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In der Reihe der Ullstein Bücher:
Ullstein Buch Nr. 3202 im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien A...
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In der Reihe der Ullstein Bücher:
Ullstein Buch Nr. 3202 im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Aus dem Amerikanischen von Klaus Fecher
SCIENCE-FICTION-STORIES Band 1 bis Band 48 SCIENCE-FICTION-STORIES 49 (Ullstein Buch 3148) Erzählungen von Larry Niven, Gerald Jonas, Theodore Sturgeon, Ron Goulart, Arthur Sellings
Umschlagillustration: ACE/Roehling Alle Rechte vorbehalten Alle Stories aus ROBOTS HAVE NO TAILS Copyright © 1943, 1948 by Lewis Padgett Übersetzung © 1976 by Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Printed in Germany 1976 Gesamtherstellung: Augsburger Druck- und Verlagshaus GmbH ISBN 3 548 03202 8 gescannt 04/2004 by Brrazo
SCIENCE-FICTION-STORIES 50 (Ullstein Buch 3153) Erzählungen von Larry Niven, James Tiptree jr., Frederik Pohl SCIENCE-FICTION-STORIES 51 (Ullstein Buch 3159) Erzählungen von Robert Sheckley, Burt Filer, Poul Anderson, Robert Silverberg, Brian W. Aldiss, Damon Knight, Samuel D. Delany, E. G. Von Wald SCIENCE-FICTION-STORIES 52 (Ullstein Buch 3166) Erzählungen von Colin Kapp, R. A. Lafferty, Sidney van Scyoc, Laurence Yep, Ryu Mitsuse SCIENCE-FICTION-STORIES 53 (Ullstein Buch 3178) Vier Erzählungen von Eric Frank Russell SCIENCE-FICTION-STORIES 54 (Ullstein Buch 3187) Erzählungen von Brian W. Aldiss, Fred Saberhagen, Katherine McLean, Terry Carr, H. H. Hollis SCIENCE-FICTION-STORIES 55 (Ullstein Buch 3195) Erzählungen von Tom Purdon, Ben Bova und Myron R. Lewis, Christopher Anvil, William F. Temple, Edward Jesby, C. C. McApp, Josef Nesvada, John Brunner, Robert Lory
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ScienceFictionStories 56 Drei Erzählungen von Lewis Padgett Herausgegeben von Walter Spiegl
ein Ullstein Buch 4
Inhalt 6 Die Welt gehört mir 84 Ex Machina 164 Das Versteck
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DIE WELT GEHÖRT MIR »Aufmachen!« rief das kleine Ding vor dem Fenster, das aussah wie ein Kaninchen. »Laßt mich 'rein! Mir gehört die Welt!« Mit einer unsicheren Bewegung rollte sich Gallegher von seiner Couch. Dann aber torkelte er unter dem unerwarteten Gewicht eines kolossalen Katers in einer Welt herum, die sich etwas verschwommen ausnahm. Erst nach und nach zeigte sein Laboratorium im trüben Morgenlicht festere Umrisse. Zwei mit Lametta behängte Dynamos schienen ihn vorwurfsvoll anzustarren, als wollten sie ihm ihren Sonntagsstaat übelnehmen. Warum Lametta? überlegte sich Gallegher, und es schwindelte ihn. Er mußte letzte Nacht angenommen haben, es sei Weihnachten. Während er noch über seinen Erinnerungen grübelte, rief ihn eine Wiederholung des quietschenden Gekreisches, das ihn aufgeweckt hatte, in die Gegenwart zurück. Vorsichtig drehte Gallegher sich um, wobei er als erfahrener Mann seinen Kopf zwischen beiden Händen festhielt. Ein kleines, behaartes, phantastisches Gesicht betrachtete ihn unverwandt durch das Plexiglas des nächstgelegenen Fensters.
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Es war ein Gesicht, wie man es nach einer Sauforgie eigentlich nicht ansehen sollte. Große, runde Pelzohren, gewaltige Augen und ein rosiger Nasenknopf, der ständig zuckte und schnüffelte. Und wieder schrie dieses Ding: »Aufmachen! Ich muß doch noch die Welt erobern!« »Gerechter Himmel!« murmelte Gallegher vor sich hin, dann ging er zur Tür und öffnete sie. Der Hof war leer bis auf drei ungewöhnliche Tierlein, die nun in einer Reihe vor ihm standen. Drei pelzige weiße Wesen, prall und flauschig wie Kissen. Drei rosarote Näschen zuckten. Drei goldene Augenpaare beobachteten Gallegher unverwandt. Drei Paar kurze Beinchen bewegten sich im gleichen Takt, als die Dinger über die Schwelle trippelten, wobei sie Gallegher fast von den Beinen fegten. Und das gab ihm den Rest. Gallegher eilte zu seiner Schnapsorgel, mischte sich einen kurzen, aber scharfen Schluck und sprühte ihn sich in die Gurgel. Er fühlte sich ein wenig wohler – ein wenig. Die drei Gäste saßen oder standen einer hinter dem andern, wie bisher, und starrten ihn unablässig an. Gallegher setzte sich auf sein Lager. »Wer seid ihr?« wollte er wissen. »Wir sind Lybblas«, sagte der vorderste. 7
»Aha.« Gallegher verdaute das erst einmal. »Und was sind Lybblas?« »Das sind wir«, sagten die Lybblas. Die Unterhaltung drohte eintönig zu werden, als sich in einer Ecke ein formloses Bündel Wolldecken zu bewegen begann, woraus sich ein nußbraunes verwittertes Gesicht mit viel zu vielen Fältchen herausschälte. Dem Gesicht folgte ein Mann, ein dünner, uralter und scharfäugiger Mann. »Na, du Trottel«, sagte der Mann, »du hast sie also 'reingelassen, wie?« Gallegher dachte nach. Der alte Knabe – ach natürlich, das war sein Großvater, der hier in Manhattan und auf einer Farm in Maine wohnte. Letzte Nacht – hm-m-m. Was war in der letzten Nacht los gewesen? Dunkel erinnerte er sich, wie sich Opa seines Fassungsvermögens gerühmt hatte, mit dem unvermeidlichen Ergebnis: ein Wettsaufen. Opa hatte gewonnen. Aber was war sonst noch geschehen? Er fragte. »Weißt du's denn nicht?« antwortete Opa. »Ich weiß das nie«, klärte ihn Gallegher müde auf. »So mache ich auch meine Erfindungen. Ich verschaffe mir einen Schwips und erfinde dann. Wie
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ich das mache, weiß ich nie genau. Ich erfinde nach dem Gefühl.« »Ich weiß«, nickte der Großvater. »Genau das hast du gestern auch gemacht. Siehst du?« Er zeigte in eine Ecke, wo eine große, rätselhafte Maschine emporragte, mit der Gallegher nichts anzufangen wußte. Sie summte still vor sich hin. »Das da? Oh! Was ist es?« »Du hast es doch erst gebaut. Du selbst. Gestern nacht.« »Nicht möglich. Ich? Warum?« »Woher soll ich das wissen?« Opa war entrüstet. »Du hast angefangen herumzubasteln, und schließlich war das Ding fertig. Dann hast du gesagt, es wär 'ne Zeitmaschine. Dann hast du sie eingeschaltet. Sicherheitshalber war sie auf den Hinterhof eingestellt. Wir gingen 'raus, um aufzupassen, und diese drei kleinen Kerle da erschienen plötzlich aus der leeren Luft. Wir haben uns dann zurückgezogen – ein bißchen rasch, wenn ich mich recht erinnere. Wo gibt's hier was zu trinken?« Die Lybblas tanzten schon unruhig auf und ab. »Heut' nacht war's ziemlich kalt da draußen«, sagte der eine vorwurfsvoll. »Du hättest uns hereinlassen sollen. Die Welt gehört doch uns.« 9
Galleghers langes Pferdegesicht wurde länger. »Aha. Soso. Nun, wenn ich Zeitmaschine gebaut habe – obwohl ich mich im geringsten daran erinnern kann – müßt ihr aus einer anderen Zeit kommen. Stimmt's?« »Klar«, pflichtete ihm »Fünfhundert Jahre oder so.«
ein
Lybbla
noch eine nicht wohl bei.
»Ihr seid nicht – Menschen? Ich meine – wir entwickeln uns doch nicht etwa in eure Richtung?« »Nein«, sagte der fetteste Lybbla beruhigend. »Jahrtausende würde es dauern, bis ihr euch zur beherrschenden Rasse fortentwickelt hättet. Wir stammen vom Mars.« »Mars – die Zukunft. Ich verstehe. Oh, ihr – sprecht Englisch auf dem Mars?« »In unserer Zeit gibt es Menschen auf dem Mars. Warum nicht? Wir sprechen Englisch, kennen alles, wissen alles.« Gallegher schluckte. »Und ihr beherrschende Rasse auf dem Mars?«
seid
die
»Nun, nicht ganz«, ein Lybbla zögerte. »Nicht auf dem ganzen Mars.« »Noch nicht mal auf dem halben Mars«, sagte ein anderer.
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»Nur im Koordytal«, bekannte der dritte. »Aber das Koordytal ist der Mittelpunkt des Universums. Hochzivilisiert. Wir haben Bücher. Über die Erde und so weiter. Und übrigens: wir werden jetzt die Erde erobern.« »Wirklich?« fragte Gallegher mit ausdrucksloser Miene. »Ja. In unserer Zeit konnten wir's nicht, weißt du, weil die Erdmenschen uns das nicht erlaubt hätten, aber hier wird es ganz einfach gehen. Ihr alle werdet unsere Sklaven sein«, sagte der Lybbla freudestrahlend. Er war nicht ganz dreißig Zentimeter groß. »Habt ihr irgendwelche Waffen?« fragte der praktisch denkende Opa. »Wir brauchen sie nicht. Wir sind schlau. Wir wissen alles. Unser Gedächtnis enthält gewaltige Dinge. Wir können Atomisierungspistolen bauen, Hitzestrahler, Raumschiffe –« »Nein, das können wir nicht«, entgegnete ein anderer Lybbla. »Wir haben keine Finger.« Und das stimmte. Sie hatten nette kleine pelzige Pfoten – ziemlich unpraktisch, dachte Gallegher. »Nun ja«, sagte der erste Lybbla, »wir werden uns von den Erdmenschen ein paar Waffen bauen lassen.« 11
Opa goß sich einen Whisky durch die Kehle und schüttelte sich. »Passiert hier eigentlich immer so was?« wollte er wissen. »Ich hab ja gehört, du wärst ein erstklassiger Wissenschaftler, aber ich hab mir immer vorgestellt, Wissenschaftler machten Atomzertrümmerer und solches Zeug. Was ist eine Zeitmaschine schon wert?« »Sie hat uns hierhergebracht«, sagte ein Lybbla. »Oh, welch glücklicher Tag für die Erde!« »Das«, klärte ihn Gallegher auf, »kommt auf den Standpunkt an. Aber ehe ihr ein Ultimatum an Washington schickt, wollt ihr euch nicht ein bißchen stärken? Eine Schüssel Milch oder so was?« »Wir sind doch keine Tiere!« sagte der fetteste Lybbla. »Wir trinken aus Tassen. Jawohl!« Gallegher brachte drei Tassen, machte ein bißchen Milch warm und goß ein. Er zögerte ein wenig, dann stellte er die Tassen auf den Boden. Die Tische waren doch reichlich hoch für die kleinen Wollbälle. Die Lybblas piepten: »Danke schön«, mit größter Höflichkeit, dann ergriffen sie die Tassen mit ihren Hinterbeinen und fingen an, mit langen rosaroten Zungen die Milch aufzuschlabbern. »Schmeckt gut«, sagte der eine. »Man redet nicht mit vollem Mund«, verwies ihn der dickste Lybbla, der offenbar der Anführer war. 12
Gallegher streckte sich auf seiner Couch aus und starrte Opa an. »Diese Geschichte mit der Zeitmaschine«, sagte er, »ich kann mich weiß Gott an gar nichts mehr erinnern. Wir müssen die Lybblas wieder nach Hause schicken. Ich werde etwas Zeit brauchen, um das Verfahren auszuarbeiten. Manchmal habe ich das Gefühl, ich trinke zu viel.« »Welch schnöder Gedanke«, sagte der Großvater. »Als ich in deinem Alter war, brauchte ich keine Zeitmaschine, um kleine Männer zu sehen. Guter Kornschnaps war genug«, fügte er hinzu und schmatzte mit seinen welken Lippen. »Du arbeitest zu viel, das ist es.« »Na ja«, sagte Gallegher hilflos, »ich kann nichts dagegen machen. Warum wollte ich das Ding überhaupt bauen?« »Keine Ahnung. Du hast fortwährend dummes Zeug geschwätzt, etwa davon, deinen eigenen Großvater umzubringen oder so etwas. Oder die Zukunft voraussagen. Ich konnte selbst nicht draus schlau werden.« »Augenblick mal. Ich erinnere mich – unklar. Das alte Zeitreise-Paradoxon. Seinen eigenen Großvater umzubringen –«
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»Ich hatte mir schon eine Axt zurechtgelegt, als du damit anfingst«, sagte Opa. »Bin noch nicht ganz darauf eingerichtet, jetzt schon abzutreten, junger Mann.« Er lachte krächzend. »Ich kann mich zwar noch ans Benzinzeitalter erinnern – ich bin aber immer noch ganz hübsch auf Draht.« »Und was war dann los?« »Die drei kleinen Kerle kamen durch die Maschine, oder was das nun ist. Du dachtest, du hättest sie nicht ganz richtig eingestellt, und das hast du dann in Ordnung gebracht.« »Möchte bloß wissen, was ich mir dabei gedacht habe«, überlegte sich Gallegher. Die Lybblas waren mit ihrer Milch fertig. »Wir sind so weit«, sagte der Dicke. »Jetzt wollen wir die Welt erobern. Wo müssen wir anfangen?« Gallegher zuckte die Achseln. »Ich fürchte, ich kann Sie dabei nicht beraten, meine Herren. Ich persönlich hatte nie die Absicht, etwas zu erobern. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie man so etwas anstellt.« »Als erstes zerstören wir die großen Städte«, sagte der kleinste Lybbla aufgeregt, »dann rauben wir hübsche Mädchen und verlangen Lösegeld. Dann hat jeder Angst, und wir gewinnen.«
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»Wie bist du nur darauf gekommen?« fragte Gallegher bewundernd. »Das steht in den Büchern. So wird's immer gemacht. Ich möchte noch ein bißchen Milch, bitte.« »Ich auch!« sagten zwei weitere piepsende Stimmchen. Gallegher grinste und gehorchte. »Ihr scheint nicht besonders überrascht zu sein, euch hier vorzufinden.« »Das steht auch in den Büchern.« Schlabbschlabb. »Ihr meint – das hier?« Galleghers Augenbrauen zogen sich in die Höhe. »Ach nein. Aber alles über Zeitreisen. Alle Romane in unserer Zeit handeln von Wissenschaft und solchen Sachen. Wir lesen 'ne Menge. Sonst ist bei uns im Tal nicht viel los«, schloß der Lybbla ein wenig traurig. »Und sonst lest ihr nichts?« »Doch, wir lesen alles. Wissenschaftliche Fachbücher und Romane. Wie man Atomzerstäuber macht und so weiter. Wir werden dir sagen, wie du Waffen für uns bauen sollst.« »Vielen Dank. Und solche Literatur ist dort der Öffentlichkeit zugänglich?« 15
»Gewiß. Warum nicht?« »Och, ich meine, ist das nicht ein bißchen gefährlich?« »Das finde ich eigentlich auch«, sagte der dicke Lybbla nachdenklich, »aber irgendwie ist es doch nicht so schlimm.« Gallegher überlegte. »Könnt ihr mir zeigen, wie ich einen Hitzestrahler machen soll, zum Beispiel?« »Ja«, war die eifrige Antwort, »und dann zerstören wir die großen Städte und rauben –« »Ich weiß. Hübsche Mädchen, und dann gibt's Lösegeld. Warum?« »Wir sind gewieft«, sagte ein Lybbla schlau. »Wir lesen Bücher, uns kann man nichts vormachen.« In der Aufregung warf er seine Tasse um. Er besah sich die ausgelaufene Milch und ließ die Ohren niedergeschlagen hängen. Gallegher brachte ihm neue Milch. »Dieser Hitzestrahler«, sagte er, »wie fängt man das denn –« »Ganz einfach«, sagte der dicke Lybbla und erklärte. Es war einfach. Opa verstand es natürlich nicht, aber er schaute interessiert zu, als sich Gallegher an die Arbeit machte. In einer halben Stunde war der
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Apparat fertig. Und es war tatsächlich ein Hitzestrahler. Er brannte ein Loch durch die Tür. »Donnerwetter«, sagte Gallegher, als sich der Rauch von verkohltem Holz nach oben kräuselte. »Das ist ja toll!« Er untersuchte das kleine Röhrchen in seiner Hand. »Man kann damit auch Leute umbringen«, murmelte der fette Lybbla. »Wie den Mann im Hinterhof.« »Ja, man kann – Was? Wie? Den Mann im –« »Hinterhof. Wir haben uns eine Zeitlang auf ihn gesetzt, aber er wurde bald kalt. Man hat ihm ein Loch durch die Brust gebrannt.« »Das wart ihr«, klagte Gallegher die Lybblas an und schluckte. »Ach was. Der kam auch aus 'ner anderen Zeit, denke ich. Das Loch in ihm stammt von einem Hitzestrahler.« »Wer… wer war es?« »Nie in meinem Leben gesehen«, sagte der fette Lybbla, den die Sache nicht mehr interessierte. »Ich will noch mehr Milch.« Er sprang auf die Fensterbank und spähte durch die Scheiben auf Manhattans Wolkenkratzer. »Juchhu! Die Welt gehört uns!«
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Die Hausklingel schrillte. Gallegher sagte ein bißchen bleich: »Opa, guck mal nach, wer das ist. Schick ihn auf jeden Fall wieder weg. Vermutlich jemand mit 'ner Rechnung. Die sind daran gewöhnt, weggeschickt zu werden. Mein Gott! Ich hab noch nie zuvor einen umgebracht –« Großvater murmelte etwas vor sich hin, dann ging er. Er ließ sich nicht weiter über das Thema aus. Gallegher ging auf den Hinterhof, und die kleinen Gestalten der Lybblas hoppelten mit. Das Schlimmste war eingetroffen. Mitten im Rosenbeet lag eine Leiche. Der Tote war ein Mann, bärtig und vom Alter gezeichnet, kahlköpfig, und er trug sonderbare Sachen, die offenbar aus schmiegsamem, gefärbtem Zellophan gefertigt waren. Kleidung und Brust des Mannes wiesen ein Loch auf, das nur von einem Hitzestrahler verursacht worden sein konnte. »Irgendwie kommt er mir bekannt vor«, überlegte Gallegher. »Keine Ahnung, warum. War er schon tot, als er aus seiner Zeit hierher transponiert wurde?« »Tot schon, aber noch warm«, sagte der eine der Lybblas. »Es war sehr angenehm.« Gallegher unterdrückte ein Schaudern. Diese entsetzlichen kleinen Wesen! Andererseits mußten 18
sie aber harmlos sein, sonst hätte man ihnen in ihrer eigenen Zeit nicht so gefährliche Lektüre erlaubt. Gallegher machte sich wegen der Lybblas viel weniger Sorgen als wegen der Leiche im Rosenbeet. Opas schimpfende Stimme drang an seine Ohren. Die Lybblas huschten unter geeignete Büsche und versteckten sich, als drei Männer den Hinterhof betraten und Opa mitschleiften. Die blauen Uniformen mit den Messingknöpfen sehen und den Hitzestrahler in ein Gartenbeet werfen, das war für Gallegher eine Reflexbewegung. Verstohlen schob er mit dem Schuh Erde darüber. Er legte sein Gesicht in Falten, von denen er hoffte, daß sie den Eindruck eines verbindlichen Lächelns verursachten. »Hallo, Jungs. Ich wollte gerade das Revier verständigen. Jemand hat einen toten Mann in mein Gärtchen fallen lassen.« Zwei der Neuankömmlinge waren Polizisten, massive, mißtrauische und scharfäugige Kerle, Der dritte war ein schmächtiger, vornehm aussehender Mann. Graublondes Haar klebte dicht an seinem schmalen Schädel, und er trug einen bleistiftdünnen Schnurrbart. Er sah einem Fuchs recht ähnlich. Er trug das Abzeichen eines ehrenamtlichen Polizisten – das mochte wenig oder viel besagen, es kam auf den Mann an. 19
»Konnte sie nicht loswerden«, sagte der Großvater. »Jetzt sitzt du in der Falle, junger Mann.« »Er macht Witze«, erklärte Gallegher den Polizisten. »Ehrenwort, ich wollte gerade –« »Heben Sie sich das auf. Wie heißen Sie?« Gallegher sagte, er heiße Gallegher. »Aha.« Der Polizist kniete nieder und untersuchte den Toten. Er atmete scharf aus. »Donnerwetter! Was haben Sie denn mit dem angestellt?« »Nichts. Gar nichts. Als ich heut morgen herauskam, lag er da. Vielleicht fiel er irgendwo da oben aus dem Fenster.« Unsicher deutete Gallegher zu den ringsherum aufragenden Wolkenkratzern hinauf. »Nee. Nichts gebrochen. Sieht aus, als hätten Sie ihn mit einem glühenden Schüreisen erstochen«, bemerkte der Polizist. »Wer ist es denn?« »Keine Ahnung. Nie zuvor gesehen. Wer hat Ihnen denn gesagt, daß –« »Man soll nie Leichen offen herumliegen lassen, Mr. Gallegher. Irgend jemand in einer Dachwohnung – wie zum Beispiel da oben – könnte sie sehen und die Mordkommission an den Bildschirm rufen.« »Oh! Ach! Ich verstehe.« 20
»Wir kriegen schon heraus, wer den Kerl hier umgebracht hat«, sagte der Beamte höhnisch. »Machen Sie sich da nur keine Sorgen. Und wir bekommen auch heraus, wer er ist. Vielleicht wollen Sie aber auch jetzt schon reden und uns die Mühe ersparen.« »Indizienbeweise –« »Das können Sie später anbringen.« Eine weitausladende Handbewegung. »Ich werd jetzt mal das Präsidium anrufen und die Jungs und den Leichenbeschauer kommen lassen. Wo ist das Visiphon?« »Zeig's ihm, Großvater«, sagte Gallegher erschöpft. Der vornehme blonde Mann trat einen Schritt vor. Seine Stimme war knapp und befehlsgewohnt. »Groarty, sehen Sie sich mal im Haus um, während Banister anruft. Ich passe hier auf Mr. Gallegher auf.« »Okay, Mr. Cantrell.« Die Beamten entfernten sich mit Opa. Cantrell sagte: »Entschuldigen Sie, bitte«, und trat rasch auf Gallegher zu. Seine schlanken Finger wühlten die Erde zu Galleghers Füßen auf und förderten den Hitzestrahler zutage. Mit leichtem Lächeln untersuchte Cantrell den Strahler. 21
Galleghers Herz fing an zu stottern. »Na, wo kommt denn das her?« fragte er heiser, ein verzweifelter Versuch. »Sie haben es da versteckt«, berichtete ihm Cantrell. »Ich hab's gesehen. Ein Glück für Sie, daß es den Polizisten entgangen ist. Ich denke, ich behalte das.« Er ließ das kleine Röhrchen in die Tasche gleiten. »Das ist eine verdammt komische Wunde in Ihrer Leiche –« »Es ist nicht meine Leiche!« »Sie liegt in Ihrem Garten. Ich interessiere mich für Waffen, Mr. Gallegher. Was ist denn das hier für ein Apparat?« »Äh – so 'ne Art Taschenlampe.« Cantrell holte den Strahler hervor und richtete ihn auf Gallegher. »Ich verstehe. Wenn ich hier auf den Knopf drücke –« »Es ist ein Wärmestrahler«, sagte Gallegher hastig und duckte sich, »um Himmels willen, Mann, seien Sie vorsichtig!« »Hm-m-m. Haben Sie das konstruiert?« »Ich … ja.« »Und Sie haben diesen Mann damit umgebracht?« »Nein!«
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»Ich möchte vorschlagen«, sagte Cantrell und steckte den Strahler wieder ein, »daß Sie über diese Sache den Mund halten. Wenn die Polizei diese Waffe hier erst mal in die Finger bekommt, sind Sie geliefert. Wie die Dinge jetzt stehen – keine Pistole könnte eine solche Wunde hervorrufen. Die Beweisführung wird schwierig werden. Ich weiß nicht, warum, aber ich glaube nicht, daß Sie diesen Mann getötet haben, Mr. Gallegher. Vielleicht spielt da Ihr Ruf mit. Sie sind als – hm – eigenartig bekannt, aber wir wissen auch, daß Sie ein recht guter Erfinder sind.« »Danke«, sagte Gallegher, »aber … der Strahler gehört mir.« »Soll ich ihn als Beweisstück den Beamten übergeben?« »Er gehört Ihnen.« »Schön«, sagte Cantrell und grinste. »Will mal sehen, was ich für Sie tun kann.« Er konnte nicht viel tun, wie sich herausstellte. Fast jeder konnte zum ehrenamtlichen Polizisten ernannt werden, aber politischer Einfluß bedeutete nicht notwendig auch gute Beziehungen zur Polizei selbst. War die Gesetzesmaschinerie einmal in Gang gebracht, ließ sie sich nicht einfach wieder anhalten. Glücklicherweise wurden zu Galleghers Zeit die 23
persönlichen Freiheiten respektiert, aber das hing hauptsächlich mit der Entwicklung der Nachrichtentechnik zusammen. Ein Verbrecher konnte einfach nicht mehr entfliehen. Die Beamten trugen Gallegher nur auf, Manhattan nicht zu verlassen; sie konnten sich darauf verlassen, daß er bei einem Versuch sehr rasch mit Hilfe des Fernsehsystems wieder eingefangen würde. Es war noch nicht mal nötig, Wachen aufzustellen. Galleghers dreidimensionales Foto befand sich bereits in den Verkehrszentren Manhattans: Wollte er versuchen, einen Platz auf einem Stratoschiff oder einem Ozeangleiter zu bestellen, so würde er umgehend erkannt und mit einem milden Verweis wieder nach Hause geschickt werden. Der verblüffte Leichenbeschauer hatte die Überführung des Toten ins Leichenhaus überwacht. Die Polizei und Cantrell waren gegangen. Opa, die drei Lybblas und Gallegher saßen im Labor und starrten sich an. »Zeitmaschine«, sagte Gallegher und drückte auf einige Tasten seiner Schnapsorgel. »Bah! Warum mach ich bloß solche Sachen?« »Die können nicht beweisen, daß du schuldig bist«, sagte der Großvater ermutigend.
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»Gerichtsverhandlungen kosten Geld. Wenn ich keinen guten Anwalt bekomme, geht's mir dreckig.« »Wird dir nicht vom Gericht ein Anwalt gestellt?« »Natürlich, aber auf die Art ist mir auch nicht geholfen. Aus der Rechtswissenschaft ist heute so etwas wie ein dreidimensionales Schachspiel geworden. Man benötigt eine Armee von Experten, wenn man alle Kniffe ausnutzen will. Ich könnte verurteilt werden, bloß weil ich eine kleine Schlinge im Gesetz übersehe. Anwälte spielen in unserer lokalen Politik die Rolle des Züngleins an der Waage. Also haben sie Beziehungen. Schuld oder Unschuld bedeutet nicht so viel wie den besseren Anwalt zu haben. Und dazu braucht man Geld.« »Du wirst kein Geld nötig haben«, sagte der dickste Lybbla. »Wenn wir die Welt erobern, richten wir unser eigenes Währungssystem ein.« Gallegher hörte nicht auf den Rat. »Hast du ein paar Dollar bei dir, Opa?« »Nein. Droben in Maine hab ich nie viel gebraucht.« Gallegher warf verzweifelte Blicke im Laboratorium umher. »Vielleicht kann ich etwas verkaufen. Der Hitzestrahler – nein, lieber nicht. Ich wäre erledigt, wenn jemand wüßte, daß ich so was hatte. Ich will bloß hoffen, daß Cantrell den Mund 25
hält. Die Zeitmaschine –« Er ging hinüber und starrte auf den rätselhaften Apparat. »Wenn ich bloß wüßte, wie das Ding funktioniert. Oder warum es überhaupt funktioniert.« »Hast du's nicht selbst gebaut?« »Mein Unterbewußtsein war das. Es macht die blödesten Sachen. Wozu ist bloß dieser Hebel da.« Gallegher zog daran. Nichts passierte. »Es ist furchtbar kompliziert. Da ich nicht weiß, wie es funktioniert, kann ich auch schlecht Geld dafür verlangen.« »Gestern nacht«, sagte der Großvater nachdenklich, »hast du irgend etwas von einem Mann namens Hellwig geschrien, der dir einen Auftrag erteilt hätte.« In Galleghers Augen glomm ein Licht auf, erstarb aber bald wieder. »Ich erinnere mich. Ein eingebildetes hohes Tier, eine vollständige Null. Krankhafte Eitelkeit. Er will berühmt sein. Hat mir zugesagt, eine Menge zu bezahlen, wenn ich ihm helfen könnte.« »Na und, warum tust du's nicht?« »Wie?« fragte Gallegher. »Ich könnte zwar irgend etwas erfinden, so daß er vor den Leuten erzählen kann, er hätte es gemacht. Aber niemand würde je glauben, daß ein Schwachkopf wie Rufus Hellwig 26
mehr zustande bringt als zwei und zwei zu addieren›Wenn er das überhaupt kann. Trotzdem –« Gallegher trat an das Visiphon. Ein großes, fettes, bleiches Gesicht erschien auf dem Schirm. Rufus Hellwig war ein ungeheuer dicker, kahlköpfiger Mann mit einer Himmelfahrtsnase und machte den allgemeinen Eindruck eines Mongoliden. Mit Hilfe von Geld hatte er sich Macht verschafft, doch zu seiner größten Betrübnis verweigerte ihm die Öffentlichkeit ihre Anerkennung. Niemand bewunderte ihn. Er wurde ausgelacht – nur weil er nichts als eben nur Geld hatte. Einige Manager haben in dieser Hinsicht ein dickes Fell. Hellwig nicht. Er blickte Gallegher mit gerunzelter Stirn an. »Guten Morgen. Irgend etwas erfunden?« »Ich arbeite daran. Aber es kostet Geld. Ich brauche einen Vorschuß.« »Oh«, sagte Hellwig unfreundlich. »Vorschuß, wie? Ich habe Ihnen erst letzte Woche Vorschuß gegeben.« »Das ist möglich«, sagte Gallegher. »Ich kann mich nicht erinnern.« »Sie waren besoffen.« »Oh. Wirklich?« »Sie haben Omar zitiert.«
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»Welche Stelle?« »Irgend etwas über den Frühling, der mit der Rose entschwindet.« »Dann war ich betrunken«, sagte Gallegher traurig. »Wieviel habe ich damals aus Ihnen herausgequetscht?« Hellwig teilte es ihm mit. Der Wissenschaftler schüttelte den Kopf. »Es läuft mir durch die Finger wie Wasser. Nichts zu machen. Geben Sie mir mehr Geld.« »Sie sind verrückt«, grollte Hellwig. »Zeigen Sie mir erst Ergebnisse vor. Dann können Sie Ihren Preis nennen.« »Aber nicht in der Gaskammer«, sagte Gallegher, doch der Industriegewaltige hatte die Verbindung bereits unterbrochen. Opa seufzte tief. »Wie steht's denn mit diesem Cantrell? Vielleicht kann der helfen.« »Das bezweifle ich. Er hatte mich in der Hand, und das hat er immer noch. Ich kenne ihn auch gar nicht.« »Na ja, ich fahre zurück nach Maine«, sagte Opa. Gallegher seufzte. »Läßt du mich im Stich?« »Hm, wenn du noch mehr zu trinken hast –«
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»Außerdem kannst du sowieso nicht weggehen. Mittäterschaft, oder wie das heißt. Bist du sicher, daß du kein Geld beschaffen kannst?« Der Großvater war sicher. Gallegher betrachtete nochmals die Zeitmaschine und seufzte traurig. Sein verdammtes Unterbewußtsein! Das kam davon, wenn man die Wissenschaft im Gefühl hatte und nicht im Verstand. Daß Gallegher ein Genie war, hinderte ihn nicht daran, die tollsten Böcke zu schießen. Wenn er sich recht erinnerte, hatte er schon rnal eine Art Zeitmaschine gebaut, sie hatte aber andere Funktionen aufgewiesen als diese hier. Der Apparat stand schweigsam in der Ecke, eine unglaublich komplizierte Maschinerie, deren Materialisationsbrennpunkt irgendwo im Hintergarten lag. »Ich möchte bloß einmal wissen, was Cantrell mit dem Hitzestrahler wollte«, überlegte sich Gallegher. Die Lybblas hatten unterdessen das Labor untersucht, mit aufmerksamen goldenen Augen und schnuppernden rosigen Näschen. Nun kehrten sie zurück und setzten sich in einer Reihe vor Gallegher hin. »Wenn wir die Welt erobert haben, brauchst du dir keine Sorgen mehr zu machen«, sagten sie zu Gallegher. 29
»Danke«, antwortete dieser, »das beruhigt mich. Im Augenblick aber brauche ich Geld, und zwar sehr viel. Ich brauche einen Anwalt.« »Warum?« »Damit ich nicht wegen Mordes verurteilt werde. Es läßt sich schwer erklären. Ihr kennt euch mit den Verhältnissen in meinem Zeitabschnitt nicht aus –« Gallegher kam ein Gedanke. »Oh – oh.« »Was ist?« »Ihr habt mir doch gesagt, wie ich den Hitzestrahler bauen soll. Nun, wenn ihr mich auf irgend etwas anderes bringen könnt – etwas, womit ich schnell Geld machen kann –« »Aber selbstverständlich. Wir tun dir gern einen Gefallen. Aber ein geistiger Zusammenschluß würde helfen.« »Davon reden wir jetzt nicht. Fangt an! Oder besser, laßt mich Fragen stellen. Was für Maschinen gibt's in eurer Welt?« Es klingelte. Der Besucher war ein Kriminalbeamter, Mahoney, ein großer, bissig aussehender Kerl mit glattem, blauschwarzem Haar. Die Lybblas hoppelten außer Sicht, sie wollten kein unnötiges Aufsehen erregen, ehe sie einen Plan für die Welteroberung ausgearbeitet hatten. Mahoney begrüßte den Mann mit einem kurzen Kopfnicken. 30
»Guten Morgen. Wir sind im Polizeipräsidium auf eine kleine Schwierigkeit gestoßen. Eine Verwechslung – nichts besonderes.« »Das tut mir aber leid«, sagte Gallegher. »Wollen Sie etwas zu trinken?« »Nein, danke. Ich möchte Ihre Fingerabdrücke nehmen. Und Ihr Augenmuster, falls Sie nichts dagegen haben.« »Okay. Lassen Sie sich nicht abhalten.« Mahoney rief einen Experten herein, der ihn begleitet hatte. Galleghers Fingerspitzen wurden gegen einen dafür empfindlichen Film gepreßt, und eine Spezialkamera nahm das Muster von Zäpfchen, Stäbchen und Blutgefäßen in seinen Augen auf. Mahoney schaute mit finsterem Gesicht zu. Nach einiger Zeit zeigte der Experte dem Detektiv das Ergebnis seiner Arbeit. »Das schlägt dem Faß den Boden aus«, sagte Mahoney. »Was?« wollte Gallegher wissen. »Nichts besonderes. Hinterhof –«
Die
Leiche
in
Ihrem
»Ja?« »Die Fingerabdrücke stimmen genau mit den Ihren überein. Ebenso das Augenmuster. Sogar mit 31
Schönheitsoperationen läßt sich das nicht erklären. Wer war der Tote, Gallegher?« Der Wissenschaftler klapperte mit den Augendeckeln. »Heiliger Bimbam! Meine Fingerabdrücke? Das ist verrückt!« »Mehr als verrückt«, stimmte Mahoney zu. »Sind Sie sicher, daß Sie keine Erklärung wissen?« Der Experte stand am Fenster; mit einem Mal ließ er ein langgezogenes Pfeifen hören. »He, Mahoney«, rief er. »Kommen Sie doch mal einen Augenblick her. Ich will Ihnen was zeigen.« »Das kann warten.« »Aber nicht lange, bei dem Wetter«, sagte der Mann. »Es liegt noch eine Leiche draußen im Garten.« Gallegher wechselte mit Opa entsetzte Blicke. Selbst nachdem der Detektiv und sein Begleiter wie ein Wirbelsturm aus dem Labor gerannt waren, saß er noch immer bewegungslos da. Aus dem Hintergarten tönten Schreie. »Noch eine?« fragte der Großvater. Gallegher nickte. »Sieht so aus. Komm, wir gucken lieber –« »Wir laufen lieber weg!«
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»Keinen Zweck! Wir wollen mal sehen, wer es diesmal ist.« Gallegher wußte bereits, daß es sich um eine Leiche handelte. Er wußte nicht, daß auch dieser Mann an einem schmalen Loch gestorben war, das durch die Kleidung und den darunterliegenden Körper gebrannt worden war. Zweifelsohne das Werk eines Hitzestrahlers. Der Tote selbst versetzte Gallegher einen heftigen Schock – mit gutem Grund. Er blickte auf seine eigene Leiche. Das traf zwar nicht ganz zu. Der tote Mann sah etwa zehn Jahre älter aus als Gallegher, das Gesicht war dünner, das dunkle Haar zeigte graue Strähnen. Und der Anzug hatte einen sonderbaren Schnitt, etwas ungewöhnlich und exzentrisch. Doch die Ähnlichkeit war nicht zu verkennen. »Aha«, sagte Mahoney und schaute Gallegher an. »Ihr Zwillingsbruder, vermute ich?« »Ich bin ebenso überrascht wie Sie«, erklärte der Wissenschaftler schwach. Mahoney knirschte mit den Zähnen. Er zog eine Zigarre hervor und zündete sie mit zitternden Fingern an. »Jetzt hören Sie mir mal gut zu«, sagte er. »Ich weiß nicht, was für ein komisches Spiel hier getrieben wird, aber mir gefällt es nicht. Ich habe 33
eine richtige Gänsehaut bekommen. Wenn das Augenmuster und die Fingerabdrücke von der Leiche auch mit Ihren übereinstimmen, dann gefällt… mir… das … nicht. Ich werde verrückt! Und ich will nicht das Gefühl haben, daß ich verrückt werde. Verstehen Sie?« »Es ist unmöglich«, sagte der Experte. Mahoney trieb sie zurück ins Haus und rief das Polizeipräsidium an. »Inspektor? Wegen dem Toten, der vor etwa einer Stunde eingeliefert wurde – Gallegher, Sie wissen doch –« »Haben Sie ihn gefunden?« fragte der Inspektor. Mahoney riß die Augen auf. »Wie?« Ich meine den mit den komischen Fingerabdrücken –« »Ich weiß, was Sie meinen. Haben Sie ihn gefunden oder nicht?« »Aber er liegt doch im Leichenhaus!« »Das war einmal«, sagte der Inspektor. »Dort lag der Tote bis vor etwa zehn Minuten. Dann wurde er gestohlen. Direkt aus der Leichenhalle.« Mahoney ließ diese Information auf sich einwirken, während er sich mit der Zunge über die Lippen fuhr. »Inspektor«, sagte er dann, »ich habe eine weitere Leiche für Sie. Eine andere diesmal.
