Thomas Wrona (Hrsg.) Strategische Managementforschung
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Thomas Wrona (Hrsg.)
Strategisch...
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Thomas Wrona (Hrsg.) Strategische Managementforschung
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Thomas Wrona (Hrsg.)
Strategische Managementforschung Aktuelle Entwicklungen und internationale Perspektiven
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Claudia Jeske Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe voon Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt aauch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1177-3
Geleitwort
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Geleitwort Geleitwort Sein akademisches Leben hat Herrn Professor Dr. Ingolf Bamberger in verschiedenen Ländern verbracht und hat ihn hierbei an unterschiedliche Lehrstühle geführt – in Rennes „Stratégie et Structure“, in Maastricht „International Management and Business Policy“ und in Essen „Organisation & Planung“. Die Strategieforschung zog sich jedoch stets als ein verbindendes Element durch seine Arbeit. Die vorliegende Festschrift, die Ingolf Bamberger anlässlich seines 65. Geburtstags gewidmet wird, greift dieses Element auf. In ihr thematisieren ihm verbundene Menschen Beiträge zur strategischen Managementforschung. „Strategische Managementforschung“ ist dabei bewusst weit zu verstehen und beinhaltet verschiedene strategierelevante und angrenzende Bereiche wie insbesondere die Internationalisierung und die Mittelstandsforschung. Als Herausgeber möchte ich an dieser Stelle allen danken, die zum Gelingen dieses Projektes und damit auch zum (nachträglichen) Geburtstagsgeschenk für Ingolf Bamberger beigetragen haben. Dies sind zunächst freilich die Autoren, die sich in Zeiten von Zeitschriften-Rankings und dem damit verbundenen „A+-Fetischismus“ dennoch den „Luxus“ leisten wollten, aktuelle Forschungsergebnisse an dieser Stelle (und nicht in Zeitschriften) zu publizieren. Ferner gilt mein Dank den Sponsoren Franz Haniel & Cie. GmbH, L’Oréal Deutschland und der ESCP-EAP Europäische Wirtschaftshochschule Berlin, die mit ihrer finanziellen Unterstützung die Herausgabe des Buches ermöglicht haben. Claudia Jeske vom Gabler-Verlag hat uns in allen (vor-)vertraglichen und technischen Fragen hervorragend betreut und die Zusammenarbeit sehr angenehm gemacht. Besonderer Dank gilt jedoch meinem Lehrstuhlteam, insbesondere Andrea Nägel, die im Zusammenwirken mit Steffi Hunstock ein Höchstmaß an persönlichem Einsatz und an organisatorischem Geschick einbrachte.
Berlin, im Juli 2008
Thomas Wrona
Entrata
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Entrata Entrata Werner Kirsch und Thomas Wrona Als Entrata (auch Intrada oder Entrada) bezeichnet man den einleitenden, vor dem Hauptwerk gespielten Satz. Intraden kamen im 16. Jahrhundert auf. Sie dienten der Eröffnung einer Festivität. Entrada wurde auch der Schreittanz genannt, der die Festlichkeit eröffnete. Anzunehmen ist, dass es dabei in aller Regel lustig zuging. Schreiten wir also zur Eröffnung der Festivität für Ingolf Bamberger.
Wie eine wissenschaftliche Monographie entsteht Werner Kirsch Mit Ingolf Bamberger verbinden mich die schönsten Erinnerungen an den Anfang meiner Tätigkeit als Professor an der Betriebwirtschaftlichen Fakultät der Universität Mannheim. Im Herbst 1968 erhielt ich im Zusammenhang mit dem Angebot einer Lehrstuhlvertretung das starke Signal, dass ich mit einem Ruf auf den neu etablierten zweiten Lehrstuhl für Industriebetriebslehre rechnen kann. Als Mitarbeiter von Edmund Heinen fühlte ich mich in der Industriebetriebslehre zu Hause und machte ich mir keine Sorgen wegen eines relevanten Lehrprogramms. Außerdem sicherte ich mir den Besten des aktuellen Examenstermins als zukünftigen Assistenten, und dieser – es war Ingolf Bamberger – hatte die Industriebetriebslehre ebenfalls „voll drauf“. So befasste ich mich in der Zwischenzeit mit der Überarbeitung meiner Habilitationsschrift zur Theorie der Entscheidungsprozesse, deren erweiterte Fassung der Verlag als dreibändiges Werk herauszubringen beabsichtigte. Kurz vor Weihnachten eröffnete mir der Dekan der Fakultät, dass der Ruf an mich beschlossen worden sei. Allerdings habe die Fakultät umdisponiert: Man wolle mich nunmehr als Nachfolger von Karl Oettle für die „Verkehrsbetriebslehre“. Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch nie eine wissenschaftliche Veröffentlichung zu diesem Gebiet in der Hand gehabt und Bamberger war mindestens genauso „unbeleckt“. Hoffnungsvoll starteten wir dennoch am 1. April 1969. Das erste Semester überbrückten wir mit einer Fallstudie über die Einrichtung einer Omnibuslinie zwischen Dillingen und Lauingen. Ich hatte kurzfristig unter den Doktoranten von Heinen einen weiteren Assistenten akquirieren
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Werner Kirsch und Thomas Wrona
können, dessen Vorzug es war, dass seine Eltern ein Omnibusunternehmen ihr eigen nennen konnten. Die Studierenden waren etwas erstaunt, dass wir bei dieser Fallstudie vor allem die politischen Prozesse in den beteiligten Gemeinderäten und im zuständigen Landkreis herausstellten: Von politikwissenschaftlichen Ansätzen verstanden wir als Entscheidungstheoretiker erheblich mehr als von den „ökonomischen Niederungen“ der Verkehrsbetriebe. Für das folgende Wintersemester musste ich dann natürlich eine grundlegende Vorlesung zur Verkehrsbetriebslehre ankündigen. Bamberger bekam die Aufgabe, mich bis dahin mit hinreichendem Material zu versorgen; ich selbst musste versuchen, den mit dem Verlag vereinbarten Termin für die Abgabe des ersten Bandes der „Entscheidungsprozesse“ einzuhalten. Bamberger und ich waren uns einig, dass wir von vornherein die internationale Literatur einbeziehen wollten. Doch Recherchen zum englischen Terminus „Traffic“ waren enttäuschend. Schnell kam Bamberger aber darauf, dass das uns Interessierende in den USA unter der Bezeichnung „Logistics“ zu finden war. Freilich konzentrierte sich diese Forschung in erster Linie auf die logistischen Prozesse in den Industrie- und Handelsunternehmen, während die Verkehrsunternehmen in dieser Perspektive als Logistikdienstleister betrachtet wurden. Bamberger und ich fanden diesen „modernen“ Zugang äußerst attraktiv und beschlossen, ihn in den Mittelpunkt der Vorlesung zu stellen. Eine erste Gliederung der nunmehr „Betriebswirtschaftliche Logistik“ getauften Vorlesung gefiel uns so gut, dass wir beschlossen, unsere unumgängliche Einarbeitung in dieses Forschungsgebiet gleich mit dem Schreiben eines einführenden Buches zu verbinden. Vier der fünf daraufhin von uns angeschriebenen Verlage waren sehr interessiert. Also überlegten wir, wie wir zu einem ersten Buchmanuskript gelangen könnten: Die Idee war, meine weitgehend frei auf der Basis der von Bamberger gelieferten Stichworten gehaltene Vorlesung mitzuschneiden und anschließend von der Sekretärin transkribieren zu lassen. Dieses Vorgehen war nicht sehr erfolgreich, weil sich zeigte, dass ich selten einen grammatisch einwandfreien Satz auszusprechen in der Lage war. Also musste doch der übliche Weg des Schreibens beschritten werden. Und weil der Rest des Lehrstuhls mit den weiteren Bänden der „Entscheidungsprozesse“ beschäftigt war, blieb diese Arbeit weitgehend an Bamberger hängen, der außerdem im Rahmen des Krisenmanagements zur Einhaltung der Verlagstermine auch noch bei den „Entscheidungsprozessen“ mithelfen musste. Mit vereinten Kräften konnten die drei Bände 1970 und 1971 auch erscheinen (im Vorwort verband ich meinen Dank an Bamberger und seine Kollegen mit dem Hinweis, dass deren Unterstützung „bis an die Grenzen der Koautorenschaft“ gegangen war und wenn ich ganz ehrlich gewesen wäre, hätte ich einräumen müssen, dass diese Grenzen überschritten worden waren).
Entrata
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Die Bemühungen um eine „Betriebswirtschaftliche Logistik“ wurden nicht gerade gefördert, als ich den Kollegen der Fakultät meinen Wunsch signalisierte, nach der Wegberufung von Eberhard Witte nach München auf den Lehrstuhl für Organisation und Datenverarbeitung der Universität Mannheim zu wechseln und meine Kollegen dem zustimmten. Da aber die Arbeiten an dem Buch schon fortgeschritten waren, vereinbarten Bamberger und ich, dieses Projekt trotz der Notwendigkeit, nunmehr ein Lehrprogramm für den neuen Lehrstuhl zu entwickeln, zu Ende zu führen, woraus dann auch relativ schnell ein lesbares Manuskript resultierte. Es hatte jedoch einen Nachteil: Es war zu umfangreich geraten. So baten wir meinen kürzlich hinzu gekommenen neuen Assistenten Eduard Gabele (später Professor an der Universität Bamberg), das Manuskript zu kürzen. Dummerweise hatte Gabele jedoch bei meinem Vorgänger Oettle eine fundierte Ausbildung in der Verkehrsbetriebslehre erfahren, was ihn für die vorhanden Lücken sehr sensibilisierte. Die Folge: Die „Kürzung“ führte zu einer erheblichen Erweiterung des Manuskripts – und auch der Zahl der Koautoren. Ein neuer Anlauf zur Kürzung war erforderlich. Dieses Mal war es der von einem Forschungsaufenthalt aus den USA zurückgekehrte Heinz Klein (später Professor für „Information Sciences“ an verschiedenen US-Universitäten), der nicht in dem Verdacht stand, über weitergehende Kenntnisse im Bereich der Logistik bzw. der Verkehrsbetriebslehre zu verfügen. Unglücklicherweise erkannte Klein, dass diese Bereiche geradezu prädestiniert für die Anwendung von Methoden des Operations Research und der Wirtschaftsinformatik sind, worüber er recht intime Kenntnisse hatte. Schnell hatten wir einen weiteren Koautor und ein noch umfangreicheres Manuskript. Da Bamberger inzwischen mitten in der Erarbeitung seiner Dissertation war, Klein seine Habilitation angehen wollte und Gabele mit der Vorbereitung eines sehr umfangreichen empirischen Projekts zu „tief greifenden Reorganisationsprozessen“ im Rahmen des mir von der Fakultät für zwei Jahre zur Verfügung gestellten „Instituts für empirische Forschung“ befasst war, beschlossen wir, auf weitere Kürzungsversuche zu verzichten. Der Verlag war einverstanden und so erschien Ende 1972 das Buch: „Kirsch, Bamberger, Gabele und Klein: Betriebswirtschaftliche Logistik – Systeme, Entscheidungen und Methoden“. Es war die erste deutschsprachige Monographie zu diesem Thema. Wenn mich heute auf der Autobahn die Lastzüge nerven, auf denen inzwischen fast immer der Begriff „Logistik“ prangt, bringe ich mich meist wieder ins Gleichgewicht, indem ich mich mit Freude an die Zeit mit Bamberger und der „Betriebswirtschaftlichen Logistik“ erinnere.
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Werner Kirsch und Thomas Wrona
Stationen von Ingolf Bamberger Werner Kirsch und Thomas Wrona Die Fallstudie „Wie eine wissenschaftliche Monographie entsteht“ charakterisiert gleichzeitig die Anfänge der akademischen Laufbahn von Ingolf Bamberger. Schon 1971 reichte er an der Universität Mannheim seine Dissertation ein mit dem Titel „Budgetierungsprozesse in Organisationen“, die mit dem Prädikat „Summa cum laude“ bewertet wurde. In der Folgezeit erarbeitete er zusammen mit Werner Kirsch, Claus Berg und Wolfgang Weber die Drehbücher für das Telekolleg „Volks- und Betriebswirtschaftslehre“, das mehrere Jahre in verschiedenen Sendern der ARD wiederholt wurde. Die Begleitmaterialien schlugen sich in einer Buchveröffentlichung „Die Wirtschaft“ (Wiesbaden 1975, als Taschenbuch München 1978) nieder. Seine Affinität zur Unternehmenspraxis manifestierte sich Mitte der 1970er Jahre in einem mehrmonatigen Aufenthalt im US-Headquarter der IBM. Parallel hierzu bereitete Bamberger sein Habilitationsprojekt „Langfristige Zielplanung – Planbarkeit und Rationalität unternehmenspolitischer Ziele“, für das er ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft erlangte. Noch vor Fertigstellung der Habilitationsschrift erreichte Bamberger 1977 ein Ruf an die französische Universität in Rennes, wo er u. a. die Leitung des Bereichs „Unternehmensführung“ („Stratégie et Structure“) am Institut de Gestion de Rennes, Universität Rennes/Frankreich übernahm. Parallel hierzu verfolgte Bamberger weiterhin sein Habilitationsprojekt, das er 1982 an der Universität Mannheim erfolgreich zum Abschluss brachte. 1988 nahm Bamberger das Angebot einer Professur für internationale Unternehmensführung („International Management and Business Policy“) an der Universität Limburg in Maastricht/Niederlanden an. Nach einer langjährigen Lehrtätigkeit in der französischen Sprache wechselte er damit in die englische Sprache, die an seiner neuen Wirkungsstätte obligatorisch war. 1991 ereilte ihn schließlich ein Ruf an die Universität Essen (inzwischen Universität Duisburg-Essen) auf ein Ordinariat im Fachgebiet „Organisation und Planung“ im Fachbereich Wirtschaftwissenschaften. Dort ist Bamberger bis heute tätig. Das akademische Curriculum Vitae Bambergers ist mit dem Hinweis abzurunden, dass er (selbstverständlich) eine Reihe von Mitgliedschaften angesehener akademischer Institutionen (u. a. Strategic Management Society und Academy of International Business) hält und auch an der Herausgabe verschiedener Zeit-
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schriften und Buchreihen mitwirkt. Privat ist er seit den Anfängen seiner akademischen Laufbahn mit einer Französin verheiratet. Beide haben zwei Töchter und zwei Enkelkinder. Und wenn es seine Tätigkeit an der Universität DuisburgEssen erlaubt, ziehen sie sich nach Südfrankreich zurück. Ein beneidenswertes Leben!
Einige „literarische Highlights“ Werner Kirsch und Thomas Wrona Im wissenschaftlichen Werk Bambergers spiegeln sich die Stationen seiner akademischen Laufbahn wider. In seiner Dissertation (Budgetierungsprozesse in Organisationen, Mannheim 1971) und später in seiner (unveröffentlichten) Habilitationsschrift (Langfristige Zielplanung - Planbarkeit und Rationalität unternehmenspolitischer Ziele, Mannheim & Rennes 1982) erarbeitet er sich die Grundlagen der Forschung zu Fragen der Planung, insbesondere der strategischen Planung. Dabei fällt schon hier auf, dass die kritische Auseinandersetzung von vornherein im Lichte eines sehr breiten Spektrums deskriptiv-theoretischer Ansätze erfolgt. In Rennes wird – wohl unter dem Einfluss der dort existierenden Wirtschaftsstruktur – das besondere Interesse an Problemen der (strategischen) Führung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) geweckt. Zu nennen ist hier in erster Linie ein Beitrag Values and Strategic Behaviour.1 Während es bereits seit längerem Werteforschung im Management gab, wurde die Rolle der Wertsysteme bei KMU bis dato nicht untersucht. Der Beitrag beschreibt die Vorgehensweise und den theoretischen Bezugsrahmen des von Bamberger maßgeblich initiierten STRATOS-Projektes, welches die Analyse des strategischen Verhaltens von KMU und deren Manager in acht verschiedenen europäischen Ländern zum Gegenstand hatte. Es ist wohl die erste Studie dieser Art und bis heute eines der anspruchsvollsten Projekte. Spätere Schriften dokumentieren dann die Vielzahl hieraus resultierender Studien.2 Mit dem Wechsel nach Maastricht tritt vermehrt die Auseinandersetzung mit Fragen der Internationalisierung bzw. des internationalen Managements hinzu. Bamberger versucht dabei vor allem die Felder der KMU-Forschung und der 1 Bamberger, I. (1986): Values and strategic behaviour, in: Management International Review, Jg. 26, Heft 4, 1986, S. 57-69. 2 Vgl. insbesondere Bamberger, I. (1994): Product/Market-strategies of small and medium-sized enterprises, Aldershot.
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Werner Kirsch und Thomas Wrona
Internationalisierungsforschung zusammenzuführen. Der Beitrag Ursachen und Verläufe von Internationalisierungsentscheidungen mittelständischer Unternehmen3 (zusammen mit Wrona) bewegt sich im Schnittpunkt dieser Forschungsfelder. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Beschreibung und Erklärung von Internationalisierungspfaden von KMUs in Form von Phasen- und Initialmodellen. Zwar stehen zunächst Entscheidungen der Führung im Vordergrund. Der Beitrag stellt aber auch den evolutorischen Charakter der Internationalisierung heraus und gelangt damit zu einer Relativierung der Bedeutung von intentionalen Entscheidungen. Der bei Bamberger von Anfang an virulente Hintergrund der Planungsforschung führt ferner dazu, dass er sich für diesbezügliche Defizite der Internationalisierungsforschung besonders sensibilisiert zeigt. Der Beitrag Planung in internationalen Unternehmen4 (zusammen mit Wrona) ist beispielhaft insofern hervorzuheben, als er einen „blinden Fleck“ der internationalen Managementforschung behandelt. Wenngleich dies im ersten Zugang angesichts des so zentralen Titels verwundert, zeigt ein Blick in die Literatur zum Internationalen Management, dass das Feld der Gestaltung von Planung bzw. – weiter gefasst – von Managementsystemen kaum behandelt wird. Quellen, die sich explizit mit „Planung“ in diesem Kontext befassen, behandeln fast überwiegend Strategien – also eine bestimmte Form des Outcome von Planungssystemen. Die Übernahme des Lehrstuhls an der Universität Duisburg-Essen mit der Ausrichtung auf Organisation und Planung schlägt sich schließlich in einer nunmehr besonderen Betonung des Strategischen nieder. Dabei steht nicht die sonst meist dominierende Betrachtung von „Tools“ der strategischen Analyse und Planung, die in der Lehre freilich nicht vernachlässigt werden, im Vordergrund, sondern die Auseinandersetzung mit den deskriptiv-theoretischen Ansätzen. Typisch ist etwa der Beitrag Der Ressourcenansatz und seine Bedeutung für die strategische Unternehmensführung5 (zusammen mit Wrona). Dieser Beitrag darf im deutschsprachigen Raum als eine der ersten systematischen Darstellung und Beurteilung der Mitte der 1990er Jahre in der internationalen Diskussion aufkommenden Sichtweise gelten. Interessant ist dabei u. a. der Versuch, den
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Bamberger, I./Wrona, T. (2002): Ursachen und Verläufe von Internationalisierungsentscheidungen mittelständischer Unternehmen, in: Macharzina, K./Oesterle, M.-J. (Hrsg.): Handbuch Internationales Management. Grundlagen - Instrumente - Perspektiven, 2. Aufl., Wiesbaden, S. 273-313. 4 Bamberger, I./Wrona, T. (2003): Planung in internationalen Unternehmen, in: Breuer, W./Gürtler, M. (Hrsg.): Internationales Management, Wiesbaden, S. 57-109. 5 Bamberger, I./Wrona, T. (1996): Der Ressourcenansatz und seine Bedeutung für die strategische Unternehmensführung, in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung (zfbf), Jg. 48, Heft 2, 1996, S. 130-153.
Entrata
XV
Ressourcen-Ansatz in einem umfassenderen Spektrum ökonomischer Ansätze zu verorten. Die Abb. 1 mag in diesem Zusammenhang für sich selbst sprechen.
Industrieökonomik
SchlüsselErfolgsFaktoren Welche Ressourcen entwickeln?
Evolutionstheorie
ungeplant
Erfolgs-/ GewinnPotenziale Entwicklung
geplant Wie entwickeln?
NetzwerkAnsatz
wettbewerbsrelevante Ressourcen
interne Bedingungen
Schutz RessourcenAnsatz
extern/ intern Transaktionskostentheorie
Verwertung PrincipalAgentAnsatz
Abb. 1:
externe Bedingungen
PropertyRights-Ansatz
Das Zusammenwirken ausgewählter ökonomischer Ansätze zur Erklärung von Erfolgspotenzialen (Quelle: Bamberger/Wrona 1996, S. 149)
Im Jahre 2004 legte Bamberger (zusammen mit Wrona) mit der Buchveröffentlichung Strategische Unternehmensführung, Strategien – Systeme – Prozesse (Verlag Vahlen, München 2004) einen sehr beachtlichen Beitrag zu einer Theorie der strategischen Unternehmensführung vor. Es wird dabei nicht (wie in vielen betriebswirtschaftlichen Monographien zur strategischen Führung weitgehend üblich) das Bild eines unter Rationalitätsaspekten als wünschenswert bzw. empfehlenswert erachteten („professionalisierten“) Vorgehens bei der strategischen Unternehmensführung gezeichnet. Im Mittelpunkt steht vielmehr die beschreibende und erklärende Analyse möglicher Merkmale der strategischen Unternehmensführung. Dabei wird eine sehr differenzierte Sichtweise von den Gegenstandsbereichen und den potenziellen Ausprägungsformen einer strategischen Unternehmensführung in der Praxis vermittelt. Eine solche differenzierte und deskriptive Perspektive wird als die notwendige Voraussetzung dafür gesehen, die (mehr oder minder) komplexe Welt der strategischen Führung von Organisationen zu verstehen und hierbei zu beobachtende Handlungsweisen zu
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Werner Kirsch und Thomas Wrona
erklären, aber dann auch Handlungsempfehlungen zu geben bzw. diese im Rahmen einer strategischen Unternehmensführung zu fundieren. Als zentrale Problembereiche werden die Gegenstandsbereiche und die Prozesse der strategischen Führung, sowie die Managementsysteme zu deren Unterstützung betrachtet, insbesondere aber auch die Beziehungen zwischen diesen Aspekten herausgearbeitet. Dabei wird sehr deutlich, dass Inhalte und Prozesse nicht isoliert betrachtet werden dürfen, die vielfach vertretene Gegenüberstellung von Inhaltsforschung und Prozessforschung deshalb nicht sehr hilfreich ist. Ein besonders originärer Schwerpunkt der Buchveröffentlichung ist in dem vierten Kapitel zu sehen, das sich mit den strategischen Prozessen befasst. Hier zeichnen die Autoren ein recht komplexes Bild. Sie analysieren das Zustandekommen von Handlungsorientierungen, Manövern und Handlungsstrukturen, wobei insbesondere deren Beziehungen in den theoretischen Blick geraten. Dabei gehen die Autoren auf die Unterscheidung von Individualstrategien, von Strategien für die Unternehmung (als Forderungen im unternehmenspolitischen Prozess) und von Strategien der Unternehmung (als Output des Prozesses) ein. Die häufig zu findende Fokussierung der Forschung auf Entscheidungen wird dann freilich infrage gestellt, was zu einer erheblichen Erweiterung des theoretischen Ansatzes führt. Nach der Darstellung von handlungsorientierten Modellen strategischer Prozesse, wie sie u. a. auch in den Arbeiten von Mintzberg und Kirsch zu finden sind, entwickeln die Autoren einen eigenen integrativen Zugang zu den strategischen Prozessen, der ganz wesentlich durch eine kognitiv-interpretative Sichtweise geprägt ist. Die Grundidee ist, dass strategische Prozesse im Kern kognitive Prozesse der beteiligten Akteure beinhalten. Vor diesem Hintergrund gehen die Autoren der Frage nach, durch welche Prozesse es zu Strategien der Unternehmung kommt und wie hierbei das Zusammenspiel von individuellen und kollektiven Strukturen und Prozessen zu sehen ist. Soweit die (zwangsläufig sehr skizzenhaften) Hinweise auf das beachtliche wissenschaftliche Werk von Ingolf Bambergers, das man in dem beschränkten Rahmen sicherlich nicht adäquat würdigen kann. Gerne würde man sich mit den einzelnen Veröffentlichungen ausführlicher und natürlich auch kritisch auseinandersetzen. Denn nur so kann man eigentlich seinen großen Respekt vor dem Geleisteten zu Ausdruck bringen.
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Ingolf Bamberger als akademischer Lehrer und Chef Thomas Wrona Wie beschreibt man seinen akademischen Lehrer und früheren Chef? Man kann sich drehen und wenden wie man will – es wird auf die Thematisierung hinauslaufen, ob es ein „guter“ Lehrer und Chef war. Die Antwort, glaube ich, hängt davon ab, was man erwartet. Dazu komme ich später. Ingolf Bamberger habe ich im Jahre 1992 kennengelernt, nachdem ich mich für das Fach „Organisation und Planung“ als erstes Vertiefungsfach meines Hauptstudiums an der Universität Essen entschieden hatte, welches durch Ingolf Bamberger an dem gerade neu besetzten Lehrstuhl „Organisation & Planung“ angeboten wurde. Bamberger wurde zwar aus Maastricht nach Essen berufen, allerdings war unter den Studierenden schnell bekannt, dass er vorher in Rennes gelehrt hatte und so bestand keine Sekunde Unsicherheit darüber, dass wir nun bei einem waschechten Franzosen studieren würden. Es gab über den gesamten Sommer bis zu Bambergers Antritt zum Wintersemester lange Diskussionen über die korrekte Aussprache seines Namens und den Vorzügen und Nachteilen des Franzosen an sich. Freilich gab es vermeintlich gut informierte Kommilitonen, die versicherten, man spreche den Namen Bambergé aus! Die anfängliche Ernüchterung über das schlichte deutsche „Bamberger“ wich jedoch schnell, als wir am Ende des Wintersemesters im Rahmen des Hauptseminars zu einem Apéritif eingeladen wurden. Wir waren einerseits angenehm überrascht, da es durchaus internationales Flair in den urdeutschen Hörsaal brachte. Andererseits stimmte es mit unserem Bild eines Franzosen, dem Apéritifs bekanntlich in die Wiege gelegt sind, völlig überein. (Aufgrund meiner heutigen Erfahrung als Hochschullehrer einer französischen Grande École kann ich dieses Vorurteil nur bestätigen.) So tranken wir also „im Dunstkreis“ von Stopford & Wells Pineau auf Eis, aßen Quiche Lorraine, und nebenbei erhielt ich das Angebot, als studentische Hilfskraft am Lehrstuhlaufbau mitzuwirken. Mein erstes Projekt bestand darin, mit dem hiesigen Rechenzentrum der Universität die Überspielung der von Bamberger mitgebrachten Magnetbänder empirischer Daten aus einem Forschungsprojekt zu koordinieren und die Daten für die weitere Analyse in SPSS-tauglicher Form zu transformieren. Dieser Auftrag war nicht ohne, da Bamberger mit der Neukonzipierung von Vorlesungen in deutscher Sprache und dem Lehrstuhlaufbau gut beschäftigt und ich blutiger Anfänger in Bezug auf die technischen Herausforderungen war: Es handelte sich um riesige Bandspulen zu einer Zeit, in der eigentlich nur noch mit Disketten gearbeitet wurde. Dieses
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Werner Kirsch und Thomas Wrona
empirische Projekt begleitete mich inhaltlich noch einige Zeit und bildete meinen ersten Kontakt mit der empirischen Managementforschung. Es ist auch ein Beispiel für die starke inhaltliche Delegation von Aufgaben und die Gewährung hoher Freiheitsgrade durch Bamberger, selbst in Bezug auf studentische Hilfskräfte. Nach einer interessanten Zeit als SHK bewarb ich mich auf die letzte noch freie Stelle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Ingolf Bamberger und wurde auch genommen. Meine erste Aufgabe über den Sommer 1993 war die Vorbereitung einer gemeinsamen Publikation zum Thema „resource based view“. Zugleich war dies auch die erste „richtige“ Publikationserfahrung mit Bamberger und es begann ein langer Prozess des Lernens der Bedeutung von Sätzen wie „Dazu hat Kirsch mal was geschrieben, so Mitte der 80er Jahre, schauen Sie mal nach – das sollten wir noch integrieren.“ Solche und ähnliche Sätze sollte ich im Laufe meiner Mitarbeiterzeit bei Bamberger noch viele hören. Meistens stimmten sie im Grunde auch. „Im Grunde“ bedeutet dabei, dass es durchaus sein konnte, dass nicht Kirsch in den 80ern etwas dazu geschrieben hatte, sondern Kutschker 1990, der sich jedoch auf Kirsch Mitte der 70er Jahre bezog – ein Tatbestand, der den Suchaufwand mitunter etwas in die Länge zog. (Jeder seiner Hinweise jedoch war hilfreich und hat den jeweiligen Schriften unzweifelhaft gut getan. Allerdings fällt es jungen Mitarbeitern am Anfang ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit manchmal etwas schwer, den Wert solcher mehrdeutigen Informationen zu erkennen.) Mit „Mehrdeutigkeit“ wurden wir Mitarbeiter auch in anderen Situationen konfrontiert. So waren Aussagen Bambergers wie „das ist grundsätzlich möglich“ für uns höchst interpretationsbedürftig. Ich glaube heute, meistens war es ein klares „Nein!“, welches allein Bambergers ausgeprägter Höflichkeit auch uns Mitarbeitern gegenüber „französisch verklausuliert“ war. Dies führt mich nun zu der eingangs erwähnten Frage, ob Bamberger ein „guter“ Chef und Lehrer war. Was erwartet man von einem guten Chef und was von einem guten akademischen Lehrer? Die erste Frage lässt sich einfacher beantworten als die zweite. In der Personalführungsliteratur finden sich eine Reihe von Eigenschaften einer Führungskraft: Ein guter Chef ist immer für seine Mitarbeiter ansprechbar, ist fair, manchmal fordernd, motiviert, delegiert und bezieht sie in seine Entscheidungen mit ein. Dies alles trifft unzweifelhaft für Bamberger zu. Er hat uns Mitarbeiter immer sehr stark mit in seine akademischen Entscheidungen eingebunden, uns Ernst genommen, war immer an unterschiedlichen Sichtweisen und Meinungen interessiert und stets fair im persönlichen Umgang. Bekanntlich ist der deutsche Professor eine Diva. In dieser Hin-
Entrata
XIX
sicht war Bamberger jedoch eine Ausnahme. Daher war es eine überaus anregende und auch angenehme Zeit am Lehrstuhl. Müsste ich eine Eigenschaft festlegen, welche mich am meisten durch Ingolf Bamberger geprägt und beeinflusst hat, dann wäre dies sicherlich seine sehr differenzierte Sichtweise in Beurteilungen oder Erklärungen. Man hatte häufig den Eindruck – in Vorlesungen wie in gemeinsamen Publikationen oder Diskussionen –, dass er lieber noch ein wenig mehr Ausnahmen oder Drittvariablen betont hätte, die vermeintliche Zusammenhänge brechen könnten. (Der Anfang solcher „multi-perspektivischen“ Argumentationen wurde in den ersten seiner Vorlesungen dabei mit einem französisch betonten „Örstens“ markiert, welches die erfahreneren Studierenden stets dazu veranlasste, vorsichtshalber eine neue Seite der Mitschrift zu beginnen.) „Kontext-Partisanen“, die aus den Schützengräben ihres engen Weltbilds heraus agieren, sind ihm ein Übel. Die zweite Frage, was einen guten akademischen Lehrer ausmacht, ist deutlich schwerer zu beantworten. Sie wird wahrscheinlich etwas mit Ausbildung zu tun haben. Ein guter Lehrer vermittelt Wissen, um sich in der Welt zurecht zu finden und Know-how, um etwas zu erreichen. Aber ist dies hinreichend? Aus meiner Perspektive ist Ingolf Bamberger ein akademischer Lehrer, der nicht einfach „nur“ ausbildet im Sinne einer Wissensvermittlung. Vielmehr hat er uns neugierig auf Bildung gemacht, die gar nicht so sehr nutzen- oder anwendungsorientiert ist. Er hat uns im Sinne einer „betriebswirtschaftlichen Weltorientierung“ eine grobe Landkarte des Managements gegeben, er hat Aufklärung betrieben und gleichzeitig über die Schwierigkeiten dieses Wissens informiert. Durch die Betonung der Kontingenz jeglichen Handelns hat er uns somit auch zu einer höheren Sensibilität und Toleranz ermuntert. Das, denke ich, macht Ingolf Bamberger zu einem guten akademischen Lehrer. Denn wie gesagt: Es mangelt nicht so sehr an Wissen, sondern eher an der Reflektiertheit seiner Anwendung.
Inhaltsverzeichnis
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Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Geleitwort……………………………………………………………………...VII Entrata………………………………………………………………………….IX Abkürzungsverzeichnis……………………………………………………..XXIII
Hans Jobst Pleitner und Klaus Haake Reminiszenzen an das lange zurück liegende Forschungsprojekt STRATOS……………………………….…………………..1 Werner Kirsch und Dominik van Aaken Ansatzpunkte zur Weiterentwicklung der Theorie der strategischen Führung…………………………………………….………...15 Thomas Wrona Kognitive Strategieforschung – State of the Art und aktuelle Entwicklungen…………………...………………41 Ayad Al-Ani Mikropolitik im Management: Ein handlungsorientierter Ansatz……………...85 Stephan Cappallo Die Strukturationstheorie als Grundlage der Strategischen Managementforschung……………………………………………..………….105 Wolfgang Weber Hochschulfusionen als strategische Maßnahme: Nutzung von Ergebnissen der Fusionsforschung……………………………...127
XXII
Inhaltsverzeichnis
Alexander Rief und Klaus Macharzina Praxisorientierte Ausgestaltung der „developmental capabilities“ zur Steuerung strategischer Unternehmensnetzwerke…………………………149 Michael Kutschker Lernen im Internationalisierungsprozess……………………………..……….169 Joachim Zentes, Dirk Morschett und Hanna Schramm-Klein Das Integration/Responsiveness-Modell im Internationalen Management – Eine 3-Ebenen-Betrachtung…………………………………..193 Eduard Gaugler Mitarbeiter als Mitunternehmer – eine personalpolitische Strategie…………..…………………………………..225 Klaus Trützschler und Volker Hues Due Diligence bei kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU)……………………………………………………..…...239 J. Hanns Pichler und Erwin Fröhlich Zur Schlüsselrolle des Unternehmers bei Investitionsentscheidungen in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)………………………………..271 Autorenverzeichnis…………………………………………………………….295
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abb. bzgl. bspw. bzw. ca. d. h. e. V. erw. et al. etc. evtl. f. ff. ggf. KMU i. A. a. o. ä. s. o. sog. s. u. S. Tab. u. a. u. a. m. u. E. u. U. usw. v. a. vgl. z. B.
Abbildung bezüglich beispielsweise beziehungsweise circa das heißt eingetragener Verein erweitert et alii/und andere et cetera eventuell folgende fortfolgende gegebenenfalls Klein- und Mittelunternehmen in Anlehnung an oder ähnliches siehe oben sogenannte(s) siehe unten Seite(n) Tabelle unter anderem und anderes mehr unseres Erachtens unter Umständen und so weiter vor allem vergleiche zum Beispiel
XXIII
Reminiszenzen an das lange zurück liegende Forschungsprojekt STRATOS Reminiszenzen an STRATOS
Hans Jobst Pleitner und Klaus Haake
1
Einleitung............................................................................................ 3
2
Das STRATOS-Projekt....................................................................... 3
3
Projektmitglieder und Reminiszenzen an die Sitzungsorte ................ 6
4
Vorteile international zusammengesetzter Projektgruppen .............. 11
5
Was es zu beachten gilt..................................................................... 12
Literaturverzeichnis................................................................................. 13
Reminiszenzen an das lange zurück liegende Forschungsprojekt STRATOS
1
3
Einleitung
Was kann man erwarten, wenn ein ehemaliger Doktorand und sein „alter“ Doktorvater gemeinsam Erlebtes aus dem umfassenden Langzeitprojekt STRATOS Revue passieren lassen? – Wenn das unter entsprechenden Umständen geschieht, werden Parallelen zum Meisterwerk von Heinz Rühmanns Feuerzangenbowle schier unvermeidlich... Der folgende Beitrag will •
das STRATOS-Projekt skizzieren,
•
Erinnerungen an die Projektmitglieder wecken,
•
einige denkwürdige Sitzungsorte ins Gedächtnis zurückrufen,
•
Vor- und Nachteile international zusammengesetzter Projektgruppen aufzeigen,
•
namentlich jedoch die Leistungen von Ingolf Bamberger für das STRATOS Projekt würdigen, und
•
zum Schmunzeln anregen.
Der Beitrag ist rein rückblickender Natur, sicher nicht vollständig und daher: vollkommen unwissenschaftlich. – Das möge man den Autoren nachsehen, sie wurden dazu angestiftet.
2
Das STRATOS-Projekt
Die Anfänge dieses Projekts gehen auf das Jahr 1979 zurück. Angeregt durch Ingolf Bamberger und Hans Jobst Pleitner formierte sich rasch eine international zusammengesetzte Gruppe, die mit einer breit angelegten Feldstudie neue Erkenntnisse über das strategische Verhalten von europäischen Klein- und Mittelunternehmen (KMU) gewinnen wollte. Rasch wurde klar, dass die Konferenz- und Korrespondenzsprache Englisch sein musste. Was heute wie eine Selbstverständlichkeit anmuten mag, war damals bei weitem nicht für alle Teilnehmer problemlos. Seine Anliegen während den Konferenzen fundiert zu äussern und stimmige Entscheidungsprotokolle zu erstellen, bedurfte schon eines beträchtlichen Mehraufwandes. Dabei konnten die Mitglieder rasch feststellen, dass die Fremdsprache als Filter auch Nutzen
4
Hans Jobst Pleitner und Klaus Haake
stiften kann: So mag der eine oder andere spontan geplante Wortbeitrag vielleicht entfallen sein, per saldo nicht zum Schaden des Projekts. Eine der ersten zu lösenden Fragen war die Namensfindung für die gemeinsame Arbeit. Der Name musste dabei diversen Anforderungen genügen – englisch, den breiten Forschungsansatz abbildend und leicht memorierbar musste er schon sein. Schliesslich entschied man sich für „Strategic Orientation of Small and Medium-sized Firms“, oder kurz: STRATOS. Der ursprüngliche Fokus auf Werthaltungen der Führungskräfte (in der Regel Gesellschafter und Geschäftsführer in Personalunion), das strategische Verhalten der Unternehmen und ihr finanzielles Ergebnis erforderte und erlaubte eine Vielzahl von Analysen: Zum einen in jedem der genannten Bereiche isoliert, dann im internationalen Vergleich und schliesslich – aus Sicht der Autoren besonders interessant – die Zusammenhänge zwischen den drei Bereichen. Vermutlich entsprach es damals dem neuen wissenschaftlichen Zeitgeist, neben rein rationalen betriebswirtschaftlichen Fakten auch weiche Faktoren, wie die Werthaltungen der Führungskräfte, zu analysieren. – Aus heutiger Sicht verdient ebenso Beachtung, dass die Umweltfrage, in Ansätzen auch ökologische Aspekte, im Forschungsansatz berücksichtigt wurden. Das Forschungsdesign lässt sich wie folgt abbilden:
Werte
Ziele
Strategisches Verhalten
Leistung
Abb. 1:
Quelle: Bamberger/Pleitner (1988, S. 12)
KONTEXTUELLE
VARIABLEN
Reminiszenzen an das lange zurück liegende Forschungsprojekt STRATOS
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Dem „Jungforscher“ brannte vor allem die Frage unter den Nägeln, ob ein Zusammenhang zwischen „Strategischer Planung“ und dem resultierenden Finanzergebnis nachweisbar wäre; falls ja, welche strategischen Inhalte könnten sich als erfolgversprechend herausstellen? Pate dieser Fragestellung stand gewissermassen die vielzitierte PIMS-Studie, die, basierend auf über 3000 Geschäftseinheiten von über 500 Großunternehmen, acht zentrale Einflussfaktoren auf den Erfolg identifizieren konnte (vgl. Müller-Stewens/Lechner 2003, S. 320 ff.). Zunächst musste jedoch mithilfe eines voll strukturierten Erhebungsbogens eine Datenbasis geschaffen werden, die zur Analyse der individuellen Fragestellungen tauglich war. Die Erstellung dieses Erhebungsbogens erwies sich als eigentliche Knacknuss, die zahlreiche Treffen der Projektgruppe erforderte. Am Ende verfügte STRATOS über ein Erhebungstool von 552 erhobenen Variablen, die in fünf Bereiche unterteilt wurden (vgl. Haake 1987, S. 164): 1. 2. 3. 4. 5.
Angaben zum Unternehmen, zur Person und zur Unternehmensumwelt Werthaltungen Ziele/Zielerreichung Strategisches Verhalten und Erfolg.
Nach einigen individuellen Anstrengungen lag dieses Konzept in der Referenzsprache Englisch sowie in den Sprachen der Teilnehmer (Deutsch, Flämisch/Holländisch, Französisch und Finnisch) vor. Um die Qualität der Übersetzungen sicher zu stellen und somit einen zuverlässigen interkulturellen Vergleich zu ermöglichen, wurden die übersetzten Fassungen – personenneutral – rückübersetzt und allfällige Unklarheiten bereinigt – man stelle sich diesen Aufwand vor! Als weitere „qualitätssichernde Maßnahmen“ wurden ein Pretest in Form von insgesamt 191 Interviews durchgeführt und ein „Leitfaden für den Interviewer“ mit acht Seiten Umfang entwickelt. Letzterer sollte gewährleisten, dass die persönlich geführten Interviews mit zufällig ausgewählten Gesprächspartnern keine individuellen Verzerrungen erführen. Aufgrund der derart durchgeführten und abgesicherten Erhebungen verfügte die STRATOS-Gruppe Mitte der achtziger Jahre über eine – zentral beim Institut für Gewerbeforschung an der Wirtschaftsuniversität Wien gehaltene – Datenbasis von über 1100 auswertbaren Interviews aus acht Teilnehmerländern. – Allein
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Hans Jobst Pleitner und Klaus Haake
das „Datenhandling“ war damals eine spannende Sache: Das Internet war noch in ferner Sicht, so geschah der Datentransfer zumeist auf einem physischen Datenträger, dem Magnetband; nur in Ausnahmefällen direkt von Rechenzentrum zu Rechenzentrum. Die Verfasser erinnern sich, dass die Auswertungen mithilfe der Software SPSS die Datenleitung vom Rechenzentrum der Universität St. Gallen zum Rechenzentrum der Universität Zürich nicht unerheblich in Anspruch nahmen – einige „Läufe“ konnten sogar nur über Nacht „gefahren“ werden. Heutzutage könnten diese Operationen wohl auf jedem gängigen Notebook in kurzer Zeit durchgeführt werden.
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Projektmitglieder und Reminiszenzen an die Sitzungsorte
Das Kernteam der STRATOS-Gruppe bildeten Mitte der achtziger Jahre die nachfolgenden Personen: Tab. 1:
Die Zusammensetzung des STRATOS-Kernteams (Quelle: Bamberger/Pleitner 1988, S. 16)
Ingolf Bamberger
Frankreich
Université de Rennes / Institut de Gestion Rennes
Rik Donckels
Belgien
Universitaire Faculteiten Sint Aloysius Brussel / KMO Studiëcentrum
Eduard Gabele
Deutschland
Universität Bamberg / Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre
Antti J. Haahti Allan Lehtimaki
Finnland
Helsinki School of Economics Tampere University of Technology / Institute of Industrial Economics
Cees Koning Jan P.I. van der Wilde
Niederlande
Raad voor het Midden-en Kleinbedrijf / Vrije Universiteit Amsterdam
J. Hanns Pichler Erwin Fröhlich
Österreich
Wirtschaftsuniversität Wien / Institut für Gewerbeforschung
Hans Jobst Pleitner Klaus Haake
Schweiz
Hochschule St. Gallen für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften / Schweizerisches Institut für gewerbliche Wirtschaft
Alastair Weir Cliff Bowman
Großbritannien
Humberside Business School
Reminiszenzen an das lange zurück liegende Forschungsprojekt STRATOS
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Der Begriff Kernteam lässt es bereits erahnen: Es gab eine Vielzahl von direkt und indirekt am Projekt Beteiligten, zumeist Assistenten und wissenschaftliche Mitarbeiter sowie Angestellte der oben erwähnten Institutionen, die heute leider nicht mehr namentlich eruiert werden können. Ohne deren aktive Mithilfe hätte sich das Projekt wohl wesentlich verzögert. Die personelle Zusammensetzung war, wie für ein Projekt dieser Art wohl nicht anders zu erwarten, nicht während der gesamten Laufzeit bis 1991 konstant. Der Abschluss der eigenen Forschungsarbeiten, neue individuelle Forschungsinteressen und knappe finanzielle Ressourcen führten regelmäßig zu Zu- und Abgängen. Insbesondere sahen sich einzelne Mitglieder immer wieder mit dem Auslaufen staatlicher Forschungsgelder konfrontiert. Besondere Erwähnung verdient, dass aus dem Projekt mindestens 13 Dissertationen, zahllose wissenschaftliche Diskussionsbeiträge und sonstige Veröffentlichungen entstanden. Das gemeinsame Brainstorming der beiden Autoren der Reminiszenzen ergab – viele Jahre später – folgende Charakterisierung einiger Mitglieder: •
Ingolf Bamberger hat sich für das Projekt während seiner gesamten Laufzeit enorm verdient gemacht – zunächst als Initiator, sodann als formeller Leiter. Ihm gelang es durch seine überlegte, ruhige und bescheidene Art, die durchaus heterogen zusammengesetzte Gruppe zum Erfolg zu führen. Für ihn war es eine nicht immer einfache Aufgabe, Forscher aus acht Ländern mit divergierenden Interessen, methodischen Ansätzen und unterschiedlichen Charakteren zu führen – und das ohne „Weisungsbefugnis“, also lediglich mit der Kraft guter Argumente.
Abb. 2:
Quelle: Wagner/Rex (1998, S. 110)
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Hans Jobst Pleitner und Klaus Haake Ingolf Bamberger konnte auch kritische Situationen lösen, so etwa den Dissens, den die nicht vorher abgesprochene Nutzung von Daten durch ein Mitglied hervorgerufen hatte. Seine lange Zeit in der Bretagne hat ihn wohl – auch – zum Genießer werden lassen; mindestens einmal monierte er einen nicht besonders liebevoll zubereiteten gemischten Salat mit den Worten, er komme sich bei diesem Salat wie die Kuh auf der Weide vor.
•
Rik Donckels erwies sich als der konzeptionell abgestützte Pragmatiker – er ließ den jüngeren Mitgliedern des Teams erheblichen persönlichen und wissenschaftlichen Freiraum. Auch er war einem gepflegten Essen in inspirierender Runde nicht abgeneigt.
•
Eduard Gabele könnte man als informellen Leiter der Gruppe bezeichnen, was vermutlich auch aus gemeinsamer Studienzeit mit Ingolf Bamberger resultieren könnte. Er war teils der „typische deutsche Ordinarius“, andererseits durch seine aktiv betriebene Managerschulungstätigkeit sehr pragmatisch eingestellt. Wir haben ihn lange nach Abschluss des Projekts, aber viel zu früh, durch einen tragischen Autounfall verloren, als er auf dem Weg zu einer von ihm präsidierten Universität in den neuen Bundesländern war.
•
Antti J. Haahti verlieh der Gruppe zahlreiche methodische Impulse und sorgte mit dafür, dass die Datenerhebung so wasserdicht wie möglich war. Er war es auch, der 1989 das Nachfolgeprojekt „Interstratos“ initialisierte und leitete. Obschon kein geübter Alpinist, ließ er es sich nicht nehmen, an einer gemeinsamen, alpinen Skitour teilzunehmen – auf ihn münzten die Teilnehmer den Begriff des „Avalanching“, der für sich selber spricht.
•
Allan Lehtimaki war einer der zitierten Dissertationsautoren im Rahmen des Projekts. Mit seiner ausgeglichenen und fröhlichen Art hat er die Gruppenleistung erheblich gefördert. Für seine Doktorprüfung und die abendliche Promotionsfeier in Helsinki belehrte er Hans Jobst Pleitner über die unterschiedlichen Accessoires zum obligatorischen Frack am Tage und am Abend. Er war auch sonst stets für eine Überraschung gut: Einmal machte er sich am Rande der „Rencontres de St. Gall“ in Zermatt am späten Nachmittag mit Turnschuhen zur Besteigung des Matterhorns auf – und kam lange nach Einbruch der Dunkelheit völlig ermattet und durchgefroren, aber guten Mutes, wieder zur erstaunten Forschergemeinde zurück. Auch er fiel nach Projektende einem tragischen Autounfall zum Opfer.
•
J. Hanns Pichler und Erwin Fröhlich bildeten unsere österreichische Festung. Auf Hans Pichlers internationale Erfahrung, die lange Jahre bei der Weltbank einschloss, und die österreichische Gastfreundschaft von Erwin Fröhlich, vor allem aber die unerschöpfliche Unterstützung des Wiener Instituts für Gewerbeforschung, konnte sich das Projektteam immer
Reminiszenzen an das lange zurück liegende Forschungsprojekt STRATOS
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verlassen. Unvergesslich sind die privaten Einladungen am Rande diverser STRATOS-Treffen in der Berghütte der Familie Fröhlich – auch damals soll das eine oder andere Gläschen Wein die Gruppenkohäsion gefördert haben. •
Alastair Weir erwies sich als sprichwörtlich englischer Wissenschaftler und Gentleman: Wenn ihm die Forschungsgelder auszugehen drohten, setzte er die Arbeit auf eigene Kosten fort und schränkte sich persönlich ein – das sah man an seiner stets korrekten, aber nicht immer topmodernen Kleidung. Keinesfalls durften fehlende Finanzmittel die theoretische Fundierung beeinträchtigen; geblieben ist sein oft wiederholter Ausspruch: „We need more research“ – nicht etwa „more money“. – Sein Hobby in Sitzungspausen war die Übersetzung holländischer Gedichte ins Englische.
•
Hans Jobst Pleitner begleitete das Projekt und anschließend dessen Fortsetzung „Interstratos“ während seiner gesamten Laufzeit und stellte stets die Ressourcen des Instituts für Gewerbewirtschaft an der Hochschule St. Gallen zur Verfügung. Als pragmatisch orientierter Betriebswirt war er an den Erkenntnissen des Projekts nach allen Seiten interessiert und brachte sie in die Arbeit anderer internationaler Gremien ein, durch die umgekehrt das STRATOS-Projekt eine Befruchtung und kritische Überprüfung erfuhr. Speziell half er dem Co-Autor als hilfsbereiter Doktorvater durch manche Stimmungstiefs, von denen STRATOS sicher mehr als gewöhnliche Dissertationsprojekte generierte.
•
Klaus Haake hat dem Projekt durch jugendlichen Elan und seine (nachhaltige) Ungeduld beschleunigende Impulse verliehen. Er erinnert sich an Protokollnotizen und Überarbeitungen des Fragebogens (damals noch an einer IBM-Kugelkopfmaschine) an einem Abend, als sich der Rest der Gruppe zu einem Kulturanlass begab. Müde aber stolz konnte er den Spätheimkehrenden eine überarbeitete Fragebogenversion präsentieren, die wohl sonst wegen der Postlaufzeiten viel Zeit verschlungen hätte.
•
Jan P.J. van der Wilde war der Philosoph und Ethiker in der Gruppe. Ihn beschäftigten sophistizierte Details weniger als übergeordnete oder interdisziplinäre Generalfragen. Wenn es um Einzelheiten ging, pflegte er ihren philosophischen Kern anzusprechen und scheute sich nicht vor illustrierenden Exkursen, denen nicht alle Beteiligten leicht folgten, auch wenn sie interessiert zuhörten. Die vorstehenden Notizen lassen es verständlich erscheinen, dass die weiterhin aktiven Mitglieder dieser Projektgruppe noch heute intensive wissenschaftliche und freundschaftliche Kontakte unterhalten – auch das ein schönes Ergebnis der Zusammenarbeit!
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Hans Jobst Pleitner und Klaus Haake
Nicht unwesentlichen Beitrag zum Projekterfolg hatten die, mit Bedacht ausgewählten, Sitzungsorte. Natürlich sollte jedes Teilnehmerland – unabhängig von seiner geografischen Lage – einmal die Gastgeber- und Organisatorrolle übernehmen. Einige Male traf sich die Gruppe in Brüssel, vor allem wegen der geografischen Nähe und der guten Erreichbarkeit per Flug und Bahn. Rik Donckels erwies sich als generöser Gastgeber. Einmal lud er nach offiziellem Ende die jungen Assistenten des Projekts – auf eigene Rechnung – in ein vornehmes Vorstadt-Restaurant ein – bei allen sicher bis heute in bester Erinnerung. In der Schweiz versammelte sich die Gruppe außer in St. Gallen in Wildhaus im romantisch gelegenen Toggenburg. Die schöne Umgebung ließ die umständliche Reise bald in Vergessenheit geraten. Einzelne Kollegen entdeckten dort ihre Liebe zur Schweiz und kehrten später als Feriengast in die St. Galler Berge zurück. In Helsinki wurden wir von Antti J. Haahti und Allan Lehtimaki begrüßt. Dass die Uhren in Nord-Europa ziemlich anders gingen, stellten die Gäste aus Mitteleuropa sehr rasch nach ihrer Ankunft fest: Ein (alkoholischer) Schlummertrunk war ohne begleitendes Essen im Helsinki der 80er Jahre nicht möglich. Unsere Gastgeber hatten die lokale Presse auf unsere Arbeit aufmerksam gemacht. Mit Erstaunen und Interesse ließen sich seinerzeit die Medienvertreter über die gemeinsame Arbeit unterrichten. Ob die redaktionellen Beiträge wegen der nicht unerheblichen sprachlichen Verständigungsprobleme inhaltlich über jeden Zweifel erhaben waren, kann heute nicht mehr festgestellt werden. – Was für ein Kontrast zu Finnland 2008 an der Bildungsspitze Europas! – Nur mit Mühe konnte die Mehrzahl der STRATOS-Mitglieder der Verlockung widerstehen, die Projektarbeit in Helsinki durch einen Kurzausflug an den Polarkreis zu unterbrechen. In Wien konnte die Gruppe auf die komplette Infrastruktur des Instituts für Gewerbeforschung zählen, wo für einige Zeit die Projektdaten zusammengeführt und gepflegt wurden; natürlich durfte auch ein Heurigen-Besuch nicht fehlen. Dem Co-Autor ist bis heute unvergesslich, dass ihn der Portier des altehrwürdigen Hotels Erzherzog Franz Ferdinand während des gesamten Aufenthalts als „Herr Universitätsassistent“ und nicht mit seinem Familiennamen ansprach. Auch das mag heute anders sein. In Amsterdam soll ein Mitglied des Teams beim abendlichen Besuch im neuen Spielcasino einen ansehnlichen Gewinn eingestrichen haben – der aber sogleich in Liquidität der anderen Art umgesetzt wurde – eine untypische STRATOS-Erfahrung!
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Vorteile international zusammengesetzter Projektgruppen
Der Erfolg des STRATOS-Projekts (Erkenntnisgewinn in den unter Kapitel 1 geschilderten Bereichen, zahlreiche Veröffentlichungen und Dissertationen) kann kaum ernsthaft bezweifelt werden. Die Autoren stehen zu dieser Feststellung, auch vor dem Hintergrund, dass eine der eingangs gestellten Forschungsfragen nach dem Zusammenhang zwischen Strategie(-Bestandteilen) und wirtschaftlichem Erfolg in keinem Falle empirisch bejaht werden konnte. Trotz unterschiedlichster Auswertungsmethoden konnten in keinem der Teilnehmerländer oder für die gesamte Datenbasis signifikante Zusammenhänge zwischen dem Einsatz der „strategischen Planung“ und dem unternehmerischen Erfolg aufgezeigt werden. Ebenso war dies für die Auswirkung konkreter Strategie-Inhalte unmöglich. Was zunächst für die projektbeteiligten Autoren ein herber Rückschlag war, scheint sich durch die Veröffentlichungen der wissenschaftlichen Folgearbeiten bewiesen zu haben. Uns ist kein einziger Beitrag bekannt, der für den Bereich der KMU zu anderen Ergebnissen gekommen wäre. Im Rückblick lassen trotzdem die nachfolgend beschriebenen Aspekte das Projekt erfolgreich und lohnend erscheinen: •
Die internationale und somit interkulturelle Zusammensetzung führt zu einer enormen Vielfalt der Ideen, die in allen Phasen des Projekts Nutzen gestiftet hat: Dies gilt bei der Erstellung und Hinterfragung des Forschungsdesigns, der Gestaltung des Erhebungsbogens sowie der Interpretation der Ergebnisse. Diese Ideenvielfalt wäre in Einzelarbeit kaum erreichbar gewesen.
•
Der – mindestens in grundlegenden Fragen – ständig bestehende Zwang zur Konsensfindung dürfte ein undogmatisches Vorgehen bei der Problemdefinition und der Festlegung der Forschungsmethodik bewirkt haben.
•
Die Nutzung der individuellen Leistungspotenziale hat die individuellen Horizonte erweitert und über eine gegenseitige Erfolgskontrolle die Stimmigkeit der Ergebnisse sicher gestellt.
•
Schliesslich hat der Gruppenansatz allen Beteiligten, speziell den akademischen Neulingen, eine gewisse Hilfestellung gegeben und Sicherungen gegen das Verlaufen in Sackgassen geliefert.
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Hans Jobst Pleitner und Klaus Haake
Was es zu beachten gilt
Es ist davon auszugehen, dass den dargelegten Vorteilen auch Nachteile gegenüber stehen. Mindestens verdienen Beachtung: •
Jeder Gruppenansatz bewirkt erhöhten Abstimmungsbedarf – wer dies nicht erkennt, hängt „Langsamere“ zunächst ab und bewirkt Probleme in einer späteren Projektphase.
•
Die unterschiedlichen Perspektiven und Charaktere verdienen Beachtung und verlangen Geduld. Diese ist nicht bei allen Projektmitgliedern gleichermaßen ausgeprägt. Einige stehen, etwa aus endlichen Projektfonds oder aus Einsatzrestriktionen unter Zeitdruck – andere wollen den Projektabschluss nicht, weil Projektmittel ansonsten versiegen.
•
Konsensfindung braucht Zeit – und endet fast zwangsweise in einer längeren Projektdauer.
•
Längere Projektdauer und höherer Abstimmungsbedarf dürften den finanziellen Aufwand erhöhen – dieser muss von Anfang an sichergestellt sein.
•
Eine gemeinsame Projektsprache, die nicht immer die Muttersprache aller ist, oder die nicht von allen gleich gut gesprochen und verstanden wird, verhindert mitunter genügend pointierte Formulierungen.
•
Vor allem verlangt eine solche Gemeinschaftsarbeit einen nicht zu unterschätzenden Führungsaufwand. Da keine eigentliche Weisungsbefugnis durch den Projektleiter besteht, muss diese Aufgabe mit viel Fingerspitzengefühl und einer gekonnten Mischung aus straffer und lockerer Führung wahrgenommen werden. Die STRATOS-Gruppe konnte sich glücklich schätzen, mit Ingolf Bamberger einen Projektleiter zu haben, der diese Aufgaben mit Bravour gelöst hat. Hierfür gebührt ihm noch heute der Dank aller Projektmitglieder.
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Literaturverzeichnis Bamberger, I./Pleitner, H.J. (1988): Strategische Ausrichtung kleiner und mittlerer Unternehmen, in: Internationales Gewerbearchiv, Sonderheft 2, 1988 Haake, K. (1987): Strategisches Verhalten in europäischen Klein- und Mittelunternehmen, Berlin/München/St. Gallen. Müller-Stewens, G./Lechner, C. (2003): Strategisches Management, Stuttgart. Wagner, K./Rex, B. (1998): Praktische Personalführung, Wiesbaden.
Ansatzpunkte zur Weiterentwicklung der Theorie der strategischen Führung Weiterentwicklung der Theorie der strategischen Führung
Werner Kirsch und Dominik van Aaken
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Einleitung: Weiße Flecken der Theorie der strategischen Führung .................... 17
2
Mintzbergs zehn Schulen des Strategischen als heuristischer Ausgangspunkt ............................................................ 18
3
Pluralistische Unternehmen und die Theorie der strategischen Führung....................................................................... 24
4
Die Rolle von Technologien in der Theorie der strategischen Führung....................................................................... 32
5
Fazit .................................................................................................. 36
Literaturverzeichnis................................................................................. 38
Weiterentwicklung der Theorie der strategischen Führung
1
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Einleitung: Weiße Flecken der Theorie der strategischen Führung
Die vielfältigen theoretischen und technologischen Publikationen im Bereich der strategischen Führung sind mittlerweile kaum noch zu überblicken (eine Übersicht verschaffen Pettigrew et al. 2006; Mintzberg et al. 2001; Knyphausen 1994). Dennoch gibt es noch viele „weiße Flecken“ der Forschung. Mit anderen Worten: Es gibt Probleme bei der strategischen Führung in der Unternehmenspraxis, die bis heute in nicht ausreichender Form von der wissenschaftlichen Gemeinschaft der Strategieforscher untersucht werden. Wir wollen in diesem Beitrag zwei dieser weißen Flecken skizzieren. Zum einen geht es um die Konzeptualisierung von Organisationen. Organisationen werden in den Theorien der strategischen Führungen meist als homogene, beinah monolithische Systeme konzeptualisiert. Dies entspricht u. E. einem zu einfachen Verständnis von der Vielfältigkeit der Organisationspraxis. Dementsprechend plädieren wir in diesem Beitrag für ein „realistischeres Bild“, welches Organisationen als pluralistische Systeme konzeptualisiert. Für eine Theorie der strategischen Führung ergeben sich daraus vielfältige Konsequenzen, von denen wir einige in diesem Beitrag umreißen wollen. Zudem wollen wir auf einer eher wissenschaftstheoretisch/methodologischen Ebene die Rolle von Technologien untersuchen. Dabei interessiert uns insbesondere die Beziehung zwischen technologischen und theoretischen Aussagensystemen. U. E. wird in vielen existierenden Theorien der strategischen Führung die Rolle der Technologien in der Organisationspraxis theoretisch unterschätzt. Um zu einem „realistischeren“ Bild von der Rolle von Technologien in der Theorie der strategischen Führung zu kommen, plädieren wir dafür, technologische Aussagen und ihre Wirkungen in der Organisationspraxis explizit in den Theorien der strategischen Führung zu behandeln. Um die beiden „weißen Flecken“ der Forschung im Bereich der strategischen Führung zu explizieren und Ansatzpunkte zu ihrer Überwindung zu erarbeiten, können wir selbstverständlich nicht den gesamten Status Quo der Theorien der strategischen Führung hier darlegen. Wir werden uns stattdessen an das Überblickswerk „Strategy Safari“ (2001) von Henry Mintzberg halten und seine Ausführungen zu den Theorien der strategischen Führung heuristisch nutzen. Unsere Wahl, Mintzbergs Ausführungen als heuristischen Ausgangspunkt unserer Überlegungen zu wählen, hat mehrere Gründe. Zum einen ist Mintzberg sicherlich ein prominenter Autor im Bereich der strategischen Führung. Zum anderen ist seine Theorie der strategischen Führung vergleichsweise reichhaltig (vgl. Knyphausen 1994, S. 26). Seine eigene Vorstellung von dem, wie eine stra-
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Werner Kirsch und Dominik van Aaken
tegische Führung von Organisationen auszusehen hat, grenzt sich von anderen Ansätzen gerade hinsichtlich der den Organisationen zugestandenen Komplexität ab.
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Mintzbergs zehn Schulen des Strategischen als heuristischer Ausgangspunkt
Mintzberg klassifiziert die unterschiedlichen Theorien der strategischen Führung in zehn Denkschulen (vgl. im Folgenden Mintzberg 2001; Knyphausen 1994; Broich 1994; Obring 1992). Von diesen zehn Schulen sind drei präskriptiver und sieben deskriptiver Art. Die präskriptiven Schulen umfassen die Design-, die Planungs- und die Positionierungsschule, die das Feld des strategischen Managements weitestgehend dominieren, wobei erstere insbesondere in den 60er und 70er Jahren und letztere ab den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts Prominenz erlangt haben. Unter den deskriptiven Schulen werden die unternehmerische und die kognitive Schule, sowie die Lern-, Macht-, Kultur- und Umweltschule und schließlich auch Mintzbergs eigener Ansatz, die Konfigurationsschule, subsumiert. Jede dieser Denkschulen ist durch spezifische Prämissen charakterisiert, die das Verständnis, von dem was eine Strategie ist, wie Strategien entstehen und diese wirksam werden, prägen. Zwar können viele Arbeiten im Bereich der strategischen Führung nicht unbedingt nur einer Schule zugeordnet werden. Dennoch ist es sicherlich Mintzbergs Verdienst, im breiten Spektrum der Literatur zur strategischen Führung eine gewisse Ordnung zu schaffen. Abb. 1 gibt die zentralen Charakteristika der zehn Denkschulen wieder. Den Ursprung der Designschule bilden die Arbeiten von Selznick (1957) und Chandler (1962). Im Mittelpunkt der Designschule steht die herzustellende Kongruenz zwischen den Stärken/Schwächen eines Unternehmens und den Chancen/Gefahren der Umwelt. Die Genese der Strategie wird dabei als ein kreativer Akt der Topmanager verstanden, die die Situation des Unternehmens reflektierend eine einzigartige Strategie erschaffen. Die Strategie wird dabei als die „große“ Perspektive der Unternehmensentwicklung, als das Konzept des Unternehmens, verstanden, welches nach einer – von der Designschule so geforderten – einfachen und klaren Explikation, durch die Führung unternehmensweit implementiert werden kann und soll.
Die Planungsschule, zu deren wichtigsten Vertretern Ansoff (1965) zählt, betont den formalen Charakter der Strategiegenese. Strategien sind explizierbare
Weiterentwicklung der Theorie der strategischen Führung
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Pläne, die möglichst detailliert auf die einzelnen Unternehmensbereiche herunter gebrochen werden sollen. So reicht es dann auch nicht, SWOT-Analysen anzufertigen und deren Ergebnisse durch „einfache“ Zielsetzungen implementieren zu wollen. Die Planungsschule sieht stattdessen die Strategiefindung, wie deren Implementierung, als einen formalisierbaren Prozess, der möglichst detailliert und unter Bezugnahme vielfältigster Planungsmethoden (wie der Zeitplanung, Budgetierungen, Szenarienplanungen etc.) umgesetzt werden sollte. Design School
Planning School
Positioning School
Entrepreneurial School
Cognitive School
Zugrundeliegende Theorietradition
Keine (Architektur als Metapher)
(Verbindungen zur Stadtplanung, Systemtheorie und Kybernetik)
Ök. Theorien (Industrieökon.) und Militärgeschichte
Keine
Psychologische (kognitive) Theorien
Gegenwärtiger & zukünftiger Status der Forschung
Nur auf der Grundlage präskriptiver Ansätze
Gering, es sei denn sie wird empirisch ausgerichtet
Sehr hoch, vermutlich auch weiterhin noch
Leicht zunehmende Bedeutung
Gegenwärtig mittel; zukünftig evtl. abnehmend
Basisempfehlung (Leitaussage)
Denke!
Formalisiere! (Dekomponiere)
Analysiere! (Fährte)
Beobachte genau!
Überwinde!
Empfohlene Realisierungsmethode
Entwurf der Strategie als Fallstudie
Programmiere! (besser als formulieren)
Kalkuliere! (besser als kreieren oder festlegen)
Zentralisiere! (und hoffe)
Sorge Dich! (überwinden & erfinden unmöglich)
Strategieverständnis
Explizite Perspektive, einzigartig
Expliziter Plan, dekomponiert in Unterstrategien und Programme
Explizite generische Position (ökon. und bzgl. der Wettbew.position), gilt auch f. Aktoren
Implizite Perspektive (Vision), persönlich und einzigartig (Nische)
Mentale Perspektive (individuelles Konzept)
Organisatorischer Wandel
Gelegentlich, bedeutsam
Periodisch, inkremental
Stückweise, kann plötzlich auftreten
Gelegentlich, meistens bedeutsam und „revolutionär“, opportunistisch
Selten (mentaler Widerstand)
Bedeutung des Umfeldes
Nützlich (ökonomische, soziale, technische…), bietet manchmal Gefahren; zumeist Gelegenheiten
Fügsam, Checkliste von Faktoren, die vorhergesehen oder bevorzugt gesteuert werden müssen
Anspruchsvoll hinsichtl. des bestehenden Wettbewerbs, aber in ökon. Größen analysierbar
Manövrierbar, um eine Nische zu finden
Erdrückend für die Kognition
Zentrale Aktoren
Top Manager („Architekt“)
Planungsstab
Analysten
„Führer“
„Kopf“
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Werner Kirsch und Dominik van Aaken
Learning School
Political School
Cultural School
Environmental School
Configurational School
Zugrundeliegende Theorietradition
Keine (evtl. vage Verbindungen zur Lernth. in der Psychologie + Pädagogik)
Politikwissenschaften
Antropologie
Biologie
Geschichte (evtl. Katastrophenth. in d. Mathem. & Gleichgewichtstheor. in Biologie)
Gegenwärtiger & zukünftiger Status der Forschung
Zunehmende Bedeutung
Zunehmende Bedeutung
Gegenw. mittel; ohne konzeptionelle Innovation abnehmend
Momentan gering, wahrscheinlich abnehmend
Zunehmende Bedeutung
Basisempfehlung (Leitaussage)
Lerne!
Unterstütze!
Zusammenwachsen!
Reagiere!
Integriere!
Empfohlene Realisierungsmethode
Spiele! (besser als beabsichtigen)
Sammle! (besser als teilen oder produzieren)
Verewige den Zustand! (besser als verändern)
Kapituliere! (Pop.Ecol.) Teile! (Kontingenzth.)
Nimm es hin! (besser als nuancieren)
Strategieverständnis
Implizites Verhaltensmuster, häufig kollektiv
Taktieren & positionieren, offen und verdeckt, Einheiten (Mikro) & organisationsweit (Makro)
Kollektive Perspektive, einzigartig und zumeist implizit
Spezifische Position (Nische in Pop.Ecol.)
Alle aufgeführten Arten, abhängig von der Situation
Organisatorischer Wandel
Kontinuierlich (zumeist inkremental + stückweise, gelegentl. große Sprünge)
Häufig, stückweise, idiosynkratisch
Selten (ideologischer Widerstand)
Niemals oder selten und bedeutsam (Pop.Ecol.); häufig & stückweise (Kontingenzth.)
Gelegentlich, bedeutsam und „revolutionär“
Bedeutung des Umfeldes
Verlangend, schwierig
Unlenkbar (Mikro), anpassungsfähig (Makro)
Zufällig
Diktatorisch (Pop.Ecol.) anspruchsvoll, allgemeine Dimensionen (Kontingenzth.)
Alles, was kategorisierbar ist (z.B. nach den links aufgeführten Kategorien)
Zentrale Aktoren
Jeder, der fähig ist zu lernen
Jeder, der Macht hat
Kollektiv
Umwelt
Alle aufgeführten, abhängig von der Situation
Abb. 1:
Zentrale Charakteristika der 10 Denkschulen Mintzbergs
Die Positionierungsschule ist sicherlich als eine der einflussreichsten Denkschulen des strategischen Managements zu bezeichnen. Ihr wichtigster Vertreter ist Porter, der mit seinen Werken „Competitive Strategy“ (1980) und „Competitive Advantage“ (1985) mehr als eine Generation von Forschern und Beratern stark beeinflusst hat. Konzepte wie die Wettbewerbsanalyse und die Portfoliotechniken werden dieser – von der ökonomischen Theorie stark beein-
Weiterentwicklung der Theorie der strategischen Führung
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flussten – Schule des strategischen Managements zugeordnet. Der wichtigste Unterschied zu den anderen, bereits kurz erörterten präskriptiven Schulen, ist die grundlegende Annahme, dass in den Märkten, in denen ein Unternehmen agiert, nicht beliebige („einzigartige“) Strategien zum Zuge kommen sollten, sondern nur bestimmte generische Strategien zu einem Erfolg führen können. Es gibt also nicht eine Vielzahl von unternehmensspezifischen Strategien, die zum Erfolg führen, sondern einem Unternehmen stehen in seinem Markt nur bestimmte Strategien zur Auswahl. Die letztendlich zu wählende Strategie leitet sich somit aus einer Analyse des Marktes ab. Während die Design-, die Planungs- und die Positionierungsschule Handlungsempfehlungen generieren, sind die im weiteren vorzustellenden Denkschulen eher deskriptiver Natur. Die unternehmerische, die kognitive, die Lern-, die Macht-, die Kultur-, die Umwelt- und auch die Konfigurationsschule versuchen also, die Prozesse der Strategiegenese in erster Linie zu beschreiben und nicht konkrete Handlungsempfehlungen zu geben. Als geistiger Vater der unternehmerischen Schule gilt Schumpeter (1912). Strategie wird hier als ein visionärer Prozess des Unternehmensführers begriffen, welcher in starkem Maße von seinen Intuitionen und Persönlichkeitsmerkmalen abhängt. Die Strategie drückt ein „Gefühl“ für die langfristige Entwicklung aus, eine Vision von der Zukunft des Unternehmens. Ob eine Strategie erfolgreich ist, hängt damit im Wesentlichen von der Erfahrung, dem Urteilsvermögen, der Weisheit des Unternehmensführers, typischerweise des Gründers ab. Dementsprechend untersuchen die Forschungen der unternehmerischen Schule vor allem die Persönlichkeitsstrukturen von (erfolgreichen) Unternehmern. Die kognitive Schule fokussiert auf die mentalen Prozesse der Strategen. Als Grundlegung in der Betriebswirtschaftslehre gelten das Werk von Simon (1957) sowie das von March und Simon (1958). Strategien sind mentale Konstrukte; will man deren Genese und Wirksamkeit verstehen, muss man die Funktionsweise des menschlichen Geistes untersuchen. Dabei kann man grob zwei Richtungen der kognitiven Schule unterscheiden. Der objektivistische Flügel, der eher positivistisch ausgerichtet ist, versteht geistige Strukturierungsprozesse als den Versuch, ein objektives Bild der Welt zu erlangen. Der subjektivistische Flügel, der auch durch die Arbeiten zum Konstruktivismus an Bedeutung gewonnen hat, versteht die geistigen Landkarten, die die Strategen verfolgen, nicht als Reaktion auf ein objektives Abbild der Umwelt, sondern als von Strategen selbst erschaffene Orientierungsmuster. Die Strategie ist eine individuelle Interpretation der Welt; dementsprechend fokussiert die subjektivistische Schule v. a. auf die schöpferische Kraft des Strategen.
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Werner Kirsch und Dominik van Aaken
Der Aufstieg der Lernschule wird v. a. den Arbeiten von Lindblom (1959), Argyris/Schön (1978) und Quinn (1980) zugeschrieben. Auch die Arbeit von Nonaka/Takeuchi (1995) hat dafür gesorgt, dass die Perspektive des Lernens bzw. des Wissens in der Organisationsforschung und -praxis eine enorme Prominenz erfahren haben. Die Grundthese der Lernschule ist einfach: Die Welt der Genese und Wirksamkeit von Strategien ist extrem komplex; einfache Rezepturen können nicht zum Erfolg führen. Die Denkweise, dass wirksame Strategien von Managern formuliert und anschließend implementiert werden, steht der Lernschule damit diametral entgegen. Die für eine solche Vorstellung benötigten Informationen sind für eine bewusste Kontrolle des Strategieprozesses zu komplex. Im Sinne der Lernschule können Strategien stattdessen auf jeder hierarchischen Stufe im Unternehmen entstehen. Aufgabe des Managements ist dann nicht so sehr die Strategieformulierung, sondern ein Managen von Lernprozessen innerhalb der Organisation. Die Machtschule versteht die Strategieentwicklung und -implementierung als einen Machtprozess, d. h. als einen Prozess der gegenseitigen Einflussnahme, der durch individuelle und kollektive Interessen geprägt ist. Arbeiten, die dieses Verständnis geprägt haben, sind u. a. die von Allison (1971) und Astley (1984). Freilich wusste man auch vor dem Aufkommen der Machtschule, dass Organisationen aus Individuen bestehen, die ihre eigenen Interessen, Wünsche und Ziele verfolgen. Dennoch wurde diesem Umstand kaum Rechnung getragen. Die Machtschule betont die Rolle von politischen Prozessen in zwei Bereichen. Einerseits geht es ihr um den Machtgebrauch innerhalb der Organisation. Andererseits untersucht sie die Interdependenz der Organisationen mit ihrer Umwelt unter einer politischen Perspektive. Es geht dabei insbesondere auch um die Frage, wie eine Organisation den Erwartungsdruck der vielfältigen Einflussgruppen handhaben kann, um letztendlich die Umwelt ein Stück weit zu kontrollieren. Unter diese Kontrollbemühungen fallen auch Kooperationsaktivitäten, wie z. B. die Bildung von strategischen Allianzen (vgl. Pekar/Allio 1994). Als Standardautoren der Kulturschule gelten Schein (1992), Ouchi (1981), Pascale/Athos (1981) sowie Peters/Waterman (1982). Für die Theorie der strategischen Führung wurde das Phänomen „Kultur“ insbesondere durch den Erfolg japanischer Unternehmen virulent. Obwohl diese amerikanische Technologien mehr oder minder kopierten, waren sie – so die Schlussfolgerung der Kulturschule – aufgrund ihrer gemeinsamen Werte und Überzeugungen, kurz: der Kultur, erfolgreicher. Der Strategieprozess wird in der Kulturschule als ein Interaktionsprozess verstanden, der auf den Überzeugungen der Mitarbeiter beruht. Diese werden als relativ stabil angesehen: Neue Mitarbeiter übernehmen durch Sozialisationsprozesse diese gemeinsamen Überzeugungen. Eine Änderung der
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Strategie ist dementsprechend ein erklärungsbedürftiges Phänomen: Die gemeinsame Kultur eines Unternehmens fördert eher die Aufrechterhaltung und Durchsetzung vorhandener Strategien. Folgerichtig befasst sich ein weiter Literaturkreis der Kulturschule insbesondere mit der Möglichkeit, Veränderungen trotz der kulturellen Trägheit von Organisationen zu bewerkstelligen. Die Umweltschule sieht nicht in einzelnen Untersuchungsgegenständen innerhalb der Organisationen (wie dem Top-Management, der Kultur, den politischen Prozessen) den zentralen Faktor zur Erklärung des unternehmerischen Geschehens. Sie fokussiert stattdessen auf das externe Umfeld der Organisationen. Es ist die Umwelt der Organisation, die bestimmt, ob und wenn ja, welche Strategien zum Erfolg führen. Zwar klingt die Umwelt auch bei anderen Theorien der strategischen Führung an und spielt auch dort eine zentrale Rolle (man denke nur an die Positionierungsschule); die Umweltschule gewichtet aber – im Gegensatz zu den anderen Schulen – das externe Umfeld der Organisationen so hoch, dass die Strategen nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Organisationen können nicht erfolgreich agieren; ihr Erfolg bestimmt sich allein aus ihrer Reaktion auf Umweltkräfte. Der strategischen Führung kommt damit die (passive) Rolle zu, die Umweltzeichen richtig zu deuten und die Organisation möglichst gut an die Umwelt anzupassen. Am deutlichsten kommt die Umweltschule in der so genannten Populationsökologie zum tragen, deren Hauptvertreter Hannan/Freeman (1977) sind, aber auch weite Teile der Literatur zum soziologischen Neoinstitutionalismus (vgl. Meyer/Rowan 1977) weisen starke Ähnlichkeiten mit dieser Denkweise auf. In seinen Ausführungen würdigt Mintzberg zwar die Leistungen der hier kurz vorgestellten neun Schulen der strategischen Führung, gleichwohl vermisst er einen umfassenderen, integrierenden Ansatz. Dies soll seine eigene Konzeption, die Konfigurationsschule leisten. Die Hauptthese ist folgende: Jede der angesprochenen neun Schulen ist zur Beschreibung der Unternehmenspraxis bedeutsam, allerdings jeweils nur zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Anwendungssituationen. Die neun Schulen werden also in seiner Konfigurationsschule situativ relevant: „Each at its own time, in its own place, as an integrated phenomenon. In other words, the configurational school focuses on typologies and episodes of various kinds – types of organizations, kinds of environments in which they operate, distinct periods in their histories – ideally integrated into stages which are sequenced over time, in life cycles (…)“. (Mintzberg 1990, S. 179 f.)
