von Ideen, Modellen, Techniken, Produkten verändert daher die Vorstellungen, die die Menschen über ihre Wirklichkeit haben und ist auch ein Problem der Wissenssoziologie, wie Alvarez (1998: 24ff) richtig bemerkt. Die Verbreitung und „Veralltäglichung“ der Innovationen prägt die Vorstellungen der Normalität und Legitimität in der Gesellschaft. Das trifft auch auf die gegenwärtigen Wertvorstellungen und Realitätswahrnehmungen zu, so etwa auf die Akzeptanz wirtschaftlicher Sachzwänge, auf den allgemeinen Glauben an die Globalisierung, an die Notwendigkeit der Privatisierung und der Flexibilisierung der Unternehmen und auf die Betonung der Eigenverantwortung der Arbeitenden etc. Auch dies beruht auf Diffusionsprozessen, in denen bisherige Denk- und Verhaltensweisen als obsolet und Neuerungen als notwendig und legitim definiert werden. Institutionen, so meinte man noch vor kurzem, ändern sich nur allmählich, und in noch längeren Wellen verläuft der kulturelle Wandel. Doch kam es in den letzten Jahrzehnten diesbezüglich zu einer grundlegenden Veränderung nicht nur der Geschwindigkeit des Wandels der Institutionen und Strukturen, sondern der Legitimität des Wandels selbst, der zur Normalität und damit auch zur Norm wurde. Man kann darüber spekulieren, ob sich darin eine Verallgemeinerung von Prinzipien der wissenschaftlichen Forschung, die auf ständige Suche nach neuen Erkenntnissen gerichtet ist, oder die Durchdringung aller Bereiche mit den Interessen „der Wirtschaft“ nach neuen Marktanteilen, Gewinn- und Effizienzsteigerungen oder der Finanzmärkte nach neuen spekulativen Anlagemöglichkeiten widerspiegelt. Die Tatsache, dass ständiger Wandel als Wert an sich angesehen wird und durch Förderung der Verbreitung bestimmter Konzepte und Praktiken zur Routine wird, ist ein paradoxer Zug der Zeit. Diese Umorientierung unserer Denkweisen in Richtung Veränderung und Beschleunigung ist jedenfalls ein Resultat von Diffusionsprozessen, in denen Nachahmung und Ansteckung, aber auch Macht, Netzwerke und Interessen eine Rolle spielen.
Die globale Diffusion von Unternehmens- und Managementkonzepten Diffusion von Ideen und Wissen über nationale Grenzen und zwischen Kulturen geht seit Menschengedenken vor sich und hat wesentlich zur kulturellen Entwicklung der Völker und Gesellschaften beigetragen. Trotz dieser Verbreitung kam es jedoch nicht zu einer Homogenisierung in sozialer und kultureller Hinsicht. In der Gegenwart ist es insofern zu einer anderen Situation dadurch gekommen, dass Akteure auftreten, die ein manifestes Interesse an der Diffusion haben, weil sie ihr Geschäft ist, bzw. die ihre wirtschaftliche und
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politische sowie ihre soziokulturelle Macht dazu benützen, um Konzepte weltweit zu verbreiten und ihre Übernahme durchzusetzen, mitunter auch ohne Rücksicht auf die lokalen Gegebenheiten. In der Diffusionsforschung wurden meist die Kultur und der institutionelle Kontext ausschließlich der Empfänger(länder, -organisationen) berücksichtigt. Ihre Merkmale und Eigenschaften wurden in der Regel dafür verantwortlich gemacht, ob eine Innovation rasch, langsam oder überhaupt nicht angenommen wird. Der kulturelle und institutionelle Kontext der Innovation und die Interessen, die hinter ihrer Diffusion stehen, fanden hingegen keine Beachtung. Dies zeigte sich etwa sehr deutlich an den Beispielen der Einführung neuer Technologien in Entwicklungsländern (Rogers und Shoemaker 1971). In den Modellen und Konzepten sind jedoch stets Erfahrungen aus dem Herkunftsland enthalten, die mit transferiert werden. Sie treffen im neuen Kontext auf ganz anders geartete Erfahrungen und Voraussetzungen. Dieses Problem untersuchte Alice Lam am Beispiel eines Joint Venture zwischen einer britischen und einer japanischen Firma; die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Managementwissen kontextbestimmt, auch vielfach unternehmensspezifisch ist und auf unausgesprochenen Voraussetzungen beruht (Lam 1997: 974). Darüber hinaus reflektieren die Techniken und Praktiken, die Managementkonzepte und Organisationsmodelle sowie die Art und Weise ihres Transfers nicht nur den soziokulturellen Kontext des Herkunftslandes, sondern auch die Interessen und Machtbeziehungen der verschiedenen beteiligten Akteure und ihre Strategien. Die transkulturelle Diffusion von Managementwissen erfordert die Berücksichtigung der kulturellen, institutionellen und politischen Bedingungen in beiden Ländern, dem Land der Herkunft der Theorien und Modelle sowie dem Empfängerland. Ihre Unterschiedlichkeit begründet viele Schwierigkeiten des Transfers, die sich meist erst bei der tatsächlichen Anwendung der Innovationen zeigen. Der Transfer von Innovationen kann jedenfalls nicht einfach ein Kopieren von Standardpraktiken bedeuten, denn meist entsteht im Prozess der Diffusion auch wieder Neues. Das zeigt sich etwa am Beispiel des Transfers zwischen Japan und dem Westen. Westney (1987) wies mit Bezug auf Meiji Japan darauf hin, dass der Transfer von Organisationsmustern und Unternehmenskonzeptionen nicht in einem einfachen Kopieren westlicher Ideen und Gegebenheiten resultierte. Dafür macht sie allerdings nicht die „Kultur“ im Sinne eines Hemmnisses für die Übernahme verantwortlich, sondern zeigt auf, dass es in Japan in der Folge der Öffnung des Landes für westliche Einflüsse zu einer Interaktion zwischen den eigenen kulturellen Traditionen und Praktiken und den neuen Konzepten von außen gekommen war. In deren Verlauf erfuhren die japanischen Traditionen eine Veränderung, um die Neuerungen integrieren zu können. Es erfolgte daher keine einfache Übernahme oder einseitige Anpassung, sondern es kam gleichzeitig zu einer Weiterentwicklung der westlichen Ideen wie auch der eigenen Kultur Japans. Westney schloss daraus, dass der Transfer von Konzepten und Ideen von einer Kultur in eine andere nicht zu einer Homogenisierung führt, sondern zu „both convergence that does not produce uniformity and divergence and variation that is neither random nor infinite.“ (Westney 1987:224) Gegenwärtig wird die weltweite Diffusion von Managementinnovationen vor allem durch die „global players“ innerhalb der „management knowledge industry“ betrieben. Ihr Ursprung liegt in der Regel im „Westen“ und die Konzepte beziehen sich auf Probleme, die
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westliche Unternehmungen haben. Die Globalisierung in Form der Diffusion von Managementinnovationen bedeutet daher nicht, dass sich „neutrale“ Ideen ausbreiten, denn „Globalization is not an impersonal force, but very much reflects the social and political construction of markets by firms and states“ (Fligstein 2001: 222). Die Konzepte werden in vielen Fällen im Zuge ihres Transfers modifiziert, um die Akzeptanz in anderen Ländern zu fördern. Sie werden in Form von Transferpaketen aufbereitet, die Modelle, Instrumente und illustrative Beispiele enthalten. Dies ist insbesondere bei jenen Konzepten notwendig, die auf einer höheren Ebene der Abstraktion angesiedelt sind. Während einfache „tools“ wie „balanced scorecard“ oder das Null-Fehler-Prinzip relativ einfach transferiert werden können, steigen die Kontextabhängigkeit und die unausgesprochenen Voraussetzungen mit der Ebene der Abstraktion. Insbesondere der Transfer von Konzepten, die die Restrukturierung von Organisationen implizieren, erweist sich bei der tatsächlichen Implementierung im internationalen Kontext als schwierig. Daher müssen die Konzepte einer „Übersetzung“ unterzogen werden (Lillrank 1995), wobei die Kernidee zunächst isoliert wird. Diese wird dann mit einem neuen „packaging“, das auf die jeweiligen lokalen Bedingungen abstellt, transferiert. Die flexible Anpassung der Modelle und der Diffusionsmethoden an die jeweilige institutionelle und politisch-kulturelle Infrastruktur und die spezifischen Probleme der Kunden in anderen Ländern ist die Voraussetzung für den erfolgreichen Transfer. Die Voraussetzung dafür ist die Kenntnis der Bedingungen im jeweiligen nationalen und kulturellen Kontext. Dies erfordert interkulturelle Kompetenzen, die wieder als interkulturelles Lernen zum Objekt der Diffusion durch die „knowledge industry“ wurde. Auch die Globalisierung selbst wurde als Innovation entdeckt und verbreitet, indem die Einsicht in die Notwendigkeit „to go global“ und für den Erwerb der dafür notwendigen Kompetenzen erzeugt wird (Mathews 2002). Die Diffusion über nationale Grenzen und über kulturelle Traditionen hinweg, involviert in hohem Maße das Wirken von Machtbeziehungen und von Interessen, die spezifisch mit dem „management knowledge market“ und den globalen Machtnetzwerken zusammenhängen. Die Übernahme einer Managementinnovation kann durch die Macht eines multinationalen Unternehmens den lokalen Betrieben, durch jene eines Mutterunternehmens den Töchtern in anderen Weltgegenden aufgezwungen werden. Der Einfluss der „global players“ beschränkt sich jedoch nicht darauf, sondern zwingt auch die nationalen Regierungen zu entsprechenden Änderungen im institutionellen Gefüge ihres Landes, um die Innovationen möglich und effektiv zu machen. Mitunter sind es auch internationale Organisationen wie die WTO oder die Weltbank, die die Kreditgewährung an die Bedingung der Übernahme bestimmter Technologien oder Strukturen knüpfen. In Bezug auf die Art und Weise der Arbeit und der Organisation, der Ausbildung und der Berufe, der Führung und Kontrolle der Unternehmungen etc. haben auch die lokalen wirtschaftlichen und politischen Eliten eine große Bedeutung, da sie durch ihren Einfluss, ihre Autorität und ihr Vorbild die Diffusion von Neuerungen begünstigen können. Viele von ihnen sind in westlichen Industrieländern ausgebildet und sind vertraut mit den dortigen Prinzipien des Managements, der Geschäftsführung und der Beziehungen der Unternehmen zu Staat und Marktpartnern.
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Die Globalisierung besteht daher nicht nur in der weltweiten Diffusion von Gütern, Ideen und Techniken, sie beruht auch in der kommunikativen Verbreitung einer bestimmten Rhetorik und wird durch die multinationalen Konzerne, die „management knowledge industry“ sowie die politischen und institutionellen Strategien gefördert. Globalisierung ist eine Strategie der globalen Kapitalistenklasse, wie Sklair (2002) feststellt. Die Folge ist zwar nicht Homogenisierung, aber jedenfalls Veränderung, die sowohl durch die allgemeine und mehr oder weniger spontane Übernahme von Begriffen und Konzepten als auch durch die Interessen und die aktive Förderung der Diffusion von Innovationen angetrieben wird.
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Entfremdung in der Wissensgesellschaft∗
8 Entfremdung in der Wissensgesellschaft
‚Entfremdung’ und ‚Wissensgesellschaft’ scheinen auf den ersten Blick zwei Begriffe zu sein, die nicht zusammen gehören, ja, die einander ausschließen. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, sie miteinander zu verknüpfen. Zu diesem Zweck müssen wir uns zunächst mit dem Konzept der Entfremdung in seinen verschiedenen Bestimmungen und dann mit dem Begriff der Wissensgesellschaft und seiner Bedeutung in der Gegenwart beschäftigen.
Zum Begriff der Entfremdung Durch die Arbeit, so meinte der idealistische Philosoph Hegel, erlangt der Mensch seine Befreiung von der naturhaften Bestimmtheit und wird auf sein Subjektsein hingewiesen. Durch die Vergegenständlichung seines Lebens in der Arbeit wird der Mensch praktisch geschichtlich, denn seine Existenz wird darstellbar durch die Objektivationen seiner Arbeit. Karl Marx griff die Hegelsche Auffassung von der Vergegenständlichung des Menschen durch Arbeit auf. Arbeit erhält in Marx’ frühen Schriften eine grundlegende Bedeutung nicht nur für die Sicherung der Reproduktion der Gattung, sondern für die Evolution des Menschen. Arbeit beruht auf Notwendigkeit und Freiheit und sie ist zugleich die Chance des Menschen zu seiner Selbstverwirklichung. Gerade weil Karl Marx der menschlichen Arbeit so große Bedeutung für Person und Gesellschaft zumaß, kritisierte er die Form, die sie unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen annimmt. Der konkrete Arbeitsprozess wird dem Verwertungsprozess des Kapitals untergeordnet und die Situation des Arbeiters, der mangels Produktionsmitteln gezwungen ist, seine Arbeitskraft zu vermarkten, ist durch Ausbeutung und Entfremdung gekennzeichnet. Marx sah die Entfremdung in der kapitalistischen Gesellschaft durch den Warencharakter der Arbeitskraft begründet. Sie ist für ihn daher grundsätzlich eine objektive Kategorie, begründet in den Produktionsverhältnissen; dieses objektive Verständnis von Entfremdung ist unabhängig von den subjektiven Erfahrungen, Gefühlen und Aussagen der Arbeiter selbst. Die ökonomische Entfremdung begründet auch die religiöse und politische Entfremdung, bewirkt insbesondere die Entfremdung des Menschen von sich selbst: die Entmenschlichung des Menschen. Auch die Beziehungen zwischen den Menschen werden zu Warenbeziehungen. Der Warenfetischismus setzt sich daher in anderen Lebensbereichen außerhalb der Güterproduktion fort, da diese ins Zentrum der menschlichen Gesellschaft rückt, und wird damit für sie zur prinzipiellen Gesetzmäßigkeit (Marx 1962: 86 f). Nicht die kapitalistische Produktionsweise, sondern die industrielle Technik und die Organisation der Arbeit stehen im Zentrum anderer Auffassungen von Entfremdung. Der ∗ Dieses Kapitel ist die vollständig überarbeitete und erweiterte Version des gleichnamigen Aufsatzes in: Internationale Zeitschrift für Sozialpsychologie und Gruppendynamik in Wirtschaft und Gesellschaft 29/2003, 3-16.
G. Mikl-Horke, Historische Soziologie – Sozioökonomie – Wirtschaftssoziologie, DOI 10.1007/978-3-531-92798-5_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Begründer der französischen Arbeitssoziologie, Georges Friedmann, differenzierte zwischen der funktionalen Arbeitsteilung und der Aufgabenteilung und kritisierte die Folgen der Arbeitszerlegung bei Fließbandarbeit in modernen Industriebetrieben (vgl. Mikl-Horke 2007b: 142 ff). Die Aufgaben(zer-)teilung reduziert den Menschen auf eine begrenzte Teilarbeit, die der menschlichen Kapazität nicht entspricht und für die Arbeitenden das psychische Problem der ‚unvollendeten Handlungen’ aufwirft. Der Arbeiter hat auch keinen Überblick über den gesamten Produktionsprozess; seine Arbeit hat für ihn daher keinen erkennbaren Wert als Beitrag zum Gesamtergebnis, und der Arbeitende verliert den direkten Bezug zum Objekt seiner Arbeit. Friedmann sah das Problem vor allem in der Entwertung der Berufsausbildung und dem allgemeinen Sinken der Qualifikation und der intrinsischen Arbeitsmotivation als Folge der Fabrikarbeit. Friedmann erblickte darin auch Folgen für die Persönlichkeit der Arbeitenden: „Die Grundantriebe der Persönlichkeit der Arbeitnehmer finden in ihrer Arbeit keinen Ausdruck; ihre berufliche Tätigkeit ist für sie etwas geworden, an dem sie keinen Anteil haben und demgegenüber sie entfremdet sind“ (Friedmann 1959: 159). Auch in der automatisierten Produktion wurden neue Formen der Entfremdung erkannt, da das Maschinensystem die Distanz zwischen dem Arbeiter und dem Produkt der Arbeit stark vergrößert. Darin sahen französische Arbeitssoziologen psychologische Folgen der ‚depersonalisation’ und der ‚desidentification’ für die Arbeitenden, betrachteten den technischen Fortschritt jedoch auch als einen potentiell gesellschaftsverändernden Faktor, der das Potential für die Überwindung der Selbstdefinition des Menschen durch die Arbeit in sich birgt (Friedmann und Naville 1962). Auf die Art der technologischen Grundlagen der Arbeit stellte auch der Begriff der Entfremdung in der amerikanischen Industriesoziologie ab. ‚Alienation’ wurde als subjektive Kategorie verstanden, die in den Empfindungen und Einstellungen der Arbeitenden begründet ist. Die Entfremdung ist daher keine allgemeine Folge der Technik und Organisation der Arbeit, sondern variiert je nachdem, ob und wie sehr sich die Arbeitenden in empirischen Untersuchungen als ‚entfremdet’ erkennen lassen. Melvin Seeman hatte im Rahmen eines sozialpsychologischen Ansatzes fünf Kriterien der Entfremdung definiert: Machtlosigkeit meint die Erwartung des Individuums, das Ergebnis seines Verhaltens nicht selbst bestimmen, keine Kontrolle über die Beschäftigungsbedingungen und den unmittelbaren Arbeitsprozess ausüben zu können; Sinnlosigkeit ist die Erfahrung, den Zusammenhang der Entstehung des Produkts, den Arbeitsprozess und die Organisation der Arbeit nicht mehr zu verstehen; Soziale Entfremdung ist charakterisiert durch die Isolation der Arbeiter am Arbeitsplatz und das Fehlen des Zugehörigkeitsgefühls zu einer Arbeitsgemeinschaft; Selbst-Entfremdung bedeutet die Erfahrung, dass die Tätigkeit nicht mehr in Zusammenhang mit Persönlichkeit und Selbstbewusstsein gesehen wird (Seeman 1959). Seeman hatte diesen noch das Kriterium der Normenlosigkeit im Sinne des Begriffs der Anomie von Emile Durkheim hinzugefügt. Die Arbeitszerlegung in der Industrie fördert demzufolge die Anomie, weil dadurch die Bindung des Individuums an seine Gruppe gelockert und das traditionelle Regelungssystem zerstört würde. Dieses Kriterium wurde von Robert Blauner aus dem Konzept der Entfremdung ausklammert, da sich die anomische Arbeitsteilung auf die Gesellschaft und nicht auf die subjektive Erfahrung der Arbeit beziehe (Blauner 1964). Die Entfremdung bei der Arbeit und die Anomie in der Gesellschaft stell-
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ten sich in Untersuchungen unter Automobilarbeitern (Form 1972) als zwei verschiedene Sachverhalte heraus, zwischen denen kein wechselseitiger Einfluss bestehen muss; Arbeiter können hochmotiviert und zufrieden sein in Bezug auf ihre Arbeit, aber Gefühle der Machtlosigkeit, Desorientierung etc. mit Bezug auf die Gesellschaft zum Ausdruck bringen und umgekehrt. Hingegen stellte sich in den Untersuchungen von Blauner – im Unterschied zu jenen von Friedmann und Naville – eine Tendenz der abnehmenden Entfremdung bei zunehmendem Niveau der Technologie fest; d. h. die Entfremdung ist am höchsten bei mechanisierter Fertigung und nimmt bei automatisierter Produktion ab (Blauner 1964). Kritik an diesem Verständnis von Entfremdung kam von Harry Braverman, der die sozialpsychologische Deutung ablehnte. Für ihn begründet der Übergang des Arbeitsprozesses in die Verantwortlichkeit des Kapitalisten das Grundfaktum der Entfremdung, die daher nicht durch Befragung der Arbeiter ermittelt werden kann (Braverman 1974). Er sah in der Rationalisierung unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen eine nach und nach alle Schichten der Beschäftigten erfassende Dequalifizierung und Degradation der Arbeit. Die entfremdete Arbeit wird damit zu einem allgemeinen Kennzeichen des industriekapitalistischen Arbeitsprozesses. Aber auch Tiefenpsychologen kritisierten, dass es geradezu zum Wesensmerkmal von Entfremdung gehöre, dass sie unbewusst verhaltenswirksam ist. Demzufolge ist Entfremdung in objektiven Gegebenheiten nicht nur der Arbeit, sondern auch der Lebensbedingungen als solchen begründet, ist aber den Menschen oft nicht bewusst, sondern äußert sich in Krankheit, Beziehungskrisen, in der Lebensführung von Menschen, in Drogenabhängigkeit, Alkoholismus, Depression etc. (Erikson 1986). Eine Ausweitung der Entfremdung auf alle Arbeitsformen und auf die Lebenswelt wurde auch von Seiten der kritischen Theorie festgestellt. Die Verbindung von Lohnarbeit, Konsumgesellschaft und Herrschaftsstrukturen führt demnach zur Verdinglichung sozialer Beziehungen in allen Bereichen des Lebens. Auch die Wissenschaft wurde als Ausdruck dieser Entwicklung gesehen und der Objektcharakter, den die positivistische Wissenschaft den Menschen zuweist, kritisiert. Jürgen Habermas hob die starke bewusstseinsbildende Wirkung von Wissenschaft und Technik und die politische Macht der Technokratie hervor (Habermas 1969). Die technokratische Ideologie unterstellt, alle menschlichen Probleme seien technisch-organisatorischer Art und daher mit wissenschaftlich-technologischen Mitteln zu lösen. Dabei wurde eine Abkehr von der Marxschen Arbeitswertlehre, wonach die Arbeit allein Werte zu schaffen vermag, durch die hohe Produktivkraft von Technik und Wissenschaft vollzogen. Die Verdinglichung und Entfremdung des Menschen ist Habermas zufolge nicht nur durch den Warencharakter der Arbeit im Kapitalismus bestimmt, sondern auch durch die Internalisierung der technokratischen Ideologie; diese offenbart sich in den Interaktionen, der Sprache und den Kommunikationsstrukturen, die der Manipulation des Denkens und Handelns der Menschen dienen. Strategisches Handeln und asymmetrische Kommunikationsstrukturen kennzeichnen die sozialen Beziehungen, und die Lebenswelt der Menschen wird durch die Medien des Systems, Macht und Geld, kolonialisiert (Habermas 1981). Die Systemrationalität der Technokratie wird zur herrschaftslegitimierenden Ideologie für ein System der Verwaltung von Menschen. Auch André Gorz ging von der Annahme der Zentralität der Arbeit für die Gesellschaft ab und konstatierte die Sinnlosigkeit aller Arbeit, da diese zum Selbstzweck geworden sei. Als eigentliches Ziel sah Gorz
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daher die Überwindung des Produktivismus, die jedoch weder von der Kapitalisten- noch von der Arbeiterklasse zu erwarten sei (Gorz 1988: 68). Die Entfremdung und ihre Auffassung erfuhren, wie gezeigt werden sollte, im Zuge der industriekapitalistischen Entwicklung eine Veränderung, die den Wandel von Technik und Arbeitsorganisation reflektiert, aber auch jenen der sozioökonomischen und kulturelldiskursiven Transformation der Gesellschaft. Die bisherigen Konzepte der Entfremdung orientierten sich an der sog. ‚fordistischen Formation’ der Produktion, in deren Zentrum die Produktionsarbeit in der Massengüterindustrie stand. Mit dem Übergang der Industriegesellschaft in eine neue Phase sozioökonomischer Entwicklung, die häufig mit dem Begriff der ‚Wissensgesellschaft’ charakterisiert wird, ist die Diskussion um die Entfremdung weitgehend versiegt. Warum dies so ist, könnte daran liegen, dass die Arbeitswirklichkeit für die Menschen nicht mehr entfremdend ist, oder aber daran, dass die Wahrnehmung von Entfremdung getrübt ist.