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Ich habe sie gerade eben in Galleghers Hinterhof gefunden. Dieselben Begleitumstände.« »Was?« – »Ja. Ein Loch durch die Brust gebrannt. Und der Tote sieht aus wie Gallegher.« »Sieht aus wie – Was war mit Fingerabdrücken, die Sie nachprüfen sollten?«
den
»Habe ich gemacht. Die Antwort lautet: Ja!« »Das kann nicht sein!« »Warten Sie, bis Sie die neue Leiche sehen«, grollte Mahoney. »Schicken Sie die Leute her, ja?« »Sofort. Was geht denn da für ein verrücktes –« Die Verbindung war unterbrochen. Gallegher bot Gläser an und streckte sich auf der Couch aus, wo er die Schnapsorgel bediente. Er fühlte sich etwas wirr im Kopf. »Eins steht fest«, sagte Opa, »wegen der ersten Leiche kann man dich nicht verurteilen. Wenn sie gestohlen worden ist, gibt es kein corpus delicti.«. »Ich werde – das stimmt!« Gallegher richtete sich auf. »Ist es nicht so, Mahoney?« Der Detektiv schloß die Augen. »Das stimmt schon. Vergessen Sie aber nicht, was ich gerade draußen gefunden habe. Für den Mord können Sie immer noch auf den elektrischen Stuhl kommen, wenn Sie erst einmal verurteilt sind.« 35
»Oh.« Gallegher legte sich wieder hin. »Aber ich habe ihn nicht umgebracht.« »Das sagen Sie!« »Okay. Und ich bleibe dabei. Weckt mich, wenn alles vorbei ist. Ich muß jetzt nachdenken.« Gallegher schob sich das Mundstück zwischen die Lippen, stellte den Durchflußhebel auf »langsam, aber stetig« ein und entspannte sich, während Cognac durch seine Kehle tröpfelte. Er schloß die Augen und überlegte. Er fand keine Antwort. Geistesabwesend bemerkte Gallegher, daß das Zimmer immer voller wurde und daß sich das Schauspiel vom Morgen wiederholte. Er beantwortete Fragen, ohne ganz dabei zu sein. Schließlich ging die Polizei und nahm den zweiten Toten mit. Galleghers Verstand war nun etwas schärfer, da der Alkohol wie immer anregend auf ihn wirkte. Sein Unterbewußtsein kam an die Oberfläche. »Ich hab's«, sagte er dem Großvater. »Zumindest hoffe ich es. Wollen mal sehen.« Er ging zu der Zeitmaschine und probierte an den Hebeln herum. »Oh-oh. Ich kann sie nicht abstellen. Ich muß sie auf einen bestimmten Zyklus eingestellt haben. Allmählich fällt mir ein, was gestern nacht geschehen ist.« 36
»Die Sache mit der Wahrsagerin?« fragte der Großvater. »Hm-m-m. Haben wir uns nicht darüber gestritten, ob ein Mensch seinen eigenen Tod vorhersagen könnte?« »Stimmt.« »Dann ist das die Antwort. Ich habe die Maschine so eingestellt, daß sie meinen eigenen Tod vorhersagen wird., Sie folgt der Zeitlinie, bis sie in der Zukunft auf das Datum meines Ablebens stößt, und dann bringt sie meinen Körper zurück in diesen Zeitabschnitt. Meinen zukünftigen Körper meine ich.« »Du bist verrückt!« meinte Opa. »Nein, so liegt die Sache ganz bestimmt«, sagte Gallegher beharrlich. »Der erste Körper, das war ich im Alter von siebzig oder achtzig. Um diese Zeit also werde ich sterben. Offenbar werde ich von einem Hitzestrahler getötet. In vierzig Jahren, von heute an gerechnet, oder um die Zeit herum«, schloß er gedankenvoll. »Hm-m-m. Cantrell besitzt einen solchen Hitzestrahler –« Der Großvater machte ein unbefriedigtes Gesicht. »Und wie steht's mit der zweiten Leiche? Ich möchte wetten, die kannst du nicht erklären.«
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»Aber sicher. Zeitparallelen. Eine variable Zukunft. Wahrscheinlichkeitslinien. Du hast doch von der Theorie gehört?« »Keine Ahnung.« »Nun, sie beruht auf dem Gedanken, daß es eine Unendlichkeit von möglichen Zukunftskonstellationen gibt. In dem Augenblick, in dem man die Gegenwart verändert, schaltet man alles automatisch auf eine andere Zukunft um, die sich von der unterscheidet, die ohne jene Handlung in der Gegenwart eingetreten wäre. Es ist wie eine Weiche bei der Eisenbahn. Wenn du die Oma nicht geheiratet hättest, wäre ich heute nicht hier. Verstehst du?« »Kein einziges Wort«, sagte der Großvater und nahm einen weiteren Schluck. Gallegher ließ sich jedoch in seiner Erklärung nicht stören. »Nach Plan A soll ich mit einem Hitzestrahler umgebracht werden, wenn ich siebzig oder achtzig Jahre alt bin. Diese Tatsache ist eine veränderliche Größe in der Rechnung. Nun habe ich meinen toten Körper von der Maschine längs der Zeitlinie hierherbringen lassen, und er erschien in der Gegenwart. Und selbstverständlich veränderte er damit die Gegenwart. Ursprünglich, im Plan A, war kein Platz für die Leiche eines achtzigjährigen 38
Gallegher in diesem Labor hier, am heutigen Tage, vorgesehen. Die Leiche wurde herbeigeschafft und änderte vom gleichen Augenblick an die Zukunft, Wir sind automatisch in ein anderes Zeitalter eingefahren.« »Ziemlich blöd, wie?« murmelte der Großvater. »Sei still, Opa. Ich überlege gerade. Die Zukunft läuft nun nach Plan B ab, das heißt, sie verlief nach diesem Plan, solange der zweite Leichnam hier noch nicht erschienen war. Die Maschine braucht offenbar einige Zeit, bis sie den Termin meines Ablebens aufgespürt hat. Jedenfalls soll ich nach Plan B ermordet werden, und zwar mit einem Hitzestrahler, wenn ich etwa fünfundvierzig bin. Da die Zeitmaschine so eingestellt ist, daß sie meinen Körper in dem Augenblick zurückbringt, in dem er getötet wird, tat sie nur ihre Aufgabe – sie materialisierte meine fünfundvierzigjährige Leiche. Und damit mußte die andere Leiche verschwinden.« »Hah!« »Das mußte so sein. Im Plan B ist dafür kein Platz. Als Plan B anlief, gab es einfach den Plan A nicht mehr. Wenn ich mit vierzig Jahren umgebracht werde, kann man mich nicht zum zweitenmal mit achtzig töten. Und zugleich mit Plan A verschwand auch der erste Tote.« 39
Großvaters Augen leuchteten plötzlich auf. »Ich verstehe«, sagte er und schnalzte mit den Lippen. »Das ist schlau von dir. Du willst dich für unzurechnungsfähig erklären lassen, wie?« »Bäh«, fuhr ihn Gallegher an und ging zu der Zeitmaschine. Er versuchte vergeblich, sie abzuschalten. Sie ließ sich nicht abstellen. Offenbar war sie unveränderlich darauf eingestellt worden, Galleghers zukünftige wahrscheinliche Leichen herbeizuschaffen. Was würde als nächstes geschehen? Der Zeitplan B war zwar angelaufen, doch die Leiche aus B hatte nach diesem Plan in der Gegenwart keinen Platz. Sie bedeutete eine Größe. Und B plus X würde C ergeben. Eine neue Variable – und ein neuer toter Gallegher. Gallegher warf einen gehetzten Blick in den Hintergarten. Bis jetzt war er noch leer. Man muß Gott auch für kleine Gaben danken. Jedenfalls, so dachte er, konnten sie ihn nicht wegen Mordes an sich selbst verurteilen. Oder? Würde man ihn wegen Selbstmord verurteilen? Lächerlich! Er hatte keinen Selbstmord begangen: er lebte ja noch. Wenn er aber immer noch lebte, konnte er nicht gestorben sein. Völlig durcheinandergebracht floh 40
Gallegher auf die Couch, schluckte Feuerwasser und sehnte sich nach dem Tode. Vor seinem geistigen Auge sah er eine Schlacht im Gerichtssaal, voller unmöglicher Widersprüche und Paradoxien–die Schlacht des Jahrhunderts. Ohne den besten Anwalt der Erde war er verloren. Ein neuer Gedanke kam ihm, und er lachte verbittert. Angenommen, er würde wegen Mordes verurteilt und gerichtet? Wenn er in der Gegenwart starb, würde seine zukünftige Leiche sofort verschwinden – das war klar. Kein corpus delicti mehr. Es war unvermeidlich – völlig unvermeidlich – daß er dann nach seinem Tode wieder rehabilitiert werden würde. Diese Aussicht erheiterte ihn jedoch wenig. Gallegher erinnerte sich, daß etwas getan werden mußte, und er rief nach den Lybblas. Sie hatten sich über die Gebäckschachtel hergemacht, doch folgten sie schuldbewußt seiner Aufforderung und kamen heran, wobei sie unterwegs noch mit ihren samtenen Pfoten die Krümel aus den Schnurrbarthaaren putzten. »Wir wollen Milch«, sagte der Dickste. »Die Welt gehört nämlich uns.« »Ja«, sagte ein anderer, »wir werden alle Städte zerstören und dann hübsche Mädchen gegen –«
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»Laßt das mal«, winkte Gallegher müde ab. »Die Welt kann warten. Ich nicht. Ich muß etwas erfinden, und zwar bald, damit ich zu Geld komme und mir einen Anwalt leisten kann. Ich kann nicht den Rest meines Lebens damit verbringen, wegen Mordes an meinen diversen zukünftigen Leichen verurteilt zu sein.« »Du redest wie ein Wahnsinniger«, sagte Opa hilfsbereit. »Geh weg! Weit weg! Ich hab zu tun.« Der Großvater zuckte die Achseln, zog sich einen Mantel über und ging. Gallegher machte sich wieder daran, die drei Lybblas ins Kreuzverhör zu nehmen. Er fand heraus, daß sie ihm so gut wie gär nichts nützen konnten. Es lag nicht daran, daß sie nicht wollten; sie waren im Gegenteil mit Freude bereit, ihm zu helfen. Aber sie hatten nur eine geringe Vorstellung von dem, was Gallegher brauchte. Überdies waren ihre kleinen Geister bis zum Rand mit ihrer liebsten Illusion ausgefüllt: die Welt gehörte ihnen. Sie sahen nur mit Schwierigkeit ein, daß es daneben auch andere Probleme gab. Trotzdem ließ Gallegher nicht locker. Schließlich erhielt er einen Hinweis, als die Lybblas wiederum von etwas redeten, was sie geistigen Zusammenschluß nannten. Er erfuhr, daß in der 42
Welt der Zukunft Maschinen gang und gäbe waren, die eine Art Verbindung zwischen zwei Gehirnen herstellten. Derartige Maschinen waren vor langer Zeit von einem Mann namens Gallegher erfunden worden, erklärte der fette Lybbla, ohne den offensichtlichen Zusammenhang wahrzunehmen. Gallegher verschluckte sich. Jetzt mußte er offenbar eine Maschine für geistigen Zusammenschluß bauen, da derartiges ja in der Zukunft bereits feststand. Andererseits, was würde geschehen, wenn er es nicht täte? Die Zukunft würde sich von neuem ändern. Wie kam es, überlegte er, daß die Lybblas nicht zusammen mit der ersten Leiche verschwunden waren – als der Zeitplan A vom Plan B abgelöst wurde? Nun, diese Frage ließ sich beantworten. Ob Gallegher sein Leben lebte oder nicht, die Lybblas wurden davon nicht berührt. Wenn ein Musiker beim Improvisieren einmal eine falsche Note erwischt, wird er vielleicht ein paar Takte lang die Melodie entsprechend transponieren, aber sobald wie möglich wieder in die ursprüngliche Tonart zurückfinden. Es schien, daß auch der Zeit das Streben innewohnte, keine allzu großen Abweichungen zuzulassen. »Wie ist das mit dem geistigen Zusammenschluß?« wollte er wissen. 43
Sie erzählten es ihm. Er formte sich ein ungefähres Bild aus ihren konfusen Angaben und stellte fest, daß die Vorrichtung zwar sonderbar, aber praktisch war. Gallegher murmelte etwas von wilden Talenten. Darauf lief es hinaus. Mit dieser geistigen Verbindung konnte ein Idiot in ein paar Augenblicken die ganze Mathematik lernen. Die Anwendung allerdings würde einige Übung voraussetzen – erst mußte sich eine gewisse geistige Beweglichkeit entwickeln. Ein Maurer mit steifen Fingern konnte zwar lernen, ein vollkommener Pianist zu werden, aber es, würde einige Zeit dauern, bis seine Hände entsprechend elastisch und reaktionsfähig geworden waren. Immerhin – das Wichtigste war, daß man Talente von einem Gehirn zum anderen übertragen konnte. Die Übertragung geschah mittels Induktion; die vom Gehirn ausgesandten elektrischen Impulse wurden aufgezeichnet und konnten dann gewissermaßen wieder abgespielt und einem anderen Gehirn eingeprägt werden. Das Muster, die Form dieser Impulse, ist veränderlich. Wenn ein Mensch schläft, flacht sich die Kurve ab. Tanzt er aber beispielsweise, so dirigiert sein Unterbewußtsein die Füße automatisch – wenn er ein hinreichend guter Tänzer ist. Die dabei ausgesandte Impulskurve ist charakteristisch. Hat 44
man sie einmal aufgenommen und ihre Zugehörigkeit erkannt, so kann sie später wieder in Impulse umgesetzt werden – und die Faktoren, die einen guten Tänzer ausmachen, können wie mit einem Pantograph in ein anderes Gehirn eingeschrieben werden. Donnerwetter! Es gab noch eine Menge anderer Möglichkeiten in bezug auf Gedächtniszentren und so weiter, aber Gallegher hatte die Hauptsache bereits verstanden. Er konnte es kaum abwarten, gleich mit der Arbeit zu beginnen. Außerdem hatte er schon einen neuen Plan gefaßt. »Mit der Zeit lernt man, die Linien mit einem Blick zu erkennen«, erzählte ihm einer der Lybblas. »Sie – die Vorrichtung – wird in unserer Zeit sehr oft benutzt. Wer nicht studieren will, läßt sich die Weisheit berühmter Wissenschaftler in seinen Kopf pumpen. Bei uns im Tal war einmal ein Erdmensch, der ein berühmter Sänger werden wollte. Er war aber unmusikalisch. Er konnte keinen einzigen Ton halten. Nachdem er eine solche Maschine benutzt hatte, konnte er nach sechs Monaten alles singen.« »Warum sechs Monate?«
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»Seine Stimme war nicht ausgebildet. Das brauchte etwas Zeit. Aber nachdem er das heraus hatte –« »Besorge uns etwas für einen Zusammenschluß«, schlug der dicke Lybbla vor. »Vielleicht können wir es benutzen, um die Welt zu erobern.« »Genau das«, sagte Gallegher, »werde ich tun. Mit ein paar Einschränkungen allerdings –« Gallegher rief nochmals Rufus Hellwig an in der Hoffnung, den Manager zu überreden, einen Teil seines Vermögens zu opfern. Er hatte aber keinen Erfolg. Hellwig war hartnäckig. »Zeigen Sie mir Ergebnisse«, sagte er, »dann gebe ich Ihnen einen Blankoscheck.« »Aber ich brauche das Geld jetzt.« Gallegher blieb beharrlich. »Ich kann Ihnen nicht mehr helfen, wenn ich wegen Mordes abgeurteilt worden bin.« »Mord? Wen haben Sie denn umgebracht?« wollte Hellwig wissen. »Ich habe niemand umgebracht. Man will mich hereinlegen –« »Mich auch. Aber diesmal paß ich auf. Zeigen Sie mir Erfolge, einen Vorschuß kriegen Sie von mir nicht mehr, Gallegher.«
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»Hören Sie mal. Wollen Sie singen können wie Caruso? Tanzen wie Nijinsky? Schwimmen wie Weißmüller? Wollen Sie reden können wie Minister Parkinson? Wollen Sie Houdinis Kunst beherrschen?« »Nehmen Sie den Mund aber voll!« sagte Hellwig nachdenklich, unterbrach aber trotzdem die Verbindung. Gallegher schaute den Bildschirm böse an. Es sah so aus, als müßte er schließlich doch an die Arbeit gehen. Und das tat er auch. Seine geübten Finger hielten Schritt mit seinem Verstand. Der Alkohol half, sein dämonisches Unterbewußtsein aktiv zu erhalten. Tauchte eine Frage auf, so wandte er sich an die Lybblas. Aber trotzdem – die Arbeit nahm viel Zeit in Anspruch. Er hatte nicht alle Einzelteile, die er brauchte; deshalb rief er einen Elektrohändler an und schlug geschickt aus ihm soviel an Kredit heraus, daß ihm die Lieferung gleich zugesagt wurde. Er arbeitete weiter. Einmal wurde er von einem sanften kleinen Mann unterbrochen, der ihm eine Vorladung überbrachte, und einmal kam Opa herein und borgte fünf Dollar. Der Zirkus war in der Stadt und Opa – als alter Enthusiast – konnte sich das nicht entgehen lassen.
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»Willst du nicht mitkommen?« fragte er. »Vielleicht mache ich nachher ein Würfelspielchen mit den Kerlen. Irgendwie bin ich immer gut mit Zirkusleuten ausgekommen. Einmal habe ich fünfhundert von einer bärtigen Dame gewonnen. – Nicht? Nun dann, viel Glück!« Er ging, und Gallegher wandte sich wieder seinem Apparat zu. Die Lybblas naschten verstohlen seine Plätzchen und unterhielten sich zufrieden über die Aufteilung der Welt, nachdem sie sie erobert haben würden. Die Vorrichtung für einen geistigen Zusammenschluß wuchs, langsam aber sicher, ihrer Vollendung entgegen. Was die Zeitmaschine selbst betraf, so führten gelegentliche Versuche, sie abzustellen, immer zum gleichen Ergebnis: sie schien auf einen bestimmten Plan eingestellt zu sein, und man konnte sie nicht davon abbringen. Sie hatte den Auftrag, Galleghers diverse Leichen in die Gegenwart zu holen. Bis sie diese Aufgabe erfüllt hatte, weigerte sie sich dickköpfig, einen zusätzlichen Befehl anzunehmen. »Wir haben einen alten Schrank«, murmelte Gallegher vor sich hin. »Jetzt wollen wir mal sehen. Hier brauche ich eine Scharfeinstellung – ja. Da fehlte die Vorder- und Seitenwand – wenn ich die Empfänger-Empfindlichkeit für den elektromagnetischen Strom verändere – hm-m-m die 48
Hinterwand war auch schon weg. Ja, so geht's! Die Beine stehen allein im Dreck«, summte er. Es war Nacht. Gallegher merkte nicht, wie die Zeit dahinfloß. Die Lybblas, die von dem gestohlenen Gebäck fast platzten, hatten sich nicht beklagt – sie hatten nur hin und wieder nach Milch verlangt. Gallegher hatte während seiner Arbeit für regelmäßigen Alkoholnachschub gesorgt, auf daß sein Unterbewußtsein noch die Oberhand behielte. Erst jetzt stellte er fest, daß er Hunger hatte. Seufzend betrachtete er noch einmal die fertiggestellte Maschine, die eine geistige Verbindung herstellen konnte, schüttelte den Kopf und öffnete die Tür. Der Hintergarten war leer. Oder –? Nein, er war leer. Bis jetzt keine weiteren Leichen. Zeitplan B war also immer noch in Kraft. Er trat hinaus und ließ sich die kühle Nachtluft um die erhitzten Ohren blasen. Die leuchtenden Türme Manhattans stachen in den Nachthimmel. Über ihm flimmerten die Lichter des Luftverkehrs wie Glühwürmchen. Ganz in seiner Nähe ertönte plötzlich ein dumpfes Geräusch. Entsetzt fuhr Gallegher herum. Eine Leiche war aus der Luft gefallen und lag in der Mitte seines Rosenbeetes. Mit verkrampftem Magen 49
untersuchte Gallegher den Mann, dessen Augen ausdruckslos zum Himmel starrten. Der Tote war mittleren Alters, zwischen fünfzig und sechzig, mit einem weichen, dunklen Schnurrbart und einer Brille. Unverwechselbar handelte es sich jedoch um Gallegher. Ein Gallegher, der im Verlauf des Zeitplans C – jetzt galt also B nicht mehr – gealtert war und schließlich mit einem Hitzestrahler ein Loch durch die Brust gebrannt bekommen hatte. Genau in diesem Augenblick, überlegte sich Gallegher, mußte die Leiche B ebenso wie ihr Vorgänger aus dem Leichenschauhaus der Polizei verschwunden sein. Aha! Nach dem Zeitplan C würde er also erst sterben, wenn er über fünfzig war – aber selbst dann würde er einem Hitzestrahler zum Opfer fallen. Es war bedrückend. Gallegher dachte an Cantrell, der den Strahler genommen hatte, und es schüttelte ihn ein wenig. Die Sachlage wurde immer verworrener. Nun, die Polizei würde bald kommen. Im übrigen aber war er hungrig. Mit einem letzten furchtsamen Blick auf sein eigenes totes, gealtertes Gesicht kehrte Gallegher ins Labor zurück. Er stöberte die Lybblas auf und trieb sie in die Küche, wo er sich ein improvisiertes Abendessen zubereitete. 50
Glücklicherweise hatte er noch Steaks da, und die Lybblas schlangen ihre Portionen wie kleine Schweinchen hinunter. Sie hatten beschlossen, Gallegher zu ihrem Großwesir zu machen. »Ist er untreu?« Kameraden.
fragte
der
Dicke
seine
»Ich weiß es nicht, ist er es?« »Er muß untreu sein! In den Romanen ist der Großwesir immer untreu. Hupp!« Der dicke Lybbla verschluckte sich an einem Fleischbrocken. »Ugh… ulp! Die Welt gehört uns!« Diese kleinen Träumer, dachte Gallegher amüsiert. Unverbesserliche Romantiker. Ihr Optimismus war, ganz bescheiden gesagt, bemerkenswert. Doch seine eigenen Sorgen kehrten zurück, als er das Geschirr in den Brenner schob – »brennt alles sauber« – und sich selbst mit einem Bier stärkte. Die Sache mit dem geistigen Zusammenschluß mußte funktionieren. Für das Gegenteil gab es keinen Grund. Sein geniales Unterbewußtsein hatte schließlich das Ding gebaut. Zum Teufel, es mußte funktionieren. Sonst hätten die Lybblas nichts davon erzählt, daß der Apparat von Gallegher erfunden worden sei, vor langer Zeit.
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Aber trotzdem – er konnte Hellwig schlecht als Versuchskaninchen benutzen. Als es gegen die Tür klopfte, schnippste Gallegher triumphierend mit den Fingern. Opa, natürlich! Das war die Antwort. Der Großvater kam strahlend herein. »Mächtigen Spaß gehabt! Ein Zirkus ist immer was wert. Hier sind zwei Hunderter für dich, du Dummkopf. Ich habe ein bißchen Poker gespielt, mit dem tätowierten Mann und dem Kerl, der von der Leiter in das Bassin springt. Nette Jungs. Ich besuche sie morgen wieder.« »Danke«, sagte Gallegher. Die Zweihundert waren ein Tropfen auf einen heißen Stein, aber er wollte im Augenblick den alten Knaben nicht beleidigen. Er lockte den Großvater in das Labor und erklärte, er hätte ein Experiment vor. »Experimentiere ruhig«, sagte Opa, der sich an der Schnapsorgel zu schaffen machte. »Ich habe einige Kurven meines eigenen Gehirns aufgenommen und die Impulse lokalisiert, die meinen mathematischen Fähigkeiten entsprechen. Darauf läuft es jedenfalls hinaus. Vielleicht ist es auch die Atomstruktur der reinen Wissenschaft – genau weiß ich es nicht. Aber ich kann meine 52
Fähigkeiten auf dich übertragen, und ich kann es ganz nach Wunsch tun. Ich kann dir mein Talent für Mathematik –« »Vielen Dank«, sagte der Großvater. »Bist du sicher, daß du's nicht selbst noch brauchen wirst?« »Oh, ich behalte es immer noch. Es ist nur die Matrix. Das Muster. Ich drücke deinem Gehirn dasselbe Muster auf. Verstehst du?« »Natürlich«, sagte Opa und ließ sich zu einem Stuhl führen, wo ein Helm aus Drahtgeflecht über seinem Kopf befestigt wurde. Gallegher setzte sich einen anderen Helm auf und fing an, an den Knöpfen des Apparates zu drehen. Die Maschine brachte Geräusche hervor, und verschiedene Kontrollampen blitzten auf. Dann schwoll ein tiefes Summen zu einem kreischenden Creszendo an, und dann war es ruhig. Das war alles. Gallegher entfernte beide Helme. »Wie fühlst du dich?« fragte er. »Hervorragend!« »Kommst du dir nicht irgendwie anders vor?« »Ich will was trinken.« »Ich habe dir nicht meine Fähigkeiten zu Trinken übertragen, weil deine eigene bereits völlig ausreicht. Es sei denn, ich hätte sie verdoppelt –« Gallegher erbleichte. »Wenn ich dir auch noch 53
meinen Durst eingeimpft habe, könntest du es nicht mehr aushalten. Du würdest sterben.« Der Großvater murmelte irgend etwas über blühenden Unsinn, dann setzte er sich wieder an den Tisch. Gallegher folgte ihm und starrte den alten Mann ratlos an. »Ich kann doch keinen Fehler gemacht haben. Die Kurven – Welchen Wert hat Pi?« fuhr er Opa plötzlich an. »Alles ist teurer geworden«, sagte der Großvater. Gallegher fluchte. Die Maschine mußte funktioniert haben. Dafür gab es viele Gründe, und schon die Logik verlangte das. Vielleicht – »Wir wollen's noch mal versuchen. Diesmal setze ich mich in den Stuhl.« »Okay«, sagte Opa, der es zufrieden war. »Nur – hm-m-m. Du hast keinerlei Talente. Nichts besonderes. Ich könnte nicht nachprüfen, ob der Apparat funktioniert oder nicht. Wenn du bloß ein Konzertpianist oder ein Sänger wärst«, stöhnte Gallegher. »Hah!« »Einen Augenblick mal. Mir kommt ein Gedanke. Ich habe doch Beziehungen zu einem Fernsehstudio – vielleicht kann ich da etwas machen.« 54
Gallegher ging zum Visiphon. Es dauerte einige Zeit, doch schließlich gelang es ihm, Senor Ramon Firez, den argentinischen Tenor, zu einer Fahrt ins Labor zu überreden. »Firez!« freute sich Gallegher. »Das wird der Beweis sein. So oder so. Eine der größten Stimmen auf der Welt! Wenn ich plötzlich singen kann wie der, dann weiß ich, daß ich Hellwig was anzubieten habe.« Firez befand sich gerade auf einem Bummel durch diverse Nachtklubs, doch auf die Aufforderung des Studios hin unterbrach er für dieses Mal seine nächtliche Aktivität und erschien binnen zehn Minuten bei Gallegher. Er war stark und sah gut aus, sein Mund war groß und beweglich und grinste den Wissenschaftler an. »Sie sagten, Sie hätten Schwierigkeiten, Senor, die ich mit meiner großen Stimme beheben könnte. Gut – hier bin ich, zu Ihren Diensten. Eine Aufnahme, nicht?« »So was ähnliches.« »Um eine Wette zu gewinnen, vielleicht?« »So kann man's nennen«, sagte Gallegher und schob Firez in einen Stuhl. »Ich will die
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Gehirnmatrix aufzeichnen, der Sie Ihre Stimme verdanken.« »Ah, das ist etwas Neues, nicht? Erklären Sie, bitte!« Gehorsam verfiel der Wissenschaftler in einen völlig nichtssagenden Jargon, der Senor Firez ablenkte, während er selbst die erforderlichen Aufnahmen machte. Es dauerte nicht lange. Die entsprechenden Kurven waren in ihrer Charakteristik eindeutig. Das Diagramm enthielt Firez' sängerisches Können – sein großes Talent. Opa schaute zweifelnd zu, während Gallegher die nötigen Einstellungen vornahm, die Drahthelme aufsetzte und seinen Apparat anstellte. Wieder flammten die Kontrollämpchen auf, wieder ertönte ein Summen, das mit hohem Ton abbrach. »War es ein Erfolg? Darf ich sehen –« »Es dauert längere Zeit, bis die Kopien entwickelt sind«, log Gallegher gewissenlos. Er wollte nicht in Gesang ausbrechen, solange Firez noch anwesend war. »Ich bringe Ihnen die Ergebnisse in Ihr Appartement, sobald sie vorliegen.« »Ah, gut. Muy bien.« Weiße Zähne blitzten. »Ich bin immer glücklich, von Diensten sein zu dürfen, amigo!«
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Firez ging. Gallegher setzte sich hin und starrte gegen die Wand. Er wartete. Nichts geschah. Er hatte ein bißchen Kopfweh, das war alles. »Fertig mit der Bastelei?« wollte Opa wissen. »Ja. Do-re-mi-fa-so-« »Was?«!« »Sei ruhig! Lache, Bajazzo–« »Du bist jetzt völlig übergeschnappt.« »Wie eiskalt ist dein Händchen!« heulte der verzweifelte Gallegher, und seine unmusikalische Stimme überschlug sich. »Ach, zum Teufel. Nochmal: Ich träum von bunten Blumen –« »Ich ging einmal spazieren, nanu, nanu, nanu«, fiel der Großvater sangesfreudig ein. »Ich ging einmal spazi-hiren, was sagste nu dazu –« »So wie sie wohl blühen im Mai –« »Ich ging einmal spazieren –« »– ich träumte von grünen Wiesen, von lustigem Vogelge-schrei-ai-ai –« »BUMSFALLERAH!« kreischte Opa, der jetzt erst richtig munter wurde. »In meinen jungen Tagen konnte ich ganz schön was vorlegen. Los, jetzt zusammen. Kennst du ›Frankie und Johnnie‹?« Gallegher unterdrückte sein Bedürfnis, in Tränen auszubrechen. Er warf Opa einen eiskalten Blick zu 57
und ging in die Küche, um eine Bierflasche zu öffnen. Die kühle, herbe Flüssigkeit erfrischte ihn, verbesserte seine Laune jedoch nicht. Er konnte nicht singen. Jedenfalls nicht so wie Firez. Und sechs Monate Kehlkopftraining würden daran auch nichts ändern, das wußte er. Sein Apparat hatte einfach versagt. Geistiger Zusammenschluß– Quatsch. Opas Stimme rief schrill. »He! Ich hab was im Hintergarten gefunden!« »Ich brauche nicht dreimal zu raten, was es ist«, murmelte Gallegher und beschäftigte sich weiter mit dem Bier. Drei Stunden später – um zehn Uhr abends – erschien die Polizei. Diese Verzögerung ließ sich einfach erklären: Die Leiche bei der Polizei war zwar verschwunden, aber man hatte das erst später bemerkt. Danach lief eine großangelegte Suchaktion an, die – natürlich – nicht den geringsten Erfolg hatte. Mahoney erschien mit seinen Horden, und Gallegher deutete in den Hinterhof hinaus. »Draußen finden Sie, was Sie suchen«, seufzte er. Mahoney schaute ihn böse an. »Noch mehr von diesem Quatsch?« schnappte er. »Ich kann nichts dafür.« 58
Die Leute verließen das Labor; nur ein schmaler, blonder Mann blieb zurück und schaute sich Gallegher nachdenklich an. »Wie steht's?« fragte Cantrell. »Hm – okay.« »Haben Sie vielleicht noch mehr von diesen – Apparätchen – hier versteckt?« »Von den Hitzestrahlern? Nein.« »Wieso bringen Sie dann am laufenden Band Leute um?« fragte Cantrell nörgelnd. »Das versteh ich nicht.« »Mir hat er's erklärt«, sagte Opa, »aber ich verstand damals nicht, wovon er redete. Jetzt weiß ich's natürlich. Es hängt einfach mit variablen Zeitlinien zusammen. Plancks Unsicherheitsprinzip spielt da mit, und natürlich Heisenberg. Die Gesetze der Thermodynamik zeigen deutlich, daß ein Universum zur Norm strebt, anders gesagt, zu unserer Entropierate – und Abweichungen von dieser Norm müssen notwendigerweise durch entsprechende Faltungen in der raumzeitlichen Struktur der universellen Kosmosgleichung kompensiert werden.« Tiefes Schweigen.