Der Strategieprozess wird in dieser Perspektive als eine Episode angesehen, der grundsätzlich alle bisher angesprochenen Formen annehmen kann. Der letzt-
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endlich realisierte Zustand hängt von den jeweiligen Gegebenheiten ab. Ein neu gegründetes Unternehmen entspricht beispielsweise den Annahmen der unternehmerischen Schule: So ist die Konzentration auf die Gründerpersönlichkeit mit seinen visionären Strategien in dieser Phase des unternehmerischen Lebenszyklus durchaus realistisch. Wächst das Unternehmen aber, verliert die Denkweise der unternehmerische Schule an Relevanz und an seine Stelle tritt eine andere, wie z. B. die Planungsschule, die dann – laut Mintzberg – ein realistischeres Bild des Strategischen geben kann. Mintzberg nutzt also die neun verschiedenen Schulen der strategischen Führung dafür, unterschiedliche Zustände von Unternehmen zu beschreiben. Man könnte auch sagen, dass die jeweilige Lebenswelt (vgl. Habermas 1999, S. 191) der Unternehmen in unterschiedlichen Phasen durch unterschiedliche Konstellationen geprägt ist. Die Konfigurationsschule lenkt also die Aufmerksamkeit auf die vielfältigsten Zustände, die Unternehmen im Wechselspiel der „Kräfte“ von Strategie, Struktur und Umwelt jeweils annehmen können. Unternehmen können dabei Transformationsprozesse durchlaufen, indem sie die Zustände, in denen sie sich befinden, durch Strategien ändern. Diese Transformationsprozesse sind jedoch eher selten: Die Konfigurationsschule geht davon aus, dass Unternehmen einen bestimmten stabilen Zustand annehmen, der zu seiner jeweiligen Umwelt passt (vgl. Mintzberg 2001, S. 344). Mintzberg lässt offen, ob man durch Transformationsprozesse die Lebenswelt des Unternehmens an die Umwelt anpassen sollte, oder ob sich Unternehmen ihre Umwelt so selektieren, dass sie dort überleben können, oder ob zwischen Unternehmen und Umwelt wechselseitige Anpassungsprozesse stattfinden. Letztendlich geht es Mintzberg mit seiner Konfigurationsschule darum, ein realistischeres Bild des Strategischen in Unternehmen zu zeichnen. Er widerspricht der impliziten Annahme der anderen neun Schulen, dass sie es jeweils einzeln vermögen, das strategische Geschehen jedes Unternehmen in jeder Phase ihres Lebenszyklus zu beschreiben. Nach Mintzbergs zehnter Schule kommen potentiell alle neun Schulen zur Beschreibung der Unternehmenszustände in Frage.
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Pluralistische Unternehmen und die Theorie der strategischen Führung
Mintzberg geht davon aus, dass alle Schulen der strategischen Führung relevant sind; seine Konfigurationsschule integriert die anderen Denkweisen und postuliert insofern ein „Sowohl-als-auch“ der unterschiedlichen Denkschulen. Wir begrüßen Mintzbergs Denken des „Sowohl-als-auch“, weil er damit u. E. ein
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realistischeres Bild des Strategischen in Organisationen zeichnet. Dennoch sehen wir auch eine Möglichkeit dieses „Sowohl-als-auch“ weiterzuentwickeln. Mintzberg verfolgt die Denke des „Sowohl-als-auch“ nicht bis zur letzten Konsequenz, wodurch seine Konzeption letztlich doch auf ein „Entweder-oder“ hinausläuft. Denn: Die Konfigurationsschule geht davon aus, dass je nach Umfeldkonstellation immer eine und nur eine Konfiguration empirisch zu erwarten ist. Zwar kann durch eine strategische Transformation der Zustand eines Unternehmens verändert werden; dennoch ist es immer eine Konfiguration, die die Lebenswelt des Unternehmens kennzeichnet. Damit wird gleichzeitig impliziert, dass man Unternehmen als homogene Lebenswelten charakterisieren kann. Wir halten diese Annahme für wenig realistisch; in unserer Sicht sind organisatorische Lebenswelten in aller Regel heterogen. Dies ist besonders offensichtlich bei Unternehmen, die in multinationalen Feldern agieren und Verbindungen zu anderen Unternehmen im Sinne von Allianzen, Joint Ventures o. ä. aufweisen (vgl. zuletzt Kirsch 2001). Eine Theorie der strategischen Führung hat sich u. E. mit dieser beobachtbaren Entwicklungstendenz zu befassen, wenn sie Fragen nach den Möglichkeiten und Grenzen der strategischen Führung adäquat behandeln möchte. Die Abb. 2 gibt die von uns behauptete Entwicklungstendenz nach zwei Dimensionen wieder. Die zunehmende Involvierung in multinationale Felder bringt zunächst die Tatsache zum Ausdruck, dass im Zeichen der Globalisierung der Wirtschaft die einzelnen Unternehmen sich in vermehrtem Maße international betätigen. Dies hat dann freilich Auswirkungen auf die Wertschöpfungsaktivitäten und Funktionen im Unternehmen. Eine zunehmende Involvierung in multinationale Felder äußert sich jedoch für ein einzelnes Unternehmen nicht nur darin, dass es sich selbst international betätigt. Auch ein regional bzw. national tätiges Unternehmen sieht sich mit einem multinationalen Feld deshalb konfrontiert, weil sich seine Konkurrenten, Lieferanten, Kunden, Kapitalgeber, Allianzpartner usw. international betätigen und somit u. U. Wettbewerbsvorteile bzw. Verhandlungsmacht gegenüber dem betrachteten Unternehmen ableiten. Die Herausforderungen internationaler Unternehmenstätigkeit können so auch rein national operierende Unternehmen „einholen“. Die zweite Achse von Abb. 2 stellt die Involvierung in Unternehmensverbindungen in den Mittelpunkt. Im Zuge der Internationalisierung – wenn auch nicht nur hier – wird immer auch die Frage auftauchen, ob und inwieweit man Aktivitäten auch auf andere Unternehmen verlagern soll, mit denen man dann Kooperationen bzw. Allianzen eingeht, oder ob und inwieweit man konzernartige Strukturen mit vielfältigen Mutter-Tochter-Beziehungen anstrebt.
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Stark ausgeprägt Involvierung in Unternehmensverbindungen
Gering ausgeprägt
Gering ausgeprägt
Stark ausgeprägt
Involvierung in multinationale Felder
Abb. 2:
Von der national tätigen Einzelunternehmung zu Unternehmensverbindungen in multinationalen Feldern
Man muss wohl die Annahme, dass Unternehmen homogene Gebilde sind, spätestens mit der Gegenwartsdiagnose der zunehmenden Involvierung von Unternehmen in Unternehmensverbindungen und internationale Felder fallen lassen. Unternehmen bestehen aus einem Pluralismus unterschiedlicher Lebens-, Sprach- und Wissensformen (vgl. ausführlich z. B. Kirsch 1997; van Aaken 2007). Eine Unternehmung ist also kein homogenes Gebilde, das eine geteilte Kultur aufweist, eine Identität besitzt, wo jeder Akteur denselben Regelungen und Regeln unterliegt, wo überall im Unternehmen die gleichen Themen auf der Tagesordnung stehen, usw. Durch die Arbeitsteilung und die damit einhergehende Spezialisierung von Unternehmensteilen kommt es auch zu einer sozialen Differenzierung und damit zu arteigenen Lebens-, Sprach- und Wissensformen als Kontexte der Bewertung des organisatorischen Geschehenen (vgl. Kirsch 1990, S. 27). Forschungs- und Entwicklungsabteilungen sehen die Welt anders als der Vertrieb oder das Controlling. Die in einer Organisation existierenden Lebens-, Sprach- und Wissensformen unterscheiden sich in ihrer Kultur, in ihren Institutionen und auch in ihren Strategieprozessen.
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Konstituiert man Organisationen als aus multiplen Lebenswelten bestehend, entspricht dies einer Gleichzeitigkeit der von Mintzberg rekonstruierten Denkschulen. Entgegen dem „Sowohl-als-auch“ Mintzbergs, welches der Organisation immer eine bestimmte Konfiguration im Zeitablauf zuschreibt, gehen wir davon aus, dass aufgrund des Pluralismus an Lebens-, Sprach- und Wissensformen eine Organisation immer nur durch mehrere Denkschulen adäquat beschrieben werden kann. Es gibt also nicht nur einen Strategieprozess, der durch eine Konfiguration treffend beschrieben werden könnte; die von Mintzberg rekonstruierten neun Denkschulen sind potentiell alle gleichzeitig relevant, wenn es um die Beschreibung des Strategischen von Organisationen zu einem bestimmten Zeitpunkt geht. Dieses hier skizzierte „Sowohl-als-auch“ hat wichtige Implikationen. Jenseits der Frage, wie man das Verhältnis der unterschiedlichen Lebens-, Sprach- und Wissensformen innerhalb einer Organisation konzeptualisieren kann, muss es einer Theorie der strategischen Führung vor allem auch darum gehen, zu zeigen, welche Auswirkungen die Annahme multipler Lebenswelten auf die strategische Führung einer Organisation zeitigt. Einige Konsequenzen, die sich daraus ergeben, sollen im Folgenden skizziert werden. Wir sehen eine enge Verbindung zwischen der Annahme multipler Lebens-, Sprach- und Wissensformen und einem „Verfall“ hierarchischer Strukturen. Mit anderen Worten: Die Annahme, dass Unternehmen hierarchische Systeme wären (die Strategien top-down implementieren), gerät angesichts multipler Lebenswelten ins Wanken. Wir gehen stattdessen davon aus, dass in unserem Sinne pluralistische Unternehmen als polyzentrische Systeme zu charakterisieren sind. Der Begriff der Hierarchie impliziert die Eingipfligkeit einer Organisationsstruktur, was mit der Vorstellung verbunden ist, dass die Entscheidungen der hierarchischen Spitze zu nicht hinterfragten Prämissen nachgelagerter Entscheidungen werden; ein „Eigensinn“ von Subsystemen ist ausgeschlossen. Umgekehrt können Organisationen als nicht-hierarchisch und damit polyzentrisch bezeichnet werden, wenn ihre Subsysteme eigensinnig sind. Der Begriff des Eigensinns bringt zunächst zum Ausdruck, dass die Entscheidungen der einzelnen Partialsysteme nicht (ausschließlich) von für das Gesamtsystem autorisierten Werten (bzw. Erfolgsmaßstäben), sondern auch von partialsystemspezifischen Werten beeinflusst werden. Damit haben wir eine Ursache des Eigensinns benannt, die sich unmittelbar aus unserer Gegenüberstellung von Hierarchie und Polyzentrismus ergibt. Die Möglichkeit des Einbringens eigener Werte gibt den Partialsystemen Gelegenheit, eigene, partialsystemspezifische Interessen zu verfolgen, die auch gegen das Interesse des Gesamtsystems
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gerichtet sein können (natürlich können die Interessen auch einen Bezug zum Gesamtsystem aufweisen). Sowohl die systemspezifischen Interessen im engen Sinne als auch diejenigen, die einen Bezug zum Gesamtsystem aufweisen, werden bisweilen erheblich divergieren, so dass konfliktträchtige Beziehungen entstehen: Die Partialzentren versuchen dann ihre „egoistischen“ Interessen durchzusetzen. Die Vorstellung des Eigensinns, der sich in der egoistischen Durchsetzung von Interessen äußert, ist – wenn auch mit Bezug auf Individuen – prominenter Gegenstand neuerer ökonomischer Theorien, wie beispielsweise der Theorie der Verfügungsrechte oder des Principal-Agent-Ansatzes (vgl. z. B. Ordelheide et al. 1991; Budäus et al. 1988 und mit engerem Bezug auf unser Thema Ringlstetter 1995, S. 62 ff.). Grundlage der Möglichkeit, eigenen Interessen auch gegenüber verfassungsmäßig übergeordneten Systemen Geltung zu verschaffen, ist dabei ein grundsätzlicher Informationsvorsprung den die Partialsysteme gegenüber einer vermeintlichen Zentralgewalt besitzen (vgl. z. B. Williamson 1990, S. 54). Insbesondere daraus erwachsen den Partialsystemen Gegeneinflusspotentiale, zu denen noch weitere Potentiale kommen können, die es den Partialsystemen erlauben, sich Autorisierungsversuchen zu widersetzen und ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Der Eigensinn der Partialsysteme muss aber nicht mit einer egoistischen Durchsetzung von u. U. illegitimen Interessen in Verbindung stehen; er kann durchaus auch Ausdruck einer nahezu altruistischen Grundposition sein. Eigeninteresse kann vor diesem Hintergrund auch darin bestehen, dass ein Subsystem davon überzeugt ist, Gefahren und Gelegenheiten nicht nur für sich, sondern auch für andere Partialsysteme und – wegen der Interdependenzen – eventuell auch für das Gesamtsystem besser beurteilen und auf dieser Grundlage entsprechende Ratschläge geben zu können oder Manipulationsmaßnahmen ergreifen zu müssen. Löst man den Begriff des Eigensinns von der egoistischen Durchsetzung von Eigeninteressen und öffnet ihn – wie geschehen – gegenüber der Vorstellung unterschiedlicher Problemsichten und damit auch unterschiedlicher Kontexte, gelangt man unweigerlich zu einem erweiterten Verständnis des Eigensinns. Der Eigensinn der Partialsysteme ist dann ein Ausdruck der „Autonomie“ der eigenen Lebens-, Sprach- und Wissensform. Letztendlich weist ein Subsystem immer dann Eigensinn auf, wenn es Situationen vor dem Hintergrund seiner eigenen Lebens-, Sprach- und Wissensform interpretiert und handhabt. Die Gleichzeitigkeit mehrerer „autonomer“ Lebens-, Sprach- und Wissensformen in einem Unternehmen führt dazu, dass man Organisationen insbesondere als polyzentrische Systeme verstehen muss. Für eine strategische Führung bedeutet dies, dass sie nicht blind davon ausgehen kann, dass einmal autorisierte
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Strategien im Unternehmen in ihrem Sinne umgesetzt werden. Jenseits der politischen Sicht, dass Gegeneinflusspotentiale der Subsysteme dazu führen können, dass „Anweisungen“ aus der Zentrale nicht berücksichtigt werden, bewerten die Subsysteme die von der Zentrale verabschiedeten Strategien vor dem Hintergrund ihrer eigenen Lebens- Sprach- und Wissensformen. Dies kann auch bei „wohlwollenden Interpretationen“ durch die Subsysteme zu einer Realisation von Strategien führen, die im Ergebnis nur sehr wenig mit den ursprünglich von der Zentrale intendierten Strategien zu tun haben. Zudem sind Strategieprozesse nicht nur auf der Ebene der Zentrale existent. Die Subsysteme verfolgen eigene Strategien, mit ihrem jeweils eigenen Strategieverständnis. So kann es beispielsweise zwar sein, dass die Zentrale in ihrer strategischen Denkweise sehr „nah“ an dem ist, was in der Planungsschule vertreten wird. Gleichzeitig aber mag es durchaus sein, dass das Strategieverständnis einer Tochterunternehmung eher der Positionierungsschule, das einer anderen eher der Lernschule gleicht. Sicherlich werden das Strategieverständnis und die autorisierten Strategien der Zentrale gewisse Auswirkungen auf die Handlungen der Tochterunternehmungen haben. Aber per se davon auszugehen, dass die Organisation als Ganzes ein Strategieverständnis vertreten würde, ist wohl wenig realistisch. Auch das Auftauchen einer strategischen Führung der Zentrale, in dem Sinne, dass sie die Strategien und das Strategieverständnis des gesamten Unternehmens dominieren, ist keine Selbstverständlichkeit und daher ein erklärungsbedürftiges Phänomen. U. E. hängt das Auftauchen einer solchen „umfassenden“ Führung wesentlich mit der Vielfältigkeit der Lebens-, Sprach- und Wissensformen in der Organisation zusammen. In diesem Zusammenhang wollen wir zwischen polyzentrischen Strukturen im schwachen und im starken Sinne unterscheiden (vgl. Abb. 3). Ein Polyzentrismus im starken Sinne liegt vor, wenn die Vielzahl der organisatorischen Lebens-, Sprach- und Wissensformen untereinander nicht vergleichbar sind und (nicht zuletzt dadurch) das Auftauchen einer umfassenden Führung unwahrscheinlich erscheint; ein Polyzentrismus im schwachen Sinne liegt dagegen dann vor, wenn die Vielzahl der unterschiedlichen Lebens-, Sprach- und Wissensformen Gemeinsamkeiten aufweisen (1) und die Bedingungen für die Existenz einer unternehmensweiten Führung günstig erscheinen (2).
Lebens-, Sprach- und Wissensformen in polyzentrischen Systemen
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Polyzentrismus im starken Sinne
inkommensurabel
inhomogen
Polyzentrismus im schwachen Sinne
günstig
ungünstig
Bedingungen für das Auftauchen einer umfassenden Führung
Abb. 3:
Polyzentrismus im starken und im schwachen Sinne
(1) Als Beispiel für eine Organisation, deren Subsysteme durchaus gewisse Gemeinsamkeiten teilen, kann ein Kartell in einem oligopolistischen Markt dienen. Aufgrund der in der Regel häufigen direkten Interaktionen in einem solchen Markt, der nur durch wenige Wettbewerber gekennzeichnet ist, kann angenommen werden, dass das Kartell zwar einerseits über eine Vielzahl heterogener Praktiken verfügt, dass aber andererseits Homogenisierungstendenzen zu beobachten sind. Diese sind etwa in einer (Konzern-)Holding nicht zu erwarten, deren einzelne Gesellschaften in gänzlich unterschiedlichen Branchen operieren und die aufgrund einer sukzessiven Akquisition verschiedener Organisationen entstanden ist. Analoges ließe sich wohl für Unternehmensverbindungen, die nicht Konzerne sind, konstatieren. Die unterschiedlichen branchenbezogenen Lebens-, Sprach- und Wissensformen und das Fehlen einer gemeinsamen Tradition lassen es wahrscheinlich werden, dass sie keine gemeinsamen lebensweltlichen Bezugspunkte aufweisen.
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(2) Die zweite Dimension, die den Polyzentrismus im schwachen von dem im starken Sinne unterscheidet, wird durch die Wahrscheinlichkeit des Auftauchens einer umfassenden Führung charakterisiert. Freilich sind die beiden Dimensionen nicht unabhängig voneinander: Fehlen Gemeinsamkeiten zwischen den Lebens-, Sprach- und Wissensformen, so stehen für die Koordination der Partialzentren lediglich inkommensurable (also nicht unmittelbar vergleichbare) Lebens-, Sprach- und Wissensformen zur Verfügung, mit der Folge, dass die Bedingungen für das Auftauchen einer umfassenden Führung in solchen Gebilden sich wohl eher als ungünstig erweisen. Dagegen erlauben lebensweltliche Gemeinsamkeiten durch die tendenzielle Möglichkeit einer lebensweltlichen Integration eine größere Vielfalt von Führungshandlungen. Die Wahrscheinlichkeit des Auftauchens einer umfassenden Führung in polyzentrischen Systemen ist aber jenseits der potentiellen Gemeinsamkeiten der partialspezifischen Lebens-, Sprach- und Wissensformen auch von anderen Bedingungen abhängig. Diese Bedingungen können etwa in der Verfassung einer Organisation bzw. in sonstigen vertraglichen oder vertragsähnlichen Regelungen begründet liegen, die ja einzelne Einheiten mit gewissen Machtmitteln ausstattet. Solche Bedingungen können darüber hinaus von spezifischen Abhängigkeiten beeinflusst sein, die die vorzufindenden Machtkonstellationen mitprägen. Dabei spielen auch die möglicherweise vorhandenen wechselseitigen Ressourcenabhängigkeiten der Partialsysteme eine nicht vernachlässigbare Rolle. Sicherlich wird man auch im Zusammenhang mit diesen Bedingungen die Existenz von mehr oder weniger charismatischen Unternehmerpersönlichkeiten zu nennen haben, denen es unter Nutzung der sonstigen Bedingungen gelingt, Leadership zu verwirklichen und damit auch zu einer das gesamte Unternehmen umfassenden Führung zu gelangen. Die Dependenz der beiden Dimensionen (Gemeinsamkeiten der Lebens-, Sprach- und Wissensformen und Bedingungen für das Auftauchen einer umfassenden Führung) wird deutlich, wenn man berücksichtigt, dass nicht nur Gemeinsamkeiten der Partialsysteme das Spektrum der Führungshandlungen erweitert, sondern verwirklichte Führungshandlungen auch Gemeinsamkeiten der Partialsysteme nach sich ziehen (z. B. in Form von Managementsystemen, die in allen Partialsystemen etabliert werden). Die hier dargelegten Überlegungen sind sicherlich nur Skizzen der potentiellen Auswirkungen, die sich für eine Theorie der strategischen Führung ergeben, wenn man die Annahme aufgibt, dass Organisationen monolithische Einheiten darstellen. Die Konfigurationsschule Mintzbergs vertritt mit ihrem Denken des „Sowohl-als-auch“ ein realistisches Bild des Strategischen in Organisationen. Das konsequente Weiterdenken dieses „Sowohl-als-auch“ führt dazu, dass man Organisationen nicht als stabile Konfigurationen, sondern als multiple
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Organisationen zu konzeptualisieren hat, für deren Beschreibung sich eine Gleichzeitigkeit der Mintzberg-Schulen anbietet.
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Die Rolle von Technologien in der Theorie der strategischen Führung
Neben der Charakterisierung von Organisationen als pluralistische Systeme, die eine Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Konfigurationen ermöglichen, wollen wir gegenüber Mintzberg noch eine zweite Erweiterung einführen, die bei ihm zwar angelegt, jedoch nicht konsequent ausgearbeitet ist. Hierbei handelt es sich um die Thematisierung von Technologien in der Theorie der strategischen Unternehmensführung. Bei seiner Beschreibung der Denkschulen differenziert Mintzberg zwischen deskriptiven und präskriptiven Ansätzen. Zu letzteren zählt er die Design-, die Planungs- und die Positionierungsschule, die restlichen Schulen sind demgegenüber eher deskriptiver Natur. Als präskriptive Ansätze zielen die Design-, Planungs- und Positionierungsschule letztlich darauf ab, technologische Aussagen zu generieren. Dies wollen wir im Folgenden etwas genauer ausführen. In der Wissenschaftstheorie unterscheidet man allgemein zwischen theoretischen und technologischen Aussagen bzw. zwischen Theorien und Technologien (vgl. Kirsch et al. 2007). Theorien versuchen die empirische Welt durch Aufzeigen von Gesetzmäßigkeiten zu erklären. Dabei entspricht es der Grundmethodik der Theoriebildung, dass ein zu erklärendes Phänomen (Explanandum) dann erklärt ist, wenn es deduktiv aus dem Explanans abgeleitet werden kann (vgl. Hempel 1965). Das Explanans umfasst unter anderem die bereits erwähnten Gesetzeshypothesen (allgemeine Wenn-dann-, bzw. Je-desto-Aussagen) sowie die Antezedenzbedingungen, d. h. konkrete Angaben über spezifische Ausprägungen der Wenn-Komponenten der Gesetzeshypothesen. Anders gesagt: Ein beobachtetes Ereignis wird erklärt, wenn die entsprechende Beobachtungsaussage unter eine (oder mehrere) empirisch bestätigte allgemeine Gesetzesaussage über Regelmäßigkeiten subsumiert werden kann. Dies entspricht zunächst dem naturwissenschaftlichen Vorgehen, kann aber auch auf soziale Zusammenhänge übertragen werden. So werden beispielsweise in der Betriebswirtschaftslehre unter dem Stichwort der „Erfolgsfaktorenforschung“ Gesetzmäßigkeiten einer erfolgreichen Unternehmensführung untersucht (vgl. z. B. Cano et al. 2004; Fritz 1992). Sehr vereinfachend wird dabei beispielsweise wie folgt argumentiert: Wenn ein Unternehmen marktorientiert arbeitet, dann ist es erfolgreich. Möchte
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man den Erfolg eines konkreten Unternehmens erklären (Explanandum), kann man z. B. diese Gesetzmäßigkeit zusammen mit der Antezedenzbedingung (das konkret beobachtete Unternehmen fällt unter den Bereich des Gesetzes) heranziehen. Im Gegensatz zu den Theorien geht es bei Technologien um die Steuerung bzw. Gestaltung (vgl. Albert 1976). Das heißt, technologische Aussagensysteme geben Anweisungen wie man von einem Ausgangzustand zu einem gewünschten Endzustand gelangt (vgl. Nienhüser 1989). In diesem Sinne gibt beispielweise die Design School mit der SWOT-Analyse ein Tool vor, anhand dessen man erfolgreich Strategien entwickeln kann. Die Planning School wiederum zeigt auf, wie ein erfolgreicher Planungsprozess gestaltet werden soll. Und die Positioning School besitzt einige Methoden, die man zur erfolgreichen Wettbewerbspositionierung nutzen kann. Wie Mintzberg darlegt, haben die präskriptiven und die deskriptiven Ansätze in der Strategieforschung letztlich unterschiedliche Ansprüche. Die einen wollen erklären, die anderen wollen demgegenüber steuernd auf die Wirklichkeit einwirken. Mintzberg lässt es damit bewenden. Wir wollen hier jedoch noch einen Schritt weiter gehen und das Zusammenspiel theoretischer und technologischer Aussagen etwas genauer untersuchen. Technologische Aussagensysteme richten sich letztendlich an die Praxis, d. h. sie zielen darauf ab, dass sie von Praktikern beobachtet werden. In dem Maße, wie sich solche Aussagensysteme in der Praxis nieder schlagen, verändern sie die Praxis. So hat beispielsweise die Planning School dazu beigetragen, dass in der Praxis strategische Planungsabteilungen aufgebaut wurden. Damit erlangen solche technologischen Aussagensysteme auch theoretische Bedeutung. Denn nun kann man wiederum theoretisch und empirisch untersuchen, wie sich solche Technologien auf die Praxis auswirken. Das aber ist ein genuines Problem einer Theorie der strategischen Führung. Wir haben nicht den Eindruck, dass sich die theoretischen und empirischen Ansätze im Bereich der Strategischen Führung mit dieser theoretischen Fragestellung ausreichend auseinandersetzen. U. E. schlagen sich umfassendere Technologien häufig in Form von Managementsystemen nieder. In anderen Veröffentlichungen (vgl. ausführlich Kirsch/Maaßen 1990) haben wir vorgeschlagen, solche Managementsysteme als überlagernde Organisation bzw. Organisationsschicht zu konzeptualisieren. Abb. 4 symbolisiert die so genannte „Schichtenbetrachtung“ von Managementsystemen. Managementsysteme können als zusätzliche Organisationen aufgefasst werden, welche die Basisorganisation (natürlich auch die Organisation anderer Managementsysteme) überlagern. Man kann sich dies bildlich in der Weise vor-
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stellen, dass man die Organisation eines Managementsystems in geeigneter Form auf einer Klarsichtfolie symbolisiert, die man über jenes Schaubild legt, das die Organisation des laufenden Geschäftsbetriebes (Basisorganisation) wiedergibt.
Managementsystem Managementsystem
Basisorganisation Basisorganisation
Abb. 4:
Die Schichtenbetrachtung von Managementsystemen
Jeder „Baustein“ der Abb. 4 gibt in sehr vereinfachter Form eine Führungsstruktur wieder. Die Dreiecke symbolisieren die einzelnen Führungseinheiten (im Sinne von Steuerungs- und Regelungseinheiten), die Rechtecke die jeweiligen Verantwortungsbereiche der Führung („Regelstrecken“) und die die Dreiecke und Rechtecke verbindenden Kreise all das, was zwischen Führung und Führungsbereich geschieht: Das Erteilen von Weisungen, das Berichten über Erfolge oder Misserfolge, die Partizipation der Geführten an Führungsentscheidungen, die Konsensbildung außerhalb konkreter Entscheidungsepisoden usw.
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Mitarbeiter der Unternehmung können sowohl Aufgaben in der Basisorganisation als auch im Managementsystem übernehmen. Das Managementsystem leistet etwa über die Produktion von Plänen und Kontrollberichten (symbolisiert durch die Rechtecke) eine Unterstützung der Führungsaktivitäten (symbolisiert als Kreise). Die Verbindungslinien zwischen den Schichten, die man in der Sprache der Kybernetik auch als „Vermaschung“ von Regelkreisen bezeichnen kann, bringen also zum Ausdruck, dass die Outputs der durch die Rechtecke gekennzeichneten Aktivitäten bei dem eine Rolle spielen, was durch die Kreise symbolisiert ist, also bei den Führungs- und Steuerungsaktivitäten im weiteren Sinne. Dabei ist es eine empirische Frage, wie viel das Managementsystem überhaupt „produziert“ und inwieweit dessen Produkte in den Führungs- und Entscheidungsstrukturen der Basisorganisation wirksam werden. Je nachdem, wie stark sich ein Managementsystem in der Basisorganisation niederschlägt, sprechen wir von einer Ad-, Ab- oder Resorption dieses Systems. Im Falle einer reinen Adsorption (Anlagerung) spielen die Outputs der Managementsysteme keine besondere Rolle bei der Steuerung der aufnehmenden Schichten. Der Wegfall dieser Outputs hätte keine spürbaren Veränderungen der aufnehmenden Schichten zur Folge. Das Engagement in den Managementsystemen ist – sofern überhaupt eine nennenswerte Partizipation stattfindet – gering. Das ganze ist eher ein Ritual. Im Falle der Absorption (Verschlingung) würde der Wegfall der Outputs die Handlungsfähigkeit der aufnehmenden Schichten zwar nicht zentral gefährden. Dennoch sind die Outputs der Managementsysteme von Bedeutung. Entsprechend hoch ist das Engagement derjenigen, die in die Managementsysteme involviert sind. Doch die Möglichkeit einer Einflussnahme über die Managementsysteme wird nicht überbewertet: Die eigentliche „Musik“ wird in der Basisorganisation (oder in einem anderen Managementsystem) „gespielt“. Im Falle der Resorption (Verschmelzung) ist schließlich die Bedeutung der Managementsysteme so hoch, dass deren Ausfall zu einer beträchtlichen Gefährdung der Handlungsfähigkeit, d. h. zu erheblichen Steuerungskrisen führen würde. Entsprechend hoch ist die Motivation, an den Prozessen der Systeme teilzunehmen. Die Steuerung des Zusammenspiels von Managementsystemen untereinander und mit der Basisorganisation kann als Aufgabe des Controllings gesehen werden (vgl. Kirsch 2001). Das Controlling hat dafür zu sorgen, dass die Managementsysteme nicht nur adsorbiert sind. Natürlich muss dabei berücksichtigt werden, dass das Controlling nicht für alle Managementsysteme im Unternehmen zuständig ist. Nur jeweils eine Teilmenge der Managementsysteme kann auch als „Controlling-Systeme“ aufgefasst werden. Freilich: Ein besonders akti-
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ves Controlling kann die Neigung besitzen, diese Teilmenge relativ groß werden zu lassen. Aber auch auf solche Managementsysteme, die nicht unmittelbar Controlling-Systeme sind bzw. werden, wird vielfach Einfluss genommen. Man denke etwa an ein im Personalbereich angesiedeltes Anreizsystem, das mit den existierenden Planungs- und Kontrollsystemen kompatibel sein sollte. Umgekehrt ist aber auch das Controlling solchen Einflussnahmen anderer Organisationseinheiten ausgesetzt. Technologische Aussagensysteme, sofern sie von Praktikern beobachtet und umgesetzt werden, schlagen sich in Praktiken nieder und werden auf diesem Wege im organisationalen Feld verbreitet. So haben beispielsweise die Veröffentlichungen der Planning School zu neuen Planungspraktiken geführt, die sich wie Moden unter Organisationen der verschiedensten Art verbreitet haben. Nachdem die prominentesten, d. h. die von der Praxis meist beachtetsten Beiträge zur technologischen Forschung von den amerikanischen Business Schools stammen, ist es nicht verwunderlich, dass die Praktiken des strategischen Managements sehr stark durch das Denken der amerikanischen Business Schools geprägt sind. In den letzten Jahrzehnten konnte man somit auch weltweit eine gewisse Homogenisierungstendenz in den Lebens-, Sprach- und Wissensformen der Unternehmen erkennen. Man könnte auch sagen, es hat sich in der weltweiten Unternehmenslandschaft eine neue, gemeinsame Spreche herausgebildet, welche man als „Stresperanglisch“ (Strategisches Esperanto-Englisch) bezeichnen könnte.
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Fazit
In diesem Beitrag haben wir auf zwei weiße Flecken der Theorie der strategischen Führung hingewiesen. Erstens wird in den Theorien der strategischen Führung u. E. nicht ausreichend berücksichtigt, dass monolithische Unternehmen empirische Grenzfälle darstellen; Unternehmen müssen u. E. grundsätzlich als pluralistische Systeme konzeptualisiert werden. Zweitens wird in den Theorien der strategischen Führung bisher kaum beachtet, dass die wissenschaftlichen Ansätze einer technologischen Forschung nicht selten die Praktiken in der Unternehmenspraxis prägen und dass dies dann natürlich auch Auswirkungen auf die Art und Weise hat, wie die Unternehmen strategisch geführt werden. Mit anderen Worten: Die Wirkungen technologischer Forschung in der Praxis wird von den Theorien der strategischen Führung zu wenig thematisiert.
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Zwischen den von uns herausgearbeiteten Gesichtspunkten besteht ein Zusammenhang, den wir bisher nicht angesprochen haben. Aus einer Berücksichtigung des Pluralismus in Organisationen resultiert natürlich auch die Forderung an die technologische Forschung, sich mit der Entwicklung (und der empirischen Testung) von Techniken des strategischen Managements zu befassen, die zu den empirischen Gegebenheiten pluralistischer Organisationen „passen“. Und in dem Maße, wie die präskriptiven Ansätze der Strategieforschung dies leisten, resultieren hieraus wiederum Fragestellungen für eine Theorie der strategischen Führung. Bislang sind wir scheinbar davon ausgegangen, dass die Praktiken der Unternehmenspraxis in erster Linie aus der Beobachtung bzw. dem Aufgreifen technologischer Forschungsergebnisse resultieren. Man muss aber wohl eher davon ausgehen, dass sich die in der Praxis zur Anwendung kommenden Praktiken aus der Praxis selbst herausbilden. Die meisten Methoden, die heute in der strategischen Führung von Unternehmen zur Anwendung kommen, sind „Erfindungen“ der Praktiker und nicht Forschungsergebnis von Wissenschaftlern. Dass dies in Zukunft auch so bleiben wird, ist umso wahrscheinlicher, je weniger die technologische Forschung für die strategische Führung pluralistischer Unternehmen zu bieten hat. Daher ist es u. E. die Aufgabe einer Theorie der strategischen Führung, der Frage (empirisch und theoretisch) nachzugehen, wie in der Unternehmenspraxis die entsprechenden Praktiken entstehen und wie sie sich auswirken. Insofern sollte die technologische Forschung zunächst einmal die in der Praxis zur Anwendung kommenden Praktiken rekonstruieren, um sie dann in einem weiteren Schritt kritisch zu hinterfragen, weiter zu entwickeln und zu „verbessern“. Der Begriff der „weißen Flecken“ impliziert, dass diese Flecken durchaus „gefärbt“ werden können, sich also einer theoretischen Bearbeitung nicht grundsätzlich entziehen. Wir meinen, dass sich in der Scientific Community, die sich unter der Headline „Strategy-as-Practice“ in jüngster Zeit herausbildet (vgl. Johnson et al. 2007), viel versprechende Ansatzpunkte finden. Es bedarf aber sicherlich noch weiterer theoretischer und empirischer Forschungen der „Strategy-as-Practice“-Community, um auch die in diesem Beitrag skizzierten Probleme umfassend und fruchtbar zu bearbeiten.
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Kognitive Strategieforschung – State of the Art und aktuelle Entwicklungen Kognitive Strategieforschung – State of the Art und aktuelle Entwicklungen
Thomas Wrona
1
Aussagen und Gegenstandsbereiche der kognitiven Strategieforschung ............................................................................ 43 1.1 Gegenstand und Analyseebenen der Strategieforschung .................... 43 1.2 Grundlegende Aussagen der kognitiven Strategieforschung .............. 47 1.3 Gegenstandsbereiche der kognitiven Strategieforschung.................... 50
2
Aktuelle Entwicklungslinien der kognitiven Strategieforschung ..... 58 2.1 Die Analyse von Gruppenkognitionen................................................ 59 2.2 Neuroökonomie .................................................................................. 62 2.3 Die Interaktion von Kognition und Kontext: Situated cognition ........ 65
3
Kognitive Prozesse und Strukturen und Strategiebildung – ein Bezugsrahmen............................................................................. 69
4
Ausblick............................................................................................ 74
Literaturverzeichnis................................................................................. 75
Kognitive Strategieforschung – State of the Art und aktuelle Entwicklungen
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Aussagen und Gegenstandsbereiche der kognitiven Strategieforschung
Die Bedeutung von Kognitionen für die Management- bzw. Strategieforschung hat seit ihren „zaghaften“ Anfängen in den 1970er Jahren (vgl. Axelrod 1976; Kirsch 1976; Bougon et al. 1977; Weick 1979; Kiesler/Sproull 1982) stark zugenommen und verzeichnet seitdem eine stetig wachsende Relevanz (vgl. Hodgkinson 2001b; Porac/Thomas 2002; Huff 2005). Ausgangspunkt hierbei bildet die Auffassung, dass Strategien zunächst „in den Köpfen“ von Managern entstehen. Um die Existenz und den Entstehungsprozess bestimmter Strategien zu erklären, erscheint es somit nur konsequent, an den kognitiven Prozessen und Strukturen von Aktoren in Unternehmen anzusetzen. Ingolf Bamberger hat sich bereits früh mit der Rolle von Werten und Attitüden individueller Aktoren für strategische Prozesse und deren Outcome befasst (vgl. Bamberger 1982, S. 369 ff.; 1986) und sieht die kognitive Perspektive als grundlegend zur Erklärung strategischer Prozesse an (vgl. Bamberger/Wrona 2004, S. 364 ff.). Der folgende Beitrag soll die zentralen Aussagen und Gegenstandsbereiche der kognitiven Strategieforschung skizzieren und wichtige aktuelle Entwicklungslinien und Problemfelder beschreiben.
1.1 Gegenstand und Analyseebenen der Strategieforschung Die Strategieforschung bildet den zentralen Gegenstand der strategischen Managementforschung. Sie geht einerseits der Frage nach, worauf sich Strategien inhaltlich beziehen können, welche inhaltlichen Gestaltungsparameter existieren und welches ihre Einflussgrößen bilden (vgl. Fahey/Christensen 1986; Chakravarthy/Doz 1992; Bamberger/Wrona 2004, S. 27 ff.). Im Mittelpunkt der inhaltsorientierten Forschung steht dabei die Beschreibung und Erklärung von Unternehmensstrategien und ihres Einflusses auf den Unternehmenserfolg. Die Beschreibung von Unternehmensstrategien beinhaltet dabei auf der Grundlage eines entsprechenden begrifflichen Kategoriensystems auch die Untersuchung der Frage, wie sich Unternehmen unterscheiden oder ähneln, z. B. in Bezug auf die Wahl ihrer Produkte, ihrer Märkte, ihr Verhalten auf Märkten oder den Aufbau von Ressourcenkonstellationen. Andererseits bezieht sie sich auf die Frage, wie Strategien zustande kommen und implementiert werden. Die sog. Prozessperspektive richtet ihr Interesse daher auf die Beschreibung, Erklärung und Gestaltung strategischer Prozesse (vgl. Bamberger/Cappallo 2002). Prozesse können zunächst im Sinne der Abfol-
44
Thomas Wrona
ge der Merkmale einer Variablen in der Zeit verstanden werden. Hierbei interessiert die inhaltliche Änderung z. B. von Strategien über einen Zeitraum hinweg (vgl. Van de Ven 1992). Bei diesem Prozessverständnis wird also eine Inhaltsgröße „dynamisiert“ (sog. inhaltsorientierte Perspektive strategischer Prozesse). In der traditionellen strategischen Prozessforschung dominiert jedoch die Interpretation des Prozessbegriffs, die hier als handlungsbezogene Sichtweise bezeichnet werden soll: Strategische Prozesse werden als eine Folge von Aktivitäten (Entscheidungen, Handlungen und Interaktionen) betrachtet, über die „strategische Phänomene“ zustande kommen (siehe auch Abb. 1).
Handlungsorientierte Handlungsorientierte Prozessperspektive Prozessperspektive
Inhaltsorientierte Inhaltsorientierte Prozessperspektive Prozessperspektive
Strategien als Ergebnis von Prozessen
Strategien als Gegenstand von Prozessen
Prozess Prozess Formulierung Formulierung strategischer strategischer Aktivitäten Aktivitäten
Bewertung Bewertung strategischer strategischer Aktivitäten Aktivitäten
ImplemenImplementierung tierung strategischer strategischer Aktivitäten Aktivitäten
Merkmale des Objektbereichs (hier z.B. Internationalisierungsstrategie)
essss PPrroozze Export Export
Joint Joint Venture Venture
DirektDirektinvestiinvestitionen tionen
t
Abb. 1:
Die handlungs- und die inhaltsorientierte Prozessperspektive – hier am Beispiel von Strategien (Quelle: Bamberger/Wrona 2004, S. 29)
Es besteht heute weitgehend Einigkeit darüber, dass die Unterscheidung einer inhalts- und einer prozessorientierten Sichtweise der strategischen Unternehmensführung ein nützliches und sinnvolles Vorgehen ist, um in die Komplexität der Problemstellungen der strategischen Unternehmensführung eine gewisse Ordnung zu bringen sowie Forschungsbeiträge zu systematisieren, sie aber andererseits auch rein analytischer Natur und wahrscheinlich eher irreführend ist (vgl. Bamberger/Wrona 2004, S. 30 ff.). Sowohl in der Inhalts- als auch in der Prozessforschung wird unter dem Begriff „Strategie“ dabei häufig ein vorausschauendes, planerisches Verhalten beschrieben. Mit Strategien werden hierbei Handlungsorientierungen bzw. Absichten charakterisiert, mit denen zukünftige Handlungen gesteuert werden
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sollen. Als Handlungsorientierungen sollen Strategien im Sinne von Intentionen oder Absichten ex ante globale Aktivitäten beschreiben und zukünftige Entscheidungen und Handlungen steuern. Von Strategien kann man jedoch auch im Sinne von realen Verhaltensweisen sprechen. So kann man (ex post) bestimmte strategische Manöver, wie etwa eine Akquisition oder einen Internationalisierungsschritt, beobachten oder auch die Strategie im Sinne ihres Outcome als Verhaltensstruktur identifizieren, etwa in Form der Art und des Grades der Diversifikation (siehe Abb. 2).
Strategien Strategien als … … HandlungsHandlungsorientierungen orientierungen Modelle Modelle zukünftigen zukünftigen Verhaltens, Verhaltens, die die mehrere mehrere EntscheidungsepiEntscheidungsepisoden überdauern und soden überdauern und handhandlungsleitende lungsleitende Kraft Kraft entfalten entfalten •• entweder entweder in in öffentlich öffentlich formulierter formulierter Form Form (formulierte (formulierte Strategiepläne) Strategiepläne) oder oder •• in in Form Form kognitiver kognitiver Orientierungen Orientierungen
Abb. 2:
Reale Reale Verhaltensweisen Verhaltensweisen Manöver Manöver
Handlungsstrukturen Handlungsstrukturen
strategisch strategisch relevante relevante Handlungen, Handlungen, wie wie z.B. z.B.
Outcome Outcome vergangener vergangener Handlungen Handlungen
•• ein ein Markteintritt Markteintritt •• eine eine Akquisition Akquisition o.ä. o.ä.
drücken drücken sich sich aus aus z.B. z.B. in in •• der der Art Art und und dem dem Grad Grad der der Internationalisierung Internationalisierung
Strategien als Handlungsorientierungen und reale Verhaltensweisen (Quelle: Bamberger/Wrona 2004, S. 108)
Greift man nun die Perspektive auf, dass Strategien Handlungsorientierungen darstellen können, so stellt sich die Frage, welche Art Handlungsorientierungen vorliegen müssen, damit von Strategien gesprochen werden kann. Eine klassische Perspektive bildet die Bezugnahme auf autorisierte strategische Pläne, mit denen Unternehmen in formalen Prozessen ihre Handlungsorientierungen dokumentieren. Da solche Strategiepläne Oberflächenstrukturen bilden, ist es für externe Beobachter vergleichsweise einfach, das Vorhandensein, die Art und den Inhalt der Strategien zu identifizieren. Es handelt sich dann um autorisierte und formale Modelle, die zukünftiges Handeln steuern. Das Vorhandensein einer formalen strategischen Planung ist jedoch keine notwendige Bedingung, um davon sprechen zu können, dass in Unternehmen Modelle mit handlungsleitender Kraft vorliegen. Solche Modelle können darüber
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hinaus in kognitiver Form bestehen. Es kann also eine gemeinsame (geteilte) Orientierung bestehen, die das strategische Handeln prägt, jedoch nicht in Form formaler Entscheidungsprozesse bewusst entwickelt wurde und sich auch nicht in formalen Dokumenten niederschlägt. Dies kann häufig bei Kleinunternehmen beobachtet werden, deren Gründer sehr genaue Vorstellungen über die strategische Entwicklung ihres Unternehmens besitzen, jedoch auf formale Entwicklungs- und Autorisierungsprozesse verzichten. Man kann somit auch von „Strategien“ sprechen, wenn bei den wesentlichen Entscheidungsträgern ein gemeinsames Wissen über diese Handlungsprinzipien vorliegt. Freilich handelt es sich hierbei nun um Merkmale der Tiefenstruktur von Unternehmen bzw. Individuen, deren empirische Erfassung Schwierigkeiten bereitet. Anschlussfähig hieran und diese Gedanken weiterführend ist die Sichtweise, dass strategische Orientierungen grundsätzlich zunächst auf der Ebene einzelner Aktoren vorliegen. Kirsch differenziert daher drei Arten oder „Ebenen“ von Strategien als Handlungsorientierungen: Individualstrategien, Strategien für das Unternehmen und Strategien des Unternehmens (vgl. Kirsch 1997, S. 413 ff.). Die verschiedenen Aktoren im Unternehmen verfolgen eigenen Interessen und haben insofern auch individuelle Vorstellungen darüber, wie sich das Unternehmen zukünftig entwickeln soll. Kirsch spricht in diesem Zusammenhang von Individualstrategien. Diese Individualstrategien stellen individuelle kognitive Orientierungen dar und müssen nicht immer offen gelegt werden. Möglicherweise jedoch werden einige dieser Individualstrategien zu Forderungen an die Kernorgane gemacht und damit expliziert (Strategien für das Unternehmen). So können einzelne Aktoren beispielsweise ihre Sichtweisen über die strategische Entwicklung des Unternehmens im Rahmen interner Diskussionsprozesse wie z. B. Strategietagungen offen legen. In der Regel werden in einem Unternehmen jeweils eine Vielzahl solcher strategischer Forderungen an die Kernorgane gerichtet, und nur einige von ihnen werden schließlich als verbindlich erklärt und autorisiert – sie werden zu Strategien des Unternehmens. Eine klassische Perspektive bildet dabei, wie oben bereits skizziert, dass sich solche Prozesse der Transformation von Individualstrategien zu Strategien des Unternehmens innerhalb expliziter formaler Entscheidungsprozesse, etwa der strategischen Planung, vollziehen. Dies muss jedoch nicht der Fall sein. Es bildet vielmehr eine empirisch zu klärende Frage, ob in einem Unternehmen tatsächlich Entscheidungsprozesse stattfinden, die die heterogenen Individualstrategien bzw. Strategien für das Unternehmen in autorisierte Strategien des Unternehmens überführen (vgl. Kirsch 1997, S. 413 ff.). Strategien des Unternehmens können sich auch auf andere Weise herausbilden – sie können sich formieren. Ein Beispiel für eine formierte Strategie des Unternehmens bildet z. B. der Fall, dass
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sich einzelne Manöver (Diversifikation) wiederholt an einem bestimmten Muster (Verbundenheit der Märkte) orientieren, auch wenn hierfür keine offiziellen Autorisierungsakte existieren. Eine formierte Strategie des Unternehmens weist vier Merkmale auf (vgl. Kirsch 1997, S. 17 ff.): •
Es liegen Handlungsorientierungen mit Prinzipiencharakter vor, da nur so eine gewisse Generalisierung der Handlungsorientierung unterstellt werden kann.
•
Diesen Prinzipien wird ein politischer Wille zugeschrieben.
•
Die Prinzipien weisen einen Erfolgspotenzialbezug auf bzw. sie betreffen implizit oder explizit die Fähigkeiten bzw. die Entwicklung von Fähigkeiten.
•
Bei den Beteiligten liegt ein gemeinsames Wissen über diese erfolgspotenzial- bzw. fähigkeitsbezogenen Prinzipien und dem politischen Willen vor.
Die Perspektive, dass Strategien als kognitive Orientierungen vorliegen und – sofern sie „geteilt“ werden – zu Strategien des Unternehmens werden, kann nun auf der Grundlage der kognitiven Strategieforschung weiter entwickelt werden. In diesem Zusammenhang ist an dieser Stelle zunächst festzustellen, dass ein Großteil der existierenden Kognitionsforschung die Rolle und Bedeutung des Prozesses des Teilens von individuellen Orientierungen im Sinne von formierten Strategien des Unternehmens völlig ausblendet. Bevor später aufbauend auf den Arbeiten Bambergers (vgl. Bamberger/Wrona 2004, S. 364 ff.) ein Bezugsrahmen hierzu vorgestellt wird, soll zunächst auf die Grundlagen und verwendeten Methoden der kognitiven Strategieforschung eingegangen werden.
1.2 Grundlegende Aussagen der kognitiven Strategieforschung Die heutige Strategieforschung zeichnet sich auf theoretischer Ebene stark durch eine Multi-Paradigma-Perspektive (vgl. Gioia/Pitre 1990; Rumel et al. 1994) aus. Neben dem „klassischen“ rational-analytischen Framework des strategischen Managements mit einheitlichen, logisch nachvollziehbaren, ‚objektiven’ Entscheidungsmodellen, bestehen eine beachtliche Reihe kontroverser theoretischer Zugänge, die sich schon lange von diesen strikten Annahmen gelöst haben. Die kognitiv-interpretative Perspektive kann als ein solcher neuerer Ansatz betrachtet werden, der in den letzten Jahren insbesondere auch in der Strategieforschung zunehmend an Bedeutung gewonnen hat (vgl. Schwenk 1995). Wenngleich es eine Vielzahl von heterogenen Ansätzen unter dem Mantel der Kognitionsforschung gibt, so bildet doch die zentrale und einheitliche
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Annahme der kognitiven (Management-) Forschung, dass es Prozesse der Informationsverarbeitung sind, die festlegen, wie sich ein Individuum verhält. Die notwendigen Informationen als Input aus der Umwelt führen dabei nicht zu einer direkten Reaktion, sondern das Handeln eines Individuums wird durch die kognitiven Repräsentationen dieser Stimuli geleitet (vgl. Dill 1958). Während die rational-analytische Organisationstheorie weitgehend auf der Vorstellung einheitlicher Wahrnehmungs- und Denkmechanismen basiert, wird in der kognitiven Managementforschung davon ausgegangen, dass jeder individuelle Manager oder jede Organisation aufgrund von unterschiedlichen Interpretationsmechanismen unterschiedliche Wirklichkeitsbilder der Umwelt entwickelt. Insofern interessiert hier die Frage, wie Wahrnehmungen und Denkmechanismen bei Individuen oder in Organisationen ablaufen, die dann zu unterschiedlichen Modellierungen der organisatorischen Realität führen (vgl. Hodgkinson/ Sparrow 2002, S. 8 ff.). Das grundlegende Merkmal der kognitiven Strategieforschung ist in diesem Zusammenhang, dass unternehmerische und insbesondere strategische Prozesse dementsprechend als kognitive Prozesse gesehen werden: Die Entwicklung von (Unternehmens-) Strategien ist zuallererst ein mentaler Prozess. Um das Verhalten von Organisationen und deren Reaktionen auf ihre Umwelt zu verstehen, gilt es deshalb, die mentalen Modelle derjenigen zentralen Entscheider zu verstehen, die diese Umwelten interpretieren und begreifen müssen, um so letztlich kritische Entscheidungen zu treffen. Daher liegt das grundlegende Interesse der kognitiven Managementforschung allgemein in der Explikation der kognitiven Strukturen und kognitiven Prozesse organisationaler Akteure. Strategieforscher beschäftigen sich hierbei speziell mit der Frage, wie Manager Informationen wahrnehmen und verarbeiten, sowie insbesondere damit, warum bestimmten Informationen strategische Bedeutung zugeschrieben wird, aus denen sich dann strategische Handlungen ableiten lassen. Zwei zentrale Größen bilden dabei kognitive Strukturen und kognitive Prozesse. Kognitive Strukturen repräsentieren zunächst das Wissen von Individuen, sie können jedoch grundsätzlich auch auf Gruppen oder ganze Organisationen bezogen werden (vgl. Porac/Thomas 2002, S. 168 f.). Sie sind konzeptionell aufeinander bezogene Repräsentationen von Objekten, Personen, Handlungen oder Ereignissen. Kognitive Strukturen sind für den Vollzug höherer geistiger Tätigkeiten, wie Sprechen oder Verstehen, erforderlich. Im Kern bestehen sie zum einen aus Propositionswissen, wie beispielsweise Eindrücken oder Emotionen, und zum anderen aus Schematischem Wissen. Das Schema-Konzept stammt aus der kognitiven Psychologie und bezeichnet Wissensstrukturen, die typischerweise aus Erfahrungen abstrahiert werden. Sie beinhalten Merkmale
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ihrer Objekte z. B. in Form von Konzepten oder Bezugsrahmen. Im Zusammenhang mit Entscheidungsprozessen kann als eine wesentliche Funktion von kognitiven Strukturen die Organisation der Verteilung von Aufmerksamkeit auf bestimmte interne oder externe Stimuli gesehen werden. Aufgrund beschränkter Informationsverarbeitungsfähigkeit können Individuen nicht alle Stimuli verarbeiten. Kognitive Strukturen bzw. Schemata sind vereinfachte Abbilder der Realität. Individuen produzieren daher in der Konstruktion ihrer Wirklichkeit ein Komplexitätsgefälle zur „realen Welt“. Kognitive Strukturen simplifizieren jedoch nicht nur, sie füllen darüber hinaus auch Informationslücken auf der Grundlage vorliegender Erfahrungen und wirken dadurch handlungsermöglichend (vgl. Markus/Zajonc 1985, S. 143 f.). Konkret kommen kognitiven Strukturen damit drei wichtige Funktionen zu (vgl. Markus/Zajonc 1985, S. 150 ff.): (1) Sie steuern die Wahrnehmung insofern, als dass solche Informationen bevorzugt wahrgenommen werden, die in unmittelbarer Verbindung zu bereits bestehenden Wissensstrukturen stehen. Die Art und Struktur des vorhandenen Wissens strukturiert somit bereits in hohem Maße vor, welche Reize überhaupt wahrgenommen werden. Beispielsweise setzt die Wahrnehmung eines bestimmten Problems eine a priori-Vorstellung über mögliche Probleme voraus. Dies bedeutet, dass kognitive Strukturen einen unmittelbaren Einfluss auf kognitive Prozesse besitzen. Hierauf wird später zurück gekommen. (2) Informationen, die sich auf die vorliegenden kognitiven Strukturen beziehen bzw. mit ihnen in Verbindung stehen, werden bevorzugt und leichter gespeichert bzw. wieder abgerufen. (3) Kognitive Strukturen dienen als Bezugsrahmen zur Interpretation von Informationen. Sie beeinflussen kognitive Aktivitäten wie Erwartungsbildung oder Bewertung von Handlungsoptionen. Auf organisationaler Ebene entsprechen kognitive Strukturen dem organisationalem Wissen (vgl. Pautzke 1989; Al-Laham 2003). Kognitive Prozesse können durch eine Reihe von kognitiven Aktivitäten wie etwa das Denken, die Wahrnehmung, die Erwartungsbildung, die Entwicklung von Problemlösungsalternativen, deren Bewertung, die Unsicherheitshandhabung oder das Lernen beschrieben werden. Kognitive Prozesse können automatisiert ablaufen, wie etwa das Sprachverstehen. Sie können jedoch auch Aufmerksamkeit erfordern und kontrolliert ablaufen. Speziell letztere Aktivitäten individueller Kognition unterliegen spezifischen kognitiven Beschränkungen oder auch „Defekten“ (vgl. Barsalou 1992). Aufgrund dieser Beschränkungen, die im Kern begrenzte Rationalität implizieren (vgl. Simon 1976), weisen kognitive Ansätze darauf hin, dass Individuen versuchen, (ganz ähnlich einem „ökonomischen Prinzip“) ihren kognitiven Aufwand zu minimieren. Dieses äußert sich dann beispielsweise in folgenden Entscheidungsdefekten:
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•
nicht gegebener Problemdefinitionen,
•
selektive Wahrnehmung,
•
Existenz begrenzter Alternativen (Kriterium der Problemnähe),
•
Funktionsfixierung,
•
verzerrte Kausalattributionen,
•
sukzessive Bewertung von Problemlösungen (Konzept der Lösungshypothese),
•
Lösungsheuristiken,
•
satisfizierende und begrenzte Ziele oder
•
eskalierende Commitments (vgl. z. B. Wessells 1984, S. 356 ff.; Weber 1991, S. 39 ff.).
Auch auf organisationaler Ebene können kognitive Prozesse bzw. Defekte bestehen. Ganz allgemein ist das organisationale Lernen ein solches Beispiel. Auch hier können Defekte auftreten, z. B. wenn über vorhandene Informationssysteme nur ein bestimmter, auf derzeitige Aktivitäten fokussierter Bereich abgedeckt wird (Kriterium der Problemnähe). Kognitive Strukturen und Prozesse sind nicht unabhängig voneinander, sondern verweisen wechselseitig auf einander. Auf diese Beziehungen wird später zurück gekommen.
1.3 Gegenstandsbereiche der kognitiven Strategieforschung Wie bereits angedeutet sind kognitiv-interpretative Ansätze keineswegs ausschließlich in der Forschung zum strategischen Management zu finden. Die kognitive Strategieforschung ist vielmehr dem Bereich der Managementforschung zuzuordnen, welcher sich im größeren Rahmen der Erkenntnisse und Theorien der Kognitions- und Sozialpsychologie bedient und diese auf einen organisatorischen Kontext anwendet. Die große Heterogenität der einzelnen Strömungen, Inhalte und Forschungsmethoden erschwert somit eine Systematisierung der Arbeiten zur kognitiven Strategieforschung. Es hat zwar vereinzelte Versuche gegeben (vgl. hierzu z. B. Schneider/Angelmar 1993; Walsh 1995; Hodgkinson/Sparrow 2002; Rogers-Wynands 2002), in dem vorliegenden Untersuchungszusammenhang jedoch, dessen Fokus explizit auf der Betrachtung und Analyse der empirischen Arbeiten im Bereich der kognitiven Strategieforschung liegt, sind diese Ansätze allerdings nur als bedingt hilfreich anzusehen. Der folgende inhaltliche und forschungsmethodische Überblick über das Feld der
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kognitiven Strategieforschung basiert deshalb auf einer eigenen umfangreichen Literaturanalyse von insgesamt 112 empirischen Studien (vgl. Wrona/Breuer 2008c). Zu betonen ist an dieser Stelle jedoch, dass es sich hierbei keinesfalls um eine repräsentative Analyse aller Arbeiten in dem Gebiet handelt, welche den Kriterien einer systematischen Metaanalyse entspräche. Die zugrunde gelegten Studien wurden teilweise selektiv ausgewählt, umfassen aber unseres Wissens und unserer thematischen Erfahrung nach die wichtigsten Publikationen auf dem Gebiet.1 Wichtig vorab anzumerken ist des Weiteren, dass es innerhalb und zwischen den Systematisierungsdimensionen zum Teil Überschneidungen gibt, so dass eine eindeutige Zu- bzw. Einordnung einzelner Studien zu einer bestimmten Kategorie nicht immer möglich ist bzw. sinnvoll wäre. Im Sinne einer Art Schlaglicht vermag das hier vorgeschlagene Systematisierungsschema dennoch einen ersten Überblick über das Feld der empirischen Kognitionsforschung zu vermitteln (vgl. Abb. 3). 1. 2. Themengebiete
3.
• Strategie (Prozess, Ergebnis) • Strategischer Wandel (Lernen) • (strategische) Entscheidungsfindung • Kognitive Verzerrungen, Heuristiken, u. ä. • Strategische Kognitionen in TMTs • Scanning, Wahrnehmung, Interpretation • Strategische Gruppen
Datenerhebung • Interviews (unstrukturiert/offen, halbstrukturiert/offen, strukturiert/geschlossen) •Strukturierter Fragebogen • Szenariotechnik • Beobachtung (Feldnotizen) •Dokumente/Sekundärdaten •Repertory Grid •Visual card sorting • Kognitives Mapping Datenauswertung • Kognitives Mapping •Inhaltsanalyse (quantitativ, qualitativ) •Multidimensionale Skalierung •Grounded Theory
Abb. 3:
Methoden
4.
Analyseebene
Studienart
• Querschnittsstudie
Individuum (Manager)
• Längschnittstudie • Fallstudie(n) • Großzahlige Analysen
Gruppe (TMT)
• Experiment • (Business-) Simulationen
Organisation
• (Management-) Workshops
Branche
Dimensionen zur Systematisierung empirischer Studien in der kognitiven Strategieforschung
1 Zu den hierfür durchgesehen Quellen gehören neben den einschlägigen hochrangigen Journals, welche Publikationen im Bereich des Strategischen Managements veröffentlichen (wie Strategic Management Journal, Academy of Management Journal, Administrative Science Quarterly, Journal of Management, Journal of Management Studies, Organization Science, Organization Studies) auch diverse Sammelbände und Bücher, welche sich explizit mit dem Gebiet der kognitiven Managementund Organisationsforschung auseinandersetzen.
52
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(1) Analyseebene Eine erste, recht eingängige Hilfe zur Orientierung in der ‚Landschaft’ der kognitiven Strategieforschung ergibt sich, wenn man die Vielzahl der unterschiedlichen Arbeiten entsprechenden ihrer jeweils betrachteten Analyseebene systematisiert. Auch wenn die Debatte um den ‚Ort’ von Kognition weiter anhält (vgl. Lant 2002; Schneider/Angelmar 1993), so besteht generell Einigkeit darin, dass strategische Kognitionen auf verschiedenen Ebenen zu finden sind. Die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Kognition und Strategie findet dementsprechend auf unterschiedlichen Ebenen statt: Der Ebene des Individuums (d. h. zumeist dem Topmanager), der Gruppe (d. h. zumeist dem Top Management-Team, TMT), der Organisation, oder der Branche bzw. Gesamtheit von TMTs in einer Branche (sog. „kognitive Gemeinschaften“) (vgl. Porac/ Thomas 2002, S. 168 ff.). Die Dimension der Analyseebene liegt quasi zu allen folgenden Dimensionen quer, d. h. die verwendeten Methoden oder die studierten Inhalte können sich jeweils auf Individuen, auf Gruppen usw. beziehen.
(2) Themengebiete Betrachtet man in einem zweiten Schritt die inhaltliche Dimension, so zeigt sich hierbei deutlich die Vielzahl an Themen, welche aus einer kognitionstheoretischen Perspektive untersucht werden. Zentrale thematische Kategorien bilden z. B. der Strategieprozess im Allgemeinen, strategischer/organisationaler Wandel, Entscheidungsfindung, kognitive Verzerrungen und Heuristiken sowie Untersuchungen zu Wahrnehmungen und Interpretationen, z. B. von Wettbewerbern, strategischen Gruppen oder Branchestrukturen. Auch wenn die hier aufgeführten Themengebiete lediglich beispielhaft sind, so erlauben sie dennoch einen Einblick in die Komplexität des Feldes aber auch in die, im positiven Sinne, ‚Breite’ der (empirischen) Fragestellungen, für die die Einnahme der kognitiven Perspektive im Rahmen der Strategieforschung fruchtbar sein kann.
(3) Methoden Geht man nun im Anschluss an die inhaltliche Darstellung der kognitiven Strategieforschung über zur Betrachtung der methodischen Frage, so lässt sich zunächst feststellen, dass im Bereich der Thematisierung von Kognitionen auf der kollektiven bzw. organisatorischen Ebene eine deutlich größere Menge an Arbeiten zu finden ist, die sich primär konzeptionell/theoretisch mit dem
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Thema auseinandersetzt. Dies ist intuitiv verständlich, da bereits die empirische Erfassung von Kognitionen einzelner Individuen den Forscher vor nicht unerhebliche Probleme stellt. Die Frage, wie bzw. ob es überhaupt möglich ist, kollektive bzw. supra-individuelle Strukturen zu erforschen, gestaltet sich dementsprechend umso schwieriger. Trotz alledem gibt es auch hierzu empirische Beispiele, so dass der hier vorgelegte methodische Überblick ein breites Spektrum an unterschiedlichen Studien aus dem gesamten Feld der kognitiven Strategieforschung auf allen Ebenen und Themengebieten abdeckt. Allgemein ergibt sich eine erste Herausforderung für empirische Forschungen im Bereich der kognitiven Strategieforschung bereits daraus, dass der zentrale ‚Forschungsgegenstand’, d. h. kognitive Strukturen und Prozesse, per Definition von impliziter Natur ist. Zu konstatieren ist deshalb, dass die weiterhin stark explorative empirische Forschung in diesem Gebiet einen eigenen, von pragmatischen Überlegungen geprägten Weg geht, welcher durch fast das gesamte methodische Spektrum an Erhebungs- und Auswertungsmethoden geprägt ist. Es lassen sich hier vom Repertory Grid über Tiefeninterviews bis hin zum klassischen Fragebogen bzw. von Clusteranalyse über Multidimensionale Skalierung bis zur qualitativen oder quantitativen Inhaltsanalyse und sogar der Grounded Theory die unterschiedlichsten Methoden finden. Nicht ungewöhnlich ist auch die gleichzeitige oder konsekutive Verwendung verschiedener dieser Methoden innerhalb einer konkreten Untersuchung. Auch wenn insgesamt eine besonders häufig anzutreffende methodische Herangehensweise das sog. „kognitive Mapping“ ist (d. h. die Erstellung von kognitiven Landkarten in den verschiedensten Variationen), so gibt es dennoch keine Methode, die man als Standard in dem Gebiet bezeichnen könnte. Zu begründen ist dies sicherlich auch durch die oben skizzierte Themenvielfalt, die aus einer kognitiven Perspektive untersucht wird.
(4) Studienart In der Methodenforschung wird häufig davon ausgegangen, dass der Untersuchungsgegenstand maßgeblich die Wahl der Forschungsmethode bzw. die „Methodenkategorie“ beeinflusst (vgl. Wrona 2008). Auf den „ersten Blick“ mag man dabei vermuten, dass der Untersuchungsgegenstand ‚Kognitionen’ eine starke Indikation für qualitative Designs bildet, da individuelle oder kollektive Kognitionen ein Phänomen der Tiefenstruktur bilden und insofern nur auf der Basis des interpretativen Paradigmas (vgl. Wilson 1981) erschlossen bzw. rekonstruiert werden können. Andererseits „zwingt“ der Untersuchungsgegenstand dem Forscher nicht eine Methodenkategorie auf (vgl. Bryman 2007). Vielmehr kann es
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auch das Ziel einer empirischen Kognitionsforschung bilden, mit Hilfe quantitativer Methoden kognitive Repräsentationen der Realität von Probanden zu erfassen. Daher verwundert es auch nicht, dass die Art der empirischen Studien auch in unserer Analyse dementsprechend vielfältig ist. Deutlich in der Mehrheit sind hierbei großangelegte und damit zumeist quantitative Querschnittstudien (vgl. z. B. Fombrun/Shanley 1990; Calori et al. 1994; Waller et al. 1995; Iaquinto/ Friedrickson 1997). Daneben existiert jedoch auch eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Langzeitbetrachtungen, welche teils als quantitative teils als qualitative oder auch als sog. ‚Mixed Methods’-Studien zu charakterisieren sind (vgl. Haleblian/Finkelstein 1993; Barr/Huff 1997; Papadakis et al. 1998). Eine weitere Kategorie, die zwar teilweise, jedoch nicht immer, Überschneidungen zu der vorher genannten aufweist, stellt die Fallstudienforschung dar. Insbesondere im Bereich der Untersuchung von Kognition auf Organisationsebene finden sich einige tiefgehende und teils über viele Jahre angelegte Betrachtungen einzelner Organisationen oder Unternehmensteile. Neben diesen eher ‚gängigen’ Studienarten finden sich noch Experimente, Simulationen sowie Erhebungen bzw. Interventionen, die im Rahmen oder mit Hilfe von Management-Workshops durchgeführt wurden (vgl. z. B. Bukszar/Connolly 1988; Haley/Stumpf 1989; Bowman/ Johnson 1992; Langfield-Smith 1992). Obwohl es auch in diesem Zusammenhang somit nicht möglich ist, eine klare Zuordnung von bestimmten Methoden zu konkreten Forschungsfragen bzw. Studienarten zu machen, so ergibt sich trotzdem eine hilfreiche Orientierung, wenn man die in den Studien verwendeten Methoden danach ordnet, auf welche Analyseebene sich die empirische Betrachtung konzentriert: Geht es um die Erfassung und Analyse individueller Wissensstrukturen, Wahrnehmungen oder Interpretationen, so werden häufig Mappingmethoden verwendet. Der Begriff der kognitiven Map oder kognitiven Landkarte entstammt der Wahrnehmungsgeographie (vgl. Werlen 2004) und beschreibt subjektive, vereinfachte und verzerrte räumliche Vorstellungsbilder einer realen Welt (vgl. Weick/Bougon 1986; Eden 1992).2 Abb. 4 soll als ein Beispiel einer solchen Landkarte dienen und zeigt anschaulich, inwieweit solche Bilder (räumlich) verzerrt sein können.
2 Die ursprüngliche Verwendung von kognitiven Karten geht auf Axelrod zurück, der diese als erster als einen Ansatz zum Verstehen von Entscheidungsfindungen verwendete (vgl. Axelrod 1976).
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Abb. 4:
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Saul Steinbergs räumlich verzerrte Abbildung des Blicks auf Welt von der 9th Avenue (Quelle: ‚The New Yorker’, Cover der Ausgabe vom 29.03.76)
Die dieser Methode zugrunde liegende Idee basiert auf der aus der Kognitionspsychologie kommenden Annahme, dass Wissenserwerb oder das Verstehen komplexer Informationen als die Konstruktion mentaler Modelle aufzufassen ist. Ein mentales Modell integriert Vorwissen, Fakten und Zusammenhänge zu einem „Bild“, das mit einem Ausschnitt der realen oder denkbaren „Welt“ mehr oder weniger gut übereinstimmt. Mentale Modelle ermöglichen es dem Menschen, Zusammenhänge zu verstehen, Schlussfolgerungen zu ziehen, Vorhersagen, Planungen und Entscheidungen zu treffen und die Ausführungen von Handlungsplänen zu überwachen und nötigenfalls zu korrigieren (vgl. Webber et al. 2000). Kognitives Mapping ist nunmehr eine Methode der Veranschaulichung bzw. Visualisierung, mit der derartige mentale Modelle zumindest teilweise explizit und dadurch sowohl kommunizierbar gemacht werden können als auch einer Überprüfung und Verbesserung unterzogen werden können. Kognitive Karten sind dementsprechend Möglichkeiten zur graphischen Repräsentation der Sicht eines Individuums bezüglich eines bestimmten Themas (vgl. Schweizer 2004).
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Die entsprechenden empirischen Arbeiten lassen sich danach einteilen, ob sie derartige Wissensstrukturen über eher quantitativ oder qualitativ ausgerichtete Methoden erfassen und abbilden (vgl. Rogers-Wynands 2002). Als eher quantitativ orientiert sind solche Arbeiten zu bezeichnen, die individuelle Wissensstrukturen dadurch aufzudecken versuchen, indem sie - meist gestützt auf vorhergehende Literaturrecherchen - „Wissensdaten“ z. B. über einen standardisierten Fragebogen oder die Repertory Grid Technique erheben (vgl. EasterbySmith et al. 1996; Wright 2006) und mithilfe von Clusteranalysen, Multidimensionaler Skalierung oder Faktorenanalysen zu „Wissensstrukturen“ (in Form von kognitiven Landkarten) verdichten (vgl. Scheer 1993; Daniels et al. 1994). Dieser Kategorie zugehörig sind ebenfalls Arbeiten, die z. B. entweder über eine Dokumentenanalyse (Briefe des CEO an Aktionäre etc.) Kausal- und andere Beziehungen zwischen dort verwendeten Konzepten ermitteln, oder den Probanden gewisse, als relevant erachtete Konzepte vorgeben und Kausalbeziehungen zwischen diesen etablieren lassen („causal cognitive mapping“) (vgl. z. B. Reger/ Huff 1993; Daniels et al. 1994; Reger/Palmer 1996; Daniels et al. 2002; Spencer et al. 2003). Solche Kausalitätskarten werden häufig in der kognitiven Strategieforschung angewendet (vgl. Hodgkinson et al. 2004). Sie sind graphische Repräsentationen, die aus Knotenpunkten bestehen und aus Pfeilen, die diese Knoten verbinden. Die Knotenpunkte stellen die Konzepte dar, die die Person als wichtig erachtet, und die Pfeile zeigen die Relationen oder Beziehungen zwischen diesen Knoten (vgl. Laukkanen 1990). Abb. 5 zeigt ein Beispiel einer Kausalitätskarte. Strong branch network
Buying a network or starting from scratch costs a lot
+
Shareholder value
+
Push volume
+
Alliances, joint ventures, mergers + -
Protective regulations, requirements, eg. Switzerland, Germany
Success, profit Easy to enter the British market +
+
Building societies vulnerable
German banks can buy abroad +
Favorable tax rates in Germany
Abb. 5:
=
+
Knowledge of customers +
+
New technologies Favorable cost of debts in Germany
Beispiel einer Kausalitätskarte (Quelle: Calori et al. 1994, S. 447)
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Bei der vergleichsweise kleinen Zahl der als eher qualitativ zu bezeichnenden Individualstudien erfolgt die Erhebung bzw. Offenlegung von Wissensstrukturen zumeist in der Form freier mündlicher Befragungen. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass die Wissensstrukturen der Manager selbst und nicht die a priori-Vorstellungen des Forschers über diese erfasst werden. Bei der Erforschung von kollektiven Kognitionen auf der Branchenebene wird zumeist über die Erhebung von individuellen Kognitionen (beispielsweise des CEOs oder anderen einflussreichen Personen aus Organisationen einer bestimmten Branche) auf die jeweilig vorherrschenden ‚Branchenrezepte’, Wahrnehmung der Branchengrenzen oder Statusordnung geschlossen. Dementsprechend findet sich in diesem Zusammenhang, ähnlich wie auf der individuellen Ebene, des Öfteren die Anwendung von Mappingmethoden, insbesondere zur Erstellung von kognitiven Taxonomien (vgl. Abb. 6). Obwohl neben strukturierten Fragebögen somit teilweise auch un- oder halbstrukturierte Interviews oder Sekundärdokumente (z. B. Geschäftsberichte) zur Datenerhebung herangezogen werden, dominieren insgesamt auch hier trotzdem klar die quantitativen Methoden.
Retailer
Groceries
Bookstore
Oriental
Supermarket
Full Service
Abb. 6:
Warehouse
Restaurants
Convenience
No gas
Natural
Gas
Beispiel einer taxonomischen Wissensstruktur (Quelle: Porac/Thomas 1994, S. 57)
Wesentlich heterogener zeichnet sich das methodische und methodologische Bild, wenn das Ziel die Erfassung und das Verständnis von Kognitionen auf Organisationsebene ist. Grob gesehen lassen sich hierbei zwei methodische
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Thomas Wrona
Herangehensweisen unterscheiden. Die eine aggregiert lediglich die individuellen messbaren kognitiven Strukturen, Prozesse oder Stile. Die andere versucht, Variablen zu finden, welche die in einer Organisation existierenden kollektiven Kognitionen repräsentieren (vgl. Schneider/Angelmar 1993). Derartige Möglichkeiten bieten sich beispielsweise bei der Analyse der in einer Organisation verwendeten Kommunikationswege (top-down oder bottom-up), Kommunikationsformen (offen, verdeckt, hierarchisch etc.), der jeweiligen Identität oder der Kultur eines Unternehmens (vgl. Bougon/Weick/Binkhorst 1977; Bartunek 1984). Während erstere Herangehensweise sich entsprechend in überwiegend großzahligen, quantitativen Erhebungen und Analysen widerspiegelt, finden sich daneben auch Fallstudien und interpretative Ansätze im Bereich der Forschungen zur ‚Organizational Cognition’. In letzteren Fällen kombinieren Forscher häufig eine Vielzahl unterschiedlicher Erhebungsmethoden (z. B. un- bzw. halbstrukturierte Interviews, Beobachtungen, Feldnotizen), die sie dann entweder durch qualitative oder durch quantitative Inhaltsanalysen auswerten (vgl. Bougon et al. 1977; Dutton/Dukerich 1991; Fiol 1994; Gioia et al. 1994). Zusammenfassend betrachtet haben die obigen Ausführungen gezeigt, dass die kognitive Strategieforschung sowohl inhaltlich als auch methodisch als ein sehr vielfältiges und wenig kohärentes Feld zu bezeichnen ist. Wenn also eingangs die Strategieforschung insgesamt als Multiparadigmen-Forschung klassifiziert wurde, so zeigt sich dies noch einmal deutlicher in ihrer „Mikrostruktur“ einzelner theoretischer Zugänge wie hier am Beispiel der kognitiven Strategieforschung.
2
Aktuelle Entwicklungslinien der kognitiven Strategieforschung
Obgleich die kognitive Strategie- und Managementforschung auf eine Historie von über 30 Jahren zurückblicken kann, so bildet sie dennoch ein Feld, welches als vergleichsweise „neu“ zu bezeichnen ist. Als wichtige inhaltliche Themen wurden im ersten Kapitel beispielsweise strategische Entscheidungsprozesse und kognitive Verzerrungen, Kognitionen im Top Management-Team oder die Wahrnehmung und Abbildung von Branchenmerkmalen diskutiert. Es liegen inzwischen bereits auch eine Reihe von Überblicksartikeln und auch Monographien vor, die den jeweiligen State of the Art zusammenfassen und kritisch würdigen (vgl. Schwenk 1988; Walsh 1995; Hodgkinson 2001a; 2001b; Hodgkinson/ Sparrow 2002; Porac/Thomas 2002; Hodgkinson/Clarkson 2005; Huff 2005).
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Die aktuelle kognitive Strategieforschung zeichnet sich einerseits dadurch aus, dass sie methodisch anspruchsvoller wird. Nachdem zu Anfang häufig explorative Untersuchungen im Vordergrund standen, finden sich zunehmend explikative großzahlige Analysen wie auch anspruchsvolle Fallstudienforschungen (vgl. Hodgkinson 2001a, S. 434). Andererseits zeichnen sich verschiedene inhaltliche Entwicklungen ab. Von besonderer Relevanz erscheint hierbei die Rolle von Teams bzw. Gruppen im Rahmen der Strategiebildung zu sein. Ferner wird mit der Skizzierung der Neuroökonomie ein Forschungsfeld thematisiert, welches derzeit von der Strategieforschung noch nicht sichtbar beachtet wird, welches jedoch aufgrund des methodischen Zugangs zu kognitiven Strukturen interessante Einblicke erlaubt. Die hier zugrunde liegende „Labor-Perspektive“ wird abschließend mit Ansätzen konfrontiert, welche ein völlig anderes Bild von Kognitionen zeichnen.