Von der kapitalistischen Industriegesellschaft zur postkapitalistischen Wissensgesellschaft? Die gegenwärtigen Gesellschaften sind seit längerem in einer tiefgreifenden Transformation begriffen, die sie in etwas anderes zu verwandeln scheint, etwas, das mit dem Begriff der Industriegesellschaft nicht mehr adäquat zu benennen ist. Die Entwicklungen wurden in verschiedener Art und Weise – je nach dem ideologischen und theoretischen Standpunkt der Autoren – auf den Begriff gebracht: als Spätkapitalismus, als postindustrielle, programmierte, technokratische, postmoderne Gesellschaft etc. charakterisiert (Mikl-Horke 2007b: 203 ff). Die bekannteste Analyse zur postindustriellen Gesellschaft stammt von Daniel Bell, der die folgenden Grundmerkmale hervorhob: In der Wirtschaft gewinnt der Dienstleistungssektor auf Kosten des sekundären Sektors an Bedeutung; die Berufestruktur verschiebt sich in Richtung auf Höherqualifikation, insbesondere im Bereich der technischen Berufe; das theoretische Wissen gewinnt überdimensional an Bedeutung, es wird Ausgangspunkt und Grundlage von Innovationen, aber auch von politischer Programmatik. Wissenschaftsund Technologieentwicklung werden in noch stärkerem Maß zu den Grundlagen des wirtschaftlichen Wachstums. Die Problemlösung mittels rechenhafter, wiederholbarer und möglichst rationaler Vorgänge ersetzt intuitive Lösungsansätze (Bell 1973). In der postindustriellen Gesellschaft sind die Sektoren Forschung und Entwicklung, Beratung, Finanzdienstleistungen die am raschesten wachsenden Bereiche und auch in der Industrie selbst verschob sich das Schwergewicht auf Funktionen, die mit der Planung und dem Einsatz der Informationstechnologie, mit Informationsverarbeitung und -generierung, mit Forschung und Entwicklung zu tun haben. Die Informationstechnologie nimmt darüber hinaus allgemein den Charakter einer neuen ‚intellektuellen Technologie’ an. Im Zentrum der wirtschaftlichen Entwicklung steht damit eine Technologie, die zwar zunehmend immer kleiner dimensionierte Maschinen mit flexibler Funktionsweise ermöglicht, aber dennoch auf der Produktion und der ständigen Weiterentwicklung von Maschinen beruht. Dies sind allerdings Maschinen der Steuerung und Kontrolle sowie der Informa-
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tionsspeicherung und -verarbeitung, so dass sie nicht nur Inkorporationen eines technologischen Wissens darstellen, sondern alles Wissen in Informationen transformieren, es verwalten und verbreiten. Die Kennzeichnung dieser Entwicklung als Informations- bzw. Wissensgesellschaft bedeutet nicht den Übergang von einer „weitgehend ‚materiell’ orientierten und gesteuerten Wirtschaft hin zu einer ‚symbolischen’ und wissensfundierten Ökonomie (Stehr 1994: 295), denn die neuen Technologien erfordern Maschinen, deren Einsatz ihre physisch-materielle Produktion und den Einbau in Produktions- und Verwaltungssysteme voraussetzt. Was unter ‚Wissen’ zu verstehen ist, erfuhr im Zuge dieser technologischen Entwicklung eine grundlegende Veränderung. Hatte es sich bisher auf in Menschen inkorporiertes Wissen, noch angelehnt an das, was man bisher unter ‚Bildung’ verstand, bezogen, so ist das neue Wissen in Maschinen inkorporiert. Dieses ‚Informationswissen’, das mit Hilfe von Computern in Form von ungeheuren Mengen von Daten prozessiert wird, unterscheidet sich von dem in Menschen inkorporierten ‚Bildungswissen’ dadurch, dass es durch die ständig strömende Fülle neuer Informationen laufend entwertet und erneuert wird. Die Speicherkapazitäten der Computer sind die Grenze dieses Informationswissens und werden ständig erweitert. Das Wissen hängt damit direkt von den technologischen Grundlagen und ihrem Fortschritt ab, so dass ein systemisch-eigendynamischer Zusammenhang zwischen technischer Ausrüstung und Wissensproduktion besteht. Der Besitz von Wissen erscheint mehr und mehr durch den Zugang zu Computern und Internet und durch die Fähigkeiten, diese zu nutzen, bestimmt. Diese Kompetenzen sind daher die wichtigsten Fähigkeiten, über die Individuen verfügen müssen. Sie sind die Grundbedingung dafür, dass sie überhaupt Beschäftigung finden können, aber als neue Kulturtechniken sind sie auch für die privaten Bereiche sowie für die Anbindung an und den Zugang zu Informationen und die Sicherung von Rechten und Chancen in den modernen Gesellschaften unentbehrlich. Für die Menschen in der Wissensgesellschaft bedeutet das, ihre Kompetenzen in diesen Technologien immer wieder zu ergänzen und zu erneuern, aber auch die Anschaffung immer neuer Generationen von Computern und anderer mikroelektronischer Geräte mit immer neuen Anwendungen. Wissen wird in der Gegenwart mit der Informationsgenerierung und -verarbeitung mittels der neuen Technologien verbunden. Der neueste Stand des Wissens, das gerade gebraucht wird, kann aus der Maschine abgerufen werden, wobei allerdings eine Selektion aus der großen Menge redundanter Informationen vorgenommen werden muss. Dies und die Beurteilung der Relevanz der Informationen für das zu lösende Problem sind die Leistungen des ‚Bedieners’ der Wissensmaschine, um einen Ausdruck von Marx aufzugreifen. Dieses Wissen ist also nicht personales Wissen der einzelnen Menschen, das diese sich durch Bildung oder im Zuge ihrer Lebens- und Arbeitserfahrung angeeignet haben; es ist daher auch nicht autonomes Wissen von Menschen, über das sie allein verfügen, sondern es ist in Maschinensystemen inkorporiert und verallgemeinert. Wissenschaft und Technik kommt in der Gegenwart zweifellos große Bedeutung zu; sie werden als die produktiven Kräfte in der Wirtschaft betrachtet, aber über diese hinaus ist eine Tendenz zur Verwissenschaftlichung aller Lebensbereiche festzustellen, was meist aus sozialwissenschaftlicher Sicht mit dem Begriff ‚Wissensgesellschaft’ verbunden wird (Böhme und Stehr 1986). Die Rede von der Wissensgesellschaft gehört gegenwärtig zum rhetori-
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schen Standardrepertoire, wenn Bezug genommen wird auf den sozialen, ökonomischen und kulturellen Wandel unserer Gesellschaften. Der Begriff suggeriert, dass in der modernen Gesellschaft dem Wissen ein hoher Stellenwert als sozialer Wert an sich und als Statuskriterium eingeräumt wird; dass unsere Gesellschaften keine Industriegesellschaften mehr seien; dass Wissen(schaft) die treibende Kraft der Wirtschaft sei, nicht das Kapital. Der Begriff hat daher eine starke Faszination für die Sozialwissenschaften, denn er kann als neue Gesellschaftsformation und gleichzeitig als eine Entwicklungstendenz analysiert werden. Aber dabei wird häufig übersehen, dass diese neue Entwicklung keineswegs auf andere Werte und Ziele als die des wirtschaftlichen Wachstums unter kapitalistischen Vorzeichen ausgerichtet ist. Wissen und Wissenschaft werden als gesellschaftlich nützlich erachtet und daher durch Bezahlung anerkannt und gefördert, soweit sie als ‚Innovationsleister’ für Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit gelten können. Wissenschaft ist von einem relativ autonomen Bildungsbereich zu einem den wirtschaftlichen Zielen unterworfenen Dienstleistungssektor geworden. Dieser muss daher dieselben Erfolgskriterien von Effizienz, Marktgängigkeit und Konkurrenz erfüllen, wie sie für die private Unternehmenswirtschaft charakteristisch sind. Die Wissensgesellschaft bedeutet daher die Vollendung der mit der Industrialisierung begonnenen Indienstnahme der Wissenschaft durch die Wirtschaft in der Weise, dass Wissenschaft als Funktionsbereich in die Marktwirtschaft integriert wird. Wissen ist performativ geworden, meinte Lyotard (1986); es wurde zum primären Wachstumsfaktor der Wirtschaft. Das bedeutet nicht die Herrschaft des Wissens über die Wirtschaft, sondern die Ökonomisierung des Wissens, oder besser: Alles Wissen, das in dieser Gesellschaft als wichtig und nützlich angesehen wird, ist dies je nach seiner Fähigkeit, sich in Geldkapitalzuwächsen niederzuschlagen. Daher erscheint auch die Auffassung, wonach die Bedeutung des Wissens als Grundlage der Wirtschaft das Kapital in dieser Funktion abgelöst habe, unbegründet und die These von der ‚post-kapitalistischen Gesellschaft’ (Drucker 1993) widerlegt. Peter Drucker nahm eine inhärente Logik der wirtschaftlichen Entwicklung hin zur Wissensgesellschaft an, allerdings meinte er, dass dies ebenso wie die Ausbreitung der industriellen Technologie zu einer Konvergenz der Gesellschaftssysteme führen müsse, die daher nicht mehr ‚kapitalistisch’ oder ‚sozialistisch’ seien. Dem ist entgegen zu halten, dass zumindest der Kapitalismus keineswegs abgedankt, sondern sich als das einzige übrig gebliebene Wirtschaftssystem global verbreitet hat; seine Logik von Markt und Profit beherrscht die Weltwirtschaft. Die moderne Gesellschaft verwandelt sich nicht in eine post-kapitalistische Gesellschaft, wenn dieser Begriff im Sinne des Endes der Orientierung an den Interessen des Kapitals verstanden wird. Vielmehr sind diese der Motor für die Forschung und Entwicklung und die Entstehung von Wissen für wirtschaftliche Innovationen. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass sehr große Geldmittel für die Schaffung von immateriellem Kapital in Form von Wissen erforderlich sind. Die hohen Kosten des gegenwärtigen Forschungsund Wissenschaftsbetriebs belegen die Tatsache, dass Wissen und Geldkapital besonders eng verbunden sind. Profitinteressen gelten unter der Ägide des ‚shareholder value’Prinzips als prioritär, was über die Finanzialisierung der Unternehmen hinaus die Orientierung aller Bereiche, auch der Bildungs- und Wissenschaftspolitik an finanziellen Kennzahlen, den letztlich ausschlaggebenden Kriterien der ‚Wissensbilanzen’, begründet hat. Der Begriff ‚Wissensgesellschaft’ ist ideologisch, denn er verschleiert die Tatsache, dass Wissen
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als Wachstumsfaktor gegenwärtig eng mit der finanzkapitalistischen Entwicklung der Wirtschaft zusammenhängt. Die Rhetorik der Wissensgesellschaft fand auch in die Politik Eingang, die den Begriff in paradoxer Wendung im Sinne einer bereits vorausgesetzten, aber gleichzeitig als eine durch die aktive Beteiligung der Individuen zu schaffende Wirklichkeit präsentiert. Die Förderung von Forschung und Entwicklung kann plausibel als ein Ziel dargestellt werden, das den Menschen, ihrer besseren Ausbildung und ihren Lebenschancen in allen Bereichen, in Wirtschaft, Politik und Kultur, zugute kommt. Dabei wird allerdings die totale Ausrichtung der Bildungssysteme auf die Anforderungen der Wirtschaft und die dadurch bewirkte ‚Zurichtung’ der Menschen (Strasser 2001) unterschlagen. Die Bildungspolitik fördert einseitig bestimmte Studien, die dafür als nützlich angesehen werden, strukturiert die Studien so, dass sie möglichst den wirtschaftlichen Erfordernissen entsprechen und durchflutet gleichzeitig das System gemäß den Prinzipien des New Public Management mit Effizienz- und Kontrollzielen etwa im Sinne des Schlagworts von der ‚unternehmerischen Universität’.
Wissensarbeit Die industrielle Produktionsarbeit ist in ihrer Bedeutung als typische Form der Arbeit durch die ‚Wissensarbeit’ ersetzt worden. Die Bedeutung der Wissensarbeit und ihre Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung wurden schon von Fritz Machlup nach dem Zweiten Weltkrieg aufgezeigt. Er schätzte den Anteil der Wissensarbeiter an der US-amerikanischen Wirtschaft mit ca. einem Drittel aller Beschäftigten sehr hoch ein und in späteren Untersuchungen stieg er noch weiter an (Machlup 1962; Machlup und Kronwinkler 1975). Machlup hatte unter den Wissensarbeitern alle jene verstanden, die in irgendeiner Weise im Produktions- oder Dienstleistungssektor mit der Produktion und Vermittlung von Wissen zu tun haben. Seine Definition der Wissensarbeit war sehr weit gefasst und umfasste im Prinzip alle Berufe, die eine spezielle Ausbildung voraussetzten. Peter Drucker sah die Wissensarbeiter dadurch charakterisiert, dass ihre Tätigkeit die ständige Ausweitung und Anwendung des technologischen Fortschritts gewährleistet. Auf dieser Grundlage differenzierte er die ‚knowledge workers’ der wissensbasierten Sektoren und Berufe von jenen Arbeitenden, die der Konsumnachfrage der privaten Haushalte dienen, den ‚service workers’. Die Spaltung in diese beiden Gruppen sah er als charakteristisch für die post-industrielle bzw. die post-kapitalistische Gesellschaft (Drucker 1993). Im Zuge der weiten Verbreitung der Informationstechnologie, des Computers und des Internets wurden dann die an und mit diesen Arbeitenden als zentraler Kern der Wissensarbeiter erkannt. Sie stehen im Zentrum dessen, was als ‚new economy’ bezeichnet wird und sie arbeiten an der Entwicklung, Verbreitung und Anwendung der neuen Technologien. Sie finden sich vornehmlich in jenen Sektoren, in denen neues Wissen, meist mit Hilfe der Informationstechnologie, generiert wird, also im Forschungs- und Entwicklungsbereich in Bildungssystem und Wirtschaft. Auch die Arbeit der Wissenschaft hat sich zunächst durch die Informationsverarbeitung mittels Computer und Internet stark verändert; neue Möglichkeiten der Recherche, der Kooperation und der Präsentation haben sich eröffnet, die allerdings gleichzeitig auch zu
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stärkerer externer Kontrolle und einer Erhöhung der formalen Anforderungen sowie zu einem rascheren Umschlag des Wissens führten. Wissenschaft vollzieht sich in vernetzten Prozessen, stützt sich auf Informationsverarbeitung und auf Problemstellungen, die vielfach außerhalb der Wissenschaft generiert werden. Die Wissen(schaft)sarbeit wird zunehmend standardisiert und der externen Kontrolle unterworfen; die Ideen, das personale Wissen und das Problembewusstsein der einzelnen Forscher spielen eine zunehmend geringere Rolle, da die Autonomie der Wissenschaftsarbeit durch ihre Beurteilung auf Grund externer Nützlichkeitserwägungen untergraben wird. Wissenschaft ist aber auch kein Beruf mehr in dem Sinn, wie das Max Weber mit seiner Betonung des Fachwissens meinte, sondern ist Arbeit, die in oftmals prekären Beschäftigungsverhältnissen und unter den Bedingungen externer Zielsetzung und Kontrolle geleistet wird.
Entberuflichung in der Wissensgesellschaft Die Annahme, der technische Wandel erfordere eine wissenschaftliche Ausbildung und spezialisierte Qualifikationen vieler Arbeitnehmergruppen in der post-industriellen Gesellschaft, führte zur Diskussion um die allgemeine Tendenz zur Professionalisierung (Wilensky 1964). Wenn man unter Professionalisierung die dauerhafte Spezialisierung der Berufsgruppen meint, ist jedoch gegenwärtig eher eine Tendenz zur Entberuflichung zu bemerken, die charakterisiert ist durch betriebsspezifische Qualifikationen, die Orientierung der Ausbildungssysteme am Bedarf der Unternehmenswirtschaft und das rasche Veralten von beruflichem Wissen durch den technisch-wissenschaftlichen Wandel. Die Geschwindigkeit der Veränderung wird in Bezug auf die Anforderungen an die Arbeitenden noch erhöht durch die starke Abhängigkeit der modernen Unternehmen von den globalen Kapitalmärkten. Die Beruflichkeit der Wissensarbeit nimmt ab, denn es kommt dabei nicht mehr primär auf die durch Ausbildung und langjährige Erfahrung erworbenen Kompetenzen der Menschen an, sondern auf deren flexibles Um- und Weiterlernen nach Maßgabe des Wandels des in ‚intelligenten’ oder ‚lernenden’ Systemen, Maschinen, Organisationen inkorporierten Wissens. Daraus folgt eine starke Abhängigkeit der Kompetenzen der Menschen von diesen ‚nicht-menschlichen Akteuren’ (vgl. Latour 1991: 129), deren Veränderung Qualifikationen in Frage stellt oder vernichtet. Darüber hinaus ist dieses Wissen immer mit Nicht-Wissen in dem Sinn untrennbar verbunden, dass der Ausfall der Wissensmaschine die Unfähigkeit zu agieren zur Folge hat. Die Interaktionen erfolgen primär mit den nicht-menschlichen Akteuren, die auch die Kommunikation zwischen den menschlichen Akteuren vermitteln. Das bedeutet eine wesentliche Veränderung der sozialen Beziehungen und der Formen und Inhalte der Kommunikation in der modernen Arbeitswelt. Die Beschäftigten müssen ihre Qualifikationen daher in relativ kurzen Abständen immer wieder an die technologischen und ökonomischen Veränderungen anpassen, sie müssen in ihre Qualifikation fortlaufend ‚investieren’, um ‚beschäftigungsfähig’ zu bleiben. Das macht kognitive Fähigkeiten des ‚Lernens des Lernens’ in einem Prozess des ‚lebenslangen Lernens’ erforderlich, so dass den ‚Schlüsselqualifikationen’ bzw. den extrafunktionalen Handlungskompetenzen gesteigerte Bedeutung zukommt. Für den Arbeitenden bedeutet dies, dass die universelle fachspezifische Qualifikation nur mehr die vorausgesetzte Basis
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darstellt, aber für die Beschäftigungs- und Karrierechancen Lernfähigkeit, Anpassungsfähigkeit, Teamfähigkeit, Akquisitionskompetenz in Bezug auf Informationen, Sozialkapital, finanzielle Ressourcen etc. wichtig sind. Die Arbeitenden müssen sowohl fachlich als auch in Bezug auf die technisch-organisatorischen und die extrafunktionalen Kompetenzen ständig weiterlernen, wobei auch Berufswechsel im Laufe des Arbeitslebens zunehmend normal werden. Der Beruf wandelte sich von einem langfristig verwertbaren Bestand an Qualifikationen im Sinne eines Lebensberufs zu ‚Humankapital’ (Becker 1975), dessen Marktgängigkeit ständig nachgebessert werden muss. Die Arbeitenden oder Arbeitsuchenden sind selbst aufgerufen, sich durch Qualifizierung die Voraussetzungen für die Teilnahme an der Erwerbswelt und für die Verbesserung ihrer Chancen darin zu verschaffen. Sie müssen in ihr Humankapital investieren, um ihre Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt verkaufen zu können. Dies wurde als Tendenz zu einer neuen Grundform der Ware Arbeitskraft gesehen, die mit dem Begriff ‚Arbeitskraftunternehmer’ charakterisiert wurde (Pongratz und Voß 1998). Dieser löst den proletarischen Lohnarbeiter und den verberuflichten Arbeitnehmer in früheren Phasen der Industriegesellschaft als Idealtypus ab, wenngleich in den realen Beschäftigungsstrukturen verschiedene Arbeitsformen nebeneinander bestehen bleiben (Pongratz 2003). Allerdings ist die Kennzeichnung als Arbeitskraftunternehmer problematisch, da zwar einerseits individuelle Risikobereitschaft und Kreativität gefordert werden, andererseits jedoch die relative Wahl- und Entscheidungsfreiheit sowie die Verfügungsrechte über Ressourcen, wie sie den Unternehmer auszeichnen, nicht gegeben sind. Das Humankapital unterscheidet sich von Berufswissen durch die Dauer seiner Nutzbarkeit und die generelle Verfügungsmacht über dieses Wissen. Das ‚Kapital’ der Arbeitenden, ihre marktgängigen Fähigkeiten und Fertigkeiten, ist weitgehend fremdbestimmt, denn es muss an die Definition der ‚Human Resources’ durch die Unternehmen, die sich auf Grund des technischen Wandels, des wissenschaftlichen Fortschritts, der Restrukturierung der Betriebe und der wechselnden Vermarktungs- und Finanzierungsstrategien ständig verändern, laufend angepasst werden. Das hat zur Expansion des Marktes für Ausbildungsangebote geführt. Auch die Aufgaben der Schulen werden an den Anforderungen der Wirtschaft in der ‚Wissensgesellschaft’ gemessen; sie werden zu Basislieferanten ‚der Wirtschaft’, dienen zwar noch zur Entwicklung einer gewissen Statusqualifikation, aber über die Funktionsqualifikation wird durch und in Unternehmen und auf Grund der sich wandelnden Anforderungen entschieden (Fürstenberg 1997: 88).
Flexibilisierung und der Wandel organisatorischer Kontrolle Flexibilität ist eines der Zauberworte unserer von Schlagwörtern beherrschten Zeit, das uns immer wieder und in verschiedenen Bedeutungen begegnet. In den 70er Jahren wurde die Diskussion um die Flexibilisierung nicht nur im Sinne einer für die Betriebs- und Arbeitsprozesse optimalen Arbeitszeitverteilung geführt, sondern es ging auch um Zeitsouveränität für die Arbeitenden (Teriet 1978). Man suchte nach einer flexibleren Gestaltung der Arbeitszeit, die sowohl betrieblichen Zielen als auch den Bedürfnissen der ArbeitnehmerInnen
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entsprechen konnte. Inzwischen hat Flexibilisierung eine ganz andere Bedeutung angenommen oder besser: viele verschiedene Dinge verbergen sich hinter diesem Wort. Der Begriff der Flexibilisierung verweist auf einen Wandel, der nicht mehr nur die Arbeitszeitgestaltung, sondern die gesamte Arbeitswelt, die Organisationen und die wirtschaftlichen Strukturen betrifft. Damit sind daher auch Folgen für die Lebenswelt der Menschen genauso wie für die gesellschaftlichen Strukturen verbunden. Flexibilisierung muss gegenwärtig in einem umfassenden Sinn verstanden werden, als Wandlungsprozess, der durch Globalisierung, Informatisierung und durch die Deregulierung der Kapitalmärkte in Gang gesetzt worden ist. Es ist ein Prozess, der aber vor allem die grundlegenden Institutionen der kapitalistischen Marktwirtschaft transformiert hat: das Unternehmen und die Arbeit (vgl. Mikl-Horke 2004a; Mikl-Horke 2007b: 169 ff). Flexibilisierung meint vor allem eine Veränderung der Unternehmen hin zu dem, was der Begriff „flexible firm“ ausdrückt. Dieser umfasst:
Kostenflexibilisierung: Sie bezieht sich vor allem auf die Arbeitskosten, die möglichst variabel und anpassungsfähig gehalten werden sollen. Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen, sind etwa Arbeitszeitverlängerung, Ausweitung der Arbeitsinhalte, Arbeitsintensivierung, Personalabbau, Lohnnebenkostensenkung, zunehmende Nutzung atypischer Beschäftigungsformen etc. Strukturflexibilisierung (‚restructuring’, ‚reengineering’): Sie bedeutet, dass die Anordnung von Stellen und Funktionen in der Organisation, aber auch die Größe und Gestalt des Unternehmens selbst möglichst variabel gestaltet werden sollen. Die Arbeitenden müssen als variabel einzusetzende Ressource behandelt werden, was erreicht werden kann durch die Veränderung von Zuständigkeiten, die Organisation der Arbeit in wechselnden Teams etc., aber auch durch die Ausgliederung von Funktionsbereichen und Betriebsteilen, die Fusionierung mit anderen Unternehmen, die Filettierung von Unternehmen etc. Die Umstrukturierung der Organisationen als Anpassung an externe Bedingungen wird damit zum Normalzustand der Unternehmen, die gleichzeitig ihre Grenzen ständig verändern. Kapitalflexibilisierung: Diese ist gleichzeitig die Ursache dieser Prozesse, denn die Sensitivität der Unternehmen für die Reaktionen des Kapitalmarktes hat sich bedeutend erhöht; Aktienkurse und Kapitalgewinne sind die wichtigsten Indikatoren für den Erfolg eines Unternehmens in einer Situation, in der sich das Kapital in globalem Maßstab die besten Investitionsmöglichkeiten suchen kann. Die Eigentümerstrukturen der Unternehmen können sich quasi über Nacht verändern; die Kapitalinteressen diktieren, welche ‚Effizienz’-Ziele angestrebt werden sollen und bestimmen die Corporate Governance der Unternehmen.
Die globale Wettbewerbssituation und die Orientierung der Unternehmen an den Finanzkennzahlen bedeuten notwendig eine Verstärkung der Rationalisierung und der Kontrolle der Arbeit in den Organisationen. Der erhöhte Kontrollbedarf wird jedoch nicht durch kostenintensive Überwachungssysteme bewältigt oder der subjektiven Kontrolle durch die Vorgesetzten überlassen; dafür werden vielmehr ‚objektive’, unpersönliche Systeme der Überprüfung und Beurteilung durch Rückkoppelung der Ergebnisse an die Ziele der jewei-
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ligen organisatorischen Einheit geschaffen. Erfolgskontrolle ersetzt Zeitkontrolle, aber auch die Notwendigkeit für das Management, kostspielige Maßnahmen zu setzen, um die Motivation der Arbeitenden zu verbessern. Der Druck vom Arbeitsmarkt her macht dies überflüssig und die Konkurrenz zwischen den Arbeitenden sorgt für die Selbstmotivation der einzelnen. Diese wird auch im Sinne einer Selbstkontrolle der Arbeitenden genutzt. Das Management hat sich die ‚Künstlerkritik’ der 1960er Jahre mit ihrer Betonung von Autonomie und Selbstverwirklichung angeeignet, wie Boltanski und Chiapello (1999) zu zeigen suchten. Der Partizipationsgedanke, der in der vorhergehenden Epoche mit der Diskussion über die Demokratisierung der Betriebe und die Humanisierung der Arbeit verbunden war, wandelte sich damit von einer Forderung der Arbeitnehmer zu einer Anforderung an sie. Durch scheinbare Gestaltungsfreiheit und Partizipation der Arbeitenden wird das persönliche Streben nach Sinn in der Arbeitstätigkeit und nach Anerkennung genutzt, um die Effizienz zu steigern. Man kann darin eine neue Form der Kontrolle am Erfolg oder einer „Herrschaft durch Autonomie“ (Moldaschl 2001) bzw. einer „kontrollierten Autonomie“ (Vieth 1995; Wolf 1999) erblicken. Sie ist insbesondere im Bereich der Wissensarbeiter zu erkennen. Das Human Resource Management der Unternehmen soll die „bürokratisch verschütteten subjektiven Potentiale freilegen, Engagement und Begeisterung mobilisieren, teure Kontrollsysteme durch kostenlose und effektivere Selbstkontrolle substituieren, Herrschaft durch Selbstbeherrschung virtualisieren und Planung durch Improvisation flexibilisieren“ (Moldaschl 2002: 29). Die neuen Anforderungen an die Arbeitenden beziehen auch die Persönlichkeit mit ein. Dabei spielen vor allem Innovationsbereitschaft, Kreativität und Einsatzfreudigkeit eine besondere Rolle, werden ‚unternehmerische’ Fähigkeiten auch von Arbeitnehmern gefordert (vgl. Bröckling 2007). Zwar kann dies eine stärkere ‚ganzheitliche’, an der Persönlichkeit ausgerichtete Qualifikation bedeuten, die jedoch letztlich durch die wirtschaftlichtechnisch begründeten Bedürfnisse der Organisationen und nicht durch diejenigen der Arbeitenden bestimmt wird (Brown und Hesketh 2004). Die ‚Subjektivierung’ der Arbeit durch die Einbeziehung der ganzen Persönlichkeit des Arbeitenden in die organisatorischen Anforderungen bedeutet auch eine starke Abhängigkeit der Persönlichkeitsformung und der Identität der Individuen von den Arbeitsorganisationen. Damit verbunden kommt es zu Erscheinungen, die mitunter als ‚Selbst-Ökonomisierung’ oder ‚Selbst-Rationalisierung’ bezeichnet werden, aber vielfach in Selbstausbeutung resultieren (vgl. Baethge 1991; Moldaschl und Voß 2002; Pongratz und Voß 1998). Diese fremdbestimmte Selbstausbeutung resultiert in Überforderung durch Erfolgsdruck und in sozialem Strain durch die Verunsicherung durch widersprüchliche Anforderungen. Die Fremdbestimmtheit der Arbeit ist in der modernen Wissensgesellschaft nicht aufgehoben, sie tarnt sich als scheinbare Autonomie und Selbstbestimmung und hat sich auf alle Beschäftigungsgruppen, insbesondere auf die Höherqualifizierten ausgedehnt.
Die Wiederkehr der Existenzangst: Prekarisierung Die Auswirkungen der neuen Arbeitswelt sind in sozioökonomischer Hinsicht generell dadurch gekennzeichnet, dass der Faktor Arbeit im Vergleich zum Kapital an Gewicht stark
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verloren hat. Die Unternehmen reagieren auf externe Einflüsse und Veränderungen auf dem Kapitalsektor und suchen die Organisation und die Beschäftigung möglichst dynamisch daran anzupassen. Ihr Erfolg hängt nicht mehr davon ab, die Arbeitenden zu motivieren, sondern davon, ob sie attraktive Gewinnzahlen und Kurse der Aktien erwirtschaften. Da Arbeit der variable Teil des Kapitals ist, wie schon Marx festgestellt hatte, konzentrieren sich Einsparungen und Effizienzsteigerungen zum Zweck der Erhöhung der Gewinne und der Verbesserung der Kurse auf die Intensivierung der Arbeit und die Reduktion des Personalstandes. Unter den Bedingungen der globalen Konkurrenz und der Kapitalorientierung der Unternehmen gilt ‚downsizing’ nicht nur als ein Mittel zur Reduktion der Kosten und zur Förderung des ‚shareholder value’, sondern beweist die Effizienz der Unternehmensführung. Die große Bedeutung der globalen Finanzmärkte und ihrer Folgen für die reale Wirtschaft führt darüber hinaus zur Schwächung der kollektiven Interessenvertretungen der Arbeitnehmer und zur Reduktion der Schutzbestimmungen des Arbeitsrechts sowie zur Beschneidung der Sozialleistungen sowohl von Seiten der Unternehmen als auch von Seiten des Staates, der als reiner Steuerstaat unter ständiger Finanznot leidet. Das führt dazu, dass die wirtschaftlichen Risiken individualisiert und verstärkt auf die Arbeitenden überwälzt werden, was euphemistisch als Selbstverantwortung gekennzeichnet wird. Der „Primat der Ökonomie“ (Kühl 2004: 13ff) führt zu ständigem Druck auf Einkommen, Arbeitsintensität und Anforderungen sowie zu latenter Arbeitsplatzunsicherheit aller Arbeitnehmer. Ein größer werdender Teil der Arbeitenden – und zwar nicht nur die Niedrigqualifizierten – findet nur mehr zeitweise und in nicht für die Lebensführung ausreichender Weise Beschäftigung; sie geraten in prekäre existentielle Situationen. Die Zahl der atypisch Beschäftigten in Teilzeitarbeit, Leih- oder Zeitarbeit, der freien Mitarbeiter oder geringfügig Beschäftigten nimmt zu. Oft müssen die Menschen mehrere Jobs übernehmen, um ein Einkommen zu erzielen, das ihnen einen einigermaßen angemessenen Lebensunterhalt ermöglicht. Die Lebensläufe der Menschen werden zu „Bastelbiographien“ (Beck und Beck-Gernsheim 1993) und können dabei auch immer wieder durch Zeiten der Arbeitslosigkeit oder durch Neu- und Umorientierungen der beruflichen Tätigkeiten unterbrochen werden. Großunternehmen gliedern Funktionsbereiche, die sie nicht als Kerngeschäft erachten, aus, um sie dann vom ‚Markt’ zuzukaufen, was vielfach heißt, dass Mitarbeiter durch dieses ‚outsourcing’ gekündigt, aber dann auf ihre eigene Rechnung zu Zulieferern ihres ehemaligen Unternehmens werden. Viele dieser Neugründungen sind Ein-Mann-Betriebe (‚SoloSelbständigkeit’) und ihre Selbständigkeit ist mehr oder weniger fiktiv, weil sie oft von einem großen Unternehmen vollkommen abhängig sind (‚Scheinselbständigkeit’). Die existentielle Situation vieler der ‚neuen’ Selbständigen ist durch die Übertragung des Risikos von dem ursprünglichen Arbeitgeber auf sie gekennzeichnet und auch die Selbstbestimmtheit entspricht weitgehend nicht der Realität, denn sie leisten dieselbe Arbeit, nun aber in Form eines Geschäftsvertrags und auf eigenes Risiko, da die Preise ihrer Leistungen von dem früheren Arbeitgeber, der nun als Monopsonist auftritt, bestimmt werden. Die Auswirkungen der flexiblen Rationalisierung der Unternehmen auf die Arbeitenden bestehen in Arbeitsplatzunsicherheit, im Zwang zu permanentem Weiter-, Um- und Neulernen, in Karrierebrüchen, in der Erosion der Vollzeitbeschäftigung, in der Schwächung der Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen, in der Auflösung des Sozialgefüges des Betriebes, in der Hybridisierung der Beschäftigung zwischen Selbständigkeit und unselb-
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ständiger Arbeit. Dies hat auch Folgen für die ‚Work-Life-Balance’ (vgl. Hakim 2000), denn es kommt – insbesondere bei den WissensarbeiterInnen –zur Verwischung der Grenzen zwischen Job und Privatsphäre und häufig auch zur Notwendigkeit der gesteigerten geographischen und beruflichen Mobilität. Das hat Folgen für die zwischenmenschlichen Beziehungen der „umherschweifenden Produzenten“ von immaterieller Arbeit (Negri und Lazzarato 1998) und auch für die Persönlichkeitsformung des „flexiblen Menschen“ (Sennett 1998).