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Gallegher ging zum Wasserhahn, ließ ein Glas vollaufen und goß es sich langsam über den Kopf. »Das verstehst du? Nicht wahr, das verstehst du?« »Klar«, sagte Opa, »warum nicht? Über deinen Zusammenschluß-Apparat habe ich dein mathematisches Talent bekommen – das Vokabular offenbar inbegriffen.« »Hast du mich bisher zum Narren gehalten?« »Ach was! Das Gehirn braucht seine Zeit, um sich an die neue Situation zu gewöhnen. Eine Art Sicherheitsventil. Die plötzliche Inbetriebnahme eines völlig neuen Satzes von Gedankenbahnen würde den Verstand völlig durcheinanderbringen. Die neuen Fähigkeiten sinken langsam ein – drei Stunden etwa dauert es. So lange hat's doch ungefähr gedauert, nicht?« »Ja«, sagte Gallegher, »ja«. Er blickte auf den gespannt lauschenden Cantrell und rang sich ein Lächeln ab. »Ein kleiner Spaß, den sich Opa und ich erlauben. Nichts Wichtiges.« »Hm-m-m«, sagte Cantrell und zog die Lider über die Augen. »Tatsächlich?« »Ja. Bestimmt. Mehr nicht.« Eine Leiche wurde aus dem Hintergarten und durch das Labor getragen. Cantrell zwinkerte und
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schlug sich bedeutsam mit der Hand auf die Tasche. Er zog Gallegher in eine Ecke. »Wenn ich irgend jemand diesen Ihren Hitzestrahler zeige, sind Sie erledigt, Gallegher. Vergessen Sie das nicht!« »Natürlich nicht. Was wollen Sie eigentlich?« »Oh – ich weiß nicht. Eine solche Waffe kann man immer gebrauchen. Man kann nie wissen, 'ne Menge Überfälle heutzutage. Ich fühle mich sicherer, wenn ich das Ding da in der Tasche habe.« Er zog sich zurück, als Mahoney hereinkam. Der Kriminalbeamte biß sich auf die Lippen und zeigte sämtliche Anzeichen von Erschütterung. »Der Kerl im Hinterhof –« »Ja?« »Er sieht aus wie Sie. Nur älter.« »Wie steht's mit den Mahoney?« fragte Cantrell.
Fingerabdrücken,
Der Detektiv fluchte leise vor sich hin. »Sie kennen die Antwort. Unmöglich, wie gehabt. Augenmuster stimmen ebenfalls. Jetzt hören Sie einmal, Gallegher: Ich werde Sie jetzt einiges fragen und erwarte ehrliche Antworten. Vergessen Sie nicht, daß Sie unter Mordverdacht stehen.«
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»Wen habe ich denn umgebracht?« fragte Gallegher. »Die beiden Kerle, die aus der Leichenhalle verschwunden sind? Da gibt es kein corpus delicti mehr. Nach dem neuen Straf recht reichen Augenzeugen und Fotografien nicht mehr als Beweise aus.« »Sie wissen genau, warum diese Regelung eingeführt wurde«, sagte Mahoney. »Dreidimensionale Projektionsbilder, die von den Leuten für echte Leichen gehalten wurden; vor fünf Jahren hatten wir da mal einen großen Schlamassel. Aber die Toten in Ihrem Hinterhof waren keine 3Ds. Die sind echt.« »Sind?« »Zwei waren, einer ist es. Sie haben immer noch keine weiße Weste. Nun?« Gallegher sagte: »Ich weiß ni –« Er hielt inne, sein Adamsapfel tanzte auf und nieder. Plötzlich stand er auf, seine Augen waren geschlossen. »Immerzu singt mein Herz deinem Herzen zu –« schmetterte Gallegher in einem volltönenden Tenor, der trotz mangelnder Übung edel und überzeugend klang. »O sole mio!« »He!« fuhr ihn Mahoney an und sprang auf. »Lassen Sie das. Hören Sie mich?«
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»– doch wie's da drinnen aussieht, geht niemand was an. Immer nur lächeln –« »Aufhören!« brüllte der Detektiv. »Wir sind nicht hier, um Ihrem Gesang zuzuhören!« Aber dennoch lauschte er. Die anderen ebenfalls. Gallegher – von Senor Firez' gewaltigem Talent gepackt – sang fort und fort, seine ungeübte Kehle entspannte sich allmählich und verströmte Wohlklang wie eine Nachtigall. Gallegher – sang! Man konnte ihm nicht Einhalt gebieten. Die Freunde und Helfer flohen schließlich unter schrecklichen Drohungen. Sie würden wiederkommen – mit einer Zwangsjacke. Auch Opa schien von einem sonderbaren Drang gepackt zu sein. Worte strömten von seinen Lippen, eine fremdartige Terminologie, Mathematik, übersetzt in Wortsymbole, von Euklid bis Einstein und darüber hinaus. Der Großvater – so schien es – hatte weiß Gott Galleghers zweifelhaftes mathematisches Talent geschenkt bekommen. Schließlich kam doch ein Ende, wie es bei allen Dingen, gut oder schlecht, unvermeidlich ist. Gallegher krächzte heiser aus einer rauhen Kehle und verfiel nach schwachem Japsen endlich in Schweigen. Er fiel auf der Couch in sich zusammen und warf einen brechenden Blick auf Opa, der 63
ausgepumpt in einem Sessel hing. Die drei Lybblas kamen aus ihren Verstecken hervor und standen in einer Reihe, jeder mit einem Plätzchen in der pelzbesetzten Pfote. »Die Welt gehört mir«, sagte der dickste unter ihnen. Das Leben ging weiter. Mahoney rief an, um mitzuteilen, daß er einen besonderen Haftbefehl erwirken würde und daß Gallegher ins Gefängnis geworfen würde, sobald die Gesetzesmaschinerie angelaufen sei. Das hieß: morgen. Gallegher rief einen Anwalt an – den besten an der Ostküste Amerikas. Jawohl, Persson konnte den Haftbefehl anfechten und mit Sicherheit den Fall gewinnen, oder – nun, jedenfalls brauchte sich Gallegher keine Sorgen zu machen, wenn er Persson nähme. Das Honorar war teilweise im voraus zu zahlen. »Wieviel? … Was? … UH!« »Rufen Sie mich an, wenn Sie mich einschalten wollen«, sagte Persson, »Sie können Ihren Scheck heute abend absenden.« »In Ordnung«, sagte Gallegher, dann rief er eilig Rufus Hellwig an. Glücklicherweise war der Industrieboss zu Hause.
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Gallegher erklärte. Hellwig war ungläubig. Er stimmte jedoch zu, am nächsten Morgen früh im Labor für einen Test zur Verfügung zu stehen. Vorher ging es nicht. Und er konnte auch keine weitere Summe vorstrecken, bis Gallegher zweifelsfrei seinen Erfolg bewiesen hatte. »Machen Sie mich zu einem hervorragenden Konzertpianisten«, sagte er, »und ich werde überzeugt sein.« Danach rief Gallegher nochmals das Fernsehstudio an und erwischte schließlich Joy Mackenzie, die blonde, hübsche Pianistin, die kürzlich New York im Sturm erobert hatte und unverzüglich von der Fernsehgesellschaft unter Vertrag genommen worden war. Sie sagte zu, am nächsten Morgen da zu sein. Gallegher mußte sie überreden, aber er ließ genug Andeutungen fallen, um das Interesse der jungen Dame zur Weißglut zu bringen. Sie schien Wissenschaft und Schwarze Magie für ein und dasselbe zu halten, und beides faszinierte sie. Sie würde kommen. Außerdem erschien ein weiterer Leichnam im Hintergarten, was bedeutete, daß die Wahrscheinlichkeitsrichtung D nun am Zuge war. Zweifelsohne war zur gleichen Zeit der dritte Tote 65
aus dem Leichenschauhaus verschwunden. Gallegher empfand fast Mitleid mit Mahoney. Die überströmenden Talente hatten sich beruhigt. Offenbar kam es nur zum Anfang, drei Stunden oder so nach der Behandlung, zu einem unwiderstehlichen Ausbruch der neuerworbenen Fähigkeiten. Danach ließen sie sich nach Belieben an- oder abstellen. Gallegher stand nicht mehr unter dem Zwang, singen zu müssen, doch stellte er fest, daß er singen konnte, falls er Lust dazu hatte. Ebenso erging es Opa, der sein mathematisches Licht leuchten lassen konnte, wann und wo er dies wünschte. Schließlich erschien um fünf Uhr morgens Mahoney mit zwei uniformierten Beamten und verhaftete Gallegher. Sie führten ihn ins Gefängnis. Drei Tage lang blieb er dort, von Gott und der Welt abgeschlossen. Am Abend des dritten Tages erschien Persson mit durchgefochtener Haftbeschwerde – habeas corpus – und einem Schwall von unverständlichen Ausdrücken. Er bekam Gallegher irgendwie frei – vielleicht auf Grund seines guten Rufes als Anwalt. Später, im Lufttaxi, warf er die Arme hoch und klagte lautstark.
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»Was ist denn das für ein Fall? Politischer Druck von oben, verwickelte Paragraphen – völlig verrückt! Leichen tauchen in Ihrem Hinterhof auf – jetzt sind's schon sieben – und verschwinden aus der Leichenhalle. Was steckt dahinter, Gallegher?« »Ich weiß es nicht genau. Sie – äh – sind mein Anwalt?« »Es läßt sich nicht verheimlichen.« Das Taxi kam einem Wolkenkratzer gefährlich nahe. »Der Scheck –« meinte Gallegher auf gut Glück. »Ihr Großvater hat ihn mir gegeben. Oh, er gab mir auch eine Nachricht mit. Ich soll Ihnen sagen, daß er Rufus Hellwig Ihren Anweisungen gemäß behandelt und das Honorar erhalten hat. Ich habe allerdings nicht das Gefühl, daß ich Ihre Anzahlung schon verdient habe. Drei Tage mußte ich Sie im Gefängnis schmachten lassen! Aber ich mußte gegen mächtige politische Einflüsse kämpfen. Mußte selbst 'ne Menge eigener Beziehungen spielen lassen.« Das war es also. Opa hatte natürlich Galleghers mathematische Fähigkeiten erhalten und wußte alles über die Maschine für geistige Übertragung und wie sie funktioniert. Er hatte Hellwig behandelt – erfolgreich, wie es schien. Jedenfalls schwammen sie zur Zeit im Geld. Aber würde es ausreichen?
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Gallegher erklärte soviel, wie er glaubte riskieren zu können. Persson schüttelte den Kopf. »Die Zeitmaschine steckt dahinter, sagen Sie? Nun, irgendwie müssen Sie das Ding abstellen. Sorgen Sie dafür, daß diese Leichen nicht mehr durchkommen.« »Ich kann die Maschine noch nicht mal in Stücke hauen«, bekannte Gallegher. »Sie befindet sich in einer Art von Erstarrungszustand. Völlig außerhalb dieses Raum-Zeit-Sektors. Ich weiß nicht, wie lange das dauern wird. Der Apparat ist darauf eingestellt, meinen eigenen Leichnam zu produzieren – und damit wird er nicht aufhören.« »Aha. Nun gut. Ich tue mein Bestes. Jedenfalls sind Sie im Augenblick ein freier Mann. Aber ich kann für nichts garantieren, solange Sie nicht Ihre immer von neuem auftauchenden Toten abschaffen, Mr. Gallegher. Ich steige hier aus. Wir sehen uns morgen. In meinem Büro, um zwölf? Gut.« Gallegher verabschiedete sich mit einem Händedruck und dirigierte den Chauffeur zu seinem eigenen Heim. Eine unangenehme Überraschung erwartete ihn. Wer ihm die Tür öffnete, war – Cantrell. Das schmale, bleiche Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Guten Abend«, sagte er 68
liebenswürdig und trat zurück. »Kommen Sie herein, Gallegher.« »Ich bin drin. Was machen Sie hier?« »Ich bin Großvater.«
auf
Besuch.
Ich
besuche
Ihren
Gallegher sah sich im Laboratorium um. »Wo steckt er?« »Keine Ahnung. Schauen Sie selbst nach.« Der Wissenschaftler spürte irgendeine Gefahr und machte sich auf die Suche. Er fand Opa in der Küche beim Brezelessen. Außerdem fütterte er die Lybblas. Der Alte wich Galleghers Blick aus. »Okay«, sagte Gallegher, »rück schon mit der Sprache 'raus.« »Ich konnte nichts dafür. Cantrell drohte, den Hitzestrahler der Polizei zu übergeben, wenn ich nicht seinen Willen erfüllte. Ich wußte, daß das dein Ende wäre –« »Was geht hier vor?« »Jetzt beruhige dich erst mal. Ich hab mir alles überlegt. Es kann nicht schlimm ausgehen –« »Was? Was?« »Cantrell hat mich gezwungen, ihn mit der Maschine zu behandeln«, bekannte der Großvater. »Er spionierte durchs Fenster, als ich Hellwig zum 69
Pianisten machte, und schloß auf die richtige Antwort. Er drohte, dich verurteilen zu lassen, wenn ich ihm nicht ein paar zusätzliche Talente verschaffte.« »Was für Talente?« »Oh – Gulliver, Morleyson, Kottman, Denys, St. Malory –« »Das reicht«, sagte Gallegher schwach. »Die größten Wissenschaftler unserer Zeit. Sonst nichts. Und ihr Wissen in Cantrells Gehirn! Wie hat er die Leute dazu überredet?« »Er ist ein Blender. Er ließ nicht durchblicken, was er wollte. Erfand irgendeine harmlose Geschichte. – Er hat auch deine mathematischen Fähigkeiten. Durch mich.« »Das ist ja prima!« sagte Gallegher und sah grimmig aus. »Was zum Teufel hat er vor?« »Er will die Welt erobern«, sagte der fetteste Lybbla traurig. »Oh, bitte, laß ihn das nicht tun. Wir wollen doch die Welt erobern.« »Ganz so schlimm ist es auch wieder nicht«, sagte Opa, »aber schlimm genug. Er weiß alles, was wir jetzt wissen – genug, um eine weitere Zusammenschlußmaschine zu bauen. Und in einer Stunde fliegt er mit einem Stratoschiff nach Europa.« 70
»Da steckt der Wurm drin«, sagte Gallegher. »Ja, ich weiß. Ich bekomme allmählich das Gefühl, daß Cantrell mehr als gewissenlos ist. Er ist dafür verantwortlich, daß du ein paar Tage im Gefängnis sitzen mußtest.« Cantrell öffnete die Tür und schaute herein. »Eine neue Leiche liegt im Garten. Frisch vom Faß. Wir wollen uns aber jetzt nicht daran stören. Ich fahre in Bälde. Schon was von van Decker gehört?« »Van Decker!« Gallegher verschluckte sich. »Sie haben ihn doch nicht etwa auch –« Der Mann mit dem höchsten Intelligenzquotient der Welt! »Noch nicht«, Cantrell lächelte. »Seit Tagen versuche ich, mit ihm in Verbindung zu kommen, aber er hat mich erst heute morgen angerufen. Ich hatte schon Angst, daß ich auf ihn verzichten müßte. Aber er hat zugesagt, heute nacht herzukommen.« Cantrell blickte auf seine Uhr. »Hoffentlich ist er pünktlich. Die Stratoschiffe warten nicht.« »Einen Augenblick mal«, sagte Gallegher und ging auf Cantrell zu. »Ich möchte wissen, was Sie vorhaben, Cantrell.« »Er will die Welt erobern«, piepste einer der Lybblas.
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Cantrell warf einen belustigten Blick nach unten. »So phantastisch ist das gar nicht«, gab er zu. »Ich bin völlig amoralisch, zu meinem Glück, und daher kann ich diese Gelegenheit voll und ganz ausnützen. Die Fähigkeiten der größten Geister unserer Zeit – die kommen mir gerade zupaß. Ich werde bei fast allem Erfolg haben. Ich meine – überall«, fügte er augenzwinkernd hinzu. »Diktatorkomplex«, sagte Opa und rümpfte die Nase. »Noch nicht«, klärte ihn Cantrell auf. »Eines Tages vielleicht. Lassen Sie mir Zeit. Ich bin ohnehin schon ein ganz hübscher Supermensch, wissen Sie, auch ohne den Komplex.« Gallegher sagte: »Sie können doch nicht –« »Nein? Vergessen Sie nicht, daß ich Ihren Hitzestrahler habe.« »Ja«, sagte der Wissenschaftler, »und diese Leichen in meinem Hintergarten – meine eigenen Leichname – wurden alle mit einem Hitzestrahler umgebracht. Sie sind der einzige bis jetzt, der eine solche Waffe hat. Offenbar ist es Ihnen bestimmt, mich eines Tages zu ermorden.« »Eines Tages ist besser als jetzt, oder nicht?« fragte Cantrell sanft. Gallegher antwortete nicht. Cantrell fuhr fort. 72
»Ich habe den Rahm von den bedeutendsten Gehirnen der US-Ostküste abgeschöpft, und jetzt verfahre ich ebenso mit Europa. Alles ist dabei möglich.« Einer der Lybblas fing an, bitterlich zu weinen, da er seinen Plan der Welteroberung fehlschlagen sah. Es klingelte. Cantrell nickte, und Opa ging hinaus. Er kehrte mit einem untersetzten Mann zurück, der eine schnabelförmige Nase hatte und einen buschigen roten Bart trug. »Ha!« rief der. »Hier bin ich. Nicht zu spät, hoffe ich? Gut.« »Dr. van Decker?« »Wer sonst?« schrie der Rotbart. »Nun, beeilen Sie sich, rasch, rasch. Ich bin sehr beschäftigt. Ihr Experiment, so wie Sie es mir über Visiphon erklärt haben, wird fehlschlagen, aber ich habe nichts dagegen, einen Versuch zu machen. Die Projektion des Astralleibes ist Blödsinn.« Opa stieß Gallegher an. »Cantrell hat ihm erzählt, das sei der Sinn der Sache«, murmelte er. »Ja? Hör mal, wir können doch nicht –« »Reg dich nicht auf«, flüsterte Opa und zwinkerte mit einem Auge. »Vergiß nicht, daß ich jetzt deine Fähigkeiten habe, mein Sohn. Mir ist eine Lösung eingefallen. Überleg dir mal, ob du auch drauf
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kommst. Ich habe deine Mathematik benutzt. Schsch!« Sie fanden keine weitere Zeit mehr. Cantrell trieb sie alle ins Labor. Gallegher runzelte die Stirn, biß sich auf die Lippen und wälzte das Problem, das ihm Opa aufgegeben hatte. Cantrell durfte nicht davonkommen. Andererseits aber hatte Opa gesagt, es sei alles in Ordnung – alles käme zu einem guten Ende. Die Lybblas waren selbstverständlich verschwunden und befanden sich vermutlich auf der Suche nach Gebäck. Cantrell blickte auf die Uhr und drängte van Decker in einen Stuhl. Er behielt eine Hand vielsagend in der Tasche und sah von Zeit zu Zeit Gallegher an. Die Strahlpistole war immer noch da – sie zeichnete sich unter dem Flexogewebe von Cantrells Jackett ab. »Will euch mal zeigen, wie gut ich das kann«, sagte Opa mit brüchiger Stimme und stakte auf seinen Spindelbeinen zu der Übertragungsmaschine für den Zusammenschluß. Er schaltete ein. »Nimm dich in acht, Opa«, warnte Cantrell mit belegter Stimme. Van Decker schaute auf. »Stimmt etwas nicht?«
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»Nein, nein«, sagte Opa. »Mr. Cantrell hat Angst, ich könnte einen Fehler machen. Aber das passiert nicht. Dieser Helm –« Er setzte ihn auf Deckers Kopf. Ein Schreiber kratzte zitternde Linien auf vorrübergleitendes Papier. Geschickt sammelte der Großvater nach Abschluß der Aufnahme die Darstellungen zusammen, dann stolperte er jedoch über seine eigenen Beine und fiel hin – die Diagramme lagen auf dem Boden verstreut. Ehe sich Cantrell bewegen konnte, war der Alte wieder aufgestanden und sammelte die Papiere unter Fluchen zusammen. Er breitete sie auf dem Tisch aus. Gallegher näherte sich, spähte über Cantrells Schulter. Donnerwetter! Das war die richtige Sache, kein Zweifel. Van Deckers I. Q. war ungeheuer. Seine Fähigkeiten waren – milde gesagt – überragend. Cantrell – der ja nun alles über den geistigen Zusammenschluß wußte, da er über Opa Galleghers mathematische Talente erhalten hatte – nickte befriedigt. Er setzte sich den Helm auf und näherte sich der Maschine. Er warf noch einen letzten Blick auf van Decker, um sich zu überzeugen, daß alles in Ordnung war, und bediente dann die Schalter. Lämpchen flammten auf, das Summen schwoll zum Heulen an – und verstummte.
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Cantrell nahm den Helm ab. Als er in die Tasche griff, machte Opa eine unbedeutende Handbewegung und hatte plötzlich eine kleine blitzende Pistole in der Faust. »Versuchen Sie's nicht«, sagte der Großvater. Cantrells Augen verengten sich. »Lassen Sie sofort die Pistole fallen.« »Quatsch. Ich habe damit gerechnet, daß Sie uns umbringen und die Maschine hier zerstören wollten, damit Sie mit Ihren Fähigkeiten einzigartig bleiben. Soweit wird's nicht kommen. Diese Pistole hat einen kleinen Defekt – bei der geringsten Bewegung geht sie los. Sie können mir zwar ein Loch ins Fell brennen, Cantrell, aber Sie sind dabei schon ein toter Mann.« Cantrell überlegte. »Und jetzt?« »Gehen Sie. Ich will nicht geschmort werden, eben so wenig wie Sie eine Kugel im Bauch haben wollen. Leben und leben lassen. Hauen Sie ab.« Cantrell lachte leise. »Anständig genug, Opa! Du hast es dir verdient. Aber vergeßt nicht, daß ich immer noch weiß, wie man die Maschine baut. Und – ich habe den Rahm abgeschöpft. Ihr könnt dasselbe machen, aber nicht besser, als ich es könnte.« »Also stehen wir gleich«, sagte der Großvater. 76
»Ja, wir stehen gleich. Aber wir werden uns eines Tages sehen. Und vergeßt nicht, daß ich kein Gewissen besitze. Sie, Gallegher, denken Sie daran, was die Leute in Ihrem Garten vom Leben zum Tode befördert hat«, sagte Cantrell und ging rückwärts aus der Tür, ein eingefrorenes Lächeln auf den Lippen. Gallegher erwachte zum Leben. Er sprang auf. »Wir müssen die Polizei anrufen!« rief er, »Cantrell ist zu gefährlich, als daß wir ihn jetzt laufen lassen könnten!« »Ruhe«, mahnte Opa und fuchtelte mit der Pistole herum. »Ich hab dir doch gesagt, daß ich alles gut vorbereitet habe. Du willst doch nicht wegen Mordes verurteilt werden, oder? Wenn Cantrell gefangengenommen wird – und wir könnten ohnehin keine Anklage überzeugend genug vortragen – würde die Polizei den Hitzestrahler finden. Auf meine Art geht's besser.« »Welche Art?« wollte Gallegher wissen. »Okay, Mickey«, sagte der Großvater und grinste Dr. Simon van Decker an, der seinen roten Bart und seine Perücke abnahm und lauthals zu lachen anfing. Gallegher riß den Mund auf. »Ein Hochstapler!« brachte er hervor. »Gewiß. Ich habe Mickey privat vor ein paar Tagen angerufen. Legte ihm klar, was ich wollte. Er 77
kostümierte sich, holte Cantrell ans Visiphon und gab vor, van Decker zu sein. Dann traf er eine Verabredung für heute abend.« »Aber die Diagramme! Das war doch der I. Q. eines Genies –« »Ich habe die Papiere umgetauscht, als ich sie zu Boden fallen ließ«, gestand der Großvater. »Ich hatte schon im voraus ein paar falsche hergestellt.« Gallegher blickte finster. »Das verändert die Situation aber kaum. Cantrell ist immer noch frei, und er weiß verdammt zuviel.« »Reiß dich mal am Riemen, junger Mann«, sagte Opa, »warte, bis ich's dir erkläre.« Er erklärte es. Etwa drei Stunden später kam die Nachricht über die Fernsehsender: Ein Mann namens Roland Cantrell war aus dem Atlantik-Stratoschiff gestürzt. Gallegher wußte allerdings genau, wann Cantrell gestorben war. Denn zu dieser: Stunde war auch die Leiche in seinem Hintergarten verschwunden. Da der Hitzestrahler nun mit Cantrell im Meer versunken war, konnte in Galleghers Zukunft ihn niemand mehr mit dieser Waffe umbringen – es sei denn, er stellte einen weiteren Strahler her, wovor er sich hüten würde. 78
Die Zeitmaschine kehrte aus ihrem Erstarrungszustand in ein normales Dasein zurück, Gallegher vermutete den Grund. Er hatte sie so eingestellt, daß sie einen festumrissenen Auftrag befolgte – einen Auftrag, in dem Galleghers Tod als Folge bestimmter Voraussetzungen eine Rolle spielte. Innerhalb dieser Voraussetzungen war nun die Arbeit der Maschine festgefahren. Sie konnte ihre Arbeit erst einstellen, wenn sie sämtliche Möglichkeiten ausgeschöpft hatte. Solange irgendeine wahrscheinliche Zukunft Galleghers mit einem Strahlertod endete, solange erschienen die Leichen im Hintergarten. Nun jedoch war die Zukunft drastisch verändert. Es gab nicht länger Plan A, B, C und so weiter. Der Hitzestrahler – eine Grundvoraussetzung – existierte nicht mehr. Also verlief Galleghers zukünftiges Leben nach den Wahrscheinlichkeitsplänen A, B, C und so weiter. Die Maschine war aber nicht für derart radikale Änderungen eingerichtet. Sie hatte bisher die ihr gestellte Aufgabe erfüllt. Nun, da sich an der Aufgabenstellung etwas Bedeutendes verändert hatte, wartete sie auf neue Kommandos. Doch diesmal untersuchte Gallegher sie gründlich, ehe er sie wieder bediente.
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Er hatte ausreichend Zeit dazu. Ohne auch nur ein einziges corpus delicti bereitete es Persson keine Schwierigkeiten, die Anklage zu Fall zu bringen, obschon der unglückliche Mahoney fast verrückt wurde, wenn er sich die Ereignisse zu erklären versuchte. Und was die Lybblas anbelangte – Gallegher verteilte geistesabwesend Plätzchen und überlegte sich, wie er die kleinen dummen Dinger loswerden könnte, ohne sie zu verletzen. »Ihr wollt hier doch nicht die ganze Zeit bleiben, oder?« fragte er. »Eigentlich nicht«, antwortete der eine und strich sich die Krümel aus den Schnurrhaaren. »Aber wir müssen die Erde erobern«, fügte er klagend hinzu. »M-m-m«, sagte Gallegher. Und dann ging er in die Stadt, erledigte etwas und kehrte bald darauf mit einer Apparatur zurück, die er heimlich an das Fernsehgerät anschloß. Kurz darauf wurde die reguläre Sendung durch eine Sondermeldung unterbrochen, so schien es jedenfalls. Es war ein merkwürdiger Zufall, daß gerade alle drei Lybblas zu dieser Zeit den Bildschirm betrachteten. Die bisherige Szenerie des Teledramas verschwand und machte einer plötzlichen Nahaufnahme des Nachrichtensprechers Platz, dessen Gesicht von den Papieren, die er vor 80
sich hielt, fast völlig verborgen wurde. Oberhalb der Augenbrauen – das einzige, was man von ihm sehen konnte – ähnelte er Gallegher auffallend, doch die Lybblas waren zu aufgeregt, um etwas zu merken. »Sondermeldung!« sagte der Nachrichtensprecher erregt. »Wichtige Nachricht! Seit einiger Zeit ist die Öffentlichkeit über die Anwesenheit dreier bedeutender Gäste vom Mars unterrichtet. Sie hatten –« Die Lybblas tauschten erstaunte Blicke aus. Einer wollte etwas fragen, doch die anderen beiden zischten ihn hastig an. Sie lauschten weiter. »Sie wollten die Erde erobern, wie wir in Erfahrung bringen konnten, doch ist es uns eine besondere Freude zu berichten, daß die gesamte Erdbevölkerung sich auf die Seite der Lybblas gestellt hat. Eine unblutige Revolution hat stattgefunden. Die Lybblas werden einstimmig als unsere Alleinherrscher anerkannt –« »Hurrah!« schrie ein kleines Stimmchen. »– und eine neue Regierung hat sich bereits konstituiert. Eine neue Währung ist geplant, und die Münzen werden die Köpfe der Lybblas aufgeprägt erhalten. Unterrichtete Kreise erwarten, daß die drei Herrscher in Kürze zum Mars zurückkehren werden, um ihren Freunden dort die Lage zu erklären.« 81
Das nur teilweise sichtbare Gesicht des Sprechers verschwand vom Bildschirm, und die gewöhnliche Sendung nahm ihren Fortgang. Nach einer Weile erschien Gallegher im Zimmer; er lächelte in sich hinein. Schrille Jubelschreie der Lybblas begrüßten ihn. »Wir müssen jetzt heim. Es gab eine unblutige –« »Revolution! Die Welt gehört uns!« Ihr Optimismus war wirklich nur noch von ihrer Leichtgläubigkeit zu übertreffen. Gallegher ließ sich überzeugen, daß die Lybblas zum Mars zurückkehren mußten. »Okay«, stimmte er schließlich zu. »Die Maschine ist schon bereit. Noch ein Plätzchen für jeden, und dann geht's los.« Er schüttelte jede samtene Pfote, verbeugte sich höflich, und die drei Lybblas wurden mit wackelnden Ohren und in aufgeregtes Piepsen vertieft zurück zum Mars geschossen – fünfhundert Jahre in die Zukunft. Sie konnten es kaum erwarten, zu ihren Freunden zurückzukehren und über ihre Abenteuer zu berichten. Das taten sie denn auch – aber niemand glaubte es ihnen. Cantrells Tod brachte keine weiteren Nachforschungen, obwohl Gallegher, Opa und
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Mickey mehrere Tage lang ziemlich besorgt abwarteten, ehe sie sich völlig beruhigen konnten. Mickey konnte ihnen nicht mehr länger Gesellschaft leisten. Bedauernd kehrte er zum Zirkus zurück, wo er zweimal am Tag seine speziellen Fähigkeiten unter Beweis stellte, indem er von der obersten Sprosse einer zehn Meter hohen Leiter in ein Wasserbecken sprang … Originaltitel: THE WORLD IS MINE
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EX MACHINA »Die Idee kam mir aus einer Flasche mit dem Etikett ›Trink mich‹«, sagte Gallegher bleich. »Ich denke nicht an technische Einzelheiten, wenn ich nicht betrunken bin. Ich kenne keinen Unterschied zwischen einem Elektron und einer Elektrode, abgesehen von der Tatsache, daß das eine unsichtbar ist. Manchmal weiß ich es zwar, aber die Worte und ihre Bedeutung verwirren sich in meinem Gehirn. Die Semantik bereitet mir Schwierigkeiten.« »Daß du betrunken bist, das bereitet dir Schwierigkeiten«, sagte der Roboter mit der durchscheinenden Hülle und schlug mit leichtem Geklapper die Beine übereinander. Gallegher verzog das Gesicht. »Keineswegs. Mir geht's prima, solange ich trinke. Nur während meiner nüchternen Perioden werde ich verwirrt. Im übrigen habe ich einen technologischen Kater. Der wäßrige Dunst hinter meinen Augäpfeln tritt mittels Osmose zutage. Ist das sinnvoll ausgedrückt?« »Nein«, sagte der Roboter, der Joe hieß. »Du flennst. Das ist alles. Hast du mich nur deswegen eingeschaltet, um einen Zuschauer zu haben? Im Augenblick bin ich beschäftigt.«
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»Beschäftigt? Womit?« »Ich analysiere die Philosophie per se. So unausstehlich ihr Menschen auch seid, manchmal habt sogar ihr ein paar gute Gedanken. Die klare, intellektuelle Logik reiner Philosophie ist wie eine Erleuchtung für mich.« Gallegher murmelte etwas von einer harten diamantenen Flamme. Ab und zu weinte er immer noch, was ihn an die Schnapsorgel neben der Couch erinnerte. Steif bewegte Gallegher seinen Corpus quer durch das Laboratorium und wich dabei drei umfangreichen Gegenständen aus, bei denen es sich um die Dynamos Monstro und Bubbles hätte handeln können, wäre nicht die Tatsache bestehen geblieben, daß es sich eben um drei Gegenstände handelte. Diese Erkenntnis wetterleuchtete jedoch nur schwach durch Galleghers Gedanken. Da einer der Dynamos ihn ansah, blickte er schnell woanders hin, ließ sich auf die Couch sinken und bediente mehrere Knöpfe. Als aus dem Hahn keinerlei geistige Getränke in seinen geöffneten Mund tropften, entfernte er das Mundstück, blinzelte es hoffnungslos an und befahl Joe, Bier herbeizuschaffen. Der Schaum stand bis zum Rand, als er das Glas an die Lippen hob. Noch ehe er zu trinken begonnen hatte, war es allerdings leer.