2.1 Die Analyse von Gruppenkognitionen Strategische Prozesse in Unternehmen – speziell strategische Entscheidungs- bzw. Planungsprozesse – sind typischerweise kollektive Prozesse, d. h. es sind mehrere Aktoren beteiligt. Eine klassische Perspektive der strategischen Entscheidungsprozessforschung bildet die Sichtweise, dass strategische Entscheidungen von einer Kerngruppe getroffen werden. Hierbei handelt es sich typischerweise um den Top Manager bzw. das Top Management-Team. Daneben gibt es eine Reihe bedeutsamer Untersuchungen über die Rolle des mittleren Managements im strategischen Entscheidungsprozess (vgl. Guth/ MacMillan 1986; Wooldridge/Floyd 1990). Wenngleich das obere bzw. mittlere Management sicherlich die zentralen Aktoren in strategischen Prozessen bilden, so sind jedoch darüber hinaus weitere Aktoren (wie etwa Stabseinheiten, Kollegien, die unteren Führungsebenen, externe Berater oder Kapitalgeber) mehr oder weniger stark involviert. Dabei ist zu berücksichtigen, dass insbesondere in großen Unternehmen strategische Prozesse in der Regel einen mehrstufigen Charakter aufweisen und die einzelnen Aktoren in unterschiedlicher Weise eingebunden sein können. Beispielsweise können sie an Interaktions- bzw. Konsensbildungsprozessen mitwirken, an Autorisierungen teilnehmen, Manöver hervorbringen oder Implementierungen vollziehen. Die überwiegende Anzahl der kognitionsorientierten Strategieforschung hat sich bislang mit individuellen Kognitionen beschäftigt. Daneben besteht eine Forschungsperspektive, die die Rolle des Top Management-Teams bzw. der „upper echelons“ untersucht (vgl. Hambrick/Mason 1984; Finkelstein 1992). Eine Vielzahl von empirischen Studien hat in diesem Zusammenhang gezeigt,
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dass die Betrachtung von Gruppen bzw. Teams von Topmanagern oft bessere Erklärungen für Unternehmensaktivitäten zu liefern vermag, als der alleinige Fokus auf den einzelnen Manager (vgl. Hage/Dewar 1973; Tushmanet al. 1985). Während die Beschäftigung mit TMTs somit von hoher Relevanz und Interesse ist, liegt eine große Schwierigkeit für Untersuchungen in diesem Bereich darin, dass Forscher nur selten oder sehr begrenzt Zugang zu Gruppen derartiger hochrangiger Manager haben. Deshalb ist es nicht überraschend, dass in einem Großteil der Studien in diesem Bereich demographische Daten (wie z. B. Alter, Dienstzeit im Unternehmen, Ausbildung, Funktion) als eine Art Proxy für die mentalen Strukturen und Prozesse der jeweiligen Teammitglieder verwendet werden (vgl. z. B. Bantel/Jackson 1989; Wiersema/Bantel 1992; Hambrick et al. 1996). Allerdings haben sich aufgrund der zunehmend geäußerten Kritik an diesem Vorgehen in letzter Zeit verschiedene neuere Ansätze herausgebildet, von denen man sich eine Verbesserung der Forschungsleistungen erhofft. Ein derartiger Ansatz liegt in der direkten Messung bzw. Erhebung von Kognitionen auf der Ebene von TMTs. In der Mehrheit dieser Studien werden zu diesem Zweck großzahlige Fragebogenerhebungen und quantitative Analysen durchgeführt. Das Vorgehen erscheint dabei jedoch theoretisch bzw. methodisch zweifelhaft: Obwohl in derartigen Studien auf der Teamebene argumentiert wird, werden die zugrunde liegenden Daten jedoch meist auf individueller Basis erhoben und lediglich post hoc durch den Forscher zu einer gemeinsamen Sichtweise der Gruppe „aggregiert“. Um jedoch der für Strategieforscher zentralen Frage nachzugehen, wie bzw. unter welchen Bedingungen und ggf. mit Hilfe welcher (Prozess-) Interventionen sich geteiltes Wissen in Gruppen von Managern entwickelt, ist der Wert derartiger Methoden stark anzuzweifeln. Als eine qualitative Methode, die (im Sprachspiel der Methodenforschung) „gegenstandsangemessener“ ist und explizit die Interaktionsprozesse einschließt, erscheint das sog. „group causal mapping“ („Gruppenkausalitätsmapping“) geeigneter (vgl. hierzu ausführlich Wrona/Breuer 2008b). Zwar haben sich die meisten Ansätze bisher auf die Erstellung von individuellen Karten konzentriert, jedoch können kognitive bzw. Kausalitätskarten auch für die Repräsentation von Managementkognitionen auf der Gruppenebene verwendet werden (vgl. Axelrod 1976; Huff 1990; Bougon 1992; Eden/Ackermann 1998). Für die Erstellung von sog.n Gruppen- oder Kollektivkarten gibt es allgemein verschiedene Möglichkeiten: Häufig werden sie aus dem Durchschnitt individueller Karten oder ihrer Mischung „errechnet“ (vgl. Eden 1992). Daneben werden seit jüngerer Zeit Gruppenkausalitätskarten (GKK) erstellt, die sich integrativ und iterativ als Resultat von Gruppendiskussionen her-
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ausbilden. GKK eignen sich zur Beschreibung von Strategien als Handlungsorientierungen speziell deshalb sehr gut, da sie gegenüber Einzelmappings den Vorteil aufweisen, dass sie gruppendynamische Interaktionseffekte abbilden können (vgl. Ambrosini/Bowman 2001). Gruppen-Mapping funktioniert über einen regelgeleiteten Reflektionsprozess der eigenen und fremden Wissensstrukturen. Dabei kann unterschiedlich offen vorgegangen werden, d. h. der Forscher kann bereits erste inhaltliche Kategorien – etwa über Merkmale der grundlegenden strategischen Ausrichtung – vorgeben bzw. zur Diskussion stellen (vgl. Axelrod 1976; Walsh/Fahey 1988) oder aber durch offene Interviews durch die Teilnehmer selbst erzeugen lassen (vgl. Markoczy/Goldberg 1995). Aufgrund des vergleichsweise geringen Fremdeinflusses erscheint die Entwicklung der inhaltlichen Kategorien durch die Gruppe selbst als die am sinnvollsten. Diese Methodik bildet eine fruchtbare aber bislang in der Strategieforschung kaum genutzte Möglichkeit der Abbildung geteilter Wissensstrukturen. Abb. 7 beschreibt den Prozess der Erstellung einer Gruppenkausalitätskarte. In einem ersten Schritt werden in einer Gruppendiskussion die allgemeinen Assoziationen identifiziert und diskutiert, die die Teilnehmer mit einer möglichst offenen Eingangsfrage verbinden (vgl. zu Folgendem auch Tegarden/Sheetz 2003). Es folgt dann im zweiten Schritt eine Diskussion darüber, welche übergeordneten Bedeutungskategorien die einzelnen Konzepte überlagern und welche Bedeutung diesen Kategorien zukommt. Dies kann etwa so erfolgen, dass die Teilnehmer in einem iterativen Prozess zunächst ein individuelles Ranking erstellen und im Folgenden – und dies stellt die Kernaktivität dieses Schrittes dar – darüber diskutieren, welches die Gründe für die Abweichungen zwischen individuellen und durchschnittlichen Rankings sind. Diese Phase wird so lange fortgeführt, bis ein gewisses Maß an Übereinstimmung erfolgt ist. Im abschließenden Schritt werden dann zunächst individuelle kognitive Karten von allen Teilnehmern erstellt. Die Erstellung einer Gruppenkarte erfolgt abschließend über die Diskussion der einzelnen Karten und ihrer Konsensfähigkeit. Häufig startet dieser Prozess mit der Erstellung einer noch sehr groben Gruppenkarte, die nur die Elemente enthält, zwischen denen bei allen Beteiligten Konsens besteht, um dann schrittweise weitere Elemente zu integrieren. Die visualisierten Gruppenkarten fungieren dabei als eine Art ‚vorübergehendes’ Objekt, das den Dialog stimuliert (vgl. Eden/Ackermann 1998).
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Entwicklung/Erhebung von Konstrukten für die GKK
Durch: • Self-Q-Technik und/oder • Halbstrukturierte Interviews
Offene Eingangfrage Identifikation und Diskussion allgemeiner Assoziationen
Diskussion über übergeordnete Bedeutungskategorien Beispiel:
Beispiel: „Welche Faktoren beeinflussen die strategische Situation Ihres Unternehmens?“
Konzepte
Kategorie
• „kürzere PLZ“ • „schneller
• „techolo-
technologischer Fortschritt“
(Individuelles) Ranking der Kategorien & gemeinsame Diskussion darüber
• Beendigung wenn gewisses Maß an Übereinstimmung erreicht ist
Gruppenaktivität/ Interaktion
Abb. 7:
gischer Wandel“
Diskussion der individuellen Karten & gemeinsame Entwicklung der GKK
Erstellung individueller kognitiver Karten
• W-Fragen o. a. zur Aufrechterhaltung der Diskussion • Kriterium der „theoretischen Sättigung“
Einzelaktivität/ keine Gruppeninteraktion
Interaktiver Prozess der Erstellung einer Gruppenkausalitätskarte
2.2 Neuroökonomie In jüngerer Zeit erfährt die Analyse bestimmter kognitiver Prozesse mit neurowissenschaftlichen Methoden ein stark gestiegenes Interesse, speziell im Rahmen der Marketing- bzw. Werbewirkungsforschung (vgl. Fehr 2002; Glimcher 2003; Fehr/Camerer 2007; Schilke/Reimann 2007). Unter dem Begriff der Neuroökonomie versteht man interdisziplinäre Forschungsansätze, die die Disziplinen der Neurologie und der Ökonomie verbinden (vgl. Camerer et al. 2005). Als Grundlage werden häufig die Pionierarbeiten von Tversky und Kahneman bzw. die damit begründeten Behavioral Economics betrachtet (vgl. Tversky/Kahneman 1974). Untersuchungsgegenstand der Neuroökonomie bildet die Analyse ökonomischen Verhaltens mittels neurowissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden, z. B. im Rahmen von Hirnstrommessungen: Mittels Elektroencephalographie (EEG) wird die elektrische Aktivität einzelner Nervenzellen bei bestimmten kognitiven Aktivitäten gemessen und gespeichert (vgl. Camerer et al. 2005, S. 12 ff.).
Kognitive Strategieforschung – State of the Art und aktuelle Entwicklungen
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Neben Hirnstrommessungen werden darüber hinaus insbesondere sog. bildgebende Verfahren wie die funktionelle Magnetresonaztomographie (fMRT/ fMRI) eingesetzt. Solche bildgebende Verfahren nutzen bestimmte Eigenschaften von Blutkörperchen im neuronalen Gewebe, um dessen Struktur und die in ihm ablaufenden Prozesse bildlich darzustellen (vgl. Kenning/Plassmann 2005, S. 343 f.). So wird beispielsweise untersucht, welche mathematischen Muster bei Probanden entstehen, die – in einem Kernspin liegend – an ein Werkzeug oder an ein Haus denken. Jüngeren Erkenntnissen zufolge ähneln sich die resultierenden Datensätze zwischen den einzelnen Probanden häufig stark, d. h. es werden offensichtlich ähnliche Nervenzellen aktiviert, wenn zwei Personen an einen Hammer denken (vgl. Shinkareva et al. 2008). Es gibt also Hinweise darauf, dass in Gehirnen Bilder von Gegenständen sehr ähnlich verarbeitet werden. In der gleichen Versuchsreihe konnten darüber hinaus auf der Grundlage der gemessenen Hirnaktivitäten mit einer hohen Verlässlichkeit Vorhersagen über die Gegenstände gemacht werden, die diesen Aktivierungsmustern entsprechen. Ein weiterer wesentlicher Befund ist, dass kognitive Aktivitäten, wie z. B. die Erkennung bestimmter Eigenschaften von Objekten, sich stufenweise vollziehen und dass dabei sehr unterschiedliche Hirnregionen beteiligt sind. Kognitive Repräsentationen von Objekten vollziehen sich daher nicht an einer Stelle des Gehirns, sondern sind örtlich verteilt.3 Die Forschungsdesigns der neurowissenschaftlichen Forschungen sind derzeit zwar noch in Bezug auf ihre Fragestellungen relativ einfach und in Bezug auf ihre Befunde eher bescheiden, jedoch zeichnet sich schon jetzt ab, dass die Entwicklung schnell voranschreiten wird. Schwerpunkte neuroökonomischer Forschungsexperimente, die derzeit stark durch die Marketingforschung betrieben wird, bilden u. a. die Analyse von Präferenzstrukturen in Kaufprozessen, die Messung von wahrgenommenem (Produkt-) Nutzen im Kontext von Werbebotschaften oder die Entwicklung einer neurologisch fundierten Theorie ökonomischen Entscheidungsverhaltens (vgl. Kenning/Plassmann 2005, S. 346 ff.; Möll 2007, S. 97).4 Die (kognitive) Strategieforschung hat sich bislang noch nicht dem Gebiet der Neuroökonomie geöffnet. Anknüpfungspunkte sind jedoch offensichtlich. Dabei kann die strategische Managementforschung zum einen „passiv“ von der neurowissenschaftlichen Forschung profitieren, da diese u. a. auf die Analyse 3 In der oben genannten Studie sind beispielsweise 25 Hirnregionen an der Erkennung der Objekte gleichzeitig beteiligt (vgl. Shinkareva et al. 2008, S. 6 f.). 4 In diesem Zusammenhang findet sich auch die Hypothese um die Existenz eines spezifischen Kaufentscheidungsmechanismus’ („neuronaler Buy-Button“), die jedoch als widerlegt gilt (vgl. Kenning 2007, S. 25 f.).
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von Entscheidungsprozessen gerichtet ist (vgl. Sanfey et al. 2006; Bogacz 2007). Aber auch durch die Managementforschung adaptierte Theorien, wie etwa die Hemisphärentheorie (vgl. Sperry 1961; Mintzberg 1976; 1991, S. 73) und die funktionale Spezialisierung der Gehirnhälften, kann auf der Grundlage der vorliegenden neurowissenschaftlichen Befunde einer „distributed representation“ (vgl. Shinkareva et al. 2008, S. 7) hinterfragt werden. Zum anderen kann die strategische Managementforschung durchaus von eigenständigen neurowissenschaftlichen Forschungen profitieren. So könnten die bei der Abbildung kognitiver Konstrukte häufig verwendeten indirekten Mapping- oder Grid-Verfahren durch den Einsatz bildgebender Verfahren ersetzt bzw. ergänzt werden. Wahrnehmungsunterschiede oder -gemeinsamkeiten von Wettbewerbern wären somit „direkt“ über MRT darstellbar. Ein weiteres Anwendungsgebiet bildet die strategische Entscheidungsprozessforschung. Neurowissenschaftliche Forschungen könnten u. a. im Rahmen des Prozesses der Informationsgewinnung und -verarbeitung interessante Befunde liefern. Eine Vielzahl von seit langem diskutierten Detailfragen im Zusammenhang mit den Aktivitäten einer strategischen Wahlhandlung könnten methodisch neu untersucht werden, wie z. B. der Prozess der strategischen Problemerkennung bzw. der Kategorisierung (vgl. Cowan 1986), der Rolle von Emotionen (vgl. Elster 1998; Sparrow 2000), der Bewertung strategischer Optionen und das Eingehen eines Commitments (vgl. Bamberger 1989). Dabei könnte auf allgemeine Befunde von Auswahlentscheidungen zurückgegriffen werden (vgl. Sloman/ Hagmayer 2006). Weiter kann man eine Wiederbelebung der Frage nach den kognitiven Besonderheiten von Entrepreneuren erwarten, die bislang kaum über die Thematisierung bestimmter „kognitiver Defekte“ hinaus gekommen ist (vgl. Wrona/Klingenfeld 2007). Es scheint evident, dass sich leicht weitere Anwendungsgebiete über die internationale Dimension erschließen lassen. Hierbei ist nicht allein das Thema „International Entrepreneurship“ angesprochen, welches sich mit den Bedingungen einer frühen Internationalisierung von Unternehmen (und der Rolle bestimmter kognitiver Strukturen hierfür) auseinandersetzt (vgl. Wrona/Breuer 2008a), sondern gleichzeitig der gesamte Bereich der interkulturellen Vergleichsforschung (vgl. Keller 1989; Kutschker 2004). Bei all diesen Aufzählungen ist zu beachten, dass sie häufig recht komplexe experimentelle Untersuchungsdesigns erfordern, die sich derzeit wahrscheinlich nur schwer realisieren lassen. Die Erfassung bzw. Abbildung einfacher Gegenstände ist ein Problem anderer Komplexitätsstufe als die eines Wettbewerbers. Allerdings lässt die weitere Steigerung der Rechnerleistung auch die Erkennung komplexerer kognitiver Muster erwarten. In diesem Abschnitt sollten wichtige Grundlagen neuroökonomischer Forschungen und ihre möglichen
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Anwendungsfelder in der Strategieforschung skizziert werden. Auf hiermit verbundene Probleme, wie z. B. die Frage, ob neurowissenschaftliche Forschungen tatsächlich Mappingmethoden überlegen sind oder ihre ethische Rechtfertigung, sollte dagegen an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Ein sehr grundlegender Kritikpunkt mag indes in dem doch „quasimechanistischen“ Design dieser Forschungsrichtung gesehen werden. Es kann zumindest bezweifelt werden, ob individuelle Kognition tatsächlich in solchen Laborsituationen messbar ist. Ein Ansatz, der hier eine dezidiert andere Perspektive einnimmt und auch in der Managementforschung beginnt berücksichtigt zu werden, ist der der ‚situated cognition’. Auf ihn soll nun abschließend eingegangen werden.
2.3 Die Interaktion von Kognition und Kontext: Situated cognition Kognition wird in der traditionellen Kognitionswissenschaft als ein individueller Informationsverarbeitungsprozess betrachtet, der grundsätzlich kontextunabhängig ist. „Kontextunabhängig“ bedeutet dabei, dass Kognitionen individualistisch, allgemeingültig, abstrakt, symbolisch, explizit sind und im Gehirn als Mediator zwischen sensorischen Inputs und Handlungsoutputs dienen (vgl. Solomon 2007, S. 413). Unter dem Begriff der „situated cognition“ werden demgegenüber eine Reihe von theoretischen Positionen vereint, die durch die Annahme gekennzeichnet sind, dass Kognitionen untrennbar mit dem sozialen und kulturellen Kontext verbunden sind, in dem sie entstehen (vgl. Kirshner/ Whitson 1997, S. 1 ff.; Lant 2002, S. 344; Cobb 2004, S. 14126). „Kontext“ wird hierbei sehr weit definiert und umschließt beispielsweise soziale und politische Umwelten, den historischen Kontext eines Individuums oder ‚Tools’ (vgl. Solomon 2007, S. 415 ff.). Im Rahmen der Managementforschung ist speziell der organisationale Kontext zu ergänzen, der im weitesten Sinne durch die Managementsysteme sowie die Organisationskultur abgebildet werden kann. Der Kontext ist dabei nicht eine passive Quelle von Inputs, sondern ist interaktiv und gleichzeitig beeinflusst durch die Handlungen der Individuen (vgl. Smith/Semin 2004, S. 77). Dies bedeutet, dass Individuen einerseits in ihren Kognitionen durch den Kontext beeinflusst sind, aber sich auch gleichzeitig auf diesen Kontext in ihren Kognitionen und Handlungen stützen, indem sie Elemente dieses Kontextes nutzen. Kognitive Aktivitäten finden daher nicht allein im Rahmen eines gewissen Kontextes statt, sondern mit Elementen dieses Kontextes. Aber nicht nur kognitive Aktivitäten sind ‚kontextbezogen’, sondern auch kognitive Strukturen, da sich Wissen in bestimmten Elementen des Kontextes
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manifestiert. „Benutzerfreundliche“ technische Gegenstände beispielsweise zeichnen sich dadurch aus, dass die Information über ihre Nutzung auf dem ersten Blick offensichtlich ist. Ein Großteil der benötigen Information zur Benutzung des Gegenstands befindet sich damit im Gegenstand und nicht im Kopf (vgl. Norman 1988, S. xiii). Diese Perspektive schließt dabei nicht aus, dass zusätzlich auf Wissen einer höheren Abstraktionsstufe zurückgegriffen wird. Die Sichtweise, dass Wissen sich auch Individuen unabhängig manifestieren kann, ist nicht neu und findet sich in verschiedenen Arbeiten zum organisationalen Lernen. Organisationales Wissen schlägt sich beispielsweise in Zielen, Strategien, Managementsystemen, Routinen oder Methoden nieder, da in diesen Elementen Wissen über Fakten, Begriffe, Werte oder zielführende und als wünschenswert erachtete Maßnahmen enthalten ist (vgl. Nelson/Winter 1982; Levitt/March 1988; Pautzke 1989; Wiegand 1996). In Unternehmen vollziehen sich beispielsweise Interpretationsleistungen von Individuen im Rahmen einer gewissen Unternehmenskultur – sie sind also durch diese beeinflusst; gleichzeitig finden solche Interpretationen auch mit Elementen der Unternehmenskultur statt, da sich in ihr Wissen über relevante Werte des Unternehmens manifestiert und auf dieses organisationale Wissen für individuelle Kognitionen Bezug genommen wird (siehe auch Abb. 8).
Kognitive Strukturen
manifestieren sich in
beeinflusst
wirken zurück auf und verändern
beeinflussen situativ
Kognitive Prozesse
nutzen Elemente von
Kontext
Abb. 8:
Kognition und Kontext
Die Rolle des Kontextes wird im Rahmen einer Reihe von Untersuchungen über den Vergleich von mathematischem Denken in schulischen und außerschulischen Kontexten wie z. B. Einkäufen im Supermarkt offensichtlich (vgl. Agre
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1997). Diese Studien dokumentieren signifikante Unterschiede in der Art des mathematischen Denkens im Kontext der herrschenden Praktiken – das „Lernen von Mathematik“ auf der einen Seite und die Anwendung von Mathematik im Alltag des Einkaufens. Die Befunde zeigen eindrucksvoll, dass selbst vordergründig als allgemeingültig und von kulturellen Rahmenbedingungen unabhängig geltende Kognitionen wie das mathematische Denken offenbar dennoch kontextspezifisch sind (vgl. Cobb 2004, S. 14127). Die Rolle des Kontextes zeigt sich jedoch auch in organisationalen Handlungssituationen. Abb. 9 verdeutlicht die wechselseitigen Beziehungen zwischen Wissensstrukturen (hier: Schemata) und organisationalen Kontexten und ihren Einfluss auf kognitive Prozesse bzw. situative Kognitionen (vgl. Elsbach et al. 2005, S. 425 ff.). Es ist dabei anzunehmen, dass fundamentale kognitive Aktivitäten wie z. B. die strategische Problemerkennung oder die Bewertung von strategischen Alternativen in enger Interaktion mit dem jeweiligen organisationalen Kontext stehen, d. h. sie sind durch diesen beeinflusst und wirken auf ihn zurück. So beschreiben Elsbach et al. z. B. die unterschiedliche Bewertung der Eignung von internetbasierten Kommunikationsmedien zwischen räumlich verteilten Teams, die auf unterschiedlichen räumlichen Gegebenheiten zurückgeführt werden können oder die unterschiedliche Problemwahrnehmung bei einem Prototyp eines neuen Produktes durch die Entwickler und die Nutzer in unterschiedlichen Kontexten (vgl. Elsbach et al. 2005, S. 426 f.). Die zentrale These der Rolle des Kontextes in Ansätzen der ‚situated cognition’ wird besonders deutlich, wenn man diese mit den Ansätzen der ‚social cognition’ vergleicht. Der Begriff der sozialen Kognition beinhaltet sämtliche Kognitionen, die andere Personen mit umfassen (vgl. ähnlich Augoustinos et al. 2006, S. 16 ff.). Solche Prozesse können soziale Interaktionsprozesse sein, die auf einer Gruppenebene, in einer Zwei-Personen-Interaktion entweder face-toface oder auch räumlich entkoppelt ablaufen. Soziale Kognitionen beinhalten das Involvement mindestens einer weiteren Person. Sie können dann zu einem gewissen Teil überlappend (‚shared’) sein oder auch in diesem Prozess geteilt (‚collective’) werden. Wichtig dabei ist jedoch, dass ein Interaktionszusammenhang besteht. ‚Situated cognition’ dagegen verweist auf die Bedeutung des Kontextes, auch wenn keine weitere Person zugegen ist. Die Ansätze der ‚situated cognition’ formulieren eine Gegenposition zu der häufig anzutreffenden Sichtweise, dass Individuen Wissen bzw. eine Entscheidungsregel (kognitives Schema) über verschiedene Situationen hinweg anwenden können (sollen), um rationale Entscheidungen zu treffen. Die hier vertretene Sichtweise ist jedoch, dass solche Entscheidungsprozesse das Resultat von Interaktionen zwischen unterschiedlichen Entscheidungsschemata und der Entschei-
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dungssituation sind. Daher kommt es einerseits zu „unerwarteter“ Anwendung von Entscheidungsregeln und andererseits zu nicht beabsichtigten Folgen der Anwendung eines Schemas. Interaction of Cognition and Context Existing Schemas Event Schemas: understanding about how a process is likely to unfold
Momentary Situated Cognitions
Self-Schemas: perceptions of personal and social identities
Option Attractiveness: the desirability of a given choice
Rule Schemas: understanding about how key variables are related
Organizational Contexts
Cognitive Processes of Sensemaking
Distinctiveness Self-Perceptions: perceptions of one’s expertise, skills, traits, abilities
Institutional/Cultural Context: the nature of salient, normative pressures
Problem Understanding: cause and effect perceptions, focus of attention, key variables
Artifact Context: the nature of relevant and salient artifacts and dress
Collectivist Mindset: openness to thinking as collective vs. individual
Physical Context: the set-up of equipment/furniture, geographic locale Socio-Dynamic Context: the nature of group interaction including the characteristics of group members and the specific processes of interaction
Abb. 9:
Bezugsrahmen über ‚situated cognitions’ in Organisationen (Quelle: i. A. a. Elsbach et al. 2005, S. 425)
Die kognitive Strategieforschung hat sich bislang kaum mit dem Bezugsrahmen der ‚situated cognition’ auseinander gesetzt. Greift man die zentrale These der Kontextualität von Wissen auf, so hat dies zunächst eine forschungsmethodische Implikation: Sofern die Erfassung von Wissensstrukturen theoriegemäß nicht kontextfrei möglich ist, sind großzahlige explikative Studien, wie sie etwa Hodgkinson (2001a, S. 434) fordert, nicht gegenstandsangemessen. Es spricht dann vieles dafür, dass man relevante Kontextvariablen nicht ex ante spezifizieren und kontrollieren kann. Vielmehr erscheinen hier qualitative Forschungsdesigns geeigneter, die auf der Grundlage idiografischer (d. h. das Einmalige beschreibender) Methoden den Untersuchungsgegenstand in seiner gesamten Vielfalt erfassen und insbesondere auch die Beziehungen von Merk-
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malen des untersuchten Gegenstands untereinander und zu seinem Kontext berücksichtigen (vgl. Flick et al. 2003, S. 14). Der Einbettungscharakter von Kognitionen lässt die Annahme fraglich erscheinen, dass Wissen (nur) in den Köpfen von Individuen oder auch Organisationen gespeichert ist. Vielmehr ist es wohl teilweise untrennbar mit dem Kontext verbunden. Aber auch die Frage der Veränderung von kognitiven Strukturen (Lernen) ist stark kontextbeeinflusst. Die These, dass Organisationen durch ihre Mitglieder lernen, ist im Lichte der ‚situated cognition’ somit zu relativieren. In der erziehungswissenschaftlichen Forschung wird in jüngeren Arbeiten daher der Rolle des Kontextes für das Lernen beachtliche Aufmerksamkeit geschenkt (vgl. Schulmeister 2007, S. 70 ff.). Für die Strategieforschung wird es daher in Analogie hierzu eine zentrale Fragestellung sein, die Rolle des Kontextes für das Teilen kognitiver Strukturen näher zu untersuchen.
3
Kognitive Prozesse und Strukturen und Strategiebildung – ein Bezugsrahmen
Vorangehend wurde gezeigt, dass die kognitive Perspektive eine wichtige Perspektive im Rahmen der Strategieforschung bildet. Gleichzeitig ist nach wie vor ein erhebliches Defizit innerhalb der kognitiven Strategieforschung festzustellen: Während auf den einzelnen Ebenen „Individuum“, „Gruppe“ oder „Branche“, wie eingangs beschrieben, durchaus eine beachtliche Reihe von Untersuchungen vorliegen, so stellt man ebenenübergreifend Forschungsdefizite fest. So ist nicht hinreichend untersucht, ob und ggf. worin sich individuelle von kollektiven Kognitionen unterscheiden oder welche Beziehungen sie zueinander aufweisen. Im Folgenden soll ein solcher ebenenübergreifender Bezugsrahmen vorgestellt werden. Hierbei wird Bezug genommen auf die bereits beschriebenen Strategiedifferenzierungen (Individualstrategien, Strategien für bzw. des Unternehmens) und ihre Beziehungen zu Wissensstrukturen. Diese Beziehungen sind wechselseitig und vollziehen sich auf unterschiedlichen Ebenen, was das Bild zwar recht komplex erscheinen lässt, jedoch interessante Einsichten hervor bringt. Vorangehend wurde bereits kurz erwähnt, dass die Trennung von kognitiven Strukturen und kognitiven Prozessen allenfalls aus didaktischen Gründen möglich und sinnvoll ist. Tatsächlich sind sie rekursiv verbunden: In kognitiven Prozessen nehmen Individuen Bezug auf vorhandene kognitive Strukturen, beispielsweise erfolgt die Entwicklung von Problemlösungsalternativen auf der
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Grundlage vorhandener Wissensstrukturen wie etwa bewährter Konzepte. Gleichzeitig resultieren diese Strukturen aus den kognitiven Prozessen, etwa dadurch, dass die Erfahrungen über den Erfolg eines Konzeptes unter neuen Anwendungsbedingungen als Erinnerungsspur im Wissen der Aktoren gespeichert wird (vgl. hierzu nochmals Abb. 8). In Bezug auf Strategiebildungsprozesse kann nun aus kognitiver Perspektive angenommen werden, dass Individualstrategien das Ergebnis und der Gegenstand kognitiver Prozesse bzw. Strukturen sind. Ein Manager interpretiert den Ongoing Process des organisatorischen Geschehens und kommt zu seiner persönlichen Einschätzung über die vom Unternehmen zu verfolgende Strategie (Individualstrategie). Hierbei spielen Prozesse der individuellen und damit subjektiven Wahrnehmung, Erwartungsbildung und Lösungsformulierung in Form der Individualstrategie eine zentrale Rolle. Sie unterliegen den beschriebenen Defekten und werden wiederum durch verschiedene Elemente der individuellen kognitiven Struktur beeinflusst, wie z. B. vorgängige Individualstrategien oder Strategien des Unternehmens, Strategien von Wettbewerbern oder Annahmen über sozial erwünschtes Verhalten. Diese Interpretation und Strategiebildung auf individueller Ebene nimmt somit Bezug auf bestimmte Kontextelemente und ist durch diese mit beeinflusst. So kann vermutet werden, dass etwa die historische Entwicklung des Unternehmens bzw. des Individuums oder Merkmale der Landeskultur einen Einfluss auf die Interpretationsaktivitäten und die Strategiebildung besitzen. Wie oben bereits beschrieben, liegen somit Interpretationen der Strategien durch die Individuen vor, die sich von den Intentionen ihrer Entwickler unterscheiden können (vgl. Bamberger/Wrona 2004, S. 366 f.). Ähnliches kann man für kollektive kognitive Strukturen annehmen. Ob die Individualstrategien als Forderungen an das politische System weitergeleitet (und damit zu Strategien für die Organisation) werden, ist ebenfalls wiederum eine Frage der individuellen Kognition. So kann die Auswahl bestimmter Individualstrategien, die zu Forderungen werden, als eine Art „Kategorisierung“ (vgl. Cowan 1986, S. 764 ff.) beschrieben werden. Es werden z. B. insbesondere für (aus der individuellen Perspektive) dringende Probleme Individualstrategien zur Lösung an die Kernorgane weitergegeben. Was dabei als besonders dringlich angesehen wird und die Aufmerksamkeit der Kernorgane erreicht, ist wiederum eine Funktion der kognitiven Struktur und ihrer „Beschränkungen“.5 Darüber hinaus unterliegen die Interpretationen nicht nur „verdeckten Beschränkungen“ durch die kognitiven Strukturen, sondern sind – 5 Natürlich existieren in Unternehmen mit einer zunehmenden Professionalisierung auch institutionalisierte Mechanismen der „überindividuellen“ Problemerkennung und -weiterleitung, z. B. in Form von Planungssystemen oder modernen Managementinformationssystemen.
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darauf verweisen politische Ansätze – auch interessen- bzw. machtgeleitet.6 Ob aus den Strategien für die Organisation dann eine gemeinsame Handlungsorientierung, also eine Strategie der Organisation wird, hängt letztlich von sozialen Interaktionsprozessen ab, in denen über diese Strategien für die Organisation und den Ongoing Process reflektiert wird. Solche sozialen Interaktionsprozesse sind im Kern Kommunikationsprozesse. Über die individuelle Wahrnehmung und Interpretation von Ereignissen, Handlungsbedingungen oder -ergebnissen wird diskutiert, sie können zum Gegenstand von Konflikten, Verhandlungen, Koalitionsbildungen, Lösungsversuchen und schließlich Übereinkünften werden. Innerhalb von Organisationen können drei wichtige solcher Kommunikationsprozesse identifiziert werden, aus denen geteilte strategische Handlungsorientierungen entstehen können:
Geteilte Handlungsorientierungen als Ergebnis von Entscheidungsprozessen Eine erste Perspektive bildet, dass auf der Grundlage der Strategien für die Organisation ein politischer Prozess bzw. ein strategischer Entscheidungsprozess initiiert wird. Innerhalb dieses Prozesses diskutieren die beteiligten Aktoren über ihre Problemwahrnehmung und ihre individuellen Lösungsvorschläge in Form ihrer Individualstrategien. Das Teilen kognitiver Strukturen kann dabei auf der Grundlage von Aushandlungsprozessen entstehen, die das Ergebnis möglicherweise intensiver wechselseitiger Diskussionen bilden. Andererseits wird ein Teilen von kognitiven Strukturen innerhalb strategischer Entscheidungsprozesse ferner dadurch entstehen, dass solche Prozesse einen hohen Grad an methodischer Unterstützung aufweisen. Die Ausführung strategischer Analysen und die dort verwendeten Methoden können hier die Funktion erfüllen, „Interpretationsangebote“ auf der Basis rationaler Annahmen und bereits vorgängig geteilter Logik zu produzieren. Wird im Rahmen einer strategischen Branchenanalyse das Framework von Porter zugrunde gelegt, so besteht ein vorgängiges Commitment der Beteiligten über die grundsätzliche Relevanz der fünf Treiber der Branchenattraktivität. Ergebnisse solcher Analysen haben daher eine höhere Wahrscheinlichkeit, akzeptiert – geteilt – zu werden, als Analysen, die auf individuellen, nicht methodisch geleiteten Einschätzungen basieren. Die Prozessstandardisierung und die eingesetzten Methoden erfüllen hierbei nicht nur die Funktion einer Professionalisierung des Prozesses, sondern in dem hier betrachteten Zusammenhang auch einer Legitimation von Interpretationen und einer Arena zum Teilen von Kognitionen. 6
Siehe Bamberger (1982, S. 55 ff.) bzw. auch den Beitrag von Al-Ani in diesem Band.
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Geteilte Handlungsorientierungen als Ergebnis von sonstigen Reflexionsprozessen Eingangs wurde bereits darauf verwiesen, dass die Existenz formaler Entscheidungsprozesse innerhalb von Organisationen nicht selbstverständlich ist und vielmehr selbst einen erklärungsbedürftigen Tatbestand bildet. Strategien der Organisation können sich vielmehr auch außerhalb formaler Entscheidungsprozesse herausbilden. Dies kann dann geschehen, wenn die beteiligten Aktoren über den Ongoing Process, das laufende organisatorische Geschehen, reflektieren. Die in diesem Untersuchungszusammenhang interessierenden Reflexionsprozesse beziehen sich daher auf nicht beiläufige Diskussionen und Kommunikationen über den Ongoing Process, die sich außerhalb formaler Entscheidungsprozesse vollziehen. Kirsch spricht in diesem Zusammenhang von „handlungsentlastenden Interaktionszusammenhängen“ wie etwa „Kamingespräche“, Diskussionen im Rahmen von Betriebsfeiern, Sportveranstaltungen oder ähnlichem mehr. Solche Kommunikationssituationen, in denen speziell der Beziehungsaspekt betont wird (vgl. Watzlawick et al. 1969, S. 56; Schulz von Thun 1981, S. 14 f.), zeichnen sich dadurch aus, dass ihnen keine Notwendigkeit zur Handlung, Entscheidung oder auch nur zu einem Commitment innewohnt. Sie können daher als ein besonders fruchtbarer Nährboden dafür gesehen werden, dass sich Sichtweisen und Interpretationen von Individuen vergleichsweise offen gegenüber stehen und Verweigerungs- und Abwehrhaltungen daher nicht erforderlich sind. Wenn kein Handlungserfordernis gegeben ist, fällt es deutlich leichter, sich auf andere Sichtweisen „risikolos“ und weniger verzerrt einzulassen (vgl. ähnlich Forgas 1999, S. 20 ff.).
Geteilte Handlungsorientierungen als Ergebnis von Prozessen der Agendabildung Schließlich können Prozesse der Agendabildung als eine Verbindung zwischen den beiden zuvor beschriebenen Perspektiven des Teiles von kognitiven Strukturen (Entscheidungsprozess vs. Reflexionsprozess) bilden. Dieser Perspektive liegt die Annahme zugrunde, dass (strategische) Probleme nicht a priori gegeben sind. Von einer Vielzahl potenzieller strategischer Probleme gelangen nur einige auf die „Agenda“ der Entscheidungsträger. Welchen solcher Themen kollektive Aufmerksamkeit zuteil wird und Bedeutung erlangen, untersucht die Agendaforschung (vgl. Dutton 1988, 1997). Eine Möglichkeit ist, dass in Unternehmen Mechanismen und Institutionen entwickelt werden, die helfen strategisch bedeutsame Themen zu identifizieren, z. B. im Rahmen der strategischen
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Planung über die verschiedenen strategischen Analysen.7 Häufig werden relevante Themen jedoch nicht systematisch in Entscheidungsprozesse eingebracht, sondern entstehen zufällig oder beiläufig im Rahmen des Ongoing Process, etwa wenn am Mittagstisch hierüber gesprochen und dann entschieden wird, dass dieses Thema es „wert“ ist, dass es auf die Agenda kommt und hierüber noch einmal systematisch und detailliert diskutiert werden soll. Die individuellen und kollektiven kognitiven Strukturen und Prozesse können dabei nicht „in Isolation“ betrachtet werden. Vielmehr sind sie einerseits eingebettet in den „Mikro-Kontext“ des laufenden organisatorischen Geschehens von organisationalen Entscheidungen, Handlungen und Interaktionen. Andererseits können kognitive Prozesse und Strukturen auch nicht losgelöst vom weiteren Kontext analysiert werden, zu dem beispielsweise der kulturelle Rahmen zählt, innerhalb dessen sich solche Prozesse vollziehen. Die Bedeutung dieses Kontextes kann dabei unterschiedlich „stark“ gewichtet werden. Er kann einerseits, wie oben beschrieben, den Rahmen für kognitive Prozesse bilden und Inputs bzw. Beschränkungen für diese formulieren. Andererseits kann er auch interaktiv wirken, da sich z. B. individuelle Kognition mit Elementen des Kontextes vollzieht. Auf die unterschiedlichen Perspektiven des Kontextes wurde vorangehend bereits eingegangen (vgl. Kapitel 2.3). Abb. 10 verdeutlicht diesen Zusammenhang. Kontext (sozialer, politischer, institutioneller, kultureller, historischer)
Individuelle Ebene Kognitive Strukturen
Kognitive Prozesse
Kollektive Ebene Individualstrategien
Strategien für die Organisation
Soziale Interaktionsprozesse
Kognitive Strukturen
• Politische Entscheidungsprozesse • Reflexionsprozesse • Agendabildungsprozesse
Strategien der Organisation Kognitive Prozesse
Ongoing Process von Entscheidungen, Handlungen, Interaktionen
Abb. 10: Die Herausbildung von Strategien der Organisation aus kognitiver Perspektive – ein Bezugsrahmen 7
Zur Bedeutung der Stakeholderanalyse für die Themenbildung siehe beispielsweise Mitroff (1983).
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Ausblick
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von theoretischen Entwicklungen und empirischen Befunden zur kognitiven Perspektive in der Managementforschung entwickelt haben. Dennoch zeigen allein schon die hier diskutierten „aktuellen Entwicklungen“, dass eine Reihe von offenen Fragen zu beantworten sind. Die zentrale Thematik der Gruppenkognitionen etwa wird immer noch vernachlässigt bzw. häufig methodisch völlig unbefriedigend bearbeitet. Ähnlich sieht das Bild bei ebenenübergreifenden Untersuchungen aus, in denen die Beziehungen zwischen individuellen und überindividuellen Kognitionen zum Gegenstand gemacht werden. Eine besondere Herausforderung stellt dabei in inhaltlicher wie speziell methodischer Hinsicht die Berücksichtigung der Rolle des Kontextes dar. Durch die Vielschichtigkeit und Komplexität dieser „Variable“ bei gleichzeitig wechselseitigen Kausalitäten zu Kognitionen scheint eine Untersuchungssituation vorzuliegen, die kaum noch auf der Grundlage des quantitativen empirischen Paradigmas ohne gravierende Vereinfachungen zu bewältigen ist. Auch wenn in der Methodenforschung eine klare Indikation von Forschungsmethoden kritisch betrachtet wird (vgl. Wrona 2008), so sind Fortschritte für die hier thematisierte Fragestellung der Strategiebildung aus kognitiver Perspektive insbesondere im Rahmen qualitativer Forschungsdesigns zu erwarten. Wenngleich somit erhebliche Fortschritte in der Erfassung und in dem Vergleich von kognitiven Strukturen und Prozessen gemacht worden sind, so kann man weiterhin auf die zukünftigen Entwicklungen gespannt sein: „These are highly exciting times to be working in the field of strategic management.“ (Hodgkinson 2001b, S. 108).
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Mikropolitik im Management: Ein handlungsorientierter Ansatz Mikropolitik im Management Ayad Al-Ani
1
Der Eigennutz der Organisationsmitglieder...................................... 87
2
Mikropolitik als Machtspiel: Versuch einer kurzen Definition ........ 90
3
Radikale Kontingenz oder wie groß ist das Problem? ...................... 91
4
Die Determinierbarkeit des Handelns als Herausforderung für das Management.......................................................................... 93
5
Managementpraktiken zur Analyse von Mikropolitik...................... 95
6
Wer designed Entscheidungsprozesse? ............................................ 99
7
Zusammenfassung und Ausblick .................................................... 101
Literaturverzeichnis............................................................................... 103
Mikropolitik im Management
87
„Aber die Kurven, wenn sie überhaupt etwas bedeuten, schlossen doch den freien Willen ein. Jeden Morgen strömen drei Millionen Besitzer ‚freien Willens’ in das Zentrum der Megapolis New York; jeden Abend flossen sie wieder nach draußen – alle aus ‚freiem Willen’ und auf einer glatten, vorhersehbaren Kurve.“ Robert A. Heinlein: The Year of the Jackpot
Mikropolitik, verstanden als persönliche Strategie zur Maximierung von Macht in Organisationen, verträgt sich nicht ohne weiteres mit den klassischen Ansätzen der Betriebswirtschaft, die von rationalem bzw. begrenzt rationalem Handeln der ökonomischen Akteure ausgehen. In einem ersten Schritt soll das Ausmaß des Problems ausgelotet werden: Inwiefern können individualistische, machtbewusste Sichtweisen und Handlungsmuster bei der Planung von Zielen und der Organisation sowie dem Management von Arbeit mit einer vorhersehbaren Vorgehensweise in Einklang gebracht werden? Hier wird die These vertreten, dass das Management in der Lage ist, explizit und implizit mikropolitisches Wissen zu mobilisieren, um die mit derartigen Entscheidungen verbundenen Machtspiele zu erkennen und zu beeinflussen. Die Bedeutung, mikropolitische Prozesse zu analysieren und zu steuern, wird insbesondere im Rahmen von Entscheidungssituationen relevant, wie sie in Führungs- und Planungsprozessen abgebildet sind; dort sind die Möglichkeiten, „to act otherwise“, extrem hoch und somit durchaus bewusst Freiräume angelegt, die politisch ausgefüllt werden müssen. Abschließend wird der Fokus auf die Funktion des Chief Strategy Officer gelegt, eine Rolle, die insbesondere in großen Organisationen aufgebaut wird, um derartige Entscheidungsprozesse zu konzipieren und zu steuern.
1
Der Eigennutz der Organisationsmitglieder
Der Begriff Mikropolitik beschreibt organisationale Innenpolitik bzw. Politik zwischen den Organisationsmitgliedern. Dem Terminus „Mikropolitik“ wird in der deutschsprachigen Betriebswirtschaft sowie in der Management- und Organisationslehre seit Ende der 1980er-Jahre verstärkte Beachtung geschenkt. Mikropolitik stellt ein Gebiet der individuellen alltäglichen Politikerfahrung dar. Das bedeutet, dass in Organisationen das „politische Leben tobt“, obschon dies vielleicht dem vorherrschenden Bewusstsein zuwiderläuft, dass Organisationen nach dem von Max Weber geprägten rationalen Idealtypus der Bürokratie funktionieren. Gleichzeitig ist die Diskussion über die Erfahrung von Politik in Organisationen aber auch überaus schwierig. Dies wohl deshalb, weil Macht in demokra-
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Ayad Al-Ani
tischen Gesellschaften auch gerade nach den schmerzhaften Erfahrungen zweier Weltkriege und dem Holocaust eine äußerst negative Bewertung erfährt. Offensichtlich ist das Thema derart belastet, dass man sich ihm oft nur auf der humoristischen Schiene annähern kann. Man denke in diesem Zusammenhang etwa an Parkinsons (1992) berühmte Darstellung des nach ihm benannten Syndroms, dessen Kenntnis schon fast Teil der Allgemeinbildung ist. Das Wissen um das nach Laurence J. Peter benannte Prinzip („Jeder steigt so lange auf, bis er die Stufe der Inkompetenz erreicht hat“) gehört zum Repertoire jedes „Organisationsgeplagten“.1 Macht und Machtspiele können so zwar recht „verträglich“ diskutiert werden, eine ernsthafte wissenschaftliche Betrachtung des Machtphänomens in Organisationen erleichtert die humoristische Analyse aber nicht unbedingt. In der traditionellen Betriebswirtschaftslehre wurde oftmals davon ausgegangen, dass Individuen zwar Ziele haben, diese aber irgendwie zu Zielen der Organisation „transformiert“ werden. Die Ziele der Organisation und jene des Individuums sind somit zwangsläufig identisch (vgl. Crozier/Friedberg 1993) bzw. das Individuum kann die Organisation für seine Ziele „instrumentalisieren“, da Deckungsgleichheit gegeben ist (vgl. Ortmann 1977, S. 8 ff.). Diese Sichtweise verwischt allerdings mehr, als sie aufklären kann. So wird nicht dargestellt, ob alle Akteure der Organisation gleichermaßen an der Zielgestaltung teilnehmen bzw. ihre Interessen einbringen können. Auch wird nicht erklärt, wie dieser Transformationsprozess von Individualzielen zu Organisationszielen ablaufen soll. Nach Ansicht der klassischen Betriebswirtschaftslehre werden Ziele von jenen Akteuren formuliert, „die Macht haben“ (ebenda). Aber auch das ist wenig hilfreich, denn damit wissen wir nur: Es setzt sich durch, wer andere veranlassen kann, sich nicht durchzusetzen (vgl. Ortmann 1977, S. 12). Neuere Ansätze in der ökonomischen Theorie der Politik und in der neoinstitutionalistischen Ökonomik schenken diesem Thema hingegen schon mehr Beachtung. So nimmt etwa die Analyse des Opportunismus von Akteuren im Rahmen organisatorischer Arrangements in diesen Ansätzen breiten Raum ein. Opportunismus nennt Williamson (1975) die strenge Form eigeninteressierten Handelns und bestimmt diesen inhaltlich als „self-interest seeking with guile“. Dies schließe so extreme Handlungen wie Lügen, Betrügen und Stehlen ein. Im Wesentlichen sei opportunistisches Handeln gekennzeichnet durch unvollständi1 Und natürlich der noch größeren Masse der „Organisationsohnmächtigen“, denen Tucholsky mit seiner Erzählung „Abends nach sechs“ ein Denkmal gesetzt hat: „Abends nach sechs werden Geschäfte umorganisiert, Angestellte befördert, Chefs abgesetzt und vor allem die Gehälter fixiert. Wer würde die Tarife anders regeln? Wer die Gehaltszulagen gerecht bemessen? Wer Urlaub mit Gratifikationen erteilen? Die Liebespaare, abends nach sechs.“
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ge oder unwahre Informationsweitergabe zum Zwecke der Irreführung und Täuschung. Die halbstrenge Form des eigeninteressierten Handelns ist das einfache Eigeninteresse. Hier wird die ausschließliche Verfolgung eigener Interessen offen zugegeben und bei der Umsetzung auf Informationsmanipulationen verzichtet. Die inhaltlich für zutreffend erachteten Informationen werden kommuniziert und es wird somit mit „offenen Karten“ gespielt. Der neoinstitutionalistische Blickwinkel geht also explizit davon aus, dass Organisationen aus Individuen bestehen, die eigene Zielsetzungen verfolgen, und beschäftigt sich mit Arrangements, um diese Interessen bzw. Opportunismen zu beschränken (vgl. z. B. Williamson 1985; Eggertsson 1992). In dem hier gewählten Analysefokus steht das von seinen Interessen bzw. Zielen geleitete Individuum im Mittelpunkt. Individuen verfolgen Interessen und handeln dementsprechend strategisch. Diese Sichtweise ist nicht neu, steht doch im Mittelpunkt etwa der kapitalistischen Verkehrswirtschaft und ihrer durch Angebot und Nachfrage bestimmten Märkte ebenfalls das nutzenmaximierende Individuum, wobei die Theoretiker der Marktwirtschaft dieses egoistische Verhalten als dem Gemeinwohl keinesfalls abträglich erachten. Im Gegenteil, die Wirkung der „unsichtbaren Hand“ transformiert Individualinteressen zu einer Wohlfahrtssteigerung für die gesamte Gesellschaft. Die Verfolgung von Individualzielen wird als grundlegendes, nutzenstiftendes Verhaltensmuster in Marktinstitutionen verstanden. In einem historischen Rückblick auf das 17. und 18. Jahrhundert streicht Hirschman (1987) heraus, dass vom Kapitalismus erhofft wurde, die menschlichen „irrationalen“ Triebe und Leidenschaften zu unterdrücken; allerdings mit einer Ausnahme: Habsucht und Gier. Diese Leidenschaft wurde damals als harmloser, berechenbarer und stabiler und damit auch rationaler als andere oftmals beunruhigende und destruktive Triebe angesehen.2 Im Gegensatz zu Institutionen werden in Organisationen Marktmechanismen eher unterdrückt und Ressourcen via Anordnung und Hierarchie alloziert. In diesem Kontext bekommt Macht sehr schnell eine eigene Konnotation, wenn man diese jenseits der formellen Strukturen betrachten will.3 Wie schon von Arrow (1974) 2
Paradoxerweise sollte der Kapitalismus damit gerade das erreichen, was bald als seine übelste Eigenschaft verurteilt wurde. „Denn sobald der Kapitalismus gesiegt hatte und die Leidenschaften in dem vergleichsweise friedlichen, ruhigen und vorwiegend mit Erwerbstätigkeit beschäftigten Europa in der Zeit nach dem Wiener Kongreß unter Kontrolle gebracht, wenn nicht ausgelöscht waren, erschien die Welt als trist und langweilig, und damit war die Zeit reif für die romantische Kritik an dieser bürgerlichen Ordnung (...)“ (Hirschman 1987, S. 141). Deutliche Spuren dieser nostalgischen Kritik weisen alle späteren gesellschaftstheoretischen Ansätze auf, von Fouriers Theorie der Anziehung aus Leidenschaft bis hin zur Marxschen Entfremdungstheorie und zu Freuds These, dass die Unterdrückung der Libido der Preis des Fortschritts sei (vgl. ebenda). 3 Vgl. die umfassende Auflistung funktionaler und dysfunktionaler Effekte von Mikropolitik in: Neuberger (2006, S. 40 ff.).
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Ayad Al-Ani
angemerkt wurde, ist eine Organisation niemals so perfekt durchstrukturiert, dass sie für alle Eventualitäten offizielle Regeln parat hat. Selbst „totale Institutionen“ wie Gefängnisse und ähnliche Organisationen sind niemals „freiraumfrei“ (Schülein 1987, S. 157 ff.). In diesen Freiräumen werden Ressourcen mit anderen Mechanismen verteilt: mit der Hilfe mikropolitischer Machtspiele (vgl. Al-Ani 1993).
2
Mikropolitik als Machtspiel: Versuch einer kurzen Definition
Crozier und Friedberg (1993) haben die Spielmetapher in die Organisationstheorie eingeführt, um diesen Aushandlungsprozess dazustellen. Der Begriff des Spiels, wenn er erst einmal von dem Beigeschmack des Spielerischen befreit ist, erweist sich als recht gut geeignet, die eigentümliche Verschränkung von rationalen, kontrollierten Transaktionen und den offenkundigen Freiheitsgraden, die jede Organisation ihren Mitgliedern lässt, einzufangen und zu analysieren (vgl. Ortmann 1988, S. 20 ff.; Neuberger 1995, S. 192 ff.). Der Terminus „Spiel“ sei hier in Anlehnung an Crozier/Friedberg (1993, S. 68) definiert als „ein Instrument, mit dessen Hilfe Individuen ihre Machtbeziehungen regulieren und strukturieren“. Machtspiele werden in weiterer Folge konkreter als eine Interaktion zwischen machtmaximierenden Spielern verstanden, bei welcher der Zugriff auf und die Verwendung von humanen und materiellen Ressourcen ausgehandelt wird. Machtspiele vereinen Zwang und Freiheit, indem der Akteur im Rahmen organisationaler Kontingenz „frei“ seine Entscheidungen treffen kann, bei der Wahl seiner Strategie immer aber auch an Zwänge gebunden ist, wie sie etwa formelle Strukturen und Spielregeln darstellen: „Das Spiel ist das Instrument, das die Menschen entwickelt haben, um ihre Zusammenarbeit zu regeln. Es ist das wesentliche Instrument organisierten Handelns. Es vereint Freiheit und Zwang. Der Spieler bleibt frei, muss aber, wenn er gewinnen will, eine rationale Strategie verfolgen, die der Beschaffenheit des Spiels entspricht, und muss dessen Regeln gehorchen“ (Friedberg/Crozier 1993, S. 68). Macht, so wie sie hier im Rahmen derartiger Spiele verstanden wird, hat relativ wenig mit den herkömmlichen Vorstellungen davon zu tun. Man kann sie demgemäß wie folgt definieren: „(...) als die Fähigkeit von jemandem, bei anderen Verhalten zu erzeugen, die sie ohne sein Zutun nicht angenommen hätten (...). Macht ist also nicht ein Attribut eines Akteurs, sondern eine Beziehung zwischen zwei oder mehreren Akteuren“ (Friedberg 1988, S. 41).
Mikropolitik im Management
3
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Radikale Kontingenz oder wie groß ist das Problem?
Aus der obigen kurzen Zusammenfassung verstärkt sich der methodische Druck, das mikropolitische Handeln des Individuums in den Mittelpunkt zustellen. Dieses Handeln findet in den implizit und explizit vorhandenen Freiräumen statt und wird durch die persönlichen Zielsetzungen des Individuums beeinflusst. Um Machtspiele zu verstehen, muss man also dieses individuelle Handeln und seine Antriebe erfassen. Friedberg (1988, S. 39) beschreibt eine solche Sichtweise als kontingent, und zwar „nicht im Sinne eines platten Abhängigkeitsverständnisses, das in der Organisationslehre leider viel zu lange der dominanten Theorie der strukturellen Kontingenz zugrunde lag und demzufolge die Funktionsweise der Organisation sich aus technischen und ökonomischen und anderen strukturellen Gegebenheiten des Kontextes herleiten lässt. Sondern kontingent im radikalen Sinn, das heißt zwar von diesen Gegebenheiten bedingt, aber nicht auf diese rückführbar, also letztlich unbestimmt und damit willkürlich“ (ebenda). Damit ist das methodologische Problem auch schon klar erkenntlich: Wenn das Handeln des Einzelnen nicht hinlänglich erklärlich und – wir werden später darauf noch eingehen – vorhersehbar ist, welche Möglichkeiten der methodischen Operationalisierung bleiben? Friedberg (1988, S. 48) selbst macht zwei wesentliche Determinanten für das jeweilige mikropolitische Handeln aus: •
Die persönliche Biographie des Individuums und seine im Rahmen der Familie und anderer Institutionen durchlaufenen Sozialisierungsprozesse, die seine Fähigkeiten und Problemlösungsprogramme wesentlich beeinflussen. Und wir möchten ergänzen: auch die Art und Weise, wie mit Macht und Machtspielen umgegangen wird. Hier kann man auf den Klassiker Berne (1991) verweisen, der im Rahmen einer Theorie der Psychologie der menschlichen Beziehungen – der Transaktionsanalyse – erkannte, dass Eltern und Großeltern wesentlichen Einfluss auf die Programme des Einzelnen haben und damit Skripte jener „Spiele“ determinieren, die man mit seinen Mitmenschen spielt.4
•
Neben diesen aus der Vergangenheit stammenden Faktoren, treten die in der Gegenwart verankerten Zwänge auf, die sich herleiten aus der konkreten Situation in der Organisation, den vorhandenen Freiräumen bzw. dem daraus abgeleiteten Druck zur Teilnahme an Machtspielen, sowie die damit verbundenen Befriedigungskriterien. Diese Zwänge bestimmen also die
4 Der Titel der englischen Originalausgabe: The Games People Play. Vgl. auch die Vielzahl der Spiele, die Berne auflistet, sowie die verschiedenen Kommunikationsebenen, auf denen sich der Einzelne bewegen kann (Erwachsenen-Ich, Kindheits-Ich und Eltern-Ich).
92
Ayad Al-Ani Handlungsrationalität der einzelnen Spieler im Rahmen ihres biographischen Programms.5
Die Frage, die sich nun stellt, lautet: Welche Konsequenzen lassen sich für die Beobachtbarkeit und vor allem für die Operationalisierung von Machtspielen aus diesen Prämissen ableiten? Klar erscheint, dass Machtspiele nicht ohne weiteres bzw. nur durch entsprechende Analyse und Interviews zu erfassen sind. Friedberg (1988) spricht in diesem Zusammenhang auch von klinischen und induktiven Interviews, die zu führen sind, um die jeweiligen Abhängigkeitsmuster und Spiele zu erkennen. Dies ist ganz klar einer der Schwachpunkte des Machtspielansatzes von Crozier und Friedberg. Nicht nur, dass der Ansatz noch kein geschlossenes Ideengebäude vorzuweisen hat und teilweise fragmentarisch ist (vgl. Neuberger 1995, S. 215 f.), die einzelnen Spielzüge sind auch schwer zu erkennen: „Wir verhehlen nicht, dass uns selbst die Schwierigkeiten einer operationalen Definition (….) von Spielen in den von uns untersuchten Fällen fast zur Preisgabe des Spielkonzeptes gebracht hätten. So groß die assoziative Kraft der Spielmetapher, so schwierig ihre forschungspraktische Handhabung“ (Ortmann et al. 1990, S. 57). Einer der Hauptgründe hierfür ist sicher auch, dass in fast allen empirischen Erhebungen die eher unverdächtige Strategie der „rationalen Überzeugung“ die mit Abstand am häufigsten verwendete Einflusstaktik ist (vgl. Neuberger 2006, S. 127). Neben der sozialen Erwünschtheit einer solchen Strategie liegt dem wohl auch die Erfahrung zugrunde, dass in formalen Organisationen sachliches, vernünftiges und nüchternes Argumentieren ein Muster bildet, das kaum Legitimationsaufwand erfordert, weil es als Norm gilt (vgl. ebenda). Wenn schon Machtspiele schwer zu analysieren und beschreiben sind, wie ungleich schwieriger muss ihre Operationalisierung im Sinne von Handlungsanleitungen für das Management sein, dass ja nicht nur erkennen, sondern auch handeln muss.
5 Nicht zu unterschätzen sind neben den Spielregeln auch gruppendynamische Effekte (peer expectations). Diese Effekte steuern das Verhalten von Mitgliedern gerade in jenen Situationen, in denen Kontingenz herrscht, und legen somit fest, wie weit der/die Einzelne „gehen darf“ und welche Strategien er/sie wählt. Insbesondere beim Militär wird die Wirkung des Gruppendrucks ganz bewusst genutzt, um Soldaten daran zu hindern, zu desertieren bzw. sie auch dann zum Kampf zu motivieren, wenn die Wahrscheinlichkeit umzukommen hoch ist. „Soldiers fight when the men next to them fight. Soldiers fight when they are members of cohesive small groups (...)“ (Wilson 1989, S. 46).
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Die Determinierbarkeit des Handelns als Herausforderung für das Management
Das radikal kontingente Verhalten der Organisationsmitglieder und ihre von der eigentlichen inhaltlichen Aufgabe oft schwer zu unterscheidenden mikropolitischen Strategien und Spiele bergen enorme Sprengkraft für jeden Managementansatz, der immer auch auf der Prämisse fußt, dass Mitarbeiter und Führungskräfte sich auf eine bestimmte Art und Weise verhalten, wenn die Strukturen, Befähigungen und Anreizsysteme richtig aufgebaut wurden. Ist menschliches Verhalten unter solchen Prämissen überhaupt noch vorhersehbar? Und wie kann man mikropolitische Aspekte in solcherart Designarbeit einfließen lassen, ohne sich in Subjektivität und ausufernden Beziehungsanalysen zu verlieren? Der Hauptunterschied zwischen einer solchen Betrachtung und einer allgemeinen Managementlehre ist der Mikrofokus. Die Managementlehre muss ja immer von gewissen Verallgemeinerungen ausgehen. Ein solcher Ansatz ist auch legitim und findet weithin Anwendung: „Wissenschaftliche Gesetze sind statistische Gesetze. Sie befassen sich mit der allgemeinen Tendenz großer Mengen. Die Kernphysik sagt ja nicht etwa das Schicksal eines Neutrons voraus oder die Chemie das des einzelnen Moleküls. In gleicher Weise ist es praktisch unmöglich, das Verhalten eines Individuums vorherzusagen. Das heißt, es ist praktisch unmöglich, alle Faktoren zu identifizieren und zu messen, die es beeinflussen. In großen Gruppen freilich können sich individuelle Variationen gegenseitig aufheben und damit Regelmäßigkeiten oder Muster erzeugen. Auf diese Weise kann es sein, dass das durchschnittliche Verhalten einer Gruppe vorhersehbar sein kann, selbst wenn das nicht für das Verhalten der einzelnen Individuen der Gruppe gilt. Spielcasinos und Versicherungen leben von der Richtigkeit dieser Erkenntnis“ (Asimov 2001, S. 831 f.). Die mikropolitische Perspektive findet nun dort ihre sinnvolle Anwendung, wo Individualität quasi überbordet und maßgeblich wird. Das heißt in jenen Bereichen der Organisation, in denen individuelles Verhalten substanzielle Freiräume ausfüllen muss. Dies wird vor allem in den Führungs- und Planungsprozessen der Fall sein. Nirgendwo anders ist die Möglichkeit „to act otherwise“ größer und sind damit die konsequenten mikropolitischen Handlungselemente wichtiger für den Erfolg der Organisation. Hier ist daher auch der Hebel für Veränderungen der Organisation anzusetzen (vgl. Al-Ani 2005, S. 135).6 6 Damit soll nicht gesagt sein, dass Macht in Organisationen nur auf der Führungs- und Planungsebene angesiedelt und relevant ist. Machtspiele finden auf allen Ebenen der Organisation statt und auch Organisationsmitglieder auf unteren Ebenen können die Macht haben, die Organisation zu beeinflussen, was sich bei Arbeitskonflikten ja immer wieder zeigt (vgl. Hoffmann 1981).
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Ayad Al-Ani
Damit steht die Analyse von Entscheidungsprozessen, welche die Ressourcen, die Strategie und die Organisation betreffen, im Vordergrund. Immer dann, wenn einzelne Personen bzw. Personengruppen weit reichende Entscheidungen zu treffen haben, macht es Sinn, den mikropolitischen Kontext zu beleuchten, zu berücksichtigen und auch mit zu beeinflussen. Das heißt, dass solche Entscheidungssituationen in Organisationen zu jenen Bereichen gehören, die vom Management nicht nur auf einer inhaltlichen, sondern auch auf einer politischen Ebene designed werden müssen, in dem Sinn, dass festgelegt wird, welche Personen mit welchen Attributen in welchem Kontext welche Entscheidungen zu treffen haben: „In fact, the choices of greatest interests are the choices about how choices will be made“ (Thomas 1995, S. 223). Diese Erkenntnis über den Einfluss politischer Machtspiele im Rahmen von Entscheidungssituationen wurde bislang vor allem im Zusammenhang mit der Umdeutung des Effizienzparadigmas diskutiert. So schlussfolgert Ortmann (1995, S. 109), „daß sich Organisationsstrukturen, technische Lösungen und Produktionsformen nicht durchsetzen, weil sie effizient sind, sondern daß derartige Lösungen ‚effizient‘ sind, weil sie sich durchsetzen“. Ein offener Widerspruch zwischen politisch gewollten und objektiv sinnvollen Entscheidungen muss gar nicht erst auftreten. Thomas (1995) zeigt dies anhand von fünf Fallstudien, die den Prozess der Technikauswahl in Unternehmen der Luftfahrt-, Computer- und Stahlindustrie beleuchten. Widersprüche traten in diesen Fallbeispielen nicht auf, weil politische Spiele als Verbindung zwischen dem sozialen und dem technischen System fungieren. Die mit dem Technologiemanagement betrauten Funktionsträger bringen ihre Interessenkonfiguration in die Auswahl und Implementierung mit ein. Rationalisierende Techniken (Pflichtenhefte, Berater, Ausschreibungen etc.) bewirken dann eine Objektivierung im Sinne der „managerial ideologies“. Mit anderen Worten: „Might makes right“ oder „Politische Dominanz bewirkt technischen Determinismus“. In der Managementliteratur wurde der Fokus vor allem nach einer ersten Welle der Reengineering-Projekte in den 1990er-Jahren stärker auf das Entscheidungspersonal und die Notwendigkeit der Veränderung der Managementprozesse gelegt (vgl. Champy 1995). Es wurde erkennbar, dass sich nicht nur die Geschäftsprozesse der Organisationen ändern müssen, sondern auch die Entscheidungsprozesse, die diese Prozesse steuern (vgl. Al-Ani 2005, S. 119 ff.). Leichter gesagt als getan, das musste dann auch einer der Väter des Business Reengineering Konzepts – James Champy – zerknirscht eingestehen: „Manch-
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mal denke ich, die da oben werden sich nie ändern. Viele sind schon seit 30 Jahren dabei. Sie geben ihre Macht (sic!) nicht aus der Hand.“7 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Problem der radikalen Kontingenz aus Managementsicht damit zwar nicht gelöst, sehr wohl aber handhabbarer ist. Indem das Augenmerk auf kritische Entscheidungssituationen gelegt wird, kann eine analytische und handlungsorientierte Fokussierung erreicht werden. Damit wird aber klar, dass die Frage der personellen Besetzung derartiger Situationen sowie deren Vernetzung von primärer Bedeutung für das Management ist, bevor inhaltliche Entscheidungen getroffen werden. Dieser People-first-Ansatz taucht dann auch wenig überraschend immer öfter in empirischen Studien, die Erfolgsfaktoren beleuchten, auf. So erläutert etwa Collins diesen Ansatz auf Basis einer Untersuchung bei Fortune-500-Unternehmen zwar nicht mikropolitisch, führt aber Gründe an, warum die Auswahl der richtigen Leute am Anfang jeder erfolgreichen Organisation und noch vor der Wahl der richtigen Strategie steht: : „(…) if you begin with ‚who‘ rather than with ‚what‘, you can more easily adapt to a changing world. If people join the bus primarily because of where it is going, what happens if you get ten miles down the road and you need to change direction? (…) But if people are on the bus because of who else is on the bus, than it is much easier to change direction. (…) Second, if you have the right people on the bus, the problem of how to motivate and manage people largely goes away. The right people don’t need to be tightly managed or fired up; they will be self motivated by the inner drive to produce the best results and to be part of creating something great. Third, if you have the wrong people, it doesn’t matter whether you discover the right direction; you still won’t have a great company. Great vision without great people is irrelevant“ (Collins 2001, S. 42).
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Managementpraktiken zur Analyse von Mikropolitik
Organisationsmitglieder füllen jene Freiräume, welche ihnen die Organisation lässt, mikropolitisch aus, indem sie die Verteilung von Ressourcen auch durch Machtspiele regulieren. Entlang der Führungs- und Planungsprozesse wird somit nicht nur über eine inhaltliche Verteilung zu diskutieren sein, sondern dem Management muss auch daran gelegen sein, vorab die dort maßgebliche mikropolitische Tangente zu verstehen und dann auch zu beeinflussen, wenn die Veränderung in die gewünschte Richtung gehen soll. 7
Vgl. das Interview mit Champy in: Bierach (1995, S. 71).
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Ayad Al-Ani
Wie schon weiter oben diskutiert, erfordert die mikropolitische Sichtweise einen entsprechenden analytischen Aufwand bzw. eine Vorgehensweise, die noch nicht mit den konventionellen Ansätzen der Planung und Strategie verbunden ist. Entsprechend gibt es deshalb auch nur wenig konkrete Anleitungen.8 Wichtig für einen handlungsorientierten Ansatz ist es einerseits, Machtspiele zu verstehen, und andererseits, den mikropolitischen Faktor im Rahmen des Designs von Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen. Hier wird die These vertreten, dass obwohl methodische Einschränkungen vorhanden sind, im tagtäglichen Managementgeschäft damit weitgehend pragmatisch ungegangen wird. Schließlich ist Macht ja schon immer ein Thema für den Praktiker gewesen. Aus Sicht eines potenziellen Akteurs wird die Analyse bzw. Antizipation von Taktiken dort wichtig, wo es gilt, das Reaktionsspektrum der Spieler mit folgenden Szenarien zu antizipieren (vgl. Stiebel 1999, S. 117 ff.)9: •
Wie kann der Gegenspieler im besten bzw. im schlechtesten Fall reagieren?
•
Lohnt der potenzielle Nutzen der gewählten Vorgangsweise (d. h. der eigene Spielzug) das Risiko?
Zur Beantwortung dieser Fragen können in Anlehnung an die Ausführungen von Crozier/Friedberg (1993), von Yukl et al. (1996) und Neuberger (2006) folgende Analyseebenen herangezogen werden: •
Persönliche Charakteristika;
•
Beobachtete Taktiken und Strategien;
•
Beobachtete Ergebnisse;
•
Machtbasen (Wissen, Umweltbeziehungen, Hierarchie etc.);
•
Reaktion auf situative Umstände.
Keines dieser Informationselemente ist für die Praxis völlig neu und es fällt auf, dass derartige Informationen etwa im Rahmen von Personalaufnahmeentscheidungen durchaus gängig sind (und dann von externen Quellen und Referenzen bestätigt werden können).10 Weiters gehört es etwa oftmals zum Standard8 So kommt das Thema Macht und Mikropolitik etwa im Standardwerk von Welge/Al-Laham (2008) beispielsweise gar nicht vor. 9 „Sie entwerfen einen Plan, und die Aussicht auf Erfolg macht Sie schon ganz kribbelig. Deshalb richten Sie ihr Augenmerk nur allzu leicht darauf, wie Sie gern hätten, daß der andere reagiert, und ignorieren, wie er wahrscheinlich reagieren wird“ (Stiebel 1999, S. 175). 10 Natürlich dürfen die analytischen Instrumente der Personalaufnahme nicht überbewertet werden. Vgl. für extreme Fälle von analytischen blinden Flecken etwa die Fallstudie von Babiak (2000) über
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repertoire von Managern und Beratern, wichtige Entscheidungssituationen in Bezug auf die beteiligten Akteure anhand einfacher Raster zu analysieren. So können etwa beobachtbare Merkmale wie Charaktereigenschaften und Beziehungsmuster leicht in ein Analyseschema gebracht werden (siehe Abb. 1). -1
+1
B. Smith Procurement Eval/Rec
Driving
Analytic
T. Brown HR Eval/Rec
+1
M. Parker External
T. Cline Tech Arch Eval/Rec
+2
+2
D. Gross IT Dev. Eval/Rec
T. Williams Project Mgr. Eval/Rec
+1
Key Quality of relationship from my perspective
Abb. 1:
+3 Strong personal & bz relationship
-1
Mildly negative
+2 Good business relationship
-2
Non-Supporter
+1
-3
Strongly negative
Mildly positive
+1
Expressive
Amiable
G. Huber CFO Eval/Rec
Roles: Eval – Evaluator Rec – Recommender Eval/’Rec – Evaluator/Recommender Influencer Approver Thickness of line indicates strength of relationship. Pointed line indicates negative relations
B. Meyer CIO Approver
0
Analyseschema mit Beziehungsbewertungen und Charakterzuordnungen
In einem solchen Tableau werden die einzelnen Spieler bestimmten Charaktermodellen zugeordnet (Analytiker, Driver etc.) und ihre Beziehungen untereinander bzw. Beziehung zum Betrachter entlang einer Plus-Minus-Skala beschrieben.11 Weiters kann leicht erklärt werden, welche Machtbasen, die von Relevanz
die Grenzen der Erkennung von subkriminellen psychopathischen Verhalten in Bewerbungssituationen: „At the best, the hiring process is an imperfect art. Many hiring decisions are still based on resumes that can be faked, and unstructured interviews conducted by untrained and unprepared interviewers“ (Babiak 2000, S. 298). 11 Diese Sichtweise lehnt sich auch an den von Friedberg entwickelten methodologischen Rationalismus als mikropolitische Forschungsstrategie an. „Gute wie schlechte Beziehungen sind nicht zufällig, sondern weil alle Beteiligten (aus welchen Gründen auch immer) es so wollen, d. h. ein Interesse daran haben, dass ihre Beziehungen miteinander so sind und auch so bleiben. Und die
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Ayad Al-Ani
sind (Kundenkontakte, Expertenwissen etc.), die einzelnen Spieler mitbringen. Um mögliche mikropolitische Handlungsweisen zu antizipieren, können aus Erfahrungen, Geschichten und Bebachtungen die in der Vergangenheit angewendeten mikropolitischen Taktiken erfasst und bewertet werden. Dazu müssen nicht unbedingt Forschungen auf breiter wissenschaftlicher Basis angestellt werden.12 Bei der Nominierung von Personen in Planungs- und Führungsprozesse wird in der Regel immer zu prüfen sein, wie diese sich aufgrund ihrer in der Vergangenheit gezeigten Praktiken in bestimmten Situationen verhalten könnten. Bei der Betrachtung der möglichen Reaktionen wird also auf vergleichbare Reaktionen in der Vergangenheit rekurriert und wird die Strategie des Betreffenden – mit allen Einschränkungen – vorausberechnet.13 Oftmals führen Organisationen auch Assessments durch, um dieses Verhalten auf Basis realistischer (Labor-)Situationen zu analysieren und zu bewerten. Damit soll nicht gesagt sein, dass diese Verhaltenmuster leicht vorauszusagen sind. In der Regel verlassen wir uns bei der Analyse anderer auf so genannte implizite Persönlichkeitstheorien (vgl. von Groote/Hoffmann 2006, S. 348). Die hierbei verwendeten Denkmuster sind Modelle über das Wesen des Menschen, die aufgrund der jeweiligen Lebenserfahrung entwickelt wurden. Diese impliziten Persönlichkeitstheorien haben jedoch den Schwachpunkt, dass sie selten wirklich bewusst und der Reflexion damit nur sehr eingeschränkt zugänglich sind. Daher sind sie oftmals recht grobmaschig und zudem durch individuelle Einstellungen und Moralurteile verzerrt. Wenn sich eine Kosten-Nutzen-Analyse lohnt, werden in wichtigen Entscheidungssituationen deshalb auch so genannte Distant-ProfilingAnsätze entwickelt.14 Distant Profiling nimmt auf der Grundlage psycholoGründe für eine solche Entscheidung liegen im Kontext ihrer Zusammenarbeit (…)“ (Friedberg 1988, S. 50). 12 Siehe in diesem Zusammenhang etwa die aufwendige Beschreibung und kritische Bewertung von POPS (Perception of Organizational Politics Scale)- und PSI (Political Skill Inventory)-Ansätzen in: Neuberger (2006, S. 85 ff.). 13 Das ist natürlich leichter gesagt, als getan: „Aus der Vergangenheit kann man zwar Lehren für die Zukunft ziehen, aber nur, wenn diese Zukunft durchschaut ist und nach ähnlichen Regeln funktioniert. Und (…) es macht einen großen Unterschied, ob man nachdenken und Bilanz ziehen muss oder man in einer konkreten, widersprüchlichen, ambiguen Situation unter Zeitdruck tatsächlich handeln muss“ (Neuberger 2006, S. 123 f.). 14 In der Politik und auch bei Kriseninterventionen wird diese Methode bereits länger verwendet. Bekanntestes Beispiel sind die Camp-David-Vertragsverhandlungen: „Der damalige US-Präsident Jimmy Carter hatte sich mit Israels Premierminister Begin und dem ägyptischen Präsidenten Sadat mehrere Tage zurückgezogen, um über Nahost-Friedens-Vereinbarungen zu verhandeln. Zuvor erstellte psychologische Profile hatten die Widersprüchlichkeit der beiden politischen Führer offenbart: Sadat sah sich in einem narzisstisch übersteigerten Selbstbild als visionären Führer, die CIAProfiler sprachen hier von einem Nobel-Preis-Komplex, der von der wachsenden Besessenheit Sadats von der eigenen Rolle in der Geschichte geprägt war. Dementsprechend hatte er wenig Interesse an kleineren Details in Verhandlungen, sondern war alleine am großen Durchbruch interessiert. Begin
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gischen Wissens eine fachlich fundierte Analyse einer „Zielperson“ vor, mit der Absicht, deren Handlungen, Einstellungen, psychologischen Charakteristika und Beeinflussbarkeiten vorherzusagen. Nach Erstellung des psychologischen Profils kann dann in einem zweiten Schritt eine spezifische Aktionsstrategie entwickelt werden, etwa um in Verhandlungen möglichst erfolgreich agieren zu können (vgl. von Groote/Hoffmann 2006, S. 346 f.). Allerdings haben die Praktiker meist nicht die Mittel, die bei einem Distant Profiling benötigt werden, aber sie haben den Vorteil, das Geschehen aus der Nähe zu beobachten und über den Zeitverlauf hinweg, ihre groben Beobachtungen zu validieren und ihr Tableau somit beständig zu optimieren.15 Natürlich hat diese Nähe auch den Preis, dass der Beobachter immer mehr Teil des Geschehens und seine Objektivität damit beeinträchtigt wird (man denke an den Top-Manager, der es zulässt, dass die Spieler unter ihm Informationsflüsse beeinträchtigen, worunter er/sie früher oder später selbst leiden wird). Dem kontinuierlichen Wissensaufbau über Attribute und Taktiken von kritischen Organisationsspielern und entsprechenden Handlungsstrategien kommt deshalb eine zentrale Rolle zu.
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Wer designed Entscheidungsprozesse?