Die Rute im Fenster: Exklusion War das Begriffspaar Inklusion/Exklusion zunächst für das Problem der Integration der Menschen am Rande der Wohlfahrtsgesellschaft geprägt worden (Lenoir 1974), so weitete sich seine Bedeutung im Kontext der finanzialisierten Wissensgesellschaft aus. Man kann in der Polarisierung von Inklusion und Exklusion ein sozialstrukturelles Substitut der Klassengesellschaft erblicken (Boltanski und Chiapello 1999: 391). Charles Sabel hat allerdings darauf hingewiesen, dass damit eine ganz andere Art von Ungleichheit, als sie mit dem Konzept der Schichten- oder Klassenunterschiede verbunden war, impliziert ist, denn es geht nicht mehr um Ausbeutung, sondern um ‚abandonment’, was man mit Aufgeben, Verlassen, Zurücklassen übersetzen kann: „…exploitation … suggests that the losers in the new economy are insufficiently compensated for their contribution to production, whereas we have seen that what they are losing is the possibility to make any contribution to the economy” (Sabel 1991, 45). Damit bringt Sabel zum Ausdruck, dass die neue Ungleichheit keine graduelle Schichtung darstellt, aber auch nicht nur einen antagonistischen Interessengegensatz impliziert, sondern eine fundamentale Differenz von ‚sozialem Sein oder NichtSein’ bedeutet. Auch der französische Soziologe Robert Castel versteht Exklusion als ‚désaffiliation’ im Sinne des Verlusts von Beziehungen in Familie, Staat, Arbeitswelt, weist aber darauf hin, dass auch Inklusion nur eine ‚anomische Freiheit’, eine Freiheit in Unsicherheit, erlaubt (Castel 2000). Die gegenwärtige, im globalen und deregulierten Kapitalismus verfangene Politik macht dies sehr deutlich. So etwa wird in den Bildungszielen der Europäischen Union Inklusion als ein grundlegendes Leitprinzip der Politik definiert; es wird aber gleichzeitig an die Kompetenzen in den neuen Medien, der naturwissenschaftlich-technischen Ausbildung mit mathematischer Orientierung und an Fremdsprachenkenntnisse geknüpft (Education Council 2001). Fast scheint es, als wollte man damit Jules Vernes Vision einer „Bildungsökonomie“, die er in Paris im 20. Jahrhundert (1996) voraussah, realisieren (vgl. Mikl-Horke 2003). Die wirtschaftlich-politisch bestimmten Bildungsziele sollen über die Erreichung von Beschäftigungsfähigkeit gleichzeitig auch die Inklusion in Gesellschaft, Politik und Kultur ermöglichen. Die Nicht-Erfüllung dieser Anforderungen stellt den Menschen damit die Rute der ökonomischen, soziokulturellen und politischen ‚Exklusion’ ins Fenster. Das aber bedeutet, dass Abschichtung und sogar Exklusion jeden einzelnen zu jedem beliebigen Zeitpunkt treffen kann. Viele Menschen entwickeln daher das Gefühl, einer neuen Unterschicht anzugehören. Dieses Gefühl beschränkt sich nicht auf die Niedrigqualifizierten und die Problemgruppen, denn auch die Mittelschichten empfinden existentielle Verunsicherung, Angst vor dem Scheitern und zunehmende Ohnmacht in Bezug auf die
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Bewältigung ihres Lebens. Ungleichheit lässt sich damit nicht mehr nur an den Differentialen der Einkommen und Vermögen ablesen und nicht mehr als Ausdruck sozialer Schichtung verstehen. Vielmehr entsteht wieder ein dualistisches Gesellschaftsbild, denn die ‚Mittelschichtgesellschaft’ läuft Gefahr, ihre Mitte zu vernichten (Bologna 2006). Die entstehende bipolare Struktur ist aber keine Klassengesellschaft mit konkreten kollektiven Konturen, die durch Interessenorganisation erfassbar ist, sondern reflektiert die dynamische Veränderung von individuellen Chancen und Risiken (Berger und Konietzka 2001; Nolan 2007; Robila 2006). Der Preis für das Wirtschaftswachstum und den gesellschaftlichen Fortschritt ist hoch und wirft angesichts des von den globalen Finanzmärkten getriebenen Kapitalismus und seinen Krisen die Frage auf, ob das langfristig wirklich der Wohlfahrt der Gesellschaft dienlich sein kann oder ob sich ‚die Wirtschaft gegen die Gesellschaft’ wendet (Perret und Roustang 1993).
Der Charakter der Entfremdung in der Wissensgesellschaft Entfremdung und Wissensgesellschaft widersprechen einander nicht; vielmehr hat die Entfremdung große Teile der Gesellschaft erfasst, zeigt sich aber in getarnter und widersprüchlicher Form. Einerseits ist der Verkauf der eigenen Arbeitskraft bzw. von Lebenszeit allgemeines Kriterium von Arbeit geworden, andererseits wird die Warennatur der Arbeit verschleiert durch die Betonung von Unternehmertum und Selbstbestimmung, wird der Gegensatz von Kapital und Arbeit durch Schlagworte wie der von der Eigentümergesellschaft oder von der Demokratisierung des Kapitals aufzuheben gesucht. Mit der Veränderung der technisch-wissenschaftlichen und organisatorisch-institutionellen Grundlagen von Wirtschaft und Arbeit entstehen auch neue Chancen. Diese involvieren aber stets auch Risiken, denn nur ein Teil der Arbeitenden kann erfolgreich sein; die Wissensarbeiter mögen dabei gute Chancen haben, aber die Zahl derer, die in der Wissensgesellschaft nicht mehr gebraucht werden, steigt an. Zudem sind die Voraussetzungen für die Realisierung von Chancen sehr ungleich verteilt, was zu einer progressiven Zunahme der Unterschiede zwischen jenen, die gewinnen und jenen, die verlieren oder sogar von Ausschluss bedroht sind, führt. In Bezug auf die Arbeit in der Wissensgesellschaft ist festzustellen, dass diese zwar stärker ‚immateriell’ geprägt, aber mehr denn je durch den technisch-wirtschaftlichen Fortschritt und die Kapitalinteressen bestimmt wird. Deren Anforderungen erzwingen die ständige Anpassung der Kenntnisse und Fertigkeiten der Arbeitenden und gleichzeitig die laufende Erosion ihres Wissensbestandes, ihres beruflichen ‚Humankapitals’. Bildungswissen und Beruf treten an Bedeutung für die Arbeitenden in Bezug auf Existenz und Karriere, Lebensstandard und Lebensstil zurück, werden kontinuierlich entwertet und als persönlicher Besitzstand enteignet. Die Produkte der Arbeit, ihre eigenen Leistungen, treten den Arbeitenden nicht nur als etwas Fremdes gegenüber, auch ihre persönlichen Eigenschaften, Fähigkeiten und Kenntnisse sind in Bezug auf ihre Anerkennung von für die Individuen zumeist undurchsichtigen, ‚fremden’ Prozessen abhängig. Nicht nur ist die objektive Situation der Entfremdung auch in der Wissensgesellschaft gegeben, sondern ebenso wenig sind die subjektiven Gefühle der Entfremdung verschwun-
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den. Sie nehmen allerdings in der universalen Informationsgesellschaft einen anderen Charakter an. Die Arbeitsweise der Wissensgesellschaft, die Kontrolle am Erfolg, der Druck zur Anpassung an immer intensivere und sich verändernde Anforderungen und zunehmende Existenzangst fördern Gefühle der Macht- und Sinnlosigkeit, der sozialen Entfremdung und der Fremdbestimmtheit der eigenen Urteilskraft. Die Widersprüchlichkeit der Signale zwischen Autonomie und Selbstverwirklichung einerseits und der Zunahme von Druck und Kontrolle andererseits fördert auch die „Unübersichtlichkeit“ (Habermas 1985) und eröffnet dadurch der Beeinflussung der Menschen ungeahnte Möglichkeiten. Die moderne Wirtschaft mit ihren medial verbreiteten kurzfristigen Stimmungswechseln zwischen Krisenbeschwörung, Aktienkurspanik und Wettbewerbs- und Unternehmerheroisierung erzeugt auch einen emotionalen Druck (vgl. Herman und McChesney 1997), der kaum Raum lässt für die Bedachtnahme auf die eigenen Ziele und Werte. Die Ökonomisierung des Wissens bzw. die Unterwerfung dessen, was als gesellschaftlich notwendiges Wissen gilt, unter die Kapitalinteressen bedeutet die Entwertung des personalen Wissens und damit schließlich die fundamentale Enteignung des Menschen von dem Anrecht auf gesellschaftliche Anerkennung seines eigenen Selbst- und Weltverständnisses.
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Geld – soziologische Interpretationen∗
9 Geld – soziologische Interpretationen
„Das Geld bewirkt die Einheit und verursacht gleichzeitig die Ungerechtigkeit der Welt.“ (Braudel 1985/86 I: 522). In Fernand Braudels großem Werk über die Sozialgeschichte des 15. bis 18. Jahrhunderts wird das Geld nicht in den Bänden über den Handel oder die Weltwirtschaft, sondern in jenem mit dem Titel Der Alltag behandelt. Dies ist insofern bemerkenswert, weil es vor allem in der Ökonomie, aber auch in der Soziologie gewöhnlich aus dem Blickwinkel des Marktes bzw. des ausdifferenzierten Systems „der Wirtschaft“ gesehen wird. In diesem Beitrag geht es daher nicht nur um einen Blick auf die Reflexionsweisen über Geld, sondern auch darum, die Alltags- und Kulturbedeutung des Geldes zu rekonstruieren. In diesem Zusammenhang hat Georg Simmels Philosophie des Geldes in der Gegenwart wieder an Bedeutung gewonnen, weil dem Geld zu Beginn des 3. Jahrtausends ein besonders großer Stellenwert im Rahmen der modernen Kultur zukommt (vgl. Deutschmann 1999: 16ff). Zunächst erscheint eine knappe tour d‘horizon der Geschichte der Reflexion über Geld angebracht, wobei Markt, Arbeit/Produktion und Staat als die drei wichtigsten Bezugspunkte der häufig ineinanderfließenden ökonomischen, philosophisch-theologischen und staatswissenschaftlichen Diskurse unterschieden werden. Sie hinterließen ihre Spuren auch in den sozialwissenschaftlichen Perspektiven, soweit sich diese mit Geld befassen.
Bezugspunkte abendländischer Geldauffassungen: Markt, Arbeit/ Produktion, Staat Das Geld hat das Denken der Menschen schon lange bewegt. Man kann eine Geschichte der Geldreflexion nicht ohne Bezug auf Aristoteles, Augustinus und die Scholastiker schreiben, um nur auf jene zu rekurrieren, die für die europäische Tradition von Bedeutung waren, d. h. ohne auf chinesische, indische und andere Quellen einzugehen. Augustinus vertrat die Ansicht, dass der Gelderwerb verwerflich, der Besitz von Reichtum jedoch zu akzeptieren sei. Sie sollte bis in die Neuzeit hinein die Auffassungen über das wirtschaftliche Erwerbsstreben bestimmen. Der Besitz von Geld verweist auf dessen Funktion der Wertaufbewahrung oder Thesaurierung, der Gelderwerb jedoch stand in engem Zusammenhang mit der Entwicklung des Markttausches. Schon in der Antike war Geld auch als Tauschmittel auf den Erwerb hin bezogen und problematisiert worden; insbesondere Aristoteles’ Begriff der Chrematistik, der Bereicherungskunst und seine Warnung vor dem unbegrenzten Streben nach Geld hatten großen Einfluss. Geld wurde, wie auch die griechisch-orientalisch beeinflusste Lehre der Kirchenvä∗ Dieses Kapitel ist die stark überarbeitete Fassung des gleichnamigen Beitrags erschienen in: Bachinger, Karl und Dieter Stiefel (Hg.) (2001): Auf Heller und Pfennig. Beiträge zur Finanz- und Währungsgeschichte. Frankfurt a. M., Wien: Ueberreuter, 13-39.
G. Mikl-Horke, Historische Soziologie – Sozioökonomie – Wirtschaftssoziologie, DOI 10.1007/978-3-531-92798-5_9, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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ter unter allgemeinen Wertgesichtspunkten behandelt. Seit jeher war Geld von besonderer Bedeutung auch als Gegenstand von Schuld- und Kreditverträgen (‚nexum‘). Bernhard Laum (1924) sah daher die Zahlungsmittelfunktion des Geldes als die ursprünglichere gegenüber der Tauschmittelfunktion an. Auch argumentierte er in Bezug auf die Antike für den kultisch-sakralen Ursprung des Geldes und begründete darauf den Bezug des Geldes zum Staat als dem Träger des Kultus. Im Mittelalter stand die Diskussion um Geld in enger Beziehung zu ethisch-moralischen und theologischen Erwägungen. In den Auseinandersetzungen der mittelalterlichen Theologen stand der Geldzins, also die Beziehung von Geldleihe und Zeit im Zentrum der Auseinandersetzungen. Die Scholastik stellte einen Höhepunkt der Beschäftigung mit Geld und Gelderwerb dar, wobei sich unterschiedliche Strömungen der dominikanischen und der franziskanischen Lehre manifestierten. In den Auffassungen von Thomas von Aquin bis Duns Scotus zeigten sich die unterschiedlichen Bezüge auf den Markttausch einerseits, die Arbeit andererseits (vgl. Langholm 1992). Neben der Bedeutung von Kredit und Geldzins war es auch schon in der Scholastik durch die Entstehung nominalistischer Standpunkte zu einer Bezugnahme des Geldes auf den Staat gekommen. In der Neuzeit verstärkte sich dies durch die Entwicklung von Absolutismus und Merkantilismus und begründete ein Verständnis von Geld als Reichtum des Fürsten- und später des Staatshaushalts. Geld wurde zum Thesaurierungsmittel der Fürsten und zur rechnerischen Grundlage des absolutistischen Haushalts. Schließlich kam es unter dem Einfluss der neuen Naturphilosophie zu einer Deutung des Geldes als Zirkulationsmedium bei den Physiokraten. Die bedeutendste Veränderung erfolgte jedoch vor dem Hintergrund der Freihandelsdiskussion und der innenpolitischen Ereignisse im England des 17. und 18. Jahrhunderts. Im Gefolge der sich seit dem Spätmittelalter vollziehenden Kommerzialisierung von Boden und Arbeit änderte sich die Bedeutung des Geldes insofern als sein Charakter als allgemeines Tauschmittel immer mehr hervortrat. Das zugleich ökonomisch und politisch Revolutionäre daran war die Einbeziehung der wirtschaftlichen Aktivitäten des Volkes, d.h. der individuellen Wirtschaftssubjekte als Grundlage der nationalen Ökonomie. Die Ausweitung des Marktes und der Geldwirtschaft bewirkte solcherart, dass gleichzeitig auch die individuelle Freiheit und die Trennung der ‚civil society‘ vom Staat betont wurden. Die klassische Nationalökonomie entstand als eine Theorie der wirtschaftlichen, aber auch der gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen, die als freie Wirtschaftssubjekte gedacht wurden. Die Vorstellung von der Volkswirtschaft wurde gewissermaßen zum ökonomischen Pendant des modernen Staates und Grundlage des aufkeimenden Verständnisses der Gesellschaft. Geld zeigte einerseits die Einheit des Nationalstaats nach außen an, nach innen wurde es zum Medium der arbeitsteiligen Marktgesellschaft und die Geldrechnung wurde zu dem einheitlichen Ausdruck für die in den Tauschbeziehungen gehandelten Güter und Leistungen. Damit aber trat gleichzeitig die Reflexion über das Geld als solches hinter anderen die Wirtschaft kennzeichnenden Faktoren, insbesondere dem Markt und der Verteilung, der Produktion und der Arbeit zurück. Mit dem neuen Verständnis der Wirtschaft als Marktökonomie erschien das Geld nicht mehr selbst als Ziel und Zweck wirtschaftlichen Handelns, sondern wurde einfach als Medium des Tausches begriffen, das selbst keinen Wert hat und keine stoffliche Form benötigt.
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Diese Betonung des Geldes als Tauschmittel hatte schon im Mittelalter eine alternative Erklärung in der produktionsorientierten Geldlehre der Franziskaner hervorgerufen, die eine Fortsetzung in der Arbeitswertlehre John Lockes und Adam Smith’ fand; sie wurde auch von Karl Marx übernommen. Die Rolle des Geldes als Produktionskapital trat auf Grund der Entwicklung des Industriekapitalismus in den Vordergrund. Marx hatte die Arbeit als Grundlage der Produktion charakterisiert; nur der Einsatz von Arbeit allein kann demzufolge Werte schaffen. Der Kapitaleigner aber behält den Mehrwert, der auf Grund der Arbeit im Rahmen der kapitalistischen Produktion erwirtschaftet wird, für sich und kann dadurch immer mehr Kapital akkumulieren. Die Eigentumsverhältnisse, d.h. die ungleiche Verteilung von Geldbesitz, begründeten damit auch die ungleichen Chancen auf Gelderwerb. Neben der Erklärung des Geldes auf der Grundlage des Markttausches und der Arbeitstheorie des Geldes entstand allmählich auch eine staatliche Theorie des Geldes. Die historischen und politischen Umwälzungen ließen im 19. Jahrhundert die lenkende Rolle des Staates an Bedeutung gewinnen; dies verstärkte sich dann im 20. Jahrhundert und wurde reflektiert in den Ansätzen von Adolph Wagner, Georg Friedrich Knapp und schließlich von John M. Keynes. Sie hoben die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel, das durch den Staat zur allgemein angenommenen Währung wird, in den Vordergrund und beschäftigten sich mit der staatlich-politischen Lenkung der Geldströme. Der Staat wurde verantwortlich dafür, genau die Menge an Geld zur Verfügung zu stellen, die in der Volkswirtschaft benötigt wird und auch die Preise des Geldes so zu lenken, dass es in die richtigen Kanäle fließt. Geld kann auf Grund seiner verschiedenen ökonomischen Funktionen in Bezug auf den Markttausch, die Produktion und den Staat definiert werden. Als Geld wird heute im Allgemeinen bezeichnet, was bestimmte Funktionen erfüllt: die Tauschfunktion, die Funktion als Wertmaßstab sowie als Mittel der Wertaufbewahrung und als Zahlungsmittel. Gleichzeitig aber steht hinter jeder dieser Funktionen eine historische und soziopolitische Entwicklung, so dass sie auch für die Reflexionen über die gesellschaftlichen Verhältnisse von großer Bedeutung sind. Insbesondere drei Dimensionen sind es, die dabei hervortreten und die aus soziologischer Sicht von Interesse sind:
Geld als Tauschmittel ist gleichzeitig ein Medium der Interaktion und Kommunikation; es steht dabei jedoch für eine ganz bestimmte Qualität derselben, für sachliche und individuell zweckrationale Beziehungen zwischen den Menschen. Diese haben im Tausch einen horizontalen Charakter, nehmen aber bei verzögerter Geldzahlung im Ware-Geld-Austausch, also im Fall des Kredits, eine vertikale Form zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer an, die der besonderen Regelung bedarf. Geld als Kapital ist Produktionsfaktor und führt unter bestimmten Eigentumsverhältnissen zur Akkumulation von Geldbesitz bei jenen, die Kapital zur Erzielung von Gelderwerb einzusetzen vermögen, dadurch dass sie Ressourcen, die für die Produktion notwendig sind, darunter auch Arbeit, erwerben können. Geld ist zum einen als Kapital bestimmend für die gesellschaftliche Klassenstruktur, zum anderen wurde es in Bezug auf die Arbeitseinkommen bzw. die Konsumpotentiale zum Maßstab der gesellschaftlichen Ungleichheit. Geld als Währung repräsentiert Herrschaft bzw. Autorität und ermöglicht die Kontrolle und Steuerung des Verhaltens. Gleichzeitig ist es, zumindest bei legitimer, insbeson-
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dere rational-legaler Herrschaft, auch mit der Verantwortung verbunden, die Geldund Zahlungsflüsse zu ermöglichen und in wohlfahrtssteigender Weise zu lenken sowie politische Maßnahmen zu ergreifen, um Verteilungskonflikte zu verhindern bzw. institutionelle Einrichtungen zu schaffen, welche die Rechte und Pflichten der Kontrahenten in Kreditsituationen regeln und Normen für den Austausch und den Umgang mit Geld zu setzen.
Soziale Symbolik und Kulturbedeutung des Geldes Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Geldwirtschaft als Grundlage der modernen Gesellschaft so wichtig geworden, dass Geld als Symbol für die Form sozialer Beziehungen und als Deutungskriterium der Kultur aufgefasst werden konnte. Die außerökonomische Bedeutung des Geldes trat damit – vorübergehend – wieder stärker ins Bewusstsein. Die bedeutendste außerökonomische Interpretation des Geldes stellt das Werk Georg Simmels, Die Philosophie des Geldes, das 1900 veröffentlicht wurde, dar (Simmel 1977). Darin wurde Geld geradezu als ein Synonym für ‚Gesellschaft’ im Sinne von Ferdinand Tönnies (1979) gesehen. Im Gegensatz zu ‚Gemeinschaft’ beruht Gesellschaft auf versachlichten Wechselwirkungen; für Simmel war Geld das Symbol der Form der modernen Gesellschaft, war substanzgewordene Sozialfunktion. Je mehr sich die Geldverwendung ausbreitet, umso mehr Bereiche der Gemeinschaft werden versachlicht, werden zu ‚Gesellschaft‘. Diese Rationalisierung und Formalisierung der Beziehungen und die gleichzeitig damit verbundene Entfremdung wie auch die Befreiung des Individuums durch das Geld stellten das Grundproblem der modernen Kultur für Simmel dar. Das Geld bedeutet einerseits die Entpersönlichung sozialer Beziehungen, andererseits die Ermöglichung individueller Freiheit. Gleichzeitig begründet das Geld aber auch durch die aufeinander bezogenen Interessen eine neuartige Verbindung zwischen den Menschen, die aber von sachlicher und funktionaler Art ist. Geld löst den Menschen aus seinen personalen Beziehungen und Gemeinschaftsbezügen, isoliert ihn einerseits, verbindet ihn andererseits mit anderen in objektiver und generalisierender Weise; es schafft eine ganz neue Proportion von Freiheit und Bindung. Simmel verstand Geld daher über die Marktbeziehungen hinaus als eine Grundlage der soziopolitischen Ordnung in der liberalen Demokratie. Geld ist der verselbständigte Ausdruck der Tauschrelation (Simmel 1977: 62 ff), es ist selbst aber durch Unstofflichkeit und ‚Wertlosigkeit’ gekennzeichnet. Es ist ein reines Medium, das selbst einen unpersönlichen Charakter hat, da es alle Dinge von ihrem Gebrauchswert löst und auf ihren Tauschwert reduziert, so dass sie von jeder inneren Beziehung zum Individuum getrennt werden. Dadurch erst kommt es auch zur Entpersönlichung der Beziehungen der Tauschenden. Alle Dinge erfahren eine quantifizierende Abstraktion, unterliegen der Rechenhaftigkeit und erfahren solcherart auch eine Nivellierung durch die gleichmäßige Umsetzbarkeit in Geld. In einem Vortrag von 1889 meinte er in Bezug auf das Geld: „Je massenhafter und verschiedenartiger die Dinge sind, zwischen denen es die Gleichung ausspricht; um so mehr streift es das Stoffliche und dessen Wandlungen ab und erhebt sich als das akineton kinoun (das unbewegte Bewegende) über alles einzelne..“ (Simmel 1989: 64).