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»Das ist sehr sonderbar«, sagte Gallegher. »Ich komme mir vor wie Tantalus.« »Jemand anders trinkt dein Bier«, erklärte Joe. »Und jetzt laß mich in Frieden. Ich habe das Gefühl, als könnte ich meine barocke Schönheit noch in viel größerem Ausmaß bewundern, wenn ich mir erst einmal die Grundlagen der Philosophie angeeignet habe.« »Zweifelsohne«, sagte Gallegher. »Jetzt laß mal den Spiegel stehen und antworte. Wer trinkt mein Bier? Ein kleines grünes Männlein?« »Ein kleines braunes Tierlein«, erklärte Joe mit pythischer Deutlichkeit, dann wandte er sich wieder dem Spiegel zu und überließ es Gallegher, ihn haßerfüllt anzustarren. Es gab Zeiten, in denen Mr. Galloway Gallegher sich danach sehnte, Joe mit starken Ketten unter einen Hahn zu binden, aus dem regelmäßig Salzsäure herabtropfte. Statt dessen versuchte er es mit einem weiteren Bier – mit dem gleichen Mißerfolg. In plötzlichem Zorn erhob sich Gallegher und beschaffte sich ein Glas Mineralwasser. Das »kleine braune Tierlein« hatte für solche Flüssigkeiten noch weniger übrig als Gallegher selbst: das Wasser jedenfalls verschwand nicht auf geheimnisvolle Weise. Nicht mehr so durstig, aber ratloser denn je 86
umkreiste Gallegher den dritten Dynamo mit den hellblauen Augen und untersuchte dann niedergeschlagen den Krempel, der um seinen Arbeitsplatz herumstand. Da waren Flaschen mit fragwürdigen Flüssigkeiten offenbar unalkoholischer Natur, doch die Etiketts besagten wenig oder gar nichts. Galleghers Unterbewußtsein, das er letzte Nacht durch ausreichende Alkoholzufuhr freigesetzt hatte, hatte sie der bessern Verständlichkeit halber beschriftet. Galleghers Genie war zwar ein erstklassiger Naturwissenschaftler, da er jedoch die Welt durch reichlich verzerrende Linsen sah, waren die Etiketts keinerlei Hilfe. Auf dem einen stand: NUR KANINCHEN. Ein anderes fragte: WARUM NICHT? Ein drittes besagte: WEIHNACHTEN. Außerdem stand da ein kompliziertes Gerät mit einem Durcheinander von Zahnrädern, Hebeln, Röhren, Kontakten und Leuchtskalen herum, das durch ein Kabel mit einer Steckdose verbunden war. »Cogito ergo sum«, murmelte Joe leise vor sich hin. »Wenn sich niemand sonst im Quadranten befindet. Nein. Hm-m-m.« »Was ist mit diesem kleinen braunen Tierlein?« wollte Gallegher wissen. »Ist es wirklich vorhanden, oder ist es nur ein Produkt deiner Einbildung?«
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»Was ist Wirklichkeit?« fragte Joe und brachte damit die Dinge noch mehr durcheinander. »Ich habe bis jetzt noch keine Lösung gefunden, die mich befriedigt.« »Dich befriedigt!« schrie Gallegher. »Ich wache hier mit einem riesigen Kater auf und kann nichts zu trinken bekommen. Du erzählst mir Märchen von kleinen braunen Tierlein, die meine Spirituosen stehlen. Und dann wirfst du mir verschimmelte philosophische Konzepte an den Kopf. Wenn ich die Eisenstange dort in die Hand nehme, dauert es nicht lange, und du bist erstens nicht mehr vorhanden und kannst deshalb zweitens nicht mehr denken.« Herablassend gab Joe nach. »Es handelt sich um eine kleine Kreatur, die sich mit bemerkenswerter Geschwindigkeit bewegt, so schnell, daß man sie nicht sehen kann.« »Wie kommt es dann, daß du sie siehst?« »Ich sehe sie auch nicht. Ich vahrse sie«, sagte Joe, dem mehr als die fünf Sinne zur Verfügung standen, über die ein normaler Sterblicher verfügt. »Und wo befindet es sich jetzt?« »Es ist vor einiger Zeit weggegangen.« »Nun –« Gallegher suchte erfolglos nach Worten. »Irgend etwas muß gestern nacht doch passiert sein.« 88
»Natürlich«, stimmte Joe zu. »Aber du hast mich abgestellt, nachdem der häßliche Mann mit den Ohren zu Besuch gekommen ist.« »Ich erinnere mich. Du hattest dein verdammtes Plastikmaul unaufhörlich in Bewegung – Was für ein Mann?« »Der häßliche. Du hast auch deinen Großvater aufgefordert, draußen spazierenzugehen, doch konntest du ihn nicht von seiner Flasche fortbekommen.« »Opa. Äh – oh! Wo ist er denn jetzt?« »Vielleicht ist er nach Hause gefahren, nach Maine«, vermutete Joe. »Damit hat er doch die ganze Zeit gedroht.« »Der ist hier noch nie weggegangen, ehe er nicht den ganzen Keller leergetrunken hatte«, sagte Gallegher. Er bediente die Hausrufanlage und durchsuchte damit jedes Zimmer. Nirgendwo bekam er Antwort. Schließlich stand Gallegher stöhnend auf und machte sich selbst auf die Suche. Keine Spur von Opa. Er kehrte ins Labor zurück, versuchte den dritten Dynamo mit den großen blauen Augen nicht zu beachten, und probierte vergeblich, aus den Dingen rund um seinen Arbeitsplatz schlau zu werden. Joe stand vor dem Spiegel und sagte, seiner Meinung 89
nach sei die Fundamentalphilosophie des Intellektualismus das einzig Wahre. Immerhin, fügte er hinzu, da Galleghers unterbewußtes Genie offenbar durch Abwesenheit glänzte, daß sein Herr und Meister vielleicht mit Vorteil den Projektor benutzen könnte, um herauszufinden, was letzte Nacht geschehen sei. Das war vernünftig. In der Erkenntnis, daß Gallegher (nüchtern) nie irgendeine Ahnung von den Abenteuern hatte, die Gallegher (betrunken) zu erleben pflegte, hatte er vor einiger Zeit ein BildTon-Aufnahmegerät installiert, das sich durch eine raffinierte Schaltung selbst einschaltete, sobald es notwendig wurde. Wie das Ding funktionierte, das war Gallegher schon längst nicht mehr klar; er wußte nur, daß es seinen Schöpfer auf wunderbare Weise ständigen Blutalkoholtests unterwarf und mit der Aufnahme begann, wenn die Promille zu Prozenten geworden waren. Im Augenblick war jedoch die Maschine unter einer Decke verborgen. Gallegher riß sie herunter, rollte eine Leinwand herbei und sah und hörte, was in der letzten Nacht passiert war. Joe stand abgeschaltet in einer Ecke, vermutlich mit Cogitieren beschäftigt. Opa – ein eingetrockneter, kleiner Mann mit einem braunen 90
Gesicht wie ein schlechtgelaunter Nußknacker – saß auf einem Hocker und hielt eine Flasche im Arm. Gallegher ließ gerade das Mundstück der Schnapsorgel fahren – der letzte Zug mußte das Aufnahmegerät eingeschaltet haben. Ein schmaler Mann mittleren Alters mit großen Ohren und aufmerksamen Augen rutschte nervös auf der Sitzkante seines Sessels herum und beobachtete Gallegher. »Mist«, sagte Opa mit schriller Stimme. »Als ich noch ein kleiner Junge war, gingen wir hinaus und erlegten die Grizzlybären mit bloßen Händen. Da war keine Rede von diesen neumodischen Ideen –« »Opa«, sagte Gallegher, »halt den Mund! So alt bist du auch wieder nicht. Und abgesehen davon bist du sowieso ein Lügner.« »Da fällt mir gerade ein, wie ich damals im Wald war und ein Grizzly auf mich zukam. Ich hatte kein Gewehr. Was tun? Nun, ich werd's euch erzählen. Ich faßte einfach in seinen Schlund –« »Deine Flasche ist leer«, sagte Gallegher hinterlistig, und Opas Redefluß versickerte für eine Weile, während er bestürzt nachsah. Es war aber noch etwas drin. »Sie wurden mir angelegentlich empfohlen«, sagte der aufmerksame Mann. »Ich hoffe wirklich, 91
daß Sie mir helfen können. Mein Partner und ich sind so ziemlich am Ende unserer Weisheit.« Gallegher sah ihn trübe an. »Sie haben einen Partner? Wer ist er denn? Und da wir gerade dabei sind: wer sind Sie?« Tiefes Schweigen senkte sich hernieder, während der Mann mit den aufmerksamen Augen gegen seine Verblüffung ankämpfte. Opa setzte seine Flasche ab und sagte: »Sie war nicht leer, jetzt ist sie's aber. Wo ist 'ne neue?« Der Mann blinzelte mit den aufmerksamen Augen. »Mr. Gallegher«, sagte er schwach. »Ich verstehe Sie nicht ganz. Wir haben doch die ganze Zeit über die Angelegenheit gesprochen –« Gallegher sagte: »Ich weiß. Tut mir leid. Es verhält sich nur so, daß ich mit wissenschaftlichen Problemen nichts anfangen kann, wenn ich nicht… äh… angeregt bin. Dann allerdings tritt mein Genie zutage. Aber ich bin furchtbar vergeßlich. Ich bin gewiß, daß ich Ihr Problem lösen kann, Tatsache ist aber, daß ich vergessen habe, wie es lautet. Ich schlage vor, Sie fangen nochmal von vorne an. Erstens: wer sind Sie, und zweitens: haben Sie mir schon Geld gegeben?« »Ich bin Jonas Harding«, sagte der Mann. »Ich habe fünfzigtausend Dollar in meiner Tasche, aber 92
wir haben uns bis jetzt noch auf keinen Betrag geeinigt.« »Dann geben Sie mir den Zaster, und wir werden uns bald einigen«, sagte Gallegher mit schlecht verhohlener Freude. »Ich brauche nämlich Geld.« »Das stimmt weiß Gott«, warf Opa ein, der immer noch nach einer Flasche suchte. »Du hast dein Konto so hoch überzogen, daß die Leute in der Bank zuschließen, wenn sie dich kommen sehen. Ich will was zu trinken haben.« »Geh an die Orgel«, schlug Gallegher vor. »Nun, Mr. Harding –« »Ich will eine Flasche. Ich traue deiner Mechanik nicht.« Harding konnte trotz seines Eifers ein wachsendes Mißtrauen nicht ganz verbergen. »Was die Dollars anbelangt«, sagte er, »so glaube ich, wir reden vielleicht erst einmal über den Auftrag. Sie wurden mir zwar sehr empfohlen, aber vielleicht haben Sie heute einen schlechten Tag.« »Keineswegs. Deshalb –« »Warum sollte ich Ihnen das Geld geben, ehe wir uns einigen?« Harding wurde deutlich. »Besonders in Anbetracht der Tatsache, daß Sie vergessen haben, wer ich bin und was ich wollte.«
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Gallegher seufzte und gab es auf. »Na gut. Erzählen Sie mir, wer Sie sind und was Sie wollen. Ich meine –« »Ich fahre wieder nach Hause«, drohte Opa. »Wo gibt's hier eine neue Flasche? « Harding sagte verzweifelt: »Jetzt sehen Sie mal her, Mr. Gallegher. Alles hat seine Grenzen. Ich komme hier herein, und Ihr Roboter beleidigt mich. Ihr Großvater besteht darauf, daß ich mit ihm trinke. Ich bin halb vergiftet –« »Mich hat man mit Kornschnaps großgezogen«, murmelte Opa. »Das junge Gemüse kann nichts mehr vertragen.« »Dann wollen wir zum Geschäft kommen«, sagte Gallegher voller Eifer. »Allmählich fühle ich mich wohler. Ich strecke mich hier auf der Couch aus, und Sie können mir alles erzählen.« Er streckte sich aus und saugte gemächlich an dem Mundstück der Orgel, auf der er gerade Dry Gin gedrückt hatte. Der Großvater fluchte. »Also«, sagte Gallegher. »Die ganze Sache, von Anfang an.« Harding stieß einen kleinen Seufzer aus. »Nun gut – ich bin zur Hälfte an der Adrenal-Gesellschaft beteiligt. Wir verkaufen Dienstleistungen besonderer Art, gewissermaßen ein Luxusdienst, der speziell 94
dem heutigen Zeitalter entspricht. Wie ich Ihnen schon erzählte –« »Das hab ich doch alles vergessen«, murmelte Gallegher. »Sie hätten einen Durchschlag machen sollen. Was tun Sie eigentlich? Ich habe da so eine verrückte Vorstellung, daß Sie winzige Fertighäuser auf die Nieren bauen, aber ich weiß, das kann nicht stimmen.« »Sehr richtig«, sagte Harding kurz angebunden. »Hier ist also Ihr Durchschlag. Wir sind im Adrenalin-Geschäft. Heutzutage lebt der Mensch ein ruhiges, sicheres Leben –« »Ha!« warf Gallegher bitter ein. »– in der Hauptsache eine Folge von Sicherheitsvorkehrungen und -bestimmungen, des Fortschritts der medizinischen Wissenschaft und der allgemeinen Struktur unseres gesellschaftlichen Lebens. Nun, die Nebennieren, die das Adrenalin ausscheiden, dienen einem lebenswichtigen Zweck, und sie sind für die Gesundheit eines normalen Menschen wichtig.« Harding war offenbar in das vertraute, einstudierte Verkaufsgespräch gerutscht. »Vor Jahrtausenden lebten wir in Höhlen, und wenn ein Mammut aus dem Dschungel sprang, wurden diese Drüsen sofort aktiviert und überfluteten unser System mit Adrenalin, oder Suprarenin. Der Mensch 95
war dann sofort in der Lage, mit elementarer Gewalt zu handeln – entweder er griff an oder er floh. Diese periodischen Durchsetzungen des Blutstroms hielten den ganzen Organismus in Spannung. Ganz zu schweigen von den psychologischen Vorteilen. Der Mensch ist ein aggressives Tier. Er ist zwar dabei, diesen Instinkt heute zu verlieren, aber durch künstliche Anregung der Adrenalin-Drüsen kann dieser Instinkt wieder geweckt werden.« »Mit einem Schluck?« fragte Opa hoffnungsvoll, obwohl er Hardings Erklärung nicht im geringsten verstand. Hardings Gesicht nahm einen Ausdruck von Gerissenheit an. Vertraulich beugte er sich vor. »Glanz und Größe«, sagte er. »Das ist die Antwort. Wir bieten Abenteuer. Sichere, spannende, dramatische, aufregende, glänzende und großartige Abenteuer für den ermatteten Menschen unserer Tage. Nicht die unbefriedigende Aufregung, die man vom Fernsehen kennt, wo andere in Stellvertretung für uns die Abenteuer erleben. Bei uns ist es eine echte Sache. Die Adrenal-Gesellschaft vermittelt Ihnen Abenteuer in höchster Vollendung, und gleichzeitig damit wird Ihre physische und geistige Gesundheit gefördert. Sicher haben Sie unsere Inserate gelesen: ›Fühlen Sie sich verrottet? Sind Sie matt und lustlos? Machen Sie eine Jagd mit uns und 96
kehren Sie erfrischt, glücklich und gesund zurück, wieder fähig, die Welt zu erobern!‹« »Eine Jagd?« »Das ist unsere gefragteste Dienstleistung«, sagte Harding und verfiel wieder in einen mehr geschäftlichen Ton. »Es ist eigentlich gar nicht neu. Vor langer Zeit haben Reisebüros für aufregende Tigerjagden in Mexiko geworben.« »Es gibt keine Tiger in Mexiko«, sagte der Großvater. »Ich war dort. Ich warne dich, wenn du nicht bald 'ne Flasche für mich findest, fahre ich wieder heim nach Maine.« Gallegher indessen konzentrierte sich auf das Problem. »Dann kann ich nicht verstehen, wozu Sie mich brauchen. Ich kann Ihnen keine Tiger liefern.« »Der mexikanische Tiger gehörte zur Familie der Katzen. Puma, denke ich, hieß er. Wir haben in der ganzen Welt besondere Reservate eingerichtet – deren Aufbau und Erhaltung große Summen verschlingt – und dort halten wir unsere Jagden ab, wobei jede Einzelheit sorgfältig im voraus geplant werden muß. Die Gefahr dabei muß auf ein Minimum zurückgedrängt werden – eigentlich müßte sie völlig ausgeschlossen werden können. Aber der Anschein von Gefahr muß bestehen bleiben, sonst können wir unseren Kunden keine 97
Aufregung bieten. Wir haben versucht, unsere Tiere zu dressieren, so daß sie sich zwar wie echt benehmen, aber im letzten Moment unseren Kunden nichts antun, doch… äh… das hat nicht viel Erfolg gehabt. Es tut mir leid, feststellen zu müssen, daß wir dabei mehrere Kunden verloren haben. In unserem Unternehmen sind große Summen investiert, und wir müssen unser Geschäft wieder sanieren. Andererseits haben wir herausgefunden, daß wir dafür keine Tiger verwenden können, und – abgesehen davon – auch keine anderen Exemplare großer Raubtiere. Es ist einfach nicht sicher genug. Und doch – wir benötigen einfach diesen Anschein von Gefahr! Kurz gesagt, wir sind heute zu einem Klub für Scheibenschießen degeneriert. Und beim Scheibenschießen treten keinerlei persönliche Gefahren auf.« Opa sagte: »Aha, ihr wollt was erleben, wie? Kommt mit mir nach Maine, und ich zeig euch mal 'ne richtige Jagd. Wir haben immer noch Bären in den Bergen.« Gallegher sagte: »Ich fange an zu verstehen. Ich möchte bloß wissen – diese Sache mit der persönlichen Wirkung! Wie lautet überhaupt die Definition von Gefahr?« »Gefahr ist, wenn dich irgend etwas erwischen will«, sagte der Großvater. 98
»Das Unbekannte, das Fremdartige – ist ebenfalls gefährlich, einfach weil wir es nicht verstehen«, wandte Gallegher ein. »Deswegen sind Geistergeschichten auch heute noch gefragt. Ein Geheul in der Dunkelheit jagt mehr Angst ein als ein Tiger am hellen Mittag.« Harding nickte. »Ich verstehe, was Sie meinen. Bei uns tritt jedoch noch ein weiterer Faktor auf. Die Geschichte darf nicht zu einfach werden. Es ist nicht gerade ein Heldenstück, ein Kaninchen zu erlegen. Und dann müssen wir unseren Kunden natürlich die modernsten Waffen zur Verfügung stellen.« »Warum?« »Sicherheitsvorschriften. Das Dumme dabei ist, daß mit diesen Waffen, Detektoren und FährtenAnalysatoren jeder Narr ein Tier aufspüren und erlegen kann. Die Sache ist nicht aufregend, wenn es sich bei dem Tier nicht um einen menschenfressenden Tiger handelt, und für unsere Versicherungsgesellschaft ist das wiederum ein bißchen zu aufregend!« »Ja, was wollen Sie also?« »Ich weiß nicht recht«, sagte Harding langsam. »Vielleicht ein neues Tier. Eines, das den Anforderungen der Adrenal-Gesellschaft entspricht. Aber ich bin mir eben nicht ganz klar, wie die 99
Antwort auf unser Problem lautet, sonst wäre ich nicht hier und würde Sie fragen.« Gallegher sagte: »Ich kann mir doch nicht irgendein neuartiges Tier aus dem Ärmel schütteln!« »Wo kann man sie sonst herbekommen?« »Ich überlege gerade. Andere Planeten? Andere Zeitebenen? Andere Wahrscheinlichkeitswelten? Ich habe früher mal ein paar ulkige Tiere in die Finger bekommen – Lybblas – indem ich einen entsprechenden Apparat auf eine zukünftige Zeit auf dem Mars einstellte: die hätten allerdings die geforderten Eigenschaften nicht verkörpert.« »Also dann: andere Planeten vielleicht?« Gallegher erhob sich und schlurfte zu seinem Arbeitsplatz. Er fing an, herumliegende Zahnräder und Röhren zusammenzusetzen. »Mir kommt da ein Gedanke: Die latenten Faktoren im menschlichen Gehirn. Meine latenten Faktoren sind zum Leben erwacht. Mal sehen. Vielleicht –« Unter seinen Händen wuchs eine Apparatur heran. Gallegher arbeitete wie besessen. Schließlich fing er an zu fluchen, warf den angefangenen Apparat zur Seite und kehrte zu seiner Schnapsorgel zurück. Der Großvater hatte sie bereits ausprobiert, verschluckte sich aber bei seinem ersten Versuch mit Bocks-Gin. 100
Er drohte, nach Hause zu gehen und Harding mit sich zu nehmen, um ihm einmal eine richtige Jagd vorzuführen. Gallegher verscheuchte den alten Herrn von der Couch. »Jetzt hören Sie einmal her, Mr. Harding«, sagte er. »Bis morgen werde ich für Sie etwas erfunden haben. Ich muß nur noch einiges überdenken –« »Sie meinen: übertrinken«, sagte Harding und zog ein Bündel Dollarscheine aus der Rocktasche. »Ich habe eine Menge von Ihnen gehört, Mr. Gallegher. Sie arbeiten nur, wenn Sie unter Druck stehen. Sie müssen einen Termin gesetzt bekommen, oder Sie tun überhaupt nichts. Nun gut – sehen Sie das hier? Fünfzigtausend Dollar.« Er schaute auf seine Uhr. »Ich gebe Ihnen eine Stunde Zeit. Wenn Sie bis dahin mein Problem nicht gelöst haben, bin ich nicht mehr daran interessiert.« Gallegher fuhr von der Couch in die Höhe wie von der Natter gebissen. »Das ist lächerlich! Eine Stunde ist völlig unzureichend –« Harding sagte unerbittlich: »Ich bin ein methodischer Mensch. Ich kenne Sie gut genug, um zu wissen, daß Sie das nicht sind. Ich kann andere Spezialisten und Techniker finden, wie Sie wohl wissen. Eine Stunde! Oder ich gehe hier zu dieser 101
Tür hinaus und nehme diese fünfzigtausend Dollar mit!« Gallegher warf einen gierigen Blick auf das Geld. Er trank einen raschen Schluck, fluchte leise vor sich hin und wandte sich wieder seinem angefangenen Apparat zu. Diesmal blieb er bei der Arbeit. Nach einer Weile blitzte auf dem Werktisch ein Licht auf, und der Strahl traf Gallegher voll ins Auge. Er taumelte zurück und schrie. »Sind Sie verletzt?« fragte Harding besorgt und sprang auf. »Quatsch«, brummte Gallegher und betätigte einen Schalter. »Ich denke, ich hab's bald. Dieses Licht… autsch. Meine Augäpfel haben 'nen Sonnenbrand.« Er blinzelte, um die Tränen zurückzuhalten. Dann ging er schnell zur Schnapsorgel. Nach einem kräftigen Zug nickte er Harding zu. »Ich bin Ihrem Problem auf der Spur. Ich weiß allerdings nicht, wie lange es noch dauern wird.« Er verzog das Gesicht. »Opa, hast du hier vielleicht die Einstellung verändert?« »Keine Ahnung. Ich habe nur ein paar Knöpfe gedrückt.« »Das habe ich mir gedacht. Das ist kein BocksGin. W-auw!« 102
»Da sind ein paar Zentner drin, wie?« fragte der Großvater, dessen Interesse geweckt war und der herüberkam, um die Schnapsorgel nochmals auszuprobieren. »Nicht die Spur«, sagte Gallegher und rutschte auf seinen Knien auf das Bild-Ton-Aufnahmegerät zu. »Was ist das? Ein Spion, wie? Wir wissen in diesem Haus, wie man mit Spionen umzugehen hat, du schmutziger Verräter.« Indem er dieses sagte, erhob er sich wieder auf seine Füße, ergriff ein Tuch und warf es über das Aufnahmegerät. Von nun an blieb die Leinwand dunkel. »Trotz meiner Klugheit gehe ich mir doch jedesmal selbst auf den Leim«, murmelte Gallegher, erhob sich und schaltete den Projektor ab. »Ich mache mir die Mühe und baue dieses Aufnahmegerät, und nachher binde ich ihm die Augen zu, gerade in dem Augenblick, wo die Sache interessant wird. Jetzt weiß ich noch weniger als vorher, weil nun noch mehr unbekannte Parameter drin sind.« »Der Mensch kann die Natur der Dinge erkennen«, sagte Joe. Er unterhielt sich mal wieder mit sich selbst. »Ein sehr bedeutender Gedanke«, gab Gallegher zu. »Allerdings haben ihn die Griechen schon vor 103
einiger Zeit gehabt. Wenn du dich weiter so anstrengst, wirst du bald die gewaltige Entdeckung gemacht haben, daß zwei plus zwei vier sind.« »Sei still, du häßlicher Mensch«, sagte Joe. »Ich bemühe mich gerade um die Lehre vom Abstrakten. Öffne die Tür und laß mich in Ruhe.« »Die Tür? Warum? Es hat doch nicht geklingelt.« »Es wird aber«, prophezeite Joe. »Siehst du, schon geht's los.« »Besucher zu nachtschlafener Zeit«, seufzte Gallegher, denn die Sonne stand im Süden. »Na ja, vielleicht ist es mein Großvater.« Er drückte auf einen Knopf, betrachtete den Eingangsbildschirm und stellte fest, daß er den Mann mit dem vorgeschobenen Unterkiefer und den buschigen Augenbrauen nicht kannte. »In Ordnung«, sagte er. »Treten Sie ein. Folgen Sie den automatischen Hinweisen.« Dann wandte er sich durstig der Schnapsorgel zu, wurde jedoch sofort wieder an seine derzeitigen Tantalusqualen erinnert. Der Mann mit dem gewaltigen Unterkiefer kam herein. Gallegher sagte: »Fassen Sie sich kurz. Ich werde von einem kleinen braunen Tierchen verfolgt, das mir meinen ganzen Alkohol wegtrinkt. Ich habe noch verschiedene andere Sorgen, aber die größte davon ist dieses kleine braune Tierchen. Wenn ich 104
nichts zu trinken bekomme, werde ich bald sterben. Also erzählen Sie, was Sie von mir wollen, und lassen Sie mich dann in Ruhe, damit ich an meinen Problemen arbeiten kann. Ich schulde Ihnen doch nicht etwa Geld, oder?« »Das kommt drauf an«, sagte der Neuankömmling, dessen Akzent den Schotten verriet. »Ich heiße Murdoch Mackenzie, und ich vermute, Sie sind Mr. Gallegher. Sie sehen nicht sehr vertrauenerweckend aus. Wo ist mein Partner, und wo sind die fünfzigtausend Dollar, die er bei sich trug?« Gallegher überlegte. »Ihr Partner, wie? Sollte das vielleicht Jonas Harding sein?« »Das ist er. Mein Partner in der AdrenalGesellschaft.« »Ich habe ihn nicht gesehen.« Mit seinem üblichen Takt bemerkte Joe: »Der häßliche Mann mit den großen Ohren. Du weißt doch, wie widerwärtig er aussah.« »Stimmt genau«, Mackenzie nickte. »Ich stelle fest, daß Sie bei der Beschreibung die Vergangenheit benutzen, jedenfalls tut es Ihre klappernde Maschine. Haben Sie vielleicht meinen Partner ermordet und seinen Körper mittels einer
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Ihrer wissenschaftlichen Vorrichtungen beiseite geschafft?« »Jetzt hören Sie aber mal auf –« sagte Gallegher. »Was ist denn los? Trage ich das Kainszeichen auf der Stirn, oder was habe ich Besonderes an mir? Wie kommen Sie dazu, solche Schlüsse zu ziehen? Sie sind verrückt!« Mackenzie rieb sich sein langes Kinn und sah Gallegher unter buschigen Augenbrauen hervor an. »Es wäre kein großer Verlust, ich weiß«, gab er zu. »Jonas ist mir keine große Hilfe im Geschäft. Zu methodisch. Aber er hatte fünfzigtausend Dollar bei sich, als er letzte Nacht hier vorsprach. Außerdem erhebt sich noch die Frage nach der Leiche. Die Versicherungssumme für ihn ist, rundheraus gesagt, gewaltig. Ganz unter uns, Mr. Gallegher, ich würde es Ihnen nicht übelnehmen, wenn Sie meinen unglücklichen Partner umgebracht und die Fünfzigtausend eingesackt hätten. Tatsache ist, ich wäre vielleicht sogar geneigt, die Möglichkeit ins Auge zu ziehen, Sie mit – sagen wir mal – zehntausend davonkommen zu lassen, falls Sie mir den Rest aushändigen. Aber nur dann, wenn Sie mir einen gesetzlich gültigen Nachweis für das Ableben von Jonas liefern können, so daß die Versicherung befriedigt wäre.«
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»Logik«, sagte Joe bewundernd. »Wundervolle Logik. Es ist verblüffend, daß solche Logik von einer derartig undurchsichtigen Schreckensgestalt produziert werden kann.« »Ich würde viel schrecklicher aussehen, mein Freund, wenn meine Haut so durchsichtig wäre wie die deine«, sagte Mackenzie, »falls die anatomischen Lehrbücher recht haben. Im Augenblick jedoch reden wir von der Leiche meines Partners.« Gallegher sagte heftig: »Dieser Vorschlag ist phantastisch! Vermutlich machen Sie sich damit der Mittäterschaft oder so etwas schuldig.« »Also geben Sie das Verbrechen zu?« »Natürlich nicht! Sie sind Ihrer Sache viel zu sicher, Mr. Mackenzie. Ich möchte wetten, Sie haben Harding selbst umgebracht und versuchen nun, es mir in die Schuhe zu schieben. Woher wissen Sie denn überhaupt, daß er tot ist?« »Nun, das erfordert wohl eine Erklärung, das gebe ich zu«, sagte Mackenzie. »Jonas war ein methodischer Mensch. Sehr methodisch! Ich habe es nie erlebt, daß er aus irgendeinem Grund eine Verabredung nicht eingehalten hätte. Er hatte gestern abend und heute morgen Verabredungen. Eine davon mit mir. Außerdem hatte er 107
fünfzigtausend Dollar bei sich, als er Sie letzte Nacht aufsuchte.« »Woher wissen Sie, daß er hierher gekommen ist?« »Ich habe ihn selbst in meinem Luftwagen hergebracht. Vor Ihrer Tür ist er ausgestiegen. Ich sah, wie er hineinging.« »Nun, Sie sahen zwar nicht, wie er mein Haus verließ, aber das hat er getan«, sagte Gallegher. Mackenzie fuhr völlig ungerührt fort, die einzelnen Punkte seiner Beweisführung an den Fingern abzuzählen. »Heute morgen habe ich Ihren Ruf überprüft, Mr. Gallegher, und er ist wahrhaftig nicht der beste. Im besten Falle: unstabil. Sie sind in Verbindung mit ein paar krummen Sachen genannt worden, und in der Vergangenheit hat man Sie sogar einiger Verbrechen angeklagt. Nichts konnte jemals bewiesen werden, doch habe ich den Verdacht, daß Sie ein sogenanntes stilles Wasser sind. Die Polizei würde meine Meinung teilen.« »Man kann überhaupt nichts beweisen. Harding liegt vermutlich zu Hause in seinem Bett.« »Das tut er nicht. Fünfzigtausend Dollar sind eine Menge Geld. Die Lebensversicherung meines Partners beläuft sich auf einen weitaus höheren 108
Betrag. Unsere Geschäfte werden ziemlich schwer betroffen werden, wenn Jonas weiterhin verschwunden bleibt, und dann müssen gerichtlich die neuen Eigentumsverhältnisse geregelt werden. Und derartige gerichtliche Schritte kosten viel Geld.« »Ich habe Ihren Partner nicht umgebracht!« schrie Gallegher. »Ah«, lächelte Mackenzie. »Immerhin, wenn ich wenigstens beweisen könnte, daß Sie es getan haben, wäre der Effekt derselbe – und ich würde dabei nichts verlieren. Ich hoffe, Sie verstehen Ihre Lage, Mr. Gallegher. Warum geben Sie es nicht zu und sagen mir, was Sie mit der Leiche gemacht haben. Dann könnten Sie mit fünftausend Dollar fliehen.« »Vor einer Weile sprachen Sie von zehntausend.« »Sie sind schwerhörig«, sagte Mackenzie unbeirrt. »Ich habe nichts dergleichen gesagt. Jedenfalls können Sie es nicht beweisen.« Gallegher sagte: »Nun gut, ich schlage vor, wir trinken etwas und bereden dabei die Sache.« Ihm war ein neuer Gedanke gekommen. »Ein ausgezeichneter Vorschlag.« Gallegher fand zwei Gläser und bediente die Schnapsorgel. Er bot Mackenzie das eine Glas an. 109
Dieser schüttelte jedoch den Kopf und streckte die Hand nach dem andern aus. »Vielleicht Gift«, sagte er mit mißtrauischer Stimme. »Sie haben kein sehr vertrauenswürdiges Gesicht.« Gallegher ließ sich das gefallen. Er hoffte, daß bei zwei zur Verfügung stehenden Gläsern das geheimnisvolle braune Tierlein den Anforderungen nicht mehr gewachsen sein würde. Er versuchte, den Whisky rasch hinunterzuschütten, doch erreichte nur ein Tropfen seine Kehle, was ihn fast zum Wahnsinn trieb. Das Glas war leer. Er setzte es ab und starrte Mackenzie an. »Ein billiger Trick«, sagte Mackenzie und setzte sein eigenes Glas auf die Werkbank nieder. »Ich habe Sie nicht um Ihren Whisky gebeten. Wie können Sie ihn so schnell verschwinden lassen?« In heller Wut über die Enttäuschung fuhr ihn Gallegher an: »Ich bin eben ein Zauberer! Ich habe meine Seele dem Teufel verkauft. Für zwei Pfennige würde ich Sie ebenfalls verschwinden lassen.« Mackenzie zuckte die Achseln. »Ich mache mir deswegen keine Sorgen. Wenn Sie es könnten, hätten Sie es schon vorher getan. Was aber die Zauberei anbetrifft, so bin ich keineswegs mehr ungläubig, nachdem ich jenes Ungeheuer dort hocken sehe.« 110
Er zeigte auf den dritten Dynamo, der kein Dynamo war. »Was? Wollen Sie damit sagen, daß Sie es sehen können?« »Ich sehe mehr, als Sie glauben, Mr. Gallegher«, sagte Mackenzie drohend. »Jawohl, und jetzt gehe ich zur Polizei.« »Einen Augenblick mal. Sie können gar nichts dabei gewinnen, wenn Sie –« »Ich gewinne auch nichts dabei, wenn ich mit Ihnen rede. Da Sie sich halsstarrig zeigen, werde ich es mit der Polizei versuchen. Wenn die beweisen kann, daß Jonas tot ist, dann kann ich mir wenigstens die Versicherungssumme auszahlen lassen.« Gallegher sagte: »Jetzt warten Sie doch einmal. Ihr Partner war wirklich hier. Er wollte, daß ich ein Problem für ihn löse.« »Aha. Und haben Sie es gelöst?« »N-nein. Zumindest –« »Dann haben Sie mir keinen Vorteil zu bieten«, sagte Mackenzie fest und wandte sich zur Tür. »Sie werden sehr bald von mir hören.« Gallegher sank unglücklich auf die Couch nieder und dachte nach. Schließlich hob er den Blick und 111
starrte auf den dritten Dynamo. Es handelte sich also nicht um eine Halluzination, wie er vermutet hatte. Eben so wenig war es ein Dynamo. Es war ein gedrungener formloser Gegenstand, der aussah wie eine verstümmelte Pyramide, die zu schmelzen begonnen hatte – und zwei große blaue Augen schauten ihn an. Augen oder Edelsteine oder emailliertes Metall. Er war sich seiner Sache nicht sicher. Das Ding war im Ganzen etwa einen Meter hoch und hatte am Fußende einen Durchmesser von ebenfalls einem Meter. »Joe«, sagte Gallegher, »warum hast du mich nicht auf dieses Ding aufmerksam gemacht?« »Ich dachte, du hättest es gesehen«, erklärte Joe. »Das tat ich auch, aber – was ist es denn?« »Ich habe nicht die geringste Ahnung.« »Und wo hätte es herkommen können?« »Nur dein Unterbewußtsein weiß, was du letzte Nacht angestellt hast«, sagte Joe. »Vielleicht wissen es auch dein Großvater und Jonas Harding. Aber offenbar sind beide nicht mehr hier in der Gegend.« Gallegher trat ans Visiphon und meldete ein Gespräch mit Maine an. »Opa ist vielleicht nach Hause gefahren. Es ist zwar unwahrscheinlich, daß er Harding mitgenommen hat, aber wir dürfen keine Möglichkeit auslassen. Ich werde das nachprüfen. 112
Eins habe ich aber wenigstens erreicht: Meine Augen tränen nicht mehr. Was war das nur für ein Apparat, den ich letzte Nacht gebaut habe?« Er trat an die Werkbank und studierte das rätselhafte Sammelsurium. »Ich möchte bloß einmal wissen, warum ich einen Schuhanzieher in diesen Schwingkreis getan habe?« »Wenn du einen ausreichenden Vorrat an verschiedenem Material hier anlegen würdest, brauchte sich dein geniales Unterbewußtsein nicht so sehr aufs Improvisieren zu verlegen«, sagte Joe ernsthaft. »Hm-m-m, ich könnte mich zwar betrinken und mein Unterbewußtsein wieder an die Regierung lassen … nein, das kann ich nicht. Joe, ich kann nicht mehr trinken! Ich fühle mich an Händen und Füßen gefesselt!« »Ich überlege mir gerade, ob Dalton wirklich den richtigen Gedanken hatte?« Gallegher fuhr ihn an: »Mußt du unbedingt deine Augen so ausfahren wie ein Sehrohr? Ich brauche jetzt Hilfe!« »Von mir aber nicht«, sagte Joe. »Das Problem ist ganz einfach, wenn du es dir erst einmal ruhig überlegst.«
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»Einfach, wie? Dann nennst du mir vielleicht die Antwort!« »Ich möchte mir erst über ein bestimmtes philosophisches Konzept im klaren sein.« »Nimm dir dazu so viel Zeit, wie du willst. Wenn ich erst im Gefängnis verfaule, kannst du deine Mußestunden damit verbringen, über Abstraktionen nachzudenken. Hol mir ein Bier! Nein, laß es! Ich bekäme es ohnehin nicht zu trinken. Wie sieht denn dieses kleine braune Tier aus?« »Ach, benutz doch deinen eigenen Hirnkasten«, sagte Joe. Gallegher brummte: »Den könnte ich als Affenkäfig benutzen, so wie er sich anfühlt. Du weißt doch alles. Warum sagst du es mir nicht, anstatt solchen Unsinn zu verzapfen?« »Der Mensch kann die Natur der Dinge erkennen«, sagte Joe. »Das Heute ist eine logische Weiterentwicklung des Gestern. Offensichtlich hast du das Problem gelöst, das dir die AdrenalGesellschaft gestellt hat.« »Wie? Oh. Ich erinnere mich jetzt. Harding wollte ein neues Tier oder so etwas ähnliches!« »Nun?« »Jetzt habe ich zwei davon«, sagte Gallegher. »Diesen kleinen, braunen, unsichtbaren, 114
wahnsinnigen Säufer und diese blauäugige Mißgeburt, die da auf dem Boden hockt. Mein Gott! Wo habe ich die bloß aufgelesen? In einer anderen Dimension?« »Woher soll ich das wissen? Du hast sie doch herbeigeschafft.« »Das will ich meinen«, stimmte Gallegher zu. »Vielleicht habe ich eine Maschine gebaut, welche die beiden hier von irgendeiner anderen Welt mitgenommen hat – und vielleicht befinden sich Opa und Harding jetzt auf jener Welt! Eine Art von Austausch der Intelligenzen. Ich weiß es nicht. Harding wollte ungefährliche Raubtiere, die schwer genug zu jagen sind, um für die Jäger ein echtes Abenteuer darzustellen – aber wo steckt das Element der Gefahr?« Er schluckte. »Vermutlich sollte allein die Fremdartigkeit dieser Kreaturen den gewünschten Eindruck auf die Jäger machen. Jedenfalls – ich zittere schon.« »Gelegentliches Durchfluten des Blutstroms mit Adrenalin verleiht dem ganzen Organismus Spannkraft«, zitierte Joe. »Also muß ich diese Bestien gefangen oder mich ihrer sonstwie bemächtigt haben, offenbar um Hardings Problem zu lösen … hm-m-m-«, Gallegher
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stand auf und stellte sich vor das formlose blauäugige Wesen. »He, du!« sagte er. Er erhielt keine Antwort. Die sanften blauen Augen fuhren fort, ins Nichts zu blicken. Versuchsweise streckte Gallegher einen Finger nach ihnen aus. Es ereignete sich überhaupt nichts. Das Auge war unbeweglich und hart wie Glas. Gallegher versuchte es mit der bläulichen glatten Haut der Kreatur. Sie fühlte sich an wie Metall. Er unterdrückte seine leichte Panik und versuchte, die Bestie vom Boden zu heben, hatte damit jedoch nicht den geringsten Erfolg. Entweder war sie unglaublich schwer, oder sie besaß Saugnäpfe auf ihrer Unterseite. »Augen«, sagte Gallegher. »Keine weiteren Sinnesorgane, wie es scheint. Das wollte Harding aber doch nicht.« »Ich glaube, die Schildkröte ist auch nicht dumm«, warf Joe ein. »Schildkröte? Oh. Das stimmt. Es ist schon ein Problem. Wie kann man eine … eine Bestie wie diese hier fangen oder töten? Ihre Außenhaut fühlt sich ziemlich hart an. Sie läßt sich nicht vom Fleck bewegen – das ist es, Joe! Das Wild braucht sich nicht auf Flucht oder Kampf zu verlassen, ebensowenig wie diese Schildkröte. Sie wäre das 116
ideale Jagdbild für den ermatteten Intellektuellen, der eine Aufregung sucht. Aber wo bleibt das Adrenalin?« Joe sagte nichts. Gallegher überlegte, und schließlich ergriff er einige Werkzeuge und Reagenzien. Er versuchte es mit einem Diamantbohrer. Er versuchte es mit Säuren. Er schöpfte seine sämtlichen Möglichkeiten aus, um das blauäugige Untier aus der Ruhe zu bringen. Nach einer Stunde wurden seine wütenden Flüche von einer Bemerkung des Roboters unterbrochen. »He, warum versuchst du Adrenalin?« fragte Joe ironisch.