Die mikropolitische Perspektive in der Betriebswirtschafts- und Managementlehre hat sich in den letzten Jahren nicht merklich in Richtung einer Operationalisierung weiterentwickeln können. Der Impetus zu einer geänderten Betrachtung der Führungsprozesse ging dann auch weniger von dieser Diskussion als von der Globalisierung und der generellen Beschleunigung aller Planungs- und Entscheidungsprozesse aus. Generell wurde angemerkt, dass die Zeit gar nicht mehr ausreicht, stabile und formelle Prozesse aufzubauen. Vielmehr werden Strategie und Umsetzung in emergenten, oftmals informellen und sehr dynamischen Schritten vorangetrieben (vgl. Al-Ani 2000, 2005). Es ist daher dagegen war geradezu fixiert auf Details und genaue Regelungen. In einem psychologischen Verhandlungskonzept wurde für den Verhandlungsleiter Carter eine Strategie entwickelt, wie er die komplementären Charaktere auf eine Linie bringen könnte. Dabei wurden unter anderem unterschiedliche Verlaufsszenarien mit jeweils spezifischen Taktiken entworfen“ (von Groote/Hoffmann 2006, S. 347). 15 Übrigens auch ein Grund dafür, dass Kooperation in Organisationen entgegen der Prognose des Gefangenendilemmas eher die Norm ist. Da sich die Gefangenen bzw. Spieler „kennen“, d.h. ihre Strategien auf Grund ihrer Erfahrungen antizipieren können, erzielen sie eher Win-win-Situationen durch Kooperation als „rationale“ suboptimale Entscheidungen zu treffen: „In an interated prisoners dilemma, one that is repeated, there is no dominant strategy. Research suggests that a winning strategy under theses conditions of a continuous repeated play is a strategy of tit-for-tat, one on which a player responds in kind to the action of the other player“ (North 1990, S. 13).
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auch wenig überraschend, dass sich insbesondere große Organisationen auf die Steuerung dieser Entscheidungsprozesse besser einstellen. In diesem Zusammenhang ist etwa die Diskussion über die Rolle eines Chief Strategy Officer (CSO) zu bewerten (vgl. Kaplan/Norton 2005; Breene et al. 2007).16 Wenn formalisierte Planungs- und Steuerungsprozesse nicht mehr ausreichen, um in einer dynamischen Umwelt zu agieren, dann macht es Sinn, wenn spezialisierte Funktionen aufgebaut werden, die sich mit dem Management von Entscheidungen befassen. Dies auch deshalb, weil das Wissen für den Umgang mit politischen Taktiken einzelner Akteure nur schwer zu sammeln ist und eine zentrale Akkumulation und Verwertung dieses Wissens economies of intelligence verspricht. In einer Umfrage bei Fortune-500-Unternehmen wurde in diesem Zusammenhang bestätigt, dass bei fast allen Befragten der Anteil der emergenten gegenüber der formellen Strategie mehr als 50% ausmacht und sich ein Drittel der Organisationen als im „Belagerungszustand“ verstehen, d. h. unter außerordentlichem Druck ihres Umfeldes stehen (vgl. Breene et al. 2007, S. 6). Zu den Aufgaben des CSO, der unter solchen Umständen Entscheidungen zu organisieren hat, gehören unter anderen: •
Einholen von Commitments für die Strategie: Hierunter wird vor allem die Integration unterschiedlicher Interessen und Zielsetzungen einzelner Akteure verstanden, die die Gesamtvision der Organisation umzusetzen haben: „No strategy can be just handed down. Without achieving real understanding and agreement, there will be lots of grinning and backslapping over the strategy but zero change when people get back to their offices“ (ders. S. 7).
•
Management von Entscheidungsprozessen: Das Herzstück bleibt die Organisation von Entscheidungsprozessen. Der CSO muss die Mitglieder des Führungsteams dazu bringen, Entscheidungen zu treffen bzw. strategische Vorgaben für ihren Bereich zu präzisieren und umzusetzen (vgl. ebenda).
Man erkennt hier schon die Spitze einer Entwicklung, die in den nächsten Jahren sicherlich ein markantes Thema bleiben wird: Formalisierte Führungsund Planungsprozesse werden zugunsten emergenter, pragmatischer und informeller und damit immer auch politischer Prozesse zurückgedrängt. Machtspiele haben dann möglicherweise eine ganz andere Bedeutung als heute: Sie werden dann keine Erscheinung mehr sein, über deren positive und negative Bedeutung man geteilter Meinung sein kann, sondern sie werden als Transformations- und Lenkungsmechanismen zwischen Powerbrokern aufgefasst, die in ständig wech16
„In the past few years, the number of CSO appointments has surged. Interviews with executive recruiters point to the growing prevalence of this role in many industries; and the CSOs are already serving large multinational companies around the world“ (Breene et al. 2007, S. 2).
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selnden Konstellationen den Kurs der Organisation bestimmen und permanent verändern. Durch die Beeinflussung und bewusste Steuerung der politischen Ebene, versucht das Management damit auch, die Steuerungsfähigkeit in Bereichen großer Kontingenz wiederzuerlangen bzw. das Verhalten der Organisationsmitglieder vorhersehbarer zu machen.
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Zusammenfassung und Ausblick
Eine Kritik am Konzept der Mikropolitik ist, dass ihre Operationalisierung extrem schwierig ist. Die Allgegenwärtigkeit von Mikropolitik mutiert eher zu einer Beliebigkeit und zu einer fast unmöglichen Lokalisierung von Mikropolitik. Aus Sicht eines Akteurs bleibt dann nur festzustellen, dass man sich ständig mit Politik herumschlagen muss, dafür aber noch auf kein wissenschaftlich praktikables Modell zurückgreifen kann. Aus den obigen Ausführungen lassen sich folgende Erkenntnisse zusammenfassen: •
In der Organisation vorhandene Freiräume werden durch mikropolitische Spielzüge ausgefüllt, um Ressourcen zu verteilen, für die nicht immer offizielle Regelungen getroffen wurden.
•
Dort, wo Individualität maßgeblich ist, nämlich bei weithin unbestimmten, offenen Führungs- und Planungsprozessen, macht eine mikropolitische Sicht- und Handlungsweise Sinn, da Machtspiele neben dem reinen Inhalt der Entscheidungen eine wesentlich breitere Betrachtungs- und Handlungsfläche, eine Metaebene, darstellen.
•
Obwohl es noch kein theoretisch durchgängiges mikropolitisches Konzept gibt, gehen Praktiker dieses Themenfeld mit einfachen Mitteln, wie Beobachtungen, Analysen und subjektiven Schlussfolgerungen an. Die so gewonnenen Erkenntnisse können sie über den Zeitverlauf und durch die Nähe zum Spiel beständig optimieren.
•
Größere Organisationen haben begonnen, eigene Funktionen aufzubauen, die sich mit dem Management von Entscheidungsprozessen beschäftigen. Dieser Chief Strategy Officer hat vor allem auch die Aufgabe, im rasch wandelnden Kontext der Organisation, immer wieder neue Entscheidungsketten zu konfigurieren, also in die vorhandenen Freiräume mikropolitisch motiviert einzugreifen bzw. Kontingenzkorridore zuzustellen.
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Ayad Al-Ani
Wenn es in weiterer Folge gelingt, den mikropolitischen Fokus, angereichert mit den heute schon verwendeten Praktiken zur Analyse und Beeinflussung von Machtspielen, mit dem Thema Geschwindigkeit und emergente Strategieentwicklung zu koppeln, besteht durchaus die Chance auf einen methodologischen Durchbruch.
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Ayad Al-Ani
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Die Strukturationstheorie als Grundlage der Strategischen Managementforschung Strukturationstheorie und Managementforschung
Stephan Cappallo
1
Einleitung........................................................................................ 107
2
Giddens Strukturationstheorie: Ein Überblick................................ 108
3
„Die Managementforschung“ ......................................................... 114
4
Möglichkeiten und Grenzen der Stukturationstheorie als Grundlage für die Managementforschung ...................................... 117 4.1 Möglichkeiten und Grenzen der Theoriebildung durch Anwendung des strukturationstheoretischen Bezugsrahmens ..........118 4.1.1 Die Strukturationstheorie im Vergleich zu anderen Konzeptionen der Managementforschung .............................118 4.1.2 Akzentverschiebungen im Rahmen der Managementforschung............................................................119 4.1.3 Praktiken als zentraler Bezugspunkt strukturationstheoretischer Analysen ......................................121 4.2 Metatheoretische Implikationen für die Managementforschung.......123
Literaturverzeichnis............................................................................... 126
Strukturationstheorie und Managementforschung
1
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Einleitung
Die Strukturationstheorie ist eine grundlegende Theorie des Sozialen, die von dem britischen Soziologen Anthony Giddens entwickelt wurde. Sie trifft beschreibende und erklärende Fundamentalaussagen zum Menschen und seinem Handeln, zu sozialen Systemen und ihren Strukturen sowie methodologische Aussagen zur empirischen Sozialforschung. (vgl. Giddens 1976, 1979, 1984; für eine ausführliche Übersicht wichtiger Publikationen von Giddens Byrant/ Jary 1991, S 222 ff.) In verschiedenen Arbeiten interpretieren Bamberger und Mitarbeiter die Strukturationstheorie daher als eine Kombination aus Wissenschaftsprogramm und Sozialtheorie. Eher als Wissenschaftsprogramm rekonstruiert wird die Strukturationstheorie insbesondere durch Cappallo (2005, 2006) und Bamberger/Cappallo (2007), indem ihre Aussagen entsprechend ihrer ontologischen, anthropologischen, epistemologischen und methodologischen Gehalte analysiert werden. Dabei wird die strukturationstheoretische Argumentation unter Rückgriff auf andere metatheoretische Ideen ergänzt und präzisiert. Auf dieser Grundlage werden dann die Möglichkeiten und Grenzen der Strukturationstheorie für den theoretischen und empirischen Erkenntnisfortschritt diskutiert. Interpretiert als Sozialtheorie wurde die Strukturationstheorie zum einen durch das theoretische und empirische Auffüllen des durch sie bereitgestellten Bezugsrahmen exemplarisch angewendet (vgl. Bamberger/Cappallo 2007; Cappallo 2005). Zum anderen wurden ihre Ideen und Konzeptionen in Bambergers Sichtweise zur Beschreibung und Erklärung von Unternehmensstrategien und strategischen Prozessen eingearbeitet: So werden beispielsweise Managementsysteme in allgemeiner Form als Gefüge von Regeln und Ressourcen interpretiert und Aussagen der Strukturationstheorie als eine Grundlage für die Notwendigkeit der Verknüpfung inhalts- und prozessorientierter Sichtweisen herangezogen (vgl. Bamberger/Wrona 2004). Der vorliegende Beitrag versucht beide Perspektiven der Strukturationstheorie aufeinander zu beziehen, indem er anknüpfend an die Arbeiten Bambergers die Möglichkeiten und Grenzen der Strukturationstheorie als Grundlage der Managementforschung analysiert. Dabei handelt es sich im Kern um eine Anwendung und Weiterentwicklung von früheren Überlegungen zu den Möglichkeiten und Grenzen der Strukturationstheorie für die Analyse von Branchen (vgl. Cappallo 2006). Dieser Fragestellung wird in drei Schritten nachgegangen. Im folgenden Kapitel werden zunächst die für die Betrachtung relevanten Denkfiguren der
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Stephan Cappallo
Strukturationstheorie vorgestellt. Anschließend erfolgt ein Versuch der Annäherung an die Managementforschung, um diese als Argumentationsfigur greifbarer zu machen. Hierauf aufbauend werden im abschließenden Teil des Beitrags Möglichkeiten und Grenzen einer strukturationstheoretisch fundierten Managementforschung skizziert.
2
Giddens Strukturationstheorie: Ein Überblick
Da Giddens zentrale Aussagen der Strukturationstheorie verhältnismäßig unscharf formuliert (vgl. hierzu kritisch Walgenbach 1999, S. 369 ff.), enthält jede Beschreibung/Zusammenfassung der Strukturationstheorie ein gewisses Maß an Eigeninterpretation durch den jeweiligen Autor. Bamberger und Mitarbeiter (vgl. Bamberger/Cappallo 2007; Cappallo 2005, 2006; Bamberger/Wrona 2004) sehen das Hauptanliegen der Strukturationstheorie in der Klärung des Verhältnisses zwischen dem Menschen und seiner sozialen Umwelt. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob der Mensch sein Handeln stets den Anforderungen einer ihm von außen zugewiesenen Rolle unterordnet oder ob er sein Verhalten grundsätzlich frei bestimmen kann. Zur Beantwortung dieser sozialwissenschaftlichen Grundfrage entwirft Giddens sein eigenes Bild des Menschen als Handelndem. Dieser produziert und reproduziert durch sein Verhalten die soziale Umwelt: Er handelt/verhält sich auf der Grundlage seines Wissens in einer bestimmten Art und Weise und gibt damit seinem sozialen Umfeld eine Struktur. Seine Handlungen und Verhaltensweisen reproduzieren seine soziale Umwelt. Hierbei hat er gewisse Freiheitsgrade, die ihm die Verfolgung eigener Ziele und die Interpretation sozialer Regeln in seinem Interesse erlauben. Zur Begründung dieser Ideen entwickelt Giddens mit der Strukturationstheorie ein Aussagengebäude, das aus drei Bausteinen (Argumentationsfiguren) besteht und als Ganzes den strukturationstheoretischen Bezugsrahmen ergibt: ein Schichtenmodell des Wissens, ein Schichtenmodell des Handelns und ein Modell sozialer Systeme und Institutionen. Diese drei Argumentationsfiguren werden durch das Kerntheorem der Strukturationstheorie miteinander verknüpft: der Dualität sozialer Strukturen.
Strukturationstheorie und Managementforschung
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Die Dualität von Strukturen
Schichtenmodell des Wissens
Abb. 1:
Schichtenmodell des Handelns
Soziale Systeme und Institutionen
Vier Kernelemente der Strukturationstheorie (Quelle: leicht modifiziert aus Bamberger/Cappallo 2007, S. 20)
Wesentliche Kernaussagen der Strukturationstheorie betreffen das Zusammenspiel von Wissen und Handeln. Beides wird in miteinander verbundenen Schichtenmodellen abgebildet. Das Schichtenmodell des Wissens, oder besser der menschlichen Psyche, unterscheidet zunächst zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten. Das Unbewusste bezeichnet Giddens auch als grundlegendes Sicherheitssystem, da der Handelnde sein (Ur-)Vertrauen in die Stabilität grundlegender Sachverhalte in der ihn umgebenden Wirklichkeit hierauf begründet. Das Bewusstsein ist für Giddens die Fähigkeit von Personen zur Aufnahme und Verarbeitung von sensorischen Reizen aus der Umwelt. Eine bedeutende Rolle spielen hierbei vergangene Erfahrungen, die als Interpretationshilfe und als Speicher von Wahrnehmungen dienen. Diese Erfahrungen bzw. Wissensstrukturen werden durch zwei unterschiedliche Mechanismen der Erinnerung verfügbar gemacht: 1. Das sog. diskursive Bewusstsein ermöglicht dem Aktor das verbale Beschreiben bestimmter (diskursiv zugänglicher) Teile seines Wissens. 2. Ferner rufen Menschen über ihr sog. handlungspraktischen Bewusstsein Wissensbestände ab, die sich einer Versprachlichung durch sie zunächst entziehen. Über handlungspraktische Erinnerungsmechanismen wird das implizite Wissen von Aktoren verfügbar gemacht. Während die Grenze zwischen dem Bewusstsein und dem Unterbewusstsein undurchlässig ist, können handlungspraktisch zugängliche Wissensstrukturen in diskursive Wissensstrukturen überführt wer-
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Stephan Cappallo
den (und vice versa) – etwa in Krisen- bzw. Problemsituationen, aber auch durch Befragungen und Selbstreflexion. Der Verlauf der Grenze zwischen dem handlungspraktischen Bewusstsein und dem diskursiven Bewusstsein hängt dabei vom Kontext, den Fähigkeiten und der Motivation des Handelnden ab. Diskursive und handlungspraktische Mechanismen der Erinnerung werden in bestimmten Situationen angewandt und helfen bei der Steuerung von Handlungen. Handlungen sind räumlich und zeitlich situierte Eingriffe in einen kontinuierlich ablaufenden Strom kausal verknüpfter Handlungen (bzw. Interaktionen, falls weitere Personen anwesend sind). Die Steuerung des Handelns (im Sinne der absichtsvollen Durchführung von Handlungen) kann dabei, je nachdem welche Erinnerungsmechanismen zum Zuge kommen, drei verschiedene Formen annehmen (Schichtenmodell der Handlungssteuerung): •
Der Handlende kann sein Verhalten rationalisieren („rationalization of action“), indem er verbal Rechenschaft über sein Tun ablegt.
•
Bei der reflexiven Beobachtung des Handelns beobachtet der Aktor auf einer handlungspraktischen Ebene den Fluss an Handlungen, in dem er agiert, und stimmt sein Tun auf impliziter Ebene hierauf ab.
•
Die sog. Handlungsmotivation rührt her aus dem Unterbewusstsein und spannt einen Raum an Handlungsmöglichkeiten auf, den der Aktor zur Befriedigung seiner grundlegenden Bedürfnisse ausschöpfen kann.
Die durch diese drei Formen der Handlungssteuerung geleiteten Handlungen sind in einen Bedingungsrahmen eingebettet, der von dem Aktor sowohl auf einer diskursiven, als auch auf einer handlungspraktischen Ebene erfasst wird. Entsprechend ist die Rede von „erkannten“ und „als solche nicht erkannten“ Handlungsbedingungen. Die Ergebnisse der Handlungen können dabei intendiert oder auch nicht intendiert sein und stellen einen Teil des (erkannten oder als solchen nicht erkannten) Bedingungsrahmens für zukünftige Handlungen dar. Trotz der unerkannten Handlungsbedingungen und -folgen sieht Giddens den Menschen grundsätzlich als reflexionsmächtig und absichtsvoll an. Handelnde beherrschen alltagsweltliche Situationen, indem sie kompetente Definitionen des Kontextes anfertigen und ihr Verhalten entsprechend ihrer eigenen Ziele ausrichten. Diese Aktivitäten finden dabei nur zum geringeren Teil unter Verwendung von diskursiven Erinnerungsmechanismen statt. Ein Großteil des alltagsweltlichen Verhaltens läuft handlungspraktisch gesteuert, auf impliziter Ebene ab. Im Moment des Handelns kann der Aktor nur einen Bruchteil des von ihm mobilisierten Wissens über die Verhaltensweisen, die er beherrscht, oder die Ziele, die er durch sein Verhalten verfolgt, versprachlichen.
Strukturationstheorie und Managementforschung
111
Wenn Verhaltensweisen bzw. Handlungen an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten mit einer gewissen Ähnlichkeit erneut (re-)produziert werden, bezeichnet Giddens sie als Praktik. Soziale Praktiken liegen vor, wenn das raum-zeitlich stabile Verhalten zweier oder mehrerer Aktoren wechselseitig aufeinander Bezug nimmt bzw. wechselseitig voneinander abhängig ist und so soziale Beziehungen begründet. Diese sozialen Praktiken begründen soziale Systeme, die zu Institutionen werden, wenn die Systeme eine sehr große raum-zeitliche Ausdehnung erreichen. Soziale Praktiken bilden nach Giddens den grundlegenden Betrachtungsgegenstand strukturationstheoretisch geleiteter Sozialforschung. Soziale Praktiken zeichnen sich nach Giddens ferner dadurch aus, dass im Ausüben der Praktik bestimmte Strukturen manifest werden. Die Strukturen bzw. die strukturellen Momente sozialer Systeme bestehen nach Giddens aus dem Wissen über bzw. der Anwendung von Gefügen aus Regeln und Ressourcen. Sie sind in geteilten Wissensstrukturen enthalten, die auf diskursiver oder auf handlungspraktischer Ebene abgerufen werden und in den oben beschriebenen Formen das Ausüben der Praktik (im Rahmen des Handelns) in bestimmte Bahnen lenken, es „strukturieren“. Regeln sozialen Verhaltens sind dabei Prozeduren im Sinne von „eingespielten“, generalisierbaren Aktivitätenfolgen, die Aktoren zielgerichtet einsetzen. Regeln beruhen auf zwei Strukturmomenten: zum einen ein System an Bedeutungszuweisungen und zum anderen Normenstrukturen. Das Bedeutungssystem (die sog. Signifikationsordnung) ist ein Zeichensystem, welches Wahrnehmungen mit Sinngehalten verknüpft. Die Signifikationsordnung strukturiert individuelles Handeln, indem es das in der Handlung enthaltene Kommunizieren prägt. Die Legitimationsordnung beschreibt Formen angemessenen und unangemessenen Verhaltens. Da Aktoren grundsätzlich über Handlungsautonomie verfügen und stets auf die Ausübung einer Praktik verzichten bzw. alternativ handeln können, kann das Ausüben einer Praktik immer auch als ein positives Sanktionieren durch den Handelnden selbst gelten. Damit Regeln angewendet und reproduziert werden können, müssen Ressourcen eingesetzt werden. Ressourcen beschreiben nach Giddens die Art und Weise der Regelanwendung und geben sozialen Praktiken damit ihre Gestalt. Dabei werden zwei Typen an Ressourcen unterschieden: allokative Ressourcen meinen Herrschaft über materielle Dinge; autoritative Ressourcen begründen Herrschaft über die eigene Person und Andere. Auf der Ebene des Handelns bzw. der Interaktion findet Herrschaft ihren Ausdruck im Ausüben von Macht.
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Stephan Cappallo
Mit diesen Ausführungen lässt sich das Kerntheorem der Strukturationstheorie darstellen: die Dualität sozialer Strukturen. Giddens behandelt Handelnde bzw. ihre Handlungen und soziale Strukturen nicht als zwei voneinander getrennte Phänomene (im Sinne eines „Dualismus“), sondern als zwei Seiten derselben Medaille. Die Medaille selbst bzw. das Scharnier, welches die Vorstellung von strukturellen Momenten sozialer Systeme auf der einen und die zentrale Rolle und Bedeutung der Handlungen und Interaktionen von Aktoren mit ihren Wissensstrukturen auf der anderen Seite miteinander verbindet, ist das Konzept der sozialen „Praktik“. Praktiken sind einerseits überindividuell, da sie in begrenztem Maße den Austausch von Aktoren durch andere zulassen und so eine Konzeptionalisierung subjektloser, sozialer Strukturen ermöglichen. Andererseits verdeutlichen sie, dass Strukturen „gelebt“ (im Sinne einer Produktion bzw. Reproduktion durch Aktoren) werden müssen, um zu existieren. Ferner geben soziale Strukturen über das Medium der Praktiken dem Handeln eine Form, begrenzen es gewissermaßen, während sie es aber gleichzeitig über die Definition dieser Form auch ermöglichen. Mit dieser Grundaussage versucht Giddens, die Strukturationstheorie auf einer wissenschaftstheoretischen Ebene zwischen den Gegenpolen des Voluntarismus und des Determinismus zu verankern. Da Giddens die strukturellen Momente sozialer Praktiken als nicht gegenständlich, gewissermaßen als virtuell ansieht, führt er zwischen den beiden Ebenen der sozialen Struktur und des Handelns eine Zwischenebene ein. Diese bezeichnet er als Modalitäten. Auf diese „Speichermedien“ kann der Aktor in seinem Handeln zurückgreifen, wobei er zugleich die in diesen Modalitäten enthaltenen strukturellen Momente sozialer Praktiken reproduziert. Je nach Art des reproduzierten strukturellen Moments unterscheidet Giddens drei Modalitäten: •
Interpretative Schemata meinen die Formen, wie Wissen über die Signifikationsordnung sozialer Praktiken von den Aktoren gespeichert und über das Kommunizieren abgerufen wird.
•
Normen verknüpfen in ihrer Eigenschaft als Ansprüche, die aufrechterhalten und zur Geltung gebracht werden müssen, die Legitimationsstruktur mit dem Sanktionieren.
•
Das Ausüben von Macht schließlich wird über das Mobilisieren von Machtmitteln (sog. Fazilitäten) vollzogen und reflektiert bestimmte Herrschaftsstrukturen.
Die Denkfigur der Dualität des Sozialen ist in Abb. 2 grafisch dargestellt. Sie zeigt die verschiedenen Typen von Strukturmomenten, die Giddens auch als Dimensionen des Sozialen bezeichnet, weil jede Praktik entlang dieser Dimen-
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sionen beschrieben und erklärt werden kann. Die Konzeption der Dualität der Strukturen stellt also auch einen Bezugsrahmen zur Analyse sozialer Praktiken und ihrer Wirkungen dar. Dabei betont Giddens jedoch, dass die dargestellten Dimensionen nur auf analytischer Ebene trennscharf unterscheidbar sind. Handeln bzw. soziale Strukturen können stets aus dem Blickwinkel aller drei Analysekategorien betrachtet werden, weil sie immer ein Kommunizieren, ein Sanktionieren und das Ausüben von Macht beinhalten. Regeln
Signifikationsordnung
Legitimationsordnung
Strukturebene Herrschaftsordnung
Ressourcen
Modalitäten
Handlung (Interaktion)
Abb. 2:
Interpretative Schemata
Machtmittel (sog. Fazilitäten)
Normen
Das Kommunizieren
Das Ausüben von Macht
Das Sanktionieren
Die Dualität von Strukturen mit den Dimensionen des Sozialen (Quelle: übersetzt und erweitert aus Giddens 1984, S. 29)
Die durch dieses Raster geleitete Analyse sozialer Praktiken soll dabei nicht auf der Ebene der Modalitäten, sondern jeweils alternierend auf den Ebenen des Handelns und der strukturellen Momente ansetzen: •
In der sog. Analyse strategischen Handelns betrachtet der Forscher die in einen spezifischen Kontext eingebetteten Handlungen bzw. Interaktionen von Aktoren und die Art und Weise, wie die Handelnden Regeln und Ressourcen einsetzen, indem sie ihr diskursives und handlungspraktisches Wissen anwenden.
•
Im Rahmen der sog. institutionellen Analyse werden die strukturellen Merkmale sozialer Systeme über die Betrachtung abstrakter Größen, z. B. über Kennziffern, untersucht.
Beide Zugänge setzen sich dabei in gewisser Weise gegenseitig voraus (Giddens bezeichnet dies als „Einklammern“): Zur Analyse des strategischen Handelns benötigt der Forscher ein sensibilisierendes Begriffssystem, welches
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Stephan Cappallo
ihm durch eine institutionelle Analyse geliefert werden kann. Bei der institutionellen Analyse hingegen setzt der Forscher im Rahmen dieser zwangsläufig abstrahierenden Betrachtung ein Handeln der Aktoren voraus. Diese Interdependenz der beiden Zugänge ist dabei so eng, dass eine scharfe Grenzziehung ebenfalls nur auf analytischer Ebene möglich ist. Durch die Kombination der beiden Analyseformen kommen sowohl „qualitative“ als auch „quantitative“ Forschungsdesigns und -instrumentarien zum Zuge.
3
„Die Managementforschung“
Bereits die Verwendung des Begriffs „Managementforschung“ im Titel dieses Beitrags lässt auf eine Argumentation mit einem kaum zu präzise zu umreißenden Konstrukt schließen. „Management“ selbst lässt sich kurz als professionalisierte Führung definieren (vgl. Kirsch 1997). Führung wiederum bezeichnet eine ganze Bandbreite an Aktivitäten und Institutionen zur Steuerung, Gestaltung, und Entwicklung sozialer Systeme jeweils auf unterschiedlichen Ebenen (vgl. hierzu ausführlich Bamberger/Wrona 2004, S. 1 ff.). „Forschung“ kann als Sammelbegriff für Aktivitäten oder Institutionen gelten, die auf die Erreichung wissenschaftlicher Erkenntnisziele, speziell dem Erklären und Verstehen bestimmter Phänomene, ausgerichtet sind. Verknüpft man beide Begriffe miteinander, so bezeichnet Managementforschung Aktivitäten und Institutionen, die Managementphänomene erklären und/oder verstehen wollen. Auch ohne Verfeinerung dieser begrifflichen Überlegungen wird deutlich, dass die „Managementforschung“ als Gesamtgebilde nur sehr allgemein zu fassen ist, wenn die Gefahr des Ausklammerns potenziell relevanter Forschung durch zu enge Definitionen abgewendet werden soll. Gerade einer strukturationstheoretischen Perspektive wäre dies, wie noch später betont werden wird, nicht dienlich. Um die Argumentation angesichts eines kaum noch sinnvoll zu überblickenden Forschungsfeldes jedoch nicht auf einer sehr abstrakten Ebene führen zu müssen, lassen sich klassische Gliederungslinien des Forschungsfeldes heranziehen. Eine hiervon ist die Unterscheidung in Inhaltstheorien und Prozesstheorien der Managementforschung. Bamberger/Wrona (2004, S. 203 ff.) verwenden diese Unterscheidung, um das Feld der Erklärungsansätze zu Unternehmensstrategien (einem Kernbereich der Managementforschung) zu strukturieren. Inhaltsansätze dienen der inhaltlichen Erfassung von Strategien, ihrer Einflussfaktoren und ihrer Erfolgswirkung. Hierzu zählen die Autoren den industrie-
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ökonomischen Ansatz, ressourcen- und wissensbasierte Ansätze, den personalistischen Ansatz sowie die Transaktionskostentheorie. Prozessansätze gehen der Frage nach, welche Aktivitäten und Aktoren die Konzipierung und Implementierung von Unternehmensstrategien hervorbringen. Dies sind planungs- und entscheidungsorientierte Ansätze, politische, kognitiv-interpretative sowie institutionelle Ansätze. Diese und vergleichbare Strukturierungen des Forschungsfeldes erfassen wesentliche Theoriefamilien, insbesondere der etablierten Managementforschung. Ein anderer Weg, den Begriff der Managementforschung inhaltlich auszufüllen, besteht im Rekurs auf Gesamtkonzeptionen des Managements (vgl. Bamberger/Cappallo 2003; Bamberger/Wrona 2004). Diese entwickeln oft unter Rückgriff auf die eben genannten Theoriefamilien Rahmenkonzeptionen zur Beschreibung und Erklärung von Managementphänomenen. Im Bereich des Strategischen Managements sind hier die Konzeptionen von Mintzberg, Kirsch und Bamberger zu nennen. Alle diese Konzeptionen arbeiten das Feld der Managementforschung breit auf und integrieren dort kursierende Theorien in einen kohärenten begrifflichen Rahmen. Die beiden Konzeptionen von Mintzberg und Kirsch legen dabei eher Gewicht auf Prozesstheorien des strategischen Managements. Bamberger hingegen bezieht sowohl Prozess- als auch explizit Inhaltstheorien in den von ihm entwickelten Bezugsrahmen ein. Industieökonomik* Externer Kontext
Personalistische Ansätze Kognitive Strukturen, Persönlichkeitsmerkmale
Prozessansätze
Strategien:
Strategische Prozesse:
Handlungsorientierungen, Manöver, Verhaltensstrukturen
Entscheidungen, Handlungen, Interaktionen
Erfolg
Ressourcenansatz* Interner Kontext
Abb. 3:
* Beispiel
Grundlegender Bezugsrahmen zur Analyse und speziell zur Erklärung von Strategien (Quelle: modifiziert aus Bamberger/Cappallo 2003, S. 113)
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Stephan Cappallo
Der in Abb. 3 dargestellte Bezugsrahmen ist ein Ergebnis einer intensiven Beschäftigung mit Theorien der Organisations- und Managementforschung sowie eines breiten Spektrums empirischer Arbeiten. Er spezifiziert wesentliche Parameter mit strategischer Relevanz und setzt sie zur Analyse von Unternehmensstrategien miteinander in Beziehung. Ziele, Strategien und Grundsätze bilden dabei, neben konstitutiven Einzeleinscheidungen, den zentralen Bezugspunkt in diesem Schema. Diese „Strategien im weiteren Sinne“ werden dort im Sinne dreier Phänomene von und in Unternehmen analysiert: Handlungsorientierungen (z. B. strategische Pläne), vollzogene strategische Handlungen („Manöver“) sowie Handlungsstrukturen (im Sinne von Mustern strategischen Verhaltens). Breits die Diskussion der Beziehungen dieser Phänomene untereinander ergibt ein sehr differenziertes Bild des „Strategischen“. Handlungsorientierungen, Manöver und Handlungsstrukturen werden unter Rückgriff auf wesentliche Inhalts- und Prozessansätze der Managementforschung über eine Reihe von Einflussfaktoren erklärt. Die Relevanz von Bereichen des externen Kontextes von Unternehmen, etwa der Wettbewerbsumwelt, wird z. B. durch die neuere Industrieökonomik beleuchtet. Die Betrachtung der Rolle und Bedeutung des institutionellen Umfelds erfolgt z. B. durch die NeoInstitutionalistischen Ansätze oder auch die verschiedenen Entwicklungsrichtungen des Netzwerkansatzes. Die Bedeutung des internen Kontextes von Unternehmen wird im Bezugsrahmen vor allem durch den Ressourcenansatz und seine verschiedenen Varianten erklärt. Darüber hinaus werden Strukturen in Unternehmen, wie etwa Managementsysteme, jeweils theoriegestützt in Beziehung zu Strategien gesetzt. Die Entscheidungen, Handlungen und Interaktionen, in denen Strategien zustande kommen, werden über Prozessansätze des Strategischen Managements eingebracht. Besonders hervorzuheben sind hier die entscheidungs- und die planungsorientierte Sichtweise strategischer Prozesse, aber auch politische Ansätze oder Perspektiven organisationalen Lernens. Die Merkmale der in das Zustandekommen von Strategien eingebundenen Personen werden von sog. personalistischen Ansätzen über Erklärungsfaktoren wie etwa die Persönlichkeitsmerkmale, Werte, Motive, Haltungen, den kognitiven Stil oder allgemeiner die Wissensstrukturen von Trägern der Unternehmensstrategie erklärt. In den genannten Ansätzen zur Erklärung strategischen Verhaltens erfolgt, explizit oder implizit, eine Bezugnahme auf Erfolgsgrößen. Allerdings variieren in Abhängigkeit vom jeweiligen Aussagensystem sowohl die Ebenen (Gesamtunternehmen, Abteilung, Person usw.) als auch die Bezugsobjekte (Unternehmung, Manöver, Produkt usw.) sowie die Maßgrößen (ökonomische, nichtökonomische) des Erfolgs.
Strukturationstheorie und Managementforschung
117
Bemerkenswert im Zusammenhang mit metatheoretischen Betrachtungen ist, dass diese Gesamtkonzeption fast ausschließlich auf rein theoretischer Ebene argumentiert und weitgehend ohne ontologisches, epistemologisches oder methodologisches Gesamtkonzept auskommt. So arbeitet der Bezugsrahmen beispielsweise an verschiedenen Stellen, speziell bei der Analyse strategischer Prozesse, Ideen aus der Strukturationstheorie ein. Er tut dies aber auf rein (sozial-) theoretischer Ebene. Einziges, oft meist implizit mitgeführtes, metatheoretisches Postulat ist, dass grundsätzlich eine differenzierte Sichtweise in der Beschreibung und Erklärung von Phänomenen monolithisch strukturierten Analysen überlegen ist. Wie noch dargelegt wird, ist dies auch bei der Strukturationstheorie gegeben. Damit stellt die Konzeption zur Analyse von Unternehmensstrategien von Bamberger einen interessanten Fall für eine mögliche Fundierung durch die Strukturationstheorie dar.
4
Möglichkeiten und Grenzen der Strukturationstheorie als Grundlage für die Managementforschung
Rekonstruiert man die Strukturationstheorie als Wissenschaftsprogramm, so sind viele ihrer metatheoretischen Aussagen zu ergänzen und/oder zu präzisieren. Die so „aufgearbeitete“ Strukturationstheorie lässt sich aufgrund dieser metatheoretischen Aussagen dann als Maßstab für ihren eigenen Beitrag zur Bildung von Theorien im Feld der Managementforschung heranziehen (vgl. hierzu ausführlich Cappallo 2005). Allerdings werden für eine konkretere Diskussion dieser Fragestellung theoretische und forschungspraktische Bezugspunkte benötigt, die hier wie folgt gesetzt werden: •
Der theoretische Bezugspunkt liegt hier in den Arbeiten Bambergers. Es soll untersucht werden, welchen Nutzen eine differenzierte Sichtweise auf Managementphänomene, wie sie der Bezugsrahmen Bambergers kennzeichnet, aus der Anwendung der Strukturationstheorie ziehen kann.
•
Der forschungspraktische Bezugspunkt besteht in der nicht unrealistischen Annahme begrenzter Ressourcen (Zeit, Geldmittel, Personal, kognitive Fähigkeiten) eines Forschers/einer Forschergruppe.
Cappallo (2005) zeigt, dass der Nutzen der Strukturationstheorie für Analysen im Rahmen der Managementforschung auf der Grundlage solcher Prämissen differenziert betrachtet werden kann. Die für den vorliegenden Zusammenhang besonders relevanten Kernpunkte seiner Argumentation sollen hier aufgegriffen
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Stephan Cappallo
und weiterentwickelt werden. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Strukturationstheorie auf unterschiedlichen Ebenen einen Beitrag zur Theoriebildung in der Managementforschung leisten kann: auf der Ebene eines theoretischen Bezugsrahmens sowie auf einer metatheoretischen Ebene.
4.1 Möglichkeiten und Grenzen der Theoriebildung durch Anwendung des strukturationstheoretischen Bezugsrahmens Interpretiert als eine allgemeine Sozialtheorie, können das Analyseraster der Strukturationstheorie und ihre Denkfiguren bei der Analyse sozialer Phänomene, wie z. B. Führungsphänomenen, „angewendet“ werden. Anwenden bedeutet dabei das Auffüllen des strukturationstheoretischen Bezugsrahmens durch gegenstandsnähere Theorien und/oder empirisches Wissen. Die inzwischen zahlreichen strukturationstheoretisch fundierten Arbeiten zeigen (vgl. Bamberger/ Wrona 2004, S. 90 f. für einen Überblick), dass dies sinnvoll möglich ist und ein potenziell sehr differenziertes Bild der jeweiligen Untersuchungsgegenstände ergibt. Dieses Bild kann in allgemeiner Form mit anderen Perspektiven der Managementforschung verglichen werden. Dabei fällt auf, dass eine strukturationstheoretische Perspektive bei der Betrachtung und Erklärung von Führungsphänomenen bestimmte Akzente setzt. Einer dieser Akzente besteht darin, dass Führungsphänomene im Sinne von Praktiken analysiert werden.
4.1.1 Die Strukturationstheorie im Vergleich zu anderen Konzeptionen der Managementforschung Die Anwendung der Strukturationstheorie zur Erklärung und Beschreibung von Phänomenen der Führung kann grundsätzlich durchaus neue und interessante Perspektiven eröffnen sowie dem Hinterfragen heute geltender Theorien dienen. Dies erreicht das strukturationstheoretische Analyseraster auch durch die in der Kombination seiner Betrachtungsebenen liegende interdisziplinäre Grundausrichtung. Durch die Bereitstellung eines integrativen Analyserahmens lassen sich gegenseitige Anknüpfungspunkte unterschiedlicher Theoriefamilien, aber auch „blinde Flecken“ in der Theoriebildung identifizieren. Dieser Nutzen der Strukturationstheorie ist vor allem dann gegeben, wenn ein Managementforscher sich aus der Perspektive (nur) einer bestimmten Management-Theorierichtung einem Phänomen nähert. Je breiter jedoch seine
Strukturationstheorie und Managementforschung
119
anfängliche Perspektive ist, desto weniger wiegt der eben beschriebene Zusatznutzen der Verwendung der Strukturationstheorie. Was ist gar, wenn (wie hier angenommen) eine sehr differenzierte Perspektive bereits eingenommen wird? In diesem Fall reduziert sich der von der Strukturationstheorie gestiftete Nutzen zur Theoriebildung auf eine globale Orientierungsleistung: Da die Strukturationstheorie für sich beansprucht, soziale Phänomene „ganzheitlich“ und nach dem Wesen des Sozialen strukturiert zu beschreiben, lassen sich auch Managementfragestellungen durch sie „ganzheitlich“ und sinnvoll strukturiert beschreiben. Vor diesem Hintergrund ist es dann möglich, alternative Bezugsrahmen auf „Lücken“ zu prüfen. Allerdings können im Gegenzug Bezugsrahmen der Managementforschung ihrerseits in Teilen so breit angelegt sein, dass das strukturationstheoretische Analyseraster eine Konkretisierung allgemeinerer Kategorien darstellt. Das grundlegende Problem bei der Anwendung des strukturationstheoretischen Analyserasters ist dabei die Allgemeinheit seiner Einzelkomponenten. Während ein Analyseraster wie etwa der Bezugsrahmen von Bamberger auf konkrete Ansätze zur inhaltlichen Ausfüllung der Analysedimensionen verweist, ist die Strukturationstheorie hier auf noch aufzuarbeitenden gegenstandsbezogenen Theorieinput angewiesen. Daher ermöglicht die Strukturationstheorie einerseits die Ordnung von Managementtheorien, andererseits begrenzt die Allgemeinheit der Denkfiguren zugleich den Nutzen als Ordnungskriterium für managementtheoretische Ansätze. Dies lässt sich anhand der Denkfigur der Modalitäten aufzeigen. Im Kern handelt es sich, wie oben beschrieben, bei Modalitäten um Wissensstrukturen. Wenn dies im Rahmen einer konkreten Forschungsanstrengung, etwa der Analyse eines strategischen Manövers, inhaltlich betrachtet werden soll wird schnell klar, welch ernorme Vielschichtigkeit sich hinter „Wissensstruktur“ bzw. Modalität verbergen kann. Entsprechend monströs wäre der Anspruch alle mit einem sozialen Phänomen verknüpften Wissensstrukturen zu erfassen und einer Theoriebildung zu unterziehen. Bamberger hingegen verweist in seinem Bezugsrahmen auf ein bestimmtes Forschungsgebiet und gibt so (und durch eigene Arbeiten) konkretere, aus forschungspraktischer Sicht nützlichere Hinweise zur Ausfüllung dieser Denkfigur.
4.1.2 Akzentverschiebungen im Rahmen der Managementforschung Ein weiterer Impuls, der von der Strukturationstheorie ausgehend die Theoriebildung in der Managementforschung stimulieren kann, besteht in einer vom
120
Stephan Cappallo
Mainstream der Managementforschung unterschiedlichen Akzentsetzung. Hierzu kommt es, wenn der die Strukturationstheorie anwendende Forscher bereits bestehende Forschungsergebnisse aufbereitet, sie in den strukturationstheoretischen Bezugsrahmen integriert und mit anderen Theorieströmungen in der Managementforschung verknüpft. Die Strukturationstheorie akzentuiert die enge Verbindung von Handlungen und sozialen Strukturen Wie die Strukturationstheorie betont, wirken Strukturen nur, wenn man etwas tut. Nur hierdurch werden sie reproduziert. Im „Gegenzug“ reproduziert jegliches Managementhandeln (z. B. das Planen, das Organisieren, das Führen oder das Kontrollieren) soziale Strukturen. Grundsätzlich könnte diese Sichtweise viele partikuläre Perspektiven in der Managementforschung erweitern. So werden die Beziehungen zwischen unternehmensinternen und -externen Strukturen auf der einen und Handlungen von Aktoren auf der anderen Seite im Mainstream der Managementforschung in der Regel im Sinne getrennter Phänomene betrachtet. Auch die Trennung zwischen Prozess- und Inhaltsforschung bringt dies gewissermaßen zum Ausdruck: eine Perspektive analysiert „Aktivitäten“, die andere betrachtet deren Ergebnisse. Die Inhaltsforschung, wie etwa der situative Ansatz, geht davon aus, dass die dort thematisierten Strukturen in Handlungen umgesetzt werden. Er impliziert, dass z. B. Organisationsstrukturen nicht nur formale Regelungen sind, sondern dass diese gelebt werden. Das operative Wirksamwerden der Organisationsstrukturen wird aber typischerweise nur postuliert, aber nicht explizit untersucht. Täte man dies im Sinne der Strukturationstheorie, so entstünde als eine Folge der damit verbundenen „Reproduktions“-Sichtweise ein wesentlich diffuseres Bild der sozialen Wirklichkeit, als es dies in den Beschreibungen sozialer Strukturen durch viele Beiträge der Managementforschung vermittelt wird. Dort wird häufig mit Idealtypen argumentiert, die in Reinform so nicht in der (strukturationstheoretischen) sozialen Wirklichkeit auftauchen dürften – jedenfalls nicht, wenn man der Handlungsmacht des Einzelnen Rechnung trägt: 1.
2.
Die Strukturationstheorie betont die Kraft, die einzelne Personen bei der Gestaltung sozialer Systeme besitzen. Zwar würdigen viele Personalistische Ansätze die Rolle und Bedeutung von einzelnen Aktoren für ihr Umfeld. Es lassen sich aber unter diesem Blickwinkel auch solche Fragestellungen formulieren, die bislang die Domäne anderer Ansätze waren. Beispielsweise könnte man die Wirkung der beim Transaktionskostenansatz unterstellten Mechanismen im Zusammenhang mit den Persönlichkeits-
Strukturationstheorie und Managementforschung
121
strukturen der relevanten Aktoren analysieren. Die Beschreibung dieser Rolle könnte auf Denkfiguren der Strukturationstheorie zurückgreifen – beispielsweise bei der Frage nach dem Ausmaß der Handlungsfähigkeit der einzelnen Personen. Gleichsam kann man dies auch unter Verwendung anderer, z. B. führungstheoretischer Analyseraster tun. Etwa wenn man den „Gestaltungsfreiraum“ von Einzelpersonen bei transaktionstheoretisch erklärbaren Entscheidungssituationen im Sinne von „choices“, „demands“ und „restrictions“ (vgl. Steward 1982) abbildet.
4.1.3 Praktiken als zentraler Bezugspunkt strukturationstheoretischer Analysen Im Mittelpunkt der Strukturationstheorie steht die Denkfigur der sozialen Praktik: Formen sozialen Handelns, die über Zeit Bestand haben und an unterschiedlichen Orten gelebt werden. Diese allgemeine Begriffsfassung erhebt Praktiken auch zu einem Gegenstand der Managementforschung. Dabei trägt die Rekonstruktion von Phänomenen der Managementforschung als Praktiken grundsätzlich in sich das Potenzial, die Managementforschung zu bereichern (s. o.). Andererseits ist die Profilierung von Praktiken in der Strukturationstheorie zu global für Belange der Managementforschung: Dies betrifft Ebenen und Arten von Praktiken, Beziehungen zwischen Praktiken sowie Fragen der Dynamik von Praktiken bzw. sozialen Phänomenen. Die Managementforschung zeigt, dass Praktiken auf sehr unterschiedlichen Ebenen betrachtet werden können. Dies sind beispielsweise die operative, taktische und strategische Ebene des Managements oder etwa auch hierarchische Ebenen im Unternehmen (vgl. hierzu Bamberger/Wrona 2004, S. 8 f.). Hier unterscheidet die Strukturationstheorie lediglich nach raum-zeitlicher Stabilität Praktiken, Systeme und Institutionen. Die Managementforschung zeigt hier, dass diese Dreiteilung zwar bestimmte Aspekte von Managementphänomenen zu betonen hilft, aber zentrale Aspekte der Theoriebildung in der Managementforschung nicht aufgreift. Bei Arten von Praktiken unterscheidet die Strukturationstheorie lediglich die Systemkoordination und nicht-systemkoordinierende Praktiken. Auf den ersten Blick erscheint diese Zweiteilung aus Sicht der Managementforschung vorteilhaft. Schließlich wird die Koordination sozio-technischer Systeme als eine zentrale Führungsfunktion angesehen (vgl. Bamberger/Wrona 2004, S. 6). Allerdings kann das Ausüben der Führungsfunktionen sehr unterschiedlich ausfallen. Man denke hier etwa an unterschiedliche Führungsstile, die kulturelle Prägung der Führung, die unterschiedlichen Rollen und Bedeutungen von Führungssystemen oder etwa an verschiedene spezifische Führungsprobleme (z. B. Quali-
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täts-, Vertrags-, Umwelt-, Sport- oder Issuemanagement usw.). Ferner können diese koordinierenden Praktiken wiederum Gegenstand der Koordination sein, etwa durch ein Controlling. Und das Controlling wird wiederum durch den Leiter des Controllings bzw. ein Controlling-Management koordiniert. Angesichts dieser Vielfältigkeit erscheint der theoretische und forschungspraktische Nutzen der Unterscheidung in koordinierende und nicht-koordinierende Praktiken relativ begrenzt. Beziehungen zwischen Praktiken werden in der Strukturationstheorie nicht explizit thematisiert. Dabei sind Beziehungen in der Managementforschung zentraler Gegenstand der über die reine Deskription hinausgehenden Theoriebildung. Beispiele dafür reichen vom Structure-Conduct-Performance-Paradigma der Industrieökonomik, über den situativen Ansatz der Organisationsstruktur bis hin etwa zu Arbeiten zum Internationalisierungsverhalten von Unternehmen in bestimmten Branchen (vgl. Wrona 1999). Ferner stellen hierarchische Beziehungen einen fundamentalen Bezugspunkt der Managementforschung dar. Man denke nur an die Vorstellung der Führung als einem Controlling Overlayer (vgl. Kirsch 1990, S. 31 ff.). Zur Frage der Dynamik verweist die Strukturationstheorie auf die dem Handelnden zugewiesene Rolle und Bedeutung, der über seine Auslegung interpretationsbedürftiger Regeln soziale Praktiken ändern kann. Strömungen der Managementforschung, wie die Organisationsentwicklung, die personalistischen Ansätze aber auch neuere Konzepte des organisationalen Wandels greifen solche Gedanken auf und konkretisieren sie. Daneben untersucht die Managementforschung aber auch zahlreiche andere dynamische Phänomene, für die es in der Strukturationstheorie wenig Anknüpfungspunkte gibt: •
Die Schaffung völlig neuer Praktiken, z. B. im Sinne von Internationalisierungspfaden von Unternehmen.
•
Die Ausstrahlung der Veränderung einer Praktik auf andere Praktiken, z. B. Strategiewechsel aufgrund von Wettbewerberverhalten oder Moden. Dies schließt sowohl inkrementalen Wandel von Einflussgrößen sozialer Systeme ein, als auch die Veränderung von Praktiken durch Diskontinuitäten.
•
Die Existenz von Praktiken, die auf die Veränderung bestehender Praktiken ausgerichtet sein können (wie es etwa die Unternehmensplanung sein kann oder Programme des Change-Managements), wird durch den Fokus auf die Ebene des Handelns vernachlässigt.
•
Das Phänomen, dass es leichter zu ändernde Praktiken/Systeme/Institutionen gibt und solche, die schwerer zu verändern sind.
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Fragen der Flexibilität, einem Leitmotiv der Managementforschung, finden im Analyseraster der Strukturationstheorie nur schwer ihren Platz. Kann flexibles Verhalten von Unternehmen im strukturationstheoretischen Sinne als Praktik gelten? Wenn ja, stellt flexibles Verhalten von Unternehmen die Anpassung von Praktiken dar oder eine Praktik zur Neu- bzw. Abschaffung von Praktiken?
Zur Erfassung dieser Phänomene liefert die Strukturationstheorie zwar einen allgemeinen begrifflichen Rahmen. Weil sie diese Formen der Dynamik aber nicht explizit thematisiert, liefert sie darüber hinaus keine Hilfestellung zu deren Analyse. Entsprechend ist die Frage durchaus berechtigt, ob alleine die Einbeziehung der Handlungsperspektive dem Anspruch einer dynamischen Sichtweise des Sozialen tatsächlich aus managementtheoretischer Perspektive genügt.
4.2 Metatheoretische Implikationen für die Managementforschung Bei aller Ergänzungs- und Präzisierungsbedürftigkeit scheint es das wissenschaftstheoretische Fundament der Strukturationstheorie zu sein, das ihren Vorteil gegenüber anderen managementtheoretischen Bezugsrahmen begründet – auch, wenn diese ebenfalls eine hohe Differenzierung auf theoretischer Ebene aufweisen. So verarbeiten breit angelegte Bezugsrahmen der Managementforschung Ansätze und Arbeiten sehr unterschiedlicher wissenschaftstheoretischer Prägung. Bei der empirischen Verwendung dieser Bezugsrahmen und der damit einhergehenden Wahl der „passenden“ Methoden und Maßstäbe des Erkenntnisfortschritts kann der Forscher daher keinen gesetzten Vorgaben folgen. Er muss sich selbstständig positionieren und läuft damit Gefahr, Inputs aus Theorien zu verwenden, die anderen als den von ihm gewählten wissenschaftstheoretischen Leitideen folgten. Denkbar wären hier z. B. die Bildung von nomologischen Hypothesen aus den Ergebnissen von interpretativen Einzelfallstudien oder die Verwendung von theoretischen Konstrukten im Rahmen „qualitativer“ Forschungsdesigns. Während solche Vorgehensweisen grundsätzlich möglich sind, fehlt ihnen die ausgearbeitete Begründung eines in sich geschlossenen Wissenschaftsprogramms. Leider wird dieser Vorteil der wissenschaftstheoretischen Fundierung der Strukturationstheorie durch Probleme bei ihrer Umsetzung in der Forschungspraxis stark eingeschränkt.
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So impliziert die Strukturationstheorie, dass eine differenzierte Sichtweise sozialer Systeme nützlicher ist als eine einfache. Der Forscher hat sich in umfassender Weise mit seinem Forschungsgegenstand auseinanderzusetzen. Dies beginnt bei der Aufarbeitung theoretischen Wissens über den Untersuchungsgegenstand und mündet in vielschichtige, sich gegenseitig bedingende institutionelle Analysen und Analysen des strategischen Handelns der betrachteten Aktoren. Dabei treten bereits bei der Sensibilisierung des Forschers gegenüber seinem Forschungsgegenstand gravierende Probleme durch die schiere Masse potenziell relevanter Wissensbereiche auf. So zeigte Cappallo (2005) in seiner strukturationstheoretischen Branchenanalyse, dass nicht nur ökonomische, netzwerktheoretische und kognitive Ansätze in eine solche Untersuchung einbezogen werden müssten. Auch rechtliche, physikalische, ingenieurwissenschaftliche, wirtschaftsgeographische, politische, historische, sprachtheoretische oder mathematische Perspektiven müssten berücksichtigt werden. Alle diese Ansätze thematisieren Komponenten des strukturationstheoretischen Bezugsrahmens zur Analyse des Sozialen. Hiermit wird klar, dass der Differenzierungsgrad der Analyse schnell eskaliert und forschungspraktisch nicht mehr zu bewältigen ist. Unglücklicherweise liefert die Strukturationstheorie auch keine Kriterien, die die Relevanz der jeweiligen Ansätze beurteilen lassen. Schließlich führt dies zu der Erkenntnis, dass die strukturationstheoretische Perspektive des Sozialen so komplex ist, dass gegenstandsbezogenere Forschung auf empirischer oder theoretischer Ebene lediglich Teilausschnitte des Sozialen betrachten kann. Sie muss sich auch von der Illusion lösen, alle relevanten Parameter über „synoptische“ Forschungsdesigns bzw. -ansätze kontrollieren zu können. Letztendlich führt eine enge Auslegung der Strukturationstheorie hier durch ihren eigenen Anspruch dem Forscher die Unzulänglichkeit seines Forschungsinstrumentariums und die Begrenztheit seiner Forschungskapazität vor Augen. Allerdings existieren pragmatische Auswege aus dieser Situation: •
Der Forscher kann sein Augenmerk auf bestimmte Praktiken/Institutionen richten und dabei versuchen, die Menge relevanten Wissens zu begrenzen. Möglich ist auch die Orientierung an Belangen der Zielgruppe der Forschungsergebnisse.
•
Der Forscher kann die Strukturationstheorie als allgemeine Richtschnur für die Auseinandersetzung mit Forschungsproblemen ansehen und sie bei der Interpretation seiner Forschungsergebnisse heranziehen. Hiermit würde er einem Vorschlag von Giddens zur sehr unverbindlichen Anwendung der Strukturationstheorie folgen.
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In der Tat lässt sich zeigen, dass der undogmatische Umgang mit der Strukturationstheorie, der sich in diesen Vorschlägen äußert, sich bereits aus wissenschaftstheoretischen Aussagen der Strukturationstheorie schlussfolgern lässt. So wird, die Strukturationstheorie reflexiv anwendend und teleologisch interpretierend, auch der Wissenschaftler ein kompetentes Navigieren in dem für ihn relevanten Umfeld anstreben. Dies impliziert auch das Praktizieren von „anerkannten“ Wissenschaftsparadigmen solange es den individuellen Zielen des Wissenschaftlers nützt. Diese Sichtweise mündet dabei in ein Paradox: Wenn es für eine bestimmte Fragestellung oder in einem bestimmten wissenschaftlichen Zirkel nicht opportun erscheint die Strukturationstheorie zu verwenden, weil diese keine kompetente Navigation im diesem sozialen Kontext ermöglicht, dann empfiehlt sie selbst die Wahl eines anderen Wissenschaftsparadigmas. Ein solches würde aber metatheoretischen Aussagen der Strukturationstheorie widersprechen. Man könnte also den Postulaten der Strukturationstheorie folgen und sie zugleich aber ablehnen. Die Auflösung dieses Paradoxons kann durch die Einstellung eines metatheoretischen Freigeists erfolgen, der je nach Bedarf zwischen den Paradigmen wechselt. Dann kann man aber auch ganz auf eine vorgängige Festlegung auf metatheoretische Leitprinzipien verzichten und diese rein situativ bestimmen.
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Literaturverzeichnis Bamberger, I./Cappallo, S. (2007): Neue Wege der Branchenanalyse, in: Essener Unikate. Empirische Wirtschaftsforschung, Nr. 27, Essen, S. 18-29. Bamberger, I./Cappallo, S. (2003): Problembereiche und Ansätze der Strategischen Prozessforschung, in: Ringlstetter, M./Henzler, H./Mirow, M. (Hrsg.): Perspektiven der Strategischen Unternehmensführung, Wiesbaden, S. 93-120. Bamberger, I./Wrona, T. (2004): Strategische Unternehmensführung, München. Byrant, C./Jary, D. (1991): Giddens theory of structuration. A critical appreciation, London/New York. Cappallo, S. (2006): Funktionen und Ziele wissenschaftlichen Fortschritts aus strukturationstheoretischer Perspektive, in: Zelewski, S. (Hrsg.): Fortschrittskonzepte und Fortschrittsmessung in Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsinformatik, Wiesbaden. Cappallo, S. (2005): Die Strukturationstheoretische Analyse von Branchen, Wiesbaden. Giddens, A. (1976): New rules for sociological method, New York. Giddens, A. (1979): Central problems in social theory, London. Giddens, A. (1984): The constitution of society, Cambridge. Kirsch, W. (1990): Unternehmenspolitik und strategische Unternehmensführung, München. Kirsch, W. (1997): Wegweiser zur Konstruktion einer evolutionären Theorie der Strategischen Führung, 2. Aufl., München. Walgenbach, P. (1999): Giddens’ Theorie der Strukturierung, in: Kieser, A. (Hrsg.): Organisationstheorien, 3. Aufl., Stuttgart, S. 355-375. Steward, R. (1982): A model for understanding managerial jobs and behavior, in: Academy of Management Review, Jg. 7, Heft 1, 1982, S. 7-13. Wrona, T. (1999): Globalisierung und Strategien der vertikalen Integration, Wiesbaden.
Hochschulfusionen als strategische Maßnahme: Nutzung von Ergebnissen der Fusionsforschung Hochschulfusionen als strategische Maßnahme
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Hochschulfusionen ......................................................................... 129
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Hochschulfusionen als strategisches Handeln ................................ 130
3
Größe der Hochschuleinheit und Transaktionskosten .................... 132
4
Befunde der Fusionsforschung ....................................................... 133 4.1 Ziele ..................................................................................................134 4.2 Gefahren ...........................................................................................137 4.3 Erfolgsfaktoren .................................................................................140
5
Fusionen als organisatorischer Wandel .......................................... 141
6
Vorläufige Bilanz............................................................................ 144
Literaturverzeichnis............................................................................... 147
Hochschulfusionen als strategische Maßnahme
1
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Hochschulfusionen
Zerlegungen und Zusammenschlüsse von Hochschulen spielen als strategische Maßnahmen eine beachtliche Rolle. Beispiele sind am Beginn der 1970er Jahre die Bildung von Gesamthochschulen in Nordrhein-Westfalen durch Zusammenlegung bestehender Einrichtungen und dem damit verbundenen Aufund Ausbau der universitären Komponente dieses Hochschultyps. Nach Aufgabe des Gesamthochschulkonzepts folgte die Zusammenlegung der Universitäten Duisburg und Essen. Andere Beispiele sind die Eingliederung der Pädagogischen Hochschulen in benachbarte Universitäten in fast allen Bundesländern, die Zusammenlegung der Universität und der Fachhochschule in Lüneburg, die Bildung der Hochschule Bremen sowie der Fachhochschule Oldenburg/ Ostfriesland/Wilhelmshaven, die durch die Zusammenlegung von drei bestehenden Einrichtungen entstand. Ein besonders gelagerter Fusionsfall ist die Bildung der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg durch die Fusion der Universitäts-Fachbereiche Wirtschaftswissenschaften und Sozialwissenschaften mit der bis dahin selbstständigen Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik. Die aktuellen Fusionsfälle und weiterführende Überlegungen wurden 2006 in einer größeren Dokumentation dargestellt und diskutiert (vgl. Battke/Cremer-Renz 2006). Die Bildung größerer Hochschuleinheiten spielt auch in zahlreichen anderen Ländern eine beachtliche Rolle. Dies gilt für Australien mit der Schaffung großer Universitäten durch die Zusammenlegung bestehender Einrichtungen, die sich zum Teil an mehreren Standorten befinden. In Straßburg wurden die dort bestehenden Universitäten mit dem Ziel fusioniert, eine große und besonders leistungsfähige Universität zu schaffen. Ein Teil dieser Fusionen wurde wieder rückgängig gemacht. Dies gilt z. B. für die Gesamthochschulen in Nordrhein-Westfalen nach Aufgabe des Gesamthochschulkonzepts. Gelegentlich wurden auch größere Einrichtungen geplant zerlegt. Das trifft z. B. auf die Fachhochschule Rheinland-Pfalz mit einer größeren Anzahl von Abteilungen zu, aus denen selbstständige Fachhochschulen gebildet wurden, und für die frühere Universität Kaiserslautern/Trier, die in zwei selbstständige Universitäten zerlegt wurde. Die mit den Fusionen angestrebten Ziele sind keineswegs einheitlich. In den offiziellen Verlautbarungen dominieren Hinweise auf die Schaffung größerer und leistungsfähigerer Einheiten, das Erreichen oder Überschreiten kritischer Größen oder Wirtschaftlichkeitsüberlegungen.
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Hochschulfusionen als strategisches Handeln
Strategisches Handeln ist auf die Entwicklung von dauerhaften Wettbewerbsvorteilen gerichtet (Bamberger/Wrona 2004, S. 15). Ein durchgängiges Wettbewerbsumfeld besteht im Hochschulbereich nicht. In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich die Hochschullandschaft aber nachhaltig verändert. Sie ist mittlerweile durch eine Vielzahl von wettbewerblichen Komponenten durchdrungen. Seit geraumer Zeit zielen die veränderten, vom Staat gesetzten Rahmenbedingungen auf Deregulierung und Wettbewerb (Lange 1997, S. 10 ff.). Auf diesem Weg ist Österreich besonders weit gegangen (Titscher/Höllinger 2003). Strategisches Handeln an Hochschulen findet seit mindestens zehn Jahren verstärkt Aufmerksamkeit (Müller-Böling et al. 1998, Küpper/Sinz 1998, Weber 2003a und b). Als zentrales Leitmotiv wird die Stärkung und Profilbildung durch Konzentration auf Kernkompetenzen der Hochschulen genannt (Cremer-Renz 2006, S. 8 f.): „Davon versprechen sich die Hochschulen und auch die Länder ökonomische und wettbewerbsstrategische Vorteile auf dem nationalen und dem internationalen Bildungsmarkt“ (Cremer-Renz 2006, S. 8f.). Unter Strategien werden überwiegend komplexe Maßnahmenbündel verstanden, die rational geplant und vor der Maßnahmenrealisierung formuliert werden (Macharzina 1999, S. 197 ff.). Wegen der Pfadabhängigkeit von Entscheidungen liegt eine Relativierung dieser Position nahe. Vor diesem Hintergrund liegt ein Strategieverständnis nahe, das Strategien „als Grundmuster im Strom von Entscheidungen und Handlungen“ begreift (Macharzina 1999, S. 198). Wird dieses Strategieverständnis unterstellt, können Strategien nur ex post identifiziert werden. Hinter diesem Verständnis steht die Auffassung, dass die Formulierung von Strategien, die irreversibel sind und langfristige Bindungen auslösen, angesichts des äußerst raschen Wandels und der damit verbundenen Komplexität die Entscheider überfordern. Die beobachtbaren Strategien sind deshalb eher ein Vortasten in einer sich ändernden Umwelt, wobei die jeweils aktuelle Lage der jeweiligen Organisation und seine Vergangenheit neben den jeweils aktuellen Herausforderungen einen wichtigen Einfluss haben. In Straßburg waren der sich verstärkende weltweite Wettbewerb im Hochschulbereich und die weltweit angelegten, keineswegs unproblematischen Hochschulrankings die aktuelle Herausforderung, auf die reagiert wurde. In den internationalen Rankings kommen an der Spitze vorwiegend etablierte und/oder relativ große Hochschulen zum Zuge. Man sah deshalb in der Fusion der Straßburger Universitäten einen geeigneten Ansatz, Exzellenz zu generieren und nach außen
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sichtbar zu machen. In anderen Fällen stand die Kombination von Überschreiten einer kritischen Größe der Einrichtung in einem ersten Schritt sowie Schwerpunktbildung und Profilierung im zweiten Schritt Pate für die Fusionsidee: „Fusionierte Hochschulen haben die Chancen, sich neu zu profilieren und ihr Potenzial hinsichtlich Internationalität, Wirtschaftlichkeit, Attraktivität in Lehre, Forschung und Weiterbildung zu entwickeln“ (Cremer-Renz 2006, S. 16). Offen bleibt meist, wer eine Hochschulfusion als strategische Maßnahme betreibt. Wenn die Fusion von staatlicher Seite verordnet wird, sind das Handeln und die Verantwortung für die ergriffene Maßnahme außerhalb der fusionierten Hochschulen angesiedelt. Es wird aber das Folgehandeln im Wesentlichen den Hochschulen, oft einem Gründungspräsidenten oder Gründungsrektor und den neuen Führungsgremien der fusionierten Einheit überlassen. Dies ist mit spezifischen Erwartungen verbunden, die als vorgegebene Fusionsziele für die verantwortlichen Leitungspersonen in der neu gebildeten Hochschule interpretiert werden können. Wenn die Initiative für eine Fusion von einer oder mehreren Hochschulen ausgeht, sind unterschiedliche Konstellationen denkbar: Mehrere Hochschulen möchten gemeinsam ihre Wettbewerbsposition und Schlagkräftigkeit verbessern. Oder: Eine meist größere Hochschule möchte durch Übernahme einer anderen Hochschule die eigene Position verbessern oder einen Konkurrenten ausschalten. Trotz dieser unterschiedlichen denkbaren Ausgangssituationen kann festgehalten werden: Hochschulfusionen sind stets ein wichtiger strategischer Schritt, der in aller Regel auf eine Verbesserung der Wettbewerbsposition zielt. Dieses Thema verdient deshalb mehr Aufmerksamkeit. Es ist bisher wenig untersucht. Empirische Untersuchungen fehlen zumindest in Deutschland ganz. Deshalb liegt es nahe, Forschungsbemühungen einzuleiten bzw. zu verstärken. Einen ersten Ansatzpunkt bietet die Institutionenökonomie mit dem Transaktionskostenansatz. Auf dieser Grundlage können Aussagen zu den erwarteten Größeneffekten der neu geschaffenen Einrichtungen abgeleitet werden. Einen zweiten Zugang bieten die Ergebnisse der Fusionsforschung mit dem Fokus Unternehmen: Es bietet sich an, Parallelen herzustellen und erste Schlussfolgerungen im Hinblick auf Hochschulfusionen zu ziehen. Hochschulfusionen sind schließlich Projekte des organisatorischen Wandels. Auch dieser Zugang soll geprüft werden. Im Folgenden werden diese drei Ansatzpunkte auf ihre Tragfähigkeit und mögliche erste Schlussfolgerungen geprüft.
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Größe der Hochschuleinheit und Transaktionskosten
Bei allen Hochschulfusionen spielt in der vorlaufenden oder begleitenden Diskussion das Zielpaar Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit eine zentrale Rolle. Dabei werden mindestens zwei Perspektiven unterschieden: das Leitungssystem der Hochschule und die Erfüllung der Primäraufgaben in Forschung und Lehre. Leistungsfähigkeit innerhalb eines Leitungssystems wird durch den Grundsatz gesichert, dass die Entscheidungen dort angesiedelt werden, wo das Informationsniveau hinsichtlich der zu erfüllenden Aufgaben am höchsten ist. Die Umsetzung der Entscheidungen wird aufgabennah unterstützt, das heißt, die administrative Unterstützung ist eng mit den zu erfüllenden Aufgaben verbunden: Zuständigkeit, Verantwortlichkeit und Aufgabenerfüllung fallen zusammen. Wirtschaftlichkeit ist in einem Leitungssystem im Sinne eines möglichst geringen Ressourceneinsatzes gegeben, wenn die Gesamtkosten für die Leistungserstellung und die Transaktionskosten minimiert werden. Bei Fusionen werden in der Regel die Größenvorteile und die damit verbundene Kostendegression als zentrales Argument ins Feld geführt. Den möglicherweise geringeren Produktionskosten bei der Leistungserstellung müssen die Transaktionskosten gegenübergestellt werden. Transaktionskosten entstehen im Zusammenhang mit der Entscheidungsfindung, der Absicherung und Durchsetzung der Entscheidungen, für Nachfragen, Rücksprachen, klärende Gespräche, Verhinderung von opportunistischem Verhalten usw. Diese Sachverhalte sind Mitgliedern von Hochschulen wohl bekannt: Wenn die Einstellung eines Mitarbeiters zu dem vorgesehen Termin zu scheitern droht, werden Telefonate geführt, Mitglieder des Dekanats angesprochen, der Personalrat konsultiert etc. Auch diese Kosten und der dahinter stehende Zeiteinsatz müssen in die Bewertung einbezogen werden. Die Transaktionskosten umfassen überdies die transaktionsspezifischen Investitionen. Solche Investitionen entstehen, wenn spezifische Kompetenz aufgebaut werden muss oder abnehmerspezifische Einrichtungen aufgebaut werden. Beispiele hierfür sind die Einrichtung einer Beratungsstelle für Antragssteller bei der DFG oder der EU und der Aufbau von einschlägiger Kompetenz bei den Mitgliedern dieser Beratungsstelle oder der Aufbau eines Informationsservice für Studieninteressierte. Das Prinzip, Entscheidungen dort anzusiedeln, wo das Informationsniveau am höchsten ist, bedeutet weitgehende Dezentralisierung von Entscheidungen.
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Die Dezentralisierung findet konsequenterweise dort ihre Grenze, wo der Aufbau von spezifischer Kompetenz nicht lohnt, d. h. wo bestimmte Vorgänge nur selten vorkommen. Das bedeutet zum Beispiel, dass Beratungskompetenz für die Einrichtung von DFG-Sonderforschungsbereichen zweckmäßiger Weise zentral und nicht dezentral vorgehalten wird. Es spricht vieles für die Annahme, dass die Bildung besonders großer Subeinheiten in Organisationen, also auch in Hochschulen, kontraproduktiv ist: Große Einheiten produzieren eher hohe Transaktionskosten. Außerdem müssen den Kostenvorteilen bei der Leistungserstellung in größeren Einheiten die Vorteile einer problemnahen Bearbeitung gegenübergestellt werden. Es ist offenkundig, dass diese theorieorientierten Darlegungen bei der Entscheidung über eine Fusion von Hochschulen nur begrenzt hilfreich sind. Sie leisten aber Hinweise auf die zentralen Kostenkategorien, die bei Entscheidungen über die Größe von Organisationseinheiten berücksichtigt werden müssen. Die in Fusionsprozessen an Hochschulen Handelnden neigen vielfach zur Bildung größerer Subeinheiten, um mögliche Effekte der Größendegression auszunutzen. Die Transaktionskosten-Perspektive zeigt, dass dieser Ansatz zu kurz greift. Daraus lässt sich die Forderung ableiten, die Transaktionskosten bei der Neustrukturierung fusionierter Hochschulen sowohl im Entwicklungsprozess als auch als Folge der Strukturentscheidungen in die Analysen und die darauf aufbauenden Entscheidungen einzubeziehen. Es bedarf allerdings empirisch fundierter Aussagen insbesondere über kritische Größen in den hochschultypischen Leistungsbereichen, um von diesem Ansatz her Gestaltungshinweise zu entwickeln.
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Befunde der Fusionsforschung
Die Komplexität von Fusionen und von Fusionsentscheidungen ist so groß, dass wenig Hoffnung besteht, die vielfältigen Wirkungen von Zusammenlegungen angemessen ex ante zu erfassen: Deshalb liegt es nahe, die Ergebnisse der Fusionsforschung im Unternehmensbereich zu konsultieren und Parallelen mit dem Hochschulbereich zu suchen. Auf diese Weise können zumindest Hypothesen für die weitere empirisch fundierte Hochschulfusionsforschung generiert werden.
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Hier wird auf Ergebnisse der Fusionsforschung Bezug genommen, die das Fusionsgeschehen umfassend, aber oft ohne theoretischen Unterbau relativ grob erfassen. Die Beiträge zur Fusionsforschung setzen sich schwerpunktmäßig mit den Zielen, den besonderen Gefahren und den Erfolgsfaktoren von Fusionsprozessen auseinander. Hierauf wird im Folgenden Bezug genommen.
4.1 Ziele Die Motive für Zusammenschlüsse von Organisationen – Unternehmungen, Verbände oder Einrichtungen der Bildung und Wissenschaft – unterscheiden sich nicht grundsätzlich, auch wenn jeder Organisationstyp und jede Organisation jeweils typische Besonderheiten aufweisen. Am breitesten und intensivsten ist die Frage der Beweggründe bzw. Ziele für Fusionen im Hinblick auf Unternehmungen untersucht und diskutiert worden (u.a. Albrecht 1994, Bühner 1990, Jansen 1999, Picot 2000). Dabei wird den Motiven sogar gelegentlich der Status von Theorien zugeordnet, weil ihnen die Erklärung des Zustandekommens von Zusammenschlüssen zugeschrieben wird: Das Motiv ist Ausgangspunkt und treibende Kraft für den Fusionsprozess (Albrecht 1994, S. 5). Auch wenn dieser Argumentation gefolgt wird, ist es angemessener von Motivklassifikationen zu sprechen (Bühner 1990, Fischer 1995, Trautwein 1990). Aus den verschiedenen Klassifikationsbeiträgen schälen sich zwei Hauptansatzpunkte – anwendbar auf alle Organisationstypen – heraus: organisationsbezogene Motive und individuelle Motive der handelnden Personen. Bei den organisationsbezogenen Perspektiven stehen Effizienzerhöhung bei der Leistungserstellung und Verbesserung der Marktposition im Mittelpunkt der Diskussion. Personenbezogene Motive liegen vor, wenn z. B. die Ausweitung von Machtpositionen der Akteure im Vordergrund steht.
Effizienzerhöhung Effizienzerhöhung bedeutet, dass sich das Verhältnis zwischen eingesetzten Ressourcen und erzieltem Ergebnis verbessert. Im Zusammenhang mit Fusionen wird häufig eine Erhöhung der Effizienz erwartet, wobei insbesondere auf die „economies of scale“ gesetzt wird: „In a resource framework this would mean
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that a given bundle of resources is being more fully utilized“ (Singh/Montgomery 1987, S. 379). Es wird erwartet, dass durch die Fusion eine günstigere Betriebsgröße erreicht wird, weil die zusammengeführten Ressourcen besser ausgenutzt werden können. Die „economies of scale“ spielen in der industriellen Massenproduktion eine herausragende Rolle, weniger im Dienstleistungsbereich bzw. im tertiären Sektor. Das Effizienz-Argument als Beweggrund für Fusionen wird selbst für Unternehmen in der betriebswirtschaftlichen Diskussion insgesamt skeptisch beurteilt, auch wenn die Manager des übernehmenden Fusionspartners es gerne verwenden. Vor gut einem Jahrzehnt wurde festgestellt, dass bis dahin nur wenige empirische Belege für tatsächliche Effizienzsteigerungen nach Fusionen vorlagen (Albrecht 1994, S. 10 f.). Überzeugende, in diese Richtung weisende Befunde sind in der Zwischenzeit nicht bekannt geworden. Es spricht überdies vieles dafür, dass der oben genannte Befund auch für Fusionen im Hochschulbereich gilt. Größeneffekte sind zumindest in Studium und Lehre in der Regel mit negativen Auswirkungen auf die Qualität verbunden. Es ist außerdem unwahrscheinlich, dass sich bei Verwaltungs- und Serviceleistungen Betriebsgrößenersparnisse einstellen. Im Gegenteil: Vergleiche von kleinen und mittelgroßen Verwaltungen mit großen Verwaltungen und Serviceeinheiten weisen darauf hin, dass die ersteren leistungsfähiger und stärker auf die Erfüllung ihrer unterstützenden Funktion der Hochschulkernaufgaben ausgerichtet sind. In der Forschung hingegen könnte durch die Zusammenführung von Forschungskapazität die erforderliche kritische Größe erreicht oder überschritten werden, so dass ein quantitativ und qualitativ verbesserter Output insgesamt und je forschender Person möglich wird. Um diesen Effekt zu erzielen ist es jedoch erforderlich, dass insbesondere die personellen Ressourcen im Zuge der Fusion neu geordnet und auf gemeinsame Ziele hin ausgerichtet werden. Das bedeutet, dass frei werdende Wissenschaftlerstellen so besetzt werden müssen, dass das Erreichen der evtl. neuen gemeinsamen Ziele wahrscheinlicher wird. Eine Verbesserung des Ressourceneinsatzes ergibt sich auch, wenn Teilleistungen – in der Hochschule zum Beispiel ein Veranstaltungsmodul – für mehrere „Produkte“ – hier also mehrere Studiengänge – genutzt werden. Man spricht in diesem Fall von den „economies of scope“. Sie liegen vor, „when a given bundle of resources are used in the joint production of two or more products“ (Singh/Montgomery 1987, S. 27). Dieser Effekt kann in Hochschulen vor allen Dingen dann genutzt werden, wenn das Know-how von sehr spezialisierten Wissenschaftlern in unterschiedlichen Bereichen genutzt werden kann, zum Beispiel das Wissen des Koreanisten, das nicht nur in den Kulturwissen-
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schaften, sondern auch in den Wirtschafts-, Sozial- und Rechtswissenschaften genutzt wird.
Verbesserung der Marktposition Fusionen bedeuten zwangsläufig, dass ein selbstständiger Marktteilnehmer vom Markt verschwindet. Fusionen sind deshalb mit einem mehr oder weniger großen Zuwachs an Marktmacht bei der übernehmenden Einrichtung verbunden. Marktmacht ist deshalb ein potentieller und häufig sehr realer Beweggrund für eine Fusion (Albrecht 1994, S. 11 ff.). Auf den Hochschulkontext übertragen muss Marktmacht mit Marktposition oder mit Position in der Science Community übersetzt werden. Es liegt nahe, dass in einer zunehmend wettbewerblich organisierten Hochschullandschaft die Position in der Science Community ein Hauptbeweggrund für die Bündelung von Ressourcen ist. Wenn von den Hochschulen eine strategische Positionierung in ihrem Wettbewerbsumfeld erwartet wird, ist ihre Positionierung auf dem Markt gemeint (Müller-Böling et al. 1998; Weber 2003b). Dabei wird allerdings häufig (noch) eine andere Terminologie verwendet und von wissenschaftlicher Anerkennung, der Rolle in der Science Community oder der Sicherung von Spitzenleistungen in ausgewählten Feldern gesprochen.