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Geld ist „das unabstellbare Rad ... , das die Maschine des Lebens zum Perpetuum mobile macht“ (Simmel 1983: 89). Damit erkannte Simmel schon zu einer Zeit, als dies nicht so offenkundig war wie heute, die zwanghafte Wachstumsdynamik der modernen Wirtschaftsweise. Er schrieb sie der Funktionsweise des Geldes zu, die dazu führe, dass es sich von einem Mittel hin zu einem Endzweck verwandle. Mit der Selbstzweckhaftigkeit des Geldes verband Simmel psychologische Erscheinungen wie das Übergewicht der intellektuellen über die Gefühlsfunktionen und die Dominanz individualistischer, erwerbsorientierter Motive und Verhaltensweisen. Im Rahmen der Deutung der modernen conditio humana durch Rationalisierung und Entfremdung wurde das Geld zum Symbol für die versachlichten und individualistischen Beziehungen in der modernen Kultur, denn die individuellen Verhaltensweisen verdichten sich zu einem Stil des Lebens, der durch die Kultur der Dinge, die Herrschaft der Technik, die Erhöhung der Geschwindigkeit und die Mobilisierung der Werte charakterisiert ist. Dadurch kommt es auch zu einem Auseinandertreten der subjektiven und der objektiven Kultur („Tragödie der Kultur“), denn die einzelnen haben keine Kontrolle mehr über die Kultur ihrer Gesellschaft (Simmel 1977: 480 ff). Mit der Zurückführung von epochalen Veränderungen der sozialen Beziehungen und der Denk- und Handlungsweisen der Individuen, die in vielfältiger Art und Weise auftreten, auf ‚das Geld‘ zeigte Simmel zwar einerseits die unleugbare Tatsache der gestiegenen Bedeutung von monetären Transaktionen auf, andererseits wurde das Geld dadurch, dass es universell für die ‚Vergesellschaftung‘ der sozialen Beziehungen verantwortlich gemacht wurde, zu einem Medium sozialer Relationierungen sowie zum Symbol ihrer Formalisierung. Die Betonung des fundamentalen Charakters des Symbolischen brachte, so meint Lichtblau, Simmels Geldphilosophie daher in eine Wahlverwandtschaft mit der Ästhetik (Lichtblau 1986: 59); er ästhetisierte das Geld. Simmel verglich das Geld – wenn auch im Sinne einer coincidentia oppositorum – sogar mit Gott, insofern als es die höchste Abstraktion darstellt, zu der die praktische Vernunft aufgestiegen ist. Das Geld wird in Simmels Sicht zum Repräsentanten der Erkenntnistendenz der modernen Wissenschaft, qualitative auf quantitative Bestimmungen zu reduzieren. Geld versinnbildlicht für Simmel die Transformation des Denkens von Substanzbegriffen hin zu Relations- bzw. Funktionsbegriffen, die sich in seiner Zeit in der Philosophie vollzog. Simmel nannte sein Werk auch deshalb eine ‚Philosophie‘ des Geldes, weil er darin die zu seiner Zeit aufkommende relationale Erkenntnistheorie, die die Bedeutung der Dinge und der Begriffe durch ihre Beziehung zueinander begründete, auf Gesellschaft und Kultur zu übertragen suchte. Auch Max Weber beschäftigte sich mit der Kulturbedeutung des Geldes und hob die Geldrechnung als wesentliches Merkmal der Rationalisierung der Kultur hervor. Seine Auffassung war durch die gegensätzlichen Standpunkte der liberalen Geldtheorie, wie sie in seiner Zeit die Wirtschaftstheoretiker vertraten und der staatlichen Theorie des Geldes von Georg Friedrich Knapp (1905) sowie den Auffassungen von Adolph Wagner beeinflusst. Er fasste Geld daher als ein chartales Zahlungsmittel, welches auch Tauschmittel ist, auf und bezog Geld nicht nur auf seine Funktion im Tausch, sondern setzte es auch in eine Beziehung zum Staat (Weber 1985: 39). In diesem Zusammenhang ist Geld als Währung auch mit Herrschaft verbunden, die für die allgemeine und verpflichtende Annahme bestimmter
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Ding als Geld grundlegend ist. Die Geldverwendung in Tauschvorgängen und in Kreditvergabe setzt überdies Vertragsrecht und Eigentumsrecht voraus, die durch den Staat gesichert werden. Diese Verbindung von Tauschmittel und Zahlungsmittel ist, wie Weber meinte, ein historisches Merkmal der modernen Gesellschaft; sie gilt daher nicht für vormoderne Gesellschaften, in denen die Zahlungsmittel etwa für Brautgeschenk oder -kauf, rituelle Gaben, Tribute, Wergeld etc. andere Dinge sein konnten als das beim Tausch verwendete Geld. Diese Auffassung stellt eine interessante Parallele zu modernen Beobachtungen dar, wonach es wieder zu einer Vielfalt von Geldformen gekommen ist. Auch wies Weber darauf hin, dass in der vormodernen Gesellschaft nicht das Anhäufen von Geld durch Erwerb soziale Anerkennung verschaffte, sondern der Geldbesitz bzw. der ‚Kredit’, über den man verfügte und der das Hingeben von Geld etwa in Form von Almosen oder Luxuskonsum ermöglichte, seinem Eigentümer Ansehen und Prestige brachte. Damit sprach Weber wieder die unterschiedliche Wertschätzung von Reichtum und Gelderwerb an, aber auch die Tatsache, dass frühere Wirtschaftsformen besonders durch „Verausgabung“ (vgl. Bataille 1985) geprägt waren, was auch kulturanthropologische Studien über den Geschenktausch belegen. Werner Sombart hatte die Unterschiede zwischen vormoderner und moderner Wirtschaft als Wechsel von ‚Machtreichtum‘ zu ‚Reichtumsmacht‘ beschrieben (Sombart 1922: 587). Er hatte sich damit auf den Wandel der Machtgrundlagen in der Gesellschaft und den Zusammenhang zwischen Macht und Geld bezogen. Am Grunde dieser Transformation sah Sombart das Erwerbsstreben, dem er besondere Bedeutung zuschrieb. Für Weber bestanden die Folgen der Geldwirtschaft neben dem Einfluss auf die Erwerbsorientierung der Menschen besonders in der zunehmenden Rechenhaftigkeit der Wirtschaft. Geldwirtschaft ermöglichte die formale Rationalität der Kapitalrechnung, aber auch die materialen Bedingungen, auf denen diese beruht (Marktkonkurrenz, Marktfreiheit, Kaufkraft). Das Geld bildet in seiner Tauschfunktion gewissermaßen die Güter- und Leistungstransaktionen ab, in seiner Zahlungsfunktion wird es zu Schuld und Kredit, wird zum Gegenstand konfliktträchtiger Beziehungen, die daher einer rechtlichen Regelung bedürfen. Weber differenzierte auch zwischen Geldrechnung und Geldgebrauch, denn Geld ist nicht nur Recheneinheit, sondern selbst eine Ware, der ein Wert auf Grund von Seltenheit oder Häufigkeit zugeschrieben wird. Weber betrachtete Geld also nicht als ein reines Medium ohne Eigenwert und trug damit der historischen Entwicklung bestimmter Dinge zu Geld, aber gleichzeitig auch der Tatsache moderner Geldmärkte Rechnung. Die symbolische Analyse und die Untersuchung der Kulturbedeutung des Geldes, wie sie Simmel und Weber vorgenommen hatten, blieben zunächst weitgehend ohne Nachfolge. In der weiteren Entwicklung verschob sich das Erkenntnisinteresse der Soziologie weg von den Kulturfolgenanalysen und hin zur Konzeption disziplinspezifischer allgemeiner Theorien der Gesellschaft und des sozialen Verhaltens.
Geld als generalisiertes Interaktionsmedium im Gesellschaftssystem Das Geld wurde in der Soziologie in ein Medium der Interaktion umgedeutet, damit weitgehend seines spezifischen Charakters entkleidet und in Theoriekonstruktionen über die
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Struktur von Interaktionssystemen integriert. Allerdings nahmen diese Konzeptionen insofern Anleihen an der ökonomischen Vorstellung des Marktes, als dieser das Vorbild für einen gewaltfrei funktionierenden Sanktionsmechanismus darstellt (vgl. Albert 1967). Talcott Parsons und Neil J. Smelser verbanden die Perspektiven der Ökonomie und der Soziologie auf der Basis der Theorie sozialer Systeme. Geld wird als das typische Medium der Interaktion im Bereich des funktional ausdifferenzierten Subsystems der Wirtschaft gesehen. Seine sozialen Funktionen werden in der Vermittlung von Kaufkraft und ökonomischer Macht gesehen, beziehen sich aber auch auf Einstellungen: „On the one hand, money represents the generalization of purchasing power to control decisions to exchange goods; on the other hand it symbolizes attitudes.“ (Parsons und Smelser 1956: 71) Parsons und Smelser gingen von den Eigenschaften des Geldes als Tauschmittel, wie sie ihm die ökonomische Theorie zuschreibt, aus. Geld sah Parsons durch die Funktion als Medium der Interaktion im Wirtschaftsbereich charakterisiert; analog dazu suchte er nach Medien für die anderen Subsysteme der Gesellschaft (Parsons 1980: 229 ff). Dem politischen Gemeinwesen wies er die Macht, dem Wertesystem die ‚commitments’ und der ‚societal community‘ den Einfluss als Medium zu. Damit wurden die Tauschprozesse verallgemeinert und mit Interaktionssystemen allgemein identifiziert. Die Austauschprozesse zwischen den Subsystemen der Gesellschaft (‚boundary interchanges‘) ermöglichen die Interdependenz aller Interaktionen in der Gesellschaft. Die Medien der einzelnen Subsysteme wirken daher in alle anderen hinein: Geld erhöht die politische Macht, Werte bestimmen das Sparverhalten etc. Die Funktion des Geldes ist daher nicht auf das Subsystem Wirtschaft beschränkt, da die ‚boundary interchanges‘ bewirken, dass Geld auch in Bezug auf Politik, Kultur und Recht eine Rolle spielt, wie umgekehrt auch deren Medien die Wirtschaft beeinflussen. Parsons’ Behandlung des Geldes stellt dessen ökonomische Funktion nicht in Frage; er formulierte es jedoch im Sinne einer allgemeinen Medientheorie und baute diese in seine Systemtheorie ein. Geld als Interaktionsmedium weist damit keinen spezifischen Charakter auf; den Unterschieden zwischen dem Geld und den anderen Medien wird keine Bedeutung beigemessen. Das führt dann dazu, dass etwa in Smelsers Soziologie der Wirtschaft (1968) Geld überhaupt nicht mehr vorkommt, weil es in dem universalen Begriff des Interaktionsmediums aufgeht. An den Strukturfunktionalismus anknüpfend, befasste sich eine Abhandlung von Klaus Heinemann schon 1969 mit der Darstellung des gesellschaftlichen Charakters des Geldes, der auf der Grundlage der funktionalen Analyse, der Systemkonzeption und der Kommunikationstheorie einen breiten Zugang versuchte. Heinemann verstand den Geldgebrauch als eine Form der Kommunikation, „die der Auslösung, Steuerung und Anpassung ökonomischen Verhaltens im Hinblick auf eine Koordination und Integration selbständiger, institutionell, räumlich und zeitlich getrennter, arbeitsteilig differenzierter sozialer Systeme im Rahmen des gesellschaftlichen Subsystems Wirtschaft dient ...“ (Heinemann 1969: 6). Geld definierte er als Medium der Verhaltenssteuerung, bezog allerdings die symbolische Bedeutung des Geldes stärker als Parsons auf die Gesellschaftsordnung und hob in deren Rahmen die Rolle des Geldes als generalisiertes Steuerungsmedium hervor. In diesem Zusammenhang thematisierte er die Probleme von Macht und Vertrauen im Rahmen der Beziehungen zwischen Käufer und Verkäufer, in Bezug auf gegenwärtige Handlungen und künftige Erwartungen sowie
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innerhalb der Währungsgemeinschaft (Heinemann 1987). Von besonderer Bedeutung erweist sich das Vertrauen, das sich auf verschiedene Erwartungen richtet: auf die Redlichkeit und Zahlungsfähigkeit, auf die Stabilität des Geldwertes, auf die zukünftige Güterbereitstellung und auf die künftige Annahme des Geldes (Heinemann 1993). Auch Jürgen Habermas übernahm die Vorstellung vom Geld als Interaktionsmedium und stellte es der Macht als zweites Medium des Erwerbssystems zur Seite. Geld und Macht bestimmen die Formen der Kommunikation, die instrumentell bzw. strategisch auf die Erreichung eines Erfolges im Sinne von Geldgewinn oder Machtzuwachs gerichtet ist. Dem Erwerbssystem setzte er die Lebenswelt entgegen, deren Kommunikationen auf Verständigung abzielen und die Medien der Interaktion und der Sprache einsetzen. Damit hatte er zunächst Geld und Macht aus der Sphäre der Lebenswelt eliminiert, um sie begrifflich vom Erwerbssystem zu trennen und solcherart den historischen Prozess der Ausdifferenzierung des Erwerbssystems aus der Lebenswelt im Laufe von Industrialisierung und Modernisierung nachzuzeichnen. In diesem Prozess kam dem Geld eine wichtige Rolle zu, wodurch das Erwerbssystem eine dominante Stellung gewann. Seine Medien infiltrierten die Lebenswelt und führten zu ihrer Kolonialisierung durch das Erwerbssystem (Habermas 1981: 409).
Geld, Arbeit und Preise: Markttheoretische und produktionstheoretische Konzeptionen Geld als Kapital für die industrielle Produktion spielt insbesondere in jenen Ansätzen, die den modernen Kapitalismus analysierten, eine große Rolle und wird mit Macht und Herrschaft in Staat und Gesellschaft verknüpft. Marx’ Analyse der Klassenbeziehungen versteht den Kapitalismus als Macht- und Herrschaftskonstellation. Kapital ist Geld zur Mehrwertproduktion, Arbeit allein schafft Werte und ermöglicht erst die Funktion des Geldes als Wertmaßstab: „Die Waren werden nicht durch das Geld kommensurabel. Umgekehrt. Weil alle Waren als Werte vergegenständlichte menschliche Arbeit, daher an und für sich kommensurabel sind, können sie ihre Werte gemeinschaftlich in derselben spezifischen Ware messen und diese dadurch in ihr gemeinschaftliches Wertmaß oder Geld verwandeln. Geld als Wertmaß ist notwendige Erscheinungsform des immanenten Wertmaßes der Waren, der Arbeitszeit.“ (Marx 1962: 67f) Diese Sichtweise geht von der Produktion aus, sowohl Markt als auch Geld sind nur sekundär bedeutsam. Das Kapital, obwohl es in Geld ausgedrückt wird, ist eigentlich die Menge der Waren inklusive der Ware Arbeitskraft, die notwendig sind, um zu produzieren. Paul Mattick betonte: „Damit Geld als Kapital wirksam werden kann, muß es aufgehört haben, Geld zu sein, d.h. es muß in Produktionsmitteln und Arbeitskräften angelegt werden ...“ (Mattick 1976: 10). Alfred Sohn-Rethel bezeichnete das Geld als Realabstraktion des Warentausches (Sohn-Rethel 1976: 58f). Er sah allerdings Arbeit und Markttausch im Geld, das für die Waren hingegeben wird, miteinander verknüpft. Durch das Geld erhält in seiner Sicht die Produktion ihren gesellschaftlichen Charakter, denn es setzt sie mit den Anbietern und den Nachfragern auf verschiedenen Märkten in Beziehung.
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Der enge Bezug des Kapitals auf Waren schafft für diese Theorien dann ein Problem, sobald ein von Waren unabhängiges Finanzkapital auftritt bzw. die Warenproduktion durch dieses dominiert wird. Sowohl Hilferding als auch Mises sahen die Gefahr einer Selbstzerstörung des Geldes durch das Vordringen des Finanzkapitals, allerdings aus ganz unterschiedlichen Perspektiven (vgl. Hilferding 1968; Mises 1933). Eine Entwicklung in dem Ausmaß, wie sie in der Gegenwart durch Deregulierung und Globalisierung der Finanzund Geldmärkte aufgetreten ist und in deren Loslösung von den Güter- und Leistungsbewegungen resultierte, war allerdings noch nicht vorstellbar. Die produktionsorientierte Sicht des Geldes als Kapital und seine Rückbindung an die Arbeit als dem reale Werte schaffenden Prozess erfährt in der Gegenwart wieder Beachtung. So etwa kritisiert Ganßmann (1986), dass es in der Soziologie zu einer Vernachlässigung der sachlichen Dimension durch die Auffassung von Geld als Interaktionsmedium gekommen sei. Die Vernachlässigung der sachlichen Dimension reduziert das Geld und damit die Wirtschaft auf einen symbolischen Prozess, während es vielmehr um die Menge, die Art und die Qualität der Güter und Leistungen und um die Maßnahmen und Vorkehrungen der Menschen in Bezug auf ihre Lebenssicherung gehe. Ganßmann betrachtet Wirtschaft aus einer substanzialistischen Sicht, die an Karl Polanyi anknüpft und in welcher die Wirtschaft an materiell-sachlichen Versorgungschancen der Menschen orientiert ist. Er plädiert auf dieser Basis für die Notwendigkeit des Bezugs von Geld auf Arbeit, weil dies der Weg sei, auf dem sich die meisten Menschen Geld und damit Güter beschaffen können (Ganßmann 1996). Damit rückt er das Herrschafts- und Konfliktszenario der Konfrontation zwischen jenen Gruppen, die Geld besitzen oder über Geld verfügen und jenen, die nur über Arbeit zu Geld gelangen können, erneut ins Zentrum der soziologischen Analyse des Geldes (Ganßmann 1995). Auch Kellermann knüpft an das Verhältnis von Geld und Arbeit an; er stellt fest, dass Geld nichts anderes als ein Organisationsmittel von erforderlicher Arbeit ist, die Gebrauchswerte zur Sicherung und Verbesserung der Lebensbedingungen schafft (Kellermann 1991: 59). Im Denken über Geld dominiere eine ideologische Sicht, die einen Geldschleier über die Güter und Leistungen, um die es eigentlich geht, breite. Dies erzeugt in seiner Sicht in der Öffentlichkeit nicht nur die bekannte Geldillusion, die Teuerungen verbirgt, sondern eine Geldmythologie, welche die fundamentale Bedeutung der Arbeit aus dem Bewusstsein der Menschen drängt. Anders als die Produktionstheorie identifizieren die Marktökonomen die Wirtschaft mit dem Preismechanismus des Marktes, der selbsttätig zum Gleichgewicht tendiert. In dieser Sicht wird Geld in Form von Preisen aufgefasst, d.h. nur die ziffernmäßige Höhe des Geldbetrages, der für den Kauf eines Gutes aufgewendet werden muss, ist von Bedeutung. Dieser aber ist durch die jeweilige Marktkonstellation zwischen Angebot und Nachfrage und durch die Nutzenschätzungen bestimmt. Allerdings waren sich die Ökonomen auch bewusst, dass Geld eine historische Entwicklung durchlaufen hat. Carl Menger hatte Geld als soziale Institution begriffen, die er als Resultat des Zusammenwirkens des zweckhaften Handelns der Individuen definierte. Auch der Zusammenhang von Geld und Macht war vielen Ökonomen durchaus bewusst, so etwa bezeichnete Friedrich Wieser Geld als rechenmäßigen Ausdruck der Macht (Wieser 1914: 218). Ludwig Mises aber verband Geld mit dem subjektiv rationalen Handeln im Markttausch, es wurde damit zum Ausdruck einer relationalen Logik des Aus-
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tausches. Das ermöglichte es auch, Geld auf alle Austauschprozesse zu übertragen, es als eine Möglichkeit zu sehen, wie sozialer Austausch organisiert werden kann. In seiner ‚Foundation of Social Theory‘ unternahm es James Coleman, aus der Analyse der Funktion des Geldes im Markt ‚der Wirtschaft’ Anhaltspunkte für die Erkenntnis von Ähnlichkeiten und Unterschieden in „social markets“ zu erhalten, die er zunächst durch die Absenz von Geld definierte : „... it is the absence of money that sets off noneconomic exchanges from economic ones“ (Coleman 1990: 119). Für Coleman symbolisiert Geld im ‚wirtschaftlichen’ Markt Gleichheits- und Freiheitschancen; Markt steht daher für ihn für Beziehungen, in denen individuelle Freiheit und ein Machtgleichgewicht herrschen. Geld ist darin Austauschmedium und nicht akkumulierte Reichtumsmacht; es wird durch den Marktprozess quasi von seinem sozialmoralischen Makel der Reichtumsakkumulation oder Profitmaximierung gereinigt. Dadurch wird es möglich, dass die gigantische Finanzkonzentration in der Gegenwart nicht zur Unfreiheit der Massen führt. Coleman wollte aus der Analogie mit der Marktfunktion des Geldes erkennen, wie soziale Austauschprozesse etwa im ‚politischen Markt’ funktionieren bzw. verbessert werden können, etwa durch die Schaffung von „political money“ (Coleman 1986). Die Analogien, die zwischen Geld als Medium im Markttausch und den Medien in anderen Bereichen der Gesellschaft hergestellt wurden, übertragen das Marktmodell auf soziale Beziehungen oder politische Arenen. Sie beabsichtigen mitunter auch dezidiert, die ökonomische Theorie für die Erklärung sozialer Tatbestände heranzuziehen. Die Wirtschaftssoziologie versuchte demgegenüber, alternative Erklärungen für Marktprozesse durch die Berücksichtigung der sozialen und persönlichen Beziehungen und Bindungen zwischen den Marktakteuren aufzuzeigen. Ihre Sicht ist auf die soziologische Erklärung der ökonomischen Wirklichkeit der Marktstrukturen und -beziehungen hin orientiert, nicht auf die Übertragung der Marktlogik auf soziale Bereiche.
Geld und Zahlungen Entgegen der neoklassischen Sicht von Geld als Tauschmittel verwies John Maynard Keynes (1930) auf dessen Funktion als Wertaufbewahrungsmittel, als Vermögensform und auf seine Rolle in Bezug auf den Kredit. Er hatte auch Studien alter Geldformen durchgeführt und war zu der Überzeugung gelangt, dass nur der in Kontrakten vereinbarte Geldstandard, also die in Schuldtiteln vorkommende Währung, Geld im eigentlichen Sinn ist. Er definierte damit Geld durch die Gläubiger/Schuldner-Beziehung und nicht durch den Tausch, denn bei diesem kann es auch zum Einsatz alternativer Medien kommen. Geld, oder was er ‚money proper‘ nannte, kann nur durch sein Verhältnis zu einem Währungsstandard bestimmt werden und dieser ist wiederum durch Schuld- bzw. Kreditkontrakte vorgegeben. Die Existenz von Münzgeld etwa ist für Keynes nicht schon Beweis für die Verwendung von Geld, wenn diesem kein Kontrakt entspricht. In der Gegenwart vertreten manche Ökonomen eine ähnliche Auffassung vom Geld. So betont etwa Hajo Riese die Bedeutung der Verfügung über Geld und hebt die Aneignungsfunktion hervor. Nicht die Tauschwirtschaft erscheint ihm als Quelle wirtschaftlicher Dynamik, sondern das Halten und Aufgeben von Geld, das diese erst in Gang setze. Während
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die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel in der Ökonomie zwar akzeptiert ist, wird diese Bedeutung nicht notwendig mit einer Vertragsbeziehung verbunden. „Aber Geld wird zum Zahlungsmittel dadurch, dass es das Medium der Kontrakterfüllung, ... , das ultimative Medium der Kontrakterfüllung ist“. (Riese 1995: 55) Geld als Zahlungsmittel und Kredittitel betrachtet, entsteht dadurch, dass es von einer Institution zu Geld erklärt wird und von da an knapp gehalten werden muss, um auch die Schuldverhältnisse und damit den Zins zu begrenzen. Diese Theorie weist den Banken, insbesondere der Zentralbank, große Bedeutung zu. Michel Aglietta ging zunächst von der Tauschfunktion des Geldes aus und verwies darauf, dass Geld ein Produkt der subjektiven Interaktionen ist; es wird zum „Sozialisierungsmodus der Subjekte in Form der Auto-Organisation“ (Aglietta 1993: 181). Das Durchbrechen der spekulativen Symmetrie der subjektiven Erwartungen durch die Mediation der Tauschvorgänge führt jedoch zu einer Abstraktion und Objektivierung des Tausches in Form von Zahlungen, die durch symbolische Garantien ermöglicht werden. Geld betrachtet Aglietta daher als gesellschaftliche Konvention, die auch das notwendige Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Geldes enthält. Am Zahlungscharakter der Wirtschaft und des Geldes orientierte sich auch Niklas Luhmann im Rahmen seiner autopoietischen Systemtheorie der Gesellschaft. Für ihn sind Zahlungen die spezifische Form der Kommunikationen im funktional ausdifferenzierten Wirtschaftssystem. Daher versteht er Geld nicht tauschtheoretisch, aber auch nicht im Sinne der Kontrakt- oder der Eigentumstheorie, sondern erfasst es im Rahmen der besonderen wirtschaftlichen Form der Kommunikation und als Objekt systemtheoretischer Konstruktion. Wie Parsons behandelt Luhmann die Wirtschaft als Teilsystem der Gesellschaft, aber anders als dieser definiert er sie als ein soziales System, das durch funktionale Differenzierung von Kommunikationen und durch autopoietische Prozesse mit operativer Schließung entsteht und nicht schon als Struktur vorgegeben ist. Geld ist einerseits Kommunikationsmedium, kann aber auch zur sozialen Form werden, wenn über Geld kommuniziert wird (Luhmann 1975). Damit muss die Beobachterebene mit einbezogen werden, die durch die Interpretation und Kommunikation über das Objekt entsteht. Die Geldbewegungen und deren Beobachtung sind beide Objekt der Theorie, mithin werden die Reflexion über Geld in Wissenschaft, Politik und Alltag und die Theorie selbst berücksichtigt. Die Ausdifferenzierung eines besonderen Funktionssystems, wie es die Wirtschaft ist, erfolgt erst und soweit als die Kommunikationen einen spezifischen, in diesem Fall einen spezifisch wirtschaftlichen Charakter annehmen. Luhmann sieht dies in der allgemeinen Verbreitung des Kommunikationsmediums Geld begründet, das die besondere wirtschaftliche Kommunikation, die Zahlungen, bestimmt. Damit löst er die Zahlungen wieder aus der unmittelbaren Verbindung zum Staat, indem er sie als einen autopoietischen systemischen Prozess definiert. Die Wirtschaft gewinnt ihre Einheit und gleichzeitig ihre Differenz in Bezug auf ihre Umwelt durch die Verwendung spezifischer Elemente, die nur in der Wirtschaft vorkommen, d.h. durch Zahlungen, die weitere Zahlungen nach sich ziehen und durch Geld als Medium, das auf das System, das die Geldverwendung ermöglicht, verweist. Nur die ständige Reproduktion der Zahlungen hält das System in Gang. In der Annahme von Geld zur weiteren Verwendung liegt das Betriebsmotiv der Wirtschaft, die laufende Wiederbeschaf-
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fung von Geld ist der Motor der Bewegung, nicht das Modell des Tausches von Geld gegen Güter und Dienstleistungen. Das ermöglicht die Ausweitung des Begriffs der Wirtschaft über den des Marktes und der Unternehmenswirtschaft hinaus auf die Haushalte und den Staat. Zwischen diesen drei Bereichen entsteht ein Doppelkreislauf, durch den „wie nach der Art eines Düsenprinzips die Wirtschaft vorangetrieben (wird), indem man Zahlungen in Erwartung eines Ausgleichs für Zahlungsunfähigkeit leistet“ (Luhmann 1988: 137). Die funktionale Differenzierung, die auf die Separierung selbstreproduzierender Systeme hinwirkt, wird in der Gegenwart dadurch konterkariert, dass Organisationen in der modernen Gesellschaft eine große Rolle spielen. Organisationen aber brauchen für ihr Funktionieren Geld. Auf diese Weise werden alle Funktionssysteme, die Organisationen aufweisen, von Geld abhängig und alles Handeln in Organisationen ist zugleich Handeln im Wirtschaftssystem. Aus dieser Unterscheidung des Mediums Geld und der Form Organisation kann man eine latente Dominanz des Wirtschaftssystems in der modernen Gesellschaft ableiten. Geld wird durch die Organisationsabhängigkeit der Funktionssysteme zu einem effektiven Instrument der Steuerung. Nicht schon die Konstitution und Legitimierung einer Geldform als Währung durch den Staat, sondern die Abhängigkeit aller Funktionsbereiche der Gesellschaft, vor allem der Organisationen, von Geld erlaubt die Kontrolle und Lenkung der Wirtschaft. Bankensystem und Geldmarkt schaffen einen Geldmechanismus, der von den Entscheidungen der einzelnen gelöst wird und damit auch die Geldparadoxie entstehen lässt, d. h. dass Geld knapp und zugleich im Überfluss vorhanden ist. Dirk Baecker unterzog die Banken einer näheren Analyse und stellte dabei das Problem des Risikos ins Zentrum seines Verständnisses der Wirtschaft. Das Spezifikum der Banken besteht darin, dass sie mit Zahlungsversprechen handeln, sie kaufen Einlagen und verkaufen Kredite. Das heißt aber auch, Banken handeln mit den Risiken von Zahlungsversprechen und bewältigen diese Risiken durch Fristensetzung. Das Verhältnis der Autopoiesis der Wirtschaft ausgedrückt durch Zahlungen und der Autopoiesis der Organisationen wird durch Übernahme der Reproduktion von Zahlungen als Selektionswert der Entscheidungen durch die Banken bestimmt. Baecker ging vom Verhältnis zwischen Geld und Entscheidungen aus und definierte Geld als „extremes Instrument zur Vereinfachung und Beschleunigung... von Entscheidungen“ (Baecker 1993: 286), was insbesondere für die Erklärung von Entscheidungen auf modernen Finanzmärkten bedeutsam ist. Die Operationen der Wirtschaft werden in den Geldbereich verlagert; Eigentum selbst, soweit es ökonomisch relevant ist, wird zu einem Aggregatzustand von Geld und alle Güter nehmen eine Doppelexistenz an. Liquides Geld ist daher nur die sichtbare Spitze des Gesamtgeldes. Diese Ubiquität des Geldes macht es auch Luhmann zufolge sinnlos, nach einer Deckung des Geldwertes außerhalb des Geldes zu suchen. Dieser ist in der Knappheit des Geldes selbst begründet, die durch Geld-, Kredit- und Devisenpolitik beeinflusst werden kann. Diese artifizielle Knappheit des Geldes stellt er der weltbedingten Knappheit der Güter und Leistungen gegenüber. Die Funktion der Wirtschaft liegt demnach in der Konditionierung der Beziehungen zwischen diesen beiden Knappheiten, was vor allem durch die Preise geschieht (Luhmann 1972). Mit dieser Auffassung steht Luhmann in Gegensatz nicht nur zur Tauschtheorie des Geldes, sondern auch zur Arbeitswerttheorie, da er argumentiert, erst die Geldwirtschaft mache es möglich, Arbeit als knapp zu begreifen, weil man dafür bezahlen muss.