es
nicht
mit
»Halt's Maul!« brüllte Gallegher. »Das Ding sitzt nur hier und starrt mich an. Adren – was?« »Nicht nur Furcht, sondern auch Ärger regt die Nebenniere zur Produktion von Adrenalin an, das weißt du doch. Und ich vermute, jeder Mensch würde sich von diesem fortgesetzten passiven Widerstand zu Zornesausbrüchen hinreißen lassen.« »Das stimmt«, sagte der schwitzende Gallegher und versetzte der Kreatur einen letzten Tritt. Er wandte sich zur Couch. »Wenn man den Ärgernisquotienten hinreichend erhöht, kann man die Furcht durch Zorn ersetzen. Aber wie verhält es
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sich mit dem kleinen braunen Tier? Darauf bin ich doch nicht wütend.« »Schenk dir nur mal ein Glas ein«, schlug Joe vor. »Schon gut, schon gut. Ich bin auf dieses kleptomanische Miststück wütend! Aber du hast gesagt, es bewegt sich so schnell, daß ich es nicht sehen kann. Wie könnte ich es fangen?« fragte Gallegher. »Zweifellos gibt es auch dafür Methoden.« »Es entwischt mir ebenso, wie diese andere Mißgeburt unverletzlich ist. Könnte ich seine Bewegungen verlangsamen, indem ich es betrunken mache?« »Denk an den Kreislauf!« »Du meinst, die Lebensvorgänge und damit die Verbrennung des Alkohols ginge so rasch vor sich, daß dieses Tier gar keine Zeit hat, betrunken zu werden? Vermutlich hast du recht. Aber dann muß es doch auch eine Menge Nahrung zu sich nehmen.« »Hast du in der letzten Zeit mal in die Küche geschaut?« fragte Joe. Vor Galleghers geistigen Augen erschien das Bild einer ausgeplünderten Speisekammer, und er erhob sich rasch. Auf dem Weg zur Küche blieb er neben dem blauäugigen Gegenstand stehen.
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»Bei dem hier kann man wohl kaum von irgendeinem Metabolismus reden. Aber essen muß es auch, vermute ich. Trotzdem – was denn? Luft? Möglich wäre alles.« Es klingelte. Gallegher stöhnte: »Was ist denn jetzt schon wieder los?« und ließ den Besucher ein. Ein Mann trat ein, dessen rötliches Gesicht einen streitlustigen Ausdruck trug, klärte Gallegher darüber auf, daß er sich unter vorläufigem Arrest befinde und rief dann den Rest seiner Leute herein, die unverzüglich mit einer Haussuchung begannen. »Mackenzie hat euch geschickt, oder?« fragte Gallegher. »Das stimmt. Johnson ist mein Name. Kommissar für unbewiesene Gewaltverbrechen. Wollen Sie einen Anwalt hinzuziehen?« »Ja«, sagte Gallegher, der sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen wollte. Er rief über das Visiphon einen ihm bekannten Anwalt an; als er jedoch anfing, seine Schwierigkeiten zu erklären, unterbrach ihn sein Gesprächspartner. »Tut mir leid. Ich übernehme keine Aufträge, bei denen ich spekulieren muß. Sie kennen meine Gebühren.« »Wer sagte denn etwas von spekulieren?«
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»Ihr letzter Scheck ist gestern geplatzt. Diesmal will ich Bargeld sehen, oder es ist nichts zu machen.« »Ich… jetzt warten Sie doch mal! Ich habe gerade einen Auftrag ausgeführt, der mir eine Menge einbringt. Ich kann Ihnen das Geld in –« »Wenn ich Ihre Dollars zwischen den Fingern fühle, kann ich Sie vertreten«, sagte die mitleidlose Stimme, und das Bild auf dem Schirm verblaßte. Johnson, der Detektiv, tippte Gallegher auf die Schulter. »Sie haben also Ihr Konto überzogen, wie? Brauchten wohl Geld?« »Das ist kein Geheimnis. Andererseits bin ich im Augenblick auch nicht völlig pleite. Ich habe eine –« »Arbeit fertiggestellt. Hm-m-m. Das habe ich auch gehört. Sie sind also plötzlich reich. Was hat Ihnen diese Arbeit eingebracht? Doch nicht etwa fünfzigtausend Dollar, wie?« Gallegher holte tief Atem. »Ich sage überhaupt nichts mehr«, erklärte er, zog sich auf die Couch zurück und versuchte, von den Männern keine Notiz zu nehmen, die sein Labor durchsuchten. Er brauchte einen Anwalt. Den hatte er bitter nötig. Aber ohne Geld war nichts zu machen. Vielleicht wenn er sich Mackenzie – 120
Das Visiphon unterstützte ihn in seinen Bemühungen. Mackenzie schien bester Laune zu sein. »Hallo«, sagte er, »wie ich sehe, ist die Polizei schon eingetroffen.« Gallegher sagte: »Hören Sie, hinsichtlich des Auftrags, den mir Ihr Partner erteilt hat – ich habe Ihr Problem gelöst. Ich habe, was Sie wollten.« »Sie meinen die Leiche von Jonas?« Mackenzie schien hocherfreut. »Nein! Die Tiere, die Sie haben wollten! Die ideale Jagdbeute!« »Oh! Nun ja, warum haben Sie das nicht eher gesagt?« »Kommen Sie her und schaffen Sie mir die Polizei vom Hals«, drängte Gallegher. »Ich sage Ihnen, ich kann Ihnen Ihre idealen Tiere vorführen!« »Ich weiß nicht, ob ich die Meute noch von Ihrer Fährte abbringen kann«, sagte Mackenzie, »aber ich werde gleich mal 'rüberkommen. Viel werde ich jedoch nicht bezahlen, verstehen Sie?« »Bäh!« machte Gallegher und unterbrach die Verbindung. Das Visiphon summte erneut. Er drückte auf den Knopf, und ein weibliches Gesicht erschien auf dem Bildschirm. 121
Sie sagte: »Mr. Gallegher, in Beantwortung Ihrer Frage nach Ihrem Großvater können wir Ihnen mitteilen, daß er nach unseren Untersuchungen noch nicht nach Maine zurückgekehrt ist. Das ist alles.« Sie verschwand. Johnson sagte: »Was war das? Ihr Großvater? Wo steckt er denn?« »Ich habe ihn aufgegessen«, sagte Gallegher, dessen Nerven sich nicht im besten Zustand befanden. »Warum lassen Sie mich nicht in Ruhe?« Johnson machte sich eine Notiz. »Ihr Großvater. Ich werde einmal nachforschen. Übrigens – was ist das für ein Ding dort?« Er deutete auf die blauäugige Kreatur. »Ich beschäftige mich zur Zeit mit einem interessanten Fall von degenerativer Osteomyelitis, die einen barocken Cephalopoden befallen hat.« »Oh, ich verstehe. Vielen Dank. Fred, untersuch einmal die Angelegenheit mit dem Großvater dieses Burschen hier. Warum reißt du die Augen auf?« Fred sagte: »Diese Projektionswand. Sie muß vor kurzem benutzt worden sein.« Johnson näherte sich dem Bild-TonAufnahmegerät. »Das Beste wird sein, wir beschlagnahmen alles. Vermutlich ist es nicht von Bedeutung, aber –« Er berührte einen Schalter. Auf der Leinwand zeigte sich nichts, doch Galleghers 122
Stimme ertönte: »Wir wissen in diesem Haus, wie man mit Spionen umzugehen hat, du schmutziger Verräter.« Johnson schaltete wieder ab. Er warf Gallegher einen Blick zu. Sein gerötetes Gesicht blieb ausdruckslos, und schweigend spulte er das Aufnahmeband zurück. Gallegher sagte: »Joe, hol mir ein stumpfes Messer. Ich will mir die Kehle durchschneiden, und ich will es mir nicht allzu leicht machen. Ich habe mich schon so daran gewöhnt, die Sachen von der schweren Seite anzugehen.« Aber Joe, der sich in die Tiefen der Philosophie verloren hatte, gab keine Antwort. Johnson war nun so weit und ließ die Aufnahme der letzten Nacht abspielen. Er holte ein Bild hervor und verglich es mit den Gesichtern auf dem Bildschirm. »Das ist Harding, stimmt genau«, sagte er. »Vielen Dank, Mr. Gallegher, daß Sie das für uns aufgehoben haben.« »Oh, ich tue Ihnen gern jeden Gefallen«, sagte Gallegher. »Ich bin sogar dem Henker behilflich, wenn er den Knoten um meinen Hals legen will.« »Ha-ha. Stenografierst du mit, Fred?« Das Wiedergabegerät lief mitleidlos weiter. Gallegher redete sich ein, daß letzten Endes doch nichts besonders Belastendes festgehalten worden 123
war. Seine Illusionen verflogen jedoch, nachdem die Leinwand dunkel blieb, von der Stelle an, wo er die Decke über das Aufnahmegerät geworfen hatte. Johnson hob die Hand und bat um Schweigen. Auf der Leinwand zeigte sich immer noch nichts. Doch nach einem oder zwei Augenblicken waren zwei Stimmen deutlich zu vernehmen. »Sie haben noch siebenunddreißig Minuten, Mr. Gallegher.« »Bleiben Sie nur, wo Sie sind. Es wird noch eine Minute dauern. Außerdem möchte ich gern Ihre fünfzigtausend Dollar in die Finger bekommen!« »Aber –« »Beruhigen Sie sich. Ich hab's gleich. Es dauert nicht mehr lange, und Sie sind alle Ihre Sorgen los.« Habe ich das gesagt? dachte Gallegher verzweifelt. Was bin ich doch für ein Narr. Warum habe ich nicht auch das Mikrofon abgestellt, nachdem ich die Linse zugedeckt hatte? Großvaters Stimme klang auf: »Du willst mich wohl stückchenweise umbringen, wie, du kleiner Halbstarker!« »Der alte Knacker wollte bloß eine neue Flasche haben«, stöhnte Gallegher zu sich selbst. »Aber wie ich das diesen Plattfüßen hier beibringen soll –« Ein neuer Gedanke tauchte auf. »Vielleicht kann ich 124
herausfinden, was mit Großvater und Harding wirklich passiert ist. Wenn ich sie in eine andere Welt transportiert habe, müßte doch irgendein Hinweis –« »Jetzt passen Sie gut auf«, hörte man Galleghers Stimme von der letzten Nacht, »ich erkläre es Ihnen, während ich hier arbeite. Oh! Einen Augenblick mal. Ich will das später patentieren lassen, also kann ich keine Spione gebrauchen. Ich kann mich darauf verlassen, daß ihr beide nicht redet, aber das Aufnahmegerät ist immer noch eingeschaltet. Wenn ich es mir morgen wieder anhöre, werde ich zu mir sagen: ›Gallegher, du redest zuviel. Es gibt nur eine Möglichkeit, ein Geheimnis zu bewahren.‹ Auf los geht's los!« Jemand schrie. Mitten im Schrei war die Aufnahme abgeschaltet worden. Das Gerät blieb stehen. Es herrschte tiefes Schweigen. Die Tür öffnete sich, und Murdoch Mackenzie kam herein. Er rieb sich die Hände. »Ich bin sofort hergefahren«, sagte er im Geschäftston. »Also, Sie haben unser Problem gelöst, wie, Mr. Gallegher? Vielleicht können wir doch noch ins Geschäft kommen. Schließlich liegen keine echten Beweise dafür vor, daß Sie Jonas umgebracht haben – und ich bin gewillt, die Anklage 125
fallen zu lassen, wenn Sie das erfunden haben, was die Adrenal-Gesellschaft benötigt.« »Komm, gib mir die Handschellen, Fred«, sagte Johnson. Gallegher protestierte. »Das können Sie doch nicht machen!« »Ein fehlerhaftes Theorem«, sagte Joe, »welches, wie ich bemerke, gleich mittels der empirischen Methode widerlegt werden wird. Wie unlogisch ihr häßlichen Menschen doch alle seid!« In gewisser Hinsicht hatte Gallegher Glück. Beamte sind immer vorsichtig genug, ihren Kopf nicht zu weit vorzustrecken. Eine einfache Klage wegen unzulässiger Verhaftung konnte zu phantastisch hohen Schmerzensgeldern und großen Unannehmlichkeiten führen. Der dickköpfige Murdoch Mackenzie nutzte diese Lage aus, rief seinen eigenen Anwalt an und warf Kies in das Räderwerk des Gesetzes. Der Anwalt sprach mit Johnson. Es gab keine Leiche. Die Bild-Ton-Aufnahme war als Beweis unzureichend. Außerdem gab es da noch ungeklärte Fragen, die zum Beispiel habeas corpus und Haussuchungsbefehle betrafen. Johnson seinerseits rief die Rechtsabteilung des Polizeipräsidiums an, und nun tobte die mit 126
Argumenten gespickte Rechtsdebatte über die Köpfe von Gallegher und Mackenzie hinweg. Das Ende war, daß Johnson samt seinen Leuten das Haus verließ – wobei er die verdächtige Aufnahme mitnahm – mit der Drohung, sofort nach Ausstellung der erforderlichen Papiere und Genehmigungen zurückzukehren. In der Zwischenzeit würde das Haus von seinen Beamten bewacht werden. Mit einem mißgünstigen Blick auf Mackenzie stapfte er hinaus. »Und jetzt zum Geschäft«, sagte Mackenzie und rieb sich die Hände. »Ganz unter uns« – vertraulich beugte er sich vor – »ich bin sehr froh, daß ich meinen Partner los bin. Ob Sie ihn nun um die Ecke gebracht haben oder nicht – ich hoffe jedenfalls, daß er verschwunden bleibt. Jetzt kann ich die Geschäfte wenigstens zur Abwechslung einmal auf meine Art führen.« »Das ist schon gut und recht«, sagte Gallegher, »aber was wird mit mir? Sobald Johnson eine geeignete Handhabe findet, bin ich wieder in Haft.« »Aber nicht verurteilt«, führte Mackenzie aus. »Ein schlauer Anwalt kann Sie herausboxen. Ich kenne einen ähnlichen Fall, in dem der Angeklagte mit einer Verteidigung von non esse davonkam. – Sein Anwalt verstieg sich in die Metaphysik und bewies, daß der Ermordete nie existiert hatte. Das 127
war eine ziemliche Blenderei, aber bis jetzt läuft der Mörder noch frei herum.« Gallegher sagte: »Ich habe das Haus durchsucht, und Johnsons Leute taten es ebenfalls. Von Jonas Harding oder meinem Großvater ist einfach keine Spur zu sehen. Und ich will offen sagen, Mr. Mackenzie, daß ich nicht die geringste Ahnung habe, was ihnen passiert sein könnte.« Mackenzie machte eine joviale Handbewegung. »Wir müssen methodisch vorgehen. Sie hatten erwähnt, daß es Ihnen gelungen sei, ein wichtiges Problem für die Adrenal-Gesellschaft zu lösen. Nun, ich gebe zu, daß mich das interessiert.« Schweigend deutete Gallegher auf den blauäugigen Dynamo. Mackenzie untersuchte den Gegenstand nachdenklich. »Nun?« fragte er. »Das ist es. Das ideale Jagdwild für Managerkranke.« Mackenzie ging zu dem Ding hinüber, beklopfte es und schaute tief in seine milden azurblauen Augen. »Wie schnell kann es laufen?« fragte er. Gallegher sagte: »Es braucht nicht zu laufen. Wie Sie sehen, ist es unverletzlich.« »Ha! Hm. Wenn Sie sich vielleicht etwas deutlicher erklären würden –« 128
Mackenzie schien jedoch mit der Erklärung nicht besonders zufrieden zu sein. »Nein«, sagte er, »da stimme ich nicht mit Ihnen überein. Es wäre nicht aufregend genug, eine solche Kreatur zu jagen. Sie vergessen, daß unsere Kunden Aufregung brauchen – die Reizung der Adrenalindrüsen.« »Das bekommen Sie auch! Wut hat denselben Effekt wie Gefahr –« Gallegher verbreitete sich über die Einzelheiten. Mackenzie aber schüttelte den Kopf. »Sowohl Furcht wie auch Wut und Zorn setzen im Menschen überflüssige Energie frei, die man abreagieren muß. Und das können sie nicht gegenüber einem passiven Opfer. Damit werden nur Neurosen großgezüchtet. Und wir sind dazu da, um Neurosen verschwinden zu lassen, nicht um sie zu erzeugen.« Gallegher erinnerte sich in seiner wachsenden Verzweiflung plötzlich des kleinen braunen Tieres und fing an, auch diese Erscheinung Mackenzie anzubieten. Einmal unterbrach ihn Mackenzie und wollte das Tierlein sehen. Gallegher beeilte sich, diese Klippe zu umschiffen. »Ha«, sagte Mackenzie schließlich doch, »das ist nicht fair, das ist unsportlich. Wie kann man etwas jagen, das unsichtbar ist?«
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»Oh – ultraviolettes Licht. Spurenanalysatoren. Die Jagd wird zu einem Test für Einfallsreichtum –« »Unsere Kunden sind nicht einfallsreich. Sie wollen es auch gar nicht sein. Sie wollen Abwechslung und Ferien vom Alltag, von harter Arbeit – oder leichter Arbeit, ganz egal, sie wollen sich zerstreuen. Sie wollen sich nicht ihr Gehirn nach einer Methode zermartern müssen, wie man am besten etwas fängt, das schon außer Sicht ist, noch ehe es überhaupt vorbeikommt. Sie sind ein sehr kluger Mann, Mr. Gallegher, aber es sieht allmählich so aus, als ob ich mich doch mehr auf die Lebensversicherung meines Partners verlassen müßte.« »Jetzt warten Sie doch einmal –« Mackenzie kräuselte die Lippen. »Ich gebe zu, in diesen Kreaturen stecken vielleicht – ich sage vielleicht – einige Möglichkeiten. Aber was ist ein Wild wert, das man nicht fangen kann? Vielleicht könnten wir ins Geschäft kommen, wenn Sie eine Methode ausarbeiten, mit der man Ihre absonderlichen Bestien fangen kann. Im Augenblick aber will ich nicht die Katze im Sack kaufen.« »Ich werde eine Möglichkeit finden«, versprach Gallegher hastig, »aber im Gefängnis kann ich das nicht.« 130
»Hm-m-m. Ich bin ein bißchen unzufrieden mit Ihnen, Mr. Gallegher. Sie haben getan, als hätten Sie unser Problem zufriedenstellend gelöst. Das aber stimmt nicht – bis jetzt noch nicht. Denken Sie ans Gefängnis. Vielleicht regt das durch diesen Gedanken aktivierte Adrenalin Ihr Gehirn an, einen Weg zu finden, wie man diese Tiere wirklich jagen kann. Obwohl – also, voreilige Versprechungen mache ich nicht.« Murdoch Mackenzie grinste Gallegher an und verließ das Zimmer, wobei er die Tür leise hinter sich schloß. Gallegher begann an seinen Fingernägeln zu kauen. »Der Mensch kann die Natur der Dinge erkennen«, sagte Joe im Brustton der Überzeugung. Und dann wurde alles noch verwirrender, als ein Herr mit grauen Schläfen auf dem Bildschirm erschien und bekanntgab, daß ein von Gallegher ausgestellter Scheck geplatzt sei. Dreihundertfünfzig Dollar, sagte der Mann, und was sollte Gallegher dagegen unternehmen? Gallegher schaute ganz verblüfft auf die Teilnehmerkarte, die auf dem Schirm zusammen mit dem Anrufer erschienen war. »Sie gehören zu den ›Vereinigten Kulturen‹? Was ist denn das?«
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Der Mann mit den grauen Schläfen sagte zuvorkommend: »Biologische und medizinische Lieferungen und Laboratorien, Mr. Gallegher.« »Was habe ich denn bei Ihnen bestellt?« »Wir haben hier eine Lieferbestätigung für dreihundert Kilo Vitaplasma, erste Qualität. Die Lieferung erfolgte eine Stunde nach Ihrer Bestellung.« »Und wann –« Der Mann mit den grauen Schläfen gab nähere Einzelheiten bekannt. Schließlich machte ihm Gallegher ein paar verlogene Versprechungen und schaltete ab. Verstört blickte er sich im Laboratorium um. »Dreihundert Kilo künstliches Protoplasma«, murmelte er, »und bestellt hat das mein verrücktes Unterbewußtsein. Es muß an finanziellem Größenwahn leiden.« »Es wurde aber geliefert«, sagte Joe. »Du hast den Lieferschein selbst unterzeichnet, damals, als Großvater und Jonas Harding verschwanden.« »Aber wofür soll ich das Zeug gebraucht haben? Es wird für plastische Chirurgie und als Prothesenmaterial benutzt. Künstliche Gliedmaßen und ähnliche Sachen. Dieses Vitaplasma ist ein künstlich gezüchtetes Zellengewebe. Habe ich das 132
etwa dazu gebraucht, um ein paar Tiere wirklich herzustellen? Das ist doch biologisch unmöglich – glaube ich wenigstens. Und wie konnte ich aus Vitaplasma ein kleines braunes Tierchen machen, das unsichtbar ist? Wo kämen denn da das Gehirn und das Nervensystem her? Joe, dreihundert Kilo Vitaplasma sind einfach verschwunden! Wo sind sie hingekommen?« Aber Joe schwieg. Ein paar Stunden später war Gallegher voll wütenden Eifers an der Arbeit. »Es geht darum«, erklärte er Joe, »so viele Einzelheiten wie möglich über diese Kreaturen herauszufinden. Dann kann ich vielleicht auch feststellen, wo sie herkommen und wie ich sie hierhergeschafft habe. Dann kann ich außerdem feststellen, wo Opa und Jonas Harding abgeblieben sind. Dann –« »Warum setzt du dich nicht hin und denkst darüber nach?« »Das ist eben der Unterschied zwischen uns! Du hast keinen Selbsterhaltungstrieb. Du könntest dich noch hinsetzen und nachdenken, wenn eine Kettenreaktion in deinen Fußzehen schon begonnen hat und sich nach oben weiterfrißt – aber ich nicht! Ich bin zu jung zum Sterben! Ich brauche etwas zu trinken. Wenn ich mich nur besaufen könnte – mein 133
dämonisches Unterbewußtsein würde das Problem dann schon lösen können. Ist das kleine braune Tier in der Nähe?« »Nein«, sagte Joe. »Dann kann ich mir vielleicht einen stehlen.« Nach einem voreiligen Versuch, einem völligen Fehlschlag endete, schrie er »Aber niemand kann sich doch so bewegen!«
Schluck der mit wütend: schnell
»Beschleunigte Lebensvorgänge. Es muß den Alkohol gerochen haben. Vielleicht verfügt es auch über zusätzliche Sinne. Sogar ich kann es kaum vahrsen.« »Wenn ich Petroleum in den Whisky schütte, schmeckt er vielleicht dem kleinen alkoholwahnsinnigen Ungeheuer nicht mehr. Andererseits mir auch nicht. Ach ja! Zurück an die Arbeit«, seufzte Gallegher und versuchte es mit einer chemischen Mixtur nach der anderen, um dem blauäugigen Dynamo beizukommen. Völlig ergebnislos. »Der Mensch kann die Natur der Dinge erkennen«, sagte Joe aufreizend. »Halt die Klappe! Ich möchte mal wissen, ob ich das Ding hier vielleicht elektrisieren kann? Dann könnte es sich zwar nicht mehr fortbewegen, aber es 134
sitzt ohnehin schon unbeweglich da. Wie ernährt es sich denn überhaupt?« »Als logische Folgerung möchte ich auf Osmose tippen.« »Sehr wahrscheinlich. Und das wird osmotisch aufgenommen?« Joe ratterte mißmutig mit einem Getriebe. »Es gibt Dutzende von Wegen, auf denen du dein Problem lösen könntest. Mit Instrumenten. Empirisch. Biologisch. Arbeite doch einfach von a posteriori auf ein a priori hin. Für mich ist es völlig klar, daß du den Auftrag der Adrenal-Gesellschaft erfüllt hast.« »Hab ich das?« »Gewiß.« »Und wie?« »Sehr einfach: Der Mensch kann die Natur der Dinge erkennen.« »Willst du endlich aufhören, diese altmodische Denkgrundlage zu zitieren, und damit anfangen, etwas Nützliches zu tun? Außerdem hast du unrecht. Der Mensch kann die Natur der Dinge nur durch eine Verbindung von Experiment und Vernunft erkennen!«
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Joe sagte: »Lächerlich! Philosophisches Unvermögen. Wenn man seinen Standpunkt nicht durch Logik erklären kann, dann hat man versagt. Jeder, der sich auf Experimente verlassen muß, verdient meine abgrundtiefe Verachtung.« »Warum soll ich nun hier herumsitzen und mich mit einem Roboter über philosophische Konzepte streiten?« fragte Gallegher einen nicht vorhandenen Gesprächspartner. »Wie würde es dir denn gefallen, wenn ich dir die Tatsache demonstriere, daß deine eigenen Ideen von einem radioatomischen Gehirn abhängen, welches seine Arbeit sofort einstellt, wenn ich es über den ganzen Fußboden verteile?« »Dann bring mich doch um«, sagte Joe. »Ich verliere dabei nichts. Nur du und die Welt erleiden einen schweren Verlust. Wenn ich sterbe, wird die Erde verarmen. Aber Zwang und Nötigung können mich nicht erschüttern. Ich besitze keinen Selbsterhaltungstrieb.« »Jetzt paß mal auf«, sagte Gallegher und versuchte es mit etwas anderem. »Wenn du ohnehin die richtige Antwort kennst, warum sagst du sie mir dann nicht? Beweise mir doch einmal deine wundervolle Logik. Überzeuge mich, daß du dabei nicht auf ein Experiment zurückgreifen mußt. Benutze doch einmal deine reine Vernunft.«
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»Warum sollte ich dich überzeugen wollen? Ich bin überzeugt. Und ich bin so schön und so vollkommen, daß es für mich keinen höheren Genuß gibt, als mich selbst zu bewundern.« »Narzissus«, knurrte ihn Gallegher an. »Du bist eine Kreuzung zwischen Narzissus und Nietzsches Übermensch.« »Der Mensch kann die Natur der Dinge erkennen«, sagte Joe stur. Als nächstes kam die Vorladung für den durchsichtigen Roboter. Die Gesetzesmaschine begann sich zu bewegen, ein ungeheuer komplizierter Apparat, der auf einer Art Logik aufgebaut war, welche offenbar ebenso abstrakt arbeitet wie die von Joe. Gallegher selbst – so schien es – war zur Zeit von einer gerichtlichen Verfolgung befreit, was sich wohl auf irgendeine unbegreifliche juristische Verfahrensweise zurückführen ließ. Doch das Prinzip hieß offenbar, daß die Summe der Teile gleich dem Ganzen sei. Joe sah man als einen der Teile an, deren Gesamtsumme Gallegher ergeben mußte. Und so erschien der Roboter eines Tages vor Gericht und lauschte den Reden und Gegenreden mit leidenschaftsloser Verachtung. Gallegher hatte Joe begleitet, zusammen mit Murdoch Mackenzie und einer Kompanie 137
Rechtsanwälte. Es handelte sich nur um eine vorbereitende Verhandlung. Gallegher paßte nicht besonders auf: Er konzentrierte sich darauf, Mittel und Wege zu finden, wie er den zurückhaltenden Roboter dazu bringen könnte, seine Fähigkeiten für ihn einzusetzen. Gallegher hatte damit angefangen, Philosophie zu studieren – in der Hoffnung, Joe mit seinen eigenen Waffen beizukommen; bis jetzt hatte das Ergebnis jedoch nur aus Kopfschmerzen und einer fast unerträglichen Sehnsucht nach einem kräftigen Schluck Alkohol bestanden. Selbst wenn er sein Labor verließ, blieb er nämlich überall die Reinkarnation des Tantalus. Das unsichtbare kleine braune Tierchen folgte ihm überall und stahl seinen Schnaps. Einer von Mackenzies Anwälten sprang auf. »Ich protestiere«, sagte er. Dann gab es einen kurzen Wortwechsel darüber, ob man Joe als Zeugen oder als Beweisstück A betrachten solle. Falls das letztere zutraf, so war die Vorladung unrichtig ausgestellt und damit hinfällig. Der Richter überlegte. »Wie ich es sehe«, erklärte er, »lautet die Frage vielmehr, ob der Roboter beeinflußt wurde oder ob er einen freien Willen besitzt. Wenn dieser… äh… Roboter über einen freien Willen –«
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»Ha!« sagte Gallegher, während ein Anwalt auf ihn zustürzte und ihm bedeutete, ruhig zu bleiben. Widerwillig verstummte er. »– dann ist er ein Zeuge. Andererseits besteht jedoch die Möglichkeit, daß der Roboter bei Handlungen, welche man als scheinbare Entscheidungen ansehen könnte, nur dem mechanischen Ausdruck von Erbanlagen und Umwelt folgt. In diesem Falle würde man Erbanlagen mit… äh … konstruktiver mechanischer Grundlage übersetzen.« »Ob der Roboter ein Vernunftwesen ist oder nicht, Herr Richter, ist hier völlig belanglos«, warf der Staatsanwalt ein. »Damit stimme ich nicht überein. Das Gesetz gründet sich auf…« Joe sagte: »Herr Richter, darf ich etwas sagen?« »Deine Fähigkeit, dich fast automatisch zu melden, verschafft dir die Erlaubnis«, sagte der Richter und betrachtete den Roboter erstaunt. »Fahre fort.« Joe hatte offenbar die Verbindung zwischen Gesetz, Logik und Philosophie herausgefunden. Er sagte hocherfreut: »Ich habe die Lösung für Ihr Problem. Ein denkender Roboter ist ein
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Vernunftwesen. Ich bin ein denkender Roboter – daher bin ich ein Vernunftwesen.« »So ein Idiot«, stöhnte Gallegher und sehnte sich nach der gesunden Logik der Elektronik und Chemie. »Der alte Sokrates! Sogar ich könnte den Fehler in dieser Überlegung nachweisen!« »Ruhig«, flüsterte Mackenzie. »Unsere Anwälte sind in Wirklichkeit darauf aus, den Fall so verwickelt zu machen, daß niemand einen Ausweg findet. Ihr Roboter ist vielleicht gar nicht so dumm, wie Sie denken.« Es erhob sich eine Diskussion darüber, ob denkende Roboter wirklich als Vernunftwesen anzusehen wären. Gallegher brütete vor sich hin. Mackenzies Argumentation konnte er nicht mehr folgen. Und es schien ihm auch nicht ganz klar zu sein – es sei denn, die Widersprüche in den übrigen Erklärungen ließen keine andere Antwort zu –, daß Joe wirklich ein Vernunftwesen war. Vor Gericht wurde diese Ansicht auch als vorläufiges Ergebnis herausgearbeitet. Das schien den Staatsanwalt ungeheuer zu befriedigen. »Herr Richter«, hub er an, »wir haben erfahren, daß Mr. Galloway Gallegher in der Nacht zu vorgestern den Roboter, der nun vor uns steht, abgeschaltet hatte. Entspricht das nicht den 140
Tatsachen, Mr. Gallegher?« Mackenzies Hand drückte Gallegher energisch auf seinen Platz zurück. Einer der verteidigenden Anwälte erhob sich und beantwortete die Frage. »Wir lassen uns auf keine Bejahung von Fakten ein«, sagte er. »Wenn Sie allerdings eine theoretische Frage zu stellen wünschen, so werden wir sie beantworten.« Die Frage wurde auf theoretischer Ebene wiederholt. »Dann lautet die theoretische Antwort: Ja, Herr Staatsanwalt. Ein Roboter dieser Machart läßt sich nach Wunsch ein- und abschalten.« »Kann sich der Roboter auch selbst abschalten?« »Ja.« »Aber ereignete sich denn nicht folgendes: Mr. Gallegher stellte den Roboter zu der Zeit ab, als sich Mr. Jonas Harding in der Nacht zu vorgestern in seinem Labor befand?« »Theoretisch gesehen stimmt das. Der Roboter war zeitweilig abgeschaltet.« »In diesem Falle«, sagte der Staatsanwalt, »wünschen wir, den Roboter zu befragen, der als Vernunftwesen anerkannt worden ist.« »Diese Entscheidung war nur eine vorläufige«, wandte ein Anwalt der Verteidigung ein.