Stilllegung und Ausplünderung Zusammenschlüsse kommen vielfach mit dem Ziel der Marktbereinigung durch Stilllegung der erworbenen Unternehmen zustande (Albrecht 1994, S. 26; Hölters 1989, S. 5). Die US-amerikanische Wirtschaftspresse hat den Terminus „Raider“ für Personen geprägt, „die einen Vermögenstransfer von den anderen Eigentümern des gekauften Unternehmens zu sich selbst bewirk(en)“ (Albrecht 1994, S. 19). Das dahinter stehende Konzept ist nicht unumstritten; es zeigt aber die Relevanz dieser Thematik im Fusions-Kontext. Inhaltlich tragfähiger sind Beispiele für Übernahmen oder Versuche hierzu, ohne dass das Ziel verfolgt wird, das Unternehmen mit seinem Satzungszweck weiterzuführen und stattdessen die Ressourcen anderweitig zu nutzen. So gab es beispielsweise mehrfach Versuche, die Salamander AG zu erwerben, um an die wertvollen CityGrundstücke des Unternehmens zu gelangen. Ähnliche Motive sind auch im Hochschulbereich anzutreffen. Dabei muss die Einschränkung gemacht werden, dass eine wirtschaftliche Ausbeutung durch
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den gleichen Eigentümer, nämlich den Staat, nicht möglich ist. Es ist aber nahe liegend, dass die größere und stärkere Organisation die Ressourcen der kleineren und schwächeren Organisation zum Ausbau des eigenen Konzepts auszubeuten trachtet. Zu beobachten war in der Vergangenheit auch, dass der HochschulEigentümer Staat bzw. seine Regierung eine Stilllegung von Teilen einer Hochschule leichter über den Zwischenschritt Fusion realisiert. Nach der Fusion kann die Stilllegung der internen und der externen Öffentlichkeit als Veränderung der strategischen Ausrichtung, der Schwerpunktsetzung oder ähnliches vorgestellt werden.
Schlussfolgerungen Oft gibt es in Fusionsprozessen im Hochschulbereich nur allgemein gehaltene Zielvorgaben. Deshalb ist eine Präzisierung der Ziele in dem vorgegebenen Rahmen geboten. Im Zielspektrum stehen die Positionierung in der Forschung und die Sicherung der Ressourcen zur Gewährleistung eines differenzierten und attraktiven Studienangebotes im Vordergrund. Die Befürchtung, dass Fusionen mit dem Ziel späterer Stilllegungen eingeleitet werden, ist oftmals begründet. Wenn dieses Ziel tatsächlich nicht intendiert ist, liegt es nahe, dies frühzeitig und glaubwürdig zu kommunizieren. Wenn das gelingt, bedeutet es eine Stärkung des Fusionsprojekts. Der Handlungsspielraum im Fusionsprozess wird erweitert; die interne Akzeptanz erhöht. Aus den Erfahrungen bei Fusionen anderer Organisationstypen lässt sich lernen, dass Effizienzziele in Studium und Lehre falsche und kaum erreichbare Erwartungen wecken würden. Sie zeigen aber auch, dass die Schaffung und Überschreitung einer kritischen Größe neue Chancen in der Forschung schaffen. Auf dieser Grundlage können Ziele hinsichtlich der Positionierung in der Wissenschaft glaubwürdig vertreten und später realisiert werden.
4.2 Gefahren Fusionen sind einem hohen Risiko des Scheiterns ausgesetzt. Für Zusammenschlüsse von Wirtschaftsorganisationen werden hohe Misserfolgsquoten berichtet, die zwischen 30 und 70 Prozent liegen (Pack 2000, S. 221; Koch 2000,
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S. 337). Hohe Misserfolgsquoten werden für unterschiedliche Umfelder konstatiert: Für die USA wird z. B. die Aussage gemacht, dass 50 Prozent aller Allianzen innerhalb von fünf Jahren scheitern (Träm 1999, S. 8). Bei diesen Angaben wird der Erfolg bzw. Nichterfolg in der Regel an den selbst gesetzten Zielen gemessen, die mit einer Fusion angestrebt werden. Misserfolg bedeutet deshalb nicht unbedingt, dass der Zusammenschluss rückgängig gemacht wird. Die Fortführung einer nicht erfolgreichen Fusion bedeutet aber eine erhebliche Belastung. Deshalb lohnt sich ein Blick auf die mit Zusammenschlüssen verbundenen Gefahren. Herausragende, sich wiederholende Befunde in verschiedenen Untersuchungen des Fusionsgeschehens in der Wirtschaft weisen auf häufige Fehleinschätzungen, mangelnde Sorgfalt, einen Mangel an Systematik bei der Gestaltung der Zusammenschlüsse und – als Folge – auf hohe Misserfolgsquoten hin. Als besonders bedeutsame Gefahren werden wiederholt, zum Teil in unterschiedlicher Terminologie, die folgenden Punkte genannt (u. a. Pack 2000, S. 221 ff.): •
die Überschätzung der Einsparpotenziale bzw. die Überbewertung der Synergiepotenziale und ein auf dieser Fehleinschätzung begründetes Handeln,
•
die Reduzierung der Gestaltungsmaßnahmen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner,
•
nicht ausreichendes Wissen über das Transaktionsobjekt bzw. die Transaktionsobjekte in Bezug auf die angestrebte gemeinsame Strategie,
•
die mangelhafte Integration des Transaktionsobjekts in den Verband des Akquisiteurs.
Die häufigsten Fehleinschätzungen und Defizite beziehen sich auf den Bereich Personal und Kultur (Pribilla 2000, S. 377). Das Personal wird eher als Risiko denn als Potenzial gesehen. Deshalb stehen meist Überlegungen zur Kostensenkung im Vordergrund, während der Aspekt des Synergiepotenzials in den Hintergrund tritt (Pack 2000, S. 239). Pribilla (2000, S. 377) kommt aus Praktikersicht zu der Einschätzung, dass das Personal und die mit ihm verbundenen Potenziale bei Zusammenschlüssen wichtiger sind als die Finanzen: 85 Prozent der amerikanischen Top-Manager kämen zu der Einschätzung, dass Personalprobleme einen größeren Einfluss auf den Akquisitionserfolg haben als Probleme im Finanzbereich. In diesem Kontext besonders wichtig sind die meist sehr unterschiedlichen Organisationskulturen. In der Regel empfinden die Mitarbeiter des größeren
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Unternehmens bei einem Merger die eigene Kultur als überlegen (Pribilla 2000, S. 379 ff.): Das kann deshalb verhängnisvoll sein, weil die Organisationskultur Orientierung gibt und damit eine wichtige Koordinationsfunktion ausübt und sie das gemeinsame Verhalten prägt. Organisationskultur bedeutet, dass gemeinsame Wertvorstellungen bestehen, die eine wichtige Basis für die Identifikation mit der Organisation und für das Wir-Gefühl in einer Organisation sind. Die Kulturen der zusammengeführten Organisationen oder Organisationsteile sind deshalb für das Gelingen einer Fusion zentrale Faktoren. Fehlentscheidungen bei Zusammenschlüssen werden häufig aufgrund von Informations-Asymmetrien getroffen. Pack (2000, S. 222 f.) weist darauf hin, dass die Entscheidungen bei Fusionen oft ohne ausreichende Informationsbasis getroffen werden: Vielfach bestehen Informationsdefizite. Deshalb ist es nicht überraschend, dass sich in der Unternehmenspraxis das Konzept „Due Diligence“, das mit „angemessene Sorgfalt“ übersetzt werden kann, in diesem Kontext durchgesetzt hat (Pack 2000). Abgehoben wird hierbei auf eine bewusste, systematische, professionelle Untersuchung der Unternehmenschancen und -risiken (Pack 2000, S. 224).
Schlussfolgerungen Aus diesen Praxis-Erfahrungen lassen sich eine Reihe wichtiger Schlussfolgerungen ziehen: Im Zentrum muss die Konzentration auf die Synergie-Potenziale stehen. Es wäre verhängnisvoll, im ohnehin in vielfacher Weise belasteten Fusionsprozess primär Einsparpotenziale zu suchen. Eine kritische Durchleuchtung der Organisation mit dem Ziel der Identifizierung von Einsparpotenzialen ist in aller Regel notwendig. Sie sollte aber von dem Fusionsvorgang zeitlich deutlich getrennt sein. Weiter empfiehlt es sich, mit der neuen Situation offensiv umzugehen. Verhängnisvoll wäre eine defensive Grundhaltung, die den jeweils kleinsten gemeinsamen Nenner sucht, um damit kurzfristig das Feld zu befrieden. Ein solches Vorgehen würde ein hohes Konfliktpotenzial für die neu geschaffene Einheit bedeuten und wegen des zu erwartenden mäßigen Erfolgs des fusionierten Gebildes den Kern der Zerstörung in sich tragen. Große Beachtung müssen das Personal und die Organisationskultur bzw. Organisationskulturen finden. Das ist deshalb besonders wichtig, weil die Perso-
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nalstrukturen in der Regel uneinheitlich sind und die Unterschiede im Wertesystem – anders formuliert: in den Kulturen – oftmals ausgeprägt sind. Schließlich liegt es vor diesem Hintergrund nahe, dem Fusionsprozess ausreichend Zeit einzuräumen. Es wäre offensichtlich gefährlich, überzogene Ziele hinsichtlich des Zeithorizonts für die Integration von früher selbstständigen Hochschulen zu fixieren.
4.3 Erfolgsfaktoren Die Auswertung der Erfolgsfaktoren bei Zusammenschlüssen in der Wirtschaft ist in Grenzen auch auf Zusammenschlüsse von Organisationen generell anwendbar. Im Bereich Wirtschaft wurden folgende Faktoren herausgearbeitet (Koch 2000, S. 338 ff., Möller 1983, S. 308 ff., Albrecht 1994, S. 164 ff.), deren Beachtung offensichtlich die Chance auf einen erfolgreichen Abschluss des Fusionsprozesses erhöht: •
Klare und schnelle Grundsatzentscheidungen über die einzuschlagende Richtung,
•
ein respektvoller Umgang mit den „Produkten“ aller Beteiligten,
•
eine überzeugende Vision für die künftige Entwicklung und eine darauf gründende Gesamtstrategie,
•
das Nutzen der Fusion als Diskontinuität zur Realisierung einmalig sich bietender Möglichkeiten, zum Beispiel Neuorganisation, Neuorientierung der Organisation, Schaffung neuer leistungsfähigerer Strukturen etc.: Die Fusion bietet die einmalige Gelegenheit zur Neuorientierung,
•
Entwicklung einer gemeinsamen Leistungskultur, d. h. die „alten Kulturen“ werden durch die Schaffung einer neuen gemeinsamen Leistungskultur gezielt abgelöst,
•
ein hohes Anspruchsniveau ist erfolgsfördernd,
•
Sicherstellung des „laufenden Geschäfts“, d. h. es ist wenig vorteilhaft, die Organisation sofort „auf den Kopf zu stellen“: Besser ist es, zunächst das zu ändernde System durch die geordnete Weiterführung der bisherigen Aufgaben zu beruhigen und auf dieser Grundlage Änderungsprozesse einzuleiten,
•
Aufdecken marktbezogener Chancen und Risiken als Grundlage für die Veränderungsprozesse, die auf eine Strategie der Nutzung künftiger Erfolgspotenziale gerichtet sein müssen,
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Berücksichtigung möglicher Bedrohungen durch „Ersatzprodukte“, die während des Veränderungsprozesses und der strategischen Neuorientierung auftauchen.
Daneben ist ein weiterer Faktor förderlich: Integration gelingt leichter, wenn sich die zu integrierenden Systeme in räumlicher Nähe befinden, also Kontaktmöglichkeiten bestehen. Wenn das nicht der Fall ist, liegt es nahe, diese Kontaktmöglichkeiten herbeizuführen.
Schlussfolgerungen Hieraus lassen sich weitere Schlussfolgerungen für den Fusionsprozess im Hochschulbereich ziehen. Die bisherigen Studien- und Forschungsvorhaben werden mit Respekt für die jeweiligen Anliegen und Konzepte weitergeführt; die notwendigen Änderungen werden in Ruhe vorbereitet. Dennoch muss die Richtung für die weitere Entwicklung eindeutig fixiert und kommuniziert werden. In vielen Fällen ist es das erklärte Ziel, die neue Hochschuleinheit mit ihren größeren Ressourcen zu einer Spitzeneinrichtung zu entwickeln. Das bedeutet: Die Veränderungsprozesse orientieren sich an einem hohen Anspruchsniveau. Die spezifische Situation mit sehr unterschiedlichen Entwicklungen verlangt auch, dass die verschiedenen Kulturen innerhalb der Fakultät respektiert werden. Es muss das erklärte Ziel sein, aus diesen Kulturen eine anspruchsvolle Leistungskultur zu entwickeln, mit der sich alle Beteiligten identifizieren können. Dieser Prozess verlangt Zeit. Die Richtung der angestrebten Entwicklung ist klar: Es ist die Kombination eines hohen Anspruchs sowohl in der Forschung als auch in Studium und Lehre. In diesem Prozess müssen die permanenten Bedrohungen durch bisher weniger hervorgetretene „Ersatzprodukte“ beachtet werden: Studienangebote von Akademien, privaten Hochschulen, dualen Ausbildungsgängen etc.
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Fusionen als organisatorischer Wandel
Strategisches Management und Wandel stellen ein gängiges Begriffspaar dar (Müller-Stewens/Lechner 2001). Fusionen bedeuten stets für alle bzw. beide
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beteiligten Organisationen tiefgreifende Veränderungen. Sie können als organisatorischer Wandel eingeordnet werden, der ein Change Management fordert (Reiß et al. 1997). Tiefgreifende Veränderungen in Organisationen können durch folgende Hauptmerkmale gekennzeichnet werden: •
Das zu lösende Organisationsproblem ist komplex und zunächst unübersichtlich; die Zielvorstellungen der Beteiligten sind vage. Da Veränderungsprozesse als außergewöhnliche Vorhaben in der Regel arbeitsteilig durchgeführt werden bzw. durchgeführt werden müssen, treten erhebliche Koordinationsprobleme auf.
•
Bei den Betroffenen lösen die Veränderungen regelmäßig Unsicherheit und Ängste aus. Dies hat wiederum Anpassungswiderstände zur Folge, die unter Umständen zum Versanden des Prozesses führen.
•
Die Veränderungen berühren regelmäßig die Interessen der von dem Wandel Betroffenen. Diese Interessen sind unterschiedlich und keineswegs problemlos miteinander vereinbar.
Die durch weitreichende Änderungsprozesse hervorgerufenen Probleme können auf unterschiedliche Weise bewältigt werden. Im Mittelpunkt der Diskussion organisatorischer Veränderungen stehen die Konzepte des geplanten organisatorischen Wandels und der Organisationsentwicklung. Das Konzept des geplanten organisatorischen Wandels betont die Führung in Prozessen der tief greifenden Veränderung in Organisationen. Da die Betroffenen unter der Führung eines Projektmanagements stehen, das Maßnahmen zur Überprüfung von Anpassungswiderständen ergreift und dem Projekt laufend Impulse zuführt, um ein Versanden des Prozesses zu vermeiden, dominiert die Steuerung von außen, d. h. die Steuerung durch ein Projektmanagement unter Einbeziehung von Experten. Zentrale Maßnahmen im Rahmen dieses Konzepts sind die Zielplanung, die Bereitstellung von Informationen für alle Betroffenen sowie ein Projektmanagement, das die Veränderungen als politischen Prozess begreift und entsprechend agiert. Dies bezieht flankierende Maßnahmen zur Mobilisierung von Unterstützung und zur Konsensbildung mit ein. Das Konzept der Organisationsentwicklung hat seine Wurzeln in der Gruppendynamik und geht von der Annahme aus, dass Arbeitsorganisationen dann die höchste Produktivität erreichen, wenn sie in gleicher Weise organisatorische wie individuelle Bedürfnisse befriedigen. Zentrale Elemente von Organisationsentwicklungskonzepten sind deshalb das Einbeziehen der Betroffenen in den Planungs- und Änderungsprozess, das Zulassen der offenen Äußerung von Gefühlen und das Gestalten der Veränderungen als gemeinsamer Problem-
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lösungsprozess. Im Gegensatz zu Reorganisationskonzepten dominiert hier die Innensteuerung des Änderungsprozesses. Fusionen im Hochschulbereich erfüllen weitgehend die Kriterien, die den geplanten Wandel von Organisationen kennzeichnen. Dabei spielen die Widerstände im Änderungsprozess eine herausragende Rolle. Es kommt in solchen Prozessen darauf an, Personen zu gewinnen, die den Prozess der Neuorientierung tragen und andere anstecken mitzumachen. Es muss einkalkuliert werden, dass ein relevanter Anteil der Organisationsmitglieder jegliche Art der Neuorientierung zunächst ablehnt. Dieser Anteil wurde auf 20 bis 30 Prozent der Organisationsmitglieder geschätzt, ohne dass hierzu eine verallgemeinernde Aussage möglich wäre. Diese Organisationsmitglieder sind der jeweils alten Kultur verhaftet. Sie versuchen, die Regeln dieser alten Kultur durchzusetzen und die Neuorientierung zu unterlaufen. Hierauf muss das Projektmanagement eines Fusionsprozesses eingestellt sein. In gewissen Grenzen können die projekttypischen Widerstände und Probleme durch den Einsatz des Konzepts der Organisationsentwicklung abgefangen werden. Da dies jedoch die Gefahr einschließt, dass die Motive des Widerstands in den partizipativen Entwicklungsprozess eingebracht und dort verankert werden, stößt das Konzept der Organisationsentwicklung hier frühzeitig an Grenzen.
Schlussfolgerungen Einige Aspekte tauchen im Kontext des organisatorischen Wandels auf, die auch im Rahmen der Analyse von Fusionen von Bedeutung sind. Das ist nicht überraschend, denn Fusionsprozesse sind weitreichende Projekte des Wandels. Der Blick auf die Berichte aus dem Bereich des „Organizational Change“ bzw. des „Change Management“ verstärkt jedoch einige Aspekte: Es wird besondere Aufmerksamkeit auf die Interessen der Beteiligten bzw. der Betroffenen und die darauf gründenden Widerstände und auf die Gefahr des Versandens gelenkt. Für das Fusionsprojekt bedeutet das, •
dass die Interessen explizit in den Änderungsprozess einbezogen und thematisiert werden müssen,
•
dass der Fusionsprozess als politischer Prozess zu begreifen und zu gestalten ist,
•
dass es eines Projektmanagements mit klaren und kommunizierten Zielen bedarf,
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Wolfgang Weber dass Maßnahmen zur Konsensbildung ergriffen werden müssen und hierbei Information und Partizipation eine wichtige Rolle spielen.
Schließlich kommt es darauf an, dass es gelingt, in dem Prozess Akteure zu gewinnen und für die zu lösende Aufgabe zu begeistern, die das Vorhaben vorantreiben und zum Erfolg führen.
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Vorläufige Bilanz
Eine Bilanz aus den oben angestellten Überlegungen kann mit zweierlei Zielsetzungen gezogen werden: 1. Es können direkt anwendungsorientierte Schlussfolgerungen gezogen werden, d. h. es wird zunächst auf die Zwischenschaltung theoretisch fundierter empirischer Forschungsergebnisse verzichtet und unmittelbar Erfolg versprechendes Handeln empfohlen, 2. Es können Schlussfolgerungen für die defizitäre empirische Fusionsforschung im Hochschulbereich gezogen werden. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf beide Ansatzpunkte. Die oben referierten Erfahrungen, die fast ausschließlich aus der Wirtschaftswelt stammen, legen eine Kombination von klarer Zielsetzung über die einzuschlagende Richtung, die Bereitschaft zur grundsätzlichen Akzeptanz der bisher erbrachten Beiträge zu Studium, Lehre, Forschung und Weiterbildung und die Orientierung der Handlungen an einem hohen Anspruchsniveau sowie die Entwicklung einer neuen Leistungskultur nahe. Die den einzelnen Kapiteln bzw. Abschnitten der obigen Analyse zugeordneten Schlussfolgerungen brauchen hier im Detail nicht wiederholt zu werden. Einige übergreifende Hinweise sollen jedoch im Folgenden gegeben werden: Es bietet sich an, dem Grundsatz „structure follows strategy“ zu folgen. Das bedeutet, dass die Umgestaltung der Personalstruktur und die Neuordnung der internen Struktur der neu zu schaffenden Einheit erst dann in Angriff genommen werden, wenn die eingeschlagene Richtung – besser: die Strategie und die hiermit verknüpften Ziele – fixiert sind. Diese Voraussetzung ist nicht unbedingt vom Beginn jedes Fusionsprozesses an erfüllt. Es empfiehlt sich, die bisherige „Produktion“ in Studium und Lehre sowie in der Forschung für eine Übergangsphase weiter zu führen. Fusionsprozesse verlaufen oftmals nicht erfolgreich, weil ihnen überzogene Erwartungen und Fehleinschätzungen zu Grunde liegen. Sie sind häufig nicht
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ausreichend vorbereitet und von einseitigen, wenig tragfähigen Zielvorstellungen begleitet, z. B. von der Vorstellung, den Ressourceneinsatz zu verringern. Andererseits bieten Fusionen auch im Hochschulbereich große Chancen: Der massive Eingriff, den eine Fusion darstellt, kann im Sinne des Diskontinuitäten-Managements für völlig neue Orientierungen genutzt werden. Fusionen stellen sind in der Regel mit umfassenden Veränderungen verbunden. Dies bedeutet Unsicherheit und Ängste bei den Betroffenen. Dabei sind die legitimen Interessen der Betroffenen tangiert. Es kommt deshalb darauf an, Vertrauen aufzubauen bzw. zu erhalten, den Veränderungsprozess als politischen Prozess zu gestalten und die von der Fusion Betroffenen zumindest über Repräsentanten in den Fusions- bzw. Veränderungsprozess einzubeziehen. Zur konkreten Gestaltung neuer Strukturen und inhaltlicher Akzentuierungen wurde oben eine Reihe von Hinweisen gegeben. Bei dem Aufbau neuer Leitungsstrukturen empfiehlt sich eine sorgfältige Analyse der Effekte unterschiedlicher Ausmaße an Zentralisierung und Dezentralisierung. Das Denkmuster des Transaktionskostenansatzes kann dabei Hilfestellungen leisten. Die Verbesserung der Wettbewerbsposition kann in einem ersten Schritt nur über den Weg der Forschung gegangen werden. Im Bereich von Studium und Lehre sind positive Fusionseffekte am ehesten bei den unterstützenden Dienstleistungen zu erwarten, z. B. im Karriereservice, in der Beratung der Studierenden oder im Aufbau einer studienfreundlichen Umwelt. Schlussfolgerungen im Hinblick auf die notwendigen Forschungsbemühungen im Bereich der Hochschulfusionen zielen insbesondere auf Kriterien der Erfolgsmessung, den Fusionsprozess, die strukturellen Fragen der Bildung von Subeinheiten und die Wirkungen von Fusionen. Die Aussagen über Erfolg oder Misserfolg von Hochschulfusionen bleiben unverbindlich, wenn nicht zuvor Kriterien entwickelt wurden, an denen die Ergebnisse gemessen werden können. Um die Wirkungen von Fusionen realistisch einschätzen zu können, müssen diese Kriterien messbar formuliert und in den zentralen Bereichen der Leistungserstellung von Hochschulen (Forschung, Studium und Lehre, Weiterbildung, Dienstleistungen) sowie im Bereich der Leitung und Administration von Hochschulen angewandt werden können. Es besteht derzeit noch ein Defizit schlichter Beschreibungen von Hochschulfusionsprozessen. Deshalb sind deskriptive Aussagen über Ziele, Vorgehen, Konflikte, Partizipationskonzepte, Ergebnisse und deren Auswirkungen notwendig. Es stellt sich unter anderem die Frage nach dem Impulsgeber eines Fusionsvorhabens und die später unter Einsatz ihrer Macht Handelnden.
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Schließlich sind zumindest in einer ersten Forschungsrunde empirische Aussagen über die Bildung von Subeinheiten in den akademischen Kernbereichen Forschung und Lehre, aber auch im Leitungssystem der Hochschule und ihrer Administration notwendig. Es stellt sich insbesondere die Frage, ob und wie sich die Strukturen im Rahmen eines Fusionsprozesses verändern. Hochschulfusionen gewinnen offenbar an Bedeutung. Die empirische Forschung findet damit ein Feld für ihre Beobachtungen und Analysen. Der Einstieg über die ersten Beiträge zu diesem Thema hinaus (Battke/Cremer-Renz 2006) ist deshalb dringend geboten.
Hochschulfusionen als strategische Maßnahme
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Praxisorientierte Ausgestaltung der „developmental capabilities“ zur Steuerung strategischer Unternehmensnetzwerke „Developmental capabilities“ zur Steuerung strategischer Netzwerke
Alexander Rief und Klaus Macharzina
1
Formalisiertes Sanktionssystem...................................................... 152
2
Reifegradorientierte Entwicklungsstrategien.................................. 154
3
Netzwerkkodex als formalisierte Selbstregulierung ....................... 158
Literaturverzeichnis............................................................................... 167
„Developmental capabilities“ zur Steuerung strategischer Netzwerke
151
Strategische Unternehmensnetzwerke sind in den letzten 20 Jahren als Antwort auf die Herausforderung immens zugenommener Komplexität im Hinblick auf die Vielfalt, Dynamik und Diskontinuität der Unternehmensumwelt im Rahmen des strategischen Managements (Bamberger/Wrona 2004) als neues Thema aufgegriffen worden. Sie stellen eine spezielle Form zwischenbetrieblicher Kooperation von rechtlich und bedingt wirtschaftlich selbstständigen Unternehmen mit gemeinsamer Zielsetzung dar, die sich durch ein fokales Steuerungsverständnis sowie ein längerfristig angelegtes Beziehungsgefüge auszeichnen (Rief 2008, S. 28). Organisationstheoretisch nehmen sie aufgrund der ihnen zueigenen hybriden Governance-Strukturen eine intermediäre Position zwischen Markt und Hierarchie ein. Der sich dabei aufspannende Steuerungsraum zwischen institutioneller Netzwerkebene und der Ebene der Netzwerkunternehmen ist in der funktionalen Dimension durch den zentralen Parameter des zu steuernden Auftrags bestimmt, in der instrumentellen Dimension durch die adäquate Steuerungsintensität. Dabei hat in der Vergangenheit in der einschlägigen Literatur insbesondere die statisch-funktionale Analyse der Aufgaben und des Ressourceneinsatzes im Rahmen des Planungs- und Kontrollsystems sowie des Informations- und Kommunikationssystems jeweils in der auftragsübergreifenden und auftragsbezogenen Sicht im Vordergrund gestanden. Neuerdings interessieren vermehrt dynamische Netzwerkfaktoren wie Qualität der Netzwerkbeziehung oder Konfiguration der Netzwerkakteure, zentriert um das Kern- oder „fokale“ Unternehmen im Netzwerk im Hinblick auf Steuerungsverständnis und Steuerungsmechanismen. Rief (2008) hat hierzu ein erstes umfassendes theoretisches Steuerungsmodell entwickelt und auf die bisher mangelnde Einbeziehung praxeologischer Aspekte hingewiesen. Diesem Problem widmet sich der vorliegende Beitrag unter impliziter Stützung und Verweis auf die vorerwähnte theoretische Basis, jedoch unter bewusster Ausklammerung der dort entwickelten Hypothesen, die noch der empirischen Erhärtung bedürfen. Die Relevanz der dort aufgezeigten Zusammenhänge kristallisiert sich verstärkt über deren praxeologische Dimension, wobei hier das Hauptaugenmerk auf der Ausgestaltung konkreter praxistauglicher Instrumente für eine entwicklungsfördernde Netzwerksteuerung liegt. Vor dem Hintergrund einer stetigen Erhöhung der Problemlösungskapazitäten stellt insbesondere die netzwerkkonforme Stärkung der Entwicklungsfähigkeit („developmental capabilities“) in Form selbststeuernder Kräfte den Ausgangspunkt für unsere Überlegungen dar. Diese setzen, wie in Abb. 1 verdeutlicht, an den Kontextfaktoren der Unternehmensebene an.
Alexander Rief und Klaus Macharzina
Abb. 1:
Unternehmensebene
netzwerkspezifische Sanktionsgrundlage
kollektive Entwicklung (Netzwerkkodex)
individuelle Entwicklung (Reifegrad)
152
Kontextorientierte Ausgestaltung der Entwicklungsfähigkeit
Basierend auf einem klar kommunizierten Sanktionssystem sind sowohl aus individueller als auch kollektiver Entwicklungsperspektive kontextorientierte Ansätze zu implementieren. Erstere wird mit Hilfe einer dreidimensionalen Modellkonzeption zur Ermittlung des partnerbezogenen Netzwerkreifegrades angestrebt, um darauf aufbauend individuelle Entwicklungsstrategien ergreifen zu können. Letztere wird in Form eines Vorschlags zur netzwerkkonformen Selbstregulierung animierenden Regelwerkes (Netzwerkkodex) umgesetzt.
1
Formalisiertes Sanktionssystem
Ein schwieriges und zugleich für die Entwicklungsfähigkeit bedeutsames Problemfeld in strategischen Unternehmensnetzwerken ist der Umgang mit Planabweichungen, die auf nicht oder nicht vollständig eingehaltene Verpflichtungen der Netzwerkpartner zurückzuführen sind. Dies betrifft die Sicherstellung der vereinbarten Auftragsabwicklung (direkter Effekt) und den Vertrauensaufbau in ein formalisiertes Sanktionssystem (indirekter Effekt). Erstere beinhaltet eine wichtige Signalfunktion für die externen Netzwerk-/ Marktpartner. Für ein erfolgreiches Handeln in Netzwerken ist es entscheidend, vereinbarten Lieferungen in qualitativer, quantitativer, räumlicher sowie zeitlicher Hinsicht nachzukommen. Erschwerend wirken hierbei die leistungswirtschaftlichen Besonderheiten der Netzwerkkonfiguration. Während in Einheitsunternehmen partielle Terminüberschreitungen mit entsprechendem Nachdruck
„Developmental capabilities“ zur Steuerung strategischer Netzwerke
153
anderenorts in der Prozesskette einfacher ausgeglichen werden können, kommt es im Netzwerk auf die freiwillige Bereitschaft der Partner an, eigene Planungen (bspw. Maschinenbelegungspläne) aufgrund nicht selbst verschuldeter Verzögerungen zum Wohle des Netzwerks umzustellen. Unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten sind derartige kostenverursachende Modifikationen, bei denen u. U. Kollektiv- vor den Individualinteressen bedient werden sollen, problematisch. Daher empfiehlt es sich, zur Handhabung netzwerktypischer Dysfunktionalitäten des Leistungserstellungsprozesses mit Aufnahme der Netzwerktätigkeit ein Sanktionssystem zu implementieren, das vor dem Hintergrund der Bedeutung der (Teil-)Aktivitäten für den Auftrag bzw. das Netzwerk in Abhängigkeit vom Ausmaß der Planabweichung Korrekturmaßnahmen vorsieht, wie dieses am Beispiel eines gestuften Eskalationssystems in strategischen Netzwerken von Wohlgemuth (2002, S. 247 ff.) gezeigt wurde. Terminüberschreitung A
B
C
Bedeutung des (Teil-)Auftrags
5 ZE
3 ZE
1 ZE
I
II netzwerkintern
Abb. 2:
III
IV
V
(abnehmende) Intensität der Reaktionsmaßnahmen
unternehmensintern
Eskalationsstufen im Netzwerkkontext
Die Mechanik eines solchen Eskalationssystems wird über klar umschriebene Ursache-Wirkungs-Ketten sowie operationalisierbare „Trigger-Größen“ aktiviert. Letztere sind in dem in Abb. 2 skizzierten Beispiel die zeitliche Dimension der Terminüberschreitung und die prozesskritische Bedeutung des (Teil-)Auftrags (gekennzeichnet mit A, B und C), deren Einstufung zum Zweck der bestmöglichen Transparenz bereits im Vorfeld vorzunehmen ist. In Grundzügen ist das Eskalationsverfahren so konzipiert, dass bei gegebener Planabweichung die Intensität der Reaktionsmaßnahmen mit steigender Priorität der Aktivitäten
154
Alexander Rief und Klaus Macharzina
zunimmt; die Kontrollzyklen werden sukzessiv verkürzt sowie der Kontrollumfang ausgedehnt. Um spätere Auseinandersetzungen zu vermeiden sowie eine möglichst hohe Zustimmungsrate zu erreichen, ist bereits vor Aufnahme der Netzwerk- und Auftragstätigkeit ein entsprechendes Regelwerk für alle drei Dimensionen zu verabschieden. Neben diesem direkten Effekt, der auf die Einhaltung der zugesagten Lieferung abzielt, ist der Aufbau von Netzwerkvertrauen wichtig. Die Festlegung eines Sanktionssystems stellt somit die notwendige Grundlage dar, die hinreichende Bedingung liegt indes in der konsequenten sowie für alle Netzwerkpartner verbindlichen transparenten Anwendung derartiger Verhaltensvorschriften, die mittelbar und langfristig zum Aufbau von Netzwerkvertrauen beitragen. Partnerbezogene Sonderregelungen würden hingegen ungeahnte Verhandlungsspielräume signalisieren, die nicht nur konfliktreiche Auseinandersetzungen zwischen den beteiligten Parteien auslösen, sondern ebenso Unmutsreaktionen bei den restlichen Netzwerkpartnern hervorrufen, die sich bislang an die Verhaltensvorschriften gehalten sowie die ggf. ergriffenen Sanktionsmittel akzeptiert haben.
2
Reifegradorientierte Entwicklungsstrategien
Bisweilen wurde die strategische Netzwerksteuerung als Spiegelbild des Handlungskontextes betrachtet und damit beiden Systemebenen implizit unterstellt, dass sie die gewährten Handlungsspielräume abgestimmt zu nutzen verstehen. Mit der Fokussierung auf die Unternehmensebene als Ganzes wurde dabei von der Vielzahl unterschiedlicher Netzwerkpartner und deren individuellen, u. U. höchst unterschiedlichen Entwicklungsstadien abstrahiert. Da die steuerungsbezogene Entwicklung stets eine niveaubezogene Größe darstellt und auf der Ko-Evolution von Netzwerk- und Unternehmensebene basiert, hängt deren Dynamik vom jeweiligen systemischen und partnerindividuellen Reifegrad ab. Eine falsche Einschätzung des partnerbezogenen Reifegrads führt entweder zu einer Über- oder Unterforderung des Systems, was die Gesamtentwicklung des Netzwerks beeinträchtigen kann. Überforderungen sind dadurch gekennzeichnet, dass wahrgenommene Handlungsspielräume von den Partnern nicht genutzt werden. Dies ist einerseits auf die bisherigen Erfahrungswerte zurückzuführen, die dazu veranlassen, dass dieses „Angebot“ als unglaubwürdig eingestuft und bewusst negiert wird. Andererseits kann dies ebenso auf eine fachlich sowie sozial bedingte Überforderung hindeuten, auch im Zusammenhang mit etwaigen eigenverantwortlich zu lösenden Konflikten. Unterforderung resultiert aus einer zu starken Einschränkung der Entfaltungsmöglichkeiten, sodass die Motivation
„Developmental capabilities“ zur Steuerung strategischer Netzwerke
155
unter einem Mangel an Anreizen leidet. Beide Varianten sind entwicklungshemmend und bedürfen divergierender Steuerungsimpulse. Der Bedeutung des unternehmensindividuellen Reifegrads steht allerdings dessen problematische Bestimmung entgegen. Gemeinhin lassen sich selten quantitative Größen heranziehen, sodass über Interpretationen von internen und externen Beobachtungen sowie über einen interaktiven Dialog steuerungsrelevante Informationen teilweise im „Trial-and-Error“-Verfahren gewonnen werden müssen. Tiefer gehende Einsichten in den systemischen Reifegrad der Unternehmensebene erfordern das analytische Herunterbrechen auf die Ebene der einzelnen Netzwerkpartner. Die steuerungsbezogene Netzwerkreife der Partner lässt sich anhand nachfolgender Parameter konzeptionalisieren (in Anlehnung an Hersey et al. 2008, S. 171 ff.): •
Fachliche Netzwerkreife steht für die Sachkenntnis und Fähigkeit, Chancen und Risiken im Zusammenhang zu erkennen und darauf aufbauend Steuerungsimpulse in Abhängigkeit der jeweiligen Handlungskontexte für das Kollektiv eigenverantwortlich setzen zu können.
•
Motivationale Netzwerkreife steht für den Antrieb, Verantwortung für die Erreichung der Netzwerkziele unternehmensindividuell übernehmen zu wollen.
•
Soziale Netzwerkreife steht für die Kompetenz, Interaktionen in einer netzwerk-fairen und -solidarischen Art zu unterhalten. Gespeist wird eine derartige Netzwerkreife einerseits aus der grundlegenden Einstellung zum Verzicht opportunistischer Verhaltensweisen sowie andererseits aus den gesammelten Erfahrungswerten in kooperativen Situationen.
Die einzelnen Dimensionen lassen sich mit Hilfe der Portfoliotechnik zu einem Analyseraster vereinen. Wie in Abb. 3 gezeigt, können Rückschlüsse über die gegenwärtigen unternehmensindividuellen Voraussetzungen der Steuerungsintensität sowie über die inhaltlichen Ansatzpunkte des zukünftigen unternehmensindividuellen Entwicklungspfads gewonnen werden. Hintergrund ist das Streben nach einer möglichst hohen Ausprägung der partnerindividuellen Netzwerkreife, um für den Bedarfsfall korrespondierende Voraussetzungen für die Zurücknahme der Fremdsteuerung anzutreffen. Obgleich die Gewährung von Handlungsspielräumen stets komplexitätsgetrieben ist, wird eine derartige Vorgehensweise zwangsläufig von einem situativen Maß an fachlicher, motivationaler als auch sozialer Netzwerkreife bestimmt.
156
Alexander Rief und Klaus Macharzina
entwicklungsfördernd
hoch
fachliche Netzwerkreife
A
mittel
niedrig
C
B entwicklungshemmend niedrig
mittel
hoch
motivationale Netzwerkreife
n
soziale Netzwerkreife
anreizorientierte Entwicklungsstrategie
(des Unternehmens n im Vergleich zum Optimum)
lernorientierte Entwicklungsstrategie kombinierte Entwicklungsstrategie
Abb. 3:
Netzwerkreifeportfolio
Das Analyseraster wird über die jeweils dreigeteilte fachliche und motivationale Dimension aufgespannt, da beiden Aspekten direktes Beeinflussungspotenzial von Seiten des fokalen Akteurs im Netzwerk zugeschrieben wird. Dagegen entzieht sich die soziale Dimension, deren Ausmaß über die Größe des Kreises abgebildet wird, einer von außen angestoßenen Entwicklung und dient im vorliegenden Fall lediglich als zusätzlicher, wenngleich nicht unwichtiger Informationsfaktor. Die Verortung der Parameter gibt einerseits Aufschluss über den gegenwärtigen Reifezustand sowie andererseits Auskunft über die dem einzelnen Matrixfeld zugrunde liegende Entwicklungsstrategie. Einseitige Kombinationsausprägungen der Netzwerkreife drängen sich bspw. für das Prinzip der Selbststeuerung nicht auf, denn der Mangel an fachlicher Reife kann die (über-) motivierte Grundhaltung des Partners nicht kompensieren und vice versa. Während der negative Extrempol (niedrige Ausprägung der fachlichen und motivationalen Reife) einen entwicklungshemmenden Zustand darstellt, der kein diesbe-
„Developmental capabilities“ zur Steuerung strategischer Netzwerke
157
zügliches Potenzial aufzeigt, verkörpert der positive Extrempol (hohe Ausprägung der fachlichen und motivationalen Reife) einen entwicklungsfördernden Idealzustand der unternehmensindividuellen Netzwerkreife. Für die verbleibenden als entwicklungsbedürftig eingestuften Matrixfelder bieten sich die drei Strategiemuster an: •
anreizorientierte Entwicklungsstrategie,
•
lernorientierte Entwicklungsstrategie,
•
kombinierte Entwicklungsstrategie.
Den Matrixfeldern, die durch eine hohe fachliche Reife sowie eine niedrige oder mittlere motivationale Reife gekennzeichnet sind, wird eine anreizorientierte Entwicklungsstrategie zugeordnet. Dem Mangel an Motivation kann einerseits über das explizite Aufzeigen unternehmensindividueller Vorteile der Netzwerkarbeit oder aber durch das gezielte Setzen spezifischer Anreize begegnet werden. Beispielsweise können ausgedehnte Handlungsfreiräume in Aussicht gestellt werden. Demgegenüber bedingt eine hohe motivationale Reife kombiniert mit einer niedrigen oder mittleren fachlichen Reife eine lernorientierte Entwicklungsstrategie. Solche Netzwerkpartner verfügen offensichtlich über kein oder nur unzureichendes steuerungsrelevantes (Erfahrungs-)Wissen. Beispielsweise könnte über gezielte Fortbildungsmaßnahmen, gewährte Einblicke sowie konkrete Hilfeleistungen des fokalen Akteurs oder der Partner im Netzwerk Abhilfe geschaffen werden. Die entsprechenden Maßnahmen zielen auf eine Stärkung der Lernspirale durch eine intensivere Einbindung des Partners sowie das Überwinden informationeller Barrieren ab. Für die verbleibenden Matrixfelder bietet sich angesichts der mittleren Ausprägung eine kombinierte Entwicklungsstrategie aus anreiz- und lernorientierten Elementen an. Die dritte Dimension, die soziale Netzwerkreife, entzieht sich in Abhängigkeit von der zu bewertenden Fairness des Netzwerkhandelns einer direkten Einflussnahme. Die Ausprägungen basieren maßgeblich auf den unternehmensindividuellen Einstellungen; so wird bspw. beobachtbares kooperatives Verhalten als grundsätzlich positiv erachtet. Interpretationsschwierigkeiten, die oftmals aus der Unkenntnis über das gewünschte im Netzwerk sozialisierte Verhalten resultieren, lassen sich im Zeitablauf über die gesammelten Kooperationserfahrungen ansatzweise mindern. Impulse sind allenfalls über vertrauensfördernde Maßnahmen denkbar, indem bspw. bewusst in Vorleistung getreten wird, um den Partnern die Gelegenheit zur Bewährung und somit zum Aufbau von Vertrauen zu ermöglichen. Voraussetzung für die entwicklungsorientierte Netzwerksteuerung ist das Funktionieren des ko-evolutionären Zusammenspiels von Netzwerk- und Unter-
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Alexander Rief und Klaus Macharzina
nehmensebene. Allerdings weist die Unternehmensebene als Abbild der individuellen Netzwerkreife einen aggregierten Charakter auf. Derartige steuerungsrelevante Unschärfen sind ansatzweise mit Hilfe des aufgezeigten Portfolios zur Netzwerkreife analysierbar.
3
Netzwerkkodex als formalisierte Selbstregulierung
Die Entwicklungsfähigkeit strategischer Netzwerke hängt entscheidend vom Aufbau gegenseitigen Vertrauens zwischen den Netzwerkpartnern ab. Trotz einer „optimalen“ Ausprägung der substitutiven und ergänzenden Steuerungsfunktion wird Vertrauen, ebenso wie andere Instrumente, in der sozialen Praxis nie vollkommen sein, zumal es überwiegend auch nicht als rationales Entscheidungsproblem thematisiert wird. Überdies bedarf es zur Initiierung und Förderung der Vertrauensspirale eines Vertrauensvorschusses, dem ungeachtet aller davor liegender Bemühungen letztlich der Charakter einer riskanten Vorleistung anhaftet. Derartige Unsicherheiten lassen sich wirkungsvoll über die Reputation eines Partners eingrenzen. Die Bedeutung der Reputation beschränkt sich dabei keineswegs nur auf die Partnerselektion, vielmehr kommt das Wirkungspotenzial erst in den Betriebsphasen der strategischen und operativen Auftragsabwicklung vollständig zum Tragen. Für die Netzwerksteuerung gilt es, den Reputationsmechanismus für die Zusammenarbeit im interorganisatorischen Kontext unter Nutzung folgender grundlegender Wirkungseffekte zu instrumentalisieren: •
Reduzierung partnerbezogener Unsicherheiten (Außenwirkung): Reputation stellt eine Art extrapolierte Verhaltensgarantie dar, die die Gewährung eines Vertrauensvorschusses von Seiten der Netzwerkpartner erleichtert.
•
Verzicht auf opportunistische Handlungen (Innenwirkung): Reputation verfügt zusätzlich über einen sozialimmanenten Sanktionsmechanismus, mit dem über das Drohpotenzial der Rufschädigung ein unkooperatives Verhalten vielfach unattraktiv erscheint.
Angesichts der stark reduzierten Steuerungseffekte formaler Mechanismen im Netzwerkkontext stellt Reputation ein wichtiges Element der Kollektivabstimmung dar. Netzwerkpartner ziehen kooperationsschädigendes Verhalten nicht oder zumindest weniger in Betracht, wenn infolge einer Bekanntmachung mit über den konkreten Auftrag hinausgehenden ökonomischen Schäden zu rechnen ist. Dies ist insbesondere bei stark interdependenten Beziehungen der Fall, da die im Austausch stehenden Partner prinzipiell die Möglichkeit besitzen,
„Developmental capabilities“ zur Steuerung strategischer Netzwerke
159
einerseits das Verhalten des anderen genauer und umfassender beobachten zu können, andererseits selbst vom leistungswirtschaftlich defektiven Handeln betroffen zu werden. Potenzielle Partner werden ihre Engagementpläne vor diesem Hintergrund überprüfen, sodass ggf. verschiedene gegenwärtige oder zukünftige ökonomische Optionen zu risikobehaftet eingestuft und hinfällig werden. Die Folgen eines unkooperativen Verhaltens fallen umso gravierender aus, je schneller und vor allem je weiter diese Informationen in der Öffentlichkeit Verbreitung finden. Abb. 4 verdeutlicht die unterschiedlich zur Eskalation nutzbaren Publizitätsstufen in strategischen Netzwerken. Publizitätsreichweite Umwelt (branchenbezogen und -übergreifend)
Netzwerk (auftragsübergreifend)
Netzwerk (auftragsbezogen)
Netzwerk (fokales Unternehmen)
Abb. 4:
Reputative Nutzung der Publizitätsreichweite
Die erste Eskalationsinstanz ist konstellationsbedingt der fokale Akteur, dem gleichzeitig die Funktion des Schlichters zukommt. In Abhängigkeit der Schwere des Pflichtverstoßes ist eine (Drohung der) Ausweitung auf das Netzwerk (auftragsbezogen und -übergreifend) sowie die Umwelt (branchenbezogen und -übergreifend) denkbar. Der maximale Abschreckungsnutzen wird erreicht, wenn der aus einem Vertrauensbruch resultierende Reputationsverlust größer als der eigentliche Betrugsanreiz eingeschätzt wird. Der Mangel an handlungsbezogener Transparenz ist für Unternehmen mit der Trennung von Eigentum und Verfügungsgewalt verstärkt in den Vordergrund
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Alexander Rief und Klaus Macharzina
des Interesses gerückt. Letztlich haben allerdings die in den vergangenen Jahren beobachtbaren Fälle von Missmanagement und Unternehmensschieflagen zur Initiierung von (halb-)staatlichen sowie privaten Corporate-GovernanceInitiativen beigetragen, die verstärkt leitungs- und überwachungsorientierte Fragestellungen im Hinblick auf die Problematik der Verhaltensnormierung in Einheitsunternehmen aufgegriffen haben. Die Zielsetzung einer produktiven Wertschöpfung und fairen Wertverteilung bedingt die Harmonisierung von Interessen sowie die Eindämmung von Opportunitätsoptionen. In diesem Zuge entstanden sog. Corporate-Governance-Standards („codes of best practice“ oder „codes of conduct“). Die Ausgangslage von Einheitsunternehmen im Allgemeinen und strategischen Netzwerken im Speziellen könnte sich im Grunde kaum ähnlicher präsentieren. Beide Systemzustände leiden unter asymmetrischen Informationsverteilungen, divergierenden Interessenlagen, unvollständigen Vertragsabschlüssen sowie opportunistischen Verhaltensneigungen. Beeinträchtigend wirkt in strategischen Netzwerken zudem der Mangel an formalen Weisungsbefugnissen für das fokale Unternehmen. Obgleich die Corporate-Governance-Initiativen vornehmlich auf börsennotierte Unternehmen zugeschnitten sind, ist deren Leitidee prinzipiell organisations- und rechtsformunabhängig. Im Vergleich zur allgemeinen Ausprägung beschränkt sich der Regelungsbereich der Corporate Network Governance ausschließlich auf die unterschiedlichen Facetten einer kooperativen Zusammenarbeit und somit auf die alleinige Bezugsgruppe der Netzwerkpartner. Daraus ließe sich im übertragenen Sinne ableiten, dass die Netzwerkvariante bezogen auf das Anwendungsgebiet zwar eine Teilmenge der Corporate Governance darstellt, allerdings mit unternehmensübergreifendem Wirkungscharakter (vgl. Abb. 5). Zwischen den Governance-Varianten sind allenfalls Divergenzen in der Steuerungsintensität auszumachen. Obwohl in der allgemeinen Fassung die wertschöpfungsrelevanten Anspruchsgruppen, wie bspw. Lieferanten, im Sinne des Stakeholder-Ansatzes explizit mit einbezogen sind, intensiviert sich der Steuerungszusammenhang erst mit deren Übertritt von der unternehmensexternen zur netzwerkinternen Systemzugehörigkeit. Davon ist im Netzwerkinnenverhältnis nicht nur die vertikale Beziehung zwischen den beiden Systemebenen betroffen, sondern ebenso die konstellationsbedingte Berücksichtigung horizontaler Beziehungsverflechtungen, die in dem Maße sonst nicht abbildbar sind. Zudem bedingt die Neuverortung der Umweltperspektive im Netzwerkkontext, dass sowohl der für die Corporate Governance stehende unternehmensinterne (bspw. Festlegung von Informations- und Entscheidungsrechten für Systemorgane) als auch unternehmensexterne Kontrollmechanismus (bspw. Informationspflicht) im Netzwerkinnenverhältnis abstrakt betrachtet gleichermaßen zur Anwendung
„Developmental capabilities“ zur Steuerung strategischer Netzwerke
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kommen. Der einzelne Netzwerkpartner als alleiniger Adressat kann die Voiceund Exit-Option ergreifen. Im Vordergrund für den vorliegenden Beitrag steht das interorganisatorische Zusammenwirken der Netzwerkorgane (Netzwerkgremium, Steuerungsausschuss, Auftragskoordinatoren) mit den einzelnen Netzwerkunternehmen. Folglich zielt die Corporate Network Governance auf eine intensivere Beleuchtung wertschöpfungsbezogener Wechselbeziehungen ab, ohne den allgemeinen Anwendungsbereich prinzipiell zurückzudrängen. Corporate Governance Anspruchsgruppe
Corporate Network Governance
Anspruchsgruppe
Netzwerkebene
Fokales Unternehmen
NU
Corporate Governance
Anspruchsgruppe
Anspruchsgruppe
NU
Anspruchsgruppe
NU
NU
Unternehmensebene
Anspruchsgruppe
NU Netz werkunternehmen
Abb. 5:
Anwendungsgebiet des Netzwerkkodexes
Die Regelungen zur Corporate Governance werden in Form einer Normenpyramide mit abnehmendem Verbindlichkeitscharakter umgesetzt. Im klassischen Fall verkörpern Gesetze, die für alle Adressaten verbindlich und notfalls mit staatlichen Mitteln durchsetzbar sind, die oberste Regelungsebene. Statutarische Regelungen, die gesetzliche Wahlrechte und Gestaltungsspielräume einräumen, können nach individuellen Bedürfnissen entsprechend ausgestaltet werden. Zuletzt weisen untergesetzliche Governance-Standards (Verhaltenskodizes) zwar keinen formellen Rechtscharakter auf, allerdings stellen die im Sinne einer
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Alexander Rief und Klaus Macharzina
„Best-Practice“-Orientierung abgeleiteten Empfehlungen und Grundsätze einen zum geltenden Recht ergänzenden Ordnungsrahmen dar (z. B. der Deutsche Corporate-Governance-Kodex). Der Verbindlichkeitscharakter dieser dritten Regelungsebene kann von der völligen Freiwilligkeit der Kodexbefolgung über das Prinzip des „comply or explain“ bis zu einem faktischen Zwang (bspw. Zulassung zu einem Börsensegment) reichen. Einen Ansatzpunkt für Überformungsüberlegungen für den Netzwerkkontext stellt die Bandbreite des Verbindlichkeitsgrades im untergesetzlichen Regelungsbereich dar. Gesetzliche Rahmenbedingungen sind im Netzwerkinnenverhältnis ohne Belang, sie wirken, wie aufgezeigt, weiterhin auf den unternehmensindividuellen Ebenen, ebenso statutorische Rahmenbedingungen, die oftmals in der Netzwerkpraxis nicht vorliegen. Dahingegen lässt sich im untergesetzlichen Regelungsbereich unter Beachtung des Freiwilligkeitscharakters der Netzwerkzusammenarbeit (Exit-Option) die Leitidee der Normenpyramide in den Netzwerkkontext überführen (vgl. Abb. 6). Unternehmensebene Gesetze
statutorische Regelungen
untergesetzliche Governance-Standards
Netzwerkkodex
Vo i ce -O pti on
Netzwerkebene
ns. MussVorschriften netzwerkspezifische Soll-Empfehlungen
notwendige Handlungsweisen
netzwerkspezifische Sollte-/Kann-Anregungen
begünstigende Handlungsweisen
Exit-Option
Abb. 6:
Verankerung „Comply-or-Explain“-Prinzip
Grundgerüst eines Netzwerkkodexes
„Developmental capabilities“ zur Steuerung strategischer Netzwerke
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Netzwerkspezifische Muss-Vorschriften verkörpern einen kooperationsverbindlichen Charakter, der die grundlegenden auftragsübergreifenden und -bezogenen Bedingungen der Zusammenarbeit zwischen den Netzwerkpartnern faktisch regelt und dysfunktionale Abweichungen mit Sanktionen – im Extremfall mit einem Netzwerkausschluss (Exclusion-Option) – belegt. In Analogie zum klassischen Fall bildet dieser elementare Regelungsbereich die „Netzwerkgesetze“ ab, zu denen sich die teilnehmenden Unternehmen mit dem Netzwerkbeitritt kraft vertraglicher Fixierung bekennen „müssen“. Ratsamer Regelungsgegenstand ist die Verpflichtung der Partner zur Abgabe einer netzwerkbezogenen Entsprechenserklärung auf Basis des „Comply-or-Explain”-Prinzips, um in einem wiederkehrenden Prozess der Selbstverifizierung die Netzwerkpartner zur Angabe aufzufordern, in welchem Umfang sie die Empfehlungen und ggf. auch Anregungen zur kooperativen Zusammenarbeit befolgen. Während netzwerkspezifische Soll-Empfehlungen die Handlungsspielräume partiell auf einen als erforderlich erachteten kooperativen Verhaltenskorridor im Sinne einer „BestPractice“-Orientierung einengen, zielen netzwerkspezifische Sollte-/Kann-Anregungen auf tendenziell weniger wichtig eingestufte und somit wünschenswerte Verhaltensweisen ab. Generell wird eine verstärkte Förderung kooperativer Selbstverantwortung und -steuerung angestrebt, die sich darin zeigt, dass das Regelwerk an die gegebenen Umstände fortlaufend durch das Kollektiv flexibel angepasst wird (Voice-Option). Für die Regelungsbereiche aus interorganisatorischer Perspektive sind beide klassischen internen und externen Corporate-Governance-Betrachtungsweisen in jeweils abgeschwächter und veränderter Form relevant. Während Erstere in einer rechtlich-institutionellen Interpretation überwachungsleitende Aspekte in der Aufbau- und Ablauforganisation thematisieren, stellen Letztere in einer ökonomisch-interaktiven Interpretation koalitionsorientierte Aspekte der Informationsund Kommunikationsversorgung in den Vordergrund. Abb. 7 zeigt mögliche Regelungsbereiche eines Netzwerkkodexes auf, mit denen in institutionaler und funktionaler Weise die vertikale und horizontale Zusammenarbeit zu beleuchten ist. Der Netzwerkkodex trägt dem spezifischen Charakter strategischer Netzwerke dergestalt Rechnung, dass auf jegliche Form der direkten fremdformalisierten Steuerungsimpulsgebung verzichtet wird. Die Wirkmächtigkeit solcher „Soft-Law“-Regelungen resultiert aus dem Sanktionspotenzial der Netzwerkteilnehmer (Netzwerkkontrolle), die die veröffentlichten Ergebnisse als Gradmesser für die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit eines Partners im Kooperationszusammenhang heranziehen. Netzwerkunternehmen stehen faktisch vor der Alternative, ob sie den Netzwerkkodex befolgen oder aber das Risiko eingehen, dass
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Alexander Rief und Klaus Macharzina
sie mit ihren Erläuterungen den Rechtfertigungszwang gegenüber den Netzwerkpartnern nicht einlösen können. Letzteres verleitet zu der Annahme, dass sich über den Zwang des Netzwerks im Zeitablauf – in Anlehnung an die allgemeine Corporate-Governance-Interpretation – ein anerkannter Standard für gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit in strategischen Unternehmensnetzwerken herausbildet. Themenbereiche: Zusammenarbeit zwischen dem fokalen Unternehmen und den Netzwerkpartnern Planungssystem
IuK-System
Kontrollsystem
Zusammenarbeit zwischen den Netzwerkpartnern
Kriterien: Zuverlässigkeit Regelmäßigkeit Vollständigkeit Pünktlichkeit Umsetzungsbereitschaft Konsensfähigkeit Gewissenhaftigkeit Fairness
…
Abb. 7:
Ausgestaltungskriterien eines Netzwerkkodexes
Der Netzwerkkodex übernimmt als formalisiertes Instrument zur Bewertung der Reputation im Kooperationszusammenhang folgende zusätzliche Funktionen: •
Orientierung für vertrauensbildendes Netzwerkverhalten (Orientierungsfunktion),
•
Standardisierung funktion),
•
Förderung der Akzeptanz festgelegter Verhaltensmaßstäbe (Akzeptanzfunktion).
zielgerichteter
Verhaltensweisen
(Standardisierungs-
„Developmental capabilities“ zur Steuerung strategischer Netzwerke
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Zunächst stellt der Netzwerkkodex für alle Beteiligten eine Orientierungsfunktion dar. Das Regelwerk gewährt Einblicke darüber, welche Verhaltensregeln mit welchem Verbindlichkeitscharakter vom Kollektiv erwartet und als vertrauensbildend erachtet werden. Ebenso dient es als Ausgangspunkt für unternehmensindividuelle Änderungsmaßnahmen. Damit wird eine objektive transparente Bewertungsgrundlage mit unterschiedlichen Verbindlichkeitskategorien geschaffen, die subjektiv verzerrte Interpretationsdifferenzen auf ein Mindestmaß einzudämmen versucht. Individuelle Auslegungsschwierigkeiten sind allenfalls mit der Frage verbunden, ab welchem Ausmaß an Nichtberücksichtigung von Empfehlungen (Soll) oder individuellen Abweichungsbegründungen ein defektives Verhalten sanktioniert wird. Derartige bewertungsspezifische Grauzonen verstärken eher die Sanktionsunsicherheit, sodass unkooperative Verhaltensweisen insbesondere in der Anfangsphase, in der noch keine verlässlichen Erfahrungswerte vorliegen, zusätzlich an Attraktivität einbüßen. Andererseits bilden sich über die Dauer der Zusammenarbeit diesbezügliche Routinen heraus, sodass eine zielgerichtete Standardisierung der Verhaltensweisen zwischen den Netzwerkpartnern möglich erscheint. Die kollektive Festlegung und Umsetzung eines Netzwerkkodexes induzieren, entsprechend der inhaltlichen Fixierung, eine input-, prozess- und outputorientierte Verhaltensharmonisierung. Die Verbreitung einer Regelungsnorm im Netzwerk wird maßgeblich von dessen Grad an Verbindlichkeit beeinflusst. Neben der Verhaltensdurchsetzung, die von der Netzwerkkontrolle übernommen wird, ergeben sich beim Netzwerkkodex überdies Besonderheiten bei der Formulierung der Verhaltensmaßstäbe. Abgesehen von der erstmaligen Initiative und dem grundsätzlichen Einverständnis der Betroffenen bildet sich ein adäquater Netzwerkkodex erst im Zeitablauf evolutionär durch kooperative Übung sowie durch das Ergreifen der Voice-Option von Seiten der Partnerunternehmen heraus. Die Ausarbeitung der inhaltlichen Dimension erfolgt im fortwährenden Dialog und Konsens der Netzwerkteilnehmer, wohingegen der fokale Akteur steuerungstechnisch lediglich die prozedurale Dimension begleitet. Folglich ist davon auszugehen, dass die kollektiv-partizipative Vorgehensweise die Akzeptanz des Regelwerks unter den Beteiligten insgesamt erhöht und zugleich das Bewusstsein des sozialen Sanktionspotenzials weiter schärft. Andererseits sind die mit der Implementierung, Umsetzung sowie den generellen Abstimmungen anfallenden zeitlichen und somit finanziellen Aufwendungen einzubeziehen. Derartige Erörterungen sind grundsätzlich vor dem Hintergrund der Effektivität und Effizienz gegenüber konkurrierenden Optionen anzustellen. Grundvoraussetzung für die Anwendung des Netzwerkkodexes ist das Vorliegen gegenseitiger Abhängigkeitsverhältnisse, ohne die der soziale Sank-
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Alexander Rief und Klaus Macharzina
tionsmechanismus wirkungslos verpufft. Solche Zustände sind trotz des netzwerkimmanenten Wettbewerbsgedankens infolge verschiedener Restriktionen (monopolistischer oder oligopolistischer Wettbewerbsituation, Netzwerkfähigkeit, Netzwerkbereitschaft etc.) nicht gänzlich auszuschließen, wenngleich sie oftmals nur von temporärer Dauer oder auf einen Teilbereich abgrenzbar sind. Zudem hängt der gegenwärtige und insbesondere zukünftige Steuerungserfolg von der Konsequenz der Abweichungssanktionierung ab. In diesem Zusammenhang ist auch der Umgang mit unberechtigten Interpretationsverzerrungen zu regeln, die u. U. zu einer wettbewerbsbeeinflussenden Stigmatisierung von Netzwerkpartnern führen können. Fokale Eingriffe können derartige Unzulänglichkeiten zumindest partiell abschwächen. Festzuhalten bleibt, dass der langfristige Entwicklungsprozess strategischer Netzwerke aus steuerungsbezogener Sicht maßgeblich von dem Umstand getragen wird, ob und in welchem Maße den einzelnen Netzwerkpartnern Vertrauen entgegengebracht werden kann. Die Reputation eines Partners stellt eine zentrale Orientierungshilfe und Legitimationsgrundlage dar. Verhaltenskonformität erwächst hierbei aus dem „weichen“ Steuerungsmechanismus und der gleichzeitigen Androhung harter Maßnahmen (Exclusion- oder Exit-Option). Mit Hilfe des Regelwerks sowie dessen Struktur- und Verfahrensparametern wird einerseits ein quantifizierbares Bewertungsfundament geschaffen, andererseits der traditionell sehr zeitintensive Entstehungsprozess informaler Mechanismen auf eine „weiche Steuerungsart“ beschleunigt. Das transparenzfördernde Regelwerk basiert hierbei auf konsensualen Verfahrensgrundsätzen, die im Sinne eines offenen Ordnungsrahmens flexibel an zukünftige Netzwerkentwicklungen angepasst werden können. Aus entwicklungsorientierter Sichtweise kommt dem Netzwerkkodex folglich eine zentrale Bedeutung für die direkte Initiierung der Vertrauensspirale und indirekte Begünstigung der Lernspirale zu. Der Soll-Charakter des Regelwerks zeigt zudem unternehmensindividuelle Entwicklungsmöglichkeiten auf und fördert im Zeitablauf die Abstraktion von personalem zu systemischem Vertrauen, womit Erwartungsgarantien institutionalisiert und steuerungserleichternde Effekte realisiert werden.
„Developmental capabilities“ zur Steuerung strategischer Netzwerke
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Literaturverzeichnis Bamberger, I./Wrona, T. (2004): Strategische Unternehmensführung. Strategien – Systeme – Prozesse, München. Hersey, P./Blanchard, K.H./Johnson, D.E. (2008): Management of organizational behavior. Leading human resources, 9. Aufl., Upper Saddle River (New Jersey). Rief, A. (2008): Entwicklungsorientierte Steuerung strategischer Unternehmensnetzwerke, Wiesbaden. Wohlgemuth, O. (2002): Management netzwerkartiger Kooperationen. Instrumente für die unternehmensübergreifende Steuerung, Wiesbaden.
Lernen im Internationalisierungsprozess Michael Kutschker
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Vorbemerkung ................................................................................ 171
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Lernen als Basis der Inkrementalismusthese der Uppsala-Schule ............................................................................... 172
3
Kritik des IP-Modells ..................................................................... 174
4
Fortschreibungen des IP-Modells ................................................... 176
5
Kritik am erweiterten IP-Modell und weiterführende Gedanken ............................................................... 179
6
Zusammenfassung .......................................................................... 185
Literaturverzeichnis............................................................................... 187
Lernen im Internationalisierungsprozess
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Vorbemerkung
Ingolf Bamberger hat sich der Unternehmensführung verschrieben. Wenn man seinen wissenschaftlichen Weg von seiner Dissertation (1971) über die Habilitation (1982) bis zu seinem jüngst erschienenen bemerkenswerten Lehrbuch (2004) betrachtet, dann lässt sich zumindest rückblickend eine klare Publikationsstrategie rekonstruieren, deren inhaltliche Dimension, abgesehen von einigen thematischen „Emergenzen“, nahezu ausschließlich der strategischen Unternehmensführung gewidmet ist. In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder die Internationalisierung der Unternehmen thematisiert (1994, 1997, 2002, 2003), die neben der ehemaligen gemeinsamen Assistentenzeit in Mannheim eine zweite Gemeinsamkeit mit dem Verfasser und auch Anlass für die Wahl des Themas ist. Das Theorienspektrum des Internationalen Management ist schon vielfach systematisiert und ausgebreitet worden (vgl. Kutschker/Schmid 2008; Macharzina/Engelhard 1991; Macharzina 2003; Welge/Holtbrügge 2006). Differenziert man grob in institutionenökonomische und managementorientierte Ansätze, dann wird die Dynamik der internationalen Unternehmensentwicklung nur in letzterer Gruppe von Ansätzen untersucht. Innerhalb dieser Prozessansätze der Internationalisierung zählt das Modell der Uppsala-Schule (IP-Modell) zu den meist zitierten Ansätzen. In der Regel wird dabei auf das Ursprungsmodell von Johanson/Vahlne aus dem Jahre 1977 Bezug genommen. Die kritische Auseinandersetzung mit diesem Modell berücksichtigt dabei häufig nicht dessen Erweiterungen (vgl. Eriksson et al. 2000; Johanson/Vahlne 1990, 2003, 2006). Gerade die jüngeren Beiträge von Johanson und Koautoren entkräften manche berechtigte Kritik am Ursprungsmodell (vgl. Forsgren 2002) und werfen die Frage auf, welchen Beitrag ein modernisiertes IP-Modell für die Erklärung von Internationalisierungsprozessen leisten kann. Zunächst werden kurz die Kernaussagen des Ursprungsmodells aufgegriffen (2), um anschließend die darauf zielende Kritik zu hinterfragen (3). Eine zentrale Annahme des Modells unterstellt Wissensakkumulation durch Lernen. Kritisch wird vermerkt, dass offen bleibt, wer wo im Unternehmen eigentlich wie lernt. In seinen neueren Arbeiten versucht Johanson diese Kritik durch Verfeinerungen des Ursprungsmodells zu entkräften (4). Dies gelingt ihm nur partiell, weil er nach wie vor von der Lernfähigkeit der Unternehmung ausgeht. Trotz aller Erweiterungen unterstellen auch die Modellerweiterungen einen Automatismus der Entstehung von Marktwissen aus den laufenden Operationen. Wie dieser Erkenntnisprozess nun genau geschieht wird nicht ausgeführt. Dieser Annahme wird in (5) durch die These widersprochen, dass inkrementale Internationalisie-
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Michael Kutschker
rung nicht durch die Langsamkeit individueller rückkoppelnder Erfahrungsakkumulation, sondern durch nicht vollendete single- und double-loops, also durch „Nicht-Lernen“ entsteht. Diese Auseinadersetzung wird gleichzeitig genutzt, weiterführende Gedanken zum Lernen im Internationalisierungsprozess zu entwickeln.
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Lernen als Basis der Inkrementalismusthese der Uppsala-Schule
Ausgangspunkt der Inkrementalismusthese (vgl. Johanson/Vahlne 1977) sind deren eigene und fremde Beobachtungen des Internationalisierungsverhaltens von amerikanischen und skandinavischen Unternehmen in den 1970er Jahren. Auch Großunternehmen wie Volvo, Atlas Copco oder Sandvik eröffnen in fremden Märkten nicht sofort Produktionsstätten, sondern übernehmen zunächst einmal ihre Importeure und wandeln deren Gesellschaften in eigene Vertriebsgesellschaften um. Daraus ziehen Johanson et al. die bekannte Schlussfolgerung hinsichtlich der Internationalisierung von Unternehmen: „The establishment chain – no regular export, independent representative (agent), sales subsidiary, production - seems to be a correct description of the order of the development operations of the firms in individual countries.“ (Johanson/Vahlne 1977, S. 24 mit Verweis auf Johanson/Wiedersheim-Paul 1975). Nun kann man bereits ernsthaft darüber streiten, ob die Umwandlung eines Importeurs in eine neue Vertriebsgesellschaft oder die Erweiterung einer Vertriebsgesellschaft um eine Produktion als „a process of incremental adjustments to changing conditions of the firm and its environment“ (Johanson/Vahlne 1977, S. 26) zu betrachten ist. Die Ablösung eines Importeurs kann reibungslos funktionieren und den Eindruck einer schrittweisen Internationalisierung vermitteln. Wie ebenfalls immer wieder beobachtbar ist, kann die Integration eines ehemals eigentümergeführten Importeurs in eine Großunternehmung aber auch erhebliche Anpassungsprobleme und Prozesse des sozialen Wandels auslösen, die zumindest für die übernommene Unternehmung kaum als inkrementaler Internationalisierungssschritt zu interpretieren sind. Solche Entwicklungen sind dann schon eher als „big steps“ (Pedersen/Shaver 2000) oder Episoden der Internationalisierung zu interpretieren (vgl. Kutschker 1994; Kutschker/Schmid 2008). Macharzina/Engelhard (1991) bezeichnen in ihrem GAINS Ansatz bereits den Wechsel zwischen alternativen Exportvarianten als einen solchen „Gestaltwechsel“. Unabhängig von der hinterfragten begrifflichen Zuordnung der empirisch beobachteten Phänomene wird damit nicht infrage gestellt, dass Unternehmen
Lernen im Internationalisierungsprozess
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tatsächlich im Sinne eines „disjointed incrementalism“ (Lindblom 1965; Quinn 1980) internationalisieren. Daher bleibt die Erklärung Johansons nach wie vor interessant, warum diese schrittweise Internationalisierung zu beobachten ist. Dies ist der eigentliche theoretische Kern des IP-Modells, in welchem das Marktwissen eine zentrale Rolle einnimmt. „That internationalization decisions have an incremental character is, we feel, largely due to this lack of market information“ (Johanson/Vahlne 1977, S. 26). „Market knowledge“ und „market commitment“ sind die statischen Elemente des IP-Modells, die den internationalen Entwicklungsprozess durch „commitment decisions“ und „current activities“ in einem Ländermarkt treiben. Diese Aktivitäten verändern ihrerseits wieder das Wissen über und die Verbundenheit mit dem einzelnen Ländermarkt und begründen den dynamischen zirkulären Charakter des Modells. Hier interessiert insbesondere die Variable Wissen, wobei die Autoren in Anlehnung an Penrose (1959) zunächst zwischen objektivem und Erfahrungswissen unterscheiden. Während objektives Wissen lehrbar und generell leichter vermittelbar ist, kann Erfahrungswissen nur individuell durch eigene Versuchs- und Irrtumsprozesse gelernt werden und „thus cannot be transferred to other individuals or other markets“ (Johanson/Vahlne 1977, S. 28). Des Weiteren wird das Wissen in ein allgemeines und ein markt-spezifisches Wissen unterschieden. Letzteres ist an individuelle Ländermärkte gebunden und beinhaltet Wissen über Eigenarten des Marktes, Geschäftsusancen und insbesondere die Besonderheiten der Kunden. Dieses Wissen kann nun wiederum nur durch Erfahrung in einem langen Lernprozess im Zuge der lokalen Aktivitäten erworben werden, welcher die Langsamkeit des Internationalisierungsprozesses begründet. Das spezifische Marktwissen baut Unsicherheit über den Ländermarkt ab, indem es das wahrgenommene Risiko reduziert und in diesem Umfang Entscheidungen zur inkrementalen Steigerung der Verbundenheit mit dem Markt erlaubt. Wie die Autoren in einem späteren Artikel nochmals betonen, kann der Erfahrungsprozess auch zur Erhöhung des wahrgenommenen Risikos und zu einer Verringerung des „Commitments“ führen (vgl. Johanson/Vahlne 2006, S. 172). Damit wollen die Autoren dem falsch verstanden Vorwurf des Determinismus begegnen, den sie offensichtlich mit einer ausschließlich positiven Steigerung von Wissen, Verbundenheitsentscheidungen und lokalen Operationen assoziieren. Tatsächlich wird damit aber die methodologische Position des Ansatzes kritisiert.
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Michael Kutschker
Kritik des IP-Modells
Die ausschließliche Konzentration auf den iterativen Rückkopplungsprozess von Marktwissen und Commitment sowie Entscheidungen und Operationen bringt einen Binnendeterminismus zum Tragen: Der Prozess steuert sich aus sich selbst heraus. Obwohl das Wissen an Individuen gebunden ist, spielt der Mensch als Manager keine Rolle, da das Wissen irgendwie im System gespeichert und wieder abrufbar ist. „In our model we consider knowledge to be vested in the decision-making system: we do not deal explicitly with the individual decisionmaker“ (Johanson/Vahlne 1977, S. 26). Die Leugnung der Steuerbarkeit des Internationalisierungsprozesses wird noch durch die immer wiederkehrende Aussage verstärkt, dass das Entwicklungsmuster der establishment chain wie auch die einzelnen Entscheidungen keineswegs einer Strategie entsprängen (vgl. Johanson/Vahlne 1977, S. 26, 1990, S. 14). Erst 2006 räumen die Autoren ein, dass der Prozess in einem gewissen Ausmaß geführt werden könnte. „Therefore these processes are not deterministic in nature. But even if they presumably are partially unplanned, they can to some extent be managed, for example by improving on the motivation.“ (Johanson/Vahlne 2006, S. 172). Diese methodologische Grundhaltung schlägt zwangsläufig auf das Wissenschaftsprogramm der Uppsala-Schule durch. Von jemandem, der eine solche skeptische Sicht hinsichtlich der bewussten Führbarkeit von Internationalisierungsprozessen hat, kann nicht erwartet werden, dass er Managern Vorschläge entwickelt, wie sie (auch inkrementale) Internationalisierungsprozesse besser führen könnten. Ein zentraler Kritikpunkt beinhaltet, dass die inkrementale Internationalisierung nur einen Typ der internationalen Dynamik erfasst (vgl. Kutschker/Schmid 2008, Kap. 7). Wie immer wieder beobachtbar ist, verändern Unternehmen ihre Internationalität auch sprunghaft (vgl. Macharzina/Engelhard 1991) oder erwerben als „Born Globals“ (vgl. Oviatt/McDougall 1997; Schmidt-Buchholz 2001) offensichtlich in anderer Weise als durch langsames Lernen ihr für die Internationalisierung notwendiges Marktwissen. Freilich sticht diese Kritik eigentlich nicht, weil sich Johanson/Vahlne bereits in dem Artikel von 1977 die Hintertür für „large increases in the scale of operations“ (S. 30) offen lassen, wenn die Unternehmen sich nicht unsicher fühlen oder „...unless the firm has very large resources and/or market conditions are stable and homogenous, or the firm has much experience from other markets with similar conditions“ (S. 30) – Argumente die in ihrem Beitrag von 1990 nochmals als Antwort auf die bis dato artikulierte Kritik an der Inkrementalismusthese aufgegriffen werden. Dies sind allerdings so allgegenwärtige Bedingungen, dass die Reichweite des IP-Modells eigentlich weit kürzer greift, als es seiner Dominanz in der Literatur zum Interna-
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tionalen Management entspricht. In allen Großunternehmen, in stabilen Branchen oder in Unternehmen, in denen das Management nicht risikoscheu ist, kann die Internationalisierung entsprechend dem Prozessmodell von Johanson/ Vahlne erfolgen oder eben auch anders. Dieses häufig übersehene „Schlupfloch“ der Erfinder des IP-Modells schmälert die Überzeugungskraft der Inkrementalismusthese erheblich. Damit wird auch automatisch die Rolle des Marktwissens und des Lernens als Internationalisierungstreiber relativiert. Der Wissenserwerb im IP-Modell erfolgt über ein „learning by doing“ und berücksichtigt andere Formen der Wissensaneignung zunächst nicht. Forsgren (2002) schlägt das IP-Modell mit dessen eigener Argumentation, indem er plausibel argumentiert, dass zunehmendes Erfahrungswissen eigentlich eine Reduzierung der Notwendigkeit einer inkrementalen Internationalisierung zur Folge hat. Mehr Marktwissen baut Unsicherheit ab und lässt dann entsprechend dem Modell größere Schritte zu (vgl. Forsgren 2002, S. 262 f.). Aber auch andere Kritikpunkte am Lernansatz des IP-Modells zeigen, dass Johanson/Vahlne ein sehr eingeschränktes Verständnis organisationaler Lernprozesse haben, was freilich auch auf den Wissenstand der 1970er Jahre zurückzuführen ist. So wird nicht berücksichtigt, dass eigene Erfahrung durch imitatives Lernen von und Vertrauen in international fortschrittlichere „Benchmark-Firmen“ der Branche ersetzt werden kann (vgl. Huber 1991; DiMaggio/Powell 1983; Haveman 1993). Markterfahrung lässt sich auch schneller in der Interaktion mit erfahreneren Marktteilnehmern erwerben, ohne deren Lernprozesse durchlaufen zu müssen (vgl. Kraatz 1998; Lane/Lubatkin 1998). Fehlendes Marktwissen lässt sich auch zumindest teilweise „kaufen“, indem man Mitarbeiter mit entsprechender Erfahrung einstellt, Joint Ventures eingeht oder gleich ein lokales Unternehmen kauft (vgl. Barkema/Vermeulen 1998). Letztere Formen des „käuflichen“ Wissenserwerbes sehen Johanson/Vahlne zwar, meinen aber, dass solcherart Substitution nicht funktioniert, weil dieses „zugekaufte“ Marktwissen nicht so leicht mit dem Unternehmenswissen verknüpft werden kann, wie dies eigene „persons working on the boundary between the firm and its market...“ können (Johanson/Vahlne 1977, S. 29). Bezieht man diese heute bekannten Formen des organisationalen Lernens mit in die Würdigung des IP-Models ein, dann erfährt die Inkrementalismusthese nicht nur eine Einschränkung aus den oben von Johanson/Vahlne selbst genannten Gründen, sondern auch, weil die inkrementale Internationalisierung nur aus einer der vielen Formen des Wissenserwerbs abgeleitet werden kann. Unternehmen können nachweislich über andere Formen des Lernens schneller internationalisieren, als dies im IP-Modell unterstellt wird. Forsgren (2002, S. 271 f.) verleitet die rudimentäre Konzeptualisierung des Lernprozesses im IP-Modell zu der Gegenthese, dass Firmen in ausländische Märkte auch ohne eigene Markterfahrung investieren und das insbesondere dann, wenn das wahr-
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Michael Kutschker
genommene Risiko zu investieren geringer eingeschätzt wird als das Risiko nicht zu investieren. Hier verleitet die Kritik dazu, Inkrementalismusthese und Lernansatz zu entkoppeln, weil sich erstere auch ohne Lernen erklären lässt. Wenn man organisationales Lernen akzeptiert, dann sollten doch einige Besonderheiten des internationalisierenden Unternehmens berücksichtigt werden, die in den allgemeinen organisationstheoretischen Überlegungen untergehen. Bevor dieser Gedankengang weiter verfolgt wird, werden einige von Johanson und Koautoren vorgenommene Erweiterungen bzw. Präzisierungen des Ursprungsmodells aufgegriffen und es wird überprüft, ob die vorgetragene Kritik dadurch entkräftet werden kann.