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Die Generalisierung des Mediums Geld über die liquiden Mittel hinaus bedeutet, dass alles was in der Wirtschaft relevant ist, in der Vorstellung einen Geldausdruck erhält. Allerdings heißt dies nicht, dass alles für Geld zu kaufen ist, denn funktionale Differenzierung erfordert gerade die Ausklammerung aller funktionsexternen Bezüge, die es wieder ermöglicht, Beziehungen und Gefühle von der Vermischung mit Geldbezügen zu lösen. Dadurch kann es sogar zu einem kompensatorischen Humanismus kommen, der als Kulturkritik die „diabolische Funktion eines permanent schlechten Zivilisationsgewissens“ (Luhmann 1988: 243) erzeugt. Auch auf die Wirtschaft kann dies zurückwirken und sie für gesellschaftliche Bedürfnisse, etwa im Sinne der Corporate Social Responsibility, empfänglich machen. Der symbolischen Generalisierung des Geldes entspricht demnach eine ’diabolische‘ Generalisierung, die jene Beobachtersicht ist, in der das Trennende, die Differenz, hervorgehoben wird. Die Diabolik gehört als Gegenstück notwendig zur Symbolik, denn das, „was verbindet und das, was trennt, wird aneinander bewusst“ (Luhmann 1988: 258f). In systemtheoretischer Sicht, die der Beobachtung zweiter Ordnung entspricht, können dann beide Beschreibungen vereint werden. Dirk Baecker unterschied in ähnlicher Weise drei Beobachterstandpunkte in Bezug auf das Geld: den ökonomischen der Symbolik, den gesellschaftlichkritischen der Diabolik und den ökologischen der Metabolik und verstand diese gleichzeitig als unterschiedliche Stadien der Metamorphose des Geldes. Von der Systemtheorie erwartete er, dass sie zur Klärung der notwendigen weiteren Bestimmung des Geldes, insbesondere in Bezug auf die Metabolik, beitragen könne (Baecker 1993).
Geldmärkte und Geldnetzwerke In der Soziologie hat sich von Parsons zu Luhmann eine Veränderung in der Behandlung des Geldes abgezeichnet, die eine Verschiebung von der impliziten Übernahme tauschtheoretischer Grundlegung des Geldes zu einer Sicht, die Geld zwar als Medium bezeichnet, es aber gleichzeitig durch seine Rolle in spezifischen Kommunikationen, den Zahlungen, im System Wirtschaft definiert. Diese Auffassung des Geldes lässt eine Erweiterung auf Bereiche zu, die nicht mit dem Güter-Markttausch oder der Warenproduktion zu tun haben, sondern eine eigene selbstreproduktive Sphäre der Geldtransaktionen darstellen; dies ist gerade in der Gegenwart auf Grund der Entkoppelung des Finanzmarktes und der Finanzströme von den Produktmärkten und den Güter- und Leistungsbewegungen relevant. Geld- und Kapitalmärkte sowie globale Finanztransaktionen haben auch in der Wirtschaftssoziologie in verschiedenen Studien ihren Niederschlag gefunden. Vielfach geht es dabei um das Aufzeigen von Beziehungsnetzen, die dem Anschein der Unpersönlichkeit der Finanzmärkte widersprechen, bzw. um die Erforschung der institutionellen Voraussetzungen für Finanztransaktionen. Mitunter werden diese Perspektiven auch mit einer Orientierung an Problemen der Macht und der sozialen Ungleichheit versehen. Dazu Mizruchi und Brewster Stearns: “Those who hold power over societal institutions have access to resources that enable them to affect the allocation of money. The availability of money helps an actor gain access to the institutions that determine monetary allocations” (Mizruchi und Brewster Stearns 1994: 334).
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Auch Wayne E. Baker setzt die Verfügung über Geld mit der „ability to command goods, services, and people“ gleich und betont die Macht, die Geld verleiht: “If money is power ..., then what is used as money and how money is used are determined by those who control economic resources in a society” (Baker 1992: 110). Das Geld reflektiert die Sozialstruktur der Marktwirtschaft, in der Akteure mit unterschiedlicher Ausstattung an Macht und Geld aufeinander treffen, die mächtigeren im Zentrum, die weniger mächtigen an der Peripherie des Marktes. Baker sieht nicht die Banken, auch nicht die Zentralbank, im Kern des Geldsystems, sondern die Nicht-Bank-Finanzinstitutionen, die professionellen Finanzorganisationen, die mit ihren Entscheidungen und durch ihre Macht Geld und Geldformen bestimmen. Baker meint daher, dass Regierungsmaßnahmen zur Geldregulierung vergeblich sind, wenn die eigentliche Kontrolle über die Gelddefinition nicht in Händen der Notenbank liegt. Die Kernakteure bestimmen durch die Mittel, die sie einsetzen, was als Geld zu gelten hat. Geld wird daher als soziale Konstruktion verstanden, die nur durch Analyse der sozialen Strukturen der Wirtschaft und der Machtverteilung in dieser erklärt werden kann. Die Veränderungen der Sozialstruktur bestimmen daher auch die Definition des Geldes: “As long as the structure of the economy changes, money and its uses will also change, and money will have to be redefined repeatedly. A valid answer to the question: What is money? can only be found by relying on a behavioural analysis of the relationship between the underlying social structure of the economy and what is used as money and how money is actually used.” (Baker 1992: 135f) Die Konsequenz aus dieser Sicht ist, dass Geld unbestimmt geworden ist; es ist abhängig von Definitionen, die von sozialen Strukturen und von Machtkonstellationen geprägt sind. Geld kann in eine Beziehung zu Staat, aber auch zu Gemeinschaft oder Nation gesetzt werden; dann weist es jeweils unterschiedliche Erscheinungsformen und Grundlagen auf (vgl. Hart 2000). Geld erscheint in dieser Sicht als eine soziale Konstruktion, wobei subjektiven Gelddefinitionen große Bedeutung zugewiesen wird. Nigel Dodd stellt fest, der Gebrauch bestimme, was Geld ist. Er leitet daraus die grundlegende und einzige Eigenschaft des Geldes, seine Unbestimmtheit als „transparent symbolic medium“ ab: “Money’s indeterminacy is its sole distinguishing feature. While no material or symbolic object conditions how and why it is to be used, only money possesses this as its defining characteristic” (Dodd 1994: 152). Dodd lehnt die empirische Interpretation des Geldes, das dieses auf Grund bestimmter materieller Eigenschaften definiert, genauso ab, wie die analytische Erklärung, die von den Funktionen des Geldes ausgeht und schlägt eine essentialistische Analyse vor, die die Überbetonung der menschlichen Rationalität im Gefolge der ökonomischen Erklärung des Verhaltens vermeiden soll. Es erscheint notwendig, “to reject the association of monetary transaction with a core domain of rational action separated off from the rest of society, and in relation to which political and cultural factors are a constraint rather than an integral and constitutive part” (Dodd 1994: 104). Um die Identifikation des Geldes mit dem Staat, dem er eine nur historisch relevante Rolle attestiert, zu vermeiden, verwendet Dodd den Begriff des „monetary network“. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass Geld nicht nur innerhalb des politischen-ökonomisch definierten Bereichs Bedeutung hat, sondern darüber hinaus im gesellschaftlichen Leben eine fundamentale Rolle spielt. Die ‚monetary networks‘ sind durch die Beziehungen zwischen Banken und Finanzinstitutionen sowie zwischen
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diesen und den staatlichen – oder überstaatlichen – Geldverwaltungsorganen bestimmt. Diese stellen nicht nur Geldnetzwerke, sondern auch Informationsnetze dar. Als Wesensmerkmal des Geldes sieht Dodd das Ideal der unbeschränkten Ermächtigung („empowerment“), das das Geld suggeriert und damit gleichzeitig auf das imaginäre Element, das mit der Geldverwendung verbunden ist, verweist. Simmel, so meint er, habe nur die ontologische Bedeutung des Geldes für die Menschen gesehen und die sozialen Bedingungen, die die Existenz und Zirkulation des Geldes möglich machen, ausgeklammert. Dodd meint dagegen, dass die Beziehungen analysiert werden müssen, nicht die Objekte selbst, die als Medien dienen. Die sozialen Bedingungen des Geldes sind durch einen Widerspruch gekennzeichnet: Auf der einen Seite erfordert die Unbeschränktheit und Akzeptanz des symbolischen Mediums ein allgemeines Vertrauen; auf der anderen Seite steht Geld für tiefgehende soziale Konflikte und ist strukturell gebunden an die ungleiche Verteilung von Reichtum und Macht in der Gesellschaft, die durch die institutionellen Praktiken und organisatorischen Prinzipien der Reproduktion der ‚monetary networks‘ perpetuiert wird. Eine soziologische Analyse muss Dodd zufolge beide Aspekte in ihrer Gegensätzlichkeit umfassen. Geld manifestiert sich in Transaktionen, wobei die Informationen, die darin enthalten sind, nicht den Objekten bzw. Medien selbst, sondern den zugrundeliegenden Netzen sozialer Beziehungen zugeordnet werden müssen. Die Transaktionen finden an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten statt und deren Entfernung voneinander hat sich mit der Ausdehnung der ‚networks‘ erweitert. Insbesondere durch die Globalisierung haben sich die ‚monetary networks“ räumlich stark erweitert und weisen auch eine hohe technologische, institutionelle und soziale Komplexität auf, sind jedoch sehr fragil. Sie umfassen weltweite Telekommunikationsnetze, aber auch lokal beschränkte Netzwerke und face-toface-Kontakte. Geld als Medium dieser Kommunikationen wird immer unbestimmter, was vor allem durch die Deregulierung der Finanzmärkte und die elektronischen Möglichkeiten bedingt ist. Auch die ökonomische Logik und das ökonomische Wissen sind Teil des sozialen und kulturellen Rahmens, von dem die Existenz und Zirkulation des Geldes abhängt. Dodd argumentiert, dass das Geld heute insbesondere auf Grund der Eigendynamik des Finanzmarktes eine Analyse aus der Sicht seiner Bedeutung für die Gesellschaft – und mithin eine Soziologie des Geldes – erfordere (Dodd 1994: 106). Mit seiner Sicht der Geldnetzwerke hat Dodd den Rahmen für die Analyse des Geldes über den Bereich der rationalen ökonomischen und politischen Bestimmung hinaus erweitert. Dabei verflüchtigte sich jedoch das Geld als Objekt der Analyse wieder zugunsten der zugrunde liegenden sozialen Beziehungen. In der Gegenwart sieht Dodd eine widersprüchliche Entwicklung: Während die Währungen eine Tendenz zur Homogenisierung (z.B. „Euro“) aufweisen, tritt Geld als Medium in diversifizierter Form auf. Angesichts der zunehmenden Unbestimmtheit des Geldes durch die Vielfalt der Geldformen, die im Alltag auftreten und der Ausdehnung der Geldnetzwerke sieht Dodd eine Klärung der Begriffe, die sich auf Geld beziehen, als notwendig an; er schlägt dafür die Unterscheidung von „Rechengeld“ („money of account“), das sich immer auf eine Autorität bezieht, und in Geldmittel („monetary media“), d.s. Objekte, die als Geld verwendet werden, vor (Dodd 2005). Zwischen beiden komme es immer wieder zu Verwechslungen, was insbesondere durch den
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Bezug von Geld auf seine soziale Bedeutung in Mikrozusammenhängen ausgelöst werde; damit bezog sich Dodd vor allem auf die Kritik der Forschungen von Viviana Zelizer.
Geldschöpfung und Geldwidmung jenseits von Markt und Staat Mit Geld haben die Menschen in den modernen Gesellschaften tagtäglich zu tun, es ist ein Faktum des Alltags, beschäftigt das Denken und bestimmt das Handeln. Als eine Realität des Bewusstseins hat Geld daher auch eine besondere Beachtung im Rahmen der Psychologie gefunden. So haben sich Wirtschaftspsychologen und empirischen Wirtschaftsforscher wie Günter Schmölders in seiner Psychologie des Geldes (1966) oder Tiefenpsychologen wie Ernest Bornemann (1977) damit beschäftigt. Der Umgang mit Geld, die monetären Entscheidungen in den Haushalten, Probleme der Wahrnehmung und der Einstellung in Bezug auf Geld etc. sind noch immer die Themen, mit denen sich Wirtschaftspsychologen auseinandersetzen. Während die einen auf das Geldverhalten der Menschen abzielen und wie Miriam Tatzel ein Modell der Konsummuster auf der Basis von „Geldwelten“, also den Unterschieden der Einstellungen, der Werte und des Ausgabeverhaltens, erstellen (Tatzel 2002), beziehen andere die Schichten des menschlichen Bewusstseins, die das Geld berührt, mit ein. Im letzteren Sinn etwa versteht Kenneth Doyle Geld als eine Art Talisman oder als einen „Ego-Defense“-Mechanismus, der das Ich schützen soll (Doyle 1999). Die bekanntesten soziologischen Untersuchungen des Geldes in der modernen Gesellschaft, die von der subjektiven Deutung im Kontext der sozialen Beziehungen und des soziokulturellen Umfeldes der Menschen ausgehen und sich an Perspektiven der Kulturanthropologie und der Sozialgeschichte orientieren, wurden von Viviana A. Zelizer unternommen. Sie knüpft an die Auffassung François Simiands an, der auch für moderne Gesellschaften einen extra-ökonomischen, sozialen Gebrauch von Geld annahm, der sakrale, magische, rituelle und symbolische Bedeutung hat (Simiand 1934). Darüber hinaus beziehen Zelizers Forschungen Elemente des symbolischen Interaktionismus und der neuen Kultursoziologie mit ein. Zelizer kritisiert die noch immer vorhandene Übernahme der (markt)ökonomischen Bestimmung des Geldes in der Soziologie und die Beschränkung seiner Relevanz auf den ökonomischen Bereich. Durch die Akzeptanz von Geld als rein objektives und einheitliches Medium des Austausches wurde die soziale Signifikanz des Geldes ausgeklammert und das Geld wurde als Erkenntnisgegenstand der Soziologie uninteressant. Die rein ökonomische Deutung des Geldes beruht auf einer Dichotomisierung von Geld versus nichtgeldliche Werte, die eine lange Tradition hat. Der utilitaristischen Definition des Geldes als „Marktgeld“ hält Zelizer die Perspektive der symbolischen, nicht-ökonomischen Bedeutung des Geldes außerhalb des Marktes entgegen: „A sociology of money must...dismantle a powerful and stubborn utilitarian paradigm of a single, neutral, and rationalizing market money. It must show that money is a meaningful, socially constructed currency, continually shaped and redefined by different networks of social relations and varying systems of meanings.” (Zelizer 1992: 1304) In ihrer Studie über die Lebensversicherung (Zelizer 1978) stellte Zelizer Einstellungen zum Problemkreis Geld und Tod in einen Zusammenhang. Lange Zeit war die ablehnende
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Haltung, menschliches Leben oder Menschen überhaupt in Geld zu bewerten, ein Hindernis für die Akzeptanz von Lebensversicherungen. Nicht nur wurde Geld dafür als zu profan angesehen, sondern es gab auch Vorstellungen eines magischen Zusammenhangs zwischen dem geldmäßigen Versichern des Lebens und dem dadurch heraufbeschworenen Verlust desselben. Dem Geld wurden hier im Denken der Menschen auch in der modernen Gesellschaft magische Qualitäten zugeschrieben. Erst ein Wandel der diesbezüglichen Attitüden machte die Akzeptanz der Lebensversicherungen möglich. Aber noch lange mussten Lebensversicherer ihr Geschäft mit quasi-religiösen Symbolen umgeben und ökonomische Argumente vermeiden. Ähnliches gilt auch für Bestattungsunternehmen, Leihmütter, Gentechnik, in vitro-Befruchtung usw. in ihrer Bezugnahme auf Geld. Zelizer schloss daraus, dass Geld nicht nur ökonomisch-rationale Bedeutung hat, sondern immer auch Kristallisationsbezug von kulturellen und strukturellen Faktoren ist. Geld ist auch nicht nur das allgemeine Währungsgeld, das als Zahlungsmittel, Tauschmittel oder zur Wertaufbewahrung dient, sondern daneben gibt es die verschiedenen Geldwährungen, die Menschen in bestimmten Situationen erfinden, oder die Geldformen, die aus Zuweisungen von Bedeutung im privaten Bereich entstehen. Die ‚Zigarettenwährung’ der Kriegsgefangenen ist ein bekannter Fall von privater Geldproduktion. Der alltägliche Sprachgebrauch und Formulierungen in Medien und Literatur deuten auf solche symbolischen Geldschöpfungen hin, wenn etwa von Schwarzgeld, Taschengeld, Haushaltsgeld, Urlaubsgeld, Trinkgeld, von Lohn, Honorar, Prämien, Spenden etc. gesprochen wird. Geld ist nicht ein einheitliches Medium, sondern weist eine Vielfalt auf Grund der Zuordnung nach Herkunft (z.B. Erpressungsgeld, Lotteriegewinn, Erbschaft etc.), Verwendung (z.B. Taschengeld, Haushaltsgeld, Trinkgeld etc.) oder Empfänger (z.B. Honorar, Steuergeld, Spenden etc.) auf. Hinter diesen „multiple monies“ verbergen sich soziale Beziehungsmuster, institutionelle Strukturen und soziale Werte (Zelizer 1994: 26). Unterschiedlich bezeichnetes oder gewidmetes Geld wird mit bestimmten Personen verbunden (Taschengeld für die Kinder, Wirtschaftsgeld für die Hausfrau, Trinkgeld, etc.). Geld wird oft moralisch bewertet, wie im Fall des „schmutzigen Geldes“, des „Blutgeldes“ etc. Diese sozialen Beziehungen und Bedeutungen, die dem Geldgebrauch zugrunde liegen, sind anders als Dodds ‚monetary networks‘ nicht ökonomisch-geldlich konstituierte Interaktionsnetze, sondern reflektieren unterschiedliche soziale Bedeutungszusammenhänge des Geldes und seiner Widmung bzw. Verwendung im Alltag der Menschen durch ‚earmarking‘ von „special monies“ (Zelizer 1989). Besondere Aufmerksamkeit wird der Herkunft, dem Besitz, der Aufteilung und Verwendung von Geld in Haushalt und Familie zugewendet; darin reflektieren sich die Strukturen und die subjektiven Auffassungen der Familienbeziehungen, die Generationenunterschiede, das Verhältnis von Männern und Frauen in ihrer wechselseitigen Wahrnehmung in Bezug auf Geld: „domestic money is ... shaped by ideas about family life, by power relationships, age, gender, and social class“ (Zelizer 1992: 1308). Darüber hinaus kommt es zu einer „domestic production of monies“ durch die Schaffung von Geldformen und ‚Währungen’ in Haushalt und Familie, die quasi eine Übersetzung von Beziehungen in Geldausdrücke darstellen (Zelizer 1994: 36 ff). Der Beziehung von Geld und Liebe im familiären Kontext ist, wie Marcia Millman (1991) aufzeigt, wenig Beachtung geschenkt worden. Obwohl Geld in Familienbeziehungen
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eine große Rolle spielt (Erbschaft, Alimente, Entscheidungen über Geldausgeben und anlegen, Haushaltsgeld etc.), ist dieser Aspekt relativ wenig behandelt worden und wenn dann nur aus psychologischer Sicht, aber nicht in Bezug auf die Verhaltensmuster, Normen und Regeln, die daraus hinsichtlich der Beziehungen in Primärgruppen wie Familien abgeleitet werden können. Das reflektiert allerdings die Tatsache, dass es im realen Leben wenig Regeln und Regelungen für den Umgang mit Geld in Primärgruppen gibt. Dieser Bereich ist als Privatsphäre der Individuen in der modernen Gesellschaft wenig durch allgemeine Normen, Sitten, Bräuche geregelt. Demgegenüber gab und gibt es in vormodernen Gesellschaften bzw. in anderen Kulturen durchaus Vorschriften und Vorstellungen etwa über die Höhe der Mitgift, die Erbschaftsaufteilung, die Versorgung der Alten etc. (vgl. Pahl 1989). Die Eheschließung war ein wichtiges Ereignis mit großer Bedeutung für die Vermögensverhältnisse der beteiligten Familien und Erbschaft die wichtigste Form der Vermögensübertragung und der Kapitalbildung (vgl. Beckert 2004). In der Gesellschaft kam darüber hinaus den Regeln und den religiösen Geboten bezüglich Almosen bzw. der Restitution von unrechtmäßig erworbenem Vermögen große Bedeutung in Bezug auf die Vorstellungen über Geld und Geldverwendung zu, die auch wirtschaftliche Folgen hatten. Verschiedentlich wirken diese Traditionen in neuen Formen auch in den modernen Gesellschaften noch nach. Aber nicht nur im privaten Bereich und im Alltag der Familien kommt diesen unterschiedlichen Geldformen Bedeutung zu. Auch in der Wirtschaft spielen sie eine nicht unwichtige Rolle. In Form von Gutscheinen, Bonusmarken, Anrechtscheinen, Konzertkarten, die gleichzeitig als Fahrscheine gelten, Mitgliedsausweise, die zu Leistungen berechtigen, etc. geben Wirtschaftsunternehmen auf verschiedene Verwendungszwecke der Konsumenten zugeschnittene Geldformen und ‚Währungen’ außerhalb des Banken- und Kreditsektors aus. Geld und Währung können daher nicht nur auf staatlich garantierte Formen beschränkt werden. Allerdings können auch Staat oder staatliche Behörden vielfältige Geldformen erzeugen, z.B. Bezugsscheine oder Rationierungsmarken in administrierten Wirtschaften oder im Rahmen von Fürsorgesystemen. Andere Dinge wie Repräsentativ- oder Gedenkmünzen, Briefmarken und ähnliche Dinge sind häufig anzutreffende Geldsubstitute, die aber darüber hinaus auf spezifische Bedeutungen, spezifische Akteure und Verwendungsszenarien hindeuten.