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»Damit stimme ich überein. Herr Richter –« »Nun gut«, sagte der Richter, der immer noch Joe anstarrte, »stellen Sie Ihre Fragen.« »Äh… äh –« Der Staatsanwalt wandte sich dem Roboter zu, zögerte aber. »Nennen Sie mich einfach Joe«, sagte Joe. »Vielen Dank. Äh … Stimmt es, daß Mr. Gallegher dich zu der angegebenen Zeit und am angegebenen Ort abgeschaltet hat?« »Jawohl.« »Dann«, sagte der Staatsanwalt triumphierend, »möchte ich gegen Mr. Gallegher Anklage wegen Körperverletzung erheben. Da dieser Roboter vorläufig als Vernunftwesen anzusehen ist, verletzt jede Handlungen als deren Folge er das Bewußtsein und die Bewegungsfreiheit verliert, die guten Sitten – und man kann eine solche Handlung sogar als ungerechtfertigte Gewalttat bezeichnen.« Mackenzies Anwälte waren auf diese Wendung nicht vorbereitet. Ein Anwalt flüsterte: »Man könnte Sie deshalb verhaften und den Roboter als Zeugen hierbehalten.« Er erhob sich. »Unsere Feststellungen bezogen sich auf rein theoretische Fragen.«
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Der Staatsanwalt sagte: »Die Antwort des Roboters betraf eine nicht-theoretische Frage.« »Der Roboter befand sich nicht unter Eid.« »Das läßt sich leicht beheben«, sagte der Staatsanwalt, während vor Galleghers Augen die letzten Hoffnungen rasch dahinschwanden. Sein Verstand lief auf vollen Touren, während sich die Szene im Saal abspulte. »Willst du schwören, die Wahrheit und nichts als die reine Wahrheit zu sagen, so wahr dir Gott helfe?« Gallegher sprang auf die Beine. »Herr Richter! Ich protestiere.« »Ach nein! Wogegen richtet sich Ihr Protest denn?« »Gegen die Gültigkeit dieses Eides.« Mackenzie sagte: »Ah-ha!« Der Richter war nachdenklich geworden. »Wollen Sie das bitte näher erläutern, Mr. Gallegher? Warum soll dieser Roboter nicht vereidigt werden?« »Ein solcher Eid kann nur von einem Menschen geschworen werden.« »Und?« »Er setzt das Vorhandensein einer Seele voraus. Zumindest beruht er auf dem Theismus, auf einer 143
persönlichen Religion. Kann ein Roboter einen solchen Eid leisten?« Der Richter sah Joe an. »Das ist natürlich eine Frage. Äh … Joe. Glaubst du an einen persönlichen Gott?« »Ich glaube.« Der Staatsanwalt strahlte. »Dann können wir fortfahren.« »Einen Augenblick mal«, sagte Murdoch Mackenzie und erhob sich. »Darf ich eine Frage stellen, Herr Richter?« »Fragen Sie.« Mackenzie starrte den Roboter an. »Nun, also. Willst du mir bitte erzählen, wie dieser dein persönlicher Gott aussieht?« »Aber gewiß«, sagte Joe. »Genau wie ich.« Danach wurde die Debatte zu einem theologischen Streitgespräch. Die Anwälte unterhielten sich über die offenbar sehr wichtige Frage, wieviel Engel auf einem Stecknadelkopf tanzen könnten, und Gallegher kehrte – vorläufig noch einmal als freier Mann – mit Joe heim. Solange solche Voraussetzungen, wie etwa die religiösen Grundlagen des Roboters, nicht eindeutig
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feststanden, konnte weitergeführt werden.
das
Verfahren
nicht
Vor der Tür verabschiedete sich Mackenzie noch mit einer milden Drohung. »Ich wollte Ihnen eigentlich nicht so viel Freizügigkeit lassen, verstehen Sie. Aber wenn das Gefängnis auf Sie wartet, arbeiten Sie vielleicht mit etwas mehr Druck. Ich weiß nicht, wie lange ich Sie noch vor dem Gefängnis retten kann. Wenn Sie also sobald wie möglich eine Antwort erarbeiten könnten –« »Was für eine Antwort?« »Oh, ich bin leicht zufriedenzustellen. Sagen wir mal, die Leiche von Jonas –« »Bäh!« sagte Gallegher, ging in sein Labor und setzte sich niedergeschlagen hin. Er ließ sich ein Glas vollaufen, erinnerte sich jedoch rechtzeitig an das kleine braune Tier. Dann legte er sich hin und starrte von dem blauäugigen Dynamo zu Joe und umgekehrt. Schließlich sagte er: »Es gibt eine alte chinesische Weisheit, daß der, der zuerst mit Reden aufhört und anfängt, mit den Fäusten die Debatte fortzusetzen, seine geistige Niederlage eingesteht.« Joe sagte: »Natürlich. Die Vernunft ist in jedem Falle ausreichend. Wenn man ein Experiment
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benötigt, um seine Sache zu beweisen, so ist man ein lausiger Philosoph und Logiker.« Gallegher fuhr fort, nebensächliche Gedanken zu erörtern. »Das Tier ist die erste Stufe. Es arbeitet mit den Fäusten. Zweite Stufe: der Mensch. Reine Logik. Aber wie verhält es sich mit der dritten Stufe?« »Welche dritte Stufe?« »Der Mensch kann die Natur der Dinge erkennen – aber du bist kein Mensch. Deine persönliche Gottheit ist nicht anthropomorph. Drei Stufen: Tier, Mensch und das, was wir vorläufig einmal Supermensch nennen wollen, obwohl Mensch nicht notwendigerweise ein Teil davon sein muß. Schon immer haben wir dem theoretischen Überwesen gottähnliche Fähigkeiten zugebilligt. Nehmen wir einmal an, wir nennen dieses Wesen der dritten Stufe – damit es einen Namen hat – wir nennen es Joe.« »Warum nicht?« »Dann lassen sich zwei grundlegende Sätze der Logik nicht anwenden. Der Mensch kann die Natur der Dinge durch reine Vernunft erkennen, dasselbe kann er auch durch das Experiment und die Vernunft. Aber solche Feststellungen über die zweite Stufe sind für Joe ebenso elementar und 146
einfach, wie Piatos Ideen dem Philosophen Kant erschienen.« Gallegher verschränkte die Finger hinter seinem Nacken. »Infolgedessen lautet die Frage: »Welche Tätigkeit ist der dritten Stufe, also Joe, so angemessen wie für den Menschen die Vernunftbetätigung?« »Eine schöpferische Geisteshaltung?« »Wie du weißt, hast du ein paar Sinne mehr als wir Menschen. Du kannst vahrsen, was das auch sein mag. Benötigst du eigentlich gewöhnliche logische Methoden? Nehmen wir einmal an–« »Ja«, sagte Joe, »ich kann vahrsen, das stimmt. Ich kann auch skrenen. Hm-m-m.« Gallegher erhob sich plötzlich von der Couch. »Was bin ich doch für ein Narr. ›Trink mich.‹ Das ist die Antwort. Joe, halt den Mund. Stell dich in eine Ecke und vahrse.« »Ich skrene aber gerade«, sagte Joe. »Dann skrene. Mir ist nun doch eine Idee gekommen. Als ich gestern aufwachte, dachte ich an eine Flasche, auf der stand ›Trink mich‹. Wenn im Märchen manchmal die Prinzen oder Prinzessinnen etwas trinken, dann werden sie verwandelt, oder nicht? Wo ist das Lexikon? Ich wünschte, ich hätte mehr Ahnung von Physik. Vasoconstrictor .. . 147
hämostatic … hier ist es – bedeutet die metabolischen Steuerungsmechanismen des vegetativen Nervensystems. Metabolismus. Jetzt möchte ich wissen–« Gallegher stürzte zur Werkbank und untersuchte die Flaschen. »Vitalismus. Das Leben ist die fundamentale Wirklichkeit, und alles andere ist eine Form oder eine Abart des Lebens. Also. Ich hatte für die Adrenal-Gesellschaft ein Problem zu lösen. Jonas Harding und Großvater waren hier. Harding gestand mir eine Stunde zu, um die Sache zu erledigen. Das Problem: ein gefährliches und zugleich harmloses Raubtier. Paradox! Das gibt es nicht. Hardings Klienten wollten Aufregung und Sicherheit zur gleichen Zeit. Ich hatte damals keinerlei Versuchstiere zur Verfügung … Joe!« »Was ist?« »Paß auf«, sagte Gallegher. Er goß sich ein Glas voll und beobachtete, daß die vierzigprozentige Flüssigkeit wie üblich verschwand, noch ehe er sie über die Lippen gebracht hatte. »So. Was ist jetzt passiert?« »Das kleine braune Tier hat es getrunken.« »Ist dieses kleine braune Tier vielleicht – rein zufällig – identisch mit Großvater?« »Das stimmt«, sagte Joe ruhig. 148
Gallegher deckte den durchsichtigen Roboter mit mörderischen Flüchen ein. »Warum hast du mir das nicht gleich gesagt? Du –« »Ich habe deine Frage beantwortet«, sagte der Roboter selbstzufrieden. »Dein Großvater ist braun, oder nicht?« »Schon – aber klein! Ich dachte, es wäre eine Kreatur so groß wie ein Kaninchen.« »Der einzige gültige Vergleichsmaßstab ist der Durchschnitt der Spezies. Das ist das Metermaß. Verglichen mit der Durchschnittsgröße des Menschen ist dein Großvater tatsächlich klein. Ein kleines braunes Tier.« »Also ist es Opa, nicht wahr?« fragte Gallegher und kehrte zur Werkbank zurück. »Und er ist nur viel schneller als gewöhnlich. Beschleunigter Metabolismus. Adrenalin. Hm-m-m. Jetzt weiß ich wenigstens, wonach ich suchen muß. Vielleicht –« Er begann mit der Arbeit. Doch die Sonne war schon untergegangen, ehe Gallegher den Inhalt eines Reagenzröhrchens in ein Glas leerte, das Glas mit Whisky auffüllte und die übliche Bewegung machte, worauf die Mischung verschwand. Gallegher nahm ein Flimmern wahr. Irgend etwas zuckte von einer Ecke des Zimmers zur anderen. Nach und nach wurde dieses Etwas sichtbar und 149
enthüllte sich als ein brauner Strich, der schließlich mit abnehmender Geschwindigkeit der Bewegungen die Form und Gestalt von Opa annahm. Er stand vor Gallegher und zitterte wie ein Veitstänzer, während die letzten Spuren der beschleunigten Droge in seinem Organismus neutralisiert wurden. »Guten Tag, Opa«, sagte Gallegher besänftigend. Auf Großvaters Nußknackergesicht lag ein Ausdruck bösartiger Wut. Das erste Mal in seinem Leben war der alte Herr betrunken. Gallegher starrte ihn hingerissen an. »Ich fahre zurück nach Maine!« schrie Opa und fiel nach hinten um. »Noch nie in meinem Leben habe ich eine solche Menge von Langweilern gesehen«, sagte der Großvater, als er sein Steak verzehrte. »Mein Gott, bin ich hungrig! Das nächste Mal, wenn du mir eine Nadel in den Arm stechen willst, bin ich schlauer. Wie viele Monate habe ich mich in diesem jämmerlichen Zustand befunden?« »Zwei Tage«, sagte Gallegher, der gerade damit beschäftigt war, eine neue chemische Mixtur zu präparieren. »Es war ein methodischer Beschleuniger, Großvater. Du hast nur schneller gelebt, das war alles.« 150
»Alles! Bäh. Konnte gar nichts essen. Das Zeug war hart wie Fels. Das einzige, was ich durch die Kehle hinunterbrachte, war Schnaps.« »Oh?« »Und an dem mußte ich noch schwer kauen. Obwohl ich noch ein paar gesunde Zähne habe. Der Whisky schmeckte, als wäre er glühend heiß. Ein Steak wie dieses hier hätte ich im Leben nicht zerkleinern können.« »Du hast eben schneller gelebt.« Gallegher warf einen Blick auf den Roboter, der immer noch in eine Ecke still vor sich hin skrente. »Jetzt muß ich einmal überlegen. Das Gegenteil eines Beschleunigers ist ein Verlangsamer – Opa, wo ist Jonas Harding?« »Da drin«, sagte Opa und zeigte auf den blauäugigen Dynamo, womit Galleghers Verdacht bestätigt wurde. »Vitaplasma! Das war es also. Deswegen hatte ich mir damals diese Menge Vitaplasma schicken lassen. Hm-m-m.« Gallegher untersuchte die glatte, undurchdringliche Oberfläche des falschen Dynamos. Nach einer Weile versuchte er es mit der Kanüle einer Spritze. Sie drang durch die harte Schale nicht durch.
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Er nahm nun die neue Mixtur, die er aus den Flaschen auf seinem Arbeitsplatz zusammengebraut hatte, und tröpfelte ein wenig davon auf das blauäugige Gebilde. Nach und nach wurde es an dieser Stelle weicher. Hier machte Gallegher nun eine Injektion, und zu seiner Freude sah er, wie sich von der Einspritzstelle ausgehend eine Farbveränderung ausbreitete, bis die ganze Masse hell und weich geworden war. »Vitaplasma«, jubelte er. »Ganz gewöhnliche künstliche Protoplasma-Zellen. Das ist alles. Kein Wunder, daß es so hart aussah. Ich hatte es einer Verlangsamungs-Kur unterzogen. Annäherung an den molekularen Stillstand; alles, was so langsam metabolisiert, muß nach außen so hart wie Eisen erscheinen.« Er entfernte das Kunstprodukt in großen Klumpen und stopfte es in einen Abfallbehälter. Nach und nach begann sich um die blauen Augen herum eine Form abzuheben – eine Stirn, breite Schultern, ein Oberkörper – Nachdem die Verkleidung aus künstlichem Protoplasma entfernt worden war, saß schließlich Jonas Harding zusammengekauert auf dem Boden, schweigend wie eine Statue. Sein Herz schlug nicht. Er atmete nicht. Der Verlangsamer hatte ihn in seinem unentrinnbaren Griff. Er war völlig passiv. 152
Nicht ganz unentrinnbar. Gallegher, der gerade die Spritze ansetzen wollte, hielt inne und schaute von Joe zum Großvater. »Warum habe ich das bloß gemacht?« fragte er. Keiner der beiden antwortete. Dann beantwortete er seine eigene Frage. »Die Frist, die er mir gegeben hat. Harding ließ mir nur eine Stunde Zeit, um sein Problem zu lösen. Zeit ist relativ – vor allen Dingen, wenn der Metabolismus verlangsamt worden ist. Ich muß Harding eine Dosis des Verlangsamers eingegeben haben, damit er nicht merken soll, wieviel Zeit inzwischen verstrich. Wollen mal sehen.« Gallegher ließ einen Tropfen auf Hardings undurchdringliche Haut fallen und sah zu, wie diese Stelle weich wurde und ihren Farbton veränderte. »Aha. Solange Harding dermaßen eingefroren blieb, konnte ich Wochen auf das Problem verwenden, und wenn er aufgewacht wäre, hätte es seiner Meinung nach nur eine kurze Zeit gedauert. Aber warum habe ich nur das Vitaplasma um ihn herumgelegt?« Opa ließ ein Bier verschwinden. »Wenn du betrunken bist, ist bei dir alles möglich«, urteilte er und griff nach einem weiteren Steak. »Das schon. Aber mein Unterbewußtsein arbeitet logisch. Eine sonderbare unverständliche Abart von Logik, aber Logik bleibt es trotzdem. Mal 153
überlegen! Ich spritze den Verlangsamer in Harding und dann – da war er. Stocksteif und steinhart. So konnte ich ihn doch nicht im Labor hocken lassen, oder? Wenn jemand hereingekommen wäre, hätte er gedacht, ich hätte eine Leiche hier herumsitzen!« »Willst du damit sagen, daß er nicht tot ist?« fragte Opa. »Natürlich nicht. Nur seine Körperfunktionen sind verlangsamt. Und dann habe ich Hardings Körper unkenntlich gemacht. Ich habe Vitaplasma bestellt, das Zeug um seinen Körper herumgelegt, und dann mit dem Verlangsamer auch das Vitaplasma behandelt. Das Mittel beeinflußt lebende Zellsubstanz – es verlangsamt die Lebensvorgänge. Und eine derartige Verlangsamung macht es undurchdringlich und unbeweglich.« »Du bist verrückt!« sagte Opa. »Ich bin kurzsichtig«, gab Gallegher zu. »Zumindest ist es Gallegher Zwei. Wenn man sich vorstellt, daß er Hardings Augen sichtbar bleiben ließ, damit ich mich daran erinnern würde, wer unter diesem Haufen steckt, wenn ich aus meinem Rausch aufwachte? Wozu habe ich denn das Aufnahmegerät konstruiert? Die Logik, nach der Gallegher Zwei handelt, ist bei Gott noch phantastischer als die von Joe.« 154
»Laß mich in Ruhe«, sagte Joe, »ich skrene immer noch.« Gallegher setzte die Spritze an der weichen Stelle von Hardings Arm an. Er injizierte den Beschleuniger, und nach einigen Augenblicken regte sich Jonas Harding, blinzelte mit seinen blauen Augen und erhob sich vom Boden. »Autsch!« sagte er und rieb sich den Arm. »Haben Sie mich mit irgend etwas gestochen?« »Ein Versehen«, sagte Gallegher und beobachtete Harding vorsichtig. »Äh … Ihr Problem –« Harding fand einen Stuhl und setzte sich. Er gähnte. »Haben Sie es gelöst?« »Sie haben mir eine Stunde Zeit gegeben.« »Oh. Ja, natürlich.« Harding schaute auf seine Uhr. »Sie ist stehengeblieben. Nun, wie weit sind Sie?« »Wieviel Zeit ist nach Ihrer Meinung vergangen, seit Sie in mein Labor gekommen sind?« »Eine halbe Stunde?« schätzte Harding. »Zwei Monate«, fuhr der Großvater auf. »Ihr habt beide recht«, sagte Gallegher. »Meine Antwort würde wieder anders lauten, aber auch ich hätte recht.«
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Harding glaubte offenbar, daß Gallegher immer noch betrunken war. Er ließ sich von seinem Thema nicht abbringen. »Was ist nun mit dem Raubtier, das wir brauchen? Mit den speziellen Eigenschaften? Sie haben immer noch eine halbe Stunde –« »Die brauche ich nicht mehr«, sagte Gallegher, dem ein großes Kirchenlicht aufging. »Ich habe die Antwort für Sie. Sie lautet allerdings nicht ganz so, wie Sie es sich vorgestellt haben.« Er legte sich auf die Couch nieder und betrachtete gedankenverloren die Schnapsorgel. Jetzt konnte er wieder trinken, aber er beschloß, die Vorfreude noch ein wenig zu verlängern. »Nie sah ich einen Wein so wundervoll wie Durst«, rezitierte er. »Dummes Gewäsch«, sagte Opa. Gallegher sagte: »Die Klienten der AdrenalGesellschaft wollten Tiere jagen. Sie wollen Aufregung, also brauchen sie gefährliche Tiere. Sie dürfen nicht gefährdet werden, also dürfen sie auch keine gefährlichen Tiere jagen. Das scheint paradox, aber das ist es nicht. Die Antwort liegt nicht beim Raubtier, sie liegt beim Jäger.« Harding blinzelte. »Nochmals, bitte?«
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»Tiger. Blutdürstige menschenfressende Tiger. Löwen. Jaguars. Nilpferde. Die gefährlichsten fleischfressenden Tiere, die sie bekommen können. Das ist ein Teil meiner Lösung, die ich gefunden habe.« »Hören Sie einmal –« sagte Harding. »Vielleicht haben Sie meinen Auftrag nicht ganz richtig verstanden. Nicht die Tiere sind unsere Kunden. Wir versorgen die Raubtiere nicht mit Klienten, sondern das Gegenteil ist der Fall.« »Ich muß noch ein paar Versuche machen«, sagte Gallegher, »aber das Grundprinzip habe ich schon in der Hand. Ein Beschleuniger. Ein potentieller metabolischer Beschleuniger, der eine starke Konzentration von Adrenalin braucht, um wirksam zu werden. Sehen Sie, so –« Er entwarf ein überzeugendes, eindringliches Bild seiner Vorstellungen: Mit einem Gewehr in der Hand wandert der Klient durch den künstlichen Dschungel und sucht seine Beute. Er hat der Adrenal-Gesellschaft bereits das Honorar entrichtet und den gebrauchsfertigen Beschleuniger intravenös eingespritzt bekommen. Diese Substanz verteilte sich in seinem Blutkreislauf, wirkte sich im Augenblick jedoch noch nicht aus, da der Katalysator – der Auslöser – noch fehlt. 157
Dann springt der Tiger aus dem Unterholz hervor. Er fliegt auf den Klienten zu, wie der katapultierte Tod, mit geöffnetem Rachen und hervorgestreckten Krallen. Während sich die Fänge des Raubtieres dem Mann nähern, geben die Nebennieren Adrenalin in starker Konzentration an das Blut ab. Das ist der Katalysator. Der bisher nicht wirksame Beschleuniger kommt zum Zug. Der Metabolismus des Klienten gewinnt an Geschwindigkeit – eine fast unvorstellbare Geschwindigkeit. Er tritt einen Schritt von dem Tiger zurück, der scheinbar wie festgefroren mitten in der Luft hängt. Dann tut der Klient, was ihm in dieser Lage das Beste zu sein scheint – er versucht, den Tiger zu erlegen oder wendet sich zur Flucht. Nach einiger Zeit läßt die Wirkung des Beschleunigers nach. Danach wird er wieder normal – und zu diesem Zeitpunkt kann er sich bereits in der Schutzhütte der Adrenal-Gesellschaft befinden und sich eine neue Dosis einspritzen lassen. So einfach sah die Lösung aus. »Zehntausend Dollar«, sagte Gallegher und zählte glückstrahlend das Geld vor sich hin. »Der Rest kommt, sobald ich den katalytischen Mechanismus ausgearbeitet habe. Und das ist nicht schwer. Jeder viertklassige Chemiker könnte das machen. Ich 158
möchte nur gern bei der bevorstehenden Aussprache zwischen Harding und Mackenzie dabeisein! Wenn die ihre Zeiten vergleichen, wird es lustig werden!« »Ich möchte etwas trinken«, sagte der Großvater. »Wo ist eine Flasche?« »Ich glaube, daß ich sogar vor Gericht beweisen könnte, ich hätte nur eine Stunde oder weniger gebraucht, um das Problem zu lösen. Das wäre zwar Hardings Stunde, natürlich, aber die Zeit ist eben relativ! Entropie – Metabolismus – was gäbe das für eine juristische Redeschlacht! Nun, es wird nicht dazu kommen. Ich kenne die Formeln für den Beschleuniger, und Harding kennt sie nicht. Er wird die anderen vierzigtausend zahlen müssen – und Mackenzie kann nichts dagegen machen. Schließlich gebe ich der Adrenal-Gesellschaft die Voraussetzung für den Erfolg, den sie braucht.« »Gut. Ich bin immer noch entschlossen, nach Maine zurückzukehren«, beschwerte sich der Großvater. »Bis dahin könntest du mir wenigstens eine neue Flasche besorgen.« »Geh irgendwo hin und kauf dir eine«, sagte Gallegher und schob dem alten Herrn mehrere Dollar hin. »Oder kauf dir gleich ein paar. Oft nimmt mich Wunder, wie die Wirte kaufen –« »Wie?« 159
»Nur halb so teuer, als sie es ausschenken. Nein, blau bin ich nicht, aber das kann noch werden.« Gallegher nahm sich liebevoll des Mundstücks der Schnapsorgel an und begann, alkoholische Harmonien auf der Tastatur zu spielen. Opa hatte nur einen höhnischen Blick für derartige neumodische Spielereien übrig und verließ das Zimmer. Schweigen herrschte im Labor. Bubbles und Monstro, die beiden Dynamos, strömten nichts Beunruhigendes aus. Keiner von ihnen hatte hellblaue Augen. Gallegher experimentierte mit Cocktails und spürte, wie ein warmes, angenehmes Glühen durch seine Seele zog. Joe kam aus seiner Ecke, stellte sich vor den Spiegel und bewunderte sein Getriebe. »Fertig geskrent?« fragte Gallegher ironisch. »Ja.« »Vernunftwesen – Unsinn. Du und deine Philosophie! Nun, mein guter Roboter, wie sich herausstellte, hatte ich deine Hilfe überhaupt nicht nötig. Hebe dich hinweg!« »Wie undankbar du bist«, sagte Joe. »Nachdem ich dir gestattet hatte, die Vorteile meiner Superlogik auszunutzen.«
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»Deine … was? Bei dir hat sich wohl ein Rädchen überschlagen. Welche Superlogik?« »Die dritte Stufe natürlich. Worüber wir vorhin sprachen. Deswegen habe ich geskrent. Ich hoffe, du denkst nicht, daß alle deine Probleme von deinem schwachen Gehirn gelöst wurden, in diesem undurchsichtigen Verbandskasten, den du hast.« Gallegher setzte sich auf. »Wovon redest du? Logik dritter Stufe? Du hast doch nicht –« »Ich glaube nicht, daß ich es dir erklären kann. Es ist noch unverständlicher als das ›Ding an sich‹ von Kant, das sich nur durch Nachdenken erkennen läßt. Du müßtest schon in der Lage sein, zu skrenen, um es zu verstehen, aber – nun ja, es ist eben die dritte Stufe. Es ist wie … mal sehen … wie eine Demonstration der Natur der Dinge, indem man Ereignisse von sich aus eintreten läßt.« »Experiment?« »Nein. Wenn ich skrene, führe ich alle Dinge von der Ebene des Materiellen auf die der reinen Ideen zurück, und dann überlege ich mir die logischen Konzepte und Lösungen.« »Aber… warte. Es ist doch etwas geschehen! Ich habe mir die Sache mit Opa und Harding überlegt und habe den Beschleuniger nachher zusammengebraut –« 161
»Das glaubst du«, sagte Joe. »Ich habe nur geskrent, und das ist ein rein superintellektueller Prozeß. Nachdem ich das gemacht hatte, konnte einfach nichts anderes geschehen. Ich hoffe nur, daß du nicht denkst, daß es ganz von allein so gekommen ist!« Gallegher sagte: »Was ist skrenen?« »Das wirst du nie verstehen können.« »Aber.. du gibst doch zu, daß du a priori als Ursache. .. nein, es ist eine Willensbekundung … Logik der dritten Stufe? Nein –« Gallegher ließ sich auf die Couch zurückfallen und starrte zur Decke. »Was glaubst du denn, wer du bist? Deus ex machina?« Joe schaute auf die Ansammlung von Zahnrädern, Getrieben und anderen beweglichen Teilen in seinem Rumpf hernieder. »Was sonst?« fragte er selbstzufrieden. Originaltitel: EX MACHINA
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DAS VERSTECK Gallegher spielte nach dem Gehör, was zu verstehen gewesen wäre, hätte er als Musiker sein Geld verdient – aber er war ein Wissenschaftler. Zwar betrunken und unzuverlässig, aber genial. Er hatte Experimentaltechniker werden wollen, und er wäre dabei hervorragend gewesen, denn zu Zeiten bewies er eine wahrhaft geniale Veranlagung. Unglücklicherweise hatte es für eine derartig spezialisierte Erziehung kein Stipendium gegeben, und nun betrieb Gallegher sein Labor als ausgesprochenes Hobby. Dieses Labor war das tollste seiner Art in allen fünf Erdteilen, und seine Freunde pflegten es treffend mit Labums zu bezeichnen. Gallegher hatte einst Monate damit verbracht, ein Gerät zu bauen, das den größten Teil des Raumes einnahm und das er seine Schnapsorgel nannte. Er konnte sich auf einer bequem gepolsterten Couch ausstrecken und mittels einer Tastatur Getränke von unerreichter Quantität, Qualität und Zusammensetzung durch seine ausgedörrte Kehle laufen lassen. Da er diese Schnapsorgel in einem Zustand zeitlich ausgedehnter Alkoholvergiftung konstruiert hatte, erinnerte er sich später nie mehr an die Grundprinzipien der Konstruktion. In gewisser 163
Hinsicht war das schade, es blieb nämlich bei dem einzigen Exemplar. In dem Labor war so ziemlich alles vorhanden, was nicht zusammenpaßte. Große Drahtwiderstände trugen kleine Röckchen wie Ballettänzerinnen und grinsende Tongesichter. Auf einem Generator stand der verdächtig klingende Name »Monstro«, während ein etwas kleinerer Dynamo auf »Bubbles« hörte. In einer Glasretorte mit engem Hals befand sich ein Versuchskaninchen, und nicht einmal Gallegher wußte mehr, wie es da hineingekommen war. Wenn man die Tür zum Labor aufmachte, stand man Aug in Aug mit einem abscheulichen gußeisernen Hund, dessen ursprünglicher Bestimmungsort viktorianische Vorgärten oder vielleicht die Hölle gewesen war; seine Ohrmuscheln dienten als Sockel für Versuchsröhren. »Aber wie machst du das bloß?« fragte Vanning. Galleghers knochiger Corpus lag unter der Schnapsorgel, und er spritzte sich gerade einen doppelten Martini in den Mund. »Hä?« »Ich hab's doch schon gesagt. Ich könnte dir eine gute Stelle verschaffen, wenn du dein verrücktes Gehirn nur ein bißchen anstrengen würdest. Oder wenn du auch nur lernen würdest, wenigstens nach außen hin Eindruck zu machen.« 164
»Schon versucht«, murmelte Gallegher. »Ist aber sinnlos. Ich kann nicht arbeiten, wenn ich mich bei klarem Bewußtsein konzentriere. Es langt dann nur für rein mechanische Vorgänge. Ich glaube, mein Unterbewußtsein muß dagegen einen sehr hohen Intelligenzquotienten haben.« Vanning, ein gedrungener kleiner Mann, mit einem narbenverzierten, dunkelhäutigen Gesicht, trommelte mit den Absätzen gegen Monstro. Manchmal regte ihn Gallegher auf. Dieser Mensch wurde sich seiner eigenen Fähigkeiten nie bewußt, auch nicht der Tatsache, was diese Fähigkeiten für Horace Vanning, Wirtschaftsberater, bedeuteten. Die »Wirtschaft« erstreckte sich allerdings auf Gebiete, die sich nicht immer innerhalb des gesetzlich zulässigen Rahmens hielten, doch die komplizierte Struktur dieses Zeitalters ließ immer noch Maschen offen, durch die ein kluger Mann zu schlüpfen wußte. Um es genau zu sagen: Vanning verdiente sich seinen Unterhalt als Berater bei ungesetzlichen Unternehmungen. Er verdiente sogar noch einiges mehr als seinen Unterhalt. Eine eingehende Kenntnis der Jurisprudenz war selten in jenen Tagen; die Paragraphen waren so untereinander verknotet, daß man Jahre ernsthafter Forschung brauchte, um mit dem juristischen Studium auch nur anfangen zu können. Doch Vanning hatte einen Stab 165
ausgesuchter Experten zur Verfügung, dazu eine gewaltige Bibliothek früherer Fälle, Gerichtsentscheidungen und anderer gesetzlicher Einzelheiten, und gegen ein entsprechendes Honorar hätte er Dr. Crippen einen narrensicheren Weg zeigen können, um freigesprochen zu werden. Die Seite seiner Geschäftstätigkeit, die das Licht scheute, wurde in strengster Abgeschlossenheit behandelt, ohne Helfer oder Mitwisser. Da war die Sache mit der Neuro-Pistole … Gallegher hatte diese bemerkenswerte Waffe entwickelt, ohne allerdings – nach seiner Ernüchterung – ihren Sinn oder ihre Arbeitsweise zu kennen. Er hatte sie eines Abends zusammengefummelt, wobei er Heftpflaster benutzen mußte, nachdem sein Lötkolben durchgebrannt war. Als Vanning ihn darum bat, hatte er ihm das Ding überlassen. Vanning behielt die Waffe jedoch nicht lange. Immerhin hatte er bereits zigtausend Dollar dadurch verdient, daß er sie potentiellen Verbrechern auslieh. Das Ergebnis war, daß man im Polizeipräsidium über Kopfschmerzen klagte. Es kam vor, daß ein Mann von Vanning hörte und ihn aufsuchte. »Wie ich hörte, können Sie eine Mordanklage umgehen. Nehmen wir einmal an, ich wollte –«
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»Halt! Zu so etwas werde ich mich nie bereitfinden.« »Was? Wie? Aber–« »Theoretisch, wohlgemerkt, nur theoretisch, wäre ein perfekter Mord vielleicht möglich. Nehmen wir einmal an, daß jemand eine neuartige Pistole erfunden hat. Und nehmen wir einmal an – nur als Beispiel –, daß sich diese Waffe in einem Schließfach auf dem Stratosphärenflughafen Newark befindet.« »Wie bitte?« »Oh, ich führe nur eine Theorie aus. Schließfach Nummer 79, Kombination 30-blau-8. Solche kleine Einzelheiten sind immer von Nutzen, wenn man sich eine Theorie ausmalen will, oder nicht?« »Meinen Sie damit –« »Es ist natürlich so: Wenn unser theoretischer Mörder diese theoretische Waffe an dem angegebenen Ort abholen würde und sie dann benutzte, dann wäre er natürlich schlau genug, schon ein Päckchen bereitzuhalten, das . .. beispielsweise … an das Schließfach 40, Brooklyner Hafen, adressiert ist. Er könnte dann die Waffe in das Päckchen verpacken, es versiegeln und dieses Beweisstück am nächsten Päckcheneinwurfkasten loswerden. Aber das ist alles graue Theorie. Tut mir 167
leid, daß ich Ihnen nicht helfen kann. Das Honorar für die Konsultation beträgt dreitausend Dollar. Geben Sie Ihren Scheck meiner Sekretärin.« Später konnte ein derartiges Vergehen nie zu einer Verurteilung führen. Nach dem Urteil in der Strafsache 875-M, Distrikt Illinois, Mordanklage gegen Dupson, war bereits ein Präzedenzfall vorhanden. Die Todesursache mußte genau feststehen. Die Möglichkeit eines Unglücksfalles war sonst nicht ausgeschlossen. Dasselbe Urteil hatte dann auch der Gerichtsvorsitzende Duckett in der Verhandlung gegen Sanderson gefällt, wobei es sich um den Tod der Schwiegermutter des Angeklagten gehandelt hatte. Gallegher war nie auf den Gedanken gekommen, daß seine Neuro-Pistole eine gefährliche Waffe darstellen könnte. Doch Vanning kehrte öfter in dem unordentlichen Labums ein und verfolgte mit Interesse die wissenschaftlichen Spielereien seines Freundes. Auf diese Weise hatte er mehr als einmal recht nützliche kleine Apparate mit nach Hause genommen. Die einzige Schwierigkeit lag darin, daß Gallegher meistens nicht arbeiten wollte! Gallegher genehmigte sich noch einen Martini, schüttelte dann den Kopf und reckte seine Glieder. Blinzelnd schlurfte er zu einer Werkbank, auf der
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alles mögliche herumlag, und spielte mit einigen Drahtstücken herum. »Baust du schon wieder was Neues zusammen?« »Keine Ahnung. Bloß mal probieren. So fängt es meistens an. Ich bastle irgend was zusammen, und manchmal funktioniert es sogar. Das Blöde dabei ist, daß ich nachher nie genau weiß, wofür so ein Apparat dann nun eigentlich bestimmt war. Hm-mm!« Gallegher ließ die Drahtstücke fallen und kehrte zu seiner Couch zurück. »Zum Teufel damit!« Gallegher ist doch eine komische Nudel, dachte Vanning. Der Wissenschaftler war im Gründe asozial, er stand völlig außerhalb dieser überkomplizierten Welt. Er schien mit einem gewissen unpassenden Humor dem Lauf der Dinge von einem eigenen überlegenen Beobachtungspunkt zuzusehen, in den meisten Fällen völlig unbeteiligt. Und dabei stellte er Dinge her – Aber immer nur zu seiner eigenen Befriedigung. Vanning seufzte und ließ seinen Blick durch das Labor schweifen. Seine ordnungsliebende Seele war von dem Durcheinander schockiert. Automatisch hob er einen zerknitterten Kittel vom Boden auf und sah sich nach einem Haken um. Derartiges war selbstverständlich nicht mehr vorhanden. Gallegher hätte schon längst auf der Suche nach elektrisch 169