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Fortschreibungen des IP-Modells
Die zusammen mit Eriksson, Majkgard und Sharma entstandenen Beiträge (1997, 1998, 2000) versuchen neuere lerntheoretische Erkenntnisse in das IPModell einzuweben, ohne dessen Basisaussagen in Frage zu stellen. Aufbauend auf dem Beitrag von 1997 gehen die Autoren in ihrem Artikel von 2000 der Frage nach, inwieweit die geographische Streuung bzw. Varietät der bearbeiteten Ländermärkte die inkrementale Akkumulation von Wissen beeinflusst. Damit reiht sich der Beitrag in Arbeiten ein, welche den Einfluss der Dauer der Auslandsaktivitäten (vgl. Erramilli 1991), des Alters und der Größe der Unternehmung oder der Anzahl der Tochtergesellschaften auf die Wissensentwicklung untersuchen (vgl. Barkema/Vermeulen 1998). Die Wissensakkumulation beeinflusst wiederum die verschiedenen Varianten der Internationalisierung wie die Wahl der Marktbearbeitungsform (vgl. Al-Laham 2003; Gatignon/Anderson 1988; Calof/Beamish 1995), die Wahl der Ländermärkte (vgl. Kogut/Singh 1988; Erramilli/Rao 1993), die Ausweitung des Länderportfolios (vgl. Barkema et al. 1996) oder wie in dem angesprochenen Beitrag die Kosten der Internationalisierung. Die Akkumulation von Wissen erfolgt über dessen Bestandteile Internationalisierungswissen, Geschäftswissen und institutionelles Wissen. Internationalisierungswissen beinhaltet das Wissen über Fähigkeiten und Ressourcen, welche für das internationale Engagement benötigt werden. Das Geschäftswissen umfasst das Wissen über die Wettbewerbssituation und die Kunden in spezifischen Ländermärkten. Institutionelles Wissen beinhaltet das Wissen über die Gesetze, Regeln, Normen und Werte eines bestimmten Landes (vgl. Eriksson et al. 2000,
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S. 6). Damit wird die frühere Zweiteilung des Wissens in generelles und spezifisches Marktwissen durch institutionelles und Geschäftswissen ersetzt. In späteren Arbeiten (vgl. Johanson/Vahlne 2003, 2006) bildet das in Zusammenarbeit mit Kunden entwickelte Wissen die Basis für eine Weiterentwicklung des IPModells. Hier sind zunächst einmal die Beziehungen der drei Wissensarten zueinander und ihre Wirkung auf die Kosten der Internationalisierung von Interesse. Ausführlich wird die zentrale These theoretisch belegt, dass „being exposed to variation enables internationalizing firms to accumulate knowledge from a richer variety of business and institutional actors and a double looplearning process more easily evolves in such firms“ (Eriksson et al. 2000, S. 7). Die in 323 schwedischen Dienstleistungsunternehmen erhobenen Daten ergaben die Zusammenhänge zwischen den Variablen, wie sie in Abb. 1 festgehalten sind. Geschäftswissen Varietät
Internationalisierungswissen
Wahrgenommene Kosten Institutionelles Wissen
Abb. 1:
Der Einfluss von Varietät auf Wissensakkumulation und Kosten der Internationalisierung (Quelle: verändert aus Eriksson et al. 2000, S. 10)
Entgegen den Erwartungen besteht kein direkter Einfluss der Umweltvarietät, gemessen an der Anzahl bearbeiteter Kulturräume, auf das Geschäftsund institutionelle Wissen, was der ursprünglichen Behauptung des IP-Modells nachträglich Recht dahingehend gibt, dass marktspezifisches Wissen nicht transferierbar ist und mithin die dadurch ausgelöste Varietät keinen Effekt erzeugen kann. Neben der „Reorganistion“ der Wissensterminologie beziehen die Autoren mit den Kosten der Internationalisierung, gemessen als die geschätzten Kosten eines zusätzlichen internationalen Klienten/Auftrages, das erste Mal eine ökonomische Größe in das IP-Modell ein, das ansonsten die ökonomischen Konsequenzen der Internationalisierung ausblendet (vgl. Kutschker 2008). Eine stärkere Internationalität fördert nicht nur die Wissensakkumulation, sondern wirkt direkt und indirekt über das Wissen kostensenkend auf die Internationalisierung. In jüngeren Arbeiten (vgl. Johanson/Vahlne 1990, 2003, 2006) wird das Geschäftswissen bzw. das frühere spezifische Marktwissen nicht durch Lernen
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von einem unspezifizierten Markt, sondern durch „relationship learning“ aus konkreten Kundenbeziehungen erworben. Gleichfalls wird das „market commitment“ durch ein „mutual commitment“ der Geschäftspartner ersetzt. Der anonyme Ländermarkt wird mit Beziehungen zu einzelnen Kunden und ihren Netzwerken ersetzt, was eine neue Sichtweise auf den Wissenserwerb und die inkrementale Entwicklung des Länderengagements erlaubt. Denn auch in den neueren Arbeiten wird an der Inkrementalismusthese festgehalten, die aber nunmehr damit begründet wird, dass die Entwicklung wechselseitigen Vertrauens und „commitments“ ein kosten- und zeitintensiver uni-, bi- und manchmal auch multilateraler Prozess ist, dessen Ergebnis zudem unsicher ist. Stärker als im Ursprungsmodell wird nunmehr die Wissensentwicklung aus dem „commitment“ erklärt. Diese Verbundenheit mit einzelnen Kunden und die Einbindung in deren Netzwerke erlauben es, neue Chancen im Markt zu entdecken. Lernen wird nun nicht mehr alleine als ein Rückkopplungsprozess – single oder double loop – sondern auch als Suche nach neuen Gelegenheiten und dem Unbekannten (discovery) verstanden. Wissen entsteht damit aus der Interaktion mit Anderen und ist sozial konstruiert. Unter Rückgriff auf Nahapiet/Ghoshal (1998) und Granovetter (1992) findet das IP-Modell damit Anschluss an die moderne organisationstheoretische Diskussion der Entstehung und Funktionen von Sozialkapital, was Johanson/Vahlne (2006, S. 171) veranlasst „mutual commitment“ mit „social capital“ gleichzusetzen. Erstaunlich ist nur, dass es 25 Jahre gedauert hat, das IP-Modell mit dem Netzwerkansatz zu verbinden, obwohl Johanson Gründungsmitglied der IMPGroup (Industrial Marketing and Purchasing Group, vgl. Hakansson 1982; Ford 2002) war, die den Netzwerkansatz stark propagierte (vgl. Kirsch et al. 1980; Hakanson/Snehota 1995) und Johanson selbst zusammen mit Mattson (1985) dem Netzwerkdenken breiten Raum gewidmet hat. Wenn schon das kombinative Lernen in einer Person so schwierig ist, sollte man skeptisch sein, ob das „mutual commitment“ zwischen zwei Interaktionspartnern tatsächlich Neues hervorbringt und ob dieses Neue dann ggf. auch den Weg in die fokale Organisation findet. Dieser Zweifel leitet bereits in die Würdigung des „renovierten“ IP-Modells und einigen weiterführenden Gedanken über.
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Kritik am erweiterten IP-Modell und weiterführende Gedanken
Nicht nur mit der Einbeziehung des Entdeckungslernens (vgl. auch Johanson/Johanson 2006) gelingt es Johanson und Vahlne, das von Forsgren (2002) kritisierte enge Verständnis organisationalen Lernens zu weiten, sondern auch durch den Rückgriff auf die Argumente der klassischen Lerntheorien. Mittels dieser wird erstmals hinterfragt, wie Individuen lernen. Individuen müssen die Fähigkeit haben Neues zu absorbieren, wobei diese Fähigkeit eng mit dem vorhandenen Wissen verbunden ist. Wissen kreiert neues Wissen, das aus der Interaktion mit Kunden entsteht. Mit der begrifflichen Ausdifferenzierung des ursprünglichen Marktwissens, der Einbindung lerntheoretischer Konstrukte und der Erweiterung der Aussagen zur Entwicklung der Kundenverbundenheit („mutual commitment“) löst die Uppsala-Schule einige Probleme des ursprünglichen IP-Modells. Gleichzeitig gibt sie aber dessen Einfachheit und Klarheit zugunsten der unverbundenen Diskussion einzelner Variablenbeziehungen auf und kann dennoch einige Strickfehler des Modells nicht beseitigen bzw. macht auf neue Probleme aufmerksam. Im Folgenden wird auf die neuen und alten Probleme des IP-Modells eingegangen und es werden Wege aufgezeigt, wie man zum einen nicht von der Inkrementalismusthese abrücken muss und zum anderen die lerntheoretischen Überlegungen noch fortentwickeln kann. Netzwerkentwicklung versus inkrementaler Internationalisierungsprozess? Die begriffliche Detaillierung des Marktwissens und dessen Entwicklung aus den Beziehungen mit Marktaktoren stellt zweifellos eine Erweiterung des ursprünglichen IP-Modells und eine Präzisierung der Entstehungsursachen von Marktwissen dar. Nur gerät das IP-Modell damit bspw. in das Fahrwasser von Publikationen der IMP-Group, die theoretisch und empirisch weitaus reichhaltigere Argumentationen zur Entwicklung einzelner Kundenbeziehungen (vgl. z. B. Dwyer et al. 1987) oder von Netzwerken vorlegen (vgl. z. B. Axelsson/Easton 1992; Hakansson/Snehota 1995). Da sich Johanson selbst an der Netzwerkdiskussion intensiv beteiligt hat (vgl. Hakansson/Johanson 1992; Johanson/Mattson 1992), sind die nicht ausgeführten Erweiterungsmöglichkeiten des Netzwerkansatzes wohl weniger der Unkenntnis der Autoren als der Kürze der jeweiligen Artikel geschuldet. Jedenfalls stellen Netzwerkansätze heute ein ausgereiftes theoretisches und methodisches Rüstzeug zur Verfügung, um die Interdependenz von Netzwerkstrukturen mit dem Entwicklungsprozess des Netzwerkes aufzuzeigen, also den Switch zwischen „state aspects“ und „change aspects“ (vgl.
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Johanson/Vahlne 1977, S. 26) von Netzwerken zu erklären (vgl. Rank 2003; Renz 1998; Wald 2003). Als Folge wäre die Inkrementalismusthese an der Entwicklung der internationalen Netzwerke eines Unternehmens festzumachen.
Multikausal begründbare Inkrementalismusthese In den neueren Arbeiten wird weiterhin von der inkrementalen Internationalisierung ausgegangen, ohne dass eine Auseinandersetzung mit den mittlerweile in der Literatur etablierten alternativen Prozessverläufen der Internationalisierung erfolgt oder die erwähnten „Schlupflöcher“ der Inkrementalismusthese beseitigt worden wären. Daher gibt es im IP-Modell eigentlich immer noch die zahlreichen Ausnahmen von dem inkrementalen Verlauf der Internationalisierung. Nach wie vor wird diese monokausal aus der Langsamkeit der individuellen Lernprozesse erklärt, die um die Langsamkeit der wechselseitigen Prozesse der Vertrauensbildung erweitert werden. Diese Argumentation mag für das Lernen des einzelnen Individuums und für die Entwicklung der einzelnen Kundenbeziehung richtig sein. Für das organisationale kollektive Handeln ist aber nicht zwingend davon auszugehen, dass die „commitment decision“ und „operations“ des Unternehmens gerade auf diesem individuell in Interaktionen „erarbeiteten“ Wissen aufsetzen. Internationalisierungsstrategien können auch auf Fremdwissen etwa von Beratern basieren, das sogar bewusst auf den lokalen, langjährigen Erfahrungsspeicher verzichtet und Aktionen initiiert, die unabhängig von dem lokalen Wissen sind. Die oben skizzierte unidirektionale Wirkung des Internationalisierungswissens stützt sogar diese Argumentation (vgl. Eriksson et al. 2000 und Abb. 1). Internationale Aktivitäten sind also nicht nur aus dem in lokalen Interaktionen erworbenen Wissen begründbar, sondern können andere als durch das IP-Modell aufgezeigte Ursachen haben. Selbst wenn man nicht infrage stellt, dass individuelle und organisationale Lernprozesse Zeit beanspruchen, folgt daraus keineswegs, dass es nicht auch andere Begründungen für die schrittweise (internationale) Unternehmensentwicklung gibt. Erinnert man sich an die Argumentationen von Lindblom (1964) und Quinn (1980), dann entstehen „disjointed incrementalism“ und „muddling through“, weil sich individuelle Entscheider in Unternehmen schlecht koordinieren, Unsicherheit vermeiden und aufgrund fragmentarischer Informationen Lösungen nahe dem Status Quo suchen und nicht, weil Lernprozesse Zeit verbrauchen. Inkrementalismus lässt sich aber auch aus dem evolutionären Charakter der Internationalisierung begründen. Manager variieren ständig in Reaktion auf Störungen ihres Umfeldes Prozesse, Routinen und Strukturen. Sie selektieren die aus ihrer Sicht erfolgreichen Veränderungen, die nicht not-
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wendigerweise mit den Variationen anderer Manager abgestimmt sind, für die diese „Störungen“ ihres Verantwortungsbereiches sind, auf welche sie ihrerseits mit Variationen reagieren usw. Inkrementalismus entsteht hier aus der egozentrischen Bewältigung von Störungen der Aufgabenerfüllung. Die Ursachen für solche Störungen und das dadurch ausgelöste „evolutionäre Hintergrundrauschen“ der inkrementalen Internationalisierung sind vielfältig (vgl. ausführlich Kutschker/ Schmid 2008, Kap. 7) und sorgen ebenso wie die durch Lernprozesse veränderbare Tiefenstruktur dafür, dass der Internationalisierungsprozess in seinem Grundcharakter inkremental ist, in dem aber auch unabhängig davon Episoden „revolutionärer“ Internationalisierung vorkommen können. Die vielfältigen Auslöser und Ursachen der inkrementalen Internationalisierung legen es nahe, Inkrementalismusthese und Lernansatz zu entkoppeln. Zweifellos lernen Unternehmen zu internationalisieren. Daraus folgt aber weder zwingend, dass dies wie oben ausgeführt eine inkrementale Internationalisierung zur Folge hat, noch ist inkrementale Internationalisierung allein aus Lernprozessen zu erklären. Eine solchermaßen „liberalere“ multikausale Sichtweise der Inkrementalismusthese eröffnet dann auch ein reichhaltigeres Repertoire an Führungsmöglichkeiten (vgl. Kutschker 1996; Kutschker/Schmid 2008, S. 11201162) als nur die Motivation zu verbessern (vgl. Johanson/Vahlne 2006, S. 172).
Lernen in der „black box“ Wissen ist in den Köpfen der Individuen und im Entscheidungssystem des Unternehmens gespeichert. Damit verfolgen Johanson/Vahlne zweifellos einen individualistischen Ansatz, der aber merkwürdig blass bleibt. Weder wird Wissen nach Entscheidungsträgern, Rollen oder Aufgaben inhaltlich differenziert, noch wird das Zusammenspiel der Individuen innerhalb der fokalen Organisation thematisiert. Trotz individualistischem Ansatz ähnelt die Argumentation eher der „black box“-Betrachtung der Theorie der Unternehmung. Einige „Individualisierungen“ ließen noch modellimmanente Erweiterungen der Aussagen zum Lernen zu. Andere zeigen aber die Begrenztheit des IP-Modells auf. Es ist für die neueren Entwicklungen des IP-Modells charakteristisch, dass Wissen und Vertrauen aus der einzelnen Kundenbeziehung entsteht. Diese Beziehung wird nicht weiter unterschieden: Kunde ist gleich Kunde, Transaktion ist gleich Transaktion. Beginnt man die Kundenbeziehungen bspw. nach den zugrunde liegenden Transaktionstypen (vgl. Kutschker 1972) oder Geschäftstypen (vgl. Backhaus/Voeth 2007) zu differenzieren, dann ließen sich auch die Aussagen zum „mutual commitment“ weiter entwickeln. Die mit Geschäftstypen
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verbundenen Interaktionssituationen implizieren unterschiedliche Grade und Formen der Unsicherheit und wechselseitiger Abhängigkeit, die wiederum unterschiedliche Notwendigkeiten und Möglichkeiten der gemeinsamen Vertrauensund Wissensentwicklung mit sich bringen. Der Lernansatz ließe sich also durch die Berücksichtigung transaktionsrelevanter Unterschiede weiter ausdifferenzieren. Eine striktere Trennung von individueller und organisationaler Wissensakkumulation erlaubt eine weitere begriffliche Differenzierung. Lernen und neues Wissen entsteht genauso wie Vertrauen aus der Interaktion von Individuen (vgl. Johanson/Vahlne 2006). Ist dieses Wissen und Vertrauen wirklich nur individuell verankert? Unterscheidet man das Geschäftswissen (vgl. Eriksson et al. 2000) in Transaktionswissen und Interaktionswissen, dann werden mit ersterem alle Informationen verbunden, welche die operative Abwicklung der physischen Transaktion oder einer Dienstleistung ermöglichen. Interaktionswissen erwächst hingegen aus der Zusammenarbeit der Mitarbeiter der beteiligten Unternehmen und bildet die Kenntnis über die Beteiligten ab, die erst eine erfolgreiche Interaktion ermöglichen. Beide Wissensarten bedingen sich nicht: Transaktionen sind ohne Interaktionswissen möglich wie Interaktionswissen ohne Transaktionen entstehen kann. In ähnlicher Weise lässt sich das persönliche Vertrauen des Individuums von dem institutionellen Vertrauen unterscheiden, das der Organisation entgegengebracht wird. Was bedeutet diese Differenzierung für die individuellen und organisationalen Lernprozesse? Für das individuelle Interaktionswissen und persönliche Vertrauen gilt das, was Johanson/Vahlne für das marktspezifische Wissen postulieren: Sie sind nicht oder allenfalls beschränkt übertragbar. Man kann sogar noch stärker argumentieren, dass eine Übertragung überhaupt keinen Sinn ergibt, da dieses Wissen und Vertrauen nur zwischen ganz spezifischen Personen erwächst und nur in Interaktionen zwischen diesen einsetzbar ist. Insofern ist ein Aderlass an Interaktionswissen etwa durch den Wechsel eines Mitarbeiters bedauernswert, u. a. weil dieses individuelle Interaktionswissen nach wie vor existiert und auch bei der Konkurrenz einsetzbar ist. Es hat für die Unternehmung aber auch keinen Sinn, sich dieses Wissen durch „Speicherung“ anzueignen und es an den Nachfolger weiter zu reichen. Dieser muss sich sein Interaktionswissen neu „erarbeiten“. Insofern kann man bei Interaktionswissen und persönlichem Vertrauen zwar eine individuelle Akkumulation von Wissen unterstellen, die dem Unternehmen aber nur solange zur Verfügung stehen, wie ihr der Wissensträger angehört. Für die Organisation verbleibt „nur“ die Akkumulation von Transaktionswissen und die Entwicklung des institutionellen Vertrauens, die übrigens in der Terminologie des IP-Modells auch marktspezifisches Wissen wären, das aus konkreten lokalen
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Transaktionsbeziehungen entsteht. Wenn nunmehr nachgewiesen ist, dass zumindest ein Teil des in Kundenbeziehungen entstehenden Wissens und Vertrauens nicht für Organisation gespeichert werden kann, liegt ein weiterer Grund vor, die inkrementale Entwicklung von Unternehmen von individuellen und organisationalen Lernprozessen zu entkoppeln. Wegen der „black box-Betrachtung“ im IP-Modell bleibt es reichlich diffus, wo das Wissen entsteht, und wo es entwickelt, angewendet und gespeichert wird. Im Ursprungsmodell und auch im Beitrag von 2006 muss implizit davon ausgegangen werden, dass Wissen einerseits aus den Aktivitäten im jeweiligen Ländermarkt entsteht. Andererseits zeugt der Verweis auf die organisationale Wissensbasis (repository) und später auf das Internationalisierungswissen davon, dass das für die inkrementale Internationalisierung verantwortliche Wissen im Unternehmen verteilt ist. Das alte wie das neue Modell sagt nichts darüber aus, ob und wie ein Transfer der verschiedenen Wissensarten erfolgt. Damit wird nicht nur die gesamte Literatur zum Wissensmanagement in internationalen Unternehmen ausgeblendet (vgl. zu einem Überblick Bendt 2000), sondern auch implizit unterstellt, dass die Rückkopplungen aus Marktoperation und auf Marktwissen basierenden Entscheidungen zwischen Zentrale und Peripherie friktionslos verlaufen, was angesichts widersprechender Empirie so einfach nicht als Annahme akzeptiert werden kann (vgl. Engelhard/Nägele 2003; Lam 2000; Michailova/Husted 2003). Diese vergleichsweise einfachen Annahmen auch des erweiterten IP-Modells über organisationales Lernen schließen also nur partiell zum gegenwärtigen Wissenstand der Lerntheorien auf. Der Aspekt der unvollständigen Rückkoppelungen soll in einem abschließenden Kritikpunkt vertieft werden.
Erkenntnisprozesse im IP-Modell Neben dem Innovationslernen und dem Entdecken neuer Geschäftschancen in der Kundeninteraktion bleibt das Rückkopplungslernen, das „learning by doing“, eine wesentliche Argumentationslinie des IP-Modells, die noch durch den Bezug auf die Figur des „single“ und „double-loop learning“ von Agyris/ Schön (1978) verstärkt wird (vgl. Eriksson et al. 2000, S. 4). Die Verweise auf die „absorptive capacity“ (Johanson/Vahlne 2006, S. 172) mögen auf die Einsicht der Autoren hinweisen, dass nicht jedem „doing“ ein Erkenntnisprozess folgt, dass also schon der individuelle Rückkoppelungsmechanismus zwischen Aktion und Erkenntnis nicht funktionieren muss. Weitere Aussagen, wie aus Handeln individuelles Wissen wird oder wie individuelle Erkenntnis zu organisationalem Wissen und Fähigkeiten werden, finden sich nicht. Unabhängig von
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dieser auch in der Literatur zum organisationalen Lernen nur ansatzweise geklärten Frage (vgl. Huber 1991; Nonaka 1994; Pautzke 1989) ist der unterstellte Automatismus des Wissenserwerbs im IP-Modell zu hinterfragen. Neben der motivationalen Erkenntnisbereitschaft hängt der Erkenntnisfortschritt von der mentalen Erkenntnisfähigkeit des Individuums ab, in komplexen Prozessen eindeutige Ursache-Wirkungszusammenhänge zwischen Handeln und Ergebnis zu erkennen. Dies ist freilich angesichts von Interpretationsspielräumen und der Mehrdeutigkeit sozio-ökonomischer Tatbestände schon für das einzelne Individuum eine heroische Annahme, insbesondere wenn in interkulturellen Überschneidungssituationen die Gefahr von Fehlinterpretationen und „falschem“ Lernen besonders groß ist (vgl. Orr/Scott 2008). Zudem erfüllen Unternehmen ihre Internationalisierungsaufgabe aber arbeitsteilig in nur lose gekoppelten Einheiten mit zumindest tendenziell hierarchischen Beziehungen. Entscheidungen über die Veränderung von „market commitments“ sind kollektiver Natur und verlangen nach einer Abstimmung der individuellen Wissensbasen und Interpretationsprozesse. Zwangsläufig hat nicht jedes „market knowledge“ die gleiche Chance im Entscheidungsprozess berücksichtigt zu werden. Der von Johanson/ Vahlne unterstellte Rückkopplungsprozess scheitert damit auch an der Charakteristik kollektiver Entscheidungsprozesse. Nehmen diese gar den Charakter politischer Prozesse an, dann können individuelle Präferenzen eingebracht werden, die nicht notwendigerweise relevantes individuelles oder kollektives Marktwissen berücksichtigen müssen. Interpretationen setzen voraus, dass die relevanten Zusammenhänge erfasst werden, dass Individuen und die Organisation über Interpretationsschemata verfügen um aus der Reflexion vollzogener Internationalisierungsschritte zu „lernen“. Voraussetzung für Erfahrungsakkumulation ist also die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung, Analyse und Fortschrittsbewertung. Hinzu kommt die Notwendigkeit der Diskursfähigkeit zum kollektiven Abgleich der Interpretationen. Wenn man allerdings sieht, dass „only 7 of the 93 respondents used a control tool for the internationalization process“ (Varwijk 1997, S. 2), kann es mit der Erkenntnisgewinnung aus dem Internationalisierungsprozess nicht so weit her sein. Tröstlich ist immerhin, dass mehr als die Hälfte der Befragten sich an solchen Instrumenten interessiert zeigten. Wie eigene Untersuchungen zeigen, räumen Praktiker einen Reflexionsbedarf der Internationalisierung ein, schrecken aber vor der Anwendung anspruchsvoller Reflexionsinstrumente zurück (vgl. Becker 2005; Kutschker/Becker 2005). Vor dem Hintergrund drängt sich eher der Eindruck auf, dass zumindest ein organisationales qualifiziertes Lernen nicht stattfindet. Fehlende Interpretations- und Bewertungsinstrumente sowie unterbrochene „loops“ zeichnen eine ganz andere Realität kollektiven „Nicht-
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Lernens“, als dies die heile Welt des „learning by doing“ im IP-Modell suggeriert. Man ist versucht, das Nicht-Lernen als weiteres Argument in die Liste der Ursachen der inkrementalen Internationalisierung aufzunehmen und das Lernen als dominanten Mechanismus zu streichen.
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Zusammenfassung
30 Jahre nach der Veröffentlichung des IP-Modells zählt der Beitrag von Johansson/Vahlne (1977) nicht nur wegen einer großen Zahl zitierwilliger Doktoranden und Kollegen der sogenannten Uppsala-Schule zu den meist zitierten Arbeiten des Internationalen Managements, sondern auch, weil die Autoren teilweise mit anderen Koautoren das Ursprungsmodell kontinuierlich ausgebaut haben. Seine weite Verbreitung resultiert aber auch aus dem Umstand, dass das Modell zu einem sehr frühen Zeitpunkt eine managementorientierte Prozessperspektive einnimmt und in seiner Einfachheit und begrifflichen Klarheit bis heute einen Kontrapunkt zu den mikroökonomisch orientierten Internalisierungstheorien setzt (vgl. Buckley/Casson 1976). Die zentrale Aussage, dass die Lernprozesse internationalisierender Unternehmen nur eine inkrementale internationale Unternehmensentwicklung zulassen, ist jedoch immer wieder kritisiert worden, wobei die vielfältigen empirischen Versuche der Wahrheitsfindung wegen ihrer widersprüchlichen Ergebnisse zwar zur weiteren Verbreitung des Modells, aber nicht unbedingt zur Klärung der Inkrementalismusthese beigetragen haben. Dieser Beitrag hinterfragt die (impliziten) Annahmen des IP-Modells. Anders als vorausgegangene Kritiken (vgl. Forsgren 2002) bezieht die kritische Auseinandersetzung Weiterentwicklungen des IP-Modells ein. Diese sind in weiteren Ausdifferenzierungen des Wissensbegriffes, der Auflösung des Ländermarktes in einzelne Kundenbeziehungen und den Mechanismen des Erwerbs neuen Wissens über Geschäftschancen zu sehen. Mit den entsprechenden lerntheoretischen Argumentationsfiguren können zwar einige Kritikpunkte am alten Modell ausgeräumt werden. Dennoch gelingt es nur partiell, zur lerntheoretischen Argumentation im Rahmen des Wissensmanagements internationaler Organisationen aufzuschließen. Auch erhält die Inkrementalismusthese durch die Erweiterungen des Modells keine zusätzliche Argumentationshilfe. Wenn man die Annahmen des IP-Modells hinterfragt, kann begründet werden, warum inkrementale Internationalisierung und die Prozesse der Wissensakkumulation entkoppelte Prozesse sind. Inkrementalismus lässt sich auch anders als mit Lernprozessen begründen und Wissensakkumulation im internationalen Unternehmen zieht nicht notwendigerweise eine inkrementale Unternehmensentwicklung nach
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sich. Damit sind zwar beide Prozesse offen für weitere inhaltliche und begriffliche Erweiterungen, doch wird damit auch der iterativen Struktur des IPModells, dem switch zwischen state und change aspects, und damit der eigentlichen Argumentationsbasis für die Dynamik des IP-Modells der Boden entzogen. Dieser Boden ist aber auch deswegen trügerisch, weil die Annahme der organisationalen Erkenntnisfähigkeit zumindest nicht in der Simplizität des IP-Modells aufrecht gehalten werden kann. Die Praxis verfügt nicht über ausreichende Instrumente und Methoden den Internationalisierungsfortschritt ihrer Unternehmen reflektiv, lernend zu bewerten. Hier eröffnen sich für das Fach Internationales Management erhebliche Möglichkeiten, Gestaltungsvorschläge zu entwickeln. Die Praxis spürt diesen Mangel an Reflexionsfähigkeit, und es könnte sein, dass Beobachter in 30 Jahren die Lernprozesse beobachten können, die Johanson und Vahlne 1977 postulierten.
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Das Integration/Responsiveness-Modell im Internationalen Management – Eine 3-Ebenen-Betrachtung Das Integration/Responsiveness-Modell
Joachim Zentes, Dirk Morschett und Hanna Schramm-Klein
1
Das Integration/Responsiveness-Modell von Bartlett/Ghoshal.............................................................................. 195
2
Literaturüberblick zum I/R-Modell und zu verwandten Modellen ..................................................................... 197
3
Modifikation des I/R-Modells: 3-Ebenen-Modell .......................... 200 3.1 3.2 3.3 3.4
4
Überblick und Grundidee..................................................................200 Branchenkräfte als erste Ebene .........................................................202 Strategische Orientierungen des MNU als zweite Ebene..................205 Strategie der Auslandseinheit als dritte Ebene..................................207
Empirische Überprüfung der Konsistenz eines 3-Ebenen-Modells........................................................................... 209 4.1 Stichprobe und Vorgehensweise.......................................................209 4.2 Ebene des Branchenumfelds: I/R-Kräfte in der jeweiligen Branche ...........................................................................209 4.3 Ebene des Gesamtunternehmens: Strategische Orientierung des MNU...........................................................................................212 4.4 Ebene der Auslandseinheit: I/R-Strategie im Gastland.....................215
5
Zusammenfassung .......................................................................... 218
Literaturverzeichnis............................................................................... 221
Das Integration/Responsiveness-Modell
1
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Das Integration/Responsiveness-Modell von Bartlett/Ghoshal
Eines der einflussreichsten Modelle für Multinationale Unternehmen (MNU) entstand aus den Arbeiten von Doz, Prahalad, Bartlett und Ghoshal (vgl. z. B. Doz et al. 1981; Doz/Prahalad 1981; Bartlett/Ghoshal 1987; Prahalad/Doz 1987; Bartlett/Ghoshal 1989). In Anlehnung an ein bereits in den 1960er Jahren von Fayerweather (1969) diskutiertes Spannungsfeld international tätiger Unternehmen rückten sie konfliktäre Umfeldkräfte, nämlich eine notwendige Anpassung an lokale Gastlandbedingungen („local responsiveness“) einerseits und die Kräfte hin zu einer global standardisierten Vorgehensweise („global integration“) andererseits, in den Mittelpunkt der Betrachtung und formulierten so ein „Integration/Responsiveness-Modell“ (I/R-Modell) (Doz 1980; Doz et al. 1981): •
Ein MNU ist unter unterschiedlichen nationalen Umfeldbedingungen tätig. In jedem Land trifft eine lokale Auslandseinheit auf lokale Kunden und Regierungen, verschiedene Markt- und Distributionsstrukturen, Verfügbarkeit von Substitutionsprodukten. Der Druck zur Anpassung ist je nach Situation, die durch die multiplen Umgebungen präsentiert werden, unterschiedlich. Dies wird in der Literatur zum Internationalen Management als „Kräfte der nationalen Anpassung“ („forces for national responsiveness“) bezeichnet (Ghoshal/Nohria 1993, S. 26; Prahalad/Doz 1987, S. 20 f.).
•
Die unterschiedlichen Länder und Märkte können jedoch auch miteinander verknüpft sein, weil einheitliche Kundenpräferenzen vorzufinden sind, weil Economies of Scale oder Scope relevant sind oder weil komparative Standortvorteile eines Landes Anreize für die Spezialisierung einzelner Auslandseinheiten und Interdependenz sowie Integration bieten. Auch die mögliche unternehmensweite Nutzung von Wissen, das in einem bestimmten Land aufgebaut wird, oder die Situation, in der wichtige Akteure im Umfeld des MNU (Kunden, Konkurrenten, Lieferanten) auf den verschiedenen Auslandsmärkten die gleichen sind, können die Notwendigkeit bzw. die Potenziale der Integration erhöhen. Auch Technologieintensität und Kostendruck werden damit in Verbindung gebracht. Diese Verbindungen zwischen Ländern drängen das Unternehmen dahin, seine internationalen Aktivitäten zu koordinieren. Sie werden allgemein als „Kräfte für globale Integration“ („forces for global integration“) bezeichnet (Ghoshal/Nohria 1993, S. 26; Prahalad/Doz 1987, S. 18 ff.).
Obwohl beide Kräfte in einem Zusammenhang stehen, werden sie nicht als gegensätzliche Extrempole eines Kontinuums, sondern als zwei separate Dimen-
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Joachim Zentes, Dirk Morschett und Hanna Schramm-Klein
Kräfte der globalen Koordination/Integration
sionen angesehen. Damit können Umfeldsituationen entsprechend dieser beiden Dimensionen in einer Matrix dargestellt werden (Ghoshal/Nohria 1993, S. 26).1 Von den auf diesen beiden Dimensionen beruhenden Typologien ist diejenige von Bartlett/Ghoshal (1989) (siehe Abb. 1) am weitesten verbreitet.
hoch
Globale Organisation
Transnationale Organisation
niedrig
Internationale Organisation
Multinationale Organisation
niedrig
hoch
Kräfte der nationalen Anpassung/Differenzierung
Abb. 1:
Modell von Bartlett/Ghoshal („I/R-Modell“) (Quelle: i. A. a. Bartlett/Ghoshal 1989, S. 438)
Tatsächlich handelt es sich hierbei jedoch nicht um eine Typologisierung auf der Basis der Branchenkräfte, wie die Darstellung impliziert, sondern es handelt sich – zunächst vereinfacht gesagt – um ein Kontingenzmodell, bei dem aus Branchenkräften auf die strategische Orientierung von MNU geschlossen wird. Zusätzlich wird meist in Bezug auf die strategische Orientierung des MNU vereinfachend so argumentiert, als ob diese automatisch für alle Auslandseinheiten dieses MNU zu einer einheitlichen Strategie (in Bezug auf die beiden erwähnten Dimensionen) führen würde, obwohl sich in der Literatur die Erkenntnis zunehmend durchsetzt, das MNU „differenzierte Netzwerke“ (Nohria/Ghoshal 1997) sind, bei denen die konkreten Umfeldbedingungen einer Auslandseinheit einen wesentlichen Einfluss auf ihre Strategie ausüben und bei denen Heterogenität zwischen den Auslandseinheiten besteht. 1
Die Annahme einer vollständigen Unabhängigkeit wird jedoch von einigen Autoren kritisch kommentiert, so z. B. von Engelhard/Dähn (2002, S. 30), die darauf verweisen, dass Fayerweather (1982, S. 212) bzgl. seines grundlegenden „Unification-Fragmentation-Framework“ Interdependenzen zwischen den Dimensionen ausdrücklich vorsieht.
Das Integration/Responsiveness-Modell
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Aus diesen beiden Überlegungen heraus wird im Folgenden eine detaillierte Betrachtung des I/R-Modells auf 3 Ebenen vorgenommen. Dabei wird klar zwischen der Ebene der Branchenkräfte, der Ebene des MNU und der Ebene der einzelnen Auslandseinheiten differenziert.
2
Literaturüberblick zum I/R-Modell und zu verwandten Modellen
Im I/R-Modell werden MNU bzgl. ihrer „Internationalisierungsstrategien“ bzw. ihrer strategischen internationalen Ausrichtung gruppiert (Harzing 2000, S. 107). Die Darstellung von Bartlett/Ghoshal war – und ist bis heute – sehr einflussreich, insbesondere hinsichtlich der Diskussion der sog. „transnationalen Organisation“. Diese Typologie entstand allerdings auf der Basis von Fallstudien in lediglich neun MNU, verbindet empirisch-deskriptive Ergebnisse mit normativen Aussagen und hat die Charakteristika der verschiedenen Typen nicht systematisch diskutiert (Harzing 2000, S. 102). Wolf (1997, S. 361) geht davon aus, dass sich in der strategischen Orientierung von MNU eine Vielzahl weiterer Faktoren verdichten lassen, sodass er von „Destillat“ spricht. Vor allem, wenn man das Modell im Sinne strategischer Orientierungen von MNU betrachtet, stimmt es in den Grundzügen mit der Konzeption von Perlmutter (1969) überein (Martinez/Jarillo 1989, S. 509). Die strategische Orientierung des Managements des MNU stellt einen eher qualitativ orientierten Aspekt der Internationalisierung dar, einen „Stil“, der in der Literatur auf zwei Dimensionen bezogen wird: einerseits auf die Frage der Vereinheitlichung von Produkten und Prozessen und andererseits auf den bei der Gestaltung von Produkten und Prozessen vorherrschenden Referenzpunkt (Stammland, Gastland oder Weltmarkt) (Wolf 2000, S. 462 ff.), wobei sich die daraus entstandenen Typologien letztlich auf die Archetypen von Perlmutter (1969), d.h. die ethnozentrische Orientierung (Standardisierung mit Stammlandbezug), die polyzentrische Orientierung (Differenzierung mit Gastlandbezug) und die geozentrische Orientierung (mittlere Standardisierung, mittlere Differenzierung, mit Weltmarktbezug) zurückführen lassen.
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Joachim Zentes, Dirk Morschett und Hanna Schramm-Klein
Eine Vielzahl von Studien konstruierte ähnliche Typologien von MNU. In Tab. 1 ist eine Übersicht über ausgewählte dieser Konzepte gegeben, wobei zu beachten ist, dass es sich wegen unterschiedlicher Variablen bzw. Dimensionen und Schwerpunkte der Untersuchungen teilweise nur um grobe Zuordnungen handelt. Trotzdem zeigt diese Übersicht, dass entsprechend ähnliche Grundtypen identifiziert wurden. Letztlich lassen sich diese Typologien alle auf die Dimensi-
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onen „Integration, Koordination, Globalisierungsvorteile“ und „Differenzierung, Responsiveness, Lokalisierungsvorteile“ zurückführen. In einer konkreteren Charakterisierung werden im I/R-Modell – in Anlehnung an Bartlett/Ghoshal (1989) – folgende vier Grundtypen unterschieden (vgl. neben vielen anderen Harzing 2000, S. 107 f.; Welge/Holtbrügge 2006, S. 138 f.; Kutschker 1999, S. 112 f.): •
Bei MNU mit einer „internationalen“ strategischen Orientierung sind die Auslandseinheiten lediglich „verlängerter Arm“ der Muttergesellschaft und Quelle kurzfristiger Profite. Weder passt sich daher das MNU in hohem Maße an die lokalen Gegebenheiten an, noch werden die Auslandseinheiten systematisch in das MNU integriert. Diese Strategieoption kann im Lebenszyklusmodell von Vernon (1966) fundiert werden, da es hier im Kern um eine Ausschöpfung der im Stammland und für das Stammland erzeugten Fähigkeiten bzw. des dort akkumulierten Wissens durch weltweite Diffusionsprozesse neuer Produkte und Prozesse geht (Bartlett/Ghoshal 1989, S. 15; Wolf 2000, S. 472; Bartlett/Ghoshal 2000, S. 106). Diese Strategie kann als ethnozentrisch charakterisiert werden, da sie durch die Wahrnehmung attraktiver Auslandsgeschäfte primär der Sicherung des inländischen Unternehmensbestands dient (Macharzina 1993, S. 80). In diesem Fall wird zugleich eine relativ starke Abhängigkeit der Auslandsgesellschaft von Stammhausressourcen vermutet (Wolf 1997, S. 361).
•
Die „globale“ strategische Orientierung richtet sich auf Kostenvorteile durch die Realisation von Economies of Scale aus. Die wichtigsten Vermögenswerte, Ressourcen und Verantwortlichkeiten sind in der Unternehmenszentrale konzentriert. Diese Unternehmen streben die Schaffung von Leistungen für den Weltmarkt an und die Produktion dieser Leistungen an einem Standort für ein weltweites Nachfragevolumen in hoch effizienten Fabriken. Diese sind oft im Stammland des MNU angesiedelt, was zu Exporten führt (Pla-Barber 2002, S. 145; Kutschker/Schmid 2005, S. 292). Die wesentliche Aufgabe der Auslandseinheit ist es, die Strategie der Muttergesellschaft in ihrem Markt zu implementieren, also eher als Pipeline für Produkte und Strategien zu dienen (Bartlett/Ghoshal 1989). Informations- und Produktflüsse sind tendenziell unidirektional, von der Zentrale zur Auslandseinheit (vgl. auch Perlmutter 1969).
•
Dagegen betont die „multinationale“ strategische Orientierung die Unterschiede zwischen nationalen Märkten. Die Auslandseinheiten sind relativ unabhängig und ihr Management eher gastlandorientiert. Produkte und Dienstleistungen werden differenziert, um unterschiedliche lokale Bedürf-
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Joachim Zentes, Dirk Morschett und Hanna Schramm-Klein nisse zu befriedigen und die Unternehmenspolitik wird differenziert, um unterschiedlichen Regierungs- und Marktanforderungen gerecht zu werden. Organisational kann das multinational orientierte Unternehmen als eher dezentralisierte und nur lose verbundene Föderation charakterisiert werden (Bartlett/Ghoshal 1989; Porter 1986; Pla-Barber 2002, S. 145).
•
Bei einer „transnationalen“ strategischen Orientierung werden die simultane Notwendigkeit der lokalen Anpassung der Unternehmenstätigkeit und der Druck für eine Produktionseffizienz, die auf weltweiten Economies of Scale beruht, anerkannt. Organisational hat das transnationale Unternehmen Eigenschaften der beiden oben genannten Typen. Hinzu kommen jedoch einzigartige Charakteristika. Ressourcen und Verantwortlichkeiten sind über alle Auslandseinheiten verteilt, aber spezialisiert. Damit entsteht eine reziproke Interdependenz zwischen der Unternehmenszentrale und den Auslandseinheiten. Neue Ideen entstehen in vielen verschiedenen Ländern und werden dann weltweit ausgeschöpft. Auslandseinheiten können strategisch bedeutende Rollen ausüben und als Center of Excellence operieren; gleichzeitig wird für die transnationale Unternehmung ein starker Strom von Produkten, Mitarbeitern und Informationen zwischen den Auslandseinheiten erwartet (Bartlett/Ghoshal 1989; Hedlund 1986; Pla-Barber 2002, S. 145).
Leong/Tan (1993) untersuchen empirisch die Typologie von Bartlett/ Ghoshal. Eindeutig identifiziert werden konnten die globale und die multinationale MNU-Strategie, die Abgrenzung der transnationalen und der internationalen Strategie voneinander blieb unklar (Leong/Tan 1993, S. 457). Die sog. „internationale Strategie“ wird von einigen Autoren auch konzeptionell nicht betrachtet, andere können sie nicht empirisch identifizieren (Harzing 2000, S. 103). Auch in Bartletts ursprünglicher Systematik (Bartlett 1986) war dieser Strategietyp nicht enthalten.
3
Modifikation des I/R-Modells: 3-Ebenen-Modell
3.1 Überblick und Grundidee Bislang wurde das I/R-Modell sowohl auf der Ebene von Branchen operationalisiert und angewendet (z. B. Bartlett 1986; Roth et al. 1991; Morrison/ Roth 1993; Birkinshaw/Morrison 1995; vgl. Westney/Zaheer 2001, S. 356), als auch auf der Ebene des MNU (z. B. Macharzina 1993; Wolf 1997, 2000;
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Leong/Tan 1993; Morschett 2006), nach Kenntnis der Verfasser nur ein einziges Mal unmittelbar auf der Ebene von Auslandseinheiten (Jarillo/Martinez 1990). Rolle der AE n io at gr NU te In in M ig ed ni
ch ho
r
niedrig
hoch
Nationale Anpassung
a gr te In
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Strategische Orientierung des MNU ch ho
transnational
global
international
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niedrig
multinational
hoch
Nationale Anpassung
Externes Umfeld n r io de rat g te äf Inte r K n rig ale ed ob ni gl
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niedrig
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hoch
Kräfte der nationalen Anpassung
Abb. 2:
Beziehung zwischen den drei Ebenen des I/R-Modells
Die zahlreichen konzeptionellen und empirischen Studien, die dieses Schema angewendet haben, sind vorne bereits aufgeführt (siehe Tab. 1). Dabei wird in der Literatur zwischen den Ebenen meist nicht explizit unterschieden2 oder es besteht die – meist implizite – Annahme, dass Kongruenz zwischen den Ebenen besteht. Nach Kenntnis der Verfasser wurde dieser Zusammenhang allerdings nie empirisch getestet. Es ist daher für eine empirische Überprüfung angeraten, die Ebenen des I/R-Betrachtung klar voneinander zu trennen (siehe Abb. 2). Mit der Darstellung in Abb. 2 soll auch verdeutlicht werden, dass die Begriffe „international“, „multinational“, „global“ und „transnational“ nach der Konzeption die strategische Orientierung des Unternehmens bezeichnen und eigentlich nur auf dieser Ebene korrekt anzuwenden sind. Zur Vereinfachung der 2
Bei vielen Autoren verschwimmen die Grenzen der Ebenen (Umfeld vs. strategische Orientierung) in den Ausführungen, so wenn beispielsweise Wolf (2000, S. 479) schreibt: „Global orientierte Unternehmen sehen sich einer relativ homogenen Nachfrage und – aufgrund einer hohen Wettbewerbsintensität – überdies ausgeprägten Erfordernissen zur Erzielung von Skaleneffekten gegenüber. Sie sind daher darum bemüht, weltweit identische Produkte anzubieten.“
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Formulierungen wird im Folgenden – wie häufig in der Literatur – auf diese etablierten Begriffe auch für die Beschreibung der Branchenkräfte zurückgegriffen (wobei beispielsweise eine „globale Branche“ eine Branche ist, in welcher die Kräfte zur globalen Integration hoch ausgeprägt sind und zugleich die Kräfte, die in Richtung einer nationalen Anpassung wirken, niedrig ausgeprägt sind)3 und auch zur Beschreibung der konkreten Strategie der fokussierten Auslandseinheit (wobei beispielsweise eine „globale Strategie“ der Auslandseinheit eine Strategie ist, bei der die Interdependenz zwischen Auslandseinheit und MNU hoch ist, während gleichzeitig die lokale Anpassung der Auslandseinheit an ihr lokales Umfeld gering ausgeprägt ist). Die Begriffe werden in Anführungszeichen gesetzt, um zu verdeutlichen, dass streng genommen eine einzelne Auslandseinheit keine „globale“ oder gar „multinationale“ Strategie verfolgt und Branchen auch nicht „transnational“ sein können.
3.2 Branchenkräfte als erste Ebene In der ursprünglichen Konzeption des I/R-Modells bildet es Umfeldtypologien ab. Dies wird beispielsweise bei Ghoshal/Nohria (1993, S. 25) deutlich, die den Bezugsrahmen explizit nutzen, „to classify MNC environments in terms of the twin demands of global integration and national responsiveness“. Diese Kategorisierung ordnet verschiedene Umfeldtypen in Abhängigkeit der entsprechenden Ausprägungen der Dimensionen in das I/R-Schema ein und beschreibt sie auf der gleichen Ebene. Mit den Dimensionen „Forces for Global Integration“ und „Forces for Local Responsiveness“ werden vier Felder beschrieben, die als „Multinational Environment“, „International Environment“, „Global Environment“ und „Transnational Environment“ bezeichnet werden (Ghoshal/ Nohria 1993, S. 27). Das Modell geht davon aus, dass die Branchenkräfte im Wesentlichen durch diese beiden Dimensionen erfasst werden können. Konsequenzen daraus werden aber in der Regel nicht auf der Ebene der Branche, sondern auf der Ebene der Unternehmensstrategie diskutiert. Aus den Branchenkräften werden unmittelbar Strategien der Unternehmen abgeleitet: „the primary use of the ‚I-R grid’ was to map industries, and therefore to indicate what strategy a firm should pursue“ (Westney/Zaheer 2001, S. 356 f.). Dies zeigt ein normatives oder zumindest kon3
In neueren Veröffentlichungen wird klarer zwischen den Eigenschaften der Branche und Strategien der Unternehmen unterschieden, allerdings immer noch ein sehr enger Zusammenhang gesehen. So beschreiben Bartlett/Ghoshal (2000, S. 105), dass in „globalen Branchen“ typischerweise Unternehmen mit „globalen Strategien“ erfolgreicher sind, in „multinationalen Branchen“ solche mit einer „multinationalen Strategie“.
Das Integration/Responsiveness-Modell
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tingenztheoretisches Grundverständnis, worauf aber nur wenige Autoren explizit hinweisen. Ghoshal/Nohria (1993, S. 26) sprechen korrekt von „environmental contingencies“; Engelhard/Dähn (2002) bezeichnen die entsprechenden Modelle als „kontingenzgestützte Matrixansätze“.
Intensity of Globalization Forces
De la Torre et al. (2003, S. 67 ff.) sprechen von einem notwendigen „match“ zwischen den wahrgenommenen Kräften der Globalisierung und den Koordinationsbemühungen (Abb. 3) und belegen einen solchen Zusammenhang auch empirisch. Zudem zeigen sie auf, dass ein solcher „match“ erfolgswirksam ist im Vergleich zu einer Situation der „Überkoordination“ oder „Unterkoordination“.
high
under-structured organization
appropriate organizational response low
over-structured organization low
high
Coordination/Integration Efforts
Abb. 3:
Globalisierungserfordernisse und Koordination (Quelle: De la Torre et al. 2003, S. 67)
In ähnlicher Form zeigt Yip (1991, S. 4 ff.), dass zur Erreichung eines ausgeglichenen globalen und nationalen Vorteils die Globalisierung der Strategie (er nennt zahlreiche Teilaspekte, so Standardisierung von Produkten/Leistungen, Wertschöpfungsstandorte, Marketingansätze, Reaktion auf Konkurrenten) im Einklang mit dem Globalisierungspotenzial der Branche stehen muss.4 4
Nur am Rande sei angemerkt, dass diese Darstellungen (Yip 1991 sowie De la Torre et al. 2003) letztlich auf eine latente Inkonsistenz in den Argumentationslinien hinweisen, die bei vielen Autoren so auftritt. So wird einerseits angenommen, dass die beiden I/R-Dimensionen unabhängig voneinander sind, andererseits wird hier wieder eine einzelne Dimension herausgegriffen und impliziert, dass sie beide Dimensionen gemeinsam abbilden kann. Auch Macharzina (1993, S. 79) zeigt genau dies, wenn er hinsichtlich der „Internationalisierungsstrategien“ ausführt: „Trotz unterschiedlicher Bezeichnungen lassen sich die Typologisierungsversuche
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Joachim Zentes, Dirk Morschett und Hanna Schramm-Klein
Wegen des Außendeterminismus, der in dieser Perspektive deutlich wird, wird das I/R-Modell dem Industrial-Organizations-Ansatz zugeordnet, der aus Branchenkräften unmittelbar – und im Grundverständnis deterministisch – auf bestimmte Unternehmensstrategien schließt (Morrison/Roth 1993, S. 798 f.). Insgesamt dokumentieren alle diese Ansätze zumindest implizit die Annahme einer „Umfeld-Strategie-Struktur“-Kontingenz (Melin 1992, S. 108; Buckley 1996, S. 45). An anderer Stelle betonen aber auch Bartlett/Ghoshal (2000, S. 242): „It is important to recognize that industry characteristics alone do not determine company strategies.” Devinney et al. (2000, S. 679 ff.) zeigen auf, dass es notwendig ist, zu zeigen, inwiefern die Dimensionen exogene Kräfte oder endogene Ergebnisse charakterisieren. Sie diskutieren dieses Problem ausführlich und machen deutlich, dass der relativ deterministische Ansatz von Bartlett/Ghoshal und Prahalad/Doz es schwierig macht, unterschiedliche Positionen von Unternehmen der gleichen Branche, die weitestgehend den gleichen Rahmenbedingungen ausgesetzt sind, zu begründen. Devinney et al. (2000) zeigen in einem differenzierten Modell auf, dass die objektiven Branchen- und Marktgegebenheiten allerdings lediglich ein Teil der Einflussfaktoren auf das durch das Management subjektiv wahrgenommene Bild des Umfeldes und der Ausprägung der beiden Dimensionen der Umfeldbeschreibung sind, die wiederum – zusammen mit den Begrenzungen der für ein Unternehmen überhaupt verfügbaren Optionen – die Wahl einer „strategischen Orientierung“ durch das Management beeinflussen. In der vorliegenden Untersuchung wird daher durchaus ein Zusammenhang zwischen Branchenkräften und strategischer Orientierung des MNU vermutet. Dieser Zusammenhang hat aber nicht deterministischen Charakter, sondern resultiert aus der Tatsache, dass Strategien in konsistenter Weise an der Umwelt auszurichten sind, um strategische Stimmigkeit herzustellen (Scholz 2000, S. 131 f.), sodass ein Einfluss der Branchenkräfte auf den Handlungsspielraum des Managements besteht. auf die Dichotomie ‚globale Standardisierung – lokale Anpassung’ zurückführen“ (Hervorhebung durch die Verfasser). Betrachtet man die in der Literatur zu findenden Brancheneinteilungen nach den beiden Dimensionen, ist ebenfalls festzustellen, dass die Mehrzahl der Branchen in der Nähe der zweiten Diagonalen angeordnet sind, was ebenfalls für eine Abhängigkeit der Dimensionen spricht (vgl. z. B. Rall 1986, S. 160). Mit einer hohen Ausprägung beider Dimensionen wird in der Literatur häufig auf sog. „blockiert globale“ Branchen hingewiesen (Welge/Holtbrügge 2003, S. 78f.), die „bei einer rein ökonomischen Betrachtung eigentlich global wären, die aber z. B. aufgrund von Regierungsauflagen eine starke nationale Anpassung erzwingen“. Regulierte Branchen wie früher die Telekommunikation oder der Bereich der Rüstung werden hier genannt. Bereits der Begriff macht aber deutlich, dass man diese Position auch als „so weit standardisiert wie es die rechtlichen Rahmenbedingungen erlauben“ verstehen könnte, was ebenfalls eher in Richtung einer einzelnen Dimension als auf unabhängige Dimensionen hindeutet.
Das Integration/Responsiveness-Modell
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Dementsprechend wird kontingenztheoretisch entsprechend der oben aufgeführten Argumentationslinien ein solcher Zusammenhang zwischen Branchenkräften und strategischer Orientierung erwartet. Dies bedeutet, dass durchaus zu vermuten ist, dass z. B. in „multinationalen“ Branchen (die durch starke lokale Anpassungskräfte und schwache Globalisierungskräfte gekennzeichnet sind) Unternehmen überdurchschnittlich häufig eine multinationale Orientierung annehmen, in „globalen“ Branchen die MNU überdurchschnittlich häufig eine globale Orientierung annehmen usw.
3.3 Strategische Orientierungen des MNU als zweite Ebene Auf der Ebene der MNU-Strategie werden, wenn diese entsprechend der I/R-Dimensionen kategorisiert wird, sehr unterschiedliche Begriffe verwendet. Autoren sprechen von „Internationalisierungsstrategie“ (Macharzina 1993; Harzing/Sorge 2002), von „internationaler Strategie“ (Randøy/Li 1998, S. 77 f.; Engelhard/Dähn 2002, S. 27 f.), von „idealtypischen Strategiealternativen Multinationaler Unternehmungen“ (Welge/Holtbrügge 2006, S. 138), andere bezeichnen das Unternehmen selbst als „multinational“, „global“ usw. (Kutschker/ Schmid 2005, S. 289 ff.). Die vier Typen stellen ein Bündel zahlreicher Strategieelemente dar (Wolf 1997, S. 361). Im vorliegenden Beitrag wird für das I/R-Modell auf der Ebene des MNU im Folgenden der Begriff „strategische Orientierung“ des MNU verwendet (vgl. z. B. Devinney et al. 2000; Wolf 1997). Für diesen Begriff spricht die Nähe der Überlegungen zur Konzeption von Perlmutter (1969), der von „state of mind“ und „attitudes“ (Perlmutter 1969, S. 11) spricht. Es handelt sich mehr um eine allgemeine Grundeinstellung des Unternehmensmanagements zur Reaktion auf die entsprechenden Branchenkräfte, die „Mentalität“ des Managements spielt eine wichtige Rolle (Bartlett/Ghoshal 1987, S. 52). Devinney et al. (2000, S. 675 ff.) charakterisieren das Konzept der strategischen Orientierung als Vision, Philosophie und Wertesystem des Managements, welche die Präferenz des Managements für eine bestimmte Positionierung des MNU im gegebenen Bezugsrahmen charakterisieren. In Bezug auf das I/R-Modell ist Anpassung an die lokalen Ländermarktbedürfnisse sowohl für multinational orientierte als auch für transnational orientierte Unternehmen eine Kerneigenschaft; in beiden Fällen ist ein hoher Anteil von Produkten, die für den lokalen Markt produziert oder angepasst werden, zu erwarten. Bei globalen Strategien ist es dagegen wichtig, standardisierte Leistungen sehr kosteneffizient zu erstellen und daher werden die Auslandseinheiten
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Joachim Zentes, Dirk Morschett und Hanna Schramm-Klein
nur zu einem kleinen Teil Produktanpassungen an ihren Ländermarkt vornehmen (Harzing 2000, S. 108). Tab. 2 zeigt für die vier strategischen Orientierungen auf, wie die leistungswirtschaftliche und informationelle Interdependenz ausfällt. Tab. 2:
Strategische Orientierung, Interdependenz (Quelle: i. A. a. Macharzina 1993, S. 83, S. 102; Bartlett/Ghoshal 2000, S. 253 ff.; Harzing 2000, S. 113; Kutschker/Schmid 2005, S. 292; Welge/Holtbrügge 2006, S. 138 ff.) multinational
global
transnational
international
nicht relevant
reziprok
sequenziell
gering
sequenziell (tw. reziprok) hoch
hoch
hoch
gering
hoch
gering
hoch
Interdependenzen Liefer- und Leistungsverflechtungen - Art - Intensität Unterstützungs- u. Serviceleistungen (informationelle Interdependenz)
Rolle der Auslandseinheit
Erkennen und Nutzen lokaler Marktchancen
Differenzierte Beiträge der nationalen Umsetzung von Strategien Einheiten zu integrierten der Zentrale weltweiten Aktivitäten
Anwendung und Anpassung von Kompetenzen der Zentrale
Wie vorne bereits erwähnt und kritisch diskutiert, wird in der Literatur meist normativ festgestellt, dass die transnationale Orientierung einen Idealtyp darstellt. Deutlich wird dies z. B. in der Äußerung von De la Torre et al. (2003, S. 61): „a shift from a polycentric to a geocentric system became mandatory“. Aufgrund pauschal angenommener Entwicklungstendenzen, die meist ohne weitere branchenspezifische Differenzierung und sehr häufig auch ohne entsprechende Argumentation eher spekulativ geäußert werden, wird vor allem die transnationale Orientierung als zukünftig Erfolg versprechend dargestellt. Devinney et al. (2000, S. 681) argumentieren, dass die Tatsache, dass verschiedene Untersuchungen zwischen Unternehmen mit den unterschiedlichen Strategien im Sinne des I/R-Frameworks keine signifikanten Unterschiede in der finanziellen Performanz festgestellt haben (so Roth/Morrison 1990; Johnson 1995; Martinez/Jarillo 1991), zeigt, dass das Modell unterspezifiziert ist. Diesem Schluss kann jedoch nicht zugestimmt werden. Gerade wenn die kontingenz-
Das Integration/Responsiveness-Modell
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theoretische Grundausrichtung des Modells betrachtet wird, erscheint es vielmehr sehr plausibel, dass Unternehmen, die ihre Strategie jeweils an den Umfeldbedingungen ausrichten, erfolgreicher sind als diejenigen, die dies nicht tun – ohne dass grundsätzlich Unterschiede zwischen den vier Gruppen zu erwarten wären.
3.4 Strategie der Auslandseinheit als dritte Ebene Die Basisdimensionen der Integration/Responsiveness-Strategie der Auslandseinheit werden einerseits in der lokalen Anpassung gesehen, andererseits in der Leistungsverflechtung der Auslandseinheit mit dem MNU (vgl. hierzu u. a. Harzing/Sorge 2002, S. 197; Ghoshal/Nohria 1993, S. 26 f.; Morrison/Roth 1993, S. 804). Obwohl Bartlett und Ghoshal an vielen Stellen auf die zunehmend differenzierten Rollen von Auslandseinheiten rekurrieren (vgl. z. B. Bartlett 1986; Bartlett/Ghoshal 1989, 1986) und mit dem „differentiated network“ (Nohria/Ghoshal 1997) später von einem der Autoren genau diese Differenzierung in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt wird, unterscheidet das I/RModell kaum zwischen der Ebene des MNU und der Ebene der einzelnen Auslandseinheit (Martinez/Jarillo 1991, S. 433). Gerade vor dem Hintergrund, dass es eine kontingenztheoretische Perspektive des Internationalen Managements ermöglichen soll, überrascht, dass über die Heterogenität, der sich ein einzelnes MNU hinsichtlich seiner diversen Auslandseinheiten ausgesetzt sieht, hinweg gesehen wird. Ist ein MNU insgesamt global orientiert, wird damit automatisch angenommen, dass alle Auslandseinheiten „global“ agieren (bzw. korrekter: dass alle Auslandseinheiten standardisiert auftreten und zentralisiert geführt werden sollten, weil sie unter homogenen Umfeldbedingungen agieren), ist ein MNU insgesamt „multinational“, wird angenommen, dass alle Auslandseinheiten sich deutlich an ihr nationales Umfeld anpassen sollten, und ist ein MNU insgesamt „transnational“ orientiert, wird davon ausgegangen, dass zwischen allen Auslandseinheiten horizontale Austauschbeziehungen bestehen, eine zentrale Steuerung für keine der Auslandseinheiten möglich ist und alle Auslandseinheiten „transnational“ agieren. Gerade bei dieser Strategie – ähnlich aber auch bei den anderen – sollte aber deutlich sein, dass es geradezu charakteristisch für eine transnationale Orientierung ist, dass einzelne Auslandseinheiten straff und zentralisiert geführt werden können und mit relativ standardisierten Leistungen im Gastland auftreten, während andere sich in hohem Maße an das Gastland anpassen müssen, dazu
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flexibel agieren können müssen und daher entsprechende Autonomie eingeräumt bekommen. Es erscheint offensichtlich, dass sich unabhängig von der grundsätzlichen strategischen Orientierung des Unternehmens bspw. die Anpassungsnotwendigkeit für ein deutsches MNU anders darstellen könnte, wenn es nach Österreich internationalisiert als wenn es – bei gleicher Branche – nach China internationalisiert. In Bezug auf die Heterogenität beschreiben Ghoshal et al. (1995, S. 748) die Unterschiede zwischen Auslandseinheiten von ABB: „In some cases, the units have been in continuous operation for over 50 years; a few began their organizational lives less than 2 years ago. Some of these units are relatively tightly controlled from the headquarters; others enjoy a relationship with the headquarters more akin to that among equal partners“. Das I/R-Modell fokussiert dagegen vollständig auf die Branchenkräfte und vernachlässigt dabei andere Einflussfaktoren, u.a. die externen Kontextfaktoren, die durch ein spezifisches Gastland gegeben sind. Somit können auch innerhalb eines MNU mit einer bestimmten strategischen Orientierung Auslandseinheiten mit sehr unterschiedlichen Ausprägungen auf den beiden Dimensionen der Typologie bestehen: „the fact that a multinational corporation (MNC) may be following a ‘global strategy’ tells us very little about the strategy of a particular subsidiary of that firm” (Jarillo/Martinez 1990, S. 501). Innerhalb jedes Typs der strategischen Orientierung sind möglicherweise Auslandseinheiten vorzufinden, die von der „Grundstrategie“ abweichen (Birkinshaw/Morrison 1995, S. 731). Somit ist zwar eine Betrachtung auf der MNU-Ebene nicht ausreichend, um die Strategie auf der Ebene der Auslandseinheit einschätzen zu können (Hoffman 1994, S. 69). Allerdings wird deutlich, dass die Strategien auf der Ebene einzelner Geschäftsfelder (oder Organisationseinheiten) von der Strategie auf Unternehmensebene beeinflusst bzw. geleitet werden (Vancil 1976; Hoffman 1994, S. 74). Letztlich handelt es sich also auch bei der Beziehung zwischen diesen beiden Ebenen um eine Kontingenzbeziehung (Morrison/Roth 1993, S. 799), hier allerdings eher im Sinne eines Intra-System-Fits. Damit kann vermutet werden, dass die grundsätzliche strategische Orientierung des MNU die Ausgestaltung der Strategie der Auslandseinheit durchaus erheblich beeinflusst. So haben multinationale MNU einen relativ hohen Anteil autonomer Auslandseinheiten, die sich an die jeweiligen Ländergegebenheiten anpassen, globale Unternehmen viele „global“ agierende Auslandseinheiten. „Transnational“ handelnde Auslandseinheiten („active subsidiaries“ nach Jarillo/Martinez 1990) sind bei transnationalen MNU am häufigsten zu finden (Harzing 2000, S. 107; Macharzina 1993, S. 81). In einer empirischen Untersuchung von Jarillo/Martinez (1990, S. 503) wurde dieser Zusammenhang auch
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209
empirisch bestätigt. Versteht man die Strategie der Auslandseinheit als Substrategie der Unternehmensstrategie, ist zumindest zu vermuten, dass in der Mehrzahl der Auslandseinheiten die grundsätzliche Strategie der Unternehmenszentrale auch auf die Ebene der Auslandseinheit übertragen wird.
4
Empirische Überprüfung der Konsistenz eines 3-Ebenen-Modells
4.1 Stichprobe und Vorgehensweise Das I/R-Modell soll hier – nach Kenntnis der Verfasser erstmalig – einer ausführlichen empirischen Überprüfung unterzogen werden, bei der die drei Konzeptionsebenen, die in der Literatur meist nicht explizit unterschieden werden, systematisch betrachtet werden. Das Untersuchungsdesign soll an dieser Stelle nicht ausführlich besprochen werden. Als Stichprobe konnten 408 Unternehmen in die Untersuchung einbezogen werden. Dabei handelte es sich fast durchgehend um Unternehmenszentralen von deutschen Unternehmen, etwa je zur Hälfte Dienstleistungs- und Industrieunternehmen. Jedes Unternehmen füllte den Fragebogen in Bezug auf eine spezifische Auslandseinheit in einem spezifischen ausländischen Markt aus. Zeitraum der Befragung war Februar 2005 bis Mai 2005. In den Untersuchungsschritten wurden für die Ebenen der Branche und der Auslandseinheit jeweils in einem ersten Schritt separate Cluster-Lösungen identifiziert, die z. B. Auslandseinheiten mit einem ähnlichen Umfeld bzw. einer ähnlichen I/R-Strategie zusammenfassen. Für die Ebene des MNU wurde durch eine in der Literatur bereits mehrfach verwendete Skala eine Zuordnung der MNU zu den strategischen Orientierungen vorgenommen.
4.2 Ebene des Branchenumfelds: I/R-Kräfte in der jeweiligen Branche Die Analyse der I/R-Kräfte ist Ausgangspunkt der Betrachtung und wurde daher sehr ausführlich vorgenommen. Für die Ableitung einer geeigneten Cluster-Lösung wurde zunächst die Entwicklung der Fehlerquadratsummen mithilfe einer hierarchischen Cluster-Analyse und des Ward-Verfahrens mit euklidischen Distanzen betrachtet. Das Elbow-Kriterium legt dabei eine 3-Cluster-
210
Joachim Zentes, Dirk Morschett und Hanna Schramm-Klein
Lösung nahe. Dies spiegelt zugleich ein Ergebnis wider, das auch in anderen empirischen Untersuchungen aufgetreten ist (siehe Abschnitt 2).5 Da das I/R-Modell allerdings meist als 4-Felder-Matrix verwendet wird, wurden zunächst die 3- und die 4-Cluster-Lösung ausführlicher hinsichtlich ihrer Eignung verglichen. Dazu wurden mit dem Two-Step-Verfahren, der hierarchischen Cluster-Analyse (mit Ward-Verfahren) und der K-Means-Analyse drei verschiedene Cluster-Verfahren eingesetzt, und jeweils eine 3- und eine 4-Cluster-Lösung abgeleitet. Als Gütemaße wurden ein Mittelwertvergleich zwischen den Cluster-Mittelwerten für die Lokalisierungskräfte und die Globalisierungskräfte, ein Mehrfachpaarvergleich sowie eine Diskriminanzanalyse durchgeführt, bei der die Cluster-Zugehörigkeit als abhängige, die Lokalisierungs- und Globalisierungskräfte als unabhängige Größen herangezogen wurden. Der Anteil der korrekten Klassifikationen der Diskriminanzanalyse wurde als weiteres Gütemaß der Cluster-Lösung verwendet. Innerhalb jedes Verfahrens zeigen sich Vorteile der 3-Cluster-Lösung; bei der Two-Step-Methode wird sie als optimale Lösung vorgeschlagen. Aufgrund einer geringeren Anzahl korrekter Zuordnungen wird im Folgenden auf die Anwendung der hierarchischen Methode verzichtet, und auf das iterative K-MeansVerfahren sowie das neuere Two-Step-Verfahren, dem gegenüber den beiden anderen Verfahren eine Reihe von Vorteilen zugeschrieben werden, zurückgegriffen. Eine Gegenüberstellung der Ergebnisse dieser beiden Verfahren zeigt fast vollständige Deckungsgleichheit (lediglich 5 von 349 Fällen wurden nicht dem gleichen Cluster zugeordnet), was als Validierung der 3-Cluster-Lösung angesehen werden kann. In einem sehr konservativen Ansatz werden im Folgenden lediglich die Fälle weiter betrachtet, bei denen übereinstimmende Klassifizierungen vorliegen, d. h., die fünf Fälle, die uneinheitlich eingestuft wurden, werden aus der weiteren Betrachtung ausgeschlossen. In Tab. 3 sind die drei Gruppen, denen die verbleibenden 344 Auslandseinheiten zugeordnet sind, hinsichtlich der I/R-Variablen und der zugrunde liegenden Indikatoren beschrieben.
5
Auch die Basiskonzeption von Bartlett (1986) ist lediglich auf drei Cluster ausgelegt gewesen und wenn man die Beschreibung des vierten Typs („internationale Branche“) in Lehrbüchern betrachtet, belegt dies häufig die Schwierigkeit einer adäquaten Charakterisierung. Die Tatsache, dass empirische Untersuchungen wiederholt lediglich drei Cluster identifizieren, konzeptionelle Beiträge aber vier Gruppen charakterisieren, kann auf die simplifizierende Logik der 4-Felder-Matrix zurückzuführen sein, die dazu verleitet, logisch vollständig alle Kombinationsmöglichkeiten zu diskutieren, unabhängig von ihrer empirischen Relevanz.
Das Integration/Responsiveness-Modell
211
Hier wird deutlich, dass es relativ eindeutig gelingt, die polaren Situationen „multinationale Branche“ und „globale Branche“ zu identifizieren. „Transnationale Branchen“ werden weniger klar identifiziert, da sie in den meisten Fällen keine Extremausprägung aufweisen, sondern sich bzgl. der Lokalisierungskräfte bzw. bzgl. der Globalisierungskräfte zwischen den beiden anderen Clustern befinden. Wie in der Konzeption erwartet, sind die Lokalisierungskräfte in den „transnationalen Branchen“ deutlich höher als in den „globalen Branchen“. Sie liegen allerdings leicht unterhalb der „multinationalen Branchen“, mit denen sie idealtypisch auf einer Ebene sein sollten. Hinsichtlich der Globalisierungskräfte liegen sie deutlich höher als die „multinationalen Branchen“, allerdings etwas niedriger als „globale Branchen“, mit denen sie idealtypisch auf einer Ebene liegen sollten. Dies spiegelte sich auch in den Diskriminanzanalysen wider, wo die meisten Fehlklassifikationen in Bezug auf „transnationale Umfeldbedingungen“
212
Joachim Zentes, Dirk Morschett und Hanna Schramm-Klein
vorkamen, während „globale“ und „multinationale“ Branchen klar voneinander getrennt wurden.6
4.3 Ebene des Gesamtunternehmens: Strategische Orientierung des MNU Für die Klassifizierung der MNU nach ihrer strategischen Orientierung wurde eine Eigenzuordnung der Unternehmen verwendet, bei der die Unternehmen auf Basis einer von Harzing (2000) entwickelten Skala ihre Orientierung einstuften. In Tab. 4 zeigt sich die Verteilung der einzelnen Orientierungen. Dabei wurde u. a. überprüft, ob sich Differenzen zwischen Dienstleistungsunternehmen und Herstellerunternehmen ergeben. Eine Kreuztabellierung der Sektoren und der strategischen Orientierungen zeigte keine signifikanten Zusammenhänge; der χ2-Wert von 3,967 ist nicht signifikant (p=0,265). Damit lässt sich zunächst konstatieren, dass das Konzept der strategischen Orientierungen für Dienstleistungsunternehmen ebenso wie für Hersteller anwendbar ist. Tab. 4:
Strategische Orientierungen des MNU – Anzahl der Auslandseinheiten und Anteile international
multinational
global
transnational
gesamt
Anzahl
116
100
49
52
317
Anteile
36,1%
33,0%
15,8%
15,1%
100,0%
Während der niedrige Anteil global orientierter Unternehmen in der vorliegenden Untersuchung der intensiv geführten Diskussion der Globalisierung der Wirtschaft, die sowohl volkswirtschaftlich als auch unternehmensstrategisch verankert ist, widerspricht, bestätigt der Befund die im Wesentlichen von Rugman (Rugman 2000, 2003; Rugman/D'Cruz 2000; Rugman/Verbeke 2004) in den letzten Jahren propagierte Meinung, dass zahlreiche Hinweise heute wieder in Richtung einer zunehmenden Regionalität bzw. Multinationalität – als Gegentrends zur Globalisierung – deuten. Die empirische Untersuchung von Andersson/Forsgren (1994, S. 10), nach der 63 % der Auslandseinheiten hinsichtlich des Prozessentwicklungswissens als „local innovators“ einzuordnen sind, eine Rolle, die mit einer multinationalen strategischen Orientierung im 6
Nur am Rande sei angemerkt, dass dieses Ergebnis, das auch früher in einzelnen Untersuchungen bzgl. des I/R-Schemas aufgetreten ist, die Unabhängigkeit der beiden Dimensionen in Frage stellt. Dies wurde bereits in der Darstellung des Konzeptes im ersten Abschnitt angesprochen und zeigt sich auch in der vorliegenden Untersuchung an einer signifikant negativen Korrelation zwischen den beiden Dimensionen.
Das Integration/Responsiveness-Modell
213
Zusammenhang steht, und lediglich 19 % als „implementors“, der Rolle, die als charakteristisch für eine globale Orientierung angesehen wird, deutet in die gleiche Richtung. Zur Prüfung der Konsistenz der Eigenzuordnung der MNU wurden verschiedene Kontrollfragen in Anlehnung an ein in der Literatur bereits getestetes Verfahren zur Validierung herangezogen (Leong/Tan 1993; Harzing 2000). Kontrollfragen zielten jeweils schwerpunktmäßig auf eine der strategischen Orientierungen. Die Ergebnisse zeigen dabei u. a.: •
MNU, die als global orientiert eingestuft wurden, weisen zugleich die stärkste Ausprägung hinsichtlich der Konzentration der Ressourcen im Stammland auf, die dann weltweit eingesetzt werden.
•
Bei MNU, die als transnational orientiert eingeordnet wurden, agieren die Auslandseinheiten am stärksten als „strategische Zentren“ für Produkte und Prozesse und übernehmen damit die Rolle eines Center of Excellence.
•
MNU, die als multinational orientiert eingestuft sind, charakterisieren sich selbst am stärksten als lose verbundene und dezentrale Förderation.
Bzgl. aller drei Validierungsfragen ergeben sich gesamthaft signifikante Mittelwertunterschiede; auch der jeweils vorgenommene Mehrfachpaarvergleich entspricht weitestgehend den postulierten Erwartungen. Damit scheinen die vorgenommenen Eigenzuordnungen der MNU nach ihrer strategischen Orientierung insgesamt valide zu sein.
Branchenkräfte und Strategische Orientierung In der Literatur wird häufig eine implizite Gleichsetzung von Branchenkräften und strategischer Orientierung des MNU im Sinne einer deterministischen Beziehung vorgenommen. Zur Überprüfung dieser Annahme wurde in Tab. 5 eine Kontingenzanalyse beider Ebenen durchgeführt. Allerdings wurde bereits betont, dass auf der Branchenebene lediglich drei statt der vier Typen von Branchenkräfte-Konstellationen identifiziert werden konnten, sodass bereits aus diesem Grund eine jeweils eindeutige Zuordnung zwischen beiden Ebenen nicht möglich ist.
214 Tab. 5:
Joachim Zentes, Dirk Morschett und Hanna Schramm-Klein I/R-Branchenkräfte und strategische Orientierung des MNU Cluster der Branchenkräfte
Prozent von Zeile Prozent von Spalte
I
II
III
„multinational“ (n=104)
„global“ (n=81)
„transnational“ (n=94)
internationale Orientierung (n=96)
34,4%
multinationale Orientierung (n=91)
53,8%
globale Orientierung (n=46)
17,4%
transnationale Orientierung (n=46)
30,4%
Summe
37,3%
35,4% 31,7%
30,2% 42,0%
25,3% 47,1%**
28,4%
7,7%*
100,0%
20,2%*
24,7%*
32,6% 100,0%
19,7% 60,9%
4,9%** 29,0%
34,4% 100,0%
39,1%
8,7% 13,5%
100,0% 30,9%
20,9%
43,5%
Summe
16,5% 100,0%
29,8%*** 33,7%
100,0%
16,5% 100,0%
100,0%
100,0%
χ2=39,295; df=6; p=0,000
Ein χ2-Wert von 39,295 (p=0,000) belegt, dass zwischen beiden Variablen (d. h. den beiden Ebenen des I/R-Modells) ein höchst signifikanter Zusammenhang besteht. Tatsächlich sind in den jeweils entsprechenden Feldern („multinational“/multinational, „global“/global und „transnational“/transnational) signifikant höhere Zellenbesetzungen festzustellen als bei einer Zufallsverteilung zu erwarten wären. Auch andere Werte in der Tabelle belegen einen Zusammenhang, so die Tatsache, dass in einer multinationalen Branche globale Strategien signifikant unterdurchschnittlich häufig eingesetzt werden und umgekehrt in globalen Branchen multinationale Strategien leicht unterdurchschnittlich häufig. Die internationale Orientierung, zu der es keine Entsprechung auf der Ebene der Branchenkräfte gibt, ist relativ gleichmäßig in den drei Branchenclustern enthalten. Es zeigt sich insgesamt, dass die Branchenkräfte zwar einen eindeutigen Einfluss ausüben, dass aber das MNU weiterhin einen strategischen Handlungsspielraum für die Wahl einer Strategie bzw. einer strategischen Orientierung hat. Dies gilt insbesondere für die „transnationale Branchensituation“, denn hier liegen hohe Lokalisierungskräfte vor (die damit eine multinationale Strategie nicht vollständig ungeeignet scheinen lassen) und hohe Globalisierungskräfte (die damit eine globale Strategie nicht vollständig ungeeignet scheinen lassen). „Auf der Basis dieser Ergebnisse kann eine Kontingenzbeziehung zwischen Branchenumfeld und jeweiliger strategischer Orientierung des MNU belegt werden. Nach Kenntnis der Verfasser wird damit die entsprechende Kontingenz-
Das Integration/Responsiveness-Modell
215
hypothese, die dem I/R-Modell von Bartlett/Ghoshal (1989) implizit zugrunde liegt, erstmals auch in einer empirischen Untersuchung im Wesentlichen unterstützt. Die Überprüfung ist allerdings unvollständig, da der Einfluss einer „internationalen Branchenkräftekonstellation“, d. h. schwacher lokaler Anpassungskräfte und gleichzeitig schwacher Gobalisierungskräfte, nicht geprüft werden konnte, da ein entsprechendes Umfeldcluster in der Untersuchung nicht auftrat.