Wandel und Kulturbedeutung des Geldes Die verschiedenen Erkenntnisse über Geld und Geldgebrauch bestätigen den Eindruck zunehmender Unbestimmtheit des Geldes, zumindest hat Geld viele Facetten. Doch ist dies nicht unbedingt ein neuer Tatbestand. Aus den Erkenntnissen der Geschichte und der Kulturanthropologie ist bekannt, dass es Geld schon lange und in vielen Kulturen gab. Wir kennen unterschiedliche Stoffe bzw. Dinge, die als Geld dienten, wie Kaurimuscheln, Salzbarren, Vieh, Lederstückchen, Kupferplatten, Armreifen und schließlich Münzen aus Metall. Diese Dinge erfüllten differente Funktionen und Zwecke wie sakral-rituelle, magische Funktionen (Totengeld, Opfergeld), soziale Ziele (Prestigegeld, ritueller Tausch, etc.) oder Zwecke des ökonomischen Austauschs. Karl Polanyi traf die Unterscheidung zwischen dem ‚allpurpose money‘ und dem Geld, das für spezielle Zwecke verwendet wird, wobei jeweils für
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Tausch, Zahlung, Aufbewahrung, als Recheneinheit, als Schatz und als Staatsfinanzen unterschiedliche Güter, Objekte verwendet werden können (Polanyi 1969c). Maurice Godelier fand in seinen Untersuchungen in Neuguinea einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Geld, das für die Befriedigung von Bedürfnissen eingesetzt wurde, und Geld, das zugleich in sich kostbare Dinge umfasste und zum Fetisch wurde. Im Rahmen der kulturanthropologischen Betrachtung vormoderner Gesellschaften rücken die materiell-substantiellen Eigenschaften des jeweiligen Geldes und seine differenten Funktionen in unterschiedlichen Kontexten in den Vordergrund. Diese Untersuchungen weisen mit Nachdruck darauf hin, dass Geld unabhängig vom Markt entstanden ist, dass es soziale Beziehungen innerhalb der Gesellschaften und zwischen ihnen repräsentiert und sich in Bezug auf seine Funktion und Bedeutung danach unterscheidet, ob es im Kontext reziprozitärer, redistributiver oder tauschorientierter Wirtschaftsformen vorkommt. Auch die unterschiedlichen Geldformen hingen eng mit den soziopolitischen Bedingungen der einzelnen Epochen zusammen. Die Münzregale waren bekanntlich ein wichtiges Herrschaftsinstrument, was dazu führte, dass es etwa im europäischen Spätmittelalter eine verwirrende Vielzahl verschiedener Münzwährungen gab. Die Münzen dienten unterschiedlichen Zwecken, Goldmünzen der Repräsentation, Silbermünzen dem Handel, das schwarze Geld dem Alltagsgebrauch der kleinen Leute. Die große Bedeutung, die dem staatlichen Notenbankgeld zukommt, verweist zugleich auf die Entstehung des modernen Staates und der absolutistischen Herrschaft. Die Einführung von Papiergeld hing eng mit dem steigenden Staatsfinanzbedarf zusammen und die Ausgabe von Anleihen und anderen Papieren zeugte von der Geldnot der Fürsten. Jede Münze, jede Note erzählt solcherart ihre eigene Geschichte, der „fiorino d’oro“ genauso wie die „luigini“, der Gulden und der Schilling. Geld und Geldgebrauch waren auch in der Neuzeit Europas nicht nur im Handel und Bankwesen und damit für die relativ kleine Schicht der Kaufleute und Financiers von Bedeutung; so wies etwa Dewald auf das hohe Ausmaß hin, in dem der französische Adel des 17. Jahrhunderts sich in seinem Denken und Handeln auf Geld, Geldrechnung und Geldgebrauch bezogen hatte (Dewald 1993). Die Untersuchungen von Dewald sowie von Margaret C. Jacob (1993) und Michèle Lamont (1992) im neuzeitlichen Europa zeigen, dass Einstellungen, subjektive Deutungen und Verhaltensweisen in Bezug auf Geld bei unterschiedlichen Gruppen differierten, aber auch von historisch-politischen und kulturellen Gegebenheiten abhingen. Auch die Schwächung der Geldorientierung des Adels im 18. Jahrhundert hatte Gründe, die nicht im Wirtschaftsbereich im engeren Sinn lagen. Geld hatte für die Monarchien und für die aristokratische Gesellschaft zwar einen großen Stellenwert, aber es besteht auch ein enger Zusammenhang zwischen dem Geld und der Entwicklung der Zivilgesellschaft des 18. Jahrhunderts. Je nach der dominierenden Art des Geldes lassen sich Geldepochen unterscheiden (Weatherford 1997) vom ‚classic cash‘ in Form von Vieh, Muscheln und Münzen über die Dominanz des Papiergeldes bis zum elektronischen Geld. Achim Bühl unterscheidet in ähnlicher Weise die Perioden des Naturalgeldes, des Münzgeldes, des Papiergeldes, des Symbolgeldes und des virtuellen Geldes (Bühl 1998: 231). Das elektronische Geld leitete in Weatherfords Auffassung ein ‚age of money‘ ein, das durch die Tatsache der durch die elektronischen Medien ermöglichten weltweiten spekulativen Währungs- und Finanztransaktionen charakterisiert ist (Weatherford 1997: 255). Bühl sieht mit dem Aufkommen des
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Symbolgeldes die Spekulationsgeschäfte, die Loslösung des Geldhandels von den Warenströmen und die wachsende Bedeutung des Derivatenhandels verbunden sowie die Einführung der Kunstwährung des Euro-Dollar. Das virtuelle Geld beruht auf den modernen Informations- und Kommunikationstechnologien, die weltweite Vernetzung der Computer und die Digitalisierung des Geldes. Damit ist die Währung als nationalstaatlich bestimmte Institution fraglich geworden; das elektronische Geld bietet überdies neue Möglichkeiten für Geschäft und Konsum wie etwa den weltweiten Supermarkt im Internet. Das durch e-money und virtuelle Konten entstehende Geldsystem stellt die höchste Stufe im Immaterialisierungsprozess des Geldes dar. Dies betrifft vor allem das Netzwerkgeld, weniger die andere Form elektronischen Geldes, die elektronische Geldbörse. Das virtuelle Geld kann vor allem dann eine vollständige Auflösung des gegenwärtigen Geldsystems bedeuten, wenn es sich um ‚token money‘ handelt, d.h. um Geld, für das kein Umweg über einen Dritten, etwa eine Geschäftsbank oder die Notenbank, genommen werden muss, so dass als Emittenten auch Nichtbanken auftreten können, z.B. im Fall der ‚Microdollars von Microsoft‘. Die durch die elektronischen Medien und das Internet entstehenden neuen virtuellen Geldformen haben die Frage nach den Bestimmungskriterien für Geld wieder aufleben lassen. Die Verselbständigung des Geldes in der modernen elektronisch vernetzten und global agierenden Wirtschaft führt dazu, dass das Geld nicht mehr den Tauschvorgängen dient, sondern diese dem Geld dienen (Haesler 1993: 236). Die Verbindung zwischen Geld und dem Gut, das hingegeben oder entgegengenommen wird, verschwindet mehr und mehr. Geld selbst wird ohne Bezug auf Güter zur Quelle von Profit und Zins; Geld erhält einen eigenen Wert, der den Tausch transzendiert. Das abstrakte Geld wird durch die Loslösung vom Tausch, der noch eine Beziehung zur Welt und ihren begrenzten Ressourcen beinhaltete und durch die Trennung von den nationalen Währungen grenzenlos, ubiquitär und unsichtbar. Geld wird zur zweiten Natur, zur eigentlichen Wirklichkeit, wie dies in Luhmanns System der Zahlungen anklingt. Noch beim Papiergeld hatte der Zahler den Eindruck, bestimmte Werte aus einer gegebenen Summe verfügbaren Einkommens oder Vermögens hinzugeben, beim Plastikgeld wird dies durch die Belastung der Karte ersetzt. Gleichzeitig wird der Kartenkauf zur Zeremonie, die Karte ist Zugangsberechtigung zu einem auserwählten Kreis, Kultobjekt, Statusobjekt, was oft durch die Verwendung wertvoller Metalle in der Bezeichnung (Visa gold, American Express green, gold, platinum) suggeriert wird. Die Kontrolle – und die Wahrnehmung – des hingegebenen Geldes erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt, der nichts mehr mit dem des ursprünglichen Kaufes zu tun hat. Der Bezug zum Budget, zum Abwägen des Kaufes eines Gutes gegen alternative Dinge und der zu dem begrenzten Einkommen als solchem geht verloren; die monetäre Abstraktion wird in actu realisiert. Mit dem Netzwerkgeld fällt jede Beschränkung in Bezug auf verfügbare Geldmittel, Akteurskreis, Zeit und Raum. Hart meint daher, dass Geld in der Gegenwart einfach persönlichen Kredit bedeutet (Hart 2000). Auch in Hinsicht auf die steigende mediale Präsenz des Geldes wird die Kulturbedeutung des Geldes in der Gegenwart manifest. Während Geld bis vor nicht allzu langer Zeit kein Thema allgemeinen Interesses war, begegnen wir ihm in der Gegenwart in den Medien, in öffentlichen Diskussionen und Berichten immer wieder; Geld macht „news“ und
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Zweiter Teil: Aus Arbeitsbereichen der Wirtschaftssoziologie
bestimmt über seine Bewegungen in Finanzmärkten den Rhythmus der Gesellschaft. Die Zahl von Zeitschriften, die Analysen von Börsenwerten, von Investitionsmöglichkeiten und Ratschläge für Geldanlagen enthalten, und von Fernsehsendungen, die ausschließlich über Geldthemen berichten, hat stark zugenommen. In den Zeitungen nehmen Finanz- und Wirtschaftsberichte heute einen größeren Raum ein, sind interessanter aufgemacht und werden nicht nur überblättert, um zum Sportteil zu kommen. Geld ist zum Topthema geworden, nicht nur für Experten, sondern für größere Gruppen der Gesellschaft, die nicht beruflich damit zu tun haben. Während es in der Vergangenheit für die Masse der Menschen nur um die Frage des Geld-Habens oder Nicht-Habens ging und darum, was und wie viel man sich dafür kaufen kann, interessieren sich die Menschen in der Gegenwart auch für das Geld als solches, für seine Formen, seine Funktionen, seine Selbsterzeugungskapazität. Für die Soziologie ergibt sich zum einen auf Grund des offensichtlich gesteigerten Interesses für Geldfragen in der Gesellschaft, zum anderen durch die Art der in der öffentlichen Diskussion erörterten Probleme die Notwendigkeit, sich mehr und in anderer Weise als bisher mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Besonders wichtig erscheint die Auseinandersetzung mit Geld aus soziologischer Sicht in Bezug auf die Bedeutung des Geldes für die Menschen, aber auch in Bezug auf die Probleme von Macht und Sozialstruktur. Geld ist auch Ausdruck von Ungleichheit, etwa im Hinblick auf die Transformation verschiedener Kapitalsorten in ökonomisches Kapital (Bourdieu 1983), auf die Einkommensdifferentiale und die Bedeutung der spekulativen Veranlagung von Geldvermögen (Druyen et al. 2009). Im Zuge dieser Darlegungen ging es darum aufzuzeigen, dass es in dem nunmehr vergangenen Jahrhundert zu einer Transformation der soziologischen Sichtweise in Bezug auf das Geld gekommen ist. Sie ist charakterisiert durch den Übergang von der Betonung der Vereinheitlichung und Versachlichung der Beziehungen auf der Grundlage der Geldwirtschaft, zu der Erkenntnis, dass Geld seine Bedeutung in sozialstrukturellen Kontexten erhält und von spezifischer Wichtigkeit für die moderne Kultur geworden ist. Die Kulturbedeutung des Geldes, wie sie Simmel thematisiert hatte, wird in der Gegenwart daher wieder zu einer soziologisch relevanten Problemstellung. Durch die Eigendynamik und Autopoiesis, die dem Markt- bzw. dem Zahlungsmechanismus zugeschrieben wird, hat dieses System eine hohe funktionale Ausdifferenzierung und Spezifizität erreicht, dessen Folgen uns alle betreffen. Anthony Giddens (1995) wies darauf hin, dass Geld nicht nur ein spezifischer Typus symbolischer Zeichen im Rahmen abgehoben agierender Systeme ist, sondern ein innerer Bestandteil des modernen Lebens in der Gesellschaft. Geld versteht Giddens wie Simmel als Entbettungsmechanismus, wobei die durch moderne Geldwirtschaften ermöglichte Entbettung weit größere Ausmaße als je zuvor annimmt. Daher ist auch Parsons’ Verständnis des Geldes als zirkulierendes Medium seiner Meinung nach eine Metapher, die der modernen Wirtschaft nicht entspricht, in welcher der Großteil der Geldtransaktionen eine „Form reiner Informationen, die als Ziffern gespeichert auf einem Computerausdruck erscheinen“ (Giddens 1995: 38), annimmt. Giddens sieht daher Simmels Deutung des Geldes als heute erst wirklich zutreffend an. Allerdings kann eine solche Darstellung nicht mehr nur die ontologischen Implikationen im Sinne einer Folgenanalyse des als Einheit gedachten Geldsystems hervorheben, sondern muss auf die Vielfalt der Wahrnehmungen und Deutungen des Geldes durch die Menschen in ihren alltäglichen Beziehungen und die Wechselwirkungen zwischen Geld und Kultur abstellen. Hatte Georg Sim-
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mel zu Beginn des 20. Jahrhunderts neben der Entpersönlichung auch die Erhöhung der individuellen Freiheit betont, so scheint das Geld heute hinter den Kulissen unserer bewussten Wahrnehmung die Fäden des Handelns zu ziehen. Die Macht von Geldrelationen ist heute viel stärker und sie gehört zu den ‚selbstverständlichen‘ Gegebenheiten des Lebens. Mit den neuen Geldformen, der Unsichtbarkeit und Grenzenlosigkeit des virtuellen Geldes, nimmt die Einsicht zu, dass Geld nicht auf eine rationale, versachlichte Sphäre beschränkt ist, sondern eine allgemeine Hintergrundfolie des modernen Lebens darstellt und mehr denn je als ubiquitärer Wertmaßstab in allen Bereichen des Lebens wirkt.
10 Finanzmärkte und ihre Krisen aus soziologischer Sicht 10 Finanzmärkte und ihre Krisen aus soziologischer Sicht
Die jüngste Finanzkrise hat auch in der Wirtschaftssoziologie große Beachtung gefunden, wobei redliche Anstrengungen unternommen wurden, um die undurchsichtigen Prozesse, die dabei involviert waren, aufzudecken. Im Folgenden geht es jedoch weniger darum, das Entstehen der Krise nachzuzeichnen, sondern zu versuchen, Aufschlüsse über ihre sozialen Voraussetzungen und Folgen zu erlangen. Dabei wird auf wirtschaftssoziologische Erkenntnisse über die sozialen Strukturen in Finanzmärkten und die Rolle von Institutionen zurückgegriffen. Finanz- und Wirtschaftskrisen sind immer auch Krisen der Gesellschaft und ihrer Struktur und werfen in ökonomischer Hinsicht Fragen der Verteilung, in soziologischer Sicht jene der Wirkungen auf die soziale Ungleichheit auf. Daher wird die Bedeutung der Expansion der Finanzmärkte für die Entwicklung der sozioökonomischen Ungleichheit und für die Gesellschaftsstruktur aufgezeigt. Schließlich wird auf die Notwendigkeit einer gesellschaftstheoretischen Konzeption hingewiesen, um Finanzmärkte wieder auf ihre Funktion für die Realwirtschaft, aber auch für die Gesellschaft als solche zu beziehen. Zunächst wird jedoch nach einem notwendig kurzen Blick auf die ökonomischen Annahmen der Effizienz der Märkte und der Irrationalität der Individuen auf die fundamentale Ungewissheit in Finanzmärkten und ihre Verleugnung durch die Generierung von verschiedenen Formen des Wissens hingewiesen.
Ungewissheit und Wissen in Finanzmärkten In der Ökonomie werden Finanzmärkte nach wie vor entsprechend der neoklassischen Vorstellung und der Theorie effizienter Märkte (Fama 1970) als rational und effizient verstanden, wobei die Finanzinstitutionen und ihr Handeln weitgehend ausgeklammert werden. Finanzmärkte werden in dieser Sicht als spezifische Märkte definiert, d.h. sie werden nicht als Vermittler der Realwirtschaft gesehen, so dass auch deren Märkte daher ohne Bezug zu den Finanzinstitutionen analysiert werden. Die Wirtschaft wird solcherart in eine Vielzahl von einzelnen Märkten zerlegt, auf denen es nur um die Preisbildung geht. Sowohl der Beitrag, den die Kapitalmärkte in wirtschaftshistorischer Sicht zur Industrialisierung geleistet hatten (vgl. Tilly 1977), als auch die Machtentfaltung der Banken und Finanzinstitutionen, wie sie Hilferding in seiner Analyse des Finanzkapitals schon 1910 beschrieben hatte, blieben ohne Entsprechung in der Wirtschaftstheorie. Diese beschränkt sich weiterhin auf ihre Verhaltensannahmen und die Gleichgewichtsmechanik voneinander unabhängiger Märkte. Die verhaltenswissenschaftlichen und institutionalistischen Ansätze in der Ökonomie haben das Handlungsmodell der Neoklassik modifiziert, indem sie beschränkte Rationalität und opportunistisches Verhalten der Marktteilnehmer annehmen sowie die Effizienz-Effekte unterschiedlicher institutioneller Regelungen untersuchen. Aber dennoch wird die Annahme beibehalten, dass der Markt selbst zwar Kosten verursacht, aber rational
G. Mikl-Horke, Historische Soziologie – Sozioökonomie – Wirtschaftssoziologie, DOI 10.1007/978-3-531-92798-5_10, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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und effizient funktioniert, wenn seine ineffizienten Bereiche in die effiziente Organisation der Unternehmen verwandelt werden. Um die Volatilität der Börsen und Störungen bzw. Abweichungen in Finanzmarktentwicklungen zu erklären, werden wirtschaftspsychologische Forschungen, etwa im Rahmen der ‚Behavioral Finance’, herangezogen, die irrationale Verhaltensweisen dafür verantwortlich machen. Schuld an der letzten Krise waren demzufolge die Gier der Spekulanten und der Herdentrieb der Anleger, die eine ‚excessive exuberance’ an den Börsen ausgelöst hatten. Akerlof und Shiller knüpfen an den Begriff der ‚animal spirits’, den Keynes auf Grund seiner Erfahrungen an Börsen geprägt hatte (vgl. Blomert 2007: 62), an und verstehen darunter „confidence, fairness, corruption and antisocial behavior, money illusion, and stories“ (Akerlof und Shiller 2009: 5). Sie schließen daraus, dass dem Staat über die geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen hinaus die Aufgabe zukomme, in der Krise regulierend einzugreifen, allerdings nur so lange bis ‚der Markt’ wieder übernehmen kann. Das Vertrauen in ‚den Markt’ scheint durch die Krise nicht nachhaltig erschüttert worden zu sein. Der Börsenabsturz im Gefolge der Subprime-Krise 2007 in den USA und die Zusammenbrüche großer Finanzinstitutionen wie Lehman Brothers konnten das Vertrauen in die Selbstheilungskräfte des Marktes nur vorübergehend schmälern. Weder die historische Evidenz immer wieder auftretender Krisen von der South Sea Bubble bis zum Börsencrash der 1930er Jahre (Kindleberger 1978; Ferguson 2009), noch Hinweise von Ökonomen wie Keynes, Schumpeter oder Minsky auf die Instabilität der Finanzmärkte (vgl. Minsky 2008) können die Überzeugung von der Selbststeuerungsfähigkeit der Märkte ‚im Normalfall’ erschüttern. Krisen stellen in dieser Sicht Abweichungen bzw. Ausnahmen dar, die das ‚normale’ Funktionieren der Märkte durch externe Einflüsse nur zeitweilig außer Kraft setzen. Da sie ‚extern’ bzw. durch irrationale Reaktionen verursacht sind, erscheinen Krisen als unvorhersehbar. Das ist jedoch eine Folge des eingeschränkten Blickfelds der ökonomischen Annahmen, denn wenn man dieses ausweitet, so hätte die Krise von 2007/8 als Folge des „Übergangs vom regulierten Marktsystem zur Risikowirtschaft“ (Senft 2009: 233 ff) durchaus antizipiert werden können (Boyer 2008). Dazu muss der Finanzmarkt jedoch im historischen Kontext der politischen und sozioökonomischen Zusammenhänge betrachtet werden, die erkennen lassen, dass die Entwicklung der Finanzmärkte selbst durch Ungewissheit gekennzeichnet ist. Ungewissheit ist eine konstitutive Bedingung von Märkten und von Finanzmärkten im Besonderen, weil der Zeitfaktor hierbei eine große Rolle spielt; er ist bestimmend dafür, ob Gewinne oder Verluste gemacht werden (vgl. Grzebeta 2007). Die starke Expansion der Kapitalmärkte durch den Finanzierungsbedarf der Unternehmen und die spekulativen Investitionen der Anleger der letzten Jahrzehnte veränderte die Zeitdimensionen aller wirtschaftlichen Transaktionen hin zu einer rascheren Anpassung an die Finanzmarktbewegungen und die kurzfristigen Renditeinteressen. Dies wiederum beruht auf der Interdependenz der Handlungen auf Märkten, die in funktionalistischer Sicht eine systemische Rekursivität und Reflexivität der Zahlungen begründet (vgl. Luhmann 1988), gleichzeitig aber eine weitere Ursache der Ungewissheit darstellt, da sie in unbeabsichtigten Folgen des Handelns resultiert (Mieg 2007). Irgendwann kann die rekursive Zirkularität der Zahlungen unterbrochen werden, und bei einer Häufung dieser Ereignisse kann es zur Krise kommen.
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Zweiter Teil: Aus Arbeitsbereichen der Wirtschaftssoziologie
Die eigentlichen Akteure in Finanzmärkten sind Banken und andere Finanzinstitutionen sowie Börsenmakler und -händler, die als Intermediäre zwischen Anlegern und Unternehmen dienen. Allerdings sind die Zeithorizonte von Produktionsunternehmen, Banken und Börsen unterschiedlich; daher müssen etwa Banken im Sinne der Risikoverarbeitung Fristen setzen (vgl. Baecker 1991). Damit wird zwar Sicherheit gesteigert, aber gleichzeitig Unsicherheit erzeugt, da die Festlegung von Fristen auch die Möglichkeit der Nichterfüllung von Zahlungsversprechen begründet. An Börsen ist die Geschwindigkeit der Transaktionen weit höher und die Veränderungen erfolgen wesentlich schneller. Diese unterschiedlichen Zeithorizonte, der relativ langfristige Finanzbedarf der Unternehmen und die kurzfristigen Renditeinteressen der Investoren, werden durch die Finanzmärkte miteinander verbunden. Finanzmärkte sind Arenen, in denen Marktteilnehmer unter der doppelten Ungewissheit durch den Zeitfaktor einerseits und die Interdependenz der Aktionen andererseits handeln müssen, weshalb man eigentlich nicht sinnvoll von Rationalität oder Irrationalität der Marktakteure sprechen kann, denn bei Ungewissheit kann der einzelne das Ergebnis des eigenen Handelns nicht einmal schätzen. Dennoch spielen Erwartungen in Finanzmärkten eine ganz besonders bedeutsame Rolle. Die Bildung von Erwartungen in Aktienmärkten stützt sich häufig auf die Annahme, dass die Marktpreise der Unternehmensanteile die fundamentalen Werte der börsennotierten Unternehmen reflektieren. Die Kursentwicklungen an den Börsen geben jedoch nicht die substantielle Situation der Unternehmen wieder, denn sie kommen durch die Kontingenz von Angebot und Nachfrage auf dem Wertpapiermarkt zustande, werden aber auch durch Veröffentlichungen der Zentralbanken, durch Prognosen und Analysen von Börsenexperten und deren Verbreitung durch die Medien beeinflusst (vgl. Froud et al. 2010). Auch die Unternehmensratings, die über die Bewertung des Unternehmens Auskunft geben sollen und die in der Gegenwart von großem Einfluss auf die Kredit- und Investitionsentscheidungen sind, beeinflussen die Erwartungen und damit das Handeln der Akteure auf den Finanzmärkten. Die allgemeinen Erwartungen, dass Finanzmärkte im Normalfall ‚effizient’ funktionieren, beruhen auf der Annahme, dass es ein Wissen über ihr Funktionieren gibt.∗ Dieses wird ‚Experten’ zugeschrieben, die Bewertungen durchführen sowie Chancen und Risiken abschätzen. Das Wissen einschlägiger Finanzberufe beruht auf der Grundlage von spezialisierter Ausbildung und beruflicher Praxis, was auf die performative Wirkung der Ökonomie verweist (MacKenzie et al. 2007; MacKenzie 2008). Die Popularisierung der Finanzmärkte erzeugte in den letzten Jahrzehnten einen großen Bedarf an Interpretationen, Analysen, Prognosen, Empfehlungen etc. von Experten. Die Einschätzungen von Bankexperten, Anlageberatern, Börsenmaklern, Ratingagenturen etc. haben daher große Bedeutung für das Verhalten der Anleger, aber auch für Finanzmanager in Unternehmen oder für institutionelle Investoren. ∗ Mit den Problemen des Rechnungswesens und des den Finanzierungs- und Investitionsaktivitäten auf Finanzmärkten zugrunde liegenden Wissens beschäftigen sich die ‚Social Studies of Finance’ (vgl. Kalthoff 2010). Diese werden meist als ‚Finanzsoziologie’ übersetzt, was jedoch nicht mit der Finanzsoziologie, die auf die Analyse des Staatshaushalts als Reflex der Ziele und der Machtverhältnisse der Gesellschaft abzielte, verwechselt werden darf. Letztere wird daher gegenwärtig meist als ‚Fiskalsoziologie’ bezeichnet.
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In den Methoden der Analysen, Kreditprüfungen und Ratings ist es zu einem Wandel in Richtung auf quantitative Verfahren gekommen, der auch eine Veränderung in der Rolle und Bedeutung der Experten mit sich brachte (Hiß 2009). Das Wissen nimmt die Form von Techniken der Kalkulation an, reduziert Abläufe auf Zahlen und suggeriert den Ausschluss von Ungewissheit durch die Berechenbarkeit des Risikos (Kalthoff 2004: 165). Die durch den Zeitfaktor bedingte Ungewissheit auf Finanzmärkten wird in Risiko transformiert, indem zukünftige Bewegungen mit Wahrscheinlichkeitswerten versehen werden. Die elektronischen Technologien haben die Möglichkeiten der Berechenbarkeit und der Risikokalkulation erhöht und gleichzeitig auch die Geschwindigkeit der Börsenbewegungen enorm gesteigert. Damit wurden Finanzmärkte einerseits zunehmend undurchschaubarer, gleichzeitig wurde andererseits das Wissen der Experten immer formalistischer. Es besteht letztlich in quantitativen Indikatoren und mathematischen Relationen, die ein substantielles Wissen simulieren. Das Wissen wird zur Kompetenz der Generierung von rechnerischen Daten und spielt durch „seine Kapazität, das spezifisch Ökonomische zu extrahieren, eine bemerkenswerte Rolle im Prozess des Wirtschaftens“ (Chiapello 2009: 127); es trägt zur ‚Entbettung’ der Wirtschaft aus dem Gesamtzusammenhang der Gesellschaft bei, was konkret bedeutet, sie von sozialen und politischen Aspekten zu trennen. Neben diesem rechnerischen Wissen, das auf wirtschafttheoretischen Logiken und kalkulatorischen Techniken beruht, kommt jedoch noch ein anderes Wissen zum Einsatz. Es hat die Qualität von Erzählungen, von Prophezeiungen und von Versprechungen. Das Wissen der Finanzexperten stellt sich vielfach als Eigen-Konstruktion von Deutungsrahmen dar (Beunza und Garud 2004; Faust und Bahnmüller 2007). Diese sind enthalten in den Interpretationen der Auswirkungen von technischen Innovationen, organisatorischen Restrukturierungen, von Produktdiversifikation und Marktexpansion oder in den Schlussfolgerungen, die aus der Einsetzung eines neuen Top-Managers gezogen werden. Sie werden als Erfolgsstories oder Zukunftsszenarien, wie sie die ‚grand narratives’ der ‚new economy’ oder der ‚life sciences’ darstellen, präsentiert. Die Rhetorik und Diskursformen, mit denen Wirtschafts- bzw. Börsenentwicklungen kommentiert werden, verleihen der professionellen Elite der Börsengurus, Staranalysten und Bankexperten eine ‚Deutungshegemonie’ und durch das „Ideencharisma“ ihrer Visionen kommt es zur Verbreitung eines Renditeglaubens und zu Nachahmungsprozessen, die in typischen Diffusionszyklen resultieren (Kraemer 2009). Dadurch wird vielfach das Risiko von Investitionen in diesen Bereichen unterschätzt bzw. die fundamentale Ungewissheit in Märkten ignoriert. Die Ambivalenz zwischen rationaler Berechnung und spekulativen Deutungen konstituiert die besondere Sinndimension der Kommunikation über Finanzmärkte (vgl. Langenohl und Schmidt-Beck 2007). Sie wirkt sogar bei jenen, die beruflich in Finanzmärkten zu tun haben, wie eine Untersuchung zeigte: Die ‚Finanzprofessionellen’ schätzten die Bewegungen auf den Finanzmärkten in kurzfristiger Perspektive als irrational ein, was sie jedoch nicht hinderte, diese Märkte als langfristig kalkulierbar und an die Realwirtschaft rückgebunden zu betrachten. Diese Langfristrationalität reflektiert die „imaginäre Zeit der Finanzwirtschaft“ (Langenohl 2007: 91); sie wurde als Reflex der ökonomischen Vorstellung von der Harmonisierung der Interessen im Markt von den Befragten so sehr internalisiert, dass sie auch durch die tägliche Erfahrung nicht erschüttert werden kann. Dadurch erschei-
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nen auch Krisen selbst für diejenigen, die es eigentlich besser wissen müssten, als unvorhersehbar und überraschend. Die Anfälligkeit gerade der Finanzmärkte für Kommunikationseffekte bewirkt mitunter, dass Krisenmeldungen und ihre aufgeregte Rhetorik vielfach erst die Krise im Sinn einer sich selbst erfüllenden Prognose erzeugen oder sie in ihren Auswirkungen verstärken und verlängern. Dennoch sind Finanzkrisen nicht durch unvorhersehbare äußere Einflüsse, die irrationale Dynamik menschlichen Verhaltens oder die Panikmache der Medien bedingt und sie sind keine Ausnahmeerscheinungen, wenn auch jede einzelne jeweils durch die besonderen historischen Umstände geprägt ist. Finanzkrisen hängen vielmehr eng mit der Eigenart der Finanzmärkte zusammen sowie damit, dass deren Ungewissheit nicht als solche akzeptiert wird, sondern Wissen auch dort angenommen wird, wo es nicht wirklich existiert. Sie sind auch dadurch mitbestimmt, dass Finanzmärkte als spezielle Enklaven innerhalb der Wirtschaft behandelt werden, die von sozialen Strukturen und Prozessen sowie von Regeln und Normen unberührt allein nach Maßgabe ihrer Eigengesetzlichkeit funktionieren. Aber auch Finanzmärkte sind soziale Gebilde oder Felder, in denen soziale Beziehungen und soziale Normen wirken und die in einem historischen gesellschaftlichen und institutionellen Kontext existieren.
Die Wirtschaftssoziologie und die Finanzmärkte Lange Zeit blieb der Anspruch der Ökonomie auf die alleinige Zuständigkeit für die Erklärung der Märkte unbestritten. ‚Markt’ war Ausdruck für einen selbst regulierenden Sachzusammenhang und insbesondere die Finanzmärkte, also Geld- und Kapitalmärkte, galten als reine Preismechanismen, für deren normales Funktionieren soziale Aspekte keine Rolle spielen. Selbst Max Weber verstand den Markt als die unpersönlichste menschliche Gemeinschaftsform, die typischerweise zwischen rational kalkulierenden Unternehmen besteht. In seiner frühen Schrift über die Börse aus dem Jahr 1894 sind jedoch auch Hinweise auf die Einbindung der Finanzmärkte in die jeweiligen nationalstaatlichen Systeme sowie ethische und politische Aspekte des Börsenwesens enthalten (Weber 2000; Mikl-Horke 2010). Erst relativ spät wurde der Markt als Forschungsobjekt der Soziologie im Rahmen der ‚neuen’ Wirtschaftssoziologie, wie sie sich seit den 1980er Jahren entwickelt hat, entdeckt. Der Fokus dieser wirtschaftssoziologischen Untersuchungen ist auf die Einbettung der Märkte in die sozialen und institutionellen Strukturen der Gesellschaft gerichtet. Sowohl die Analyse der Märkte als Netzwerke als auch die institutionalistischen Ansätze haben in den letzten Jahrzehnten wichtige Erkenntnisse über die Finanzmärkte erbracht. Dabei zielt die wirtschaftssoziologische Perspektive nicht auf die Erklärung der Preisbildung, sondern darauf, Finanzmärkte wie alle anderen Märkte auch als soziale und institutionelle Gebilde darzustellen.