leitfähigem Metall sämtliche Kleiderhaken herausgerissen und sie in dem einen oder anderen Apparat verwendet. Dieser sogenannte Wissenschaftler konzentrierte seine schöpferische Phantasie im Augenblick gerade auf eine neue alkoholische Mixtur. Vanning ging zu einem metallischen Spind in einer Ecke des Zimmers und öffnete die Tür. Auch hier fand er keine Kleiderhaken, doch er faltete den Kittel sauber zusammen und legte ihn auf den Boden des verschließbaren Kastens. Dann ließ er sich wieder auf Monstro nieder. »Was zu trinken?« fragte Gallegher. Vanning schüttelte den Kopf. »Vielen Dank, nein. Ich habe morgen eine schwierige Verhandlung.« »Dafür gibt's immer noch Thieamin. Ekelhaftes Zeug! Ich arbeite besser, wenn ich mein Gehirn gewissermaßen in Luftkissen eingepackt habe.« »Meinetwegen. Aber ich nicht.« Gallegher summte vor sich hin. »Man müßte Klavier spielen können … warum reißt du den Mund auf?« »Dieses – Schließfach, dieser Spind«, sagte Vanning und runzelte verdutzt die Stirn. »Was zum –« Er stand auf. Die metallene Tür hatte nicht fest geschlossen und war wieder aufgegangen. Von dem 170
Kittel, den Vanning hineingelegt hatte, war keine Spur zu sehen. »Es ist die Farbe«, erklärte Gallegher schläfrig. »Oder die Vorbehandlung. Ich habe das Ding mit Gammastrahlen beschossen. Aber es ist zu nichts nütze.« Vanning ging hinüber und hielt eine Lampe so, daß mehr Licht in diese Ecke fiel. Der Kasten war nicht leer, wie er zunächst geglaubt hatte. Der Kittel war zwar nicht mehr drin, statt dessen sah er aber einen kleinen Klumpen – ein Etwas, fahlgrün und ungefähr kugelförmig. »Schmilzt der Kasten die Sachen ein?« fragte Vanning verblüfft. »Nee. Zieh's 'raus. Dann wirst du's sehen.« Vanning hielt es nicht für geraten, seine Hand in den Spind zu stecken. Statt dessen ergriff er eine lange Tiegelzange und zog damit den Klumpen heraus. Es war – Hastig schaute Vanning fort. Seine Augen schmerzten. Der grüne Klumpen verwandelte sich, änderte seine Farbe, seine Form, seine Größe. Ein krabbelndes ungeometrisches Flimmern von Bewegung durchzitterte dieses Etwas. Plötzlich wurde die Zange ziemlich schwer. Kein Wunder. Sie hielt den ursprünglichen Kittel. 171
»Solcher Unsinn passiert darin, weißt du«, sagte Gallegher geistesabwesend. »Irgendeinen Grund wird es dafür auch geben. Was ich in dieses Fach stecke, wird klein. Nehm ich's 'raus, dann wird's wieder normal groß. Vielleicht könnte ich es an irgendeinen Zauberkünstler verkaufen.« Es klang nicht sehr überzeugt. Vanning setzte sich nieder, befühlte den Kittel und starrte auf das metallene Schließfach. Es war rechteckig und maß etwa ein mal ein mal eineinhalb Meter. Von innen war es anscheinend mit einer grauen Farbe gespritzt. Außen war es glänzend schwarz. »Wie hast du das gemacht?« »Wie? Keine Ahnung. Bloß ein bißchen herumprobiert.« Gallegher schlürfte sein Getränk. »Vielleicht handelt es sich um eine dimensionale Ausweitung. Was ich damit angestellt habe, hat vielleicht die raumzeitlichen Verhältnisse in dem Kasten verändert. Ich möchte bloß wissen, was das bedeutet?« Er murmelte vor sich hin. »Vor solchen Worten habe ich manchmal Angst.« »Du meinst, der Behälter ist innen größer als außen?« »Ein Paradoxon, ein sehr amüsantes Paradoxon. Was weiß ich. Ich nehme an, der Innenraum des 172
Kastens befindet sich überhaupt nicht in diesem raumzeitlichen Kontinuum. Hier, schieb einmal diese Bank hinein. Du wirst schon sehen.« Gallegher machte keine Anstalten, sich zu erheben; er deutete auf das fragliche Möbelstück. »Du bist verrückt! Die Bank ist größer als das ganze Fach.« »Das habe ich nicht bestritten. Schieb sie nach und nach hinein. Die Ecke zuerst. Los, mach doch.« Vanning machte sich an der Bank zu schaffen. Er war zwar klein, hatte aber starke Muskeln. »Leg den Kasten auf den Rücken. Dann ist es leichter.« »Ich … uff!… Okay. Was jetzt?« »Stell die Bank hoch und zwänge eine Ecke hinein.« Vanning sah seinen Gesprächspartner mit zusammengekniffenen Augen an, zuckte die Achseln und versuchte, zu tun wie ihm geheißen. Natürlich würde die Bank nicht hineingehen. Eine Ecke paßte gerade hinein, das war alles. Dann ging es natürlich nicht weiter, und die Bank stand über dem Kasten, gefährlich schief übereck. »Und?«
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»Warte nur.« Die Bank bewegte sich. Langsam sank sie nach unten. Vannings Kiefer klappten auseinander, die Bank schien in den Kasten hineinzukriechen, langsam und sanft, wie ein nicht sehr schwerer Gegenstand, der im Wasser untergeht. Sie wurde nicht hineingesaugt, sie wurde zusammengeschmolzen. Der Teil, der sich noch außerhalb befand, hatte sich nicht verändert. Aber nach und nach verschwand die ganze Bank – fort war sie. Vanning beugte sich vor. Eine flimmernde Bewegung tat seinen Augen weh. In dem Fach lag – ein Etwas. Es veränderte seine Umrisse, zog sich zusammen und wurde schließlich zu einer länglichen, abgestuften Pyramide von tiefpurpurner Färbung. Ihr größter Durchmesser schien noch nicht zehn Zentimeter zu betragen. »Ich kann's nicht glauben«, sagte Vanning. Gallegher grinste. »Wie sagte doch der Duke of Wellington zu seinem Untergebenen? ›Es war eine verdammt kleine Flasche, Sir‹.« »Einen Augenblick. Wie, zum Donnerwetter, konnte ich eine zweieinhalb Meter lange Bank in diesen eineinhalb Meter langen Blechkasten stecken?« 174
»Newton ist dran schuld«, sagte Gallegher. »Die Schwerkraft. Laß mal ein Reagenzglas voll Wasser laufen, und ich werd's dir zeigen.« »Halt, nicht so schnell… hier. Was jetzt?« »Voll bis zum Rand? Gut. Dort in der Schublade, wo Sicherungen drauf steht, sind ein paar Zuckerwürfel. Jetzt nimmst du einen Löffel und legst ihn auf das Glas, so daß eine Ecke das Wasser berührt.« Vanning setzte das Reagenzglas in ein Gestell und tat wie ihm geheißen. »Und?« »Was siehst du?« »Nichts. Der Zucker wird feucht. Und er löst sich auf.« »Na«, sagte Gallegher großartig. Vanning warf ihm einen nachdenklichen Blick zu und betrachtete dann wieder das Reagenzglas. Der Würfelzucker schmolz langsam zusammen und löste sich im Wasser auf. Schließlich war er verschwunden. »Luft und Wasser sind verschiedene Bedingungen, unter denen der Zucker existieren kann. In der Luft kann er sich als Zuckerwürfel halten. Im Wasser existiert der Zucker als gelöste Substanz. Die eine Ecke, die das Wasser berührt, wird den Bedingungen des Wassers unterworfen. Infolgedessen verändert sich der 175
Zucker in physikalischer, wenn auch nicht in chemischer Hinsicht. Der Rest wird von der Schwerkraft erledigt.« »Mach das mal ein bißchen deutlicher.« »Ist die Analogie nicht deutlich genug? Das Wasser repräsentiert den eigenartigen Zustand, wie er innerhalb dieses Kastens herrscht, und der Zuckerwürfel entspricht der Bank. Jetzt paß auf! Der Zucker saugte das Wasser auf und löste sich nach und nach darin, so daß die Schwerkraft den Würfel, je mehr er zusammenschmolz, schließlich in das Reagenzglas ziehen konnte. Siehst du es nun ein?« »Ich denke, ja. Die Bank sog diese … diesen Zustand X in sich ein und verschwand dann im Kasten, wie? Ein Zustand, der die Bank nicht auflöste, aber in ihren Ausmaßen und in ihrer Form veränderte. Oder ist es –« »In partis, nicht in toto. Nach und nach. Man kann auch irgendeinen großen Gegenstand Stück für Stück in einen kleinen Behälter voller Schwefelsäure schieben, man muß sich nur Zeit damit lassen.« »Oh«, sagte Vanning und sah das längsliegende Schließfach von der Seite an. »Kannst du die Bank wieder herausholen?« »Mach's doch selbst. Faß bloß 'rein und zieh sie 'raus.« 176
»Heineinfassen? Ich will doch nicht, daß meine Hand schmilzt!« »Das wird sie nicht. Die Umwandlung vollzieht sich nicht plötzlich. Das hast du doch selbst gesehen. Es dauerte ein paar Minuten, bis die Veränderung eintritt. Man kann in jedes Schließfach greifen, ohne daß es einem etwas tut, wenn man seine Hand dem darin herrschenden Zustand nicht länger als eine Minute oder so aussetzt. Ich werd's dir zeigen.« Gallegher erhob sich müde, blickte sich um und ergriff eine leere Korbflasche. Er stellte sie in den immer noch offenen Kasten. Die Veränderung fand nicht sofort statt. Sie trat nach und nach ein, die Flasche verlor ihre Form und verwandelte sich, bis ein verzerrter Würfel übrig blieb, etwa von der Größe eines Würfelzuckers. Gallegher faßte hinein und holte den Würfel wieder heraus, dann legte er ihn auf den Boden. Der Würfel fing an zu wachsen. Nach einiger Zeit war es wieder die Korbflasche. »Und nun die Bank. Schau her.« Gallegher holte die kleine Pyramide hervor und stellte sie auf den Boden. Nach und nach erwuchs aus ihr wieder die ursprüngliche Bank. »Hast du es gesehen? Ich möchte wetten, daß eine Lagerhausgesellschaft so etwas gut gebrauchen 177
könnte. Vermutlich könnte man das ganze Mobiliar in Brooklyn hier hineinpacken, allerdings hätte man seine Mühe, wieder das herauszuholen, was man haben möchte. Du verstehst doch, die Formveränderung –« »Man müßte sich eine Karte zeichnen«, schlug Vanning geistesabwesend vor. »Eine Skizze, wie das Ding innen drin aussieht, und dazuschreiben, was es vorher war.« »Natürlich, das juristisch geschulte Gehirn«, sagte Gallegher. »Ich brauche etwas zu trinken.« Er kehrte zu seiner Couch zurück und umfaßte das Mundstück, als wäre es der letzte Strohhalm, an den er sich klammern konnte. »Ich geb dir sechs Dollar für den Apparat«, bot Vanning an. »Abgemacht. Das Ding beansprucht ohnehin zuviel Platz. Ich wünschte, ich könnte es in sich selbst verstauen.« Der Wissenschaftler kicherte belustigt vor sich hin. »Das ist sehr lustig.« »Nicht wahr?« sagte Vanning. »Nun, hier.« Er nahm die Dollarscheine aus seiner Brieftasche. »Wo tu ich den Zaster hin?« »Steck ihn in Monstro. Das ist meine Bank … Danke.«
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»Bitte. Sag mal, erklär mir das mit dem Zucker ein bißchen genauer, ja? Es ist doch nicht nur die Schwerkraft, die den Zuckerwürfel in das Reagenzgläschen gleiten läßt. Wird denn nicht auch das Wasser nach oben in den Zucker hineingesogen –« »Da hast du auch wieder recht. Osmose. Nein, das stimmt nicht. Osmose hat irgend etwas mit Eiern zu tun. Oder verwechsele ich das mit Ovulation? Konduktion, Konvektion – Absorption! Hätte ich doch bloß Physik studiert; dann wüßte ich die richtigen Bezeichnungen! Bloß ein verrücktes Genie, mehr bin ich nicht. Die Tochter des Weins werde ich zu meiner Geliebten machen«, schloß Gallegher etwas zusammenhanglos und saugte an seinem Mundstück. »Absorption.« Vanning überlegte mit gerunzelter Stirn. »Bloß handelt es sich hier nicht um Wasser, das der Zucker aufsaugt. Der… der Zustand, der in diesem Kasten existiert, wird von der Bank, die man hineinstellt, aufgesogen – in diesem speziellen Fall.« »Wie ein Schwamm oder ein Löschblatt.« »Die Bank?« »Nee, ich«, sagte Gallegher in überzeugtem Ton und verfiel dann in glückliches Schweigen, das gelegentlich von gurgelnden Geräuschen 179
unterbrochen wurde, wenn er seine durstige Kehle wieder einmal durchspülte. Vanning seufzte und wandte sich wieder dem Schließfach zu. Er klappte den Deckel herum und verschloß ihn sorgfältig, ehe er den Metallkasten unter seine muskulösen Arme klemmte. »Gehst du? G'nacht. Auf Wiedersehn, auf Wiedersehn –« »Nacht!« »Auf-Wieder-Sehen!« sang ihm Gallegher zum Abschied nach, mit einem melancholischen Ausbruch von Musikalität. Dann drehte er sich herum, weil er müde war und schlafen wollte. Vanning seufzte wieder und trat hinaus in die kühle Nacht. Die Sterne leuchteten vom Himmel, nur im Süden wurden sie von dem Widerschein Manhattans überstrahlt. Die strahlend weißen Türme der Wolkenkratzer ragten in unruhigem Muster gen Himmel. Von oben leuchtete eine Himmelsrakete herunter: »Vambulin – Es pfeffert dich auf.« Sein Sportflugwagen stand an der Ecke. Vanning verstaute das Schließfach im Kofferraum und fuhr auf dem kürzesten Weg in die Innenstadt. Er mußte an Poe denken.
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Der gestohlene Brief, der vor aller Augen offen und doch verborgen lag, umgefaltet und mit einer anderen Adresse versehen, so daß er von außen sich verändert hatte. Donnerwetter! Welch ein perfektes Safe würde das Schließfach abgeben! Kein Dieb würde versuchen, es aufzubrechen, aus dem einfachen Grund, weil es nicht verschlossen war. Kein Dieb hätte auch nur die Absicht, es auszurauben. Vanning konnte das Schließfach mit Dollarscheinen füllen, und von einer Minute zur anderen würden sie unkenntlich werden. Das ideale Versteck! Wie zum Teufel funktionierte das Ding? Es hatte nicht viel Zweck, Gallegher danach zu fragen. Der arbeitete nach dem Gefühl. Die Primel an des Flusses Rand war nur als Primel ihm bekannt – nicht als primula vulgaris. Logische Schlüsse waren Gallegher ziemlich unbekannt. Er erreichte seine Ergebnisse ohne die Hilfe von Voraussetzungen und Nebenbedingungen. Vanning überlegte. Zwei Gegenstände können nicht zur gleichen Zeit den gleichen Raum beanspruchen. Ergo gab es eine andere Art von Raum in dem Blechkasten –
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Aber Vannings Schluß war voreilig. Es gab eine ganz andere Erklärung dafür – die richtige nämlich. Aber die ahnte er noch nicht. Er steuerte den Wagen in die Stadt und zu dem Bürogebäude, wo er ein ganzes Stockwerk gemietet hatte. Das Schließfach beförderte er mit dem Lastenaufzug nach oben. Er stellte es nicht in sein privates Büro, das wäre zu auffällig gewesen. Statt dessen schleppte er den metallenen Kasten in einen Lagerraum und schob ein Aktenregal davor. Es wäre nicht angenehm gewesen, wenn seine Angestellten diesen besonderen Spind für ihre Garderobe oder ihr Kaffeegeschirr benutzt hätten. Vanning trat einen Schritt zurück und überschlug noch einmal, was er bisher getan hatte. Vielleicht – Eine Klingel schlug leise und melodisch an. Vanning war so in Gedanken versunken, daß er sie zuerst nicht hörte. Als das Läuten dann in sein Bewußtsein drang, ging er zurück in sein eigenes Büro und drückte den Empfangsknopf seines eigenen Winchell-Visiphones. Das graue, scharfgeschnittene, bärtige Gesicht von Rechtsanwalt Hatton erschien und füllte den Bildschirm aus. »Guten Abend«, sagte Vanning.
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Hatton nickte. »Ich habe versucht, Sie zu Hause zu erreichen. Dann dachte ich, Sie wären vielleicht noch im Büro –« »Ich hatte nicht erwartet, daß Sie jetzt noch anrufen. Morgen ist die Verhandlung. Ein bißchen spät, noch zu diskutieren, oder?« »Dugan & Sons wollten, daß ich mit Ihnen rede. Ich habe mich dagegen ausgesprochen.« »Ja?« Hattons buschige graue Augenbrauen zogen sich zusammen. »Ich bin der Ankläger, wie Sie wissen. Wir verfügen über ausreichende Beweise gegen MacIlson.« »Das glauben Siel Aber Unterschlagungen sind schwer zu beweisen.« »Haben Sie eingelegt?«
gegen
Scopolamin
Einspruch
»Selbstverständlich«, sagte Vanning. »Mein Klient wird sich Ihretwegen nicht Wahrheitsserum spritzen lassen.« »Das werden die Geschworenen übelnehmen.« »Nicht, wenn unsere Abneigung medizinisch bedingt ist. Scopolamin hat äußerst nachteilige Wirkungen auf MacIlson. Ich habe ein ärztliches Attest.« 183
»Nachteilig ist richtig!« Hattons Stimme war scharf. »Ihr Klient hat diese Obligationen gestohlen, und ich kann es beweisen.« »Fünfundzwanzigtausend Dollar wert, so viel ist es doch, wie? Das ist 'ne Menge, die Dugan & Sons da verlieren. Wie steht es mit dem hypothetischen Fall, den ich vorgetragen habe? Nehmen wir einmal an, zwanzigtausend davon würden wieder aufgefunden –« »Sprechen wir auf einem privaten Richtstrahl? Und kein Tonbandgerät?« »Selbstverständlich. Hier ist der Stöpsel.« Vanning hielt eine Strippe mit einem Metallstecker am Ende in die Höhe. »Wir sind völlig unter uns.« »Gut«, sagte Rechtsanwalt Hatton. »Dann darf ich Sie einen elenden Winkeladvokaten nennen.« »Ts-ts!« »Der Bart ist bloß deswegen nicht so lang, weil die Motten schon die Hälfte weggefressen haben. Mit mir können Sie das nicht machen. MacIlson hat fünftausend in Obligationen geklaut, die sich leicht in Dollar umwandeln lassen. Dann wird Revision gemacht, und die Prüfer beginnen mit der Arbeit. MacIlson kommt zu Ihnen. Sie geben ihm den Rat, noch zwanzigtausend mehr zu nehmen und dann diese zwanzigtausend wieder anzubieten, wenn 184
Dugan & Sons die Sache nicht aufrollen wollen. Madison teilt sich mit Ihnen die fünftausend, und – bar auf den Tisch gezahlt – ist das nicht gerade wenig.« »Also, so etwas kann ich nie zugeben.« »Natürlich können Sie das nicht, noch nicht einmal auf einem privaten Richtstrahl. Aber so sieht die Situation aus. Ich sage Ihnen jedoch, die Sache hat einen Haken, und meine Klienten wollen sich nicht mit Ihnen auf den Handel einlassen. Es wird weiter prozessiert!« »Sie haben mich nur angerufen, um mir das mitzuteilen?« »Nein, ich will nur die Sache mit den Geschworenen regeln. Stimmen Sie zu, daß wir bei den Geschworenen Scopolamin anwenden?« »Okay«, sagte Vanning. Die Geschworenen für morgen waren von ihm nicht bestochen worden. Seine Verteidigung würde sich auf gesetzestechnische Argumente stützen. Wenn die Geschworenen unter Scop geprüft worden waren, stand fest, daß auch die andere Seite sich hier nicht eingemischt hatte, und die Chancen für ihn standen 50 zu 50. Außerdem würden damit Tage oder sogar Wochen sinnloser Rede und Gegenrede eingespart werden. 185
»Gut«, brummte Hatton. »Diesmal werde ich Ihnen die Hosen strammziehen.« Vanning antwortete mit einem unaussprechlichen Zitat und unterbrach die Verbindung. In Anbetracht des bevorstehenden Rechtskampfes zwang er sich, nicht mehr an den vierdimensionalen Kasten zu denken, sondern verließ das Büro, um morgen ausgeruht erscheinen zu können. Später hätte er Zeit genug, um eingehender die Möglichkeiten zu untersuchen, die ihm dieser bemerkenswerte Blechkasten zu bieten hatte. Im Augenblick wollte er sein Gehirn von solchen Dingen freihalten. Er ging in seine Wohnung, ließ sich von einem Diener noch schnell einen Cocktail mixen und fiel dann erschöpft ins Bett. Und am nächsten Tag war Vanning vor Gericht erfolgreich. Er baute seine Verteidigung auf komplizierte technische Fragen und obskure gerichtliche Präzedenzfälle auf. Der springende Punkt dabei war, daß die Obligationen bisher noch nicht gegen Dollar eingetauscht worden waren. Komplizierte graphische Darstellungen der Wirtschaftstätigkeit bewiesen dies. Selbst der Umtausch von nur fünftausend Dollar hätte die Kurse ein wenig schwanken lassen, und nichts
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dergleichen war eingetreten. Vannings Experten warteten mit einem Wust von Einzelheiten auf. Um MacIlsons Schuld eindeutig festzustellen, wäre der Nachweis erforderlich gewesen, daß die Obligationen seit dem 20. Dezember des Jahres, dem Datum der letzten Buchprüfung, überhaupt existiert hatten. Der Fall Donovan gegen Jones war eine Parallele hierfür. Hatton sprang auf. »Jones hat aber später sein Vergehen eingestanden, Herr Richter!« »Was aber an der ursprünglichen Urteilsfindung nichts änderte«, sagte Vanning aalglatt. »Spätere Entwicklungen haben für uns hier nichts zu sagen. Die Anklage wurde jedenfalls nicht bewiesen.« »Ich bitte die Verteidigung, fortzufahren.« Die Verteidigung fuhr fort, und unter Vannings Händen wuchs ein wundervoll verschnörkeltes Gebäude angewandter Logik empor. Hatton wand sich wie ein getretener Wurm. »Hohes Gericht! Ich–« »Wenn mein verehrter Herr Kollege in der Lage ist, eine Obligation – auch nur eine der fraglichen Obligationen – vorzuzeigen oder ihre Existenz nachzuweisen, dann werde ich mich geschlagen geben.«
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Der Richter warf Vanning einen sarkastischen Blick zu. »Was Sie nicht sagen! Wenn ein solches Beweisstück hier vorliegen würde, so wäre der Angeklagte schneller im Gefängnis, als ich ihm das Urteil sprechen könnte, das wissen Sie sehr gut, Mr. Vanning. Fahren Sie fort.« »Nun gut. Ich bin daher der Meinung, daß die Obligationen überhaupt nie vorhanden waren. Sie waren das Ergebnis einer irrtümlich falschen Aufstellung.« »Ein Irrtum in einer Pederson-Rechenmaschine?« »Ein solcher Irrtum ist schon vorgekommen, wie ich beweisen werde. Wenn ich meinen nächsten Zeugen rufen darf –« Sehr überzeugend erklärte der Zeuge, ein Mathematechniker, wie eine Pedersonmaschine Fehler begehen kann. Er führte einige Fälle auf. An einer Stelle setzte Hatton hier den Hebel an. »Ich protestiere gegen diesen Beweis! Wie jedem bekannt ist, befinden sich in Rhodesien gewisse bedeutende experimentelle Industrieanlagen. Der Zeuge hat davon Abstand genommen, die Art der Arbeit in der besonderen, von ihm zum Beweis herangezogenen rhodesischen Fabrik zu beschreiben. Entspricht es etwa nicht den Tatsachen,
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daß die Vereinigte Henderson Gesellschaft hauptsächlich radioaktive Erze bearbeitet?« »Zeuge, antworten Sie bitte.« »Ich kann nichts darüber sagen. In den Berichten, die ich erhalten habe, ist nichts dergleichen verzeichnet.« »Das ist ein bedeutsamer Unterlassungsfehler«, fuhr ihn Hatton an. »Radioaktivität zerstört den empfindlichen Mechanismus einer PedersonRechenmaschine. In den Büros von Dugan & Sons befinden sich weder Radium noch ein radioaktives Nebenprodukt.« Vanning erhob sich. »Darf ich fragen, ob diese Büroräume in der letzten Zeit desinfiziert worden sind?« »Natürlich. Das vorgeschrieben.«
ist
doch
gesetzlich
»Und es wurde ein Gas verwendet, das Chlor enthält?« »Ja.« »Ich möchte meinen nächsten Zeugen aufrufen.« Der nächste Zeuge war Physiker und beim UltraRadium-Institut angestellt; er erklärte, daß Gammastrahlen eine starke Wirkung auf Chlorgas haben und es ionisieren. Außerdem könnten lebende 189
Organismen Nebenprodukte von radioaktiven Substanzen assimilieren und wieder abgeben. Einige Klienten von Dugan & Sons hatten mit Radioaktivität zu tun. »Das ist lächerlich, hohes Gericht! Reine Theorie –« Vanning sah verletzt aus. »Ich zitiere den Fall Dangerfield gegen Austro-Produkte, Kalifornien, 1963. In der Urteilsbegründung heißt es, daß der Unsicherheitsfaktor als erstrangiger, zulässiger Beweis anzusehen ist. Ich möchte hier nur darlegen, daß die Pedersonmaschine, welche die Obligationen registrierte, eine fehlerhafte Aufstellung hätte machen können. Falls dies zutrifft, gab es überhaupt keine derartigen Obligationen, und mein Klient ist ohne Schuld.« »Die Verteidigung hat das Wort«, sagte der Richter, der wünschte, er könnte die ganze verdammte Bande aufs Schafott schicken. Die Rechtswissenschaft sollte sich auf Gerechtigkeit aufbauen, nicht auf einem dreidimensionalen Schachspiel. Dieses Mißverhältnis lag aber natürlich an der Entwicklung der komplizierten politischen und wirtschaftlichen Faktoren in einer modernen Zivilisation. Im übrigen war es bereits offensichtlich, daß Vanning seinen Fall erfolgreich zu Ende führen würde. 190
Und das tat er. Die Geschworenen konnten nicht anders, als sich für den Angeklagten zu entscheiden. In einem letzten verzweifelten Versuch griff Hatton das Verfahren an und verlangte Scopolamin. Sein Antrag wurde jedoch abgelehnt. Vanning blinzelte seinem Gegner zu und schloß seine Aktentasche. Soweit – so gut. Vanning kehrte zu seinem Büro zurück. Um vier Uhr dreißig an jenem Nachmittag fing für ihn das Unglück an. Die Sekretärin meldete ihm einen Mr. MacIlson, und ein dünner, dunkelhäutiger Mann mittleren Alters schob sie beiseite und schleppte eine gewaltige lederne Tasche in das Büro. »Vanning! Ich muß Sie unbedingt sprechen –« Der Anwalt machte ein ausdrucksloses Gesicht. Er erhob sich hinter seinem Schreibtisch, entließ die Sekretärin mit einem Kopfnicken und sagte, nachdem die Tür hinter ihr ins Schloß gefallen war: »Was wollen Sie denn hier? Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen sich von mir fernhalten. Was ist in der Tasche?« »Die Obligationen«, erklärte MacIlson mit unsicherer Stimme. »Irgend etwas stimmt nicht –« »Sie verrückter Kerl! Die Obligationen hierher zu bringen –« 191
Mit einem Sprung war Vanning an der Tür und schloß sie ab. »Ist es Ihnen denn nicht eingegangen, daß Sie in dem Moment ins Gefängnis fliegen, in dem Hatton diese Papiere in die Finger bekommt? Und ich werde von der Anwaltskammer ausgeschlossen! Schaffen Sie das sofort weg!« »Hören Sie mir eine Minute zu, ja? Ich trug die Obligationen zum Vereinigten Finanzinstitut, wie Sie mir aufgetragen haben, aber … aber da stand schon ein Polizist und wartete auf mich. Ich sah ihn noch rechtzeitig. Wenn er mich erwischt hätte –« Vanning holte tief Atem. »Sie sollten doch die Obligationen zwei Monate lang in dem Schließfach in der Untergrundstation liegen lassen.« MacIlson zog eine Zeitung aus der Tasche. »Aber die Regierung hat doch einen Stop auf alle Erzaktien und Obligationen angekündigt. In einer Woche tritt es in Kraft. Ich konnte nicht warten – das Geld wäre dann für unbestimmte Zeit eingefroren gewesen.« »Zeigen Sie mir mal die Zeitung.« Vanning untersuchte sie und fluchte leise vor sich hin. »Wo haben Sie diesen Wisch her?« »Habe sie von einem Zeitungsjungen vor dem Gefängnis gekauft. Ich wollte mich über die gültigen Erznotierungen unterrichten.« 192
»Aha! Ich verstehe. Ist Ihnen nie der Gedanke gekommen, daß diese Zeitung vielleicht gefälscht sein könnte?« MacIlson riß den Mund auf. »Gefälscht?« »Genau das. Hatton hatte schon damit gerechnet, daß ich Sie freibekomme und deshalb diese Zeitung präpariert. Sie haben angebissen. Sie haben die Polizei ohne Umschweife zu den Beweisen Ihrer eigenen Schuld geführt, und mich haben Sie auch noch mit hineingerissen.« »A-aber –« Vanning schnitt eine böse Grimasse. »Was glauben Sie, warum Sie jenen Polizisten vor dem Finanzinstitut gesehen haben? Man hätte Sie jederzeit verhaften können. Aber die wollten Ihnen einen solchen Schreck einjagen, daß Sie in mein Büro gelaufen kommen, um gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu erwischen. Gefängnis für Sie, Hinausschmiß für mich. Zum Teufel!« MacIlson fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Kann ich durch eine Hintertür entkommen?« »Wenn Sie uns schon längst umzingelt haben? Unsinn! Seien Sie nicht idiotischer, als es nötig ist.« »Können Sie – das Zeug verstecken?« »Wo? Die Polizei wird diese Zimmer mit Röntgenstrahlen durchsuchen. Nein, ich werde 193
einfach –« Vanning hielt inne. »Oh! Verstecken, haben Sie gesagt. Verstecken –« Er ging zum Sprechgerät. »Miss Horton? Ich bin in einer wichtigen Konferenz. Ich möchte nicht gestört werden, egal was kommt. Wenn irgend jemand Ihnen einen Haussuchungsbefehl vorlegt, bestehen Sie darauf, daß Sie seine Echtheit durch einen Anruf im Polizeipräsidium nachprüfen müssen. Verstanden? Okay.« MacIlsons Gesicht zeigte neu Hoffnung. »Ist alles in Ordnung?«
aufkeimende
»Ach, halten Sie den Schnabel!« fuhr ihn Vanning an. »Warten Sie hier auf mich. Ich bin gleich zurück.« Er eilte zu einer Nebentür und verschwand. In überraschend kurzer Zeit kehrte er zurück. Er trug schwer an einem metallenen Spind. »Helfen Sie mir … uh! … Hier. In diese Ecke. Und jetzt gehen Sie.« »Aber –« »Und zwar dalli«, befahl Vanning. »Alles ist okay. Reden Sie nicht. Man wird Sie zwar verhaften, aber ohne Beweise können Sie nicht festgehalten werden. Kommen Sie wieder, sobald Sie freigelassen worden sind.« Er drängte MacIlson zur Tür, schloß sie auf und schob den Mann hindurch. Danach kehrte er zu dem Spind – dem von Gallegher 194
erstandenen Schließfach – zurück, öffnete die Tür und schaute hinein. Leer. Natürlich. Die große Ledertasche – Vanning schob sie in den Blechkasten. Er atmete schwer, es dauerte einige Zeit, da die Tasche größer war als der Innenraum des Schließfachs. Doch schließlich konnte er sich ausruhen und zusehen, wie die braune kofferähnliche Tasche zusammenschrumpfte und ihre Form veränderte, bis sie winzig und verzerrt dalag, ein etwas verlängertes Ei in der Farbe eines Kupferpfennigs. »Uff!« sagte Vanning erleichtert. Dann riß er die Augen auf und beugte sich vor. In dem Schließfach bewegte sich etwas. Er sah ein groteskes kleines Wesen, nicht größer als zehn Zentimeter. Es war ein schreckliches Ding, zusammengesetzt aus Würfeln und Winkeln, von hellgrüner Farbe – und unzweifelhaft lebendig. Jemand klopfte an die Tür. Das winzige – Ding – machte sich an dem kupferfarbenen Ei zu schaffen. Wie eine Ameise hob es das Ei auf und versuchte, es wegzuziehen. Vanning blieb der Atem weg. Er griff in das Schließfach. Das vierdimensionale Lebewesen versuchte, zu entkommen. Es war nicht schnell genug. Vannings Hand schoß herab, und er fühlte, 195
wie sich das Wesen in seiner Hand drehte und wehrte. Er drückte seine Faust zusammen. Die Bewegung hörte auf. Er ließ das tote Ding fallen und zog seine Hand rasch zurück. Die Tür erzitterte unter den Faustschlägen. Vanning verschloß den Blechkasten und rief: »Einen Augenblick.« »Brechen wir doch die Tür auf«, sagte draußen jemand. Doch das war nicht nötig. Vanning verbreitete ein schmerzliches Lächeln auf seinem Gesicht und drehte den Schlüssel um. Rechtsanwalt Hatton kam herein, in seiner Begleitung befanden sich einige schwergewichtige Polizisten. »Wir haben MacIlson«, sagte er. »Oh? Warum?« Hattons Antwort bestand darin, daß er eine gebieterische Handbewegung machte. Daraufhin fingen die Polizisten an, das Zimmer zu durchsuchen. Vanning zuckte die Achseln. »Sie haben sich hinreißen lassen«, sagte er. »Hausfriedensbruch und –« »Wir haben einen Durchsuchungsbefehl.« »Und der Verdacht?« 196
»Die Obligationen natürlich.« Hattons Stimme klang müde. »Ich weiß nicht, wo Sie den Koffer versteckt haben, aber wir werden ihn finden.« »Welchen Koffer?« wollte Vanning wissen. »Die Tasche, die MacIlson bei sich hatte, als er hereinkam. Die er nicht mehr bei sich hatte, als er ging.« »Das Spiel«, sagte Vanning niedergeschlagen, »ist aus. Sie haben gewonnen.« »Wie?« »Wenn ich Ihnen sagen würde, was ich mit der Tasche gemacht habe – wollen Sie dann für mich ein gutes Wort einlegen?« »Wieso … ja. Wo –?« »Ich habe sie aufgegessen«, sagte Vanning und legte sich auf die Couch, wo er sich auf ein Nickerchen vorbereitete. Hatton durchbohrte ihn mit einem langen, haßerfüllten Blick. Die Beamten durchstöberten jeden Winkel. Sie gingen an dem Spind vorüber, warfen einen kurzen Blick hinein und machten sich weiter an die Arbeit. Die Röntgenstrahlen verrieten kein Versteck, weder in den Wänden, noch auf dem Boden, an der Decke oder in Möbelstücken. Auch die anderen Büroräume wurden durchsucht. Vanning bewunderte die gewissenhafte Arbeit. 197
Schließlich gab Hatton auf. Etwas anderes blieb ihm auch nicht übrig. »Ich werde Ihnen morgen eine Klage anhängen«, versprach Vanning, »sobald ich dafür gesorgt habe, daß MacIlson aus dem Gefängnis freikommt.« »Fahr zur Hölle!« brummte Hatton. »Es war mir ein Vergnügen.« Vanning wartete, bis seine ungebetenen Gäste verschwunden waren. Dann lachte er leise vor sich hin, erhob sich und ging zu dem Schließfach. Er öffnete es. Das kupferfarbene Ei, das die Ledertasche repräsentierte, war verschwunden. Vanning steckte die Hand in das Schließfach, fand aber nichts. Vanning wurde zunächst nicht klar, was das bedeutete. Er drehte den Blechkasten so um, daß Licht vom Fenster hineinfiel. Er schaute wieder hinein – mit dem gleichen Ergebnis. Das Schließfach war leer. Fünfundzwanzigtausend Dollar konvertierbaren Erzobligationen verschwunden.