4.4 Ebene der Auslandseinheit: I/R-Strategie im Gastland Auf der Ebene der Auslandseinheit selbst stellt sich wiederum die Frage, wie stark die Auslandseinheit ihre Aktivitäten an das Gastland anpasst, wie stark also „Lokalisierung“ betrieben wird und in welchem Maße die Auslandseinheit in das Unternehmensnetzwerk des MNU integriert ist. Die Erklärungen der „Integration“ („global integration“) variieren in der Literatur. Die globale Integration wird meist anhand der Liefer- und Leistungsverflechtungen der Auslandseinheit mit den anderen Organisationseinheiten des MNU erfasst, was den postulierten Vorteilen, nämlich u. a. einer Kostenreduktion durch Economies of Scale, am besten entspricht (vgl. hierzu Ghoshal/Nohria 1993, S. 26 f.; Morrison/Roth 1993, S. 804). Daher wird die I/R-Strategie der Auslandseinheit hier auf der Basis der Dimensionen „Lokale Anpassung“ und „Leistungsströme“ (gesamthafte Leistungsströme zwischen der Auslandseinheit und dem MNU) abgeleitet. Bei einer nicht-hierarchischen Cluster-Analyse (K-Means) mit der Voreinstellung einer 4-Cluster-Lösung, die zunächst versucht wurde, um die idealtypische 4-FelderMatrix zu replizieren, erhält man ein viertes Cluster, in dem lediglich eine einzelne Auslandseinheit ist. Damit scheint eine 3-Cluster-Lösung, auch auf der Basis des Elbow-Kriteriums (unter Anwendung des Ward-Verfahren mit euklidischer Distanz), sinnvoller. Diese wird bei Anwendung des Two-StepVerfahren auch von SPSS als optimal bewertet. Eine Berechnung mit dem K-Means-Verfahren zeigt eine mit der Two-Step-Analyse sehr gut übereinstimmende Lösung, sodass – wie auch bei den anderen Analysen – auf die ClusterLösung des Two-Step-Verfahrens zurückgegriffen wird.
216
Joachim Zentes, Dirk Morschett und Hanna Schramm-Klein
Es zeigt sich eine klare Cluster-Lösung mit drei Clustern (siehe Tab. 6), die als „multinational“, als „international“ und als „transnational“ charakterisiert werden können. Eine klar „globale“ Lösung findet sich nicht, was nicht nur bei der Cluster-Analyse, sondern auch bei einer zusätzlichen Betrachtung einer grafischen Darstellung der Auslandseinheiten in einem Streudiagramm deutlich wurde. Dies kann evtl. darauf zurückgeführt werden, dass eine streng globale Strategie, die ohne lokale Anpassung vor Ort realisiert wird, heute von den Kunden in den jeweiligen Ländern bei stetig steigenden Ansprüchen nicht mehr akzeptiert wird.
Strategische Orientierung des MNU und Strategie der Auslandseinheit Um den Zusammenhang zwischen den verschiedenen konzeptionellen Ebenen zu untersuchen, ist zunächst in Tab. 7 wieder eine Kreuztabellierung dargestellt.
Das Integration/Responsiveness-Modell Tab. 7:
217
Strategische Orientierung des MNU und I/R-Strategie der Auslandseinheit Strategische Orientierung des MNU I
II
III
III
internationale Orientierung (n=67)
multinationale Orientierung (n=76)
globale Orientierung (n=30)
transnationale Orientierung (n=35)
„multinationale“ Strategie der AE (n=144)
32,6%
41,7% *
„internationale“ Strategie der AE (n=40)
42,5%
„transnationale“ Strategie der AE (n=24)
12,5% *
Summe
32,2%
% von Zeile % von Spalte
70,1%
14,6% 78,9%
25,0% 25,4%
70,0% 17,5%
4,5%
17,1%
6,7% 14,4 % 100,0%
69,2% 100,0%
54,2% ***
7,9%
100,0%
45,7%
23,3% 8,3%
36,5%
100,0%
15,0%
13,2% 25,0%
100,0%
11,1% *
Summe
19,2% 100,0%
37,1% 16,8%
11,5% 100,0%
100,0%
100,0%
χ2=31,229; df=6; p=0,000
Es zeigt sich gesamthaft mit einem χ2 von 31,229 (p=0,000) ein höchstsignifikanter Zusammenhang zwischen der strategischen Orientierung des MNU und dem strategischen Verhalten der Auslandseinheit: •
Bei einer multinationalen strategischen Orientierung des MNU wenden die Auslandseinheiten am häufigsten auch eine multinationale Strategie an, d.h., sie sind (relativ) gering in die Leistungsströme des MNU integriert und passen sich in hohem Maße an das Gastlandumfeld an. Dieser Wert liegt signifikant über dem Wert der Zelle, der bei einer zufälligen Verteilung zu erwarten wäre.
•
Bei einer globalen strategischen Orientierung des MNU wird ebenfalls häufig ein multinationales strategisches Verhalten der Auslandseinheit beobachtet (diese AE-Strategie ist mit 69,2% die insgesamt mit Abstand am häufigsten eingesetzte), ein Ergebnis, was zunächst verwundert. Eventuell wird hier doch implizit der „transnationalen Idee“ gefolgt, wobei eine grundsätzlich globale Orientierung des MNU mit dem notwendigen Maß nationaler Anpassung verbunden wird.
•
Bei MNU mit einer transnationalen strategischen Orientierung wird überzufällig häufig eine „transnationale“ Strategie der Auslandseinheit eingesetzt. Auch ein „multinationales“ Verhalten findet sich bei dieser strategischen Orientierung signifikant unterdurchschnittlich häufig.
218 •
Joachim Zentes, Dirk Morschett und Hanna Schramm-Klein Bei Auslandseinheiten eines MNU mit einer internationalen Orientierung kann überdurchschnittlich häufig auch ein „internationales“ Verhalten beobachtet werden. Allerdings ist dieser Zusammenhang nicht signifikant.
Auf der Ebene der Auslandseinheit kann zudem festgehalten werden, dass eine „multinationale“ Strategie, mit einer relativ starken Anpassung an das lokale Umfeld, dominant ist (fast 70% der Auslandseinheiten). Zugleich zeigt sich, dass ein „transnationales Verhalten“ eher selten umgesetzt wird (11,5%).7
5
Zusammenfassung
Im Vergleich zur theoretisch postulierten Einheit der drei Ebenen zeigt sich also als Fazit dieser Betrachtung, dass der Zusammenhang empirisch weitaus schwächer ausgeprägt ist. Es wurde gezeigt, dass ein bestimmtes Branchenumfeld nicht deterministisch zu einer bestimmten strategischen Orientierung führt, sondern mit sehr unterschiedlichen strategischen Orientierungen des MNU einhergehen kann, die wiederum zu sehr unterschiedlichen I/R-Strategien der Auslandseinheiten führen können. Diese Perspektive stellt dar, wie sich Unternehmen in bestimmten Situationen verhalten und entspricht den „Prozent von Spalte“-Angaben aus Tab. 5 und Tab. 7. Es zeigt sich, dass der Zusammenhang weit weniger eng ist als meist (implizit) vermutet, was in theoretisch-konzeptionellen Arbeiten bislang an einigen wenigen Stellen angedeutet wurde (Morrison/Roth 1993, S. 798 f., Devinney et al. 2000; Birkinshaw/Morrison 1995, S. 731). Zugleich scheint dies plausibel. Dass die strategische Orientierung relativ locker mit dem externen Umfeld zusammenhängt, kann man mit den strategischen Wahlmöglichkeiten („strategic choice“; Child 1972, S. 15 ff.) erklären. In diesem Zusammenhang kann auch darauf hingewiesen werden, dass Perlmutter, auf den die Überlegungen zu strategischen Orientierungen des Managements 7
Hier wurde auch überprüft, ob die Interaktion von strategischer Orientierung und AE-Strategie einen Einfluss auf den ökonomischen Erfolg hat und es wurde kein signifikanter Interaktionseffekt festgestellt. Dies war allerdings auch nicht zu erwarten. Im Gegensatz zur Kontingenzperspektive bei der Betrachtung des externen Kontexts, bei der man vermuten könnte, dass MNU sich an ein entsprechendes Branchenumfeld anpassen müssen, liegt bei der Interaktion von strategischer Orientierung und Strategie der einzelnen Auslandseinheit eine rein unternehmensinterne Betrachtung vor. Es ist hier zu vermuten, dass eine Abweichung einer Auslandseinheit von der „grundsätzlichen strategischen Orientierung“ mehr oder weniger bewusst zugelassen wird, gerade um den Erfolg dieser Auslandseinheit zu erhöhen.
Das Integration/Responsiveness-Modell
219
letztlich zurückgehen (Perlmutter 1969), in seinen Überlegungen eine situative Abhängigkeit, also die Ausrichtung an Branchenkräften, überhaupt nicht thematisiert. Zugleich gibt die strategische Grundorientierung des MNU nur lose vor, welche Rollen an Auslandseinheiten vergeben werden. So weisen einige Autoren (vgl. z. B. Jarillo/Martinez 1990, S. 501; Harzing 2000, S. 107) ausdrücklich darauf hin, dass auch bei einer einheitlichen strategischen Orientierung des MNU die Auslandseinheiten heterogene Rollen einnehmen. Diese konzeptionelle Überlegung spiegelt sich auch in den empirischen Daten wider. Externes Umfeld
Strategische Orientierung des MNU
„internationales“ Umfeld schwache Lokal.kräfte schwache Global.kräfte
international schwache Lokalisierung schwache Integration
Strategie/Rolle der Auslandseinheit 43%
35%
33%
„internationale“ Strategie schwache Lokalisierung schwache Integration
25% 17%
30%
35%
„multinationales“ Umfeld starke Lokal.kräfte schwache Global.kräfte
54% 25%
15%
multinational starke Lokalisierung schwache Integration
42%
21%
15%
„multinationale“ Strategie starke Lokalisierung schwache Integration
11%
17%
„globales“ Umfeld schwache Lokal.kräfte starke Global.kräfte
global schwache Lokalisierung starke Integration
44%
13%
„globale“ Strategie schwache Lokalisierung starke Integration
25%
39% 30%
„transnationales“ Umfeld starke Lokal.kräfte starke Global.kräfte
9%
61%
Abb. 4:
8%
transnational starke Lokalisierung starke Integration
„transnationale“ Strategie starke Lokalisierung starke Integration
54%
Zusammenhang der 3 Ebenen des I/R-Modells – Von der Strategie der Auslandseinheit zum Kontext der Branche
Um noch einmal deutlich zu machen, dass aber durchaus ein signifikanter Zusammenhang zwischen den drei Ebenen besteht, wird eine umgekehrte Perspektive gewählt. In der abschließenden Abb. 4 wird gezeigt, unter welchen Umständen eine bestimmte Strategie der Auslandseinheit und des MNU insgesamt eingesetzt werden. Sie illustriert also die „Prozent von Zeile“-Angaben aus Tab. 5 und Tab. 7, indem die Strategie selbst (und auf der nächsten Stufe die strategische Orientierung des MNU) als Gesamtsumme (=100,0%) gesetzt wird. Hier kann man deutlich erkennen, dass z. B. die multinationale AE-Strategie in den meisten Fällen auf einer multinationalen strategischen Orientierung des MNU beruht, die internationale Strategie in den meisten Fällen auf einer internationalen strategischen Orientierung, die transnationale Strategie
220
Joachim Zentes, Dirk Morschett und Hanna Schramm-Klein
in den meisten Fällen auf einer transnationalen strategischen Orientierung usw. Damit kann eine kontingenztheoretische Perspektive des 3-Ebenen-Modells ebenso bestätigt werden wie der Verbleib der strategischen Wahlmöglichkeiten eines MNU trotz einheitlicher Branchenkräfte und – nicht zuletzt – die hohe Bedeutung von „differenzierten Netzwerken“ (Nohria/Ghoshal 1997) für heutige MNU in Industrie- und Dienstleistungsbranchen.
Das Integration/Responsiveness-Modell
221
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Mitunternehmerkonzept nach dem Spindler-Plan ...........................228
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Mitunternehmerkonzepte und Partnerschaft....................................230
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Bedarf an unternehmerischem Mitarbeiterverhalten .......................231
5
Konzepte für die Transformation ....................................................232
Literaturverzeichnis.................................................................................236
Mitarbeiter als Mitunternehmer – eine personalpolitische Strategie
1
227
Mitunternehmerbegriff
Im Gesellschafts- und Steuerrecht bezeichnet man die Mitglieder einer Unternehmergemeinschaft als Mitunternehmer. Natürliche Personen können eine Unternehmer- oder Mitunternehmergemeinschaft bilden, die manche Juristen als „Urzelle der Handelsgesellschaften“ betrachten (vgl. Wiedemann 1980, S. 115). Solche Mitunternehmerschaften können sich in ihrer Rechtsform der BGBGesellschaft, der OHG/KG, der GmbH oder der GmbH & Co. KG bedienen. Sie bestehen aus einer überschaubaren Anzahl von Gesellschaftern, die alle Geldoder Sacheinlagen erbringen; jeder Teilhaber übernimmt in der gemeinsamen Geschäftsführung eine verantwortliche Aufgabe. Das Steuerrecht betrachtet die einzelnen Mitunternehmer je für sich als Gewerbetreibende, die am Gewinn und an den Vermögenswerten des gemeinsam betriebenen Unternehmens beteiligt sind. Die Einkommensteuer behandelt die Mitunternehmer wie Inhaber von Einzelbetrieben; alle Bezüge aus der Gesellschaft, wie etwa Vergütungen, Zinsen aus Gesellschafterdarlehen, Miet- und Pachteinnahmen für die Überlassung von Wirtschaftsgütern etc. hat der einzelne Mitunternehmer als seine persönlichen Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb zu versteuern. Diese gesetzliche Steuerpflicht macht es Personengesellschaften in aller Regel unmöglich, Arbeitnehmer in größerer Zahl als Mitunternehmer im steuerrechtlichen Sinne zu beteiligen (vgl. Gaugler/Kuchinka 1972, S. 36 ff.). Eine personenbezogene individuelle Beteiligung der Mitarbeiter am Kapital des arbeitgebenden Unternehmens kann aus diesen steuerrechtlichen Gründen bei Einzelfirmen und bei Personengesellschaften nur in Formen einer stillen Gesellschaft oder mithilfe von Mitarbeiterdarlehen erfolgen (vgl. Schanz 1985, S. 88 ff.). Diese Restriktionen aus dem Gesellschafts- und Steuerrecht sind zu beachten, wenn ein Unternehmen die personalpolitische Strategie verfolgt, in größerem Umfang seine Führungskräfte und Mitarbeiter in betriebswirtschaftlich sinnvoller Weise Mitunternehmer werden zu lassen. Die steuerrechtlichen Normen verwehren dabei für die Kapitalbeteiligung der Mitarbeiter jene Rechtsformen, die zu einer steuerlich relevanten Mitunternehmerschaft führen. Andererseits greift das personalpolitische Konzept „Mitarbeiter als Mitunternehmer“ weit über die steuerrechtlichen Limitationen hinaus. Firmenbeispiele aus der Beteiligungspraxis der Mitarbeiter seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs belegen, dass auch Formen der Kapitalbeteiligung der Mitarbeiter bei Einzelfirmen und Personengesellschaften jenseits der steuerrechtlichen Einschränkungen möglich sind (vgl. u. a. Schneider/Fritz/Zander 2007, S. 145 ff.); insbesondere machen diese Praxisbeispiele deutlich, dass die personalpolitische Strategie, Mitarbeiter für ein mitunternehmerisches Verhalten im betrieblichen Leistungs-
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Eduard Gaugler
geschehen zu gewinnen, zwar deren Partizipation am Unternehmenskapital einschließen kann; diese Firmenbeispiele weisen aber auch auf eine Vielzahl weiterer Komponenten hin. Ein frühes und weit ausgreifendes Konzept für die Strategie „Mitarbeiter als Mitunternehmer“ stammt vom Textilunternehmen Spindler in Hilden/Rheinland.
2
Mitunternehmerkonzept nach dem Spindler-Plan
Zum 1. Januar 1951 hatte die Geschäftsleitung der Firma Paul-SpindlerWerke KG allen Mitarbeitern mit einer Betriebszugehörigkeit von mindestens einem Jahr angeboten, einen individuellen Mitunternehmer-Vertrag abzuschließen (vgl. Spindler 1951, 1954, 1957, 1964 und 1970). Mit nur wenigen Ausnahmen haben die 1878 Berechtigten dieses Angebot angenommen; sie wurden durch die einzelvertraglichen Vereinbarungen zu Mitunternehmern ihres arbeitgebenden Unternehmens. In der Präambel dieser Vereinbarungen hieß es: „In Anerkennung des Grundsatzes, dass alle in einem Unternehmen Schaffenden an der Gestaltung und dem Ergebnis der gemeinsamen Arbeit teilhaben sollen, wenn sie bereit sind, zu ihrem Teil auch die Mitverantwortung zu übernehmen, schließt die Geschäftsleitung der Paul-Spindler-Werke KG (…) mit ihrem Mitarbeiter N.N. (…) den folgenden Mitunternehmer-Vertrag“. Aufgrund dieser Vereinbarung wurde der einzelne Mitarbeiter an den Geschäftsergebnissen des Unternehmens sowie an den Veränderungen des Betriebsvermögens, gemessen an den Unterschieden der steuerlichen Einheitswerte an bestimmten Stichtagen, beteiligt. Über eine Rücklagenbildung aus den Gewinnanteilen der Mitunternehmer wurde neben der Gewinn- auch eine Verlustbeteiligung derselben ermöglicht. Über die Rücklage hinaus konnten die Mitunternehmer Teile ihrer Gewinnbeteiligung als Darlehen im Unternehmen gegen eine Verzinsung wie bei Gesellschafterdarlehen stehen lassen. In der Vereinbarung verpflichtete sich die Geschäftsleitung, „den Mitunternehmer mindestens in vierteljährlichen Abständen über ihre Pläne und die geschäftliche Lage unmittelbar zu unterrichten“. Dies konnte schriftlich bzw. in den Mitunternehmer-Versammlungen erfolgen. Noch vor der Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes 1952 schufen die Spindler-Werke einen Wirtschaftsausschuss. Die Geschäftsleitung verpflichtete sich im Mitunternehmer-Vertrag, den Mitgliedern dieses Wirt-
Mitarbeiter als Mitunternehmer – eine personalpolitische Strategie
229
schaftsausschusses „Einsicht in die Bilanzen und in die Geschäftsunterlagen zu geben“. Um die ständige und wechselseitige Kommunikation des einzelnen Mitunternehmers zur Geschäftsleitung und zum Wirtschaftsausschuss zu gewährleisten, konnten die Mitunternehmer aus ihren Arbeitsgruppen je einen Verbindungsmann wählen. Für eine Reihe von Fällen räumte die Geschäftsleitung dem Mitunternehmer „das Recht zur Mitentscheidung“ ein. Dazu gehörten insbesondere •
grundsätzliche Änderungen des Gegenstandes oder des Zweckes des Unternehmens oder eines Fabrikationsverfahrens,
•
Veränderungen der Belegschaftsstärke des Gesamtunternehmens um mehr als ein Zehntel oder des Teilbereichs des Mitunternehmers um mehr als 20 Beschäftigte,
•
Investierungen mit bestimmten Auswirkungen auf die Kapazität des Unternehmens,
•
Aufwendungen für die Betreuung der Belegschaft, die über die durchschnittliche Hälfte der Monatslohnsumme des laufenden Jahres hinausgehen, Aufnahme von Krediten in bestimmter Höhe und
•
Übernahme von Verbindlichkeiten jeder Art in bestimmter Höhe.
Die Mitentscheidung der einzelnen Mitunternehmer erfolgte in geheimer Stimmabgabe und konnte weitreichende Konsequenzen haben. „Stimmt der Mitunternehmer einer der vorstehend aufgeführten Maßnahmen der Geschäftsleitung nicht zu und beabsichtigt die Geschäftsleitung, diese trotzdem durchzuführen, so hat der Mitunternehmer das Recht, binnen einer Woche die Sicherstellung seiner Rücklage zu verlangen“. Die Detailregelungen des Mitunternehmer-Vertrags bei den SpindlerWerken haben bis zur Auflösung des Unternehmens im Jahre 1972 verschiedene Modifikationen erfahren; die Grundkonzeption dieses Führungsmodells blieb erhalten. So lautete beispielsweise die Präambel nach der Neufassung vom 1. Januar 1967 so: „Ein Industrieunternehmen ist eine Arbeitsgemeinschaft, in der alle, die darin tätig sind, sowohl die Geschäftsleitung als auch die mit anweisenden und ausführenden Aufgaben betrauten Mitarbeiter sowie die Kapitalgeber aufeinander angewiesen sind. Sie können nur durch gemeinschaftliches Zusammenwirken eine wirtschaftliche Leistung vollbringen. Deshalb soll jeder in einer seiner Persönlichkeit und Leistung entsprechenden Weise an der Gestaltung des Betriebsgeschehens, an der Verantwortung hierfür und am Ertrag teilhaben“.
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Eduard Gaugler
Mitunternehmerkonzepte und Partnerschaft
Auch unter den Partnerschaftsfirmen der 1950/1960er Jahre war die Zahl der Unternehmen, die in einer ähnlich weitgehenden Weise wie die SpindlerWerke ein Mitunternehmer-Konzept praktizierten, nicht groß. Immerhin zeigten starke Annäherungen an den Spindler-Plan die Partnerschaftkonzepte der Karl Kübel Werke in Worms und der Union-Werke Dr. Naegele in Aalen; ähnlich wie Gert P. Spindler das Motto „Partnerschaft statt Klassenkampf“ geprägt hatte, wollte Dr. Hermann Naegele „an die Stelle des historischen Gegeneinanders von Arbeitgeber und Arbeitnehmer das Miteinander von Unternehmer und Arbeiterunternehmer“ setzen. Unabhängig von den firmenspezifischen Modalitäten galten für die Unternehmen, die auf dem Basiskonzept der betrieblichen Partnerschaft ihre Mitarbeiter als Mitunternehmer betrachteten, gemeinsame Positionen, die Rudolf von Knüpffer so zusammenfasste: „Beim Mitunternehmertum wird die Erfolgsbeteiligung mit einer Beteiligung am Vermögen des Betriebes und seiner Wertänderungen verbunden. Die einzelnen ‚Mitunternehmer’ behalten ihre Rechtsstellung als Arbeitnehmer, sind aber über eine passive Mithaftung hinaus an betrieblichen Entscheidungsfindungen mitbestimmend und mitverantwortend aktiv beteiligt. Das setzt bei ihnen außer Risikobereitschaft auch bildungsmäßige Kompetenz voraus, die von Partnerschaftsbetrieben nachhaltig gefördert wird“ (Knüpffer 1975). In der wissenschaftlichen Literatur haben sich schon früh vor allem zwei Autoren mit dem Mitunternehmertum von Mitarbeitern beschäftigt. Guido Fischer hat in seinem Standardwerk „Partnerschaft im Betrieb“ auf mögliche Missverständnisse hingewiesen, die mit dem Begriff „Mitunternehmer“ auftreten können. Er akzeptierte diese Bezeichnung, „wenn den Partnern über den Partnerschaftsausschuss eine echte Mitbestimmung in entscheidenden Betriebsfragen eingeräumt ist“ (Fischer 1955, S. 110). Er lehnte es jedoch ausdrücklich ab, von „Mitunternehmern“ lediglich dann zu sprechen, „wenn damit die Ausstattung der Partner mit Eigenkapital verstanden würde“. Auch Robert S. Hartman hat in seinem Buch „Die Partnerschaft von Kapital und Arbeit“ ein Kapitel dem Thema „Das Mitunternehmertum“ gewidmet und darin die Konzepte der Paul-SpindlerWerke KG und der Aktiengesellschaft Union, Nachfolger Hermann Naegele beschrieben. Er sagte dazu: „Obwohl zwar hier die Begrenzung der Kapitalbeteiligung vorhanden ist, wird doch darüber hinaus weitgehende Partnerschaft praktiziert, insbesondere durch umfassende Mitwirkung am Betriebsgeschehen“. Hartman resümierte seine Ausführungen mit der Feststellung: „Im Mitunternehmertum haben wir die weitgehendste Form der betrieblichen Partnerschaft in
Mitarbeiter als Mitunternehmer – eine personalpolitische Strategie
231
Deutschland, wenn es auch (…) in dieser Form durchaus nicht ohne weiteres von anderen Unternehmungen als Schema übernommen werden kann“ (Hartman 1958, S. 291). Vergleicht man die in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg praktizierten Firmenbeispiele des Mitunternehmertums mit den Äußerungen über das mitunternehmerische Verhalten der Mitarbeiter in den 1990er Jahren, zeigen sich beträchtliche Unterschiede. Vor allem besaßen die ehemaligen Konzepte für das Mitunternehmertum wesentlich markantere Konturen als die späteren Vorstellungen vom mitunternehmerischen Verhalten der Mitarbeiter, die vielfach ziemlich offen formuliert wurden.
4
Bedarf an unternehmerischem Mitarbeiterverhalten
Unter dem Einfluss verschärfter Wettbewerbsbedingungen an vielen Absatzmärkten fand das mitunternehmerische Verhalten der Mitarbeiter im betrieblichen Leistungsprozess erneut Beachtung. Prominente Führungskräfte der Wirtschaft und wissenschaftliche Autoren erörterten die Notwendigkeit und die Möglichkeiten, Mitarbeiter zu Mitunternehmern werden zu lassen (vgl. Gaugler 1999, S. 3 ff.). Bei der Wissenschaftlichen Jahrestagung des Verbandes der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e. V. in Stuttgart im Jahre 1993 bezeichnete es der damalige Konzernchef der Daimler-Benz AG, Edzard Reuter, als seine Aufgabe, „im gesamten Unternehmen Innovationsbereitschaft und -fähigkeit zu fördern, kurz, eine Unternehmenskultur zu schaffen, die durch kreative Unruhe gekennzeichnet ist und durch unternehmerisch denkende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter getragen wird“ (Reuter 1994, S. 257). Ähnlich äußerte sich Werner Then, Vorsitzender des Bundes Katholischer Unternehmer e. V.: „Einen effektiven Unternehmensprozess zu initiieren heißt, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen als Mitunternehmer zu gewinnen und ihnen Mitgestaltungsmöglichkeiten und Mitspracherechte in folgenden Feldern einzuräumen: Details des Arbeitsplatzes, Ausführung der Arbeit, Gestaltung der Ablauforganisation, selbständige Arbeitsvorbereitung, Wahl der Arbeitszeiten, Arbeitsverteilung in der Gruppe, Bewältigung der alltäglichen Problemstellungen und Konflikte der Arbeitsgruppe wie des Arbeitsprozesses, Planung von Weiterbildungsmaßnahmen, Ausgestaltung und Verbesserung der Produkte u. a.“ (Then 1996, S. 219). An anderer Stelle spricht Then von der Notwendigkeit eines „Quantensprungs zum ‚Unternehmer-Unternehmen’“, das er so kennzeichnet:
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Eduard Gaugler
„In einer subsidiären Selbstkultur werden die Mitarbeiter ‚Unternehmer für ihre eigene Arbeit’“. Auch das Führungskonzept, das Jörg Knoblauch, damals Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Partnerschaft in der Wirtschaft e. V., propagierte und in seinem Unternehmen zu realisieren strebte, stand unter dem Leitwort „Mitarbeiter werden Mitunternehmer“; es hatte insgesamt 33 Bausteine zu den folgenden sechs Gestaltungsebenen: Mitwissen, Mitdenken, Mitlernen, Mitverantworten, Mitgenießen, Mitbesitzen. Damals gab es auch in der wissenschaftlich-literarischen Erörterung Beiträge, die sich mit dem Führungskonzept „Mitarbeiter als Mitunternehmer“ befassten. Die Fachzeitschrift PERSONAL hatte ihr Heft 3/1996 diesem Schwerpunkt gewidmet. Schneider erwähnte dort die historischen Quellen dieser Unternehmenskonzeption und bezeichnete das Lean-Management-Konzept als „Auslöser dieses neuen Denkansatzes“. „Die verstärkte Integration des Mitarbeiters in den Betriebsprozess war plötzlich nicht mehr eine bloße Worthülse, sie wurde ernsthaft vorangetrieben. Der Mitarbeiter als Mitunternehmer war kein Wunschdenken mehr, konkrete Schritte wurden unternommen, um diesen Anforderungen zu entsprechen“ (Schneider 1996, S. 112). Zuvor hatte schon Fürstenberg darauf hingewiesen, dass die Betriebssoziologie zunehmend „Unternehmen und Betrieb … als politische Systeme“ versteht und damit u. a. auch „Orientierungs- und Handlungshilfen für die Praxis … von Mitunternehmerkonzepten liefern kann“ (Fürstenberg 1992, Sp. 633).
5
Konzepte für die Transformation
Mit wissenschaftlichen Beiträgen zum Thema „Mitarbeiter als Mitunternehmer“ haben sich an der damaligen Diskussion vor allem Thomas Kuhn und Rolf Wunderer beteiligt. Wunderer betonte die Rolle des Mitunternehmer-Konzepts für das strategische Personalmanagement und untersuchte die „unternehmerische Mitarbeiterführung als Ansatzpunkt zur unternehmerischen Gestaltung der Personalarbeit“ (Wunderer 1995b). Bei ihren Überlegungen zur betrieblichen „Identifikationspolitik“ nannten Wunderer/Mittmann die „Einbindung des Mitarbeiters in den unternehmerischen Wertschöpfungsprozess“ als ein Ziel dieser personalpolitischen Strategie. Nach Meinung dieser Autoren ist das Konzept Identifikation realisiert, „wenn (…) Mitarbeiter (…) zu Mitunternehmern werden, die über
Mitarbeiter als Mitunternehmer – eine personalpolitische Strategie
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Mitwissen, Mitdenken, Mitfühlen, Miteinscheiden, Mithandeln und Mitverantwortung ihren Beitrag zur Wertschöpfung der Gesamtorganisation leisten wollen und können“ (Wunderer/Mittmann 1995, S. 7). In einer besonderen Studie beschäftigte sich Wunderer mit der „Entwicklung von Arbeitnehmern zu Mitunternehmern“ als Aufgabe einer „unternehmerischen Personalentwicklung“. Er ging dabei davon aus, dass sich „unternehmerisches Verhalten (…) nicht auf wenige Entre- und Intrapreneure beschränken, sondern von möglichst vielen Mitarbeitern praktiziert werden (sollte)“ (Wunderer 1995a, S. 32 ff.). Wunderer empfahl, drei unternehmerische Kernkompetenzen zu entwickeln: „Fähigkeit und Bereitschaft zu strategieorientierter Innovation, kooperativer Selbstorganisation und effizienter Ideenumsetzung“. Die Zielgruppe der „unternehmerischen Personalentwicklung“ beschrieb Wunderer so: „Als Mitunternehmer werden solche Mitarbeiter bezeichnet, die sich über die Dimensionen Mitwissen und Mitdenken, Mitfühlen, Mitentscheiden und Mitverantworten sowie Mithandeln an der Umsetzung der Unternehmensstrategie aktiv beteiligen. Sie bilden die unternehmerische Kerngruppe des Personals“. Weitere Adressaten für die „unternehmerische Personalentwicklung“ unterschied er „nach einer noch stärkeren (Unternehmer, Intrapreneure und Subunternehmer) bzw. schwächeren (unternehmerisch aufgeschlossene Mitarbeiter) Ausprägung ihrer unternehmerischen Kompetenz“ (Wunderer 1995a, S. 33-35). In einer 1997 veröffentlichten Studie mit der Überschrift „Vom Arbeitnehmer zum Mitunternehmer“ befasste sich Thomas Kuhn detailliert mit dem im Titel angesprochenen, „heute – namentlich oder intentional – zunehmend geforderten, häufig jedoch nur vage begründeten und unzureichend problematisierten Prozess der Transformation“ (Kuhn 1997, S. 195 ff.), dabei bediente er sich des handlungstheoretischen Ansatzes, um sich damit von der traditionellen primär formal-juristischen Sicht des Mitunternehmertums zu unterscheiden. Nach einigen „Anmerkungen zur ökonomischen Notwendigkeit des Transformationsvorhabens“ diskutierte er „Wege zum Mitunternehmertum“. Dabei betrachtete er „strukturelles Empowerment als zentrale Voraussetzung“ und „personales Commitment als zentrales Problem einer Umsetzung von ‚Mitunternehmertum’“. Kuhn schloss seine Erörterungen zum Transformationsprozess mit der Feststellung: „Bedenkt man (…) die (präsumtiven) Implikationen eines ‚mitunternehmerischen’ Empowerments (höhere Autonomie, ausgeprägtere soziale Interaktion, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten, ganzheitlichere und vielfältigere Aufgaben) sowie eines ‚mitunternehmerischen’ Commitments (höhere Arbeitsplatzsicherheit, größere Mitbestimmung, zusätzliche materielle Beteiligungen), dann weist ‚Mitunternehmertum’ nicht nur den Weg auf eine ökonomisch rationalere, sondern auch auf eine lebenspraktisch bessere Arbeitswelt. So gesehen geht die –
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Eduard Gaugler
einzelwirtschaftlichen Nutzen verheißende – Transformation der ‚Arbeitnehmer’ ‚in Mitunternehmer’ nicht ‚auf Kosten’ der Mitarbeiter, sondern beinhaltet vielmehr erhebliche Möglichkeiten zur Vergrößerung der ‚Schnittmenge’ zwischen ökonomischer und lebenspraktischer Vernunft“ (Kuhn 1997, S. 216). Die Entwicklung von Mitarbeitern zu Mitunternehmern hat auch Wunderer umfassend behandelt und als einen Transformationsprozess beschrieben (Wunderer 1999, S. 22-58). Das von ihm entwickelte „Transformationskonzept“ enthält für diesen Prozess zu einem „internen Unternehmertum“ insgesamt zehn Elemente. Mit sehr detaillierten Skizzierungen erläutert er die folgenden Konzeptelemente: •
Wertschöpfung für das Unternehmen und Nutzenstiftung für die zentralen Bezugsgruppen
•
Markt- und Netzwerksteuerung
•
Strukturell-systemische Führung und Entwicklung
•
Proaktive Selbststeuerung und -organisation
•
Auswahl und Förderung nach unternehmerischen Schlüsselqualifikationen
•
Analyse und Förderung der mitunternehmerischen Motivation und Identifikation
•
Differenzierte (Selbst-)Selektion, Platzierung und Entwicklung nach einem Portfolio-Ansatz
•
Teambezogene und individualisierte Mitarbeiterentwicklung
•
Selbstentwicklung und Entwicklung on-the-job durch Führungskräfte
•
Leitsätze für umfassendes Mitunternehmertum.
Mit diesen zehn Elementen hat Wunderer einen Bezugsrahmen für die Transformationsaufgabe zu einem Mitunternehmertum der Mitarbeiter vorgestellt (Wunderer 1999, S. 29). Für den gesamten Transformationsprozess hat sein Fazit zum neunten o. a. Element zu gelten: „Die erste und letzte Verantwortung für die Entwicklung unternehmerischer Kompetenzen und Werthaltungen – auch im Kontext der eigenverantwortlichen Beschäftigungssicherung – liegt beim Mitarbeiter selbst. Führungskräfte können und müssen aber wesentliche Unterstützung leisten. Und das Topmanagement wie auch die Personalabteilung sind insbesondere für die dafür fördernden Rahmenbedingungen verantwortlich“ (Wunderer 1999, S. 53).
Mitarbeiter als Mitunternehmer – eine personalpolitische Strategie
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Aus diesen Überlegungen und angesichts der einschlägigen Erfahrungen aus der betrieblichen Führungspraxis ist zu folgern, dass die Initiative für eine umfassende Entwicklung der Mitarbeiter zu Mitunternehmern in aller Regel von der Unternehmensleitung ausgehen muss. Selbst wenn dazu die Impulse von Dritten stammen, ist die Akzeptanz und Förderung des Leitbilds „Mitunternehmertum der Mitarbeiter“ durch die Unternehmensspitze unverzichtbar. Gegenüber dem gelegentlich vorgetragenen Motto „Mitarbeiter zu Mitunternehmern machen“ sind indes Bedenken anzumelden. Mitarbeiter lassen sich regelmäßig nicht wie Objekte mit mitunternehmerischer Einstellung und einem entsprechenden Verhalten ausstatten. Wer Mitarbeiter als Mitunternehmer gewinnen will, hat von deren Subjektnatur auszugehen und die Unternehmenskultur so zu gestalten, dass möglichst viele Mitarbeiter in eigner Initiative – natürlich mit subsidiärer Hilfe durch die Unternehmensleitung und Führungskräfte – ein mitunternehmerisches Verhalten im Betrieb entwickeln wollen und können.
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Eduard Gaugler
Literaturverzeichnis Elschen, R. (Hrsg.) (1995): Unternehmenssicherung und Unternehmensentwicklung, Stuttgart. Fischer, G. (1955): Partnerschaft im Betrieb, Heidelberg. Fürstenberg, F. (1992): Betriebs- und Organisationssoziologie, in: Gaugler, E./Weber, W. (Hrsg.): Handwörterbuch des Personalwesens, 2. Aufl., Stuttgart, Sp. 625-635. Gaugler, E./Kuchinka, H. (1972): Mitarbeiterbeteiligung und Steuerrecht, Köln. Gaugler, E. (1999): Mitarbeiter als Mitunternehmer. Die historischen Wurzeln eines Führungskonzepts und seine Gestaltungsperspektiven in der Gegenwart, in: Wunderer, R. (Hrsg.): Mitarbeiter als Mitunternehmer. Grundlagen, Förderinstrumente, Praxisbeispiele, Neuwied, S. 3-21. Hartman, R.S. (1958): Die Partnerschaft von Kapital und Arbeit, Köln/Opladen. Knüpffer, R. von (1975): Partnerschaft, betriebliche, in: Gaugler, E. (Hrsg.): Handwörterbuch des Personalwesens, Stuttgart, Sp. 1441-1448. Kuhn, T. (1997): Vom Arbeitnehmer zum Mitunternehmer, in: Zeitschrift für Personalforschung, Jg. 11, Heft 2, 1997, S. 195-220. Reuter, E. ( 1994): Technologiemanagement. Strategien, Prozesse, Instrumente im integrierten Technologie-Konzern, in: Zahn, E. (Hrsg.): Technologiemanagement und Technologien für das Management, Stuttgart, S. 251-258. Schanz G. (1985): Mitarbeiterbeteiligung, München. Schneider, H.J. (1996): Mitarbeiter als Mitgesellschafter, in: Personal, Heft 3, 1996, S. 112-116. Schneider, H.-J./Fritz, S./Zander, E. (2007): Erfolgs- und Kapitalbeteiligung der Mitarbeiter, 6. Aufl., Düsseldorf. Spindler, G.P. (1951): Mitunternehmertum, Lüneburg. Spindler, G.P. (1954): Partnerschaft statt Klassenkampf, Stuttgart. Spindler, G.P. (1957): Unternehmensführung und Partnerschaft, Hilden. Spindler, G.P. (1964): Neue Antworten im sozialen Raum, Düsseldorf/Wien. Spindler, G.P. (1970): Praxis der Partnerschaft, Düsseldorf/Wien. Then, W. (1996): Neue Herausforderungen für ein unternehmerisches Personalmanagement, in: Deutsche Gesellschaft für Personalführung e. V. (Hrsg.): Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch das Personalmanagement, Köln, S. 209-224. Wiedemann, H. (1980): Gesellschaftsrecht. Grundlagen, Band I, München. Wunderer, R. (1995a): Entwicklung von Arbeitnehmern zu Mitunternehmern, in: Elschen, R. (Hrsg.): Unternehmenssicherung und Unternehmensentwicklung, Stuttgart, S. 3252.
Mitarbeiter als Mitunternehmer – eine personalpolitische Strategie
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Wunderer, R. (1995b): Unternehmerische Mitarbeiterführung als Ansatzpunkt zur unternehmerischen Gestaltung der Personalarbeit, in: Wunderer, R./Kuhn, T. (Hrsg.): Innovatives Personalmanagement. Theorie und Praxis unternehmerischer Personalarbeit, Neuwied, S. 25-42. Wunderer, R./Mittmann, J. (1995): Identifikationspolitik, Stuttgart. Wunderer, R. (Hrsg.) (1999): Mitarbeiter als Mitunternehmer. Grundlagen, Förderinstrumente, Praxisbeispiele, Neuwied.
Due Diligence bei kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU)* Klaus Trützschler und Volker Hues
1
Einleitung........................................................................................ 241
2
Franz Haniel & Cie. GmbH ............................................................ 242 2.1 Erfahrungen mit Unternehmensakquisitionen...................................242 2.2 M&A als Baustein wertorientierter Unternehmensführung ..............244
3
Motive für KMU-Akquisitionen..................................................... 246 3.1 Markteintritt ......................................................................................246 3.2 Marktanteilserweiterung ...................................................................246
4
Besondere Herausforderungen im Due Diligence-Prozess............. 248 4.1 Einordnung der Due Diligence in den M&A-Prozess.......................248 4.2 Typische Rahmenbedingungen .........................................................250 4.2.1 Informationsasymmetrie(n).....................................................250 4.2.2 Externe Sachverständige .........................................................251 4.2.3 Entscheidungsvorbehalte/-gremien .........................................252 4.2.4 Wertermittlungsverfahren .......................................................253 4.2.5 Kulturdisparitäten ...................................................................255 4.3 Inhaltliche Schwerpunkte..................................................................257 4.3.1 Kundenbasis/Vertriebspotential ..............................................257 4.3.2 Bilanzierung/Steuern...............................................................258 4.3.3 Recht/Umwelt .........................................................................261 4.3.4 Informationstechnologie .........................................................262
* Der Beitrag wurde zuerst veröffentlicht in: Berens, W./Brauner, H.U./Strauch, J. (Hrsg.): Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen, 4. Aufl., Stuttgart 2005, S. 805-828.
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Klaus Trützschler und Volker Hues
Wertsteigerungspotentiale (Chancen/Risiken)................................ 263 5.1 Einbindung Alteigentümer, Familienmitglieder ...............................263 5.2 Aufbau von Führungsstrukturen .......................................................265 5.3 Branding ...........................................................................................266
6
Zusammenfassung .......................................................................... 267
Literaturverzeichnis............................................................................... 268
Due Diligence bei kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU)
1
241
Einleitung
Ziel des folgenden Beitrages ist es, die Determinanten herauszuarbeiten, die den Erfolg einer Due Diligence1 und damit M&A-Transaktion2 von Klein- und Mittelunternehmen (KMU) begünstigen. Einleitend werden Steuerungsmechanismen und Motive für KMU-Akquisitionen charakterisiert. Wichtig ist die Beschreibung der Wechselwirkung dieser Rahmenbedingungen auf den M&A-Prozess als Ganzes und damit auf die Due Diligence. Der Schwerpunkt des Beitrages richtet sich anschließend auf die Analyse typischer Rahmenbedingungen einer Due Diligence bei KMU sowie deren Bedeutung zur Festlegung der Prüfungsinhalte. KMU sind maßgeblich von in der Regel „einer“ Unternehmerpersönlichkeit geprägt. Zur Ausschöpfung von Wertsteigerungspotential ist die Analyse der Führungsverantwortung vor und nach Übernahme des Zielobjektes von erheblicher Bedeutung. Der Due Diligence-Prozess wird nachstehend aus der Perspektive eines divisional organisierten Konzerns3 als Käuferunternehmen betrachtet. Derartige Konzerne haben in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren die meisten M&A-Transaktionen realisiert. Auf die Analyse von Besonderheiten bei CrossBorder-Transaktionen von KMU wird verzichtet. In den nächsten Jahren steht bei einem Großteil der über 2,5 Mio. KMU in Deutschland ein Generationswechsel an. Das Institut der Deutschen Wirtschaft geht von ca. 700.000 Transaktionen in den nächsten Jahren aus (vgl. Jungblut 2003, S. 5). Neben dem Generationswechsel (vgl. Jansen et al. 2004, S. 23 f.) werden gerade die für KMU gestiegenen Anforderungen an Refinanzierungsmittel (Eigenkapitalrichtlinien des Baseler Akkords) das Transaktionsklima begünstigen (vgl. Meerkatt et al. 2004, S. 4 ff.). Ferner sind KMU auch zunehmend für Equity Investoren von besonderem Interesse. Verborgene Werte (Hidden Values) können häufig kurzfristig realisiert werden. Diese Werte treiben Kaufpreise in Höhen, die den Verkaufsprozess häufig beschleunigen.
1 Der Begriff Due Diligence kommt aus der US-amerikanischen Transaktionspraxis und lässt sich mit „sorgsame Erfüllung“ oder auch „gewissenhafte Prüfung“ übersetzen (vgl. Berens/Strauch 2005, S. 3-23). 2 Nachstehend werden nur Mehrheitsbeteiligungen an Unternehmen betrachtet, die gemäß § 271 Abs. 2 HGB vollkonsolidierungspflichtig sind. Damit geht die wesentliche unternehmerische Verantwortung auf den Erwerber über. Die Begriffe Akquisition und Transaktion werden synonym verwendet. 3 Unter einem Konzern versteht man generell mehrere rechtlich selbständige Unternehmen, welche durch die Einheitlichkeit der Leitung zu einem wirtschaftlichen System verbunden sind (vgl. Bleicher 1991, S. 126, sowie § 18 AktG).
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Klaus Trützschler und Volker Hues
Franz Haniel & Cie. GmbH
„So viel Führung wie nötig, so viel unternehmerische Freiheit wie möglich.“ Nach dieser Devise operiert die Haniel-Gruppe unter der Führung der Franz Haniel & Cie. GmbH (Haniel) erfolgreich am Markt. Seit seiner Gründung im Jahr 1756 ist das Unternehmen im Eigentum der Familie Haniel. Bereits seit Beginn des letzten Jahrhunderts gilt die strikte Trennung zwischen Kapitalbesitz auf der einen und Management auf der anderen Seite. Die Unternehmensanteile werden von rund 600 Gesellschaftern gehalten. Heute präsentiert sich Haniel als internationaler Handels- und Dienstleistungskonzern, der mit über 55.000 Mitarbeitern einen Jahresumsatz von € 27,7 Mrd. erwirtschaftet. Haniel ist mit großem Erfolg in voneinander unabhängigen Märkten aktiv. Zum Konzern gehören fünf dezentral organisierte Unternehmensbereiche, die ihre Marktposition kontinuierlich zur Marktführerschaft ausbauen. Primäres Ziel ist die nachhaltige Wertsteigerung der Unternehmensgruppe.
2.1 Erfahrungen mit Unternehmensakquisitionen Die eindeutige Trennung von Management und Kapital erleichtert es Haniel, Investitions- und Desinvestitionsentscheidungen konsequent an dem Kriterium Wertbeitrag (zur Definition vgl. Abschnitt 2.2) auszurichten. Über einen Zeitraum von 20 Jahren ist das Investitionsvolumen von jährlich € 100 Mio. auf bis zu € 1.800 Mio. kontinuierlich gestiegen. Deutlich mehr als die Hälfte dieses Volumens werden in Unternehmensakquisitionen investiert. Neben einigen größeren Transaktionen hat die Anzahl der KMU in allen Unternehmensbereichen des Konzerns stetig zugenommen. Um die Erfahrungen aus Akquisitions- und Integrationsvorhaben innerhalb des Konzerns sinnvoll zu bündeln und diese für zukünftige Projekte verfügbar zu machen, wurde im Haniel-Intranet das Modul „Merger & Integration“ (M&IModul) geschaffen. Das M&I-Modul bündelt vorhandene Instrumentarien und erprobte Vorgehensweisen, dokumentiert die Spielregeln der Zusammenarbeit zwischen Führungs-Holding und Unternehmensbereichen und verschafft dem Leser einen schnellen Überblick über konzerninterne Ansprechpartner zu speziellen Fragestellungen im Kontext von Akquisitionen und Integrationen. Die Bausteine des M&I-Moduls bilden die typische Prozesskette von der Auswahl eines Targets bis zur eigentlichen Integration eines gekauften Unternehmens ab. Der modulare Aufbau ermöglicht das zielgerichtete Abrufen von Informationen.
Due Diligence bei kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU)
Abb. 1:
243
Merger & Integration Modul im Haniel-Intranet
Zunächst wird im „Dach“ des Moduls Merger & Integration, im Baustein „Prozess und Richtlinien“, das Zusammenspiel zwischen der Führungs-Holding Haniel und den Unternehmensbereichen beschrieben sowie der Aufbau des Moduls erläutert. Spezifisches Know-how von der Targetauswahl bis zur eigentlichen Integration beinhalten die Bausteine I (Akquisitionsstrategie) bis VI (Integration & Fortschritts-Controlling). So stellt der Baustein I Instrumentarien und Vorgehensmodelle zur Entwicklung und Dokumentation von Akquisitionsstrategien bereit. Methoden zur qualitativen und quantitativen Erstbewertung von potentiellen Targets, beispielsweise zum Abgleich der strategischen Stimmigkeit oder der Integrationsmachbarkeit, befinden sich im Baustein II. Im Baustein III wurden Muster hinsichtlich der Form und Mindestinhalte von indikativen Angeboten eingestellt. Ergänzend können Textbausteine zur Formulierung von indikativen Angeboten abgerufen werden. Der Baustein „Due Diligence & Signing“ beinhaltet elektronische Due Diligence Listen, die je nach Unternehmensbereich oder Deal-Größe individuelle Checklisten für Due Diligence-Audits aufzeigen. Integrationsmaßnahmen dürfen nicht durchgeführt werden, solange die Fusion beispielsweise unter dem Vorbehalt der kartellrechtlichen Prüfung steht. Welchen Einfluss solch eine Prüfung auf die Integrationsplanung und -durchführung hat, wird im Baustein V beschrieben. Der Baustein „Integration & Fortschritts-Controlling“ beinhaltet Vorgehensmodelle und erprobte Instrumente zur eigentlichen Zusammenführung von Unternehmen. Begleitet werden die Prozessschritte durch den Baustein „Kommunikation und Projektmanagement“. Sowohl Vorschläge zu Kommunikationsstrategien als auch Instrumentarien zum Projektmanagement sind in diesem Baustein abrufbar.
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Klaus Trützschler und Volker Hues
Dieses Instrument gibt Führungsnachwuchskräften in der Haniel-Gruppe Hilfestellungen und Anleitungen zur Nutzung der bestehenden Erfahrungen. Im Fokus der weiteren Überlegungen stehen KMU-Transaktionen. Bis heute gibt es in der Literatur und Unternehmenspraxis keine einheitliche Abgrenzung des Begriffs Klein- und Mittelunternehmung. Für die nachstehenden Ausführungen wird der Begriff in formaler Weise an nominal messbaren und quantitativen Merkmalen präzisiert (vgl. Evers 1998, S. 1 ff.). Demnach liegt ein KMU vor, wenn folgende formale Kriterien gegeben sind (in enger Anlehnung an Wossidlo 1993, Sp. 2890): •
rechtliche Selbständigkeit des Unternehmens,
•
Eigentumsmehrheit liegt bei einer natürlichen Person oder einem begrenzten Kreis natürlicher Personen,
•
mindestens ein Inhaber ist oder war über mehrere Jahre an der Unternehmensleitung beteiligt,
•
die wirtschaftliche Existenz mindestens eines Eigentümers hängt wesentlich vom Erfolg des Unternehmens ab.
Ferner wird aus der Vielzahl der quantitativen Merkmale zur Beschreibung von KMU die Anzahl der Vollzeitmitarbeiter kleiner 500 als Beschreibungsmerkmal gewählt. Mit der vorstehenden Definition sind Großunternehmen und insbesondere börsennotierte Unternehmen von den weiteren Überlegungen ausgeschlossen. Dem Akquisitionsprozess börsennotierter Unternehmen liegen eigene „Spielregeln“ zu Grunde. Zusammenfassend ist festzustellen, dass Akquisitionen fester Bestandteil der Haniel-Unternehmensstrategie sind und Haniel auf breite Erfahrungen im Akquisitionsmanagement auch für KMU zurückgreifen kann.
2.2 M&A als Baustein wertorientierter Unternehmensführung Economic Value Added (EVA) (vgl. Stewart 1991) ist für Haniel seit Jahren ein entscheidendes Kriterium zur Messung der unternehmerischen Leistung und damit integraler Bestandteil der Unternehmenskultur. Das von Stern Stewart & Co. entwickelte Konzept hat sich auch international zunehmend als effektives Mittel der wertorientierten Unternehmensführung durchgesetzt. Mit EVA lässt sich die Performance von Unternehmen und Unternehmensteilen messen. Das EVA-Konzept fußt auf dem Grundgedanken, dass neben den Fremdkapitalkosten
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245
auch die Eigenkapitalkosten in die Betrachtung einzubeziehen sind und dass dabei der Zinsanspruch für Eigenkapital über dem für Fremdkapital liegt, da der Eigentümer das volle Risiko der wirtschaftlichen Entwicklung des eingesetzten Kapitals trägt. Überrenditen und damit ein positiver Beitrag zur Wertsteigerung des Unternehmens werden realisiert, wenn das Ergebnis die Aufwendungen für das Eigen- und Fremdkapital übersteigt. Die Bewertung von potentiellen Akquisitionen erfolgt nach dem Ertragswertverfahren auf Free-Cashflow-Basis. Der Erfolgsmaßstab ist der Barwert künftiger Einnahmen auf das eingesetzte Kapital. Der Wertbeitrag (EVA) einer Unternehmensakquisition ist unmittelbar für jede Betrachtungsperiode nach dem Erwerbszeitpunkt ablesbar. Das oben genannte Bewertungsverfahren wurde für alle Konzerngesellschaften standardisiert. Der Risikostruktur der Geschäfte wird über die Anforderung an die Eigenkapitalverzinsung und die Eigenkapitalausstattung der kaufenden Gesellschaft Rechnung getragen. Diese betriebswirtschaftliche Steuerungsgröße EVA wurde bereits 1998 auch als wesentliche Kennzahl zur Leistungsmessung von Führungskräften in der Haniel-Gruppe eingeführt. Ein maßgeblicher Teil der variablen Vergütung (je nach Führungsebene sind bis zu 66% der Vergütung variabel) wird auf Basis der EVA-Entwicklung ermittelt. Die Einbindung derartiger Steuerungsgrößen ist in der Unternehmenspraxis wie in der Theorie von erheblicher Bedeutung. Die theoretischen Überlegungen gehen auf die Principal-Agent-Theorie (vgl. Picot 1989, S. 370) zurück, nach der die Akteure, z.B. der Shareholder des Käuferunternehmens sowie sein Management, sich opportunistisch verhalten. Diese Parteien unterstellen sich gegenseitig konsistente Präferenzen und zweckrationale Handlungsentscheidungen, d. h. zu erwartende Handlungsdivergenzen zwischen den Beteiligten können in Verträgen mit Hilfe von Anreizmechanismen antizipiert werden. Derartige Anreizmechanismen sind beispielsweise EVA-Vergütungsbausteine und EVAZertifikate. Die Instrumente dienen somit der Antizipation potentieller Verhaltensdifferenzen zwischen Shareholder und Management. Die stringente Verbindung von Bewertungsmethode und entsprechender Alimentierung der Wertsteigerungskriterien in den Vergütungsbausteinen unterstützt die klare Ausrichtung der Wertorientierung im gesamten Akquisitions- und Integrationsprozess.
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Klaus Trützschler und Volker Hues
Motive für KMU-Akquisitionen
In kapitalisierten Wirtschaftssystemen steht für Unternehmen das Formalziel der Gewinnerzielung (vgl. Gutenberg 1983) nicht zur Diskussion. Unter dieses Ziel kann die Maximierung des Shareholder Value (vgl. Rappaport 1986) subsumiert werden. Betrachtet man Unternehmensakquisitionen als typische Investition, so erscheinen diese nur dann als vorteilhaft, wenn ein positiver Kapitalwert realisiert werden kann. Analytisch betrachtet kann dieser einerseits auf eine Unterbewertung (vergleichsweise niedriger Kaufpreis) des Akquisitionsobjektes und/oder auf die Realisierung von Wettbewerbsvorteilen (vergleichsweise hohe zukünftige Einzahlungen) zurückgehen. Bezüglich des Due Diligence-Prozesses sind Akquisitionen zum Markteintritt von Akquisitionen zur Marktanteilserweiterung zu unterscheiden.
3.1 Markteintritt In der Literatur wird die Unterscheidung von Akquisitionen nach horizontaler, vertikaler und konglomerater Verwandtschaft der Produkt-Markt-Kombination grundsätzlich akzeptiert (vgl. Hues 1998, S. 57). Die horizontalen Akquisitionen richten sich auf Unternehmen, die geographisch und kundenbezogen gleiche Märkte mit gleichen oder artverwandten Produkten beliefern. Dieser Akquisitionstyp wird im folgenden Abschnitt unter Marktanteilserweiterung thematisiert. Die Akquisitionen vor- und nachgegliederter Produktions- bzw. Leistungsstufen werden unter vertikalen Akquisitionen subsumiert. Nicht verwandte, weder produkt- noch marktbezogene Akquisitionen sind als konglomerate Akquisitionen zu klassifizieren. Die funktionale Typologisierung von Akquisitionen ist zur Analyse der Herausforderung an die Due Diligence von KMU insofern geeignet, als die Stoßrichtung (horizontal, vertikal und konglomerat) unmittelbar Einfluss auf die Informationsasymmetrien zwischen Käufer und Verkäufer hat. Wie in Kapitel 4 des Beitrags noch zu zeigen ist, können sich je nach Akquisitionstypus der Schwerpunkt und Inhalt der Due Diligence-Themen verändern.
3.2 Marktanteilserweiterung Die Marktanteilserweiterung als Motiv für KMU-Akquisitionen ist der typische Akquisitionsfall auf der Ebene der Unternehmensbereiche divisional orga-
Due Diligence bei kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU)
247
nisierter Konzerne. Das Akquisitionsmotiv für Marktanteilserweiterung wird nachstehend am Beispiel der Geschäftsfelder WashroomCare (Handtuchdispenser, Beduftungssystem, Seifendispenser etc.) sowie TextileCare (Berufskleidung, FashionWare etc.) konkretisiert. Diese Geschäftsfelder sind als Systemgeschäfte wie folgt zu charakterisieren: •
hohe Eintrittsbarrieren für Wettbewerber,
•
eigenständige Marktleistung und profilierte Kundenproblemlösung,
•
relativ hohe Wertschöpfung, die mehrere Wertschöpfungsstufen umfasst,
•
dauerhaft hohe und konstante Qualität,
•
hoher Organisationsgrad mit hohem Wiederholungsgrad in der Leistung, industriellen Fertigungsgrundsätzen entsprechend, Scale-Effekte nutzend,
•
weitgehend unabhängig von der Leistung einzelner Personen,
•
eigenständige Identität, „Markenartikel“-Ähnlichkeit.
Die Kunden werden europaweit regelmäßig mit Servicedienstleistungen im Bereich WashroomCare sowie TextileCare bedient. Diese Aktivitäten sind historisch aus kleinen Wäschereien entstanden. Der Kunde erhält einen DreijahresServicevertrag mit dem Dienstleistungsunternehmen. Der Aufbau der Kundenstruktur ist sehr zeitintensiv und erfordert hohe „Up-Front“-Investitionen. Ursächlich sind die Investitionen in den Gerätepark (Handtuchautomat, Seifendispenser etc.) oder die Arbeitskleidung, die an den Kunden langfristig vermietet wird. Das gesamte Geschäft ist stark skalengetrieben, d. h., die Marktpenetration treibt den Unternehmenswert. Die Marktkonsolidierung nimmt stetig zu, in einzelnen europäischen Ländern bestehen bereits Oligopole. Die Marktdurchdringung treibt die Unternehmenswertsteigerung. Der Eintritt in neue Länder über KMU ist in diesem Geschäftsfeld somit nur sinnvoll, wenn weitere Erwerbe in absehbarer Zeit in den Zielländern realisierbar erscheinen, oder der Markt noch vergleichsweise unterentwickelt ist und ausreichend interne Wachstumschancen bietet.
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4
Klaus Trützschler und Volker Hues
Besondere Herausforderungen im Due Diligence-Prozess
4.1 Einordnung der Due Diligence in den M&A-Prozess Wie bereits im Abschnitt 2.1 ausgeführt, ist der Erwerb von Unternehmen bis zur Integration ein Wertschöpfungsprozess, der sich je nach Betrachtungswinkel in Phasen differenzieren lässt. In die einzelnen Phasen sind in der Regel eine Vielzahl von Personen auf der Käufer- und Verkäuferseite involviert. Im Vergleich zum eingangs beschriebenen Käufer ist für den Verkäufer der Vorgang eher einmalig.4 Der Verkäufer eines KMU steht vor vielfältigen Herausforderungen, da •
dieser typischerweise sein Lebenswerk verkauft,
•
in aller Regel eine hohe (emotionale) Bindung an die Mitarbeiter besteht,
•
der Verkauf vor Vertragsabschluss streng vertraulich behandelt werden soll,
•
sein Ansehen gegenüber den Wettbewerbern und der lokalen Gesellschaft sich ggf. neu bestimmt,
•
potentielle Erben nicht die unternehmerische Nachfolge antreten können bzw. wollen.
Diese Auflistung ist keineswegs vollständig, sie dient lediglich der Skizzierung des Spannungsfeldes, in dem sich der Verkäufer möglicherweise befindet. Für den erfolgreichen Abschluss einer M&A-Transaktion ist es somit wichtig, den Transaktionsprozess für den Verkäufer „überraschungsfrei“ zu gestalten. Einerseits sollten die auf der Käuferseite beteiligten Mitarbeiter eindeutig ihre Aufgaben und Kommunikationswege kennen, um nicht die Vertraulichkeit des Projektes zu gefährden und die Verkäufer nicht unnötig mit Fragen zu belasten. Andererseits soll auch der Verkäufer über die aus Konzernperspektive notwendigen Prozessschritte frühzeitig informiert werden. Ein Großteil des Gesamterfolges einer Due Diligence hängt damit ausnahmslos von professionellem Prozessmanagement ab (vgl. z.B. Abb. 1). Es empfiehlt sich für das Käuferunternehmen, intern die Schnittstellen zum Verkäufer über den Grad der Einflussnahme auf das Akquisitionsvorhaben wie folgt zu differenzieren: 4 Nachstehend wird nur die freiwillige Veräußerung von KMU betrachtet. Sind gesetzliche Bestimmungen (wie Erbauseinandersetzungen, Scheidungsverfahren, Enteignungen etc.) ursächlich für den Anteilsverkauf, ändern sich die Rahmenbedingungen des Akquisitionsprozesses sowie die der Due Diligence (vgl. Koch/Wegmann 2002, S. 15-19).
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Zustimmung,
•
Ausführung,
•
Mitwirkung und
•
Information.
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Der Grad der Einflussnahme auf den Akquisitionsprozess kann über diese Unterscheidung für jeden Teilnehmer (Mitarbeiter/Berater) in jeder Prozessphase eindeutig festgelegt werden. Sind der Ablaufplan und die handelnden Personen definiert, sollten diese an den Schnittstellen zum Verkäufer und zu seinen Beratern kommuniziert und im Detail abgestimmt werden. Wenngleich diese Vorgehensweise für KMU-Transaktionen vergleichsweise technokratisch wirkt, hat sich dieses Vorgehen in der Unternehmenspraxis als sehr tragfähig und Ziel führend erwiesen. Zur Festlegung der Ablauforganisation kommt dem Controlling eine besondere Bedeutung zu. Der zuständige Controller hat die Erkenntnisse der Due Diligence an den Planungsprämissen, die die Grundlage für die Bewertung bilden, zu spiegeln. Ziel muss es sein, den Verhandlungsführer frühzeitig über neue Erkenntnisse zu unterrichten und die Auswirkung auf die Wertfindung zu erläutern. Vor diesem Hintergrund muss das Controlling gemeinsam mit dem Verhandlungsführer in der Steuerung des Due Diligence-Prozesses eine zentrale Rolle übernehmen. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass das Management der aufnehmenden Konzerngesellschaft (z.B. wegen mangelnder Akquisitionserfahrung) nicht zwingend in den Verhandlungsprozess integriert ist. Um die notwendige Akzeptanz des Vorhabens bei der aufnehmenden Gesellschaft frühzeitig zu wecken und zu erreichen, sind das Management und Fachkräfte dieser Gesellschaft in die Due Diligence-Analyse unbedingt einzubinden. In der Regel hat der Veräußerer großes Interesse an der Aufrechterhaltung seines Lebenswerkes und damit Ansprüche an die Verantwortlichen der aufnehmenden Gesellschaft, die die PostMerger Integrations-Phase (PMI) vollziehen. Der Grundstein für PMI-Maßnahmen wird über die Erkenntnisse der Due Diligence-Aktivitäten fixiert. Das Verhalten und die Kompetenz der in den Due Diligence-Prozess eingebundenen Mitarbeiter und Berater seitens des Käufers kann beim Verkäufer die Verkaufsbereitschaft massiv erhöhen. Die Due Diligence ist somit nicht nur im Kontext der Wertfindung, sondern auch im Kontext der Veräußerungsbereitschaft seitens des Verkäufers von erheblicher Bedeutung.
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Klaus Trützschler und Volker Hues
Der folgende Abschnitt zu Rahmenbedingungen von KMU-Akquisitionen wird die Notwendigkeit zur Strukturierung des Due Diligence-Prozesses weiter illustrieren.
4.2 Typische Rahmenbedingungen Im folgenden Abschnitt werden typische Rahmenbedingungen von KMUTransaktionen beschrieben, die auf die Analyseschwerpunkte Einfluss nehmen können und müssen. In der Unternehmenspraxis werden häufig umfangreiche Checklisten mehr oder weniger zur Exkulpation der Verantwortlichen abgehakt, ohne die wirklichen Chancen und Risiken des Vorhabens herauszuarbeiten (vgl. Koch/Wegmann 2002, S. 29 f.). Trägt man den Rahmenbedingungen in den Analyseschwerpunkten Rechnung, kann der Umfang der Due Diligence reduziert und die Qualität der Aussagen häufig drastisch erhöht werden.
4.2.1 Informationsasymmetrie(n) Beweggründe zur Durchführung einer Due Diligence sind Informationsasymmetrien zwischen Käufer und Verkäufer. Der Verkäufer verfügt üblicherweise über profunde Kenntnisse von Unternehmen und Markt. Die Bewertung des Targets hängt von der dokumentierten Erfolgsgeschichte der Vergangenheit und der Einschätzung der Zukunft ab. Liegen in einer Branche über Jahre eine stabile Marktentwicklung und eine aussagefähige Vergangenheit des Targets vor und ist der Erwerber darüber hinaus noch aus derselben Branche (horizontale Akquisition), sind Informationsasymmetrien vergleichsweise niedrig (vgl. Siegert/ Landwehrmann 2004, S. 49) und sollten im Rahmen einer Due Diligence zügig zu beseitigen sein. Im Hinblick auf die Informationsquellen zur Due Diligence kann zwischen externen und internen Daten differenziert werden. Externe Datenquellen wie Datenbanken im Internet, Kreditauskunfteien oder Veröffentlichungen, z.B. im Bundesanzeiger, können dem Käufer erste Hinweise auf das potentielle Target geben. Die Erfahrung zeigt, dass die Datenqualität von Auskunfteien für KMU häufig wenig befriedigend ist, und ferner Veröffentlichungspflichten von KMU gegen Zahlung von Strafgebühren umgangen werden. Die externen Quellen können dem Käufer insbesondere im KMU-Umfeld nur eine erste Indikation zum Target vermitteln.
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Je nach Unternehmensgröße und eigener Historie sind die internen Berichterstattungssysteme unterschiedlich gut entwickelt. In Kleinunternehmen wird die Gesamtbuchhaltung häufig extern von einem Steuerberater abgewickelt. Kostenrechnungssysteme liegen nicht vor, der Vertrieb wird über wenige manuell erstellte Statistiken geführt. Der Inhaber ist häufig zentraler Wissensträger. Treffen auf derartige Targets standardisierte Due Diligence-Checklisten zentraler Stäbe, müssen zwangsläufig Informationsasymmetrien auftreten. Die Informationslücken auf Grund fehlender Kostenträger- und Kostenstellenrechnung sowie in der Regel nicht vorhandener Produkt-/Kundendeckungsbeitragsrechnung etc. können nicht geschlossen werden. Neben diesen ungewollten Informationsungleichgewichten treten quasi gewollte Informationsasymmetrien sowohl auf der Käufer- als auch auf der Verkäuferseite auf. Auf der Käuferseite können Synergiepotentiale vorliegen, die den Verhandlungsspielraum im Wettstreit mit anderen potentiellen Käufern aus Sicht des Verkäufers verbessern. Ebenso können Sachverhalte vorliegen, die den Käufer zu Kaufpreisreduktionen und/oder zur Berücksichtigung im Gewährleistungskatalog veranlassen würden, über die der Verkäufer möglichst keinen Informationsaustausch wünscht. Es ist nötig, das Augenmaß in der Due Diligence zu bewahren. Gegenseitige Unsicherheiten sollen zielführend diskutiert werden. Verbleibende Unsicherheiten können durch (zeitlich befristete) Gewährleistungen möglichst mit finanzieller Hinterlegung (Escrow Account) abgefedert werden.
4.2.2 Externe Sachverständige Für den Inhaber eines KMU gibt es vielfältige Gründe, externe M&ADienstleister einzuschalten. Neben der Transaktionserfahrung und Fachkenntnis können M&A-Dienstleister ggf. die notwendigen personellen Ressourcen zur Verfügung stellen, um eine Due Diligence mit dem oder den potentiellen Käufern abzuwickeln (vgl. Müller-Stewens et al. 1999, S. 44 f.). Auch aus Sicht des industriellen Käufers birgt die Abwicklung einer Transaktion, die auf Verkäuferseite durch M&A-Dienstleister5 begleitet wird, nicht zwingend Nachteile. Die seitens des Käufers adressierten Fragen können mit Hilfe des Externen ggf. wesentlich zügiger und präziser beantwortet werden. Ferner kann der M&ADienstleister des Verkäufers bestimmte Sachverhalte leichter objektivieren und 5 Zu einer Übersicht der deutschen M&A-Berater mit einzelnen Profilen je Beratungsgesellschaft vgl. Müller-Stewens et al. (1999, S. 80-148).
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Klaus Trützschler und Volker Hues
somit als Moderator zwischen Käufer und Verkäufer die Due Diligence sachlich vorantreiben. Häufig wählt der Verkäufer allerdings keine ihm bisher unbekannten M&A-Berater. Je nach Unternehmensgröße haben KMUs in der Regel ein bis zwei Steuerberater und/oder Rechtsanwälte, die über Jahre zu Vertrauenspersonen des Gesellschafters herangewachsen sind. Üblicherweise wickelt der Veräußerer die Transaktion mit Hilfe der Beratungskompetenz dieser Personen ab. Der Erfahrungsraum dieser Berater für M&A-Transaktionen ist häufig begrenzt. Akquisitionsvorhaben werden mitunter gefährdet, sobald sich die involvierten Berater des Verkäufers mit den Fachabteilungen des Käufers in Kompetenzstreitigkeiten verwickeln und dabei die Lösung der Sachfragen nicht mehr im Mittelpunkt steht. Die Gefahr derartiger Streitigkeiten ist umso wahrscheinlicher, je unerfahrener die involvierten Berater auf der Veräußererseite sind. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, sollte die Einbindung der Berater des Verkäufers möglichst frühzeitig erfolgen. Damit wird ihnen ausreichend Zeit zur Vorbereitung der Beratung gegeben. Ferner können die Experten des Käufers die Transaktion im gemeinsamen Interesse (Käufer/Verkäufer) entsprechend vorstrukturieren. Haniel ist in der Lage, aus eigenen Reihen erfahrene Mitarbeiter in den Due Diligence-Prozess zu involvieren und damit häufig auch die Berater auf der Verkäuferseite als Mittler oder Fürsprecher zu gewinnen.
4.2.3 Entscheidungsvorbehalte/-gremien Konzerne basieren typischerweise auf hierarchischen Entscheidungsstrukturen. Die Intention der Gestaltung von Hierarchien liegt in der verstärkten Ausrichtung der Unternehmensmitglieder auf die Unternehmensziele. In dieser traditionellen Führungskonzeption wird unterstellt, dass hierarchische Strukturen auf formaler Macht basieren, die Mitarbeiter diese Strukturen vollständig akzeptieren und innerhalb der Strukturen im Interesse des Unternehmens agieren. Wenngleich diese Sichtweise ein theoretisches Extrem beschreibt, werden Entscheidungsstrukturen in der Unternehmenspraxis über Verfassungen wie Geschäftsordnungen nach diesem Gedankengerüst konstruiert. Zur Abstufung der Entscheidungshierarchien wird unter anderem die Höhe des Investitionsvolumens als Abgrenzungsmerkmal definiert. Verhandlungen zum Erwerb von KMU können und werden in derartigen Strukturen somit häufig nur unter dem Vorbehalt der Zustimmung höherer Entscheidungsebenen erfol-
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gen. Derartige Entscheidungsvorbehalte können die Verhandlungsposition des Käufers massiv schwächen. Realisiert der Verkäufer in der Schlussphase der Verhandlungen, dass sein Verhandlungspartner nur eingeschränkt autorisiert ist, das Vorhaben zu verhandeln, entsteht offensichtlich ein Machtgefälle. Vielfältige Reaktionen sind denkbar: So könnte der Verkäufer diese Erkenntnis als Vertrauensbruch interpretieren und von weiteren Verhandlungen Abstand nehmen. Alternativ könnte er die Verhandlung aussetzen, bis eine Entscheidung der übergeordneten Hierarchieebene vorliegt. Auf Basis einer Zustimmung der übergeordneten Hierarchieebene ist der Verkäufer sich der Akzeptanz des Vorhabens beim Käuferunternehmen sicher und kann seinen Verhandlungsspielraum entsprechend ausnutzen. Aus der Käuferperspektive sollte die höhere Hierarchiestufe frühzeitig in das Akquisitionsvorhaben zur Meinungsbildung eingebunden werden. Wie bereits im Abschnitt 2.1 ausgeführt, ist vor Abgabe eines ersten indikativen Angebotes in den Bausteinen I und II des M&I-Moduls der strategische Fit sowie die Integrationsmachbarkeit zu validieren. Diese Phasen werden bei Haniel genutzt, um mit der nächst höheren Hierarchieebene die grundlegende Akquisitionsbereitschaft abzuklären. Sollten KMU-Akquisitionen im fortgeschrittenen Verhandlungsstadium an der Genehmigung höherer Hierarchiestufen scheitern, ist der Ruf des potentiellen Käufers in der Branche negativ belastet. KMU sind in den jeweiligen Branchen (z.B. WashroomCare, TextileCare) in losen oder festen Kooperationen wie Verbänden oder Einkaufsgemeinschaften untereinander verbunden. Erfolgreiche Akquisitionsprojekte fördern in diesen Strukturen ein weiteres Unternehmenswachstum über Zukäufe; negative Erfahrungen wirken entsprechend kontraproduktiv. Geschwindigkeit ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor im Wettstreit um KMUAkquisitionen. Haniel ist auf Grund seiner schlanken Aufbau- und Ablauforganisation in der Lage, Investitionsentscheidungen über alle Ebenen sehr schnell zu treffen und entsprechende Transaktionen erfolgreich abzuschließen.
4.2.4 Wertermittlungsverfahren Die Auswahl des Wertermittlungsverfahrens ist für den Untersuchungsgegenstand insofern von Bedeutung, als die Verwendung unterschiedlicher Methoden zur Bewertung von Akquisitionsobjekten nicht zwingend zum gleichen Bewertungsergebnis führt (vgl. Klein/Jonas 2005, S. 173-195). Unterstellt man,
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Klaus Trützschler und Volker Hues
dass das Unternehmen weitergeführt werden soll (going concern), so lassen sich im Wesentlichen zwei Bewertungsverfahren unterscheiden.6 Aus der Unternehmensperspektive kann der Unternehmenswert mit Hilfe von Multiplikatoren und/oder Ertragswertverfahren wie dem DCF-Verfahren ermittelt werden.7 Der Vorteil von DCF-Verfahren liegt in der Offenlegung der einzelnen Wertkomponenten, die der Bewertung des Targets zu Grunde liegen (vgl. 2.1). Der Cashflow wird je Planungsperiode mit allen Bestandteilen ausgewiesen. Die seitens des Erwerbers verwendeten Wertsteigerungspotentiale (vergleichsweise niedriger Kaufpreis oder zukünftig hohe Einzahlungsströme) werden transparent. Verschiedene Szenarien (Best-/Worst Case) sowie deren Auswirkung auf den Unternehmenswert sind schnell und einfach nachvollziehbar. Diesem Bewertungsverfahren steht die Bewertung von Unternehmen aus der Marktperspektive gegenüber. Diese Verfahren ermitteln den Unternehmenswert durch die Gegenüberstellung des Targets zu ähnlichen, bereits realisierten Transaktionen aus der Vergangenheit. Das individuelle Bewertungsprofil wird über Multiplikatoren erfasst. Typischerweise wird der Unternehmenswert durch die Gegenüberstellung von Umsatz-, EBIT- und/oder Cash-flow-Multiples ermittelt. Wenngleich dieses Verfahren weniger Detailtiefe liefert, gibt es dem potentiellen Käufer und Verkäufer mit vergleichsweise geringem Aufwand eine erste Bewertungsindikation. Die Gefahr der oben skizzierten vereinfachten Marktbewertung liegt in der unzureichenden Vergleichbarkeit des Referenzobjektes. „Als Faktoren, bei denen weitgehende Übereinstimmung zwischen Bewertungsobjekt und Vergleichswert herrschen sollte, sind zu nennen: •
die Branchencharakteristika,
•
das Geschäftsfeldprofil,
•
die Lebenszyklusphase,
•
die Marktposition,
•
das Ertrags- und Risikoprofil sowie
•
eine hinreichende Informationsbreite (Menge an verfügbarer Information) und
6 Auf die Beschreibung der bis Ende der 1970er Jahre und später im Rahmen von Transaktionen zur Wertermittlung ostdeutscher Unternehmen verwendeten Substanzwertverfahren wird verzichtet. Die Entscheidungsrelevanz ist heute nur noch in Ausnahmefällen gegeben (vgl. Koch/Wegmann 2002, S. 184 f.). 7 Zu Bewertungsmethoden im Vergleich zwischen betriebswirtschaftlicher Unternehmensbewertung, IFRS Konzernabschluss und HGB-Anforderung siehe Trützschler et al. (2005, S. 403 f.).
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Informationstiefe (Informationsqualität) der Vergleichswerte.“ (Meerkatt et al. 2004, S. 22).
Der Marktbewertungsansatz stößt für KMU an seine Grenzen, wenn beispielsweise das Ertrags- und Risikoprofil zwischen den Referenzunternehmen deutlich voneinander abweicht. So ist die Zusammensetzung der Kundenstruktur von KMU im Geschäftsfeld WashroomCare und/oder TextileCare auf Grund der Historie der Wäschereiunternehmen häufig deutlich unterschiedlich. Einige Unternehmen weisen eine hohe Anzahl von kleineren und mittelgroßen Kunden ohne jegliche Großkunden im Krankenhaus- oder Hotelgeschäft aus. Eine derartige Risikostreuung kann beispielsweise über ein Umsatzmultiple nicht sinnvoll erfasst werden. Selbst ein Vergleich mit dem Branchendurchschnitt (Peer Groups) ist in diesem Geschäftsfeld nur begrenzt sinnvoll. Ungelöst ist bis heute sowohl in der Theorie wie der Unternehmenspraxis die Ermittlung von Abschlägen oder Aufschlägen zur Peer Group, um den angemessenen Unternehmenswert des Targets zu ermitteln. Ungeachtet der methodischen Rahmenbedingungen einerseits und der begrenzten Transaktionserfahrung von KMU andererseits wird das Marktwertverfahren im Vorfeld einer Akquisition vom Verkäufer zur Wertermittlung häufig herangezogen. Die Verkäufer kennen die „Kaufpreis-Multiples“ der Branche und legen für sich mit Hilfe dieser Multiples einen Zielwert als Kaufpreis für ihr Unternehmen fest. Der einmal durch den Verkäufer selbst ermittelte Kaufpreis ist in den Verhandlungen selbst mit für den Verkäufer nachvollziehbaren Argumenten nur schwer zu reduzieren. Die Bewertung über die oben genannten Multiples vereinfacht sehr stark komplexe Zusammenhänge und bietet somit Chancen und Risiken für den Käufer und den Verkäufer. Im Rahmen von Share Deals zum Erwerb von KMU wird auch heute vielfach nicht betriebsnotwendiges Vermögen (wie Immobilien) ohne besondere Bewertungsanpassung miterworben. Der Verkäufer sollte – wie der Käufer – unbedingt eine DCF-Bewertung auf Basis der Due Diligence erstellen, um die Bewertung über Multiples validieren zu können.