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Finanzmärkte als Netzwerke: Die Finanzkrise als Krise von Vertrauens- und Kooperationsbeziehungen Märkte werden in der Sicht der Wirtschaftssoziologie durch das Handeln von Unternehmen im Rahmen ihrer Beziehungen zu anderen Firmen konstituiert. Sie sieht Märkte daher nicht als Tauschmechanismen nutzenorientierter Individuen, d.h. primär durch die Nutzenschätzungen der Nachfrager bestimmt, sondern als Vergesellschaftung von rationalen Unternehmen. Damit wird die Rationalitätsannahme der Ökonomie nicht verworfen, sondern vielmehr das Unternehmenshandeln durch soziale Aspekte ergänzt und erweitert. Da die Wirtschaftssubjekte, also die Unternehmen im Finanzmarkt bzw. ihre individuellen Vertreter, ihren Geschäften in Interaktionen mit anderen Akteuren nachgehen, bilden sich durch wiederholte Kontakte soziale und persönliche Beziehungen zwischen ihnen, die Netzwerke abbilden, in denen Informationen fließen, Vertrauen aufgebaut wird und Erwartungen gebildet werden. Die Netzwerkbildung wird in Märkten für Rohstoffe, Produkte und Dienstleistungen deutlich sichtbar, führt zu Kooperationen zwischen Firmen und zu Kollusion zwischen Konkurrenten. Die Finanzmärkte erscheinen zwar, insbesondere nach der Einführung des elektronischen Börsenhandels, auch real als unpersönliche Mechanismen, aber auch sie „should be seen as a nexus of fundamental underlying relational structures – between, for example, investors or speculators and the firm in which they invest, between bond traders and their brokers and the government whose bond they hold, between market participants and the future on which they place their bets“ (Knorr-Cetina 2010: 327). Eine Besonderheit von Finanzmärkten ist die Bedeutung von ‚intermediaries’, von Finanzintermediären wie Banken, Investmentfonds oder Börsenmaklern; sie sind die eigentlichen Marktakteure. Ihre Existenz macht die Netzwerke komplexer, denn die Finanzprofessionellen bilden untereinander Beziehungsgeflechte neben den Kontakten zu ihren Kunden. Letztere sind durch asymmetrische Kommunikation gekennzeichnet, denn die Börsenmakler, Banken, Versicherungsmakler, Fondsmanager etc. besitzen Informationen, ökonomisches Wissen und Erfahrung und sie verfügen über Sozialkapital aus professionellen Netzwerken. Ihre Rolle enthält Elemente der Prinzipal-Agenten-Beziehung; Interessenkonflikte und Machtverteilung sind dabei abhängig davon, ob es sich bei den Kunden der Finanzintermediären um große Investoren bzw. heftig umworbene Großschuldner oder aber um kleine Anleger handelt. In Finanzmärkten gibt es daher verschiedene Arten von Akteuren und Beziehungen und auch die Annahme universell einheitlicher Motive ökonomischen Handelns muss erweitert werden; vielmehr kommt es in den Entscheidungen und Interaktionsstrategien zur Vermischung von ‚ökonomischen’ Interessen, die je nach Positionierung unterschiedlich sind, mit institutionellen und sozialen Aspekten. Wirtschaftliche Akteure suchen nicht nur ihren Gewinn zu maximieren, sondern auch eine bestimmte Position und Rolle im Markt als einem sozialen Feld einzunehmen (vgl. White 1981). Die von White für ‚production markets’ festgestellten Erkenntnisse lassen sich auf Finanzmärkte übertragen, denn auch dort spielt die gegenseitige Beobachtung der Marktteilnehmer eine große Rolle für ihr Handeln. Die Annahme der Wirtschaftstheorie, wonach die Wettbewerbsintensität mit zunehmender Marktgröße steige, konnte von Wayne Baker für Kapitalmärkte nicht bestätigt wer-
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den. Er stellte vielmehr ein „paradox of large numbers“ fest (Baker 1984: 804): Je mehr Akteure auf dem Markt auftreten, umso weniger steht der Wettbewerb im Vordergrund; es kommt dann verstärkt zu Absprachen und zu Kooperation zwischen den Händlern. Das ändert sich auch bei elektronischem Handel nicht, obwohl der physische Ort Börse durch globale Mikrostrukturen einer ‚flow world’, die sich auf Bildschirmen in Form virtueller Geldbewegungen darstellt, ersetzt wird (Knorr-Cetina und Bruegger 2002; Knorr-Cetina 2005). Gerade weil in diesen elektronischen Märkten Entscheidungen rasch und unter hoher Ungewissheit getroffen werden müssen, spielen Beziehungen für die Suche nach Informationen eine bedeutende Rolle. Zwischen den Akteuren an Börsen kommt es durch wiederholte Interaktionen und länger dauernde geschäftliche Beziehungen zur Entstehung persönlicher und sozialer Bindungen, die in kooperativen Beziehungen resultieren können. Sie reduzieren die Ungewissheit und erhöhen damit die ökonomische Rationalität der Entscheidungen, aber in wirtschaftssoziologischer Sicht wird darauf hingewiesen, dass die Beziehungen nicht allein aus instrumentellen Gründen unterhalten werden. Soziale Aspekte wie Ansehen, Reputation, Vertrauen, Fairness stellen in Marktbeziehungen nicht nur ‚Sozialkapital’ dar, das zum Zweck des Erwerbs von ökonomischem Kapital eingesetzt wird, sondern sie besitzen eine eigene Wertigkeit, werden auch um ihrer selbst willen geschätzt. Das bewegt oft dazu, nicht den eigenen Vorteil ‚ökonomisch rational’ auszuspielen, sondern andere an Informationen und Chancen teilhaben zu lassen und die Erhaltung der persönlichen Beziehung über die Realisierung von Gewinnen zu stellen. Soziale Beziehungen spielen besonders im Kreditgeschäft zwischen Banken und ihren Kunden eine große Rolle, wie Brian Uzzi (1999) auf Grund einer Untersuchung der Beziehungen zwischen Firmen und ihren Kreditgebern herausfand. Dabei zeigte sich eine Mischung aus persönlichen und sachlichen Bindungen als förderlich für den Zugang zu Krediten zu günstigen Konditionen. Aber die Beziehungen lassen sich auch dabei nicht auf ihren instrumentellen Nutzen reduzieren. Allerdings sind es auch nicht immer persönliche Gefühle, die die Erhaltung kooperativer Beziehungen unterstützen; vielfach beruhen langfristige Bindungen zwischen Unternehmen und Banken auf formellen Konzernstrukturen oder aber auf weitgehend informellen, traditionellen Netzwerkbeziehungen, etwa in der Form von ‚business groups’ (Granovetter 2005b). Diese etwa in Japan als ‚keiretsu’ bekannten Gruppierungen von Unternehmen um eine Bank begründeten eine Tradition des ‚relational finance’, d.h. der fast ausschließlichen Finanzierung von Unternehmen durch Kredite der Hauptbank des Netzwerks auf der Grundlage stabiler wechselseitiger Aktienbeteiligung (Jackson und Miyajima 2008: 33). Ähnliche traditionelle Strukturen bestehen in verschiedenen Ländern und die Globalisierung der Kapitalmärkte und der Druck von Seiten der globalen Investoren führten daher nicht überall zu gleichartigen Reaktionen (Davis und Marquis 2005; Beyer 2010; Fiss und Zajac 2004). So zeigen Untersuchungen für Deutschland und für Japan, dass der Finanzmarktdruck weder das ‚relational finance’ zurückdrängen noch die spezifische Form der wirtschaftlichen Beziehungen in diesen Ländern grundlegend zu verändern vermochte (Dore 2000; Lütz 2005). Die wirtschaftssoziologischen Forschungen haben aufgezeigt, dass Finanzmärkte nicht als das unbeabsichtigte Resultat des Zusammenwirkens der einzelnen nutzenrationalen Handlungen zu verstehen sind, sondern dass sie auf Beziehungen beruhen, die häufig lang-
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fristiger Natur sind. Diese begründen Vertrauen und Kooperation als notwendige Grundlagen der Geschäftstätigkeit; sie sind daher wirtschaftlich effektiv, repräsentieren darüber hinaus aber auch einen soziokulturellen Wert. Politisch-ökonomische Veränderungen, die diese Beziehungsnetze und die kooperativen Strukturen beschädigen, zerstören das Vertrauen zwischen den Marktparteien und können krisenhafte Entwicklungen fördern, die sich nicht nur in schlechten Wirtschaftsdaten, sondern auch in einer Zunahme von Konflikten und in sozialkommunikativen Problemen äußern. Der Aufbau von Beziehungen und von Vertrauen als Grundlage wirtschaftlicher Transaktionen ist ein langwieriger Prozess, so dass Krisen nicht schon dann behoben sind, wenn sich quantitative Indikatoren verbessern.
Finanzmärkte als Institutionen: Die Finanzkrise als Regulierungs- und Legitimitätskrise Interessen sind, wie Swedberg (2003b: 290 ff) betont, nicht im Sinn von rein ökonomischer Nutzenmaximierung zu verstehen, da sie nur innerhalb von sozialen Strukturen entstehen und im Kontext sozialer Beziehungen zu verwirklichen sind. Das gilt auch für Geld- und Kapitalmärkte, auf denen nur scheinbar individuelle Interessen vorherrschen. Mitchel Y. Abolafia konnte im Rahmen seiner Untersuchung der Händler an der Wall Street zeigen, dass sich sogar die opportunistischen Eigeninteressen innerhalb von Beziehungen und durch die Mitgliedschaft in Cliquen herausbilden und dass Reputation und Einfluss eine große Rolle auch auf Börsen spielen (Abolafia 1996). Finanzmärkte sind Interaktionsfelder, in denen intersubjektive Bedeutungen von angemessenen Preisen, ritualisierte Gewohnheiten, Routinen und stillschweigend angewandte Praktiken und Techniken entstehen. Das Handeln der Akteure ist durch Kompromisse zwischen ihren kurzfristigen Gewinninteressen und den langfristigen Interessen an der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des spezifischen Marktes gekennzeichnet. Letztere legen ein Handeln nahe, das an den Regeln und Normen, die sich im längerfristigen Austausch auf dem Markt entwickelt haben, orientiert. Dies lässt spezifische Marktkulturen entstehen, in denen Normen und Regeln wirken und die sich pfadabhängig wandeln; diese sind jedoch keine irrationalen Erscheinungen, sondern sind Ausdruck einer ‚lokalen Rationalität’ des jeweiligen Marktes bzw. bestimmter Gruppen von Akteuren (vgl. Abolafia 1998). Finanzmärkte sind Institutionen, die auf Regeln beruhen, die das Interessehandeln der Marktteilnehmer ermöglichen, es aber auch beschränken und kontrollieren. Auch ‚freie’ Märkte beruhen auf Regeln, die erst die Freiheit begründen und erhalten. Regeln und Normen erfüllen daher Funktionen; sie dienen der Umwandlung von Ungewissheit in mehr oder weniger kalkulierbares Risiko, der Beseitigung von Informationsasymmetrien und der Eindämmung von Opportunismus (vgl. Beckert 1996). Aus der Sicht der Institutionenökonomie besteht die Funktion der Normen in der Ermöglichung und Steigerung wirtschaftlicher Effizienz, etwa der Reduktion von Transaktionskosten auf Finanzmärkten. Demgegenüber erforscht der soziologische Institutionalismus die Konstitution und Geltung von wirtschaftlichen Institutionen sowie die dadurch bestimmten Handlungs- und Strukturmuster (vgl. Maurer 2010).
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Regeln und Normen können sich im Rahmen von langfristigen Geschäftsbeziehungen und zum Zweck ihrer dauerhaften Aufrechterhaltung herausbilden; sie können informell wirksam sein oder in formellen Normen resultieren. Formelle Normen können aber auch durch die staatlichen Ordnungs- und Lenkungsbestrebungen, die durch gesamtgesellschaftliche Ziele und politische Prozesse bestimmt sind, auferlegt werden. Darüber hinaus wirken gesellschaftliche Werte, Verhaltensmuster und institutionelle Strukturen auch in die Finanzmärkte hinein. Gesellschaftsvergleiche zeigen, dass die wirtschaftlichen Institutionen von dem in einer Gesellschaft vorherrschenden Rechts- und Politiksystem sowie von den spezifischen kulturellen Gegebenheiten beeinflusst sind, so dass unterschiedliche institutionelle Rahmenbedingungen wirtschaftlicher Transaktionen entstehen. Der kulturell-institutionelle Kontext begründet auch eine Pfadabhängigkeit der Wirtschaft, was sich trotz der gerade im Bereich der Finanzmärkte besonders ausgeprägten Globalisierung in Unterschieden der Struktur, Organisation und der Kultur verschiedener Börsenplätze manifestiert (Morgan und Kubo 2005). Da jedoch auch die Werte und Regeln, die sich durch die Interaktionsprozesse in Finanzmärkten bilden, ihrerseits die gesellschaftlichen Normen beeinflussen, kam es durch die große Machtentfaltung des Finanzsektors in den letzten Jahrzehnten zu Veränderungen der institutionellen Grundlagen der Wirtschaft vieler Länder; dabei wurden US-amerikanische Verhältnisse als Maßstab herangezogen. Auf Grund der globalen Konkurrenz zwischen den Staaten zeichnete sich daher ein Wandel des Wirtschaftsstils ab (vgl. De Bondt 2005).
Die Expansion der Finanzmärkte und die Transformation des Kapitalismus In den Institutionen einer Gesellschaft schlagen sich verschiedene Ziele und Wertvorstellungen nieder, deren Verhältnis durch den politischen Prozess bestimmt wird. Daher kommt politischen Faktoren, etwa den staatlichen Maßnahmen zur Deregulierung der Finanzmärkte seit den 1970er Jahren und der Liberalisierungs- und Privatisierungspolitik seit den 1980er Jahren, große Bedeutung im Hinblick auf die Transformation der Steuerungslogik der Wirtschaft zu. Sie trugen entscheidend dazu bei, dass die Finanzmärkte zu den primären globalen Arenen wirtschaftlichen Handelns und zum Motor wirtschaftlichen Wachstums wurden. Das ging mit einem enormen Anstieg der Geld- und Kapitaltransaktionen einher sowie mit der Entstehung bzw. dem Bedeutungszuwachs einer großen Zahl von mehr oder weniger spekulativ operierenden Finanzinstitutionen. Die Veränderungen machten sich in einem Wandel der Unternehmensführung bemerkbar, was häufig mit dem Begriff der ‚Finanzialisierung’ charakterisiert wird. Das Finanzmanagement wurde zur wichtigsten Funktion in den Unternehmen; Finanzkennzahlen und der Blick auf die Aktienkurse leiten die Entscheidungen, die sich daher mehr an diesen kurzfristigen Indikatoren als an der langfristigen substantiellen Entwicklung orientieren. In den Unternehmen führte das zu einem Wandel der Corporate Governance von einer ‚corporate logic’, also einer überwiegend auf die Binnenperspektive der Unternehmen gerichteten Orientierung, zur Außenorientierung im Sinne einer ‚agency logic’ mit primärer Orientie-
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rung der Managemententscheidungen an den Interessen der Investoren (Zajac und Westphal 2004: 435). Die Unternehmen gerieten unter die Kontrolle der Finanzmärkte, aber gleichzeitig wurden Finanzinvestitionen auch für sie zu einem Faktor der Gewinnerzielung von steigender Bedeutung. Auch ‚non-financial firms’ tätigten in zunehmendem Maße selbst Finanzgeschäfte neben ihrem eigentlichen Geschäft der Güterproduktion oder des Handels (vgl. Krippner 2005). Die Orientierung an den Finanzmärkten bedingte auch die Restrukturierung der Unternehmen als flexible Strukturen rund um Eigentümerinteressen, so dass von einem Eintritt des Marktes in die Organisation gesprochen werden kann (Münch und Günther 2005), denn alle Aktivitäten und Funktionen im Unternehmen müssen sich nach ihrer vom Kapitalmarkt getriebenen Kosteneffizienz beurteilen lassen. Im internationalen Vergleich gelten nur jene Unternehmen als vorteilhaft für globale Investoren, welche die Rentabilität der Kapitalinvestitionen erhöhen und auf dem Markt für Unternehmensführung sind nur jene Manager erfolgreich, deren Unternehmen durch ‚downsizing’ und ‚outsourcing’ ihre Personalkosten senken konnten. Auf Grund der Verflechtung der Unternehmen in funktionaler und kapitalmäßiger Hinsicht setzten sich diese Veränderungen allgemein in der Wirtschaft durch und wurden durch die Politik sowie durch institutionelle Einrichtungen wie die RatingAgenturen massiv gefördert. Auch im Geldverhalten der Bevölkerung kam es zu einem Wandel und zwar sowohl im Sparverhalten als auch in Bezug auf die Verschuldung. Während der Wertpapierbesitz in den USA seit langem auch in der Bevölkerung verbreitet war, hatte sich dieser in Europa bisher weitgehend auf die reichsten Gruppen beschränkt. In den letzten Jahrzehnten jedoch traten auch hier Anleihen, Aktien und Fondspapiere an die Stelle der traditionellen Sparformen, was zum Teil durch die niedrigen Sparzinsen bedingt, zum Teil auf die Popularisierung von Wertpapiersparen zurückzuführen war. Diese manchmal als Demokratisierung der Aktienmärkte legitimierte Entwicklung folgte auf eine lange Periode wirtschaftlichen Wachstums in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die auch zur Akkumulation von verfügbarem Einkommen bei den Mittelschichten geführt hatte. Dadurch wurde das Geldangebot stark erhöht, was die Zinsen sinken ließ. Das viele Geld im System wurde daher von den konventionellen Sparformen in Wertpapieranlagen umgeleitet. Die Menschen erwarteten sich davon eine sichere und langfristige Geldanlage, was ihnen von den Anlageberatern, Bankexperten und Fondsmanagern auch versprochen wurde; solcherart entstand eine weite Kreise der Bevölkerung erfassende Rentiersmentalität (Deutschmann 2008: 191). Die Veranlagung lief in Europa weitgehend über die bestehenden Bankverbindungen oder durch die Vermittlung von Anlageberatern, in den USA stieg darüber hinaus auch die Zahl der ‚investment clubs’, Vereinigungen von Kleinanlegern zur gemeinsamen Veranlagung in Form von Wertpapierpools (vgl. Harrington 2008). Während die Mittelschichten ihr verfügbares Einkommen zwar ertragreich, aber auch sicher anlegen wollten, suchte der professionelle Investmentsektor die ihnen in immer größeren Mengen zur Verfügung gestellten Gelder in stets riskanter werdende Kreditgeschäfte und spekulative Veranlagungen zu leiten. Dieser Gegensatz zwischen den Interessen der großen Masse von Wertpapiersparern und jenen der Finanzindustrie trug zur krisenhaften Entwicklung bei. Die Suche nach immer renditeträchtigeren Veranlagungen führte zu einem Boom derivativer Wertpapiere und zur Erfindung immer neuer Finanzprodukte. Die nied-
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rigen Zinsen auf Kredite begünstigten Käufe von Rohstoffen, Währungen, Wertpapieren, Unternehmen in großem Umfang auf der Basis von Fremdkapital bzw. durch Leerverkäufe; dies diente als ‚leverage’ für weitere Finanzmarkttransaktionen; etwa von ‚leveraged buyouts’, wobei Unternehmen von Private Equity-Firmen oder Hedgefonds übernommen, in ihre Teile zerlegt und diese mit Profit weiterverkauft wurden. Die niedrigen Zinsen erhöhten die Neigung zur Kreditaufnahme nicht nur in ‚der Wirtschaft’, sondern auch bei den Haushalten; die Banken waren bereit, immer riskantere Kredite an immer weniger solvente Schuldner und oft ohne ausreichende Sicherstellung zu vergeben. Um das Risiko zu streuen bzw. auf die Anleger zu verlagern, verbrieften sie die Kredite (‚securitization’) in Form von Wertpapierpaketen unterschiedlicher Bonität, die an den Börsen der Welt zum Kauf angeboten wurden. Auf dem Immobiliensektor trug dies zu einem enormen Anstieg von ‚bad loans’ bei. Was die Verschuldung der Haushalte betraf, förderte auch die Ideologie der ‚ownership society’ in den USA die Aufblähung der Kreditblase, die auf der Verbriefung von Hypothekarkrediten mit schlechter Sicherheit beruhte; die sog. Subprime-Krise war dann das Resultat des Platzens der Blase, was Banken in große Schwierigkeiten brachte und in der Bevölkerung zahlreiche Haushalte durch den Verlust ihrer verschuldeten Häuser ruinierte. Sowohl das Anlageverhalten als auch die Verschuldungsrate verweisen auf Änderungen der Einstellungen und Verhaltensweisen der Menschen in der Phase der Expansion und Verbreitung der Kapitalmärkte. In der Wirtschaft galt seit jeher die Fremdfinanzierung als günstiger als die Finanzierung durch Eigenkapital der Unternehmen, aber auch in der Bevölkerung wurde Schuldenmachen immer mehr zur normalen Art der Finanzierung größerer Anschaffungen, die der rasante technologische Fortschritt und die stets sich ändernden ‚Must-Haves’ erzwingen. Sowohl bei Unternehmen als auch bei Haushalten zeigte sich ein bemerkenswerter Glaube an die Effizienz und Rationalität des Finanzsystems und der Finanzmärkte; die Risiken erschienen als berechenbar und das Bewusstsein, dass hohe Renditen immer auch mit hohem Risiko verbunden sind, schwand angesichts der Verbreitung von Wertpapiergeschäften und der Hoffnung auf hohe Gewinne. Damit veränderten sich auch die gesellschaftlichen Werte, denn exzessives Profitstreben, große Vermögens- und Einkommensunterschiede und die systematische Individualisierung wirtschaftlicher Risiken wurden zunehmend akzeptabler; es kam zu einem Prozess der kulturellen Legitimierung von offen bekundetem Gewinnstreben, von Einkommenserzielung ohne Arbeit und von finanzieller Selbstverantwortung. Die Dominanz der Finanzmärkte mit ihrer hohen Dynamik führte auch zu einer Beschleunigung des kulturellen Wandels; Werte, Ziele und Regelungen, deren Geltung bisher unter anderem auch auf ihrer Dauer und Beständigkeit beruhten, verändern sich in der Gegenwart im Rhythmus der Auf- und Abschwünge der Börsenkurse und verlieren damit viel von ihrer Wirksamkeit im Hinblick auf die Steuerung von Verhaltensweisen und Entscheidungen. Die folgende krisenhafte Entwicklung verstärkte die Orientierungslosigkeit, zeigte aber auch, dass Wirtschaft und Geld immer mit Werten und mit Kultur verbunden sind und dass eine Wirtschaftskrise nicht auf sinkende Wachstumsraten oder Kursstürze zu beschränken ist, weil dabei immer auch Glauben zerstört wird, Hoffnungen sich als Chimäre erweisen und Werte fragwürdig werden.
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Die Krise hat dazu geführt, dass in Analysen der gegenwärtigen Gesellschaftsentwicklung wieder verstärkt der Begriff des Kapitalismus auftaucht, wenngleich mit unterschiedlicher Konnotation. Während in angloamerikanischen Kontexten der Begriff nach wie vor positiv besetzt ist, impliziert die Wiederaufnahme der Diskussion über den Kapitalismus in Europa auch eine Renaissance der Gesellschafts- und der Kulturkritik (vgl. Dörre et al. 2009). Der Renditekapitalismus der letzten Jahrzehnte wurde kritisch als eine Rückkehr zu vorkapitalistischer ungezähmter Geld- und Machtgier interpretiert; als Erweiterung der Ausbeutung durch Arbeit durch die finanzielle Ausbeutung durch Zins. Es kam gleichsam zu einer „Emanzipation des Wuchers“ (Brodbeck 2009: 45) von den Beschränkungen durch die Produktionswirtschaft und von den rationalen Regelungen und Kontrollen der Finanzmärkte. Die politischen Voraussetzungen und Folgen dieser Entwicklung wurden bereits in kritischen Analysen des ‚disciplinary neoliberalism’ (Gill 1995) bzw. in klassenpolitischen Argumenten einer ‚financial hegemony’ (Mintz und Schwartz 1990) thematisiert. Sie wurden auch als eine epochale Transformation des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems erkannt, die durch die Rücknahme der staatlichen Regulierung, durch die Privatisierung und durch die Deregulierung der Finanzmärkte ausgelöst wurde (vgl. Eichengreen 2008). Manche stellten eine Transformation des industriellen Kapitalismus zu einem ‚investor capitalism’ (Useem 1996) oder ‚Finanzmarkt-Kapitalismus’ (Windolf 2005) fest. Nach Windolf zeichnet sich der Finanzmarkt-Kapitalismus durch den das Produktionsvolumen weit überschreitenden Geldwert der globalen Finanztransaktionen, die Umwandlung aller Vermögen in Wertpapiere und die hohe Abhängigkeit auch der staatlichen Finanzen vom Finanzmarkt aus. Ob es sich dabei tatsächlich um eine neue Stufe in der Entwicklung des Kapitalismus oder um eine vorübergehende Zuspitzung immer schon vorhandener Merkmale handelt, soll hier nicht thematisiert werden (vgl. dazu Lütz 2008: 353 ff). Ob der Finanzmarkt-Kapitalismus zu einem Verschwinden des industriellen Charakters der Realwirtschaft führt, ist jedenfalls zweifelhaft; zweifellos ist es jedoch zu einer Veränderung der Dominanzverhältnisse zwischen der Produktions- und der Finanzwirtschaft gekommen. Der Finanzsektor, nicht die Realwirtschaft, bestimmt Tempo und Volumen der Wirtschaft; die Realwirtschaft wurde zum Appendix der Kapitalmärkte. Durch die verstärkte Bedeutung der Finanzmärkte erhöhte sich der Druck auf die Unternehmen und die Volkswirtschaften, kurzfristigen Renditeinteressen zu entsprechen. Die Staaten haben nicht nur den institutionellen Rahmen, in dem die nationalen Geld- und Kapitalmärkte arbeiten, den internationalen Entwicklungen angepasst; sie bedienen sich auch selbst der globalen Finanzmärkte zur Finanzierung ihrer Politik. Dadurch stiegen der Verschuldungsgrad der Staaten und gleichzeitig der Einfluss, den die global agierenden Finanzinstitutionen auf die Politik der Staaten ausüben können. Diese ist gezwungen, sich an den internationalen Finanzmärkten zu orientieren, was zu institutionellen Veränderungen, die die Finanzinstitutionen und die Investoren begünstigen, führt. Sozialpolitische und arbeitsrechtliche Ziele werden nachrangig, was sich auch am Primat der Wettbewerbsfähigkeit und der wirtschaftlichen Innovation in der Europäischen Union manifestiert. Während die wirtschaftliche Funktion der Finanzmärkte bisher darin bestand, den langfristigen Finanzierungsbedarf der Unternehmen mit den kurzfristigen Anlageinteressen der Investoren in Übereinstimmung zu bringen, veränderte sich diese Funktion, so dass die
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Finanzmärkte zu Orten wurden, wo möglichst rasche und hohe Spekulationsgewinne zu machen sind. Im Zug der Expansion der Finanzmärkte änderten sich daher auch die Finanzsysteme selbst, denn die Börsen, Banken und sonstigen Finanzinstitutionen wandelten sich von ‚Finanzdienstleistern’, deren Funktion es war, der Industrie und der Wirtschaft insgesamt eine finanzielle Infrastruktur zu bieten, zu den dominanten Akteuren im globalen Wirtschaftsgeschehen (vgl. Lütz 2005). Hier wird der Begriff ‚Finanzmarkt-Kapitalismus’ im Sinne der sozialstrukturellen und politisch-wirtschaftlichen Folgen der Expansion der Finanzmärkte, jedoch ohne die Bedeutung einer dauerhaften neuen Formation des Kapitalismus verstanden, da dies den Eindruck einer Notwendigkeit der Entwicklung bzw. einer Gesetzmäßigkeit erweckt. Aus wirtschaftssoziologischer Sicht sind insbesondere zwei Aspekte hinsichtlich der Folgen der Dominanz der Finanzmärkte hervorzuheben: Zum einen der Wandel, der dadurch in Bezug auf die Funktion der Unternehmen in der Gesellschaft begründet wurde: Die Finanzialisierung der Unternehmenswirtschaft bedingte die Ausrichtung an den kurzfristigen Bewegungen der Finanzmärkte, so dass die Orientierung an den Konsum- und Arbeitsmärkten von nachrangiger Bedeutung wurden. Gleichzeitig kam es zu einer Veränderung des Kräfteverhältnisses von Kapital und Arbeit, das sich auf Grund der Dominanz des ‚shareholder value’-Prinzips zuungunsten der Interessen der Arbeitenden sowohl innerhalb der Unternehmen als auch in der Volkswirtschaft insgesamt verschlechterte. Die Gewerkschaften, die im fordistischen Wohlfahrtsstaat zusammen mit den Arbeitgeberverbänden relativ großen Einfluss auf die Regierungspolitik hatten, verloren viel von dieser Macht, weil sich die Determinanten der wirtschaftlichen Entwicklung weitgehend ihrer Einflussnahme entziehen. Auch auf den unteren Ebenen der industriellen Arbeitsbeziehungen bekam das vordem relativ stabile Verständigungsgerüst zwischen den Arbeitnehmervertretungen und den Arbeitgebern deutliche Brüche. Konflikte können auf Grund der Veränderungen in der Arbeits- und Beschäftigungsstruktur und der tendenziell hohen Arbeitslosenzahlen nicht erfolgreich in Form des institutionalisierten industriellen Konflikts, wie er sich als Charakteristikum der fordistischen Formation des Wohlfahrtsstaates herausgebildet hatte, ausgetragen werden. Zudem wird durch die hohe Sensibilität der Wirtschaft und der Politik globaler Wirtschaftskonkurrenz und den Finanzmarktentwicklungen gegenüber der Einfluss der Arbeitnehmerseite wie auch anderer ‚stake-holder’ auf die Politik schwächer, was sich in der Unterwerfung aller anderen Politikbereiche wie Sozialpolitik, Bildungspolitik, Infrastrukturpolitik etc. unter die Wirtschaftsziele und die einseitige Bevorzugung von großen Investoren in Bezug auf die Steuer- und Vermögenspolitik niederschlägt. Die Veränderungen in den Unternehmen und deren Führung sowie die Verschiebung der politischen Machtverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit, die als Folge der Expansion der Finanzmärkte anzusehen sind, haben aber auch Auswirkungen auf die sozioökonomischen Strukturen der Gesellschaften.