in
frei waren
Vanning brach der kalte Schweiß aus. Er packte den Metallkasten und schüttelte ihn. Das half nichts. Er trug ihn in eine andere Ecke des Zimmers und 198
kehrte zurück, um den Boden gründlich zu untersuchen. Hatton? Nein. Vanning hatte das Schließfach nicht aus den Augen gelassen, solange die Polizei anwesend war. Ein Beamter hatte die Tür aufgemacht, hineingeschaut und sie wieder geschlossen. Und danach war das Schließfach nicht wieder angerührt worden, bis gerade eben. Aber die Obligationen blieben verschwunden. Desgleichen das absonderliche kleine Wesen, das Vanning zerdrückt hatte. Was sollte das bedeuten? Vanning näherte sich dem Schließfach und drückte die Tür zu, bis das Schloß einschnappte. Dann öffnete er wieder, jedoch fast ohne Hoffnung, daß das kupferfarbene Ei wiedererscheinen würde. Er hatte recht. Es erschien nichts. Mit weichen Knien ging Vanning zum Visiphon und rief Gallegher an. »Was 's los? Hä? Oh. Was willst du?« Das hagere Gesicht des Wissenschaftlers erschien auf dem Bildschirm. Gallegher hatte sich nicht zu seinen Gunsten verändert. »Ich habe das heulende Elend. Thiamin hilft mir auch nicht. Ich bin allergisch dagegen. Wie ist die Gerichtsverhandlung ausgefallen?« 199
»Hör mal zu«, sagte Vanning mit flehender Stimme, »ich habe einen Koffer in deinen verdammten Blechkasten getan, und nun ist er weg.« »Der Kasten? Das ist aber komisch.« »Nein! Der Koffer, den ich hineingestellt habe.« Gallegher schüttelte nachdenklich den Kopf. »Was es nicht alles gibt, nicht wahr? Ich erinnere mich, daß ich einmal –« »Zum Teufel mit deinen Erinnerungen! Ich will den Koffer wiederhaben!« »Ein Erbstück?« fragte Gallegher mitfühlend. »Nein, aber Geld ist drin.« »War das nicht ein bißchen dumm von dir? Seit 1999 hat es keinen Bankkrach mehr gegeben. Hätte nie vermutet, daß du Geld hortest, Vanning. Du hast das Zeug wohl gern in deiner Nähe, so daß du mit deinen krallenähnlichen Fingern darin herumwühlen kannst, wie?« »Du bist betrunken.« »Ich versuch es wenigstens«, berichtigte ihn Gallegher. »Aber im Laufe der Jahre habe ich mir eine ziemliche Widerstandskraft zugelegt. Ich brauche Zeit dazu. Dein Anruf setzt mich ohnehin schon um zweieinhalb Gläser zurück. Ich glaube, ich muß für meine Schnapsorgel eine Nebenstelle 200
einbauen, so daß ich am Visiphon nicht trocken sitze.« Vanning schnatterte fast zusammenhanglos in das Visiphon. »Mein Koffer! Was ist damit passiert? Ich will ihn wiederhaben.« »Na und? Ich hab ihn doch nicht.« »Kannst du herausfinden, wo er ist?« »Keine Ahnung. Erzähl mir mal die Einzelheiten. Ich werde dann sehen, was ich herausfinden kann.« Vanning folgte dieser Aufforderung, veränderte aber seine Geschichte ein wenig, wie es die Vorsicht erforderte. »Okay«, sagte Gallegher schließlich ein wenig unwillig. »Ich hasse es zwar, Theorien auszuarbeiten, aber dir zu Gefallen … meine Diagnose wird dich fünfzig Dollar kosten.« »Was? Nun hör aber mal –« »Fünfzig Dollar«, wiederholte Gallegher, ohne mit der Wimper zu zucken. »Oder du bekommst keinen Bericht.« »Woher soll ich denn wissen, daß du mir den Koffer wieder beschaffen kannst?« »Wahrscheinlich ist es, daß ich das nicht kann. Immerhin, vielleicht … Ich muß 'rüber nach Mechanistra gehen und ein paar von den Maschinen 201
dort benutzen. Die haben ganz schöne Mietsätze. Aber ich brauche Rechenmaschinen mit mindestens vierzigfachem Gehirndurchschnitt –« »Schon gut, schon gut!« grollte Vanning. »Aber beeil dich. Ich will den Koffer wiederhaben.« »Was mich dabei interessiert, ist der kleine Käfer, den du zerquetscht hast. Offengestanden ist das der einzige Grund, weshalb ich mich überhaupt mit deinem Problem beschäftige. Leben in der vierten Dimension –« Galleghers Stimme verlor sich, er murmelte vor sich hin. Sein Gesicht verschwand vom Bildschirm. Nach einer Weile unterbrach Vanning die Verbindung. Er schaute nochmals in das Schließfach und fand nichts. Die Ledertasche war verschwunden, hatte sich in Luft aufgelöst. Zum Teufel damit! Vanning haderte mit seinem Unglück, zog sich einen leichten Mantel über und verzehrte ein mit Wein angereichertes Essen auf dem ManhattanDachhotel. Er verspürte großes Mitleid mit sich selbst. Am folgenden Tag wurde sein Mitleid noch größer. Ein Anruf bei Gallegher wurde nicht beantwortet, also mußte Vanning die Zeit irgendwie totschlagen. Gegen Mittag kam MacIlson vorbei. Er war mit den Nerven völlig am Boden zerstört. 202
»Sie haben sich ganz schön Zeit gelassen, mich freizubekommen«, legte er los. »Und? Was passiert jetzt? Haben Sie irgend was zu trinken herumstehen?« »Sie brauchen nichts zu trinken«, fauchte Vanning. »So wie Sie aussehen, haben Sie schon genug geladen. Fahren Sie 'runter nach Florida und warten Sie, bis sich die Sache abgekühlt hat.« »Das Warten macht mich verrückt! Ich gehe nach Südamerika. Ich brauche ein paar Dollar.« »Warten Sie, bis ich die Obligationen in Geld habe umwandeln lassen.« »Ich nehme die Obligationen selbst. Die Hälfte, wie wir abgemacht haben.« Vannings Augen wurden schmal. »Und dann spazieren Sie hinaus und genau in die Arme der Polizei. Sicher.« MacIlson fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. »Ich gebe zu, daß ich Murks gemacht habe. Aber dieses Mal – nein, diesmal fang ich's schlauer an.« »Sie wollen warten, meinen Sie.« »Ich habe einen Freund, der wartet auf dem Dachparkplatz mit einem Hubschrauber. Ich brauche bloß hinaufzugehen und ihm die Obligationen in die Finger zu schieben, und dann verlasse ich das 203
Gebäude, wie ich gekommen bin. Die Polizei wird nichts bei mir finden.« »Ich sagte: nein«, wiederholte Vanning. »Es ist zu gefährlich.« »Es ist genauso gefährlich wie alles andere. Wenn man die Obligationen bei Ihnen findet –« »Das werden sie nicht.« »Wo haben Sie sie versteckt?« »Das ist meine Sache.« MacIlsons Blicke schossen nervös von einer Seite zur anderen. »Vielleicht. Aber sie befinden sich hier in diesem Gebäude. Sie konnten sie gestern nicht hinausgeschmuggelt haben, ehe die Polizei kam. Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Haben die Spürhunde Röntgenstrahlen benutzt?« »Ja.« »Na ja, ich hörte, daß Hatton eine Gruppe von Experten an die Grundrißzeichnungen dieses Stockwerks gesetzt hat. Er wird Ihren Safe finden. Und ich kratze die Kurve, ehe es soweit kommt.« Vanning fuhr mit der Hand durch die Luft. »Sie sind hysterisch. Ich habe Sie doch gut bedient, oder nicht? Obwohl Sie fast die ganze Sache hätten auffliegen lassen.«
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»Gewiß«, sagte MacIlson und biß sich auf die Lippen. »Aber ich –« Er kaute auf einem Fingernagel herum. »Oh, verdammt! Ich sitze auf dem Rand eines Vulkans, mit Termiten unter dem Hintern. Ich kann nicht hierbleiben und warten, bis die Polizei die Obligationen findet. Und aus Südamerika – wohin ich gehe – kann ich jedenfalls nicht ausgeliefert werden.« »Sie werden warten«, sagte Vanning fest. »Das ist das Beste, was Sie tun können.« Plötzlich befand sich eine Pistole in MacIlsons Hand. »Sie werden mir die Hälfte der Obligationen geben. Und zwar jetzt. Ich traue Ihnen nicht mehr über den Weg. Wenn Sie glauben, Sie können mich abwimmeln – zum Teufel, holen Sie die Obligationen!« »Nein«, sagte Vanning. »Ich mache keinen Spaß.« »Ich weiß, aber ich kann die Obligationen nicht herausholen.« »Wie? Warum nicht?« »Jemals etwas von einem Zeitschloß gehört?« fragte Vanning, dessen wachsame Augen auf MacIlsons Zeigefinger gerichtet waren. »Sie hatten recht: Ich habe den Koffer in einen verborgenen Tresor gestellt. Aber ich kann den Tresor nicht 205
öffnen, bevor eine bestimmte Anzahl Stunden verflossen sind.« »Hm-m-m.« MacIlson überlegte. »Wann –« »Morgen.« »In Ordnung. Dann haben Sie die Obligationen für mich?« »Wenn Sie sie haben wollen. Aber am besten überlegen Sie es sich anders. Es wäre sicherer.« Die einzige Antwort war MacIlsons Grinsen, als er hinausging. Längere Zeit saß Vanning bewegungslos da. Offengestanden, er hatte Angst. Das Schwierige an der Sache war, daß MacIlson manischdepressiv war. Er würde schießen. Im Augenblick brach er unter der Anspannung zusammen, er hielt sich für einen verzweifelten Flüchtling. Nun – Vanning mußte Vorsichtsmaßregeln ergreifen. Er rief nochmals Gallegher an, bekam jedoch wieder keine Antwort. Er hinterließ eine Nachricht auf dem mit dem Visiphon gekoppelten Aufnahmegerät und schaute dann nachdenklich nochmals in das Schließfach. Es war leer, bedrückend leer. Am Abend war Gallegher endlich wieder zu Hause. Er ließ Vanning in sein Labor eintreten. Der 206
Wissenschaftler sah sowohl müde als auch betrunken aus. Er machte eine umfassende Handbewegung in Richtung auf den Tisch, der mit Papieren übersät war. »Mein Gott, was hast du mir für Kopfschmerzen verursacht! Wenn ich gewußt hätte, was hinter meinem Apparat für Prinzipien stecken, hätte ich Angst gehabt, an das Ding überhaupt nur zu denken. Setz dich. Trink etwas. Hast du die fünfzig Dollar bei dir?« Schweigend gab ihm Vanning die Scheine. Gallegher steckte sie in Monstro. »Schön. Nun –« er ließ sich auf der Couch nieder. »Nun wollen wir anfangen. Die große Frage war –« »Kann ich meinen Koffer wiederbekommen?« »Nein«, sagte Gallegher gelassen. »Zumindest sehe ich keinen Weg, wie man es anzustellen hätte. Er befindet sich in einem anderen raumzeitlichen Sektor.« »Und was soll das heißen?« »Es bedeutet, daß das Schließfach so ähnlich wie ein Fernrohr arbeitet, nur handelt es sich eben nicht allein um eine sichtbare Verbindung. Der Kasten ist ein Fenster, so stelle ich mir das vor. Man kann sowohl hindurchgreifen als auch hindurchsehen. Es ist eine Öffnung im Jetzt – plus X.« 207
Vanning machte ein böses Gesicht. »Bis jetzt hast du nur unsinniges Zeug geredet.« »Bis jetzt habe ich mir nur eine Theorie formen können, und mehr wird mir vermutlich auch nicht gelingen. Ich hatte damals unrecht. Die Dinge, die in dem Kasten verschwanden, verschwanden nicht in einen anderen Raum, da es eine Raumkonstante gibt. Ich meine, sie wären nicht kleiner geworden. Größe ist Größe. Wenn man einen Würfel mit der Kantenlänge 1 cm von hier zum Mars bewegt, so würde er weder größer noch kleiner werden.« »Wie wäre es, wenn an dieser anderen Raumstelle ein anderer Druck herrschte? Würde das nicht einen Gegenstand zusammendrücken?« »Gewiß, aber er würde dann so bleiben. Er würde nicht seine ursprüngliche Größe und Form wiedergewinnen, wenn man ihn aus dem Schließfach nimmt. X plus y ist niemals gleich xy, aber x mal y ergibt xy.« »Was?« »Ach, nichts«, sagte Gallegher und erklärte weiter. »Die Dinge, die wir in das Schließfach steckten, verschwanden in eine andere Zeit. Ihr Zeitablauf blieb konstant, aber nicht die entsprechenden Raumverhältnisse. Zwei Dinge können nicht gleichzeitig am selben Ort sein. Ergo 208
verschwand dein Koffer in einer anderen Zeit. Jetzt plus x. Wie groß x nun allerdings ist, das weiß ich nicht, obwohl ich vermute, daß es sich um ein paar Millionen Jahre handelt.« Vanning sah mitgenommen aus. »Der Koffer befindet sich also ein paar Millionen Jahre in der Zukunft?« »Ich weiß nicht, wie weit, aber – ich möchte sagen, ziemlich weit. Mir fehlen einige Faktoren, um die Gleichung völlig lösen zu können. Ich habe in der Hauptsache induktiv gearbeitet, und die Ergebnisse sind das Verrückteste, was mir jemals vorgekommen ist. Einstein wäre begeistert gewesen. Meine Theorie besagt, daß sich das Universum gleichzeitig vergrößert und verkleinert.« »Was hat denn das mit –« »Bewegung ist relativ«, fuhr Gallegher unerschütterlich fort. »Das ist ein Grundprinzip. Nun, das Universum dehnt sich aus, es breitet sich aus wie ein Gas, aber die Teile, aus denen es sich zusammensetzt, schrumpfen gleichzeitig zusammen. Diese Einzelteile wachsen in Wirklichkeit nicht, weißt du – nicht die Sonnen und die Atome. Sie entfernen sich nur vom Mittelpunkt. Sie hauen ab in alle Richtungen … wo war ich doch? Oh – ja, in Wirklichkeit, wenn man nur einen kleinen Sektor 209
betrachtet, dann zusammen.«
schrumpft
das
Universum
»Also schrumpft es von mir aus zusammen. Wo ist aber mein Koffer?« »Das habe ich doch gesagt: In der Zukunft. Deduktive Überlegungen haben mich dazu geführt. Alles ist so wundervoll einfach und logisch. Und man kann es unmöglich beweisen. Vor hundert, vor tausend, vor einer Million Jahre war die Erde – das Universum – größer als es jetzt ist. Und es verkleinert sich laufend. Eines Tages in der Zukunft wird die Erde nur noch halb so groß sein wie heute. Nur werden wir das nicht bemerken, weil wir und das ganze Universum im gleichen Verhältnis an Größe abnehmen.« Gedankenverloren fuhr Gallegher fort. »Wir haben eine Sitzbank in das Schließfach gesteckt, und so erschien sie in irgendeiner zukünftigen Zeit wieder. Der Kasten ist ein offenes Fenster in eine andere Zeit, wie ich schon gesagt habe. Nun, die Bank wurde von den Verhältnissen jener Periode beeinflußt. Sie schrumpfte zusammen, nachdem wir ihr ein paar Sekunden Zeit gaben, die fremde Enthropie – oder wie das heißt – aufzusaugen. Sagte ich Enthropie? Allah weiß alles. Na ja!« »Die Bank wurde zu einer Pyramide.« 210
»Vielleicht gibt es in dieser Zeit auch eine geometrische Verzerrung. Oder es ist nur eine optische Täuschung. Vielleicht haben wir die Zeit nicht genau im Brennpunkt. Ich bezweifle, daß in der Zukunft die Gegenstände wirklich anders als heute aussehen werden – nur daß sie kleiner sind –, aber wir benützen eben ein Fenster in die vierte Dimension. Wir überspringen die Zeit. Es muß einem Blick ähnlich sein, den wir durch ein Prisma werfen. Die Größenänderung ist wirklich, aber Form und Farbe werden für unsere Augen nur durch das vierdimensionale Prisma verzerrt.« »Das Ergebnis lautet also, daß sich mein Koffer in der Zukunft befindet, wie? Aber warum verschwand er aus dem Schließfach?« »Wie verhält es sich denn mit dem kleinen Dingsbums, das du zerdrückt hast? Vielleicht hatte er Kameraden. Davon würde man nichts sehen, bis sie in das ziemlich begrenzte Wirkungsgebiet des Kastens kämen, aber – überleg dir das selbst. Irgendwann in der Zukunft, in hundert oder tausend oder in einer Million Jahren, erscheint plötzlich ein Koffer mitten aus der Luft heraus. Einer unserer Nachkommen untersucht ihn. Du tötest ihn. Seine Freunde kommen vorbei und tragen den Koffer weg, legen ihn außerhalb des Einflußbereiches von unserem Schließfach wieder hin. Im Raum kann er 211
sich jetzt an allen möglichen Stellen befinden, und der zeitliche Abstand ist für uns unbekannt. Jetzt plus X. Es ist eben ein Zeitschließfach. Nun?« »Zum Teufel!« explodierte Vanning. »Das ist also alles, was du mir sagen kannst? Ich soll die fünfundzwanzigtausend Dollar auf das Verlustkonto buchen?« »Ja. Es sei denn, du willst selbst in den Kasten krabbeln und deinen Koffer wieder holen. Gott allein weiß, wo du wieder rauskämst. Die Luftzusammensetzung hätte sich vermutlich im Laufe von ein paar Jahrtausenden verändert. Womöglich haben auch noch andere Änderungen stattgefunden.« »Ich bin doch nicht völlig verrückt.« Das waren also die Tatsachen. Die Obligationen waren hoffnungslos verschwunden. Vanning konnte diesen Verlust ertragen, solange er wußte, daß die Papiere nicht in die Händer der Polizei gelangten. Bei MacIlson lag die Sache aber anders – vor allem, nachdem eine Kugel das Glasolex-Fenster in Vannings Büro zersplittert hatte. Eine Unterredung mit MacIlson war ergebnislos verlaufen. Der Betrüger war davon überzeugt, daß Vanning ihn übers Ohr hauen wollte. Er mußte mit 212
Gewalt hinausgeschmissen werden, und dabei stieß er wüste Drohungen aus. Er würde zur Polizei gehen – würde alles gestehen. Laß ihn doch, dachte Vanning. Beweise lagen nicht vor. Soll er zum Teufel gehen. Doch aus Sicherheitsgründen erwirkte Vanning einen Haftbefehl gegen seinen früheren Klienten. Es klappte nicht. MacIlson schlug dem Beamten gegen die Kinnspitze und entfloh. Nun – so argwöhnte Vanning – drückte er sich in dunklen Ecken herum, bewaffnet und entschlossen, einen Mord zu begehen. Offensichtlich ein manischdepressiver Typ. Für Vanning war es eine gewisse schadenfrohe Befriedigung, ein paar Kriminalbeamte zu seinem Schutz anzufordern. Nach dem Gesetz war er dazu berechtigt, da sein Leben bedroht war. Bis MacIlson sich in sicherem Gewahrsam befand, würde Vanning beschützt werden. Und er sah darauf, daß seine Leibwächter die besten Schützen waren, welche die Polizei in Manhattan besaß. Er stellte aber auch fest, daß man ihnen aufgetragen hatte, nach den fehlenden Obligationen Ausschau zu halten. Vanning rief Anwalt Hatton über Visiphon an und grinste dem Mann auf dem Schirm zu. 213
»Schon Glück gehabt?« »Was meinen Sie?« »Meine Wächter. Ihre Spione. Sie werden die Obligationen nicht finden, Hatton. Erlassen Sie ihnen lieber diese Aufgabe. Warum sollen die armen Kerle zwei Sachen gleichzeitig erledigen?« »Ach, eine Aufgabe wäre genug. Die Beweise zu finden. Wenn Madison Sie durchlöchern würde, wäre ich nicht allzu traurig.« »Nun gut. Wir sehen uns nachher vor Gericht«, sagte Vanning, »Sie sind doch Ankläger im Fall Watson, oder?« »Ja. Haben Sie was gegen Scop?« »Bei den Geschworenen? Keineswegs. Ich habe schon so gut wie gewonnen.« »Das glauben Sie vielleicht«, meinte Hatton und unterbrach das Gespräch. Vanning lachte leise vor sich hin, zog den Mantel an, suchte seine Leibwächter und begab sich zum Gericht. Von Madison keine Spur. Vanning verließ die Verhandlung als Sieger, wie er erwartet hatte. Er kehrte in seine Büroräume zurück, ließ sich von der Telefonistin ein paar unwichtige Nachrichten geben und ging zu seinen
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Privaträumen. Als er die Tür öffnete, sah er die Ledertasche in der Ecke auf dem Teppich stehen. Er blieb wie angewurzelt stehen, die Hand noch auf der Klinke. Hinter sich konnte er die schweren Schritte der Wächter hören. Über die Schulter sagte Vanning: »Einen Augenblick mal«, dann stürzte er ins Zimmer, schlug die Tür hinter sich zu und schloß sie ab. Er hörte noch den Anfang einer überraschten Frage. Der Koffer. Da stand er, zweifelsfrei. Und – ebenso zweifelsfrei – fingen die beiden Kriminalbeamten nach einer sehr kurzen Besprechung an, gegen die Tür zu hämmern, um sie aufzubrechen. Vanning wurde grün im Gesicht. Er trat zögernd vor, dann sah er das Schließfach in der Ecke stehen, wohin er es transportiert hatte. Das Zeitschließfach. Das war die Rettung! Wenn er die Ledertasche hineinschob, würde sie unkenntlich werden. Selbst wenn sie dann wieder verschwand, wär das nicht schlimm. Hauptsache, er konnte die belastenden Beweise – und unverzüglich! – verstecken. Die Tür bebte in ihren Angeln. Vanning stürzte sich auf die große Tasche und hob sie auf. Aus den Augenwinkeln bemerkte er eine Bewegung.
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In der Luft über ihm war eine Hand erschienen. Es war die Hand eines Riesen, seine makellose Manschette verlor sich im Leeren. Die gigantischen Finger senkten sich hernieder . .. Vanning schrie und sprang zur Seite. Er war zu langsam. Die Hand fuhr herunter, und Vanning wehrte sich hilflos gegen den Griff der Faust. Die Faust ballte sich. Als sie sich wieder öffnete, fielen die traurigen Überreste von Vanning auf den Teppich. Die Hand zog sich ins Nichts zurück. Die Tür gab endlich nach, und die beiden Kriminalbeamten stolperten herein. Hatton und seine Leute brauchten nicht lange, bis sie ankamen. Allerdings blieb ihnen nicht viel zu tun übrig. Die Ledertasche mit den fünfundzwanzigtausend Dollar in konvertierbaren Obligationen wurde an einen sicheren Ort gebracht. Vanning wurde ins Leichenhaus geschafft. Blitzlichter blitzten, Fingerabdruckexperten verteilten ihr weißes Pulver, die Röntgenkameras machten Aufnahmen. Alles ging mit rascher Zuverlässigkeit vor sich, so daß binnen einer Stunde das Büro leer und die Tür versiegelt war.
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Infolgedessen sah niemand, wie eine gigantische Hand aus dem Nichts heraus erschien, herumgriff, als suchte sie etwas, und wieder verschwand … Der einzige, der Licht in die Angelegenheit hätte werfen können, war Gallegher. Seine Randbemerkungen richtete er jedoch an Monstro und nicht an die Polizei. In der Einsamkeit seines Labors sagte er nur: »Also deshalb hat sich die Bank gestern abend für ein paar Minuten hier gezeigt! Hm-m-m. Jetzt plus X – und X ist gleich einer Woche. Immerhin, warum nicht? Alles ist relativ. Aber – ich dachte nicht, daß das Universum sooo schnell zusammenschrumpft!« Er streckte sich auf der Couch aus und trank einen doppelten Martini. »Ja, das muß es sein«, murmelte er nach einiger Zeit. »Junge, Junge! Ich glaube, Vanning ist wohl der einzige Mensch gewesen, der je in die Mitte der nächsten Woche gegriffen hat – und sich dabei umbrachte! Ich denke, ich betrink mich lieber.« Was er auch tat. Es störte ihn dabei der Roboter Joe, der aus der Küche trat und sich auf Monstro niederließ. »Ich versuche gerade, durch Skrenen herauszubekommen, warum du mich mal wieder
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tagelang abgeschaltet hattest«, sagte er vorwurfsvoll zu Gallegher. »Halt den Mund, du scheußlicher Getriebekasten, ich bin beschäftigt!« »Beschäftigt! Ich sehe nur, daß du im Begriff bist, dich mal wieder zu betrinken. Und da ich mich als Wesen der dritten Ebene sozusagen für dich verantwortlich fühle, werde ich mit allen Mitteln versuchen, deine Trunksucht zu bekämpfen.« Der Wissenschaftler knurrte etwas Unverständliches, was aber nicht sehr schmeichelhaft für Roboter im allgemeinen und Joe im besonderen klang. Der durchsichtige Roboter ließ sich dadurch nicht stören. Er skrente still vor sich hin. Gallegher wurde unruhig. Dieser nicht zu beschreibende Sinn des Maschinenwesens, der jetzt in Aktion trat, übte einen störenden Einfluß auf Gallegher aus. Es war fast wie eine hypnotische Behandlung, die bewirkte, daß der Martini einfach scheußlich schmeckte. »Laß das Skrenen!« Wissenschaftler gereizt.
kommandierte
der
»Stör mich bitte nicht. Was ich tue, ist wichtig.« Gallegher versuchte es mit einer anderen Flüssigkeit aus einer genial konstruierten 218
Schnapsorgel – der fade Geschmack im Munde blieb. Seufzend und mit einem vorwurfsvollen Blick auf Joe erhob er sich von der bequemen Couch und machte sich an die Arbeit. Die Sache mit dem Spind, durch den Vanning sich selbst umgebracht hatte, ließ ihm immer noch keine Ruhe. Nicht etwa, daß der Wissenschaftler Gewissensbisse gefühlt hätte – sein waches Bewußtsein konnte für die Erfindung nicht verantwortlich gemacht werden. Aber das Problem, das dahintersteckte, beschäftigte ihn. Der Spind war so etwas wie ein Fenster in die Zukunft – konnte man nicht auch auf die gleiche Weise einen Griff in die Vergangenheit tun? Wenn ihn nur der verdammte Roboter in Ruhe lassen würde, Gallegher Zwei würde das Problem schon lösen. Aber ganz ohne Alkohol ging es nicht. Es fehlte an den wissenschaftlichen Voraussetzungen. »Das geht nicht«, erklärte der Roboter mit Sicherheit. »Was geht nicht?« »Was du eben vorhast. Ich habe deine Gedanken geskrent – es ist glatter Unsinn.« »Hmm«, machte Gallegher und sah zugleich ein, was der Roboter meinte. Wenn er einen Gegenstand in die Zukunft schickte, verkleinerte er sich und 219
paßte in den Spind. Wollte er jenen in die Vergangenheit schicken, müßte er sich also vergrößern. Er gab den Gedanken daran wieder auf und befaßte sich mit einer neuen Mixtur aus der Schnapsorgel. Diesmal war Joe gnädiger und beeinflußte den Geschmack nicht mehr so stark wie vorher. Gallegher dachte immer noch an seinen armen Freund Vanning, als der Summer über der Tür sich meldete. »Geh nachschauen, wer da ist«, befahl er dem Roboter. Widerwillig unterbrach dieser seine Siesta und ging die Tür öffnen. Ein kleiner, schmächtiger Mann in Hut und Mantel trat ein. ,»Sie sind Galloway Gallegher?« fragte er barsch. »Haben Sie was dagegen? Hier ist was zu trinken.« »Trinken! Ich suche –« »Wir haben das nicht, was Sie suchen, Mr. MacIlson«, mischte sich Joe ein. Dem Besucher blieb der Mund offenstehen. »Was – was ist das denn? Wie kann –« »Ich bin ein Wesen der dritten Ebene und kann vahrsen. Deshalb kenne ich auch Ihren Namen und weiß, was Sie vorhaben.«
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Gallegher blickte müde von einem zum anderen. »Was soll der ganze Unsinn?« fragte er und richtete sich ein wenig auf. »Meinen Namen haben Sie gehört, Gallegher. Sagt er Ihnen nichts?« Ein drohender Unterton schwang in dieser Frage mit. »Nein, absolut nichts.« »Sie haben doch diesen verdammten Spind gebaut, in dem Vanning meine Obligationen versteckte. Wo sind die Papiere?« »Nach allem, was die Zeitungen schreiben, befinden sich die Dinger in Sicherheit. Aber ich wüßte nicht, was ich damit zu tun haben sollte.« Gallegher gähnte. »Sie haben doch mit diesem Schuft, der einmal mein Anwalt war, unter einer Decke gesteckt. Sie haben ihm geholfen, mich zu bestehlen! Ihnen verdanke ich den Verlust von fünfundzwanzigtausend Dollar – ganz abgesehen davon, daß jetzt die Polizei hinter mir her ist.« »Wer hat was gestohlen?« fragte Joe dazwischen. »Ihre Logik ist ziemlich verdreht, MacIlson. Erstens haben Sie die Obligationen gestohlen und niemand anders. Und zweitens ist es nur gut, daß sich die irdische Gerechtigkeit bemüht, so häßliche Geschöpfe zu vernichten, wie Sie eins sind.« 221
Es klingelte schon wieder. Madison zuckte nervös zusammen und fuhr mit der Hand in die Manteltasche. Den Hut behielt er immer noch auf dem Kopf. Joe ging zur Tür und kam mit einem jungen, schwarzhaarigen Mädchen herein. »Der verdammte Schnaps«, ächzte Gallegher. »Jetzt leide ich schon an Halluzinationen. Ich – und Damenbesuch!« »Mr. Gallegher, Sie müssen mir unbedingt helfen«, sagte das Mädchen gepreßt und warf einen furchtsamen Blick auf MacIlson, den sie zu kennen schien. »Ich bin – ich war die Sekretärin von Rechtsanwalt Vanning. Jetzt –« »Rechtsanwalt Vanning!« betrogene Betrüger verächtlich.
schnaubte
der
»Im Zimmer meines früheren Chefs steht noch immer dieser Schrank, oh, es ist einfach fürchterlich! Es geschehen die seltsamsten Dinge. Ich habe einen Mantel hineingelegt – er ist verschwunden, einfach weg. Sie haben das Ding gebaut, Mr. Gallegher, Sie müssen mich davon wieder erlösen!« Gallegher setzte sich auf, vergaß aber, dem Mädchen einen Platz anzubieten. Mit einem strafenden Seitenblick schob ihr Joe einen Sessel hin. Dann erklärte Gallegher, welche Bewandtnis es 222
mit dem Spind hatte. Die Sekretärin verstand offensichtlich nicht viel davon, aber MacIlson spitzte die Ohren. Als Gallegher fertig war, hielt der Besucher einen Revolver in der Hand. Der Wissenschaftler schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Aber, Madison – ich hätte Sie für vernünftiger gehalten! Sie laden sich nur neue Scherereien an den Hals, wenn Sie mich hier vor Zeugen um die Ecke schaffen.« »Außerdem hat er die Erfindung gar nicht selbst gemacht«, wandte Joe ein. »Während er betrunken war, habe ich sie ihm eingeskrent.« »Einge- was?« fragte der Verbrecher verblüfft. »Eingeskrent«, erklärte Joe so selbstverständlich, als ob er »eingekocht« gesagt hätte. »Ihr Menschen versteht nichts von den Fähigkeiten, die ein Wesen von meiner Vollkommenheit besitzt. Seht euch doch nur das liebliche Räderspiel in meinem Innern an. Ist es nicht von vollendeter Schönheit? Und wenn ihr erst meine Stimme hören könntet! Aber dafür sind eure Ohren leider nicht eingerichtet. Ich bemitleide euch.« Gallegher blickte seinen Roboter aufmerksam an. Madison hielt die Waffe jetzt unschlüssig gesenkt, aber dann leuchtete ein zufriedenes Licht in seinen Augen auf. 223
»Dann muß ich mich also an dich halten!« schrie er den Roboter an, der ihm nur einen beleidigten Blick zuwarf. »Wenn ich eine Maschine totmache, dann ist das doch kein Mord – nicht wahr, Mr. Gallegher? Und ich habe mich wenigstens gerächt.« Langsam hob er die Waffe. »Mr. Vanning hat immer gesagt, er sei manischdepressiv veranlagt und würde vor einem Mord nicht zurückschrecken«, murmelte die Sekretärin entsetzt. »Halt!« Gallegher sprang auf, aber MacIlson ließ sich nicht beeindrucken. »In diesem blechernen Gehirn ist also die Teufelsidee entstanden«, zischte MacIlson und trat auf den Roboter zu. »Ich werde dich dafür umbringen.« »Sie sind im Irrtum, mein Denkzentrum befindet sich dort, wo Sie Ihren Bauch haben«, klärte ihn Joe auf. »Und im übrigen besitze ich keinen Selbsterhaltungstrieb. Ihre Aufregung ist einfach lächerlich.« Madison zielte mit dem Revolver auf die wirbelnden Zahnräder des Roboters. Er schien jedes Interesse an Gallegher und dem Mädchen verloren zu haben, seit er sein Opfer ins Auge gefaßt hatte. Joe rührte sich keinen Zentimeter von der Stelle, und der Wissenschaftler war zu betrunken, um 224
entscheidend in die Diskussion eingreifen zu können. Andererseits war er wieder nicht genug betrunken, um sein geniales Unterbewußtsein ins Feld zu führen. Er kam sich scheußlich hilflos vor. Dreimal hintereinander knallte es. Dann noch einmal, aber das war die Tür des Laboratoriums. Madison war nach dem dritten Schuß geflohen. Ruhig ging Joe auf die Couch zu, von der sich Gallegher wankend erhoben hatte. Er tat alles, was er noch nie zuvor getan hatte: Er legte sich lang hin. Das Mädchen unterdrückte einen furchtsamen Schrei. »Dumm seid ihr doch, ihr armen Menschen«, sagte Joe etwas heiser, denn ein Teil der Zahnräder in seinem Innern war bereits stehengeblieben. »Die Erde wird einen schweren Verlust erleiden, wenn ich in ein paar Minuten für immer abgeschaltet sein werde. Besonders dich, Gallegher, wird es hart treffen. Wer sollte für dich vahrsen? Wer sollte skrenen? Oder dir Bier holen?« In seinem Innern gab es ein häßliches Geräusch, das wie ein mächtiges Getriebe klang, in das man eine Handvoll Sand gestreut hat. Damit hörte das einzige Wesen der dritten Ebene, das es auf der Erde gegeben hatte, auf zu funktionieren. 225
Der Mensch war wieder die Krone der Schöpfung. Originaltitel: TIME LOCKER
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