4.2.5 Kulturdisparitäten Der Begriff der Unternehmenskultur ist vielschichtig, eine allgemein anerkannte Begriffsdefinition liegt noch nicht vor (vgl. Högemann 2005,
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Klaus Trützschler und Volker Hues
S. 539-564). Für die weiteren Überlegungen wird zwischen Binnen- und Außenperspektive unterschieden (vgl. Hues 1998, S. 70 ff.). Die Unternehmenskultur kann aus der Binnenperspektive eines Unternehmens durch Normen, Verhaltensstandards, Geschäftsusancen und bestimmte Symbole wie Kleidung, Sprache der Mitarbeiter etc. zum Ausdruck kommen. In der Außenperspektive eines Unternehmens kann die Kultur über eine Vielzahl von Beschreibungsmerkmalen beobachtbar werden, wie z.B. •
Anzahl der Hierarchiestufen der Gesellschaft,
•
Durchschnittsalter der Geschäftsführung und
•
Höhe der variablen Gehaltsbestandteile.
Für den Untersuchungsgegenstand sind Disparitäten in den Unternehmenskulturen insofern von Bedeutung, als diese in der Akquisitions- wie Integrationsphase in der Verhaltensdisposition insbesondere des Käuferunternehmens zu berücksichtigen sind. Je nach Größe des KMU wird die Unternehmenskultur maßgeblich von dem Inhaber der Gesellschaft geprägt. Diese Vorbildfunktion äußert sich unter anderem in seiner Einstellung und seinem Verhalten im Unternehmen. Auf der Ausgabenseite sind Inhaber von KMU vergleichsweise zurückhaltend bis überaus sparsam, um mögliche Ansprüche der Mitarbeiter direkt zu vermeiden. Der potentielle Käufer sollte folglich auf verschwenderisches Verhalten durch Meetings in noblen Hotels und Restaurants verzichten. Das Verhalten des Käufers und seine gelebte Unternehmenskultur sind oftmals für den Verkäufer mit Blick auf die mögliche Integration seines Lebenswerks ähnlich bedeutend wie ein angemessener Kaufpreis. In der Unternehmenspraxis treffen zwischen KMU und Konzern häufig zwei „Welten“ aufeinander. Ursächlich ist, vereinfacht gesagt, die Trennung zwischen Kapital und Management. Es gibt Manager, die sich, insbesondere in Deutschland, über Statussymbole wie große Dienstwagen, Büros, Essen in noblen Restaurants etc. definieren. Der damit verbundene Aufwand belastet nicht unmittelbar das Einkommen des Managers. Der Eigenkapitalgeber und damit auch der Inhaber eines KMU hat derartige Aufwendungen direkt zu verkraften. Luxus wird typischerweise privat gelebt und nicht im Unternehmen nach außen getragen. Die deutliche Ausrichtung von Konzernen auf EVA-Bewertungssysteme sowie deren Alimentierung in Vergütung kann dazu beitragen, auch diese „Welten“ näher zusammen zu bringen.
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4.3 Inhaltliche Schwerpunkte Im folgenden Abschnitt werden Schwerpunkte einer Due Diligence von KMU herausgestellt und am Beispiel der Übernahme von KMU im Geschäftsfeld WashroomCare wie TextileCare illustriert.
4.3.1 Kundenbasis/Vertriebspotential Wie eingangs erläutert, hängt der Unternehmenswert maßgeblich von der zukünftigen Ertragskraft des Targets und damit von den bestehenden Kunden und Kundenpotentialen ab. Die Analyse der Kundenbasis sollte folgende Erkenntnisse liefern: •
Kundenstruktur nach Umsatz und (sofern vorhanden) Ergebnisbeitrag,
•
durchschnittliche Kundenbindung nach Segmenten, z.B. Branche/Unternehmensgröße,
•
Preiselastizität der vergangenen Jahre, d. h. Entwicklung der Nachfrage als Reaktion auf Preisänderungen entlang der Zeitachse.
Ziel muss es sein, auf Basis dieser Informationen die Umsatzplanung der nächsten Jahre zu validieren und ggf. Risiken zu identifizieren. Werden in Massengeschäften wie TextileCare und WashroomCare in der Kundengewinnung Standardverträge eingesetzt, sind insbesondere deren Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGBs) zu prüfen. Nennenswerte Risiken können sich ergeben, wenn in den AGBs kein automatischer Übergang der Kunden auf einen neuen Eigentümer geregelt ist (Stichwort: „Change of Control“). Es gibt ausreichend Fälle, in denen der neue Gesellschafter jeden Kunden mit Unterschrift zum Vertragsübergang bewegen muss. Ferner ist zu prüfen, welche Konsequenzen sich aus dieser vorzeitigen Kündigung oder Vertragsverlängerung ergeben. Ziel ist es festzustellen, wie stark die Kundenbindung in den Verträgen verankert ist. In derartigen Systemgeschäften haben AGBs grundlegende Bedeutung für das Geschäftsmodell. So gibt es Verträge, in denen regelmäßige Preiserhöhungen ausgeschlossen oder sogar fest vereinbart sind. Neben der Analyse der bestehenden Kundenbasis tritt die Analyse des Vertriebs. Ziel muss es sein festzustellen, inwieweit der Vertrieb maßgeblich auf den Inhaber oder bereits auf angestellte Mitarbeiter zurückgeht. Die Bedeutung des Inhabers als Vertriebsmotor nimmt zu, je geringer die Kundenanzahl und damit voraussichtlich die persönliche Bindung zwischen Kunde und Unternehmen ist.
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Selbst im Fall von horizontalen Akquisitionen, in denen der Grad an Informationsasymmetrien zwischen Käufer und Verkäufer vergleichsweise niedrig ist, sollte die Due Diligence eine eindeutige Aussage zu den Wettbewerbsvorteilen und ggf. Markteintrittsbarrieren (z.B. AGBs) liefern. Häufig gibt es interessante Ansätze, die das übernehmende Unternehmen unmittelbar im eigenen Unternehmen nutzen kann.
4.3.2 Bilanzierung/Steuern Die Erkenntnisse aus der Analyse der Jahresabschlussdaten sowie die Gestaltung der steueroptimalen Akquisitionsstruktur sind maßgeblich für die Bewertung des Unternehmens. Die Sachverhalte sind nach deutschen Rechtsnormen unmittelbar über das Konstrukt der Maßgeblichkeit/umgekehrten Maßgeblichkeit miteinander verkettet. Nachstehend kann im Rahmen dieses Beitrags nur auf wesentliche Eckpfeiler der Financial-Due Diligence und der Tax-Due Diligence eingegangen werden (vgl. Brauner/Lescher 2005, S. 395-433; sowie Brebeck/ Bredy 2005, S. 371-394 und Welbers 2005, S. 435-456). Ein erster Schritt liegt in der Festlegung der anzuwendenden Bilanzierungsvorschriften. So kann sich je nach Wahl der Bilanzierungsregeln (IFRS, HGB, US-GAAP) ein deutlich anderes Bild im Ausweis der Vermögens- und Ertragslage des Unternehmens ergeben. Bilanziert das zu erwerbende Unternehmen auf Basis der HGB-Vorschriften und wird der potentielle Käufer im Fall der Übernahme das Unternehmen nach IFRS bilanzieren, so sind die Auswirkungen aus der Änderung der Bilanzierungsregeln eingehend zu analysieren und die Konsequenzen in den Planungsprämissen der Renditerechnung (DCF) zu berücksichtigen. Sollten im Rahmen der Transaktion beispielsweise Pensionsverpflichtungen übernommen werden, die bis zur Übernahme unter HGB bilanziert wurden, ist im Fall der Erstkonsolidierung unter IFRS von nennenswerten Zuführungen zur Rückstellung auszugehen. Zweite wesentliche Grundlage der Analyse der Jahresabschlüsse ist der Vergleich der Ansatz- und Bewertungswahlrechte. Werden wesentliche Ansatzund Bewertungswahlrechte abweichend voneinander (Käufer/Verkäufer) ausgeübt, kann sich das Bild der Ertragslage des Unternehmens zumindest für einige Betrachtungsperioden massiv ändern. Am Beispiel des TextileCare- und WashroomCare-Geschäftsfeldes lässt sich eine Bewertungsanpassung wie folgt verdeutlichen: Werden die Produkte (Textilien, Handtuchautomaten etc.) seitens des Käufers über 2-3 Jahre abgeschrieben, das Zielunternehmen hingegen
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belastet die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) unmittelbar im Jahr der Installation der Produkte, verschiebt sich das Ertragsbild für 2-3 Jahre drastisch. Als weitere wesentliche Einflussgröße ist die Bewertung der Forderungen zu nennen. Werden diese vom Zielunternehmen eher „sporadisch“ wertberichtigt, wohingegen das Käuferunternehmen die Abwertung in Abhängigkeit von der Altersstruktur strukturiert, kann sich ebenso eine massive Ergebnisbewegung im Zeitpunkt der Unternehmensübernahme ergeben. Nicht zuletzt ist zu analysieren, ob wesentliche Ansatz- oder Bewertungswahlrechte des Targets im Zeitverlauf vor der Übernahme angepasst wurden und welche Konsequenzen sich daraus ergeben haben. Wird der Anpassung von Ansatz- und/oder Bewertungswahlrechten zum Zeitpunkt der Übernahme auch steuerlich Rechnung getragen, kann der Unternehmenswert auf DCF-Basis deutlich steigen oder fallen. Ursächlich ist die vergleichsweise hohe Sensitivität der Zahlungsströme, die nur über wenige Perioden abgezinst werden, oder mit anderen Worten, die der Auszahlung für die Akquisition als Einzahlung in naher Zukunft folgen. Ein dritter, wesentlicher Analyseschwerpunkt sollte auf die Kontierung und damit die Zuordnung von Aufwands- und Ertragspositionen in der GuV gelegt werden. Diese Analyse ist insbesondere für horizontale Akquisitionsprojekte von erheblicher Bedeutung, kann doch der industrielle Käufer vergleichsweise schnell über wesentliche Benchmarks aus eigener Erfahrung zukünftiges Potential oder auch wesentliche Unstimmigkeiten identifizieren. Besondere Beachtung soll der Analyse der sonstigen Aufwendungen und, falls gesondert ausgewiesen, den so genannten außerordentlichen Aufwendungen gewidmet werden. Nur eine möglichst umfassende und sachgerechte Allokation der Aufwendungen und Erträge kann dem Käufer einen Eindruck von der operativen Ertragskraft des Unternehmens ermöglichen. Die Daten sind ferner um Aufwendungen aus der Privatsphäre des Inhabers zu bereinigen; häufig werden nennenswerte Beträge über das Unternehmen abgewickelt (vgl. Bömelburg/Leupold 2002, S. 301). Die Tax-Due Diligence (vgl. Welbers 2005, S. 435-456) lässt sich unterscheiden in die Analyseschwerpunkte •
Bewertung der steuerlichen Situation des Targets und
•
Optimierung der Transaktionsstruktur.
In der Analyse der steuerlichen Situation steht die Identifikation und Quantifizierung etwaiger Steuerrisiken aus der Haftung gemäß § 75 AO (Haftung des Betriebsübernehmers) im Vordergrund. Der Betrachtungszeitraum ist üblicher-
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weise der noch offene Veranlagungszeitraum. Zur Analyse dieses Zeitraums empfiehlt sich die Einsichtnahme folgender Dokumente: •
Betriebsprüfungsberichte (inkl. Lohnsteueraußen- und Umsatzsteuersonderprüfung),
•
Änderungs-/HaftungsBetriebsprüfungen,
•
vorläufige Ergebnisse laufender, noch nicht abgeschlossener Betriebsprüfungen und
•
offene, (außer)gerichtliche Rechtsbehelfsverfahren und Betriebsprüfungen.
bzw.
Nachforderungsbescheide
aufgrund
von
Die Erkenntnisse der abgelaufenen Betriebsprüfung haben häufig wesentlichen Einfluss auf den noch offenen Veranlagungszeitraum und sind folglich zwingend zu analysieren. Diese Erkenntnisse können zur Validierung der bestehenden Steuerrückstellungen genutzt werden. Neben die Analyse der potentiellen Haftungspositionen tritt die Analyse der Steuereffekte, die nicht nur temporär, sondern dauerhaft zu Steuerbelastungen führen, d. h. sich auch nicht auf der Zeitachse durch Steuerminderung abschwächen (z.B. Tatbestand der verdeckten Gewinnausschüttungen auf Grund von überhöhten Tantiemen, Gehältern, Pensionszusagen sowie Darlehen der Gesellschafter zu marktunüblichen niedrigen Zinsen). Der zweite, wesentliche Aspekt der Tax-Due Diligence liegt in der Gestaltung der steueroptimierten Transaktionsstruktur. Üblicherweise ist eine gleichzeitige Steueroptimierung für beide Transaktionspartner nicht realisierbar. Im Fokus des Veräußerers steht möglichst die Vermeidung von Steuerlasten aus der Transaktion; der Käufer hingegen beabsichtigt den Unternehmenskaufpreis sowie die Finanzierungszinsen der Transaktion steuerlich abzugsfähig zu gestalten. Darüber hinaus besteht das Interesse des Verkäufers, ggf. bestehende Verlustvorträge steuerlich zu nutzen. Hat sich der Käufer von der operativen Funktionsfähigkeit des Targets überzeugt, so ist die Frage der steuerlichen Gestaltung des Unternehmens der zentrale Dreh- und Angelpunkt zur Fixierung der Kaufpreishöhe auf Käufer- und Verkäuferseite. Vor diesem Hintergrund empfiehlt sich, bereits direkt nach der ersten Kontaktaufnahme zum potentiellen Veräußerer die steuerliche Gestaltung mit den Fachexperten zu diskutieren. Im Fall von Familienunternehmen spielt beispielsweise das Lebensalter des Veräußerers sowie der Zeitpunkt des angedachten Übergangs eine maßgebliche Rolle.
Due Diligence bei kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU)
261
Wie bereits erwähnt, kann der industrielle Käufer im Wettstreit um KMUAkquisitionen durch kompetente Beratung auch unter Berücksichtigung der Verkäuferperspektive den notwendigen Rahmen zum erfolgreichen Abschluss einer Transaktion legen.
4.3.3 Recht/Umwelt Im Kern geht es im Rahmen der Legal-Due Diligence (vgl. Fritzsche/Griese 2005, S. 457-487) einerseits um die Prüfung der rechtlichen Zulässigkeit des Geschäftsbetriebes sowie der wirksamen rechtlichen Inhaberschaft des Kaufobjektes beim Verkäufer. Andererseits ist das Ziel, potentielle, verdeckte Bestandsund Haftungsrisiken zu identifizieren und möglichst zu quantifizieren (vgl. Picot 2005, S. 313-346). Aus der Vielzahl der zu prüfenden Rechtsbereiche gewinnt für den Untersuchungsgegenstand KMU das Thema Umweltschutzhaftung zunehmend an Bedeutung. „In Deutschland existieren derzeit rund 10.000 Umweltregelungen! In kaum einem anderen Land hat die Problematik von Umweltrisiken so stark an Bedeutung zugenommen wie am Standort Deutschland. Die Vielzahl von Gesetzen, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften macht die Analyse der Risiken zu einer diffizilen Aufgabe.“ (Jungblut 2003, S. 108) Die nachfolgenden Ausführungen werden sich auf diesen Aspekt konzentrieren, zumal Umweltrisiken neben erheblichen finanziellen Risiken auch strafrechtliche Konsequenzen für den Käufer mit sich bringen können (vgl. Betko et al. 2005, S. 565-584). Aus der Perspektive des Käuferunternehmens lassen sich direkte und indirekte Risiken differenzieren (vgl. Jungblut 2003, S. 108 ff.). Unter die direkten Risiken lassen sich Tatbestände wie Gebäudeschadstoffbelastungen, direkte oder indirekte Kontaminationen von Luft, Böden oder Wasser subsumieren. Die indirekten Risiken beziehen sich auf potentielle Imageschäden aufgrund umweltrelevanter Schäden, die in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Die Due Diligence von Umwelttatbeständen ist insofern komplex, als deren Abwicklung in der Regel nur unter Zuhilfenahme externer Gutachter und Juristen möglich ist. Hinzu kommt die Fülle von Vorschriften, deren Anwendungsnotwendigkeit für das Zielunternehmen nicht offensichtlich ist. Ist es dennoch gelungen, umweltrelevante Tatbestände zu identifizieren, liegt die Schwierigkeit in der Bewertung der Beseitigung derartiger Tatbestände. Für Transaktionen im Geschäftsfeld WashroomCare und TextileCare sind insbesondere Bodenuntersuchungen an alten Wäschereistandorten von Bedeutung. Die Wäschereien existieren teilweise seit einigen Jahrzehnten, in denen in der
262
Klaus Trützschler und Volker Hues
Vergangenheit ggf. chemische Stoffe zum Reinigen der Wäsche eingesetzt wurden. Entsprechende Boden- und Grundwasserbelastungen können die Folge sein. Wäschereiimmobilien, die auf Grund ihrer Lage oder der Größe des Gebäudes unterbewertet erscheinen, können unter Umweltaspekten zu einer Zeitbombe werden. Umweltrisiken werden oft im Hinblick auf die damit verbundenen Aufwendungen zur Beseitigung von Schäden als auch im Hinblick auf die benötigte Zeit zur Abwicklung der Schäden unterschätzt. Insbesondere bei KMUTransaktionen kann ein potentielles Umweltrisiko den Unternehmenswert schnell übersteigen. Selbst wenn die Abwicklung einer Umwelt-Due Diligence im Vergleich zu den anderen Due Diligence-Bereichen auf Grund von Gutachtertätigkeiten etc. sehr aufwendig ist, empfiehlt sich die Investition. Darüber hinaus ist im Kaufvertrag aus einer Umwelt-Due Diligence resultierenden Risikoaspekten sowohl mit Blick auf die Höhe als auch die zeitliche Befristung von Gewährleistungsansprüchen zwingend Rechnung zu tragen.
4.3.4 Informationstechnologie Die IT-Due Diligence (vgl. Koch/Menke 2005, S. 615-647) dient der Analyse der Leistungsfähigkeit bestehender IT-Systeme (Hard- und Software) sowie der Überprüfung der Datensicherheit und Existenz der notwendigen Lizenzen. Die Ausprägung der IT-Landschaft in KMU ist klassischerweise eher unterentwickelt. Das typische KMU investiert zunächst in die Produktion und/oder den Vertrieb, bevor IT-Infrastrukturen aufgebaut werden. Die Ursache für ein derartiges Verhalten liegt in der Geschichte derartiger Unternehmen begründet. Häufig ist der Inhaber oder auch die Nachfolgegeneration mit dem Unternehmen aufgewachsen; die wesentlichen Steuerungsinformationen sind dem Inhaber über Jahre bekannt. Häufig werden diese bewusst nicht an einen breiteren Kreis von Mitarbeitern gegeben, um bestimmte Abhängigkeiten möglichst zu vermeiden. Greift man an dieser Stelle nochmals auf das Geschäftsfeld WashroomCare und TextileCare zurück, so wird deutlich, dass derartige Geschäfte über Skaleneffekte mit einer hohen Anzahl von Kunden betrieben werden. Die Führung dieser Geschäfte erfordert dezidierte Informationen zur Steuerung des Unternehmens im „Centbereich“; der Erfolg und Unternehmenswert ist abhängig von der Kenntnis und Entwicklung einer überschaubaren Anzahl von Key Performance Indicators (KPIs). Die Datenanalyse und Aufbereitung ist nur unter Zuhilfenahme entsprechender IT-Hard- und -Software möglich.
Due Diligence bei kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU)
263
Je nach Größe des KMU können sich strategische Wettbewerbsnachteile aufgrund unzureichender Management-Informations-Systeme (MIS) ergeben. Neben die interne Steuerung tritt die Notwendigkeit, auch für Großkunden bestimmte Daten ggf. regelmäßig per Datenleitung zur Verfügung zu stellen. Sind derartige Systeme nicht vorhanden, werden solche Unternehmen im Wettbewerb um Großkunden von vornherein ausgeschlossen. Im Rahmen einer IT-Due Diligence gilt es, den kurz- bis mittelfristigen Investitionsbedarf und Bedarf an qualifizierten IT-Mitarbeitern zu ermitteln und diesen in der Unternehmensbewertung entsprechend zu berücksichtigen. In der Unternehmenspraxis werden die Aufwendungen zur Installation moderner ITArchitekturen (z. B. SAP, Oracle) häufig sowohl in der Zeitachse wie auch unter Aufwendungsgesichtspunkten massiv unterschätzt.
5
Wertsteigerungspotentiale (Chancen/Risiken)
Im folgenden Abschnitt werden drei Schlüsselpunkte zur erfolgreichen Übernahme von KMU thematisiert. Ziel ist es, mögliche Chancen und Risiken aufzuzeigen, die bei einer Due Diligence von KMU nicht zwingend im Fokus stehen. Für die Unternehmensbewertung und die potentiellen Wertsteigerungen in der Zukunft sind die nachstehenden Fragestellungen allerdings grundlegend.
5.1 Einbindung Alteigentümer, Familienmitglieder Neben die Analyse der Hard Facts tritt im Fall von Großakquisitionen üblicherweise ein Screening ggf. mit externer Unterstützung der zu übernehmenden Führungskräfte. Auf derartige Analysen wird im Rahmen von KMU-Transaktionen häufig verzichtet. Ursächlich ist bei inhabergeführten KMU meist die gewünschte Vertraulichkeit im Rahmen der Due Diligence. Damit fehlt ggf. eine objektivierte Sicht auf Mitarbeiter aus den Reihen des Targets, die in die Funktion des Geschäftsführers nachrücken könnten. Das Schließen dieser Führungslücke, die durch das Ausscheiden eines geschäftsführenden Gesellschafters entsteht, kann je nach Führungstyp bzw. -charakter grundlegend für den Erfolg der Integration und damit für die gesamte Transaktion werden. Aus Erfahrungen lassen sich vereinfacht zwei Typen von Inhabern differenzieren: einerseits Inhaber, die neben sich keine qualifizierten Nachwuchskräfte
264
Klaus Trützschler und Volker Hues
dulden (Typ: Patriarch), und Inhaber, die vergleichsweise früh bereit sind, die Führungsverantwortung zu teilen (Typ: Demokrat). Ein KMU, welches durch den Demokraten geprägt wurde, lässt sich in der Regel vergleichsweise unproblematisch durch einen divisionalen Konzern als Käuferunternehmen integrieren. Die folgenden Ausführungen zum anderen Extrem von Führungscharakter werden diese Einschätzung verdeutlichen. Der Führungstyp Patriarch stützt sein Verhalten auf Sanktions- und Informationsmacht. Diese Machtgrundlagen werden in der Regel genutzt, um Meinungen, Ideen oder Denkansätze zu unterbinden, die den Vorstellungen des Patriarchen nicht entsprechen. Losgelöst von der Bewertung eines derartigen Führungsverhaltens verfügt dieser Typ von Inhaber häufig über alle relevanten Daten und Kundenkontakte. In derartig geführten, durchaus erfolgreichen Unternehmen ist die IT und damit das Management-Informationssystem meist entsprechend unterentwickelt. Ziel des Käuferunternehmens muss es sein, diese Unternehmerpersönlichkeit zur Übergabe der Verantwortlichkeit zumindest für einen definierten Zeitraum zu binden. Dieses Vorhaben ist mit vielfältigen Herausforderungen verbunden. Der Aufbau von Hierarchien zur Ausrichtung dieser Persönlichkeit auf die Ziele des Käuferunternehmens scheidet grundsätzlich aus. Der potentielle Verkäufer wird sich in seinem Verhalten durch formale Machtgewalten (Hierarchien) nicht beeinflussen lassen. Gemeinsame Ziele und damit eine Verhaltensdisposition im Sinne des Käufers kann über die Konstruktion von Earn-out-Modellen erreicht werden. In diesen Earn-out-Modellen kann beispielsweise ein wesentlicher Teil des Kaufpreises nach Höhe und Zahlung an die Erreichung der gemeinsam entwickelten Planung fixiert werden. Diese Planung sollte auch Grundlage der Bewertung des gesamten Unternehmens sein. Wenngleich derartige Konstruktionen nicht uneingeschränkt die gewünschte Verhaltensdisposition sicherstellen können, können die Zielstrukturen von Käufer und Verkäufer in die gleiche Richtung gelenkt werden. In einer derartigen Funktion bleibt der Verkäufer für einen fest zu definierenden Zeitraum üblicherweise (Minderheits-)Gesellschafter. Diese Position ist für die Akzeptanz des Veräußerers mit der entsprechenden Außen- und Innenwirkung im Unternehmen sowie in der Gesellschaft von grundlegender Bedeutung. Sollte der ehemalige geschäftsführende Gesellschafter im Rahmen der Transaktion oder nach Abwicklung des Earn-out ausscheiden, ist im Kaufvertrag zwingend eine Wettbewerbsklausel zu berücksichtigen. Je nach Geschäftsfeld
Due Diligence bei kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU)
265
sollte damit sichergestellt werden, dass die Übernahme der bestehenden Geschäftsaktivitäten oder die Nutzung der Kenntnisse im Rahmen von Tätigkeiten bei Wettbewerbern nicht möglich werden.
5.2 Aufbau von Führungsstrukturen Die Überleitung der bestehenden Aufbau- und Ablauforganisation auf eine neue Führungsstruktur unterstellt einen vergleichsweise hohen Integrationsgrad, d. h. ein entsprechendes Ausmaß an Ressourcentransfer und/oder -austausch zwischen den Akquisitionsparteien. Diese Vorgehensweise ist im Fall von KMUTransaktionen üblich, insbesondere im Kontext der Übernahme von Systemgeschäften, deren Unternehmenswert bzw. Wertsteigerung deutlich über Skaleneffekte realisiert wird. Eine besondere Herausforderung liegt in der Übergabe der Führungsverantwortung und ggf. dem Aufbau von Führungsstrukturen. Wurde das Target vor Übernahme eher patriarchisch geführt, sind Mitarbeiter, denen Verantwortung eingeschränkt zugeteilt wurde, häufig nicht gewohnt, Entscheidungen zu treffen. Zum Teil lagen ihnen auch nur begrenzt Informationen zur Entscheidungsfindung vor. Für den Fall, dass der Inhaber bereit ist, die Führungsfunktion überzuleiten, empfiehlt sich insbesondere für horizontale Akquisitionen, einen erfahrenen Mitarbeiter des Käuferunternehmens zu installieren. Die Aufwendung für die zeitlich begrenzte Doppelbesetzung steht in der Regel in keinem Verhältnis zum Kaufpreis des Unternehmens und erhöht die Chancen einer erfolgreichen Integration. Für den Fall, dass der Inhaber unmittelbar nach der Transaktion ausscheidet und das Unternehmen in der Vergangenheit eher patriarchisch geführt wurde, empfiehlt sich je nach Unternehmensgröße ein (ggf. externes) Screening wesentlicher Mitarbeiter. Sollte sich der Bedarf ergeben, neben einem neuen Geschäftsführer weitere Mitarbeiter im erworbenen Unternehmen zu installieren, sollte ausdrücklich auf Vollzeitverantwortlichkeiten Wert gelegt werden. Aus der Perspektive des erworbenen Unternehmens ist es häufig nicht nachvollziehbar und inhaltlich nicht gerechtfertigt, dass sich Entscheidungsträger nur temporär mit dem neuen Konzernunternehmen beschäftigen. Mögliche Abneigungen gegen die Kultur des Käuferunternehmens werden unnötig geschürt. Ist eine vollständige Integration mit rechtlichem Untergang der erworbenen Gesellschaft angestrebt, sind den Ersparnissen aus der Reduktion der Anzahl der zu prüfenden Jahresabschlüsse potentielle Mehraufwendungen aus dem Ausgleich der Tarifstruktur und entsprechender Nebenleistungen gegenüber zu stellen. KMU ist es häufig gelungen, den Mitarbeitern, ungeachtet jeglicher gesetzli-
266
Klaus Trützschler und Volker Hues
cher Rahmenbedingungen, vergleichsweise niedrige Vergütungen zu zahlen. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass mittelfristig unter einem Unternehmensdach, das heißt im vorliegenden Fall innerhalb eines Unternehmensbereiches, unterschiedliche Tarifwerke nur in Ausnahmefällen bestehen können. Die aktuellen „Bewegungen“ an den Tarifmärkten könnten zukünftig benutzt werden, die Vergütungsstrukturen des KMU auch auf das Erwerberunternehmen zu übertragen, um dauerhaft Arbeitsplätze zu erhalten und wettbewerbsfähig zu bleiben.
5.3 Branding Die deutsche Wirtschaft ist bis heute durch eine hohe Anzahl von KMU geprägt. Diese Unternehmen sind häufig über Generationen im Familienbesitz. Eng verbunden mit dem Familiennamen ist üblicherweise der Firmenname bis hin zum Markenauftritt des Unternehmens. Je nach Geschäftsfeld werden auf der Kundenseite mit der jeweiligen Marke bestimmte Leistungsmerkmale verknüpft. Im Rahmen der Integration und möglicher Überlegungen zur Verschmelzung der übernommenen Gesellschaft können sich folgende rechtliche Konsequenzen ergeben: Ist beabsichtigt, das erworbene Unternehmen zu verschmelzen und entspricht der Firmenname auch der Marke des Unternehmens, so entfällt der Firmennamensschutz nach der Verschmelzung, es sei denn die aufnehmende Gesellschaft wird entsprechend umbenannt. Hingegen lässt sich die Marke weiterhin durch Eintragung beim Deutschen Patent- und Markenamt schützen. Sollte in der Folge eine Firma unter dem Namen des Targets eingetragen werden und ist diese in vergleichbaren Geschäften tätig, kann es zu unerwünschten Verwechslungen kommen. Üblicherweise kann sich in einem Rechtsstreit derjenige durchsetzen, der die älteren Rechte am Firmennamen nachweisen kann. Wird aus grundsätzlichen Überlegungen beabsichtigt, den erworbenen Firmennamen und die Marke aufrecht zu erhalten, sollte der Firmenname ggf. auf die übernehmende Gesellschaft übertragen werden. Ist beabsichtigt, langfristig auch auf die Marke zu verzichten, verfällt der Markenschutz fünf Jahre nach der aktiven Nutzung der Marke. Zu diesem Zeitpunkt können Dritte mit guten Erfolgsaussichten Rechte auf die Marke geltend machen. Wenngleich sich der Wert einer Marke und/oder eines Firmennamens nur schwer quantifizieren lässt, so kann dieser nicht nur für den Kunden, sondern auch für die Mitarbeiter von KMU bedeutend sein. Haben langjährige Mitarbeiter dieser „Marke“ ggf. über Jahrzehnte „gedient“, entsteht eine nicht zu unterschätzende Identifikation über die Marke zum Unternehmen.
Due Diligence bei kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU)
267
Sind Markenüberführungen aus grundsätzlichen Überlegungen gewünscht, sollten diese auch aus der Binnenperspektive des Unternehmens entsprechend professionell begleitet werden.
6
Zusammenfassung
Für den Erwerb von KMU aus der Perspektive eines divisional organisierten Konzerns als Käuferunternehmen lassen sich folgende Thesen aufstellen: •
Der industrielle Käufer ist über seine Erfahrungen und Instrumente in der Lage, im Wettstreit um KMU-Akquisitionen deutlich kompetenter und ggf. auch schneller als (kleine und mittlere) Branchenwettbewerber zu agieren.
•
Der im Rahmen einer Due Diligence hinterlassene Ruf eines potentiellen Käuferunternehmens hat maßgeblichen Einfluss auf die Veräußerungsbereitschaft des Veräußerers und potentielle zukünftige Akquisitionsbemühungen in der Branche.
•
Der Verzicht auf strukturelle Investitionen wie MIS oder den Aufbau einer zweiten Führungsebene führt zu vergleichsweise hoher Profitabilität von KMU zum Verkaufszeitpunkt.
•
Der mit der Integration von KMU verbundene Aufwand wird sowohl zeitlich als auch der Höhe nach unterschätzt.
•
Die wesentliche Herausforderung für horizontale KMU-Transaktionen liegt in der Überleitung der Führungsverantwortung vom geschäftsführenden Gesellschafter auf einen angestellten Manager.
Die Integration von KMU ist eine Herausforderung, jedoch keineswegs ein grundsätzliches Hindernis zur erfolgreichen Akquisition. Der Erwerb von KMU in dem skizzierten Geschäftsumfeld WashroomCare und TextileCare ist aus Sicht divisional organisierter Konzerne wie Haniel unverzichtbar.
268
Klaus Trützschler und Volker Hues
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Due Diligence bei kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU)
269
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Zur Schlüsselrolle des Unternehmers bei Investitionsentscheidungen in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) Zur Schlüsselrolle des Unternehmers
J. Hanns Pichler und Erwin Fröhlich
1
Aufgabenstellung............................................................................ 273 1.1 Charakteristika von KMU.................................................................273 1.2 Entscheidungsgrundlagen für Investitionen ......................................274 1.3 Zum Kostenproblem von Machbarkeitsstudien in KMU ..................275
2
Machbarkeitsstudien: qualitative und quantitative Faktoren .......... 276 2.1 Finanzanalyse und Finanzplanung ....................................................278 2.2 Branchenkennzahlen als Maßgrößen ................................................278 2.3 Unternehmensumfeld als Erfolgspotential ........................................279 2.4 Strategien und Konzepte ...................................................................280 2.5 Unternehmer als Erfolgspotential .....................................................281 2.6 Unternehmerische Werthaltungen, soziale Kompetenz und Ausbildung........................................................................................284
3
Konkretisierende Wirklichkeitsannäherung.................................... 284 3.1 Rationelle Datenerfassung und -verarbeitung ...................................285 3.2 Ausgewählte Fallstudien und ihre Evaluierung ................................285 3.3 Standardisierte Machbarkeitsstudien ................................................286
Literaturverzeichnis............................................................................... 292
Zur Schlüsselrolle des Unternehmers
1
273
Aufgabenstellung
Die anhand der Themenstellung formulierte Ausgangshypothese hinsichtlich der Rolle des Unternehmers in KMU allgemein und bei Investitionsentscheidungen im Besonderen zielt auf wissenschaftlich fundierte Ansätze und Hilfestellungen im Investitionsprozess durch Erstellung rationaler Entscheidungsgrundlagen in Form einschlägiger Machbarkeitsstudien zu erschwinglichen Kosten für KMU. 1.1 Charakteristika von KMU In der EU gelten als KMU oder small and medium sized enterprises (SMEs) neuerdings Betriebe mit bis zu 250 Beschäftigten. Mehrere für vorliegenden Beitrag relevante Quellen, wie z. B. die STRATOS-Studie, UNIDO-Manual for Small Businesses, die INTERSTRATOS-Studie, Bilanz- bzw. Branchen-Datenbank des österreichischen Instituts für Gewerbe- und Handwerksforschung (IfGH, Wien), nunmehr KMU-Forschung Austria, beziehen sich z. T. noch auf die ältere EU-Definition von bis zu 500 Beschäftigten; hinsichtlich der hier vorgestellten Ergebnisse bzw. Aussagen ist dies materiell jedoch von untergeordneter Relevanz. Die Größenproportionen zwischen kleinen, mittleren und – auch innerhalb von KMU – größeren Einheiten ergeben für Europa beispielsweise etwa folgende charakteristische Struktur (Tab. 1): Tab. 1:
Betriebsgrößenstrukturen ( Europa-19)1 (Quelle: ENSR 2002, 2003) KMU Nach Anzahl der Beschäftigten ≤9
50 - 249
GU
Total
≥ 250
Total
in 1000
17 820
1 260
180
19 260
40
%
92,3
6,5
0,9
99,8
0,2
100,0
Beschäftigte
in 1000
55 040
24 280
18 100
92 420
42 300
139 710
Beschäftigte
%
39,4
17,4
12,9
69,7
30,3
100,0
3
19
98
5
1 052
7
Anzahl der Unternehmen Betriebsgrößenstruktur
Beschäftigte pro Unternehmen
1
10 – 49
19 300
Umsatz pro Unternehmen
€ 1.000
440
3 610
25 680
890
319 020
1 550
Wertschöpfung pro Unternehmen
€ 1.000
120
1 180
8 860
280
126 030
540
Wertschöpfung pro Beschäftigten
€ 1.000
40
60
90
55
120
75
EU-15 plus Island, Liechtenstein, Norwegen und Schweiz
274
J. Hanns Pichler und Erwin Fröhlich
Als Wesensmerkmale von KMU – gegenüber den bewertungsrelevanten Charakteristika von Großunternehmen (GU) wie vielfach auch größerer Mittelunternehmen – gelten insbesondere: Für KMU typisch
Für GU typisch
• Der Unternehmer ist Zentrum betrieb• In der Regel weitgehend spezialisierte lichen Planens und Handelns (Typus des Fachleute in Planung, Organisation, Sombart’schen „Herrn Mikrokosmos“, Administration und Controlling, sowie der sein eigener Designer, Konstrukteur, in den operativen Bereichen (Forschung Qualitätskontrollor, Personalchef, Oberund Entwicklung, Marketing, Logistik buchhalter, Kundenbetreuer, u. a. m.). sowie Produktion). • Umfassende Erfahrung und Ausbildung des Unternehmers, dessen Vielseitigkeit naturgemäß z. T. lediglich „Mittelmäßigkeit“ in einzelnen Zuständigkeiten bzw. Leistungsbereichen bedingt.
• Betriebsintern verfügbare oder externe Berater als Spezialisten auf jeweiligem Fachgebiet bedürfen zumeist nur entsprechender betriebsinterner Koordination.
• Einsatz der persönlichen Kräfte und • Weitgehende Trennung von ManageMittel des Unternehmers wie auch seiment bzw. Unternehmensleitung einerner Familie (etwa in KMU-spezifisch seits und Eigentümer (auch Anteilseigweit verbreiteten Familienunternehmen). ner oder shareholder) bzw. Unternehmensrisiko und Kapitaleinsatz andrerseits.
1.2 Entscheidungsgrundlagen für Investitionen Steht bei Großprojekten die Erstellung von Machbarkeitsstudien mit einschlägigen Modellrechnungen weithin außer Frage (vgl. Behrens/Hawranek 1991 und das zugehörige Computerprogramm COMFAR), so mangelt es an ähnlich etablierten Lösungen und Ansätzen für den KMU-Bereich, wenngleich ein Aufholprozess und Umdenken diesbezüglich durchaus festzustellen ist; lediglich exemplarisch wären – speziell für Österreich – dahingehend zu nennen: •
Seit Anfang der 1970er Jahre Auf- und Ausbau von KMU-bezogenen Branchen-Datenbanken durch das bereits genannte Wiener IfGH, und damit verbunden;
•
ab Anfang der 1980er Jahre Beteiligung an einschlägigen internationalen Projekten, im Besonderen STRATOS 1985-90 (vgl. The STRATOS Group 1990), INTERSTRATOS 1991-95 (vgl. IfGH 1994; Haahti 1995; Haahti et al. 1998), sowie Erstellung des Manual for Small Industrial Businesses (UNIDO 1994);
Zur Schlüsselrolle des Unternehmers
275
•
mit Beginn der 1990er Jahre zunehmend intensivierte Mitarbeit an europäischen Datenbanken und einschlägigen KMU-spezifischen EU-Projekten;
•
Bewertungsmodell im Rahmen des INTERREG-Projektes, Standardisierte Machbarkeitsstudien für KMU, zusammen mit EUSIS (European Institute for Standardized Investment-Studies) und internationalen Projektpartnern (2004–2006).
1.3 Zum Kostenproblem von Machbarkeitsstudien in KMU Das Problem meist relativ hoher Kosten für Machbarkeitsstudien liegt darin, dass größere Kapitaleinsätze bzw. Investitionen auch im KMU-Bereich entsprechend seriöse Entscheidungsgrundlagen erfordern, von denen letztlich FortbeStudienkosten in % der Investitionskosten
Abb. 1:
Kosten von Machbarkeitstudien vs. Investitionsvolumen
276
J. Hanns Pichler und Erwin Fröhlich
bestand oder gar wirtschaftliche Existenz maßgeblich mitbestimmt werden. Anders als in GU ist im KMU Bereich nicht zu übersehen, daß die Kosten einschlägiger Machbarkeitsstudien zum jeweiligen Umfang von Investitionsprojekten vielfach in ein – mitunter krasses – Missverhältnis geraten (Abb.1). Ein Ausweg aus aufgezeigtem Dilemma – mit Blick zugleich auf erwähnte Wesensunterschiede zwischen KMU und GU – liegt in Möglichkeiten bzw. Verfahren zur Kostenreduktion durch (allenfalls für ganze Branchen relevante) maßgeschneiderte und standardisierte Bewertungs- bzw. Rating-Modelle für jeweilige Investitionsentscheidungen, einschließlich entsprechend EDV-gestützter Datenerfassung und -verarbeitung.
2
Machbarkeitsstudien: qualitative und quantitative Faktoren
Während einschlägige Finanzanalysen und -planung zweifellos unentbehrlich, geht es bei Investitionen in KMU stärker und ausgeprägter noch als bei GU um – gegebenenfalls weniger unmittelbar evidente – qualitative Einflussfaktoren.
Unternehmerprofil
Unternehmenskonzept
Talent, Typ, Werthaltungen
Unternehmensumfeld, Rahmenbedingungen
Strategische Orientierung
Kenntnisse Erfahrung
Gesellschaft und Wirtschaft
Marktcharakteristik, Marketingkonzept Produktionskonzept und Ressourcen
Abb. 2:
Basis zur Bewertung des Erfolgspotentials
Institutionelle Infrastruktur Marktorganisation und Marktzugang
Strategisches Dreieck als qualitative Ratinggrundlage (Quelle: EUSIS 2005)
Zur Schlüsselrolle des Unternehmers
277
Dies bedeutet strategisch gesehen entsprechende Berücksichtigung von zumeist schwieriger zu erfassenden oder zugänglichen Erfolgspotentialen. Diese Komplexität qualitativer Faktoren wird im „Strategischen Dreieck“ (Abb. 2) auf drei wesentliche Kernelemente konzentriert: auf Unternehmensumfeld, Unternehmenskonzept und Unternehmerprofil.
DATENERFASSUNG
Daten ergänzen
NEIN
Fragebogen vollständig?
Daten ergänzen
JA
Unternehmer TYPUS
RATING: Unternehmer
Unternehmer PROFIL
Unternehmerprofil vs. Branche/ Betrieb
UnternehmensUMFELD
RATING: Umfeld
Lebenszyklus BRANCHE, BETRIEB
UnternehmensKONZEPT
PLANBILANZ, GuV, CASHFLOW
STRATEGISCHE ORIENTIERUNG
Geschäftsplan
STANDORTWAHL
Finanzanalyse
Betrieb, Produktion
Unternehmerprofil vs. Technologie & Markt
Markt, Strategie
Ermittlung von Kennzahlen
Unternehmerprofil vs. Unternehmenskonzept
Sensitivitäts- u. Risikoanalyse, Rating
Zusammenfassung der einzelnen Bewertungsergebnisse, GESAMT-RATING
Abb. 3:
System zur Bewertung von KMU-Projekten
278
J. Hanns Pichler und Erwin Fröhlich
Aus diesem Grundansatz für eine darauf aufbauende Systemanalyse und Ratingbasis ergeben sich für eine Mehrzahl „typischer“ KMU-Projekte die wesentlichen Bausteine eines – letztlich auch für Standardisierung und Mehrfachnützung tauglichen – Bewertungsmodells (vgl. auch Abb. 7 im Anhang).
2.1 Finanzanalyse und Finanzplanung Außer Frage steht, wie schon angedeutet, dass für einschlägige Analyse bzw. Bewertung alle relevanten (auch quantitativ zu erfassenden) Größen herangezogen werden müssen. Qualitative Erfolgsfaktoren wären jedenfalls anhand relevanter Finanzdaten und Kennzahlen entsprechend zu ergänzen, um zu einem umfassenden Bewertungssystem als Ratingbasis zu gelangen. Das Diagramm (Abb. 3) soll einen Überblick über die wesentlichen Elemente in der Abfolge bzw. praktischen Durchführung im Bewertungsprozess einschlägiger Erfolgspotentiale vermitteln (ausführlicher hierzu Hawranek/ Fröhlich 2004). Eine detailliertere Übersicht zu verwendeten Begriffen und auf KMU entsprechend abgestimmte Gliederung von Bilanz und Ertragsrechnung findet sich im Anhang (Tab. 7).
2.2 Branchenkennzahlen als Maßgrößen Richtwerte für zwischenbetriebliche Vergleiche (auch „benchmarking“) sind heute weithin angewandte Diagnose- bzw. Analyseinstrumente in Unternehmen, für Steuerberater und Kreditgeber sowie als Grundlage für einschlägige Politikformulierung i. w. S. Ein exemplarischer Katalog betrieblicher Kennzahlen, erstellt auf Basis repräsentativer Bilanz- bzw. Branchendaten von KMU-Forschung Austria, findet sich im Anhang (Tab. 8). Von dabei als Vergleichsgrößen gebotenen Mittelwerten empfiehlt sich als „Benchmark” das oberste Quartil (Durchschnitt der 25 % erfolgreichsten Betriebe), mitunter auch Durchschnitt der jeweiligen Größenklasse des spezifisch zu bewertenden Test- bzw. Pilotbetriebes, mit jeweils sich anbietenden Varianten.
Zur Schlüsselrolle des Unternehmers
279
2.3 Unternehmensumfeld als Erfolgspotential Mag auch das vielgestaltige Umfeld eines Unternehmens wenig oder kaum beeinflussbar sein, zählt es einzelwirtschaftlich – insbesondere im KMU-Bereich – zu den keineswegs vernachlässigbaren, oftmals entscheidenden Erfolgsbedingungen. So etwa im Hinblick auf Standortfragen, auf gesellschaftliche, politische wie wirtschaftliche Rahmengebung, auf gegebene Bedarfsstrukturen, verfügbare Ressourcen oder technologische wie auch ökologische Bedingtheiten, weiters auf Voraussetzungen hinsichtlich institutioneller und physischer Infrastruktur sowie Marktbedingungen, einschließlich Wettbewerbsregelungen etc.
B edürfn Gesellsch isse der Men sc hen aftlich e & wirt Zielwel scha ftliche ng t u BETRIE hm B S-LE BE e ne NSPHASE ter has p N s Un g n u g ng d n g n u r n u g ü r u d n ie lt n u G d i r a ü l f de Gr im Vor nso En t glie Ko EN Um AS UNGS H P EID ESS CH OZ FUNKTIONSBEREICHE T S PR EN Unternehmer & Unternehmenspolitik ng tzu Unternehmensplanung & -organisation lse Zie g Personalwesen, Führungsmethodik nun Pla ation Finanzierung und Investition s i an Org idung Informations- & Rechnungswesen (EDV) he ts c Marketing / Absatz n E lle o Materialwirtschaft / Logistik n tr Ko Produktion Wirtsch a
ftsgrund lagen / Natur, Res Mensch, Umwelt, Rohstof sourcen fe Wissensc haft, Tec hnik
Abb. 4:
ur l z ng t te hu Mi rreic le Zie
Ganzheitliches Unternehmensmodell und -umfeld (Quelle: Fröhlich 1999)
Ökonomische Rahmenbedingungen Externe Hilfen
Gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen
Die Bewertung entsprechender Umweltfaktoren erfolgt im Modell anhand einer 5-teiligen Ratingskala: von 1 absolut hinderlich, über 2 ungünstig, 3 neutral, 4 günstig bis 5 sehr günstig (vgl. hierzu Tab. 6 im Anhang).
280
J. Hanns Pichler und Erwin Fröhlich
2.4 Strategien und Konzepte Das Erfordernis strategischer Überlegungen und Festlegungen bei größeren Investitionen ist längst akzeptierter Stand der Wissenschaft sowie zunehmend anerkannt und angewandt auch in der unternehmerischen Praxis. Mit bewusstem „Mut zur Lücke“ und unter Verzicht auf kostspieligeren Perfektionismus wird bei Machbarkeitsstudien für KMU in der Regel mit folgenden Ansätzen das Auslangen gefunden: 1.
2.
Erfassung nachhaltig strategischer Orientierung des Unternehmers, hinlänglich gesichert aus – z. T. auch für andere Bereiche erfragten – Kategorien persönlicher Verhaltensmerkmale und Werthaltungen (vgl. dazu Pichler/Voithofer 2006) . Erfassung strategischer Kompetenz und Voraussetzungen (Unternehmensziel, verfügbare Ressourcen, Marktbedingungen), wie z. B. einer bestimmten Marketingstrategie als Grundlage für entsprechend objektive Bewertung des Marketingkonzeptes (übereinstimmend etwa mit Produkt-/ Markt-Strategien, wie in Abb. 5 veranschaulicht). „alte“ Produkte
„alte“ Produkte anpassen
Produkte verändern
Nischenprodukte
„neue“ Produkte
„alter“ Markt expandierender Markt Marktnischen „neuer“ zukünftiger Markt
Abb. 5:
Marktdurchdringung
Produktentwicklung
Marktentwicklung
Diversifizierung
Produkt-/Markt-Strategien (Quelle: Ansoff 1958, zit. in Fröhlich et al. 1994; vgl. dazu Bamberger 1994; Ahokangas 1998)
3.
Evaluierung des zugrundeliegenden Marketingkonzeptes mit Fragen zur Marktcharakteristik (schrumpfend bis wachsend), über Anzahl bzw. Diversifizierung der Auftraggeber, Sortimentsbreite sowie Sortimentstiefe, Beschaffungs- und Absatzflexibilität, Preiserstellung im Vergleich zu Mitbewerbern, weiters über Vertriebsart und Verkaufsförderungspolitik (differenziert wiederum nach einer 5-teiligen Ratingskala für entsprechende Umsetzung in einschlägige Bewertung).
Zur Schlüsselrolle des Unternehmers 4.
281
Evaluierung des Produktionskonzeptes einschließlich Ressourcen und Logistik, analysiert und bewertet i. w. S. als konsistent bzw. relevant für den Investitionserfolg im Hinblick auf Unternehmensumfeld sowie gegebenes Marketingkonzept. Als Bewertungsgrundlage dient ein Modellprofil basierend auf branchentypischen Vergleichen oder einschlägigen Experteneinschätzungen. Wesentlich für den konkreten Bewertungsvorgang ist dabei vorab die Sicherstellung der Verfügbarkeit erforderlicher Technologien, von Fertigungsmaterialien, Hilfsstoffen und Energie in ausreichender Menge und zu angemessenen Preisen; weiters Verfügbarkeit notwendiger Kenntnisse (skills), einschlägiger Erfahrung und Fertigkeiten, von Voraussetzungen für Arbeitsschutz, Umweltverträglichkeit und Betriebssicherheit, sowie Ablaufkontrolle und Qualitätssicherung etc.
Anhand vorliegenden Konzeptes sind vorgesehene Bewertungen auf Basis fragenspezifischer Antwortschlüssel zweifach umzusetzen, einmal für das Erfolgspotential als solches, sodann auch risikobezogen (siehe ergänzend Kap. 3, unten).
2.5 Unternehmer als Erfolgspotential Während im GU der Unternehmer seine Funktion überwiegend als Anteilseigner (shareholder) im Tragen des Risikos erfüllt, ist er in KMU vorwiegend durch umfassend persönlichen Einsatz seiner Kräfte und Mittel geprägt. Wirtschaftshistorisch gesehen war der Unternehmer als Persönlichkeit in hohem Maße immer auch für den Kreditgeber ein Kriterium. Genoss er – und gegebenenfalls seine Familie – entsprechende Reputation im jeweils gegebenen gesellschaftlichen bzw. ökonomischen Umfeld wie auch in seinem menschlich ethischen Verhalten, bedeutete dies für Bankiers und sonstige Kapitalgeber zumeist abschätzbare Risiken. Die heutzutage sichtlich geringere Bedeutung des sog. „Personalkredits“ ist u. a. Folge zunehmender Betriebsgrößen mit steigenden Kreditrahmen und Risiken, aber auch von zunehmend dichterer Institutionalisierung im Finanzsektor generell sowie von Anreicherung bzw. Ausweitung einschlägiger Förder- und Anreizprogrammen für KMU speziell. Damit stellt sich – mit hier gegebenem Anspruch – zugleich die Frage auch, inwieweit „Reputation“ gemessen oder messbar gemacht werden kann für möglichst objektive Umsetzung in ein entsprechendes Bewertungs- bzw. Ratingsystem? Wenngleich die zentrale Bedeutung der Rolle des Unternehmers in dargestellten Dimensionen des Wirtschaftens (siehe Abb. 4) kaum anzuzweifeln ist,
282
J. Hanns Pichler und Erwin Fröhlich
erscheint gerade dieser Faktor in Theorie wie Praxis nach wie vor unterbelichtet oder nicht gebührend gewichtet. Erst zu Beginn des vorigen Jahrhunderts haben insbesondere Schumpeter (1912) und Sombart (1902, 1913) eben diese unverzichtbare Bedeutung des Unternehmers als Person aus systemisch marktwirtschaftlicher Sicht neu thematisiert und in die Debatte eingebracht. Dies wurde wissenschaftlich sodann weiter vertieft und ausgeformt etwa im Rahmen der KMU-spezifischen „Rencontres de St. Gall“ (seit 1948), mit grundlegenden Arbeiten und Beiträgen von Gutersohn (1977), Heinrich (1957, 1964, 19641967), Pleitner (1984), Pichler et al. (2000), bis hin zur sogenannten „Entrepreneurship“-Forschung auf heute breitester Basis mit zahlreichen Lehrstühlen und einschlägigen Publikationen mittlerweile weltweit. Hervorzuheben ist im gegebenen Zusammenhang auch das Verdienst des Adressaten dieser Festschrift (Bamberger 1981, 1986a; Bamberger/Pleitner 1998) insofern, als er – mit Unterstützung des European Institute for Advanced Studies in Management (EIASM) und anderer Mitstreiter – bereits in den 1980er Jahren ein internationales Forschungsprojekt lancierte, das ganz bewusst die angesprochene Rolle des Unternehmers mit seinen spezifischen Verhaltensweisen und damit die KMU in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses rückte; dokumentiert im sog. STRATOS-Projekt (für „Strategic Orientations of Small Businesses”, siehe Abb. 6) unter Beteiligung einschlägig ausgewiesener Wissenschafter aus acht ausgewählten europäischen Ländern (mit einer Reihe daraus in weiterer Folge entstandener wissenschaftlicher Untersuchungen, Dissertationen und sonstiger Veröffentlichungen).
Werte
Ziele
Strategien
Erfolg
Abb. 6:
Forschungsdesign STRATOS (Quelle: Fröhlich/Pichler 1988)
Unternehmensumfeld oder persönliche politische rechtliche ökonomische technische Rahmenbedingungen
Zur Schlüsselrolle des Unternehmers
283
Die dabei vom österreichischen Team der STRATOS-Gruppe schwerpunktmäßig bearbeiteten Aspekte waren in persönlichen Interviews erfragte 85 Variable unternehmerischer Werthaltungen (Fröhlich/Pichler 1988; Bamberger 1986b; Gabele 1984) mit daraus resultierenden – auch für vorliegende Thematik relevanten – vier spezifischen „Unternehmertypen“ (davon zwei grundlegende und zwei sozusagen „Mischtypen“), wie in Tab. 2 dargestellt. Tab. 2:
Unternehmertypen nach spezifischen Stärken und Schwächen (Quelle: Fröhlich/Pichler 1988)
Dynamisch-kreativ
Administrativ-exekutiv
Typus
stark (+)
stark (+)
Allrounder (A)
stark (+)
schwach (-)
Pionier (P)
schwach (-)
stark (+)
Organisator (O)
schwach (-)
schwach (-)
Routinier (R)
Ein Anschlussprojekt mit Schwerpunkt auf Internationalisierungsstrategien von KMU, vgl. Haahti (1995), bot die Gelegenheit, die anhand des STRATOSProjektes identifizierten Unternehmertypen (wiederum in acht europäischen Ländern mit Parallelerhebungen über eine Zeitreihe von 1991-95) auf deren Konsistenz zu testen unter Eingrenzung erwähnter (85) wertebezogener Variablen auf 12 Wertefragen, basierend auf einem diesbezüglichen Sample von über 2.500 KMU. Dieselben Wertefragen wurden, mehr oder weniger zeitgleich, im Rahmen einer Studie der European Foundation for Entrepreneurship-Research (EFER) über „Central and East European Dynamic Entrepreneurs” (Fröhlich/ Liechtenstein 2002) in weiteren sieben zentral- und osteuropäischen Ländern anhand eines Samples von nahezu 500 Unternehmen erprobt als gewissermaßen zusätzlicher Plausibilitätstest mit durchaus konsistenten Ergebnissen (Tab. 3).
284
J. Hanns Pichler und Erwin Fröhlich
Tab. 3:
Unternehmer-Grundtypen nach Ländern (Quelle: Haahti 1995; Fröhlich/Liechtenstein 2002)
LÄNDER Österreich Belgien Niederlande Schweiz Norwegen Schweden Finnland Westeuropäische Länder2 Bulgarien Tschechien Ungarn Polen Rumänien Slowakei Slowenien Zentral-/osteuropäische Länder Insgesamt
PIONIERE % 39 34 53 66 56 71 62 56
ORGANISATOREN % 61 66 47 34 44 29 38 44
N (Sample) 392 263 348 434 306 495 200 2438
42 57 71 46 22 63 45 47
58 43 29 54 78 37 55 53
89 63 59 52 93 51 77 484
54
46
2922
2.6 Unternehmerische Werthaltungen, soziale Kompetenz und Ausbildung Auf Basis ermittelter Typisierung unternehmerischer Einstellungen und Werthaltungen erschien es naheliegend, diese Merkmale auch im Hinblick auf jeweilige Verhaltensweisen für konkrete Investitionsentscheidungen zu prüfen; dies unter Einbeziehung zusätzlicher Faktoren wie soziale Kompetenz, einschlägige Aus- und Fortbildung bzw. Erfahrung, für eine entsprechend objektive Bewertung unter zugleich branchenspezifisch relevanten Aspekten (vgl. dazu Pichler 1998).
3
Konkretisierende Wirklichkeitsannäherung
Investitionsentscheidungen und dafür geeignete Instrumente bedürfen im Wege einschlägiger Machbarkeitsstudien gleichermaßen wissenschaftlicher Fundierung als auch praxisnaher Ansätze und Hilfen für deren konkrete und kostengünstige Umsetzung. 2
Ohne Großbritannien (unvollständiger Datensatz)
Zur Schlüsselrolle des Unternehmers
285
3.1 Rationelle Datenerfassung und -verarbeitung Im Wege einschlägiger Tests an konkreten Pilotbetrieben bzw. -projekten waren jeweils die kostengünstigste Datenerfassung und -verarbeitung zu prüfen für entsprechend standardisierte Bewertungs- und Ratingmodelle, mit Blick auf deren Anwendung bzw. Umsetzung in Machbarkeitsstudien zugeschnitten auf KMU, wie hier aufbereitet und vorgestellt als Prototyp.
3.2 Ausgewählte Fallstudien und ihre Evaluierung Voraussetzung und Herausforderung zugleich für entsprechende Programmierung begleitender Softwaretools auf benutzerfreundlichem Niveau liegt in jeweils objektiver Gewichtung der eingangs differenzierten Bewertungsfelder (Unternehmerprofil, Unternehmenskonzept, Unternehmensumfeld), ergänzt durch einschlägige Finanzanalyse mit genannten Feldern wiederum zuzuordnenden Einflussfaktoren bzw. Erfolgspotentialen (Tab. 4). Tab. 4:
Gewichtung der Bewertungsfelder (in %) (Quelle: Hawranek/Fröhlich 2004)
Unternehmerprofil: Dynamik, Kreativität, Organisationstalent, Führungsqualitäten, Soziale Kompetenz Ausbildung, Berufserfahrung
20% 8%
Unternehmensumfeld: Sozioökonomische Rahmenbedingungen, Institutionelle Infrastruktur
20% 10%
12%
Physische Infrastruktur, Marktbedingungen
10%
Unternehmenskonzept: Strategische Orientierung, Marketingkonzept, Produktionskonzept
10% 8%
Finanzanalyse: Cashflow aus Betriebsleistung
50% 40%
Um-/Durchsetzungsvermögen
2%
Finanzierung und Liquidität Betriebsleistung, Vermögens-/ Ertrags- und Kostenstruktur
5% 5%
Diese Gewichtungen sind lediglich prototypisch und jeweils konkret gegebenen Rahmenbedingungen (Umfeld, Branche, Markt- und Betriebsgröße, Standortbedingungen etc.) entsprechend anzupassen. Für die beiden hier vorgestellten Pilotprojekte bzw. -betriebe (Möbelerzeuger und Druckerei) erwiesen sich die Gewichtungen jedenfalls als brauchbar, mit durchaus plausiblen Testergebnissen (siehe dazu Tab. 5 im Anhang).
286
J. Hanns Pichler und Erwin Fröhlich
Anhand der hier erstellten (prototypischen) Machbarkeitsstudien für genannte Pilotbetriebe konnten folgende Testziele erfolgreich verwirklicht werden: a.
b. c.
Plausibilität der Ergebnisse, wobei – in einem der Fälle – sich zusätzlich eine unabhängig vergleichende Kreditprüfung als durchaus im Einklang mit dem im Modell angewandten Ratingsystem erwies. Entwickelter Software-Prototyp erfüllte die Erwartungen. Projekt-Zeitaufwand. Seitens Beraterteam einschließlich Firmen-Mitarbeit wurde die veranschlagte Anzahl von zwölf Mann-Tagen in keinem der Fälle überschritten.
3.3 Standardisierte Machbarkeitsstudien Die eingangs angesprochene Zielsetzung einer speziell für KMU wirtschaftlich vertretbaren Relation von Kosten einer Machbarkeitsstudie zur Höhe des jeweiligen Investitionsvolumens konnte anhand hier analysierter und einschlägig bewerteter Pilotprojekte zufriedenstellend verwirklicht werden, indem – wie angestrebt – im Wege entsprechender Standardisierung sowie gezielt aufbereiteter Arbeitsschritte (mit speziell erstellten Formblättern und vorprogrammierten Rechenoperationen) nachweisliche Einsparungen erzielt werden konnten. Weitere economies of scale könnten und sollten sich ergeben mit Erstellung zunehmender Anzahl einschlägiger Machbarkeitsstudien für jeweils branchentypisch ähnliche Investitionsprojekte und -entscheidungen, speziell zugeschnitten auf KMU.
Zur Schlüsselrolle des Unternehmers
287
ANHANG Tab. 5:
Anwendungsfälle für das Ratingsystem (Quelle: EUSIS 2005)
FINANZANALYSE Barwertmethode Finanzierung und Liquidität Vermögens- und Leistungsstruktur Ertrags- und Kostenstruktur Summe, Finanzanalyse
Projekt Projekt EUSIS KWI Erreichte Punkte 400 302 18 40 15 20 1 20 434 382
MAXMUM 400 50 25 25 500
UNTERNEHMERPROFIL Dynamik und Kreativität Organisation und Unternehmensführung Soziale Kompetenz Ausbildung und Weiterbildung Berufserfahrung und Mobilität Summe, Unternehmerprofil
16 12 12 51 55 146
18 20 18 21 31 108
28 28 24 60 60 200
UNTERNEHMENSUMFELD Gesellschaftliche Rahmenbedingungen Infrastrukturelle Rahmenbedingungen Marktorganisation und Marktzugang Summe, Unternehmensumfeld
14 26 6 46
30 52 30 112
60 80 60 200
UNTERNEHMENSKONZEPT Strategische Orientierung Marketingkonzept Produktionskonzept Umsetzung Unternehmenskonzept Summe, Unternehmenskonzept
14 8 8 11 41
15 0 0 7 22
20 30 30 20 100
PROJEKT-RATING
667
624
1000
288
J. Hanns Pichler und Erwin Fröhlich
Tab. 6:
Profile von Unternehmerwerten und -einstellungen
Werteindikatoren
20
1
2
3
4
5 21
1. Der Staat sollte die Gesetze des freien Marktes nicht einschränken - nicht einmal durch staatliche Förderungspolitik.
20 21 22
W
22
Z
3,7 3,5
2. Die Berufsverbände und ähnliche Organisationen sollten sich ausschließlich der Unterstützung ihrer Mitglieder widmen.
3,7 3,6 2,9
3. Veränderungen sollten in einer Unternehmung unbedingt vermieden werden.
1,7 1,6 2,1
4. Ein Betrieb sollte eine heimische Region nicht verlassen.
2,1 2,2 2,6
5. Arbeitsplätze sollten klar abgegrenzt und bis ins Detail beschrieben sein.
3.0 2,9 3,7
6. Unternehmer sollten eher planen als ihrer Intuition folgen.
3,2 3,1 3,4
7. Die Firmen sollten ausschließlich bewährte administrative Arbeitsabläufe und Produktionstechniken einführen.
3,0 2,9 2,6
8. Kleine Firmen sollten nicht zögern, mit großen Unternehmen Geschäftsbeziehungen zu unterhalten.
4,0 3,8
9. Die Chefs von Klein- und Mittelbetrieben sollten für die Einstellung aller Mitarbeiter pesönlich verantwortlich sein.
3,4 3,5 3,8
10. Führungskräfte sollten ihr Verhalten an ethischen Prinzipien ausrichten.
3,9 4,3
11. In Familienbetrieben sollte die Leitung in den Händen der Familie bleiben.
2,8 3,1
12. Das Geschäft sollte Vorrang vor dem Familienleben haben.
2,5 2,8 2,7
Fröhlich et al. (1994). Haahti (1995) mit Daten aus 1991, 1993 und 1995. Fröhlich/Liechtenstein (2002).
Zur Schlüsselrolle des Unternehmers Tab. 7:
289
Kennzahlen in Branchendatenbank der KMU-Forschung Austria (Quelle: IfGH o. J.)
Positionsbezeichnung
Gesamtdurchschnitt
Anzahl der ausgewerteten Betriebe Ertrags- und Rentabilitätskennzahlen Kapitalumschlag Umsatzrentabilität I (EGT vor Finanzierungskosten) Umsatzrentabilität II nach Finanzergebnis Gesamtkapitalrentabilität I (ROI) Gesamtkapitalrentabilität II (nach Finanzergebnis) Rohaufschlag Rentabilitätsziffer Korr. Cashflow in Prozent der Betriebsleistung Kennzahlen zum Vermögen Sachanlagenintensität Sachanlagenintensität (ohne Gebäude) Handelswarenvorrat in % der Betriebsleistung Lagerumschlagshäufigkeit Lagerdauer Kundenforderungen in % der Betriebsleistung Investitionen in % der Betriebsleistung Investitionsdeckung Kennzahlen zur Finanzierung und Liquidität Verschuldungsgrad Eigenkapitalquote Anlagendeckung Liquidität Geldeingangsdauer Lieferantenkreditdauer Schuldentilgungsdauer Produktivitätskennzahlen Bruttoproduktivität Nettoproduktivität
x % % % % % % %
% % % x Tage % % %
% % % % Tage Tage Jahre x x
oberes Quartil
unteres Quartil
Beispiel Betrieb
290 Tab. 8:
J. Hanns Pichler und Erwin Fröhlich Bilanz und Ertragsrechnung: Begriffe und Gliederung für KMU (Quelle: vgl. dazu insbesondere: Pichler et al. 2000; Behrens/Hawranek 1991)
BILANZ • Umlaufvermögen
CASHFLOW Investitionskosten
• Anlagevermögen ohne Finanzanlagen • Finanzanlagen
Anmerkung Operativer Cash OUTFLOW
Beteiligungen, Wertpapiere
Finanzieller Cash OUTFLOW
• Fremdkapital, kurzfristig • Fremdkapital, langfristig
Finanzieller Cash INFLOW
• Eigenkapital (Grundkapital und Reserven)
(FK-Tilgung = OUTFLOW)
• Gewinnvortrag/ Verlustvortrag
Gewinnverwendung, kein operativer Cashflow!
• Jahresüberschuß/ Fehlbetrag
Bestandteil des operativen CF
Operativer Cash IN/OUTFLOW
ERTRAGSRECHNUNG CASHFLOW Aufwand Kosten (zahlungswirksam) Operativer Cash OUTFLOW (Vermögensabgänge) Abschreibungen kein operativer Cashflow! Fremdkapitalzinsen Dem operativen Cash INFOW zuzurechnen Ertrag (Vermögenszugänge) Umsatzerlöse Operativer Cash INFLOW Gewinn / Verlust CF, soweit zahlungswirksam + nicht liquiditätswirksame Aufwendungen (Abschreibung, Nach Berichtigung: Rückstellungen) - nicht liquiditätswirksame Erträge NETTO CASHFLOW (operativer CF vor Neuinvestitionen/Desinvestitionen in Anlage- und Umlaufvermögen)
Zur Schlüsselrolle des Unternehmers
291
Daten aus Branchenanalysen erfasst mittels Branchenerhebungen und Rückmeldungen aus Projekten
Unternehmerprofil (Erfolgspotential), zu erfassen und zu bewerten in Bezug auf projektspezifische bzw. branchentypische Anforderungen
Umfeldfaktoren (z. B. Standortprofil) zu erfassen und zu bewerten in Bezug auf projektspezifische bzw. branchentypische Anforderungen
Unternehmenskonzept (Erfolgspotential) zu erfassen und zu bewerten in Bezug auf branchenspezifisch vergleichbare Unternehmen und Projekte
Abb. 7:
Branchendaten als Maßgrößen (Quelle: Hawranek/Fröhlich 2004)
Machbarkeit (Feasibility), bewertet auf Basis der Ergebnisse der Wirtschaftlichkeitsanalyse (Finanzanalyse) und der Bewertung des Erfolgspotentials
292
J. Hanns Pichler und Erwin Fröhlich
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Autorenverzeichnis
295
Autorenverzeichnis Autorenverzeichnis Dr. Dominik van Aaken, MBR, geboren am 01.06.1976 in Kevelaer. Studium an der Universität Eichstätt-Ingolstadt und an der Ecole de Supérieure des Sciences Commerciales d'Angers. Promotion (2007) am Institut für Unternehmenspolitik und strategische Führung an der Universität München. Seit 2006 Forschungsstipendiat am Zentrum für organisationstheoretische Grundlagenforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dr. Dr. Ayad Al-Ani, Jahrgang 1964. Dr. phil. et Dr. rer. soc.oec., Executive Partner bei Accenture, Wien. Lehraufträge an der Wirtschaftsuniversität Wien, Universität Wien, Verwaltungsakademie des Bundes, Wien und der Diplomatischen Akademie, Wien. Publikationen im Bereich Change Management, Strategisches Management, Internationale Wirtschaftspolitik und Verwaltungsreform. Dr. Stephan Cappallo studierte und promovierte am Fachgebiet Organisation & Planung der Universität Duisburg-Essen bei Univ.-Prof. Dr. I. Bamberger. Dort beschäftigte er sich mit vielen Themen aus dem Feld des strategischen Managements. Seit 2006 ist Dr. Cappallo im Strategischen Controlling der Vattenfall Europe AG tätig. Prof. Dkfm. Dr. Erwin Fröhlich, Studium Hochschule für Welthandel (jetzt Wirtschaftsuniversität); langjähriger Leiter des Instituts für Gewerbe- und Handwerksforschung (jetzt KMU-Forschung Austria), Wien. Einsätze als Experte für KMU in Österreich und UNIDO-Projekten der Entwicklungszusammenarbeit. Univ.-Prof. (em.) Dr. Dres.hc. Eduard Gaugler, geb. 1928 in Stuttgart, Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in München und Nürnberg. 1966/67 Univ.-Dozent in München. 1967-1972 Ordinarius für BWL an der Universität Regensburg. 1972-1996 Inhaber des Lehrstuhls für ABWL, Personalwesen und Arbeitswissenschaft der Universität Mannheim. 1973-1976 Rektor der Universität Mannheim. 1989-1991 Gründungsdekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt in Ingolstadt. 19911998 Direktor des Instituts für Mittelstandsforschung der Universität Mannheim. Seit 1977 Vorsitzender der Forschungsstelle für Betriebswirtschaft und Sozialpraxis e. V., Mannheim. Vorrangige Arbeitsgebiete: Betriebliches Personalwesen, betriebliche Sozialpolitik, Betriebsorganisation, Unternehmenspolitik.
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Prof. Dr. Klaus Haake, geboren am 11.02.1957, Abitur und Banklehre in München, 1978 bis 1982 Studium an der Universität St. Gallen mit Gastsemester an der Universtité Dauphine, Paris. 1982-1986 Promotion bei Prof. Dr. H. J. Pleitner zum Thema „Strategisches Verhalten von europäischen KMU“. Seit 1986 Lehrbeauftragter an der Universität St. Gallen. 1990 Gründung der eigenen Unternehmensberatung „Haake, Schröder Consulting AG", St. Gallen (heute HSP Consulting AG). 2001 Berufung durch den Senat der Stadt Berlin zum Professor an der Steinbeis Universität, Berlin. Dr. Volker Hues leitet seit der Gründung der HTS International GmbH im Jahr 2000 die Bereiche Finance, Controlling, Accounting und Risikomanagement. Als diplomierter Ökonom verantwortete Dr. Hues seit 1990 verschiedene Controlling-relevante Bereiche in der Haniel-Gruppe. Auf zwei Jahre Konzernrevision folgten sieben Jahre Beteiligungscontrolling bei der Franz Haniel & Cie. GmbH mit berufsbegleitender Promotion zum Thema „Unternehmensakquisition und -integration“. 1998 übernahm Dr. Hues das Chief Financial Office der bocoGruppe in Hamburg und wechselte 2000 als CFO zur Holding cws-boco International GmbH nach Duisburg. Prof. Dr. Dres. h.c. Werner Kirsch, geboren am 13.12.1937 in Augsburg. Promotion (1964) und Habilitation (1968) an der Universität München. 1969 Berufung auf einen Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Seit 1975 an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ehrendoktorat der Universitäten Witten/Herdecke und St. Gallen. Seit 2006 Leiter des Zentrums für organisationstheoretische Grundlagenforschung an der LudwigMaximilians-Universität München. Prof. Dr. Michael Kutschker studierte von 1965 bis 1970 Betriebswirtschaftslehre an den Universitäten Heidelberg und Mannheim. Von 1970 bis 1980 war er Assistent bei Prof. Dr. Dr. h.c. Werner Kirsch, zunächst bis 1975 in Mannheim und anschließend in München. Die Promotion erfolgte 1972, die Habilitation 1982. 1980 wechselte Prof. Dr. Michael Kutschker in die Industrie; u.a. war er mehrere Jahre Leiter des Marketings eines multinationalen Unternehmens. 1989 nahm er einen Ruf an den Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Internationales Management an die Universität StuttgartHohenheim an. Seit 1993 ist er Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Internationales Management an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät Ingolstadt der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.
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Univ.-Prof. Dr. Profs. h.c. Dres. h.c. Klaus Macharzina ist Emeritus für Betriebswirtschaftslehre, insb. Unternehmensführung, Organisation und Personalwesen und Leiter der Forschungsstelle für Export- und Technologiemanagement (EXTEC) der Universität Hohenheim, Stuttgart. Von 1974-1976 hatte er den Wolfson Chair of International Accounting an der University of Lancaster, GB inne. Von 1994-2002 war er Präsident der Universität Hohenheim. Er ist Honorary Editor der Management International Review, Fellow der Academy of International Business und Dean of the Fellows der European International Business Academy. Seine Forschungsinteressen konzentrieren sich auf das Internationale Management und International Corporate Governance Systems. Univ.-Professor Dr. Dirk Morschett ist Inhaber des Chair for International Management – Liebherr/Richemont Endowed Chair der Universität Fribourg/ Schweiz. Seine Forschungsgebiete umfassen Fragen des Internationalen Managements sowie Themen des Distributions- und Handelsmanagements. Em. Univ.-Professor Dr. Dr. h.c. J. Hanns Pichler, M. Sc., Wirtschaftsuniversität Wien; Präsident, KMU Forschung Austria;, Past-President und Board Member, International Council for Small Business (ICSB). Professor Dr. habil. Hans Jobst Pleitner ist seit dem Jahr 2000 hauptberuflicher Professor für Entrepreneurial Management an der Steinbeis-Hochschule Berlin. Er ist emeritierter Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre der Klein- und Mittelunternehmen der Universität St. Gallen, wo er von 1975-2000 Direktor des Schweizerischen Institut für Klein- und Mittelunternehmen war. Bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2002 war er Schriftleiter der Zeitschrift für Klein- und Mittelunternehmen. Er ist Träger des Goldenen Ehrenzeichens der Wirtschaftsuniversität Wien und Träger des Wilford-L. White-Award (für Forscher im Bereich KMU), verliehen durch den International Council for Small Business. Dr. oec. Alexander Rief promovierte am Lehrstuhl für Unternehmensführung, Organisation und Personalwesen an der Universität Hohenheim, Stuttgart und ist dort Mitarbeiter an der Forschungsstelle für Export- und Technologiemanagement (EXTEC). Dr. Hanna Schramm-Klein ist Wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbes. Außenhandel und Internationales Management, und am H.I.Ma. (Institut für Handel & Internationales Marketing) an der Universität des Saarlandes. Ihre Forschungsgebiete umfassen Fragen des Internationalen Managements, des Internationalen Marketing und des Distributions- und Handelsmanagements.
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Prof. Dr. Klaus Trützschler ist seit Oktober 2000 Mitglied des Vorstands der Franz Haniel & Cie. GmbH in Duisburg und als CFO verantwortlich für die Bereiche Bilanzen, Controlling, Finanzen, IT, Steuern und allgemeine Verwaltung. Nach seinem Studium der Mathematik in Würzburg, Freiburg und Bonn absolvierte er noch ein arbeits- und wirtschaftswissenschaftliches Aufbaustudium an der RWTH Aachen und der TU München, wo er nebenberuflich zum Dr. rer. pol. promovierte. Seit 2008 ist er Honorarprofessor an der Universität Münster. Univ.-Prof. (em.) Dr. Wolfgang Weber, Universität Paderborn, wirtschaftswissenschaftliches Studium in Heidelberg und Mannheim mit Abschluss Diplom-Kaufmann, Promotion und Habilitation an der Universität Mannheim, Professuren in Paderborn und an der Wirtschaftsuniversität Wien, von 1995 bis 2003 Rektor der Universität Paderborn, Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz 2002 bis 2004, 2005 bis 2008 Gründungsdekan der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg. Univ.-Prof. Dr. Thomas Wrona geb. 1965, ist Inhaber des Lehrstuhls für Organisation & Empirische Managementforschung an der ESCP-EAP Europäische Wirtschaftshochschule Berlin. Zuvor war er von 1993 bis 2003 wissenschaftlicher Mitarbeiter bzw. Assistent am Lehrstuhl für Organisation & Planung der Universität Essen (Lehrstuhl Prof. Dr. Ingolf Bamberger), an dem auch die Promotion und Habilitation erfolgten. Seine akademischen Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Strategischen und Internationalen Unternehmensführung und der Empirischen Managementforschung. Univ.-Professor Dr. Joachim Zentes ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Außenhandel und Internationales Management. Er ist Direktor des H.I.Ma. (Institut für Handel & Internationales Marketing) an der Universität des Saarlandes und Direktor des Europa-Instituts, Sektion Wirtschaftswissenschaft, der Universität des Saarlandes. Seine Forschungsgebiete umfassen Fragen des Internationalen Managements und des Internationalen Marketing.