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Zur Entwicklung sozioökonomischer Ungleichheit im FinanzmarktKapitalismus Aus soziologischer Sicht geht es im Zusammenhang mit den Entwicklungen der Finanzmärkte und der Finanzkrise nicht um ihre wirtschaftliche Analyse, sondern um die Feststellung der Folgen für die gesellschaftlichen Strukturen in objektiver und subjektiver Hinsicht. Zunächst soll auf die ‚objektiven’ Daten der Einkommens- und Vermögensverteilung, also die ökonomische Ungleichheit, kurz eingegangen werden. Da sich diese immer auch mit sozialer Wertschätzung, gesellschaftlichen Machtverhältnissen und mit unterschiedlichen Zugangs- und Lebenschancen verbindet, wird hier der Bezeichnung ‚sozioökonomische Ungleichheit’ der Vorzug gegeben (vgl. auch Glatzer 2002).
Veränderungen der sozioökonomischen Ungleichheit durch den Anstieg der Geldvermögenszuwächse Soziologen haben relativ wenig Bedacht genommen auf ökonomische Ungleichheit und haben sich eher auf deren Voraussetzungen und Folgen im Hinblick auf Status, Macht und auf das Prestige, das Einkommen oder Vermögen vermitteln, konzentriert. Der Finanzmarkt-Kapitalismus zwingt jedoch dazu, die ökonomische Verteilung der Einkommen und Vermögen direkt zu untersuchen, denn er hat zu einer deutlichen Umverteilung derselben zugunsten der Geldvermögen und damit zu jenen, die bereits über große Finanzkraft verfügen, geführt. Das Geldvermögen wuchs weit stärker als die Arbeits- und sonstigen Einkommen; die Konzentration der Geldvermögen war vor 2007 in den meisten Ländern doppelt so hoch als diejenige der Einkommen (Hauser und Becker 2002). Der ‚Global Wealth Report’ der Boston Consulting Group weist für 2007 eine Konzentration von einem Drittel des gesamten Reichtums der Welt bei 0,7 % der Haushalte aus, wobei sich knapp unter der Hälfte davon in Nordamerika und etwa ein Viertel in Europa befanden (Aerni et al. 2007). Die Berichte von Merrill Lynch und Capgemini sowie von UNU-WIDER der Vereinten Nationen zeigten alle beträchtliche Reichtumssteigerungen an der Spitze (Merrill Lynch/Capgemini 2007; Davies et al. 2008). Vor allem in den USA, aber in den meisten Ländern ebenso, war es zu einer Reichtumsverschiebung von den Reichen zu den Sehr Reichen gekommen (Esping-Andersen 2005). Finanzmärkte können als Arenen oder Felder des Kampfes um die Aneignung von Gewinnen verstanden werden (Godechot 2008) und sie beeinflussen daher die Verteilung der Geldvermögen. Die Expansion der Finanzmärkte verschob die Verteilung der Geldvermögen immer mehr hin zu den Reichsten der Welt und erhöhte generell die ökonomische Ungleichheit innerhalb der Staaten und zwischen den reichen und den armen Nationen (vgl. World Development Report 2006). Auch bei den Einkommen kam es zu einer zunehmenden Spreizung; die hohen Einkommen stiegen überproportional, während die Masseneinkommen stagnierten. Ein Anstieg der Zahl derjenigen, die an der oder unter der Armutsgrenze leben, war selbst in den wohlhabenden Staaten zu verzeichnen (vgl. Atkinson 2007; Atkinson und Brandolini 2006; Davies et al. 2008).
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Nicht nur die ökonomische Ungleichheit vergrößerte sich, auch die Kriterien für die soziale Ungleichheit verschoben sich. Durch die Expansion der Finanzmärkte wurde das Geldvermögen für die soziale Differenzierung wichtig, während der Berufsstatus auf Grund der Dynamik des technischen Wandels und der Verlagerung auf kurzfristig benötigte Kompetenzen anstelle langfristig und allgemein verwertbarer Qualifikationen an Bedeutung immer mehr abnimmt (vgl. Fürstenberg 2000). Auch bei den Zuwächsen der individuellen Vermögen handelt es sich nicht um ererbtes Vermögen, sondern um Geld, das sich durch seine erfolgreiche Veranlagung akkumuliert hat und das laufend wieder zur Erzielung von Rentabilitätszuwächsen eingesetzt wird. Seine Grundlage ist nicht das Arbeitseinkommen, zumindest nicht jenes der Durchschnittsverdiener, sondern der Kredit und die Kontrolle über die Geldvermögen anderer. Die Verfügungs- und Kontrollmacht über große Kapitalmengen führte im Zusammenhang mit den Finanzmarktaktivitäten der global agierenden Unternehmen und Finanzinvestoren zu Befunden einer neuen globalen Klasse von Finanzkapitalisten (vgl. Zeitlin 1989). Soweit sich ihre Macht primär auf die Verfügungsgewalt über Kapital stützt, sieht Windolf sie als „Eigentümer ohne Risiko“ und kennzeichnet insbesondere die Bank- und Fondsmanager als „Dienstklasse des Finanzmarkt-Kapitalismus“ (Windolf 2008). Ihre Interessen und die der Großkunden, für die sie arbeiten, bestimmen weitgehend die Entwicklungen auf den Finanzmärkten, aber auch die Struktur, Strategie und die wirtschaftliche Zukunft der Unternehmen, in denen sie Eigentümerrechte wahrnehmen; sie üben darüber hinaus massiven Einfluss auf die Politik der Staaten aus. Die Finanzwirtschaft wurde damit zum bedeutenden Faktor nicht nur für die Bestimmung der ökonomischen und politischen Entwicklungen, sondern auch der gesellschaftlichen Machtverhältnisse und der sozialen Distanzen mit allen ihren Folgeerscheinungen in Bezug auf die Ungleichheit in Bezug auf Gesundheit, Bildung, Mobilität, kulturelle und politische Inklusion etc. Der unterschiedliche Zugang zu und die Verfügung über Geld und Kredit vermitteln Macht, Einfluss und Ansehen in der Gesellschaft, so dass neue Muster von Ungleichheit entstehen (vgl. Carruthers 2005). Diese sind nicht auf relativ stabile Strukturen von Berufen und intergenerationale Besitz- und Vermögensverhältnisse gegründet, sondern auf der Wechselhaftigkeit von Finanzmarktentwicklungen. Solcherart entstehen über den historischen Schichten von „durable inequality“ (Tilly 1998) flexible Spitzen von rasch erworbenem Reichtum. Zwar sanken die Finanzvermögen der Reichen der Welt 2008 gegenüber dem Vorjahr und generell kam es wieder zu einer Flucht in festverzinsliche Anlagen (Merrill Lynch/Capgemini 2009). Dennoch änderte sich an der Ungleichheit nichts, denn am meisten betroffen war die Masse derer, die in Pensionsfonds eingezahlt bzw. ihre Ersparnisse in Wertpapieren angelegt hatten, sowie diejenigen Arbeitnehmer, welche durch die finanziellen Probleme ihrer Unternehmen ihren Arbeitsplatz verloren. Die sozioökonomische Struktur weist eine Polarisierung zwischen der Schicht der Sehr Reichen und den stagnierenden oder real sinkenden Einkommen der breiten Schichten der Bevölkerung auf. Der „liberale Kapitalismus“ (Münch 2009) hat daher eine Differenzierung nach Gewinnern und Verlierern begründet, die aber nicht nur eine objektive Entwicklung auf der Grundlage quantitativer Vergleiche erkennen lässt, sondern auch eine subjektive Dimension hat.
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Die subjektive Dimension sozioökonomischer Ungleichheit: Akteure und Betroffene Die Wahrnehmung und Akzeptanz von Ungleichheit unterscheidet sich oft stark von den objektiven Gegebenheiten, was in Studien subjektiver Wahrnehmung und Einstellungen in Bezug auf soziale Ungleichheit auf der Grundlage des European Social Survey (ESS) oder des International Social Survey Program (ISSP) deutlich wird (vgl. Hadler 2005; Kelley und Evans 1993). Dabei zeigten sich Unterschiede zwischen den USA, Westeuropa und den CEEStaaten. In letzteren war die Akzeptanz sozialer Ungleichheit höher, mit Differenzen zwischen jenen, die dem Marktsystem positiv gegenüberstanden und jenen, die es kritisch sahen (vgl. Gijsberts 2002; Kelley und Zagorski 2004). Zwischen USA und Europa wird meist auf Unterschiede der Institutionen sozialer Sicherheit hingewiesen, auf die Traditionen industriellen Konflikts bzw. auf die differenten Einstellungen zu kapitalistischen Werten, die für die relative Akzeptanz sozialer Ungleichheit in den USA im Vergleich zu Europa relevant zu sein scheinen (vgl. Hadler 2005; Osberg und Smeeding 2006). Ob Ungleichheit als gerecht oder ungerecht empfunden wird, hängt innerhalb der einzelnen Gesellschaften von der eigenen Position in Bezug auf Einkommens- und Ausbildungsniveau ab (vgl. Liebig und Schupp 2007), aber auch von Alter, politischer Orientierung, individueller Biographie und von den Erfahrungen, die man im Lauf des Lebens gemacht hat. Einkommens- und Vermögensunterschiede werden nur dann auch politisch-diskursive Themen, wenn sie in der Öffentlichkeit als Ungerechtigkeiten, als „differences that we consider unjust“ (Therborn 2006: 4), erkannt werden bzw. wenn sie Normen sozialer Ungleichheit oder Vorstellungen einer „sittlichen Wirtschaft“ (Austen 1999; Svallfors 2006) verletzen. Die relativ verbreitete Akzeptanz der Verstärkung sozioökonomischer Ungleichheit in den letzten beiden Jahrzehnten ist bemerkenswert. Weder kam es zu massiven Forderungen in Richtung auf Umverteilung noch zu einem starken Anstieg von kollektiven Konflikten. Die Gründe dafür hängen mit der neoliberalen Politik und mit dem Einfluss der Finanzmarktentwicklungen zusammen; sie haben zur Flexibilisierung der Beschäftigung, der Heterogenität der Arbeits- und Beschäftigungsformen und generell zu hoher Arbeitsplatzunsicherheit beigetragen. Die zunehmende Diversität der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen und die Finanzialisierung der Unternehmenswirtschaft sowie der öffentlichen Verwaltung haben die kollektiven Interessenvertretungen der Arbeitenden geschwächt. Der gemeinsamen Interessenartikulation als nicht förderlich erweist sich auch die in die politische Rhetorik übernommene marktliberale Ideologie der individuellen Selbstverantwortung und des unternehmerischen Handelns. Hinsichtlich der Gesellschaftsbilder, die in der Bevölkerung entstehen, scheint sich ein Wandel abzuzeichnen. Während lange Zeit die Vorstellung einer Mittelschichtgesellschaft vorherrschte, kommt es in der Gegenwart wieder zu einer stärkeren Polarisierung von ‚oben’ und ‚unten’ im Bewusstsein der Menschen. Auch die Vokabeln von Inklusion und Exklusion, mit denen soziale Unterschiede gegenwärtig in der sozialwissenschaftlichen wie in der politischen Diskussion verbunden werden, suggerieren eine Polarisierung; diese bezieht sich jedoch nicht auf die Differenz zwischen einer fast die ganze Bevölkerung umfassenden ‚Bürgergesellschaft’ und einer ‚underclass’ von Nicht-Anpassungsfähigen bzw. von neuen Armen; sie stellt sich vielmehr dar als Konfrontation zwischen einer relativ kleinen Gruppe von Privilegierten und den vielen anderen, die ständig von Arbeitsplatzverlust
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und sozialem Abstieg gefährdet sind, selbst wenn sie gerade noch Arbeit und Einkommen haben. Ein neues Unterschichtgefühl ist entstanden, das sich aber nicht auf begrenzte Gruppen beschränkt, sondern latent einen Großteil der Menschen erfasst (Neckel 2008). Die Intransparenz der Finanzmarktentwicklung gepaart mit ihrem gegenwärtig so großen Einfluss hat ein Gefühl des Ausgeliefertseins an die Auf- und Abschwünge des kapitalistischen Wirtschaftssystems ausgelöst. Neben der ökonomischen Ungleichheit und ihren sozialen Begleiterscheinungen und Folgen beruht das Unterschichtgefühl auf dem Bewusstsein, nicht zu den ‚Akteuren’ des neoliberalen Kapitalismus zu gehören, d.h. zu jenen, die auf Grund von Reichtum, Macht- und Kontrollchancen, aber auch bedingt durch Karriereerfolg und Selbsteinschätzung (vgl. etwa Patterson et al. 2008) zu denen gehören, die Veränderungen durchsetzen, sondern zu jenen, die davon betroffen sind, aber nicht das Gefühl haben, ihr Schicksal selbst bestimmen zu können (vgl. Jacobs und Newman 2006; Kenworthy und McCall 2008; Oskarson 2007; Robila 2006). Diese Strukturen von subjektiver Ungleichheit sind nicht klar voneinander abgegrenzt, sie wechseln ständig und reflektieren die raschen Veränderungen der finanzwirtschaftlichen Entwicklung im individuellen Leben (vgl. Berger und Konietzka 2001). Das Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins hat auch Auswirkungen auf das politische Bewusstsein und die demokratische Partizipation der Menschen (vgl. Freeman 2004; Sassen 2005; Skocpol 2004). Letztere zeigt eine abnehmende Tendenz, während der Zulauf zu populistischen oder rechtsradikalen Parteien zunimmt. Ein politisches Subjekt, das zur Initialzündung für die historische Veränderung bzw. Transformation des Kapitalismus hin zu einem humanen, einem ‚ökosozialen Kapitalismus’ oder einem ‚egalitären Kapitalismus’ (Kenworthy 2004) werden könnte, ist nicht zu erkennen, so dass diese politischen Konzepte den Charakter von Utopien annehmen.
Zur gesellschaftstheoretischen Integration der Finanzmärkte Finanzmärkte können aus der Sicht der Soziologie nicht unabhängig von gesellschaftlichen Strukturen, Institutionen und den Zielsetzungen der Politik gesehen werden. Das erfordert ihre Integration in einer gesellschaftstheoretischen Konzeption (vgl. Beckert 2009; Beckert und Deutschmann 2009). Hier wird vorgeschlagen, die Finanzmärkte mit Hilfe der Systemtheorie von Talcott Parsons als Institutionen der Gesellschaft zu beschreiben. Der Parsonsschen Theorie wurde Wertharmonisierung, Verallgemeinerung spezifisch US-amerikanischer Verhältnisse und eine statische, Konflikt und Wandel nicht adäquat berücksichtigende Integrationsperspektive vorgeworfen. Doch die Theorie kann jenseits dieser inhaltlichen Tendenzen ein begriffliches Tableau bieten, um die Finanzmärkte als Institutionen der Gesellschaft zu bestimmen. Damit könnten die wirtschaftssoziologischen Studien, die sich mit den sozialen und institutionellen Aspekten der Prozesse in den Finanzmärkten beschäftigen, durch die Analyse ihrer Voraussetzungen und Folgen für die Gesellschaft ergänzt werden. Wirtschaft wird in Parsons’ Sicht als ein strukturell ausdifferenziertes und funktional auf die Erhaltung und Entwicklung der Gesellschaft ausgerichtetes Subsystem verstanden, wobei auf allen Ebenen – von der Gesellschaft bis zum primären Interaktionssystem – vier funktionale Erfordernisse erfüllt werden müssen: Integration, Wert- und Strukturerhaltung, Zielerreichung und Anpassung an äußere Bedingungen (vgl. Mikl-Horke 2008a: 86 ff). Par-
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sons selbst hat nicht auf den Finanzmarkt Bezug genommen, aber auf der Grundlage der Konzeption, wie sie in Economy and Society enthalten ist, kann man ihn als interdependentes System von Handlungen definieren, das Funktionen der Investition und Finanzierung erfüllt (Parsons und Smelser 1956: 130); es steht als offenes System mit den anderen wirtschaftlichen Funktionen, darüber hinaus auch mit der Kultur, den Institutionen und dem politischen System in wechselseitigen Austauschprozessen. Die Annahme der ‚boundary interchanges’ zwischen den Subsystemen aller Ebenen erlaubt es, die Entwicklungen der Finanzmärkte in Bezug zu setzen zu anderen gesellschaftlichen Bereichen und die Austauschprozesse zwischen ihnen zu erfassen. Der Finanzmarkt selbst braucht für seine Funktionserfüllung Inputs aus den anderen Subsystemen, d.h. Werte und Verhaltensmuster als Sozialisationsleistungen der Haushalte, institutionelle und rechtliche Grundlagen, Zielvorgaben von Politik und anderen Wirtschaftsbereichen, etwa der Realwirtschaft, und muss sich an die Ressourcenlage insbesondere im Hinblick auf Geld und Zeit anpassen. Gleichzeitig erbringt der Finanzmarkt Leistungen für alle anderen Subsysteme. Die Parsonssche Theorie behandelt Finanzmärkte daher nicht als isolierte Märkte, die einseitig Anforderungen an andere Bereiche der Wirtschaft und Gesellschaft stellen, sondern bezieht sie als Funktionsträger und Dienstleister auf den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang. Zwar weisen sie als ausdifferenzierte Subsysteme auch selbst erzeugte Werte, Ziele und Regeln auf, diese stehen jedoch gleichzeitig in Austauschprozessen mit jenen anderer Bereiche. Mit Hilfe dieser Theorie kann beschrieben werden, wie Veränderungen in einem Bereich, also in den Finanzmärkten, auf andere Bereiche der Wirtschaft und auf die ganze Gesellschaft wirken. Dabei werden nicht einzelne Faktoren, seien dies die Kreditblase im Finanzierungssektor, die Gier der Anleger, Managementfehler etc. als Verursacher festgestellt, sondern die mangelhafte Abstimmung zwischen den Zielen, Werten/Motiven, der Anpassungsleistung und der integrativen Kompetenz der Handelnden auf allen Ebenen und in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft hervorgehoben. Die exzessive Expansion des Finanzsystems in den letzten Jahrzehnten kann in dieser Sicht als eine Störung des Gleichgewichts zwischen den funktionalen Bereichen der Wirtschaft mit entsprechenden Problemen für das Gesellschaftssystem in politischer, kultureller und institutioneller Hinsicht verstanden werden. Es wird im Rahmen der Theorie aber auch klar, dass die Hypertrophie der Finanzmärkte ihrerseits auch Voraussetzungen in politischen, institutionellen und auch kulturellen Prozessen haben musste. Die Theorie und ihre Implikationen für Finanzmärkte können hier nicht weiter verfolgt werden∗; anzumerken ist, dass es sich dabei um eine begriffssystematische Konzeption handelt, d.h. sie vermag die Wechselwirkungen zwischen den Prozessen im Finanzsektor und anderen Bereichen der Gesellschaft begrifflich zu kodifizieren. Sie dient in erster Linie der Klärung der Zusammenhänge und Wechselbeziehungen zwischen den durch begriffliche Konstrukte repräsentierten Systemelementen und bedarf daher der Ergänzung durch die historische „Konkretion und Varianz der Einbettung wirtschaftlichen Handelns“ (Beckert 2009: 190), etwa durch historische und vergleichende Studien, aber auch durch eine daran anschließende kritische Folgenanalyse. Trotz ihrer Beschränkungen ist diese Theorie jedoch ∗ Für eine weitergehende Entwicklung sei verwiesen auf: Andreas Winkler (2010): ‚Boundary Interchanges’ – Funktionale Beziehungen zwischen Kapitalmarkt und Gesellschaft. Diss.: Wirtschaftsuniversität Wien.
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zu Unrecht weitgehend in Vergessenheit geraten, denn sie hat immerhin die wirtschaftlichen Funktionen auf ihren Beitrag zur Gesellschaft hin systematisch entwickelt. Man mag darin eine normative Betonung des gesellschaftlichen Ganzen sehen, aber diese erscheint notwendig als eine Gegen-Perspektive zu der Sicht der Märkte als spezifische, außerhalb der Gesellschaft angesiedelte Mechanismen. Letztlich sind Finanzmärkte nicht nur durch die individuellen Ziele der Interessenten bestimmt, auch wenn diese als legitim gelten, und sie können nicht als Wirtschaft und Gesellschaft dominierende und gleichzeitig davon eigendynamisch abgekoppelte Strukturen auf Dauer funktionieren.
Conclusio: Die gesellschaftliche Bedeutung von Finanzmärkten und ihrer Krisen Die in manchen Erklärungen der Finanzkrise betonte Bezugnahme auf irrationale Handlungen von Individuen macht die nicht adäquaten Verhaltensweisen der Menschen als Auslöser oder Verstärker der Krise verantwortlich. Demgegenüber sollte hier gezeigt werden, dass sich Menschen meist durchaus rational verhalten angesichts der Ungewissheit, die auf den Märkten herrscht und unter Bedachtnahme darauf, dass sie sich nicht nur an ökonomischen, sondern auch an sozialen, politischen oder ethischen Zielen orientieren. Die Perspektive der Soziologie richtet sich auf die Beziehungen zwischen den Akteuren und auf die Normen, die Ungewissheit reduzieren und dadurch erst Rationalität ermöglichen, gleichzeitig aber die individuelle Nutzenverfolgung begrenzen. Dadurch wird erkennbar, dass das Marktgeschehen mit Lebenswelt, Politik und Kultur in den Gesellschaften verbunden ist, sich daraus entwickelte und darauf zurückwirkt. Die Fokussierung auf das individuelle Verhalten in ökonomischen Ansätzen blendet die gesellschaftlichen Voraussetzungen und Folgen wirtschaftlicher, im speziellen Fall finanzwirtschaftlicher Handlungen und Prozesse aus bzw. betrachtet diese nur im Hinblick auf ihre Instrumentalität für die wirtschaftliche Effizienz. Dieser Beitrag suchte zu zeigen, dass die wirtschaftssoziologischen Ansätze das Wissen über Finanzmärkte und Finanzkrisen in vielfacher Hinsicht ergänzen und erweitern können und zwar nicht nur auf Grund der größeren Realitätsnähe empirischer Befunde, sondern durch ihre Perspektive auf soziale Beziehungen, Institutionen und Gesellschaft. In marktsoziologischen und netzwerkanalytischen Untersuchungen wird die Rolle von sozialen Motiven erkennbar und gezeigt, dass auch Finanztransaktionen in sozialen Situationen vor sich gehen, in denen es nicht nur auf Preise, Kurse bzw. Renditen ankommt, sondern auch auf das Streben nach Reputation, nach Status, Anerkennung und Kooperation, das aber nur im Rahmen der sozialen Beziehungen Bedeutung hat und sich realisieren lässt. In der Krise kommt es zu einem Vertrauensverlust, nicht nur im Hinblick auf die Gewinnerwartungen, sondern insbesondere auch zu einem Verlust an Vertrauen in Personen und in soziale Beziehungen. Institutionalistische Erklärungen der Krise zeigen die Bedeutung von Normen und Institutionen, die nicht nur die Prozesse auf den Finanzmärkten regeln, sondern gleichzeitig auch soziale, politische und wirtschaftliche Ziele miteinander verknüpfen. Krisen entstehen
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in dieser Sicht durch mangelhafte oder falsche Regelung und Kontrolle, so dass es zu Korruption, Opportunismus, Missbrauch, Betrug und Täuschung kommt. Das schädigt Finanzmarkt, Politik und Wirtschaft allgemein über die rein ökonomischen Verluste hinaus durch den Verlust von Legitimität. Die Netzwerkansätze und die institutionellen Analysen bedürfen jedoch der Erweiterung durch eine soziologische Analyse der Folgen für die Gesellschaftsstrukturen, denn die Finanzmärkte wurden nicht nur zu den treibenden Kräften der Wirtschaft, sondern auch zum Motor der sozialen Veränderung. Sie haben das Ausmaß, aber auch die Art der sozialen Ungleichheit stark beeinflusst, denn Ansehen und Macht stammen mehr denn je aus Geldvermögen und der Kontrolle darüber. Der Aufstieg der Finanzmärkte hängt eng mit ihrer Deregulierung und mit der Globalisierung der Wirtschaft, der Macht der Finanzinstitutionen und der Beschleunigung der Transaktionen durch die technische Entwicklung zusammen. Die Theorie des FinanzmarktKapitalismus sieht darin eine allgemeine Transformation unseres Gesellschafts- und Wirtschaftssystems, die zu einer exzessiven Ausrichtung desselben an den Interessen der globalen Investoren, die manche im Sinne einer globalen Finanzklasse verstehen, geführt hat. Der Druck der globalen Finanzmärkte auf die Unternehmen führte zu deren Finanzialisierung und Flexibilisierung nach Maßgabe der Investorinteressen und resultierte in Arbeitskräfteabbau, Prekarisierung und Subjektivierung der Arbeit. Im Finanzmarkt-Kapitalismus kam es zu einer entscheidenden Schwächung des Faktors Arbeit und damit der Interessen der Arbeitnehmer. Die Erweiterung der Finanzkrise zur Wirtschaftskrise ließ die Arbeitslosenzahlen in allen Ländern ansteigen, aber auch die Selbständigen und die Klein- und Mittelunternehmen wurden durch die Verschlechterung der Konjunktur stark betroffen. Um die Entwicklungen der Finanzmärkte und die Finanzkrise in ihrer Bedeutung für die Gesellschaft darzustellen, bedarf eine soziologische Betrachtung aber nicht nur empirischer Analysen, sondern auch einer gesellschaftstheoretischen Konzeption. Hier wurde auf die lange Zeit vergessene Theorie von Parsons und Smelser verwiesen, die es erlaubt, die Wechselwirkungen zwischen dem Finanzsystem und den anderen Bereichen der Gesellschaft systematisch zu erfassen. Aus der Sicht dieser systemtheoretischen Konzeption erscheint die Krise als Störung des funktionalen Gleichgewichts in der Gesellschaft, im gegenständlichen Fall durch die hypertrophe Entwicklung der globalen Finanzmärkte. Soziologische Forschung über Finanzprozesse kann sich nicht damit zufrieden geben, Einsicht in das tatsächliche Funktionieren der Finanzmärkte oder die wirtschaftlichen Gründe der Krise zu erlangen bzw. auf die allgemeine Bedeutung sozialer und institutioneller Faktoren dafür hinzuweisen. Auch die kapitalismuskritischen Diskurse sind nicht an sich schon das Ziel. Vielmehr müssen die sozialstrukturellen, institutionellen und gesellschaftstheoretischen Analysen Ansatzpunkte für die Feststellung der konkreten Folgen und damit letztlich auch für die Richtung, in die eine Veränderung der gegebenen Bedingungen gehen soll, liefern. Aussagen über Ziele und die Richtung, in die sich unsere Gesellschaften entwickeln sollen, sind zwar – wenn sie von Seiten der Wissenschaft kommen – noch immer anrüchig, aber Wissenschaft ohne autonome Zielbestimmung wird zum Instrument der Mächtigen.